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Marina Ortrud M. Hertrampf (Regensburg)



Frankreich: (Fremde) Heimat von Roma. Überlegungen zu Identität, Alterität und Exklusion einer diasporischen Minderheit Frankreichs



Roma are the largest ethnic minority group in Europe. Since their first appearance in Europe during the Middle Ages, European majority societies declared these migrating groups as homeless 'strangers'. But is this (still) true? Do Roma really have no geographic homeland? Do they feel as 'others' within majority societies? Focussing on Roma living in France, the article tries to find answers to these questions. Roma have a very strong feeling of in-group belonging, which means othering of the majority out-groups and could also lead to a certain degree of social self-exclusion. In fact, social belonging to the in-group is much more important for feeling at home than geographical aspects. Geographical dispersion of Roma groups, however, caused a strong differentiation of groups that produces various phenomena of in-group othering. The article shows how Roma living in France tend to differentiate their concept of identity and their feeling at home according to the social context they belong to. In fact, French Roma's contextually split identity is hybrid and amalgamates elements of Roma and French culture. Due to this double bind identity as well as due to persisting prejudice and growing tendencies of excluding outgroup discrimination, France could be both for French Roma: a familiar homeland and an unfamiliar country of otherness.


Sinti und Roma – die im Folgenden mit dem Dachbegriff 'Roma' als Hyperonym für sämtliche Untergruppen wie Sinti, Roma, Calé, Kalderasch, Manouches, Gitanos etc. bezeichnet werden – bilden mit knapp zwölf Millionen Menschen die größte ethnische Minderheit Europas. Erste Belege über ihre Existenz in Europa stammen aus dem Mittelalter. Bereits in diesen ersten Zeugnissen über die 'Fremden', die aufgrund ihres Aussehens ganz offensichtlich 'anders' waren, wird von der Heimatlosigkeit der Roma gesprochen. Aber sind Roma wirklich heimatlos? Empfinden sie sich stets in der Fremde oder kennen auch sie Heimatgefühle? Um diesen Fragen am Beispiel der Roma Frankreichs nachzugehen, wird im Folgenden zunächst das Begriffskonzept Heimat ganz allgemein problematisiert, um es sodann für unseren Kontext konkreter fassen zu können. Im Weiteren werden dann einige Überlegungen hinsichtlich der Verflechtung von Fragen der Identität, Alterität und Exklusion in Bezug auf Roma entwickelt. Ein Teil dieser Überlegungen betrifft zwar grundsätzlich die gesamte Minderheit, der Fokus liegt jedoch auf den Roma Frankreichs – und zwar auf denjenigen, die schon seit vielen Generationen in Frankreich leben. Dies gilt vor allem für die Frage, inwiefern Frankreich kulturelle Fremde und bzw. oder Heimat für in Frankreich lebende Roma ist bzw. sein kann. Zur Illustration der hier dargestellten Überlegungen werden exemplarische Biographien sowie künstlerische und literarische Artefakte als Realien im Sinne einer kulturwissenschaftlichen Lektüre und Interpretation von Kunst und Literatur verwendet. Dabei wird von der These ausgegangen, dass literarische und künstlerische Produktionen von Roma den Selbstausdruck der eigenen konfliktiven Identität im geographischen wie sozialen Raum und die Re-Konstruktion von kollektiver Gruppenidentität zum Ausdruck bringen.




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Heimat: Annäherungen an ein komplexes Begriffskonzept

Das Themenfeld von Heimat, lokaler und regionaler Identität sowie individuellem und kollektivem Ortsbezug wird insbesondere in den Sozial- und Kulturwissenschaften ebenso intensiv wie kontrovers diskutiert.1 Heimat wird dabei als ein "sehr schillerndes, ein sehr gefühlsbetontes kulturelles Phänomen [betrachtet], das Bedeutungsschichten aus vielen Jahrhunderten transportiert." (Kazal 2005: 61) Unter Verdacht ist der Begriff durch die nostalgische Verklärung in der Deutschen Romantik und die sich daran anschließende (deutsche) Volkstümelei geraten. Der Nationalsozialismus brachte ihn schließlich mit dem ideologisch-politischen Verständnis des Heimatbegriffs im Sinne des Vaterlandes als Raum und Boden des arischen Volkes gänzlich in Verruf. Mittlerweile kann das Begriffskonzept, um mit dem Philosophen Christoph Türcke (2006) zu sprechen, aber als 'rehabilitiert' gelten.

