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Mario Huber (Graz)



Franziska Stürmer / Patrick Meier (Hg.) (2016): Recht Populär. Populärkulturelle Rechtsdarstellungen in aktuellen Texten und Medien. Baden-Baden: Nomos.



Gerade in den letzten Jahren hat die Verbindung von "Recht" mit verschiedenen geisteswissenschaftlichen, vornehmlich literaturwissenschaftlichen Fragestellungen wieder Konjunktur. Neben anderen, ebenfalls aus Workshops oder Tagungen hervorgegangenen Sammelbänden (cf. z.B. Peck / Sedlmeier 2015, Hiebaum / Knaller / Pichler 2015, Weber 2017), die ihr spezielles Augenmerk auf Kriminalliteratur, interdisziplinäre Perspektiven oder "Literaturprozesse" legen, reiht sich nun ein Band ein, der sich (vor allem) den audiovisuellen und theatralen Darstellungen bzw. Dimensionen von Recht widmet.

Wie die Herausgeber Franziska Stürmer und Patrick Meier in Recht Populär eingangs festhalten, ist in jüngster Zeit ein vermehrtes Interesse der Medien am Rechtsgeschehen zu bemerken (5). Aber auch jenseits von Aufsehen erregenden Verhandlungen in Deutschland (z.B. im Rahmen des umfangreichen NSU-Prozesses), die in Zeitungen, Rundfunk, Fernsehen und Internet breites Echo erfahren, ist in Form von künstlerischer Aufbereitung in unterschiedlichen Medien ein starker Bezug zu rechtlichen Fragestellungen zu beobachten. Als übergreifendes Thema bzw. als übergreifender Untersuchungsgegenstand der interdisziplinär angelegten Aufsatzsammlung fungieren deshalb die unterschiedlichen Phänomene des "populären Rechts" und die damit verbundenen Wechselwirkungen zwischen Justiz und Medien. Der Band versammelt dazu vor allem Beiträge, die im Rahmen einer Tagung im September 2014 an der Universität Würzburg entstanden sind.

Grundsätzlich fällt beim Großteil der Beiträge eine zumindest kritische, in manchen Fällen sogar eine ablehnende Einstellung gegenüber der populären Darstellung von Rechtsgeschehen auf. So bleibt nach Thomas Sprechers Auseinandersetzung mit den Zürcher Prozessen (2013) des Schweizer Theaterregisseurs und Autors Milo Rau wenig auf der Habenseite.




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Sprechers sehr polemischer Beitrag deutet Raus Intention als gezielte Vermarktung der eigenen Person, in der die Theateraufführung nur noch als "Produkt" bezeichnet werden kann (110). Raus Werk gehe zudem die ästhetische Provokation ab, mit anderen Worten sind seine Aufführungen im schlechten Sinn konventionell.

Sprecher weist in seinen Ausführungen zu Rau auch auf einen in einigen anderen Beträgen wiederkehrenden Punkt hin: die "Amerikanisierung" der Gerichtsszene in künstlerischen Darstellungen – und daraus folgend in der öffentlichen Wahrnehmung. Diese Vorstellung von Gericht hat nur wenig mit dem deutschen (und mit einigen Unterschieden dem österreichischen oder dem schweizerischen) Alltag gemein. Stefan Machura, dessen Beitrag sich mit rechtspolitischen Botschaften in Film und Fernsehen befasst, erläutert die grundsätzlichen Elemente bzw. die impliziten Genrekonventionen einer solchen audiovisuellen Darstellung. Anwälte sind häufig die Helden, Richter und Gericht werden ebenso häufig positiv dargestellt und aus dramaturgischen Gründen muss vor dem Ende nochmals das (fast unausweichliche) Happy End gefährdet werden (172f.). Da in Deutschland jedoch bereits 1924 die Jury abgeschafft wurde und da aufgrund der umfangreichen Vorverhandlungen keine nennenswerten Umschwünge mehr im Laufe der Hauptverhandlung zu erwarten sind, bietet das amerikanische Rechtssystem die dramaturgisch ertragreichere Vorlage. Zudem ist es nach deutschem Recht verboten, Ton- und Filmaufnahmen einer Verhandlung anzufertigen, was eine zusätzliche Hürde darstellt, 'authentische' deutsche Gerichtsverhandlungen einzufangen und darauf aufbauend diese darzustellen. Diesen Punkt greift auch Rechtswissenschaftler Patrick Meier auf, der in seinem sehr grundsätzlichen Text eine Gegenüberstellung der juristischen Berichterstattung aus Sicht der Medien und des Gerichts zusammenfasst. Gerade das Aufzeichnungsverbot ist diesem Zusammenhang natürlich ein zentraler Kritikpunkt von Seiten der Medien. Weitere dieser Vorwürfe umfassen eine Kritik an der Länge der Verfahren und die (von der Medienseite so wahrgenommene) formalistische Ausrichtung dieser sowie die fehlende Prägnanz der verhängten Urteile (153). Diese Beurteilung ist, so Meier kritisch Richtung Medien, auf ein grundsätzliches Missverständnis der Rechtsprechung rückführbar und stellt, so ist weiterführend anzumerken, zugleich auch Fragen der 'Aufführbarkeit' von Verhandlungen insgesamt.

