/
PhiN 86/2018: 38



Beatrice Nickel (Bochum)



Das Schachspiel als Strukturmodell literarischer Texte: Regel und Zufall in der Textproduktion


in Erinnerung an Reinhard Krüger (1951–2018)



There have been many examples of 'chess-literature' in Europe since the Middle Ages. As the following paper suggests, there are basically two different functions of chess in literature: on the one hand, it is possible to consider it as a structural model for the production of literary texts, and on the other hand, it can be used as a literary motif. In the course of history, many authors have analogized creating literature (especially highly artificial genres like the sonnet) to playing chess or imagining chess problems. My paper is focussed on representative examples of 'chess-literature' belonging to the realms of poetry and drama as well as on poetological reflections which are meant to prove the appropriateness of the comparison between chess and literature emphasizing the aspects of rule observance and contingency crucial to both, chess and literature.


1. Vorbemerkungen

In der Geschichte der europäischen Literatur spielt die Entwicklung des Schachspiels eine außergewöhnlich wichtige Rolle.1 Mit dem Import des in Indien im 6. Jahrhundert entstandenen Schachspiels nach Europa bildet sich zugleich ein vollkommen neuartiges Paradigma für die sprachkünstlerische Produktion heraus.2 Das Schach wird als eine große Metapher des Lebens interpretiert, die bestimmten Regeln folgt, und auf diese Weise als Textgenerator verwendet.3

Dass das Schachspiel und das 'Sprachspiel' einer poetischen Textherstellung Analogien aufweisen, daran kann spätestens seit der Publikation von Vladimir Nabokovs Poems and Problems im Jahre 1969 kein Zweifel mehr bestehen. Der Autor fügt hier Gedichte und Schachprobleme zusammen und behauptet explizit die künstlerische Qualität von Schachproblemen, die in dieser Hinsicht jedem Produkt künstlerischen Schaffens gleichen: "Chess problems demand from the composer the same virtues that characterize all worthwhile art: originality, invention, conciseness, harmony, complexity, and splendid insincerity." (1969: 2)4




PhiN 86/2018: 39


Fassen wir das Schachspiel als eine Miniatur der sozialen Welt, der die dreigliedrige Ständegesellschaft des europäischen Mittelalters zugrunde liegt,5 auf, so lässt sich jedes Diagramm einer Schachaufgabe als 'Text' (im erweiterten Sinne) verstehen: Jede Spielfigur stellt ein 'Wort' dar, die Regeln des Schachspiels entsprechen der 'Grammatik' einer Sprache, jede Konstellation der einzelnen Figuren der 'syntaktischen' Einbindung der Wörter und jeder weitere Spielzug der 'Interpretation' und weiteren Genese des 'Textes'. In diesem Sinne können die Schachfiguren als die Personen einer literarischen Fiktion angesehen werden. Jeder Schachzug entspräche demnach einer kommunikativen Handlung, die auf den verschiedensten Ebenen angesiedelt sein kann. Die Sprachförmigkeit des Schachspiels in diesem Sinne dürfte nun genau der Grund sein, weshalb Autoren und Künstler sich immer wieder für dieses Spiel interessiert haben. Das Schach kann als eine zwei- oder gar dreidimensionale Textgenerierungsmaschine aufgefasst werden.

Die Regelhaftigkeit des Schachs wirkt dabei wie die contrainte poetischer Textproduktion, wie sie von den Mitgliedern des OuLiPo verstanden wurde.6 Sie gestattet es, aus der faktischen Unendlichkeit der Kombinationsmöglichkeiten jene auszuwählen, die letztlich zum literarischen Text zusammengefügt werden.

Dass das Schach wie ein Mythos zur Generierung literarischer Texte verwendet wird, ist seit dem europäischen Mittelalter durch zahlreiche Beispiele belegt, in denen dieses Spiel sowohl als Imaginationsmaschine als auch als ein sinnlich-begriffliches System zur Illustration kommunikativer Handlungen genutzt wird. Dies soll im Folgenden anhand von Beispielen der eigentlichen Schachliteratur, wie sie Erika Greber definiert hat, aufgezeigt werden, und zwar aus den Bereichen der Lyrik und Dramatik:7

Am raffiniertesten […] sind jene Texte, die mittels der Schachmetapher ihre eigene Gattungsform und mediale Struktur reflektieren und performieren: Handlungszüge und Figurenkonstellationen in der Erzählliteratur, Agon im Drama, permutative Textur im Figurengedicht, Verskalkül im Sonett. Erst diese Verknüpfung – Schach als Thema und Schach als Strukturmodell von Literatur – macht 'Schachliteratur' im eigentlichsten Sinne aus: hier entfaltet die Schachidee ein textmodellierendes und performatives Potential. Innerhalb der autoreflexiven Schachliteratur nimmt das autothematische Schachsonett einen hohen Rang ein. (Greber 2008: 263)


2. Schach und Lyrik

Im Laufe der Geschichte der europäischen Lyrik lässt sich eine auffallende Affinität zwischen dem Schachspiel und der poetischen Produktion feststellen, und zwar auf den vier folgenden Ebenen: Erstens postulieren die Dichter immer wieder eine Analogie zwischen dem menschlichen Leben und dem Geschehen auf dem Schachbrett, zweitens wird das Bild des Schachspiels als Motiv menschlicher Kommunikation und Interaktion genutzt, drittens dient das Schach als poetische Imaginationsmaschine und als Strukturmodell, und viertens treffen wir in zahlreichen Gedichten auf eine Analogiebildung zwischen poetischem Sprachspiel und dem Schachspiel, wobei in konkreten Gedichten ein oder mehrere dieser Dimensionen nachweisbar sein können.




PhiN 86/2018: 40


Kaum ein Dichter hat das Schachspiel poetisch so intensiv verarbeitet wie Christian Morgenstern (1871-1914).8 Wir können in seinem Werk auf paradigmatische Weise die vier poetischen und poetologischen Funktionen des Schachspiels belegen. In einem Gedicht aus dem Jahre 1884 inszeniert Morgenstern die Lebensnähe des Schachspiels, indem er zwei Figuren miteinander sprechen lässt:

Christian Morgenstern, Eine Schach-Fabel

Zur stolzen Königin sprach einst der Bauer:
"Wie schnöd und elend ist mein Lebenslos!
Mein Weg ist mühsam und von langer Dauer,
Du aber eilst in Schritten riesengroß.

Dein "Schach!" dringt in die Ferne; ängstlich hegen
Dich Turm und Läufer, Bauer und das Pferd –
Mich Armen opfert man der Stellung wegen,
Nicht so viel wie ein Ross gelt' ich an Wert."

Die Dame sprach: "Wohl bin ich manchmal mächtig,
Oft aber ist die Macht nur leerer Schein,
Denn rückt Ihr schwachen Bauern vor bedächtig,
So sperrt Ihr mich in Eurer Mitte ein.

Das Pferd bleibt Pferd, und springt es auch verwegen,
Der Läufer rennet stets im schiefen Lauf –
In Euch jedoch begrüß' ich den Kollegen,
Zieht Ihr bis in die achte Reih’ hinauf.

Und ist das eitle Spiel erst aus, dann schwinden
Die Unterschiede ganz – man räumt uns ab,
Und Bauer, Königin und Läufer finden
In einer Schachtel ihr gemeinsam Grab.9

In der Erstveröffentlichung dieses Gedichts im Jahre 1884 in den Fliegenden Blättern erscheint nach dem letzten Vers eine Vignette, die die Situation, die Morgenstern in seinem Gedicht versprachlicht, darstellt. Man erkennt hier einen Bauern und die Dame, die – neben einem Schachbrett stehend – miteinander kommunizieren. Im Hintergrund steht eine Kiste, in der sich die bereits geschlagenen Figuren befinden. Diese Struktur des Bildaufbaus von Vorder- und Hintergrund entspricht im Wesentlichen der semantischen Konstellation des Gedichts: Zunächst spricht der Bauer zur Dame, wobei seine Rede sieben Verse umfasst. Dabei ist bemerkenswert, dass in seinem Sprechzug direkte Rede vorgeführt wird, nämlich der an den König gerichtete Ruf "Schach!". Der zweite Teil des Gedichts besteht primär aus der Antwort der Dame, in der sie die Symbolik der verschiedenen Figuren und ihrer Bewegungen darlegt. Das Ganze endet, als handele es sich um die subscriptio eines Emblems, mit der Feststellung, dass mit dem Ende des Spiels, das man hier als Spiel des Lebens verstehen kann, schließlich alle Unterschiede zwischen den Figuren und ihre ursprünglich unterschiedlichen Funktionen verschwinden und sie alle in der Kiste bzw. im Grab liegen werden.




PhiN 86/2018: 41


Die Schachfabel postuliert in ihrer semantischen Grundstruktur eine allgemeine dramatische Dynamik, die einem hochabstrakten Mythos über das Leben gleichkommt. Morgenstern greift dieses Thema, jetzt in der verknappten Form eines Vierzeilers, wieder auf, indem er die Äquivalenz von Schach und Leben vorführt. Dabei scheint es so, als gäbe der Dichter dem Schachspiel in gewisser Weise sogar den Vorzug, denn erst in ihm erkennt er die geistige Sublimation des Kampfes zu einem stilvollen Handeln.