Der Verfall der sozialistischen Staaten mit ihren ebenfalls politisch-ideologischen Heimatkonzepten einerseits und die zunehmende Europäisierung und Globalisierung andererseits haben zu einer Renaissance der Begriffsdefinition geführt. Daher existiert – typisch postmodern, könnte man sagen – eine große Pluralität von Heimatkonzepten (vgl. Bausinger 2001). Die Vorstellung der Herausbildung eines transnationalen europäischen Heimatbegriffes, der sich aus der Anerkennung der Pluralität gleichberechtigter unterschiedlicher Heimaten speist, hat sich allerdings als Utopie erwiesen, geht die Tendenz gegenwärtig doch wieder hin zu einem stark nationalstaatlichen bzw. nationalkulturellen Denken und zur Re-Animierung regional gedachter Heimatkonzepte – man denke etwa an die Einführung eines Heimatministeriums in Bayern im Jahr 2014.

Etymologisch ist die Geschichte des Begriffs von zahlreichen Bedeutungswechseln und -erweiterungen geprägt: Im frühen Mittelalter wurde heimôte als rein spirituelle Heimat bei Gott verstanden, ab dem 12. Jahrhundert erfuhr der Begriff eine weltliche, zumeist geographisch verstandene Bedeutung im Sinne von Heimstatt und familiärem Sozialraum. In der Neuzeit verschob sich die Bedeutung immer stärker zu einem territorial verstandenen Terminus, der vielfach im Sinne des Heimatrechtes (droit du citoyen) juristische Bedeutung trug. Bis zum Ende der französischen Dritten Republik dominierten Definitionen der patrie – dem "pays du père" als etymologischem Pendant zum dt. 'Vaterland' –, die das affektive Zugehörigkeitsgefühl zum Nationalstaat unabhängig von der ethnischen Herkunft vor allem patriotisch begründeten. Der Historiker Jean-Claude Caron schreibt:

La patrie ne se définit pas par des données biologiques […] ni même par la culture (qui revoie plutôt à l'idée de nation). La patrie, c'est le pays (on pourrait dire de manière plus imagée : la terre) pour lequel on est prêt à verser son sang et au besoin à mourir. (Caron 1995: 29)

Aktuelle Konzeptionsmodelle der Deutung von Heimat werden vor allem von drei Dimensionen geprägt: der Dimension des Raumes, der Dimension der Zeit und der Dimension der Identität. Zudem betont beispielsweise der Kulturhistoriker Bernd Hüppauf, dass Heimat stets auch ein mentales Konstrukt sei: So lasse sich Heimat zwar oftmals im geographischen Raum situieren, doch sei der geographische Ort allein noch nicht Heimat; zur Heimat als Gefühl "gehört notwendig die Imagination. Die räumliche und zeitliche Bestimmung des Wortes Heimat überschreitet das Faktische." (Hüppauf 2007: 112) Dieses – neudeutsch gesprochen postfaktische – Element ist vor allem mit Blick auf die Dimension der Zeit relevant. In zeitlicher Hinsicht ist mit Heimat häufig ein verlorener, vertrauter Raum der Kindheit und Jugend gemeint. Weitere zeitliche Komponenten von Heimat sind Traditionen, vorhergehende gesellschaftliche Verhältnisse oder aber Zukunftsvorstellungen. Gerade der Blick zurück in eine mitunter auch diffus bleibende Vergangenheit und das Gefühl des Verlustes dieser (oft rein mentalen) Heimat spielt insbesondere für diasporische Minderheitengruppen eine bedeutende Rolle bei der kollektiven Identitätsbildung.