Hierin, auf der theatralen Dimension des Gerichts, liegt der klare Schwerpunkt des Bandes. Gut die Hälfte der Texte befassen sich in unterschiedlichem Maß mit dieser Thematik. Allen voran ist Thomas-Michael Seiberts semiotische Abhandlung zu nennen. Mit unterschiedlicher Gewichtung hebt er die grundlegenden Veränderungen hervor, die der Zwang zur mündlichen Darstellung vor Gericht auf Rechtssachen ausübt, und nennt die Performanz, den Ort und das Zeiterleben als jene Dimensionen, in denen sich diese Veränderungen auswirken (125).




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Komplettiert wird die Gerichtsaufführung durch den Miteinbezug der Aufführenden sowie der Inszenierung. Nicht nur durch den gemeinsamen Theoriehintergrund (v.a. Luhmann), sondern auch durch den spezifischen Fokus des Texts ist die Nähe zu den Arbeiten von Cornelia Vismann durchaus spürbar. Anders ausgedrückt: Auch von Vismann wurde bereits sehr ähnliches gesagt:

Das Stück, das auf der Bühne des Gerichts gegeben wird, gehorcht daher nicht den Regeln der getreuen Abbildung. Es unterliegt – angefangen von den architektonisch vorgegebenen Blickachsen bis hin zur festgelegten Redeordnung vor Gericht – den Anforderungen der symbolischen Ordnung an Darstellbarkeit. […] Was auf der Gerichtsbühne entsteht, ist etwas Neues, eine Erzählung über das, was sich zugetragen hat. Diese Übertragung eines Geschehens vom realen Ort, dem Tatort, auf die hochartifizielle Bühne des Gerichts macht aus der Tat ein Ereignis in der Sprache. (Vismann 2011: 32f.)

Was aber gerade für das Thema des Bandes eine interessante Querverbindung zu den anderen Texten zulässt, sind Seiberts Erörterungen zur "Premiere" auf der Gerichtsbühne. Die neuen Rollenskripte, eine Verfahrensordnung und Praxis, die bislang nicht üblich waren sowie besondere Angeklagte und Verfahrensbeteiligte überlagern bzw. verändern die Verhandlung ebenso wie das Medieninteresse auf das Verfahren tendenziell einwirken kann (141). Der Prozess wird dadurch – in einem noch größeren Maße zu einer Inszenierung als dies ohnehin immer der Fall ist. An dieser Stelle finden die Kritikpunkte von Journalisten an der deutschen Gerichtspraxis, die Patrick Meier in seinem Text angesprochen hat, ihre semiotische Erklärung. Kurz: Das Ende einer Gerichtsverhandlung ist nicht planbar und entzieht sich der Inszenierung, da das Justizdispositiv über die Verhandlung hinausgeht (141). Damit ist eine der wichtigsten dramaturgischen Komponenten der populären Rechtsdarstellung, die "drohende Ungerechtigkeit", auf die auch z.B. Stefan Machura und Fabian Kopper in ihren respektiven Beiträgen mehrfach hinweisen, klar als Utensil der Inszenierung zu erkennen.