Christian Morgenstern, Schach, das königliche Spiel (EA 1906)

Du bist nicht nur ein Spiel, von Leben schwer,
du bist sein Kampf selbst, formuliert als Spiel.
In dir erflog der Geist den großen Stil. Noch mehr:
Du bist des Geistes großer Stil. (Morgenstern 1992: 48)

Die Reflektion der sprachkünstlerischen Produktion am Modell des Schachspiels durchzieht Christian Morgensterns Schaffen von den frühesten Anfängen bis zu seinen letzten Schriften. Er steht damit in einer langen Traditionslinie, zu der u.a. auch Novalis gezählt werden kann. Dass sich Morgenstern intensiv mit dem Schach als poetischem Konstruktionsprinzip und Metapher der Kombinatorik befasst hat, geht auch aus dem folgenden Gedicht hervor:

Christian Morgenstern, Vor dem Schachbrett (1908, EA 1910)

Ein Kunstwerk sei wie ein Schachproblem.
Da ist's auch nicht an dem oder dem;
Da ist ein jeder Zug bestimmt
Für den, der Schicksal gibt wie nimmt.
Da lerne, wer schafft, wie wer genießt,
wie sich ein Kreis zum Ganzen schließt. (Morgenstern 1992: 90)

Das folgende Gedicht aus der Feder Christian Morgensterns, das Schachsonett (1908, EA 1911), ist ebenfalls der Analogie zwischen poetischem Sprachspiel und dem Schachspiel gewidmet.10 Damit gehört es jener Gruppe von Schachsonetten an, "[…] die mittels der Schachmetapher ihre eigene Gattungsform und mediale Struktur reflektieren" (Greber 2002: 585).

Christian Morgenstern, Schachsonett

Dem edlen Schach vergleich ich das Sonett.
Eröffnung, Aufbau, Mittel-, Endspiel – traun,
das alles ist so hier wie dort zu schaun,
und auch selbst hier sitzt oft ein – Paar am Brett.

Vier Züge schon vorbei! Gefährlich Baun!
Verwirrung trübt mich ... Opfer und – Verlust! ...
Doch dieser Zug jetzt macht den Fehler wett.
Und auch dem Endspiel darf ich noch vertraun.

Jetzt brenn ich erst; und spür mich Brust an Brust;
und greife nicht mehr fehl im strengen Kriege;
und lege meisternd Hand auf Brett und Blatt.

Noch einmal blitzt das feindliche Florett –
doch ich parier's, – und nun auch schon: Schachmatt!
(Ich muss erst immer fallen, eh ich siege.) (Morgenstern 1992: 166)




PhiN 86/2018: 42


Dieses Sonett gewinnt seine Dynamik aus den Spuren emotionalen Erlebens, das der Autor hier sprachlich in Szene setzt und mit Hilfe dessen es ihm gelingt, den dramatischen Charakter einer Schachpartie eindringlich zu vermitteln. Damit wird dieses Sonett faktisch zu einem Dialogsonett, wobei die Struktur des Dialogs den abwechselnden Zügen der beiden Spieler entspricht.

Dass Morgenstern gerade die Form des Sonetts gewählt hat, liegt darin begründet, dass es sich bei diesem um eine mehr oder weniger feste Gedichtform handelt. Seit seinen Anfängen gilt das Sonettals besondere Herausforderung auf lyrischem Gebiet.11 Die Produktion eines Sonetts zeichnet sich einerseits durch die Regelbefolgung und andererseits durch das innovative Potenzial des jeweiligen Dichters aus. Und genau hierin gleicht das Sonettieren dem Schachspielen. Darüber hinaus analogisiert Morgenstern die Struktur des Sonetts (vier Strophen) mit dem Ablauf einer Partie Schach ("Eröffnung, Aufbau, Mittel-, Endspiel […]", v. 2). Das Dichten eines Sonetts gleicht insofern dem Ersinnen von Schachzügen, als beide als eine Art Kampf empfunden werden können, im ersten Fall als Ringen des Dichters mit sich selbst um den besten poetischen Ausdruck, im zweiten als Kampf gegen einen Spielgegner (vgl. v. 10f.). Diese Übereinstimmung versprachlicht Morgenstern dabei durch die Alliteration zwischen "Brett" und "Blatt" (v. 11). Darauf, dass Morgenstern mit dem Begriff "Krieg" (v. 10) auf die Ursprünge des Schachspiels verweist, sei hier nur kurz hingewiesen.12 Poetologisch ist das Sonett insofern, als es durch die vom Dichter postulierte Analogie zu den Regeln des Schachs die Regelhaftigkeit der gewählten lyrischen Form reflektiert.

Jorge Luis Borges veröffentlicht im Jahre 1960 ein Sonettdiptychon mit dem Titel Ajedrez in einer Textsammlung, die er mit El Hacedor (Borges 1989: 155–221) überschreibt. Dieser Titel kann hier verstanden werden im Sinne des altgriechischen poeta und damit im Sinne desjenigen, dessen Tun als poien, als 'Machen' und als 'Erschaffen', bezeichnet wird, so wie es Aristoteles in seiner Poetik getan hat. In einem Text, der den Titel der Sammlung trägt, erkennen wir schließlich die Evokation desjenigen, der in einer archaisch-mythologischen Situation etwas erzeugt hat, das schon wie ein Hexameter klingt, und es wird jener evoziert, der in den Gang der Weltliteraturgeschichte die verschiedenen Versionen der Ilias und der Odyssee gelegt hat. Es ist der früheste archaische Dichter, den wir hier als "hacedor" erkennen können, für den es noch keinen individuellen Namen gibt. Die Textsammlung El Hacedor erscheint insgesamt als eine Ansammlung metapoetologischer Texte, und aus dieser Perspektive dürfte nun auch das Sonettdiptychon Ajedrez zu lesen sein.

Die vorhandenen Interpretationen sind in der Regel rein thematologisch ausgerichtet und untersuchen die poetische Form.13 In seltenen Fällen wird noch auf das Verhältnis von Bestimmung, Ritual und Willensfreiheit eingegangen, womit sich jedoch die Richtung der Untersuchungen erschöpft.14 In der nachfolgenden Analyse geht es darum, die semantische und formale Struktur der beiden Gedichte zu untersuchen, wobei der Vermutung nachgegangen wird, dass diese im Wesentlichen durch die strukturellen Vorgaben eines Schachbretts bestimmt sein könnten.




PhiN 86/2018: 43


Jorge Luis Borges, Ajedrez (1960)

I
En su grave rincón, los jugadores
Rigen las lentas piezas. El tablero
Los demora hasta el alba en su severo
Ámbito en que se odian dos colores.

Adentro irradian mágicos rigores
Las formas: torre homérica, ligero
Caballo, armada reina, rey postrero,
Oblicuo alfil y peones agresores.

Cuando los jugadores se hayan ido,
Cuando el tiempo los haya consumido,
Ciertamente no habrá cesado el rito.

En el Oriente se encendió esta guerra
Cuyo anfiteatro es hoy toda la tierra.
Como el otro, este juego es infinito.

II
Tenue rey, sesgo alfil, encarnizada
Reina, torre directa y peón ladino
Sobre lo negro y blanco del camino
Buscan y libran su batalla armada.

No saben que la mano señalada
Del jugador gobierna su destino,
No saben que un rigor adamantino
Sujeta su albedrío y su jornada.

También el jugador es prisionero
(La sentencia es de Omar) de otro tablero
De negras noches y de blancos días.

Dios mueve al jugador, y éste, la pieza.
¿Qué dios detrás de Dios la trama empieza
De polvo y tiempo y sueño y agonía? (Borges 1989: 191)

In Anbetracht dessen, dass es sich beim Schachspiel um eine der "stärksten Sonettmetaphern" (Greber 2002: 585) überhaupt handelt, lässt auch Borges' Schachsonett eine autoreflexive Deutung zu. Dies gilt vornehmlich für das zweite der zitierten Sonette.




PhiN 86/2018: 44


Der gemeinsame Titel dieser beiden Sonette könnte folgende Interpretation nahelegen: Borges dürfte hier die u.a. von Ferdinand de Saussure und Ludwig Wittgenstein entwickelte Analogie von Schachfigur und Wort reflektiert haben.15 Dies hätte zur Folge, dass die von ihm aufs Papier gesetzten Worte als Schachfiguren aufzufassen sind und die beiden Sonette als ein virtuelles Schachdiagramm verstanden werden können. Freilich kann hier keine konkrete Schachkonfiguration identifiziert werden. Die binäre Struktur dieses Gedichtdiptychons legt nahe, eine Analogie zu den binären Strukturen eines Schachspiels zu erkennen: Es handelt sich um zwei Gedichte mit jeweils vier Strophen, die ganz analog zur Struktur eines Schachbretts konzipiert sein könnten. Ein solches besteht aus zwei Mal vier Reihen von Spielfeldern, die in der Mitte geteilt sind. In beiden Sonetten bezieht Borges sich auf die beiden Farben des Schachbrettes (I: vv. 2-4; II: v. 3, v. 11).16 Des Weiteren setzt er in unterschiedlicher Reihung jeweils alle Typen von Schachfiguren sprachlich in Szene: Explizit schreibt er in beiden Sonetten vom Turm, vom Springer, vom Läufer, von der Königin, vom König und vom Bauern. Diese beiden Sets von Schachfiguren sind so, wie in einem Schachspiel üblich, zunächst jeweils auf ihrer Hälfte des 'Spielbretts' untergebracht. Diese Analogien bleiben in den beiden Sonetten jeweils auf die Quartette beschränkt. In den Terzetten hingegen findet nun jeweils der für das Sonett geradezu charakteristische Diskurswechsel statt: Hier rekurriert der Dichter auf die Regeln des Schachspiels (I: vv. 9-11), die Geschichte seiner Herkunft aus dem Orient (I: vv. 12-14), auf den ältesten poetischen Text zum Schach von Omar Chayyām (II: 9-11)17 und schließlich auf die Metaphysik des Schachspiels (II: vv. 12-14).

Im ersten Sonett schreibt Borges von den Regeln des Schachspiels, die es immer geben wird, und im zweiten entfaltet er dieses Thema im Spannungsfeld von freiem Willen und Willkür (II: v. 6, v. 8) sowie einer von Gott gestifteten Schicksalshaftigkeit (II: v. 12), wobei diesem Gott im Sinne von Aristoteles ein unbewegter Beweger vorangegangen sein könnte (II: vv. 13-14).

Der Dichter hebt im ersten Terzett des ersten Sonetts hervor, dass die Regeln des Schachspiels die einzelnen Partien oder, wenn man so will, die singulären Geschehnisse auf dieser Erde überdauern. Dies bedeutet, dass es sich nach Borges' Ansicht um Regeln handelt, die die einzelnen Partien überdauern, oder – anderes formuliert – die allgemeine Gültigkeit für die Steuerung des Handelns der beiden Spieler haben. Borges erkennt in diesen Regeln, die er als "rito" (I: v. 11) bezeichnet, die allgemeinen Gesetze, nach denen dieses Leben funktioniert. Indem er den Begriff "rito" verwendet, könnte er andeuten, dass das Schach dramatischen Ursprungs ist, zumal das Ritual der Ursprung aller dramatischen Konstruktionen ist. Hat Borges die Theatermetaphorik hier zunächst nur anklingen lassen, so wird dies im zweiten Terzett des ersten Sonetts sofort explizit. Er schreibt von einem Krieg, der sich von Osten her ausgebreitet habe, wobei er mit dem Begriff des Krieges das Schachspiel meint, das sich von Indien her in Richtung Westen ausgebreitet hat. Als den Ort, an dem diese kriegerische Simulation des Krieges stattfindet, identifiziert Borges ein Amphitheater, wobei dieses Amphitheater nach seiner Deutung heute die ganze Welt sei. Dies bedeutet, dass er diesen Krieg – und damit das Schachspiel – im Sinne einer ritualisierten Form von Drama auf der ganzen Welt stattfinden lässt. Diese fasst er ihrerseits als Theater, und zwar konkret als ein Amphitheater auf. Diese Erweiterung der Idee des Schachspiels – in der spezifischen Bedeutung von "Theater" – auf die ganze Welt steht dabei in einer langen Tradition.




PhiN 86/2018: 45


Im ersten Terzett des zweiten Sonetts greift Borges erneut das Thema der Herkunft des Schachspiels aus dem Orient auf, hier jedoch mit einer vollkommen überraschenden Wendung: Er schreibt nicht mehr vordergründig vom Schachspiel, sondern er verweist auf die Tradition der poetischen Schachliteratur, als deren Anbeginn er den Vierzeiler von Omar Chayyām vom Beginn des 12. Jahrhunderts identifiziert. Damit schlägt er den Bogen vom Anfang der poetischen Schachliteratur, soweit sie uns bekannt ist, bis hin zu seinem gegenwärtigen Doppelsonett. Dies bedeutet weiter, dass wir hier nicht nur den Gesichtspunkt des Rituals und damit der immer gültigen Spielregeln des Schachspiels als dramatischer Simulation von sozialer Wirklichkeit erfassen, sondern, dass zugleich die poetische Reflektion, die poetische Inszenierung und das poetische Verständnis des Schachspiels in Borges' Text von herausragender Bedeutung sind. Hiernach ist das Schachspiel ein System allgemeingültiger Regeln, die man als System der Steuerung der Vorgänge auf dem theatrum mundi auffassen kann.


3. Schach und Dramatik

Das Schachspiel übernimmt seit dem 12. Jahrhundert in den europäischen Literaturen unter anderem die Funktion, die nach Aristoteles die Fabel in der antiken Dramatik innehatte. Das Schachspiel wird zu einem generierenden System, aus dem Figuren und deren Handlungskonstellationen erdacht werden. Das Schachbrett wird in der mittelalterlichen Spielallegorese als Repräsentation der Stadt aufgefasst, und die Stadt ist der Ort des dramatischen Geschehens.18 Die Analogie zwischen Schachbrett und Welt bzw. Welttheater ist in der mittelalterlichen Literatur derart fest etabliert, dass es nicht überrascht, dass in dem Moment, da die sozialen und politischen Eliten sich ihr eigenes Leben in dramatischer Form vorführen, augenblicklich die Idee vom Schach als organisierendem Prinzip für dramatische Handlungen zur Verfügung steht. Bevor es jedoch zu ersten Bühneninszenierungen kommt, haben wir es mit (fiktiven) Berichten von höfischen Balletten zu tun, die nach Schachchoreographie entwickelt sind und die bereits eine dramatische Qualität aufweisen.19

So können wir ab der Mitte des 16. Jahrhunderts feststellen, dass die Schachmetaphorik als Strukturmodell für die Komposition dramatischer Handlungen zur Verfügung steht. Dementsprechend findet man vor allem in bildlichen Darstellungen sehr oft Personenkonstellationen, die auf schachbrettartigem Boden arrangiert sind. Hier ist das Schachbrett als Zeichen eingesetzt, um die dargestellte Lebenswirklichkeit als Schachspiel zu kennzeichnen. Wie in der mittelalterlichen Literatur gibt es zahlreiche Gemälde des 15. bis 18. Jahrhunderts, in denen aufgebaute Schachbretter zentrale Objekte innenarchitektonischer Gestaltung sind. Dabei ist es bemerkenswert, dass es sich nicht nur um Räumlichkeiten der sozialen Eliten handelt, sondern gleichermaßen um eher einfache Wirtshäuser oder gar Wohnstuben der mittleren bis unteren Gesellschaftsklassen. Hier ist zu erkennen, dass das Schach ganz offensichtlich – wenigstens in der künstlerischen Imagination – schon in der Frühen Neuzeit große Verbreitung in allen sozialen Klassen gefunden hat. Dies bedeutet auch, dass in dem Maße, wie Ständeklauseln im Drama eingerissen werden, auch die Schachmetaphorik auf das Leben aller ausgedehnt wird. Hieraus folgt, dass die Schachmetapher sowohl für Tragödie und Komödie als auch für die Mischformen Anwendung finden kann.




PhiN 86/2018: 46


Die Analogie von Drama und Schach illustriert beispielsweise der folgende Kupferstich:


Abb. 1: Christian Weise, Christian Weisens Ungleich und gleich gepaarte Liebes=Alliance. Wie solche vor einigen Jahren in einem Lust=Spiele vorgestellet worden/ nunmehr mit einer ausführlichen Vorrede herausgegeben, Görlitz: Jacob Rohrlach 1708, Frontispiz.





PhiN 86/2018: 47


Ein Schachbrett ersetzt hier – erkennbar vor allem durch den geöffneten Vorhang – die Theaterbühne. Wie das Theater dient auch das Schachbrett als symbolische Form der Welt, ganz konkret als Allegorie der sozialen Wirklichkeit (v.a. der Liebesbeziehungen, der sozialen Stände, der Geschlechterrollen). Auf dem abgebildeten Schachbrett befinden sich acht Figuren, die jeweils zu Zweierpaaren gruppiert sind, wobei jedes Paar an einer Schnur geführt wird, die ein Engel in seinen Händen hält. Analog zu den Schachfiguren handelt es sich um Repräsentant(inn)en unterschiedlicher Gesellschaftsschichten, die selbstverständlich auf verschiedene soziale Funktionen verweisen. Beispielsweise handelt es sich bei dem Paar vorne links um einen Herrn hohen Standes, woran vor allem seine Kleidung und Perücke keinen Zweifel lassen, und eine Frau niederen Standes, möglicherweise eine Bäuerin. Dieses soziale Gefälle ist im Falle des Paares vorne rechts in sein Gegenteil verkehrt. Hier scheint es sich beim männlichen Partner um einen Handwerker o.ä. zu handeln, bei der Dame hingegen um eine Adelige.