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In räumlicher Hinsicht geht es bei Heimat zum einen um ein territorial gedachtes Zugehörigkeitsgefühl, das sich über den Geburts- sowie den Wohnort konstituiert, zum anderen um die rechtliche Zugehörigkeit zu einem bestimmten Raum – also um die Staatsbürgerschaft. Im Deutschen Wörterbuch der Gebrüder Grimm von 1877 wird 'Heimat' definiert als "das land oder auch nur der landstrich, in dem man geboren ist oder bleibenden aufenthalt hat" (Grimm 1984: 865f.). Entsprechend definiert der Grand Robert de la langue française das Lemma 'patrie' als: "Nation, communauté politique à laquelle on a le sentiment d'appartenir; pays habité par cette communauté." (Rey 2001: 353f.) Wenn von "nation" und einem "sentiment d'appartenir" die Rede ist, dann schwingt die identifikatorische Bedeutung (auch) des (räumlichen) Heimatbegriffs für das Individuum als Teil eines nationalen oder regionalen Kollektivs bereits stark mit: "So wird 'Heimat' immer als das 'Eigene' im Gegensatz zum 'Fremden' markiert [...]." (Schumann 2001: 64) "'Heimat' ist ein Begriff der Differenzierung, der nicht nur das 'Fremde' benötigt, sondern auch einen nationalen Rahmen, innerhalb dessen 'Heimat' als ein eigenständiges, partikulares Phänomen entwickelt wird – 'Heimat' ist ohne das Konzept des Nationalstaats schlichtweg nicht denkbar." (Ebd.) Heimat ist in Schumanns Definition also eng an das Konzept eines territorialen Nationalstaates gekoppelt – ein Aspekt, der mit Blick auf die Roma als ethnische Minderheit ohne eigenes Staatsterritorium problematisch ist. An dieser Problemstelle greifen Heimatmodelle, die den Aspekt der sozialen Identität in den Fokus rücken. Diese Form der sozialen Heimat resultiert nach dem Soziologen Rainer Paris (2005: 161f.) aus den "einheitsstiftenden, kollektive Zugehörigkeitsgefühle verbürgenden Wirkungen kultureller Traditionen, Werte und Gemeinschaftserfahrungen." Gostmann und Wagner (2007: 69) folgend sind die in einem Kollektiv geteilten ethnischen, religiösen, kulturellen oder sozialen Gemeinsamkeiten zur Konstruktion einer Gruppenidentität als Kulturnation oder ethnischer Nation insbesondere dann von zentraler Relevanz, wenn eine Nation – wie die Roma – keinen Staat hat, also keine Staatsbürgernation ist. Sozialzusammenhang, gemeinsam geteilte Normen und Wertevorstellungen sind auch für den Kulturwissenschaftler Hermann Bausinger die zentralen Kategorien für den Aufbau des Heimatgefühls einer sozialen Gruppe. Heimat ist ihm zufolge das Leben in den gewohnten, vertrauten und tradierten (familiären) Alltagsstrukturen in einem bestimmten Milieu und Umkreis (vgl. Bausinger 2004).

Im Gegensatz zu den statischen und territorial gedachten konventionellen Raumkonzepten zeichnen sich die neueren progressiven und offenen Heimatkonzepte dadurch aus, dass Heimat – wie das eng damit verknüpfte Konzept von Identität – den Aspekt des Statischen verliert und postuliert wird, dass das Konzept "dynamisch-prozeßhaft in die Zukunft fortgedacht und fortgeschrieben werden" (Dachs 1983: 443) muss. Eines dieser Modelle, das für unseren Kontext besonders gut fruchtbar zu machen ist, ist das Heimatkonzept des Kulturwissenschaftlers Erich Wimmer (1986), der auf Bausingers Betonung des sozialen Aspektes aufbaut und vier Dimensionen nennt, die Heimat als identitätsstiftende Kