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Katharina Worms (Heidelberg)



Daniel Casper von Lohenstein (2017): Sämtliche Werke. Abteilung IV: Kleinere Prosa, hg. von Lothar Mundt, Berlin/Boston: De Gruyter. 545 S.


Über Daniel Casper von Lohensteins am 6. Juni 1655 bei dem Tübinger Juristen Wolfgang Adam Lauterbach vorgelegte Disputatio juridica de voluntate (DIV) weiß sein Bruder Johann zu berichten: "Von dar zohe Ihn der unvergleichliche Lauterbach nach Tübingen/ unter welchem er eine gelehrte Disputationem Inauguralem de Voluntate mit höchstem Vergnügen der Zuhörer hielt/ […]" (Lohenstein [1685], Bl. A5v). Lohensteins 20 Thesen umfassende Schrift, mit der er 1655 sein Studium der Jurisprudenz beschloss, ist nun erstmalig in deutscher Übersetzung und in einer mustergültigen wissenschaftlichen Edition verfügbar. Die Disputatio (3–165) eröffnet den neuesten Band der historisch-kritischen Edition von Lohensteins Werken, den Lothar Mundt herausgegeben hat; er umfasst neben der Disputatio weitere kleinere Prosaschriften Lohensteins: seine Lobschrift auf den im November 1675 fünfzehnjährig verstorbenen letzten Piastenherzog Georg Wilhelm (LGW) (167–271), die Lobrede auf Christian von Hoffmannswaldau (LH) zu dessen Begräbnis 1679 (273–294) sowie die Schrift Vereinbarung der Sterne und der Gemüther (VSG) anlässlich der Hochzeit von Lohensteins jüngerem Bruder Johann (295–308). Alle hier versammelten Texte waren bisher in keiner modernen Edition verfügbar. Dieses Desiderat wird nun mit dem Erscheinen von Band IV Kleinere Prosa behoben; gleichzeitig wird die Reihe der seit 2005 erscheinenden Lohenstein-Werkausgabe fortgesetzt. Der vorliegende, eine eigene Abteilung bildende Band umfasst im Unterschied zu den vorangegangenen Doppelbänden der Abteilung Dramen auf 537 Seiten Text und Kommentar zugleich.




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Die editorischen Grundsätze der bisherigen Bände der historisch-kritischen Lohenstein-Ausgabe wurden beibehalten. Das sind a) Textkonstitution nach dem Erstdruck (vgl. die Bildbeigaben der Originaldrucke 335–350), b) Zweiteilung des kritischen Apparats in Texteingriffe des Herausgebers einerseits und abweichende Lesarten späterer Drucke andererseits, keine stillschweigenden Texteingriffe, c) Übernahme typographischer Besonderheiten des frühneuzeitlichen Druckes (Schaft-s, Umlautkennzeichnungen mit überschriebenem e, Markierung des Schriftwechsels zwischen Fraktur und Antiqua, Ligaturen, Abkürzungen), d) deutsche Übersetzung des lateinischen Textes in Form eines synoptischen Paralleldrucks, e) sachliche und sprachliche Kommentierung der Texte (vgl. den Kommentarteil 353–498). Während der Paralleldruck der Disputatio sowie der doppelte Apparat für eine ausgesprochene Leserfreundlichkeit sprechen, ist es hingegen äußerst unbequem für den Benutzer, dass die Grundsätze der Textredaktion, die die Prinzipien und Darstellungsform der Edition erläutern, hier nicht noch einmal abgedruckt werden (vgl. 333), sondern lediglich auf deren Darstellung in Band 2 der Abteilung Dramen verwiesen wird (Lohenstein 2005: 590–593). Zur Erklärung des zweigeteilten Apparats hätte eventuell der Abdruck einer exemplarischen Textseite mit erläuternden Randbemerkungen genügt.

Nicht nur zeichnet sich die Edition durch eine sorgfältige Textkonstitution aus, sondern auch durch eine äußerst detaillierte Kommentierung, zumindest der Lobschriften Lohensteins. Auf die Kommentierung der Disputatio wurde leider gänzlich verzichtet, da sie "verantwortbar nur von einem Rechtshistoriker bewältigt werden [könnte], der mit der Jurisprudenz der Frühen Neuzeit und dem akademischen Disputationswesen gut vertraut ist" (356), wie der Herausgeber erläutert. Eine Zusammenarbeit Mundts mit einer solchen Expertin oder einem solchen Experten wäre adäquat und sicherlich auch möglich gewesen, zumal Mundt seine Übersetzung der Disputatio von einer Rechtshistorikerin gegenlesen ließ (vgl. 357, Anm. 1).1 Es bleibt nunmehr fraglich, ob separat, ohne Edition des Textes, ein Kommentar entstehen wird. Aufgefangen wird das Manko eines Kommentars bei der Disputatio jedoch durch erläuternde Fußnoten am unteren Rand des Textes. Allerdings wären auch hier noch weitere Erklärungen juristischer Fachtermini, die in Mundts Übersetzung ihren Niederschlag gefunden haben, hilfreich gewesen. So bleiben im Deutschen selbst für den "überdurchschnittlich belesenen, motivierten und lernwilligen Studenten" (Mundt 2005: 632), an den sich die Ausgabe unter anderem richten soll, z.B. folgende Übersetzungen unverständlich: "mandatarius" = "Mandatar" (DIV: 44, Z. 409), "pupillus" = "Pupill" (DIV: 54, Z. 513), oder auch "bannitos" = "in die Acht getane Person" (DIV: 56, Z. 532).2 Hier hätten einige wenige Fußnoten Aufklärung geben können.




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Von unschätzbarem Wert ist die vollständige Erschließung der von Lohenstein in der Disputatio verwendeten Quellen. Diese Arbeit findet ihren Niederschlag in einem Verzeichnis der von Lohenstein zitierten Rechtsquellen und verwendeten Fachliteratur (152–165). Die Auflösung und Verifizierung der von Lohenstein abgekürzt zitierten Quellen für seine juristische Schrift sowie die Lokalisierung von Allusionen auf Personen und Begebenheiten der antiken Literatur in den Lobschriften, zeigt, wie viel Akribie in Mundts Edition steckt.

Überaus wertvoll ist, dass im Kommentarteil Bezüge zum übrigen Werk Lohensteins hergestellt werden. So wird z.B. im Kommentar zur Lobrede auf Hoffmannswaldau im Zusammenhang mit der Amomum-Allegorie ein Hinweis auf Lohensteins Verwendung derselben in seiner Lyrik gegeben (vgl. 467 zu 48–50). Ein Verweis auf eine Stelle in Lohensteins Arminius-Roman informiert darüber, dass er dort ebenfalls "Umkreisse" in der Bedeutung 'Ausdehnung' verwendet (vgl. 468 zu 65–66). Im Stellenkommentar zur Lobschrift auf Herzog Georg Wilhelm wird Lohensteins Anspielung auf den Maler Timantes, der den Schmerz Agamemnons bei der Opferung seiner Tochter Iphigenie nicht darzustellen vermochte und ihn deshalb mit verhülltem Haupt malte (vgl. 367 zu 5–8 ), mit einem Verweis auf Lohensteins Trauerspiel Sophonisbe (Lohenstein 2013: I, 554–556) verbunden, wo sich an der genannten Stelle die gleiche Anspielung findet. Von dieser Art gibt es zahlreiche weitere Hinweise auf Lohensteins Dramen (vgl. 369 zu 56: "Porcia, die glühende Kohlen verschlingt", so auch in der Epicharis (Lohenstein 2005: IV, 96); 370 zu 8–9: "ewig brennende Lampen in Toten-Grüften" auch in einer Anmerkung Lohensteins zur Cleopatra [Lohenstein 2008: III, 200]). Daraus ist ersichtlich, dass Lohenstein sich wohl zum Teil des gleichen Exempel-Reservoirs für seine Texte bediente. Einige Verweise wurden jedoch von Mundt übersehen. So wäre noch hinzuzufügen, dass Lohenstein auf die Weissagung des toten Samuel (LGW: 176, Z. 26) schon in der Agrippina (Lohenstein 2005: V, 585) Bezug nimmt, und auch auf das Exempel der beiden Decier, P. Decius Mus und seines gleichnamigen Sohnes, die sich in Schlachten selbst aufopferten (LGW: 187, Z. 319), schon in der Sophonisbe (Lohenstein 2013: I, 424) rekurriert.

Fraglich ist, wieso Lohensteins Anspielung auf den Herkules-/Omphale-Mythos in dem Satz: "Alleine wo des Himmels Schluß nicht selbst die Seelen hinleitet/ ist weder eine Danae/ welche doch den Jupiter in flüssendes Gold verkehret/ des Hertzens kaltes Eiß zu zerschmeltzen/ noch eine Omphale/ welche den unüberwindlichen Hercules zum Spindel-drehen gewöhnet/ ein Gemüthe zubesiegen mächtig" (VSG: 304, Z. 232–237) nicht kommentiert wurde,




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die Geschichte von der Verführung Danaes durch den in einen Goldregen verwandelten Jupiter dagegen sehr ausführlich (vgl. Kommentar 493 zu 233–234) ebenso wie der Sternenkranz der Ariadne im darauffolgenden Satz. Sollte die griechische Sage von dem Frauenkleider tragenden und Wolle spinnenden Herkules etwa bekannter sein (vgl. Waldner 2000, 1199) als diejenige von Jupiters Verwandlung in einen Goldregen? Insgesamt leistet der Kommentar jedoch eine Auflösung der zahlreichen Anspielungen auf antike Literatur und Personen, die die Texte für den modernen Leser nun erst verständlich und zugänglich macht.

Die ausführliche Bibliographie (499–523) am Ende des Bandes enthält neben Literatur zu Leben und Werk Lohensteins und Forschungsliteratur zu seinen hier edierten Schriften auch ein Verzeichnis seiner "Quellen" (505–515). Damit sind wohl, wie sich dem Rezipienten nicht gleich auf den ersten Blick erschließt, die vom Herausgeber im Kommentar herangezogenen Textausgaben zur Erläuterung der von Lohenstein lediglich alludierten Autoren und Texte gemeint. Bedauerlich ist, dass diese Autoren nicht noch einmal in einem Stellenregister aufgelistet sind, sodass man z.B. auf einen Blick die Tacitus-Allusionen Lohensteins in seinen kleinen Prosaschriften vor Augen hätte. Abgerundet wird der Band durch ein Register der historischen und mythischen Personen- und Völkernamen (525–535) sowie durch ein Register der geographischen Namen (535–537).

Die hier aufgeführten kleineren Mängel können Mundts große Leistung für die Lohenstein-Forschung nicht schmälern. Es handelt sich bei dem vorgelegten Band der kleineren Schriften Lohensteins insgesamt um eine Edition, die sich mit ihrer großen Sorgfalt und engagierten Detailarbeit in die bisher erschienenen Bände einreiht und eine wesentliche Bereicherung für die Lohenstein-Forschung darstellt.


Bibliographie

Lohenstein, Daniel Casper von (2005): "Agrippina" und "Epicharis", in: ders.: Sämtliche Werke, Abt. II: Dramen, Bd. 2/1, unter Verwendung von Vorarbeiten Gerhard Spellerbergs † hg. von Lothar Mundt, Berlin / New York: De Gruyter, 1–262 und 263–554.




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Lohenstein, Daniel Casper von (2008): "Cleopatra (1680)", in: ders.: Sämtliche Werke, Abt. II: Dramen, Bd. 1/1: Ibrahim Bassa. Cleopatra (Erst- und Zweitfassung), hg. von Lothar Mundt, Berlin / New York: De Gruyter, 391–841.

Lohenstein, Daniel Casper von (2013): "Sophonisbe", in: ders.: Sämtliche Werke Abt. II: Dramen. Bd. 3/1: Ibrahim Sultan. Sophonisbe, hg. von Lothar Mundt, Berlin/Boston: De Gruyter, 389–783.

Lohenstein, Hans Casper von [1685]: "Kurz Entworffener Lebens-Lauff/ Deß sel. Autoris", in: Daniel Casper von Lohenstein: Ibrahim Sultan Schauspiel/ Agrippina Traurspiel/ Epicharis Traurspiel/ Und andere Poetische Gedichte/ so noch mit Bewilligung des S. Autoris Nebenst desselben Lebens-Lauff und Epicediis, zum Druck verfertiget. Breslau: Jesaias Fellgiebel.

Mundt, Lothar (2005): [Kommentar], in: Daniel Casper von Lohenstein: Sämtliche Werke, Abt. II: Dramen, Bd. 2/2: Agrippina. Epicharis. Kommentar, unter Verwendung von Vorarbeiten Gerhard Spellerbergs † hg. von L.M., Berlin/New York: De Gruyter.

Glare, Peter G. W. (Hg.) (2012): Oxford Latin Dictionary, second edition, vol. 2, Oxford: Oxford University Press.

Waldner, Katharina (2000): "Omphale" [Art.], in: Hubert Cancik und Helmuth Schneider (Hg.): Der Neue Pauly, Bd. 8, Stuttgart/Weimar: Metzler, Sp. 1199–1200.



Anmerkungen

1 Einige Kritikpunkte an der Übersetzung: Mundt übersetzt beispielsweise "Remissa voluntas" (DIV: 32, Z. 240) mit "verhaltener Wille". Dies ist etwas unverständlich bzw. ungenau; gemeint ist hier ein nachlässiger, nachgiebiger, schlaffer, schwacher Wille (vgl. im Oxford Latin Dictionary (Glare 2012) "remissus" Nr. 2 und 4; v. "remitto" Nr. 9, 10 und 11); vor allem übersetzt Mundt an anderer Stelle so: "voluntas eorum remissionem recipit" = "wird der Wille derjenigen abgeschwächt", (DIV: 42, Z. 370) und "remissior est voluntas eorum" = "der Wille derer ist ziemlich schlaff" (ebd., Z. 378).

2 Nach kurzer Konsultation des Dudens erhellt sich, dass 'Mandatar' jemand ist, der im Auftrag oder mit der Vollmacht eines anderen handelt (z.B. ein Rechtsanwalt); 'Pupill' bedeutet Mündel, Waise oder Pflegebefohlener; und 'in die Acht getan' heißt, mit der Reichsacht oder dem Kirchenbann belegt, also verbannt sein.