Überschrieben ist die abgebildete 'Schachszene' mit den Worten: "Cui placet impares formas atq animas sub juga ahenea sævo mittere cum joco". Diese Inschrift stellt eine Abwandlung von Versen aus Horaz' 33. Ode (Liber I) dar.20 Ist es bei Horaz die Göttin Venus, die die Liebesgeschicke der Menschen lenkt und sich vor allem daran erfreut, ungleiche Paare zu bilden, so hat im Kupferstich ein Engel diese Funktion der römischen Göttin inne, was sicherlich Weises theologischer Überzeugung entspringt.

Hat Weise das Schachspiel als Modell für die Komödie in Szene gesetzt, so nutzt Georg Christoph Lichtenberg die Schachmetapher in einem umfassenderen Sinne als poetologische Handlungsanweisung. Ihm zufolge sind die Figuren von Romanen und Dramen vom Dichter wie die Spielfiguren im Schach zu behandeln, womit er zugleich die Gattungsgrenzen zwischen Dramatik und Epik einreißt:

Die erste Regel bei Romanen sowohl als Schauspielen ist, daß man die verschiedenen Charaktere gleichsam wie die Steine im Schachspiel betrachtet, und sein Spiel nicht durch Veränderung der Gesetze zu gewinnen sucht, nach welchen sich diese Steine richten müssen; also nicht den Springer wie einen Bauern zieht und dergleichen; zweitens, muß man diese Charaktere genau bestimmen, und sie nicht außer Aktivität setzen, um seinen Endzweck zu erreichen, sondern nur durch die Wirksamkeit derselben gewinnen wollen. Das nicht tun, heißt Wunder tun wollen, die immer unnatürlich sind. (1968: 501f.)

Hier haben wir es nicht nur mit der postulierten Äquivalenz von literarischen Gestalten und Schachfiguren zu tun, sondern auch mit einem ganz spezifischen Verständnis der Regeln des Schachspiels: Wenn der Autor die Charaktere 'regelgerecht' einsetzt, dann bewirkt er das, was in der französischen Poetik des 17. Jahrhunderts als bienséance bezeichnet und was hier als die Einheit der Charaktere und Handlungen verstanden worden ist, wodurch jedes Abweichen ins Wunderbare oder – in Erweiterung des Gedankens – ins Absurde und Groteske vermieden wird.




PhiN 86/2018: 48


Noch in der Polemik gegen das Schachspiel wird sein Charakter als Simulation dramatischen Geschehens hervorgehoben:

Wie auf den Bretern der Bühne, so werden auch auf dem Schachbrete Komödien gespielt. Jede von diesen könnte man, nach gewissen Entscheidungszügen besonders überschreiben, etwa:"der glücklich gewordene Bauer; der zudringliche Springer; der voreilige Laufer; der grobe Roggen; die geängstigte Königin; der König auf der Wanderschaft," u.s.f. Aber das Schlimmste ist: diese auf dem Schachbrette aufgeführten Komödien ergötzen nie durch das Rein-Komische, sondern nur durch das Schändliche. (Anonym 1827: 7)

Die Polemik des Theologen gegen das Schachspiel kann gegen die Durchsetzung einer alltagsweltlichen Metaphorik, in der das Drama des Lebens als Schachspiel und das Schachspiel als Bild des Lebensdramas verstanden wird, nichts mehr ausrichten. Ein bedeutendes Zeugnis dafür ist die umfassende Schachmetaphorologie, die Rudolph Gottschall in seiner Poetik. Die Dichtung und ihre Technik. Vom Standpunkt der Neuzeit (1858) entwickelt hat. Als erstes ist hier bemerkenswert, dass Gottschall Drama und Schachspiel als äquivalent setzt, was bedeutet, dass beide wesensmäßig semiotische Repräsentationen von Lebenswirklichkeit sind. Der Autor richtet sein Augenmerk – in Analogie zum Drama – auf den dynamischen Aspekt des Schachspiels, es geht ihm vor allem um die Bewegungsmuster:

Die innere Technik des Drama hat große Aehnlichkeit mit dem Wesen des Schachspiels. Seine Gestalten sind ihm gegeben, wie die Figuren dieses Spieles; ihre Bewegung geht nothwendig aus dem Wesen ihres Charakters hervor, wie die Bewegung eines Thurms, Springers, Läufers. Der dramatische Charakter kann ebensowenig seinem Wesen untreu werden, wie ein Thurm oder Läufer von ihrer Linie abgehn und in die hüpfenden Touren des Rösselsprunges verfallen dürfen. Die Beschränkung auf eine bestimmte Zahl zur Entscheidung nothwendiger Figuren mag der Dramatiker ebenfalls vom Schachspiele lernen; ebenso die Beschränkung auf einen bestimmten Zweck, zu welchem alle Figuren gemeinsam wirken! Der König soll matt gesetzt werden. Das ist der einzige und letzte Zweck des Schachs! Ein gleiches "Matt" ihres Helden verlangt die Tragödie, während sich das Lustspiel mit einem Patt begnügt.21 (Gottschall 1858: 422)

Wie der Schachspieler so hat auch der Dramatiker von der ersten Konstellation an das Ziel seines Schauspiels im Auge zu behalten und jede Bewegung seiner Figuren diesem Ziel unterzuordnen. In der notwendigerweise dem menschlichen Leben abgeschauten Dynamik der Handlungen herrscht der Dramatiker wie ein strategisch das Schachbrett analysierender Spieler. Damit verfügt er, wenigstens in Gottschalls Vorstellung, letztlich über eine absolute Kontrolle über das, was er auf die Bühne bringen möchte.




PhiN 86/2018: 49


Vom Drama, wie vom Schachspiel gilt, daß jeder einzelne Zug dies letzte Ziel im Auge habe. Das ist die Einheit des Spieles und die Einheit des Drama, der geniale Durchblick nach dem letzten Endzweck, ohne den es keinen großen Dramatiker und keinen großen Schachspieler giebt. Minder Begabte verstricken sich in nebensächliche Verwickelungen und verlieren das letzte Ziel aus dem Auge. Mit den bestimmten Figuren des Schachs ist nun eine große Menge von Kombinationen und Variationen möglich; ähnlich mit den Gestalten des Drama.22 (Ebd.: 423)

Peripetie, Katastrophe oder wunderbare Auflösung des Konflikts bewerkstelligt der Dramatiker – wie ein Schachspieler – durch eine hocheffiziente Kombination der Figuren, die er aus der Vielzahl aller Möglichkeiten auswählt. Ein Dramatiker, der so handelt, besitzt, ebenso wie der strategisch geschickte und einfallsreiche Schachspieler, Gottschall zufolge die Eigenschaft der Genialität. Dabei bestehen die wirkungsvollen Kombinationen manchmal in scheinbar "blöderen" Zügen, die den schachstrategischen Finten entsprechen. Und so wie es im Schach überflüssige, tadelnswerte und verwerfliche Züge gibt, so kann auch der Dramenautor mit seinem Handwerk fehlgehen.

Entscheidend aber ist im Schach die kürzeste und schlagendste Kombination, die am raschesten zum Ziele führt! Und wie der geniale Schachspieler durch wohlberechnete und überraschende Opfer den Sieg davonträgt; so siegt der geniale Dramatiker durch blendende Züge, die aber nur die innere Nothwendigkeit der Sache, die dem blöderen Zug’ anfangs versteckt ist, in überraschender Weise aufdecken. Manche Variationen sind im Drama, wie im Schach gleichgültig, indem sie in einer gleichen Zahl von Zügen zum Ziele führen. Dagegen ist jede noch so glänzende Diversion verwerflich, wenn sie das letzte Resultat aus dem Auge verliert. Unnöthiges Schlagen und Abtauschen, das durchaus seinen Vortheil bringt, ist im Schach tadelnswerth; im Drama das Hinopfern der Figuren, wenn es ohne Einfluß auf den Fortgang der Handlung bleibt.23 (Ebd.)

Gottschall ist von der Modellhaftigkeit des Schachspiels für die Gestaltung der "inneren Technik des Dramas" so überzeugt, dass er noch nicht einmal eigene poetologische Überlegungen zum Drama anstellt, sondern feststellt, dass alles über das Drama durch die Betrachtung eines Schachspiels zu erkennen sei:

Diese Vergleichung mag Manchem müßig erscheinen; und doch erläutert sie das Wesen der dramatischen Technik besser, als eine selbstständige Abhandlung. Ja eins ihrer Hauptgeheimnisse, welches wir als das dramatische Tempo bezeichnen, läßt sich vollständig nur durch einen Blick auf das Schachspiel klar machen. Hier kommt es nicht nur darauf an, daß der richtige Zug gemacht werde, sondern auch, daß er zur rechten Zeit geschehe. Derselbe Zug ein Tempo später würde das Spiel verlieren, das er ein Tempo früher gewonnen hätte. Ganz ebenso verhält es sich im Drama. Es ist nicht gleichgültig, wann eine Person in die Handlung eingreift, wann eine oder die andere Scene eingefügt wird, wann eine Krise oder Katastrophe eintritt – ein Tempo früher oder später macht einen großen Unterschied für die mehr oder minder energische Entwicklung der Handlung. Der Schluß des Drama ist am glücklichsten herbeigeführt, wenn er, ähnlich einem Schachräthsel, mit logischer Nothwendigkeit in eine bestimmt Zahl von Zügen die letzte Entscheidung zusammendrängt. Je früher und überraschender diese letzten Züge, desto glänzender die Auflösung des Räthsels und der Abschluß des Drama.24 (Ebd.: 423f.)




PhiN 86/2018: 50


Das Schachspiel stellt dabei dem Drama gegenüber ein sekundäres semiotisches System dar, zumal das Drama seit Aristoteles als mimesis der Lebenspraxis verstanden wird. Ganz in diesem Sinne verwendet nun auch Friedrich Nietzsche die Metapher des Schachspiels, wenn dies nun aber auch – so wie bei Nietzsche üblich – in einer grundsätzlich aphoristisch-rhapsodischen Weise geschieht. Dies bedeutet, dass er das, was er in seinen Reflexionen über das antike Drama an Schachbegrifflichkeit verwendet, immer als Metapher und damit ebenfalls als sekundäres semiotisches System einsetzt. Erst wenn es um die Betrachtung der historischen Abläufe und folglich die Differenzierung von Komödie und Tragödie geht, spielt auch eine geschichtsphilosophische Dimension dieses Bildes eine Rolle. Für ihn wird die Schachmetapher zu einem historischen Ordnungsprinzip, mit dem er die Entwicklung der dramatischen Gattung – und hier speziell der antiken Dramatik – zu erfassen sucht. Damit schärft er diese Metapher in einem geschichtsphilosophischen und literaturgeschichtlichen Sinne. In Die Geburt der Tragödie (1872) zeichnet er den Untergang des von Leidenschaften geprägten Dramas nach und kommt zu dem Befund, dass die Komödie als "schachspielartige Gattung des Schauspiels" (1999a: 77) entstanden sei:

An eine derartig zubereitete und aufgeklärte Masse durfte sich jetzt die neuere Komödie wenden, für die Euripides gewissermaassen der Chorlehrer geworden ist; nur dass diesmal der Chor der Zuschauer eingeübt werden musste. Sobald dieser in der euripideischen Tonart zu singen geübt war, erhob sich jene schachspielartige Gattung des Schauspiels, die neuere Komödie mit ihrem fortwährenden Triumphe der Schlauheit und Verschlagenheit. Euripides aber – der Chorlehrer – wurde unaufhörlich gepriesen: ja man würde sich getödtet haben, um noch mehr von ihm zu lernen, wenn man nicht gewusst hätte, dass die tragischen Dichter eben so todt seien wie die Tragödie. (Ebd.: 77f.)

Nietzsche unterstreicht diese Auffassung, indem er die Herausbildung eines immer deutlicher politisch gemeinten Theaters als Durchsetzung bürgerlich-intriganter Handlungsstile versteht. So finden wir etwa zeitgleich in seinen Nachgelassenen Fragmenten Folgendes:

Jene verfehlte Vorstellung, als ob das Drama seinen erhabenen hochlyrischen Character erst allmählich bekommen habe: als ob die Posse die Wurzel des Dramas sei. Es ist vielmehr die aufgeregte extatische Faschingslaune. Je mehr dieser Trieb abstirbt, um so kühler intriguanter familien-bürgerlicher wird das Schauspiel. Aus dem Schauspiel wird eine Art Schachspiel. (1999b: 11)25

Als Ertrag der theoretischen Reflektionen von Gottschall und Nietzsche kann festgehalten werden, dass in der Tradition der Schachmetapher immer an die Möglichkeit gedacht wird, dass sowohl lebenswirkliche als auch dramatische Strukturen nach dem abstrakten Schema des Schachspiels gedacht und von diesem simuliert werden können.




PhiN 86/2018: 51


Besonders in William Shakespeares Dramen finden wir eine Vielzahl von Verweisen auf das Schachspiel und entsprechende Andeutungen,26 jedoch bringt er nur in einem einzigen Stück tatsächlich ein Schachbrett auf die Bühne, nämlich in The Tempest (UA 1611, EA 1623). Mit diesem lässt sich auf exemplarische Weise die Bedeutung des Schachspiels für Shakespeares Dramenkonzeption erläutern. Diese ist umfangreicher, als es auf den ersten Blick und auch nach der Auffassung einiger Kommentatoren den Anschein haben mag. So lesen wir beispielsweise im American Chess Bulletin im Juni 1907:

Though it has been surmised", says George H. Ely, "that the scene in The Tempest in which Ferdinand and Miranda are discovered playing chess was introduced because Ferdinand was Prince of Naples, and in Shakespeare’s time Naples was the headquarters of chess play, there is no necessity for supposing that the dramatist had any purpose other than that of showing the lovers in a pretty and engaging attitude. It is notable, however, that nowhere else does Shakespeare make any direct reference to chess. Unlike Bacon and many other writers, he never uses its term by illustration or metaphor. The inference which these facts seem to warrant is that for Shakespeare the game had no great amount of attraction." (Ebd. 117)

Dagegen soll hier eine ganz andere These vertreten werden, die auch von einzelnen Shakespeare-Forschern favorisiert wird. Das Schachspiel in The Tempest liefert hiernach gerade den Schlüssel für das Verständnis der Figurenkonstellation und der Struktur der dramatischen Handlung. Genauer gesagt: Die Schachszene ist der Höhepunkt des Dramas, wobei das Schachspiel in mehrerlei Hinsicht als mise en abyme fungiert.

Dies ist eingehender zu analysieren: In der ersten Szene des fünften Aktes entdeckt Prospero seine Tochter Miranda und ihren zukünftigen Ehemann Ferdinand beim Schachspiel. In der entsprechenden Bühnenanweisung heißt es:"Here Prospero discovers Ferdinand and Miranda, playing at chess". Dass Shakespeare die beiden Liebenden gerade Schach spielen lässt, ist selbstverständlich kein Zufall, sondern künstlerische Intention, die sich aus der semiotischen Funktion und der historischen Tradition dieses Spiels erklären lässt. Hier ist festzustellen, dass diese Bühnenanweisung das einzige Indiz im Text dafür ist, dass Ferdinand und Miranda hier beim Schachspiel vereint an einem Tisch sitzen. Betrachten wir hingegen die Aufführung, so fällt auf, dass die Inszenierung geradezu das Gegenteil der Kargheit ist, die uns diese kurze Bühnenanweisung vermittelt. Aus diesem rein formalen Widerspruch kann hergeleitet werden, dass Shakespeare dem Schachspiel von Miranda und Ferdinand tatsächlich eine so große Bedeutung beimisst, dass sich von hier aus ganz wesentliche Dimensionen des Dramas aufdecken lassen. Es ist bekannt, dass diese Szene so aufgeführt werden sollte, dass Prospero auf der Bühne einen weiteren Vorhang öffnet, hinter dem – gleich einem Theater auf dem Theater – Ferdinand und Miranda schachspielend zu sehen sind und miteinander sprechen.27 Dies belegt die These von der großen Bedeutung dieser Schachszene. Diese Passage ist zudem sprachlich in einer ganz ungewöhnlichen Weise markiert, worauf Jones-Davies zu Recht hingewiesen hat. Die Autorin hat eine Leseweise der das Schachspiel begleitenden Äußerungen vorgeschlagen bzw. jener Gesprächsteile, die geäußert werden, solange Miranda und Ferdinand vor dem Schachbrett sitzen, die das Schachspiel zum Strukturmodell erhebt, und zwar durch die ihm zugrunde liegende Zahlensymbolik:"Le texte de Shakespeare est un calligramme, véritable échiquier composé de 64 mots en 8 vers correspondant aux huit cases de chaque côté de l’échiquier et arrangés en deux parties égales de 32 mots." (Jones-Davies 1993: 448)




PhiN 86/2018: 52


Es lassen sich nun verschiedene semantische und historische Dimensionen dieser Szene aufdecken. Als erstes können wir feststellen, dass Shakespeare mit der Wahl gerade dieses Spiels ein charakteristisches Element aus der neapolitanischen Kultur dieser Zeit auf die Bühne bringt, denn Neapel war damals eines der europäischen Zentren des Schachspiels.28 Zudem gehört das Schachspiel nach landläufiger Auffassung bereits seit dem Beginn des 12. Jahrhunderts zu den Fertigkeiten, über die zunächst ein junger Adliger und später dann auch die junge Adlige verfügen müssen, weil das Schach die Fähigkeit zur Analyse von Konstellationen ebenso wie die Entwicklung von strategischem Denken und Handeln befördern sollen.29