Einen weiteren übergreifenden Bezugspunkt stellen die von unterschiedlichen Beiträgen auf- und angegriffenen Kriminal(fall)erzählungen von Ferdinand von Schirach dar. Das international auf Bestsellerlisten zu findende Werk des Rechtsanwalts und Schriftstellers ist vor allem in Christine Künzels Auseinandersetzung Ziel einer harschen Kritik. Unter dem Titel "Pimp my Krimi" lehnt sie von Schirachs Werk insgesamt als "kalkulierten Marketingcoup" (74) ab. Zudem fallen aus Sicht der Germanistin die nach einfachen Mustern produzierten Erzählungen ob ihrer "manipulativen Erzählperspektive" (61) und ihrer Konventionalität eindeutig unter den Begriff Trivialliteratur (68).




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Heinz Müller-Dietz, der sich der grundsätzlichen Frage nach der Verarbeitung von Recht im deutschsprachigen Gegenwartsroman widmet, kommt zu einer weitaus positiveren Einschätzung. Mit besonderem Bezug auf den Roman Der Fall Collini (2011) hebt er hervor, dass von Schirach Grundfragen des deutschen Strafrechts und -prozesses sowie völkerrechtliche Aspekte behandelt und deren moralische Implikationen herausstreicht (53). Ein mögliches Publikum für von Schirach stellen für Müller-Dietz dabei sowohl Laien als auch "junge Juristen" dar. Auch Jochen Vogt, in dessen Beitrag eine diachrone Behandlung der Kriminal-Fallgeschichte seit dem 18. Jahrhundert im Mittelpunkt steht, sieht in von Schirachs knappen Falldarstellungen in den Bänden Verbrechen (2009) und Schuld (2010) komplexe Zusammenhänge, die von "Ungewissheiten, Widersprüchen und Paradoxien" (34) gezeichnet sind und sieht den Autor sogar – "ungeachtet des beachtlichen gedanklichen und stilistischen Gefälles" (35) – in einer direkten Traditionslinie mit Heinrich von Kleist. Gerhard Besier greift einen ähnlichen Punkt heraus und lobt an von Schirach das Arbeiten gegen Eindeutigkeiten und allgemeingültige Werte (229). Gerade die polemische Herangehensweise einiger der Autoren und die Konflikte um die Einordung z.B. von Ferdinand von Schirachs Werk oder von populären Genres insgesamt macht den Band lesenswert, da er, gewollt oder ungewollt, die nach wie vor vorhandenen Vorbehalte der akademischen (insbesondere germanistischen) Beschäftigung mit populären Medien und Medienprodukten vorführt – wobei, dies sei ebenfalls angemerkt, einige der Kritikpunkte durchaus plausibel dargebracht werden.

Neben den gewinnbringenden Erörterungen des Bandes, wozu auch der Beitrag von Doris Pichler zum Romanzo Criminale in seinen (medial) unterschiedlichen Iterationen gezählt werden kann, sind einige Kritikpunkte anzubringen. Zuerst fällt Gerhard Besiers abschließender Betrag zur anthropologisch-psychologischen bzw. neurowissenschaftlichen Beschreibung der Faszination an medial verarbeiteten Rechtsfällen bei der sonst durchwegs interessanten Lektüre des Bandes negativ auf. Die "Spiegelneuronen" sind, wie der Beitrag zeigt, nach wie vor ein gern bespielter Gemeinplatz der naturwissenschaftlich interessierten Geistes- und Kulturwissenschaften; und dies trotz stichhaltiger Einwände gegen diesen universalistischen Erklärungsansatz aus kognitionswissenschaftlicher Perspektive, vor allem im von Besier starkgemachten Bereich der Empathie (cf. Hickok 2015). Im reichlich mit Gehirnquerschnitten bebilderten Text nehmen die Spiegelneuronen auch dieses Mal eine Platzhalterfunktion für Interdisziplinarität ein. Besiers Erklärung für das anhaltende Interesse an Krimis in unterschiedlicher medialer Form, der widersprüchliche Wunsch nach Sicherheit und Abenteuer zugleich (231f.), verläuft sich schließlich in der unendlichen Nature/Nurture-Debatte und lässt mit neuen Erkenntnissen auf sich warten.




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Zusätzlich soll ebenfalls der nicht unbedingt übliche Modus erwähnt werden, den Beiträgen einen Diskussionsbericht nachzustellen, der die Fragen und Ergänzungen der Tagungsteilnehmer zum entsprechenden Vortrag zusammenfasst. Ganz ersichtlich ist der Mehrwert im Rahmen der Publikation nicht. Der jeweilige Tagungsbeitrag liegt bereits in überarbeiteter Form im Band vor, was einige der – mit Sicherheit sorgfältig verfassten – Berichte abkömmlich macht. Zudem gibt es einen Bericht zum Vortrag von Greta Olson, wobei der Beitrag selbst nicht in den Band aufgenommen wurde. Da anzunehmen ist, dass die Mehrzahl der Leserinnen und Leser bei der Tagung nicht anwesend waren, ist der Bericht entbehrlich. Schließlich fällt auch der Preis für eine Publikation im Taschenbuchformat mit weniger als 250 Seiten dermaßen hoch aus, dass deren Verbreitung wahrscheinlich alleinig den (Fach-)Bibliotheken überlassen bleiben wird.

Was schade ist, denn mit der öffnenden Bewegung Richtung Populärkultur, insbesondere durch den Einbezug von Film und Fernsehen, ist für die deutschsprachige "Recht und Literatur"-Forschung gewinnbringend Neuland zu betreten. Der Schwerpunkt der literatur- und kulturwissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Recht, vor allem bei den Falldarstellungen und abseits der Theoriebildung, liegt hierzulande nach wie vor auf historischen Prosatexten (cf. z.B. Linder 2013) sowie bei Klassikern wie Schiller, Kleist oder Kafka (cf. z.B. Kilcher / Mahlmann / Müller Nielaba 2013). So sind Fragen zur zeitgenössischen Literatur wie im Falle von Ferdinand von Schirachs Erzählungen oder zu unterschiedlichen, im weitesten Sinne theatralen Ausformungen von fiktional(isiert)er Gerichtsbarkeit (von Milo Raus Inszenierungen über US-Serien wie "Law and Order" bis zu "Richterin Barbara Salesch") eine willkommene Abwechslung.



Bibliografie

Hickok, Gregory (2015): Warum wir verstehen, was andere fühlen. Der Mythos der Spiegelneuronen. München: Hanser.

Hiebaum, Christian / Knaller, Susanne / Pichler, Doris (Hg.) (2015): Recht und Literatur im Zwischenraum. Law and Literature In-Between. Aktuelle inter- und transdisziplinäre Zugänge. Bielefeld: transcript.




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Kilcher, Andreas / Mahlmann, Matthias / Müller Nielaba, Daniel (Hg.) (2013): "Fechtschulen und phantastische Gärten". Recht und Literatur. Zürich: vdf Hochschulverlag.

Linder, Joachim (2013): Wissen über Kriminalität. Zur Medien- und Diskursgeschichte von Verbrechen und Strafjustiz vom 18. bis zum 21. Jahrhundert. Würzburg: Ergon.

Peck, Clemens / Sedlmeier, Florian (Hg.) (2015): Kriminalliteratur und Wissensgeschichte. Genres – Medien – Techniken. Bielefeld: transcript.

Vismann, Cornelia (2011): "Die unhintergehbare theatrale Dimension des Gerichts", in: dies.: Medien der Rechtsprechung. Frankfurt a.M.: Fischer, 19–37.

Weber, Hermann (Hg.) (2017): Das Recht als Rahmen für Literatur und Kunst. Tagung im Nordkolleg Rendsburg vom 4. bis 6. September 2015. Berlin: De Gruyter.