Nach diesem aktuellen kulturgeschichtlichen Pastiche werden dann aber allgemeine größere und weiter reichende Dimensionen des Schachspiels in The Tempest erkennbar. Angesichts dieses Befundes zeichnet sich ab, dass es sich bei der Inszenierung eines Schachspiels um eine mit hohem Symbolgehalt aufgeladene Aktion handelt, die in ihrer Tragweite für die Komposition des Textes ausgelotet werden muss.Keinesfalls ist Gary Schmidgall zuzustimmen, wenn er Shakespeares Wahl des Schachspiels in The Tempest damit erklärt, dass es sich hierbei um"an innocent intellectual pastime"30 (Schmidgall 1986: 12) für die höheren Gesellschaftsschichten handele.31 Wenn Ferdinand und Miranda schachspielend auf der Bühne gezeigt werden, dann entspricht dies vollkommen dem sozialen Stand. Auch Miranda, die von Prospero auf einer einsamen Insel erzogen wurde, ist mit der Fähigkeit des Schachspiels wieder beim Standard höfischer Kultur und Gesittung angekommen, wobei die Integration in höfische Verhaltensnormen gerade nicht als unschuldige Freizeitgestaltung, sondern vielmehr als hochpolitischer Prozess verstanden werden muss. Sowohl Ferdinand als auch Miranda erscheinen als"perfectly obedient models of acculturation" (Schmidgall 1986: 16). Die politischeDimension des Schachspiels können wir schon daran ablesen, dass in Thomas Middletons Drama A Game at Chesse (EA 1624) die hier vorgeführte Staatshandlung explizit als Schachpartie in Szene gesetzt und sogar entsprechend illustriert wird.32 Wäre dem zeitgenössischen Rezipienten die Modellhaftigkeit des Schachspiels für das Durchdenken und -spielen von Staatsangelegenheiten nicht geläufig gewesen, so hätte man ein derartiges Theaterstück kaum auf die Bühne bringen oder schreiben können.

Zudem folgt Shakespeare der literarischen Tradition, in der wir immer wieder auf schachspielende Liebespaare treffen, wobei immer eine mehr oder weniger explizite erotische Konnotation zugelassen wurde. Dies können wir insbesondere aus der Tradition der Interpretation des Schachspiels als einer Allegorie von Liebeskommunikation bis hin zu erotischer Interaktion verstehen, wie sie in Evrart de Contis Les eschez amoureux (entstanden um 1400) vorgeführt werden. Es kann davon ausgegangen werden, dass dem zeitgenössischen Rezipienten die erotische Konnotation des von einem Mann und einer Frau betriebenen Schachspiels durchaus bekannt war.33




PhiN 86/2018: 53


Ob Ferdinand und Miranda ihre Schachpartie unterbrechen oder ob sie am Ende des Spiels angekommen sind, lässt Shakespeare offen. Auf diese Problematik haben Loughrey und Taylor ausführlich hingewiesen.34 Die vielen Facetten, die man bei der Ausdeutung dieser Schachszene entdecken kann und die Anlass zahlreicher Interpretationen geworden sind, entsprechen gerade der deutlichen Unterdeterminiertheit dessen, was Shakespeare hier als Schachspiel vorführt: Der Zuschauer sieht fast nichts, und er erhält auch keinen Einblick in den Spielstand.35 Es bleibt nur noch die Geste des Schachspiels, und diese Geste weist weit über sich hinaus.

Mit dem abrupten Ende tritt die politische Dimension dieses Schachspiels erneut zutage. Die politische Auslegung des Schachspiels ist in England durch die Tradition des Liber scaccorum (1294) von Jacobus Cessolis geläufig. Übersetzt und gedruckt wurde dieser Text von William Caxton unter dem Titel Game and Playe of the Chesse (1474). Hier wird Schach als symbolische Repräsentation der Moral, Rationalität und Stabilität sozialer Strukturen interpretiert.36 Die Rezeption des Liber scaccorum zeigt in England – wie in ganz Europa – , dass das Schachspiel seinen historischen Grund im Kampf und Krieg in zunehmendem Maße verliert, während die zivilisatorische Funktion der Sublimation des Krieges in Form des Schachspiels immer mehr in den Vordergrund tritt. In Shakespeares The Tempest wird das Schachspiel in diesem Sinne zu einem "symbol of comedy – of conflict transposed into play" (Brockbank 1966: 201).Und genau hierdurchweist Shakespeare dem Schach eine politische Funktion zu. Indem Ferdinand und Miranda Schach spielen, führt Shakespeare neben der erotischen Dimension gleichsam eine Zukunftsschau vor: Die Schachpartie zwischen beiden ist eine emblematische Handlung, die die Verbrüderung unter dem Vorzeichen der zivilisatorischen Wirkung des Schachspiels vorwegnimmt.37 Es handelt sich um ein Symbol, das für"[…] a peace between Prospero and his former enemies" (Bloom 2016: 419) steht.38

In den Schachbüchern des Mittelalters wird diesem Spiel die Funktion eines komplexen Zeichensystems zugewiesen, das hinter jeder Figur einen Repräsentanten der verschiedenen sozialen Funktionen in der arbeitsteiligen Gesellschaft sieht. Dies reicht vom König bis hin zu den Schmieden, Bauern und den Vertretern anderer Gewerbe, die in den verschiedenen Bauernfiguren erkannt werden.39 Gerade die heute gänzlich unbekannte Binnendifferenzierung ist ein Beleg für diese hochgradig granulare semiotische Funktion des Schachspiels bis in die Frühe Neuzeit. Wenn aber die Schachfiguren als derartige Zeichen sozialer Positionen interpretiert werden können, dann ist auch der folgende dichterische Gestus denkbar und möglich: Es werden nach dem Modell der Schachfiguren Personen auf das Schachbrett gestellt, das man als die Bühne des Theaters ansieht. Thomas Middletons A Game at Chesse (1624) ist ein deutlicher Beweis für diese Möglichkeit:




PhiN 86/2018: 54



Abb. 2: A Game at Chesse (EA 1624), Frontispiz (Middleton 2007: 11)


In entfernt vergleichbarer Weise hat Shakespeare die Personenkonstellationen in The Tempest erdacht. Hier werden die verschiedenen Herrscherfiguren gegeneinander geführt, so wird Alonso als der König dargestellt, der beispielsweise aufgrund der magischen Kräfte eines anderen ehemaligen Königs, nämlich seines Bruders Prospero, durch einen Sturm in seiner Bewegungsrichtung beeinflusst wird. Prospero ist hier ganz eindeutig wegen seiner magischen Fähigkeiten der König, der die anderen Figuren zur Bewegung veranlassen kann:Prospero beherrscht die anderen: "His manipulation of the other characters through the agency of Ariel creates the plot […]." (Loughrey / Taylor 1982: 116) Prosperos Insel, auf der u.a. die beiden Brüder zusammentreffen, ließe sich in diesem Sinne als überdimensioniertes Schachbrett interpretieren.40




PhiN 86/2018: 55


Zudem symbolisieren Ferdinand und Alonso die beiden Könige des Schachspiels, weil Ferdinand die Rolle des totgeglaubten Vaters annimmt. Ferdinand 'spielt' auf der Insel vorübergehend den König: "L'échiquier avec ses deux rois qui s'affrontent devient l'emblème de cette île où vont enfin se rencontrer le roi illusoire, Ferdinand, et Alonso, le roi véritable. La scène du jeu d'échecs correspond à cette rencontre entre le père et le fils, ou encore entre ces deux rois."(Jones-Davies 1993: 448)

Wenn wir nun im großen Kontext des Dramas vor allem auf der Grundlage der binären Strukturen41 auch die Strukturen des Schachspiels wiedererkennen, so steht dies in Korrespondenz zu jenem Bühnenbild, das Prospero den Zuschauern durch das Öffnen eines Vorhangs preisgibt. Gleichsam als emblematische Handlung für das'große Schachspiel' namens The Tempest – als mise en abyme – sehen wir nun die beiden Figuren, die die Zukunft des Herrschaftsgeschlechts repräsentieren, Schach spielen, wobei dies, wie gesagt, auf eine bloße Geste reduziert ist. Dieses Spiel selbst ist natürlich auch als ein weiteres Drama zu verstehen. Von dieser Schlussszene aus lassen sich viele der Schachstrukturen im Drama identifizieren, ebenso wie diese in dieser Schachpartie kulminieren. So wie die Konflikte im Schach als Spiel aufgehoben sind, so konzentriert sich auch der gesamte politische Konflikt auf die beiden Liebenden, die selbst für die zukünftige Aufhebung des Konflikts stehen. Damit wird das Schachspiel durch Shakespeares Funktionszuweisung zu einem Element, das sowohl auf die konkrete Handlung als auch die Gattung des Dramas autoreflexiv verweist. Das Spiel im Spiel (play-within-a-play) weist hier den Weg zu einer ludistischen Aufhebung aller Konflikte und damit zu einem höheren Grad an Ordnung.42

Shakespeare nutzt das Schachspiel – wie einen poetischen Generator – in der Funktion, die üblicherweise dem Mythos zugewiesen wird: "Not only does this chess game stand as a symbol of Prospero’s artistry, but it also functions as a kind of self-reflexive comment on the grandmasterly art of the playwright."(Poole 2004: 51)Und immerhin haben wir mit dem Luftgeist Ariel und den anderen Geistern ein ganzes frühneuzeitliches Pantheon, das dem antiken Pantheon ähnlich ist. Und schließt wird die spezielle semiotische Beziehung zwischen Dramenwirklichkeit und ihrer zeichenhaften Repräsentation durch das Schachspiel als poetisches Mittel genutzt, um das Verhältnis von Realität und Illusion zu verhandeln:"Le jeu d'échecs joue le rôle d’une pièce dans la pièce qui permettrait de renverser le mensonge par l'illusion ludique. Le jeu d'échecs marque la fin de l'illusion du jeu, la fin de la magie et la découverte de la véritable connaissance, source de certitude."(Jones-Davies 1993: 449)





PhiN 86/2018: 56


4. Schlussbemerkungen

Schach und Literatur stehen in der europäischen Geschichte spätestens seit dem Mittelalter in einem engen Zusammenhang zueinander, und zwar sowohl auf der thematischen als auch auf der strukturellen Ebene: Das Schachspiel findet in der Literatur sowohl als Motiv Verwendung als auch als Kompositionsprinzip oder – im Idealfall – als beides zugleich:

Am raffiniertesten […] sind jene Texte, die mittels der Schachmetapher ihre eigene Gattungsform und mediale Struktur reflektieren und performieren: Handlungszüge und Figurenkonstellationen in der Erzählliteratur, Agon im Drama, permutative Textur im Figurengedicht, Verskalkül im Sonett. (Greber 2008: 263)

In der vorliegenden Untersuchung wurde anhand ausgewählter Beispiele aus der Lyrik und Dramatik erläutert, inwiefern die Analogie zum Schachspiel im Medium der Literatur inszeniert und/oder reflektiert werden kann. Die Analogiebildung zwischen Schach und poetischer Produktion basiert dabei vornehmlich auf den Aspekten der Regelhaftigkeit und Zufälligkeit sowie der Einsicht, dass das Schachbrett sich mit all seinen unterschiedlichen Figuren als Miniatur der sozialen Welt begreifen lässt.


Literaturverzeichnis

Anonym (1827): Fünf und Neunzig Sätze gegen das Schachspiel. Von einem Theologen. Leipzig: Gerig.

Berchtold, Jacques (1998) (Hg.): Échiquiers d'encre. Le jeu d'échecs et les lettres (XIXe-XXe siècles). Genf: Droz.

Bloom, Gina (2016): "Time to Cheat. Chess and The Tempest's performative history of dynastic marriage", in: Traub, Valerie (Hg.): The Oxford Handbook of Shakespeare and Embodiment. Gender, Sexuality, and Race. Oxford: University Press, 419–434.

Borges, Jorge Luis (1989): "El Hacedor", in: El Hacedor (1960), in: ders.: Obras Completas 2. Barcelona: Emecé Editores, 155–221.

Brockbank, Philip (1966): "The Tempest: Conventions of Art and Empire", in: Later Shakespeare, Stratford-upon-Avon Studies 8, 183–201.

Burke, Ruth E. (1994): The Games of Poetics – Ludic Criticism and Postmodern Fiction. New York / Frankfurt a.M. u.a.: Peter Lang.




PhiN 86/2018: 57


Cessoles, Jacques de (1995): Le Jeu des échecs moralisés. Traité de morale écrit en latin vers 1315, übers. v. Jean-Michel Mehl. Paris: Stock.

Chakravorty, Swapan (1996): Society and Politics in the Plays of Thomas Middleton. Oxford: Clarendon Press.

Duby, Georges (1978): Les trois ordres ou l’imaginaire du féodalisme. Paris: Gallimard.

Ducard, Dominique (2017): "Language and the game of chess. Saussure, Hjelmslev, Wittgenstein and Greimas", in: Semiotica 214, 199–217.

Eales, Richard (1985): Chess. The History of a Game. London: Hardinge Simpole Limited.

Elyot, Thomas (1883): The Boke named the Gouernour [1531]. London: Kegan Paul, Trench, & Co.

Fernández Cozman, Camilo (2003): "Lectura del poema Ajedrez, de Jorge Luis Borges", in: Escritura y Pensamiento 6.13, 128–134.

Fitzgerald, Edward (2009): Rubaiyat. Oxford: University Press.

Gamer, Helena M. (1954): "The Earliest Evidence of Chess in Western Literature: The Einsiedeln Verses", in: Speculum 29, 734–750.

González Hermosilla, Alejandra (2012): "Análisis y representaciones del Ajedrez, de Jorge Luis Borges", in: Revista Almirar 63, abrufbar unter: https://margencero.es/almiar/ajedrez-jorge-luis-borges/ (16.08.2018).

Gottschall, Rudolph (1858): Poetik. Die Dichtung und ihre Technik. Vom Standpunkt der Neuzeit. Breslau: Eduard Trewendt.

Greber, Erika (2002): Textile Texte. Poetologische Metaphorik und Literaturtheorie. Studien zur Tradition des Wortflechtens und der Kombinatorik. Köln / Weimar / Wien: Böhlau.

Greber, Erika (2008): "Auf dem Brett ein Sonett – Nabokovs Schachtrilogie", in: Grüber, Rainer Georg (Hg.): Wortkunst, Erzählkunst, Bildkunst. München: Sagner, 263–280.

Greenblatt, Stephen et al. (Hg.): The Norton Shakespeare (1997). New York / London: W. W. Norton & Company.

Holländer, Hans (1993): "Ein Spiel aus dem Osten", in: Engels, Odilo / Schreiner, Peter (Hg.): Die Begegnungen des Westens mit dem Osten. Sigmaringen: Jan Thorbecke Verlag, 389–416.

Holländer, Hans (2003): "Thesen zur Früh- und Vorgeschichte des Schachspiels", in: Ellinger, Hans (Hg.): Tübinger Beiträge zum Thema Schach, Bd. 8: The Anatomy of Chess. Überlegungen zur Herkunft des Schachspiels. Pfullingen: Promos-Verlag, 21–31.




PhiN 86/2018: 58


Honemann, Volker (2004): "Das Schachspiel in der deutschen Literatur des Mittelalters. Zur Funktion des Schachmotivs und der Schachmetaphorik", in: Althoff, Gerd (Hg.): Zeichen – Rituale – Werte. Münster: Rhema Verlag.

Horatius Flaccus, Quintus (1960): Sämtliche Werke. Lateinisch und deutsch. München: Ernst Heimeran Verlag.

Huizinger, Johan (200620): Homo ludens. Vom Ursprung der Kultur im Spiel. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt.

http://oulipo.net/fr/contraintes (11.08.2018)

http://www.koenig-plauen.de/JS/Philo/morgenstern.htm#16b (16.08.2018)

Jones-Davies, Margarete (1993): "L'échiquier et Médée: Deux points de controverse dans The Tempest", in: Études Anglaises 46.4, 447–451.

Karatsioras, Nikolaos (2011): Das Harte und das Amorphe. Das Schachspiel als Konstruktions- und Imaginationsmodell literarischer Texte. Berlin: Frank & Timme.

Krüger, Reinhard / Nickel, Beatrice (2016): Schäferei, Computer, Internet – Digital Humanities und frühneuzeitliche Pastoralliteratur. Göttingen: V&R unipress.

Krüger, Reinhard / Nickel, Beatrice (2017): "Literatur, Kombinatorik und Archäologie der Digital Humanities", in: Comparatio Bd. 9, Heft 1, 17–40.

Lichtenberg, Georg Christoph (1968): Schriften und Briefe, hg. v. Wolfgang Promies, Bd. 1. München: Carl Hanser.

Loughrey, Brian / Taylor, Neil (1982): "Ferdinand and Miranda at Chess", in: Shakespeare Survey 35, 113–18.

Matuschek, Stefan (1998): Literarische Spieltheorie. Von Petrarca bis zu den Brüdern Schlegel. Heidelberg: Winter.

Middleton, Thomas (2007): The Collected Works, hrsg. v. John Lavagnino und Gary Taylor. Oxford: Clarendon Press.

Monnier, Claire (1999): "Ajedrez de Jorge Luis Borges: Jaque al rey", in: Semiosfera 10, 1–17.

Morgenstern, Christian (1992): Werke und Briefe, kommentierte Ausgabe, hg. v. Martin Kießig, Bd. II: Lyrik 1906-1914. Stuttgart: Urachhaus.




PhiN 86/2018: 59


Nabokov, Vladimir (1969): Poems and Problems. New York: McGraw-Hill.

Netto, Jeffrey A. (2004): "Intertextuality and the chess motif: Shakespeare, Middleton, Greenaway", in: Marrapodi, Michele (Hg.), Shakespeare, Italy and Intertextuality. Manchester: University Press, 216–226.

Nickel, Beatrice (2012): Weltwissen und Sonettistik in der Frühen Neuzeit. Frankreich, Spanien, England und Deutschland. Tübingen: Stauffenburg Verlag.

Nietzsche, Friedrich (1999a): Die Geburt der Tragödie. Unzeitgemäße Betrachtungen I-IV. Nachgelassene Schriften 1870-1873, in: ders.: Kritische Studienausgabe, hg. v. Giorgio Colli u. Mazzino Montinari, Bd. 1. München: dtv.

Nietzsche, Friedrich (1999b), Nachgelassene Fragmente, Herbst 1869 bis Herbst 1872, in: ders.: Kritische Studienausgabe, hg. v. Giorgio Colli u. Mazzino Montinari, Bd. 1. München: dtv.

Petschar, Hans (1986): Kulturgeschichte als Schachspiel. Vom Verhältnis der Historie mit den Humanwissenschaften. Variationen zu einer historischen Semiologie. Aachen: Rader.

Petzold, Joachim (1986): Schach. Eine Kulturgeschichte. Leipzig: Edition Leipzig.

Poole, William (2004): "False Play: Shakespeare and Chess", in: Shakespeare Quarterly 55.1, 50–70.

Rabelais, François (1994): Œuvres complètes, hg. v. Mireille Huchin u. François Moreau. Paris: Gallimard.

Schmidgall, Gary (1986): "The Discovery at Chess in The Tempest", in: English Language Notes 23.4, 11–16.

Schmitz-Emans, Monika (2006): "Spielformen - Spielfelder. Unterwegs mit Lewis Carrolls Alice", in: Rustemeyer, Dirk (Hg.): Formfelder. Genealogien von Ordnung, Würzburg, 211–226.

Vargas Pereira, Javier (2001): "Jorge Luis Borges y el Ajedrez", in: Revista literaria de ajedrez Colombia, abrufbar unter: http://www.ajedrezencolombia.com/borges.htm (16.08.2018).




PhiN 86/2018: 60


Willems, Dominique (1971): "La comparaison du 'jeu de la langue' avec une partie d’échecs dans le Cours de linguistique générale de Ferdinand de Saussure", in: Travaux de linguistique 2, 93–99.

Wunderli, Peter (1982): "Der Schachspielvergleich bei Saussure", in: Heinz, Sieglinde / Wandruszka, Ulrich (Hg.): Fakten und Theorien. Beiträge zur romanischen und allgemeinen Sprachwissenschaft. Festschrift für Helmut Stimm zum 65. Geburtstag. Tübingen: Narr Verlag, 363–372.


Anmerkungen

1 Vgl. hierzu Eales (1985) und Petzold (1986). Dass der Schachvergleich auch im Bereich der Sprachphilosophie und Linguistik (u.a. bei Saussure, Wittgenstein und Ryle) Verwendung findet, darauf sei hier nur kurz hingewiesen. Vgl. hierzu Willems (1971); Wunderli (1982) sowie Ducard (2017).

2 Vgl. hierzu Holländer (1993).

3 Der Themenkomplex Schach und Literatur bzw. der Aspekt Schach als Strukturmodell literarischer Texte hat Autoren und die wissenschaftliche Forschung immer wieder beschäftigt. Die Forschungsliteratur zu diesem Thema ist mittlerweile unüberschaubar, wobei zumeist Einzelaspekte (wie Autoren, Gattungen, Nationalliteraturen oder Epochen) in den Blick genommen werden. Einen ersten Einblick in die Materie aus literaturwissenschaftlicher Perspektive bieten u.a. Gamer (1954), Burke (1994), Berchtold (1998), Matuschek (1998), Greber (2002: 554ff.), Honemann (2004) und Karatsioras (2011).

4 Vgl. hierzu Krüger / Nickel (2017: 29f).

5 Vgl. hierzu Duby (1978).

6 Abrufbar unter: http://oulipo.net/fr/contraintes(11.08.2018). Vgl. hierzu Krüger / Nickel (2016: 66ff.).

7 Die Schachmetapher und der Schachvergleich scheinen mir im Bereich der Narrativik am besten erforscht zu sein. Repräsentativ sei an dieser Stelle verwiesen auf Krüger / Nickel (2016: 60ff.); Krüger / Nickel (2017: 17–40; 26ff). sowie Schmitz-Emans (2006).

8 Auch Morgensterns berühmtes Gedicht Das große Lalula (1905) lässt sich als Schachpartie interpretieren. Eine entsprechende Analyse ist abrufbar unter: http://www.koenig-plauen.de/JS/Philo/morgenstern.htm#16b (15.08.2016).




PhiN 86/2018: 61


9 Fliegende Blätter 80 (1884): 201. Abrufbar unter: http://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/fb80/0205?sid=ab2875916f50c628598ad55a1f772a69 (06.12.2016). Im Original fehlen die den in Vers 9 gesetzten Anführungszeichen korrespondierenden Abführungszeichen.

10 Es handelt sich hierbei um das erste autoreflexive Schachsonett. Vgl. hierzu Greber (2008: 263).

11 Vgl. hierzu beispielsweise Nickel (2012): 11f.

12 Vgl. hierzu Karatsioras (2011: 39f.): "Viele Indizien sprechen dafür, dass das Schachspiel in seiner ursprünglichen Form ein Vierparteienspiel war, das erst auf seinem langen Weg nach Europa zu einem Zweiparteienspiel wurde. Konzipiert als Kriegsspiel, das eine Synthese aus Jagd- und Strategiespiel darstellte, war das Ziel, wie auch im modernen Schach, die Gefangennahme bzw. das ‚Mattsetzen‘ einer entscheidenden Figur. Der Aufbau des Ur-Schachs entsprach dem indischen Heer, mit Elefanten, Streitwagen und Kavallerie." Siehe auch Petschar (1986: 138f.) und Holländer (2003).

13 Vgl. hierzu u.a. Monnier (1999) und Vargas Pereira (2001).

14 Vgl. hierzu beispielsweise González Hermosilla (2012) und Fernández Cozman (2003).

15 Siehe hierzu Fußnote 1.

16 Vgl. hierzu Monnier (1999: 3).

17 Vgl. hierzu Omar Chayyām, Rubáiyát, Nr. XLIX, englische Übersetzung in Fitzgerald (2009: 40).

18 Vgl. hierzu Cessoles (1995).

19 Vgl. hierzu Rabelais (1994: 778–784).

20 Vgl. Horatius Flaccus Carmina I, 33, vv. 10-12: "Sic visum Veneri, cui placet inparis / Formas atque animos sub iuga aenea / Saevo mittere cum ioco." ["Venus treibt es nun so! Grade, was sich nicht schickt, / Nicht an Seele und Leib, spannt sie ins gleiche Joch, / In das ehrne, und lacht dazu."]

21 Hervorhebung vom Autor. Vgl. hierzu Karatsioras (2011: 90ff.).

22 Hervorhebungen vom Autor.

23 Hervorhebung vom Autor.

24 Hervorhebungen vom Autor.

25 Hervorhebungen vom Autor. Vgl. hierzu Karatsioras (2011: 95).

26 Vor allem nennt Shakespeare in mehreren seiner Dramen die Namen der Schachfiguren, wenn auch meistens in metaphorischer Bedeutung. Außerdem verwendet Shakespeare den Begriff jeopardy, der – abgeleitet vom Altfranzösischen – 'Schachproblem' meint. Vgl. hierzu (Poole 2004: 56). Daneben taucht das Wort mate auf, wobei Loughrey und Taylor hier einen Bezug auf das Schachspiel infrage stellen. Vgl. hierzu Loughrey / Taylor (1982: 113).

27 Vgl. hierzu folgenden Kommentar: "Reveals by drawing back a curtain hanging in front of the discovery place" (The Norton Shakespeare: 3102).




PhiN 86/2018: 62


28 Einer der bedeutendsten Schachanalytiker dieser Zeit, Alessandro Salvio, gründete in Neapel beispielsweise eine Schachakademie, und andere Schachbegeisterte reisten schon das ganze 16. Jahrhundert hindurch in diese Stadt, um dort ihre Schachkünste zu perfektionieren. Vgl. hierzu Loughrey / Taylor (1982: 116).

29 Vgl. hierzu Elyot (1883: 284f.).

30 Hervorhebung vom Autor.

31 Vgl. hierzu Poole (2004: 53).

32 Vgl. hierzu Chakravorty (1996) und Netto (2004: 222f.).

33 Vgl. hierzu Poole (2004: 67ff.). Beispielsweise treffen wir auch in Geoffrey Chaucers, The Book of the Duchess (entstanden um 1368) auf ein schachspielendes verliebtes Pärchen.

34 Vgl. hierzu Loughrey / Taylor (1982: 117).

35 Vgl. hierzu Bloom (2016): 427.

36 Vgl. hierzu Jones-Davies (1993: 448).

37 Vgl. hierzu Huizinger (200620: 101-118).

38 Vgl. hierzu Schmidgall (1986: 13) und Loughrey / Taylor (1982: 115).

39 Vgl. Cesssoles (1995: 103-162).

40 Vgl. hierzu Loughrey / Taylor (1982: 117).

41 Vgl. hierzu Poole (2004: 58).

42 Vgl. hierzu Loughrey / Taylor (1982: 117) und Netto (2004: 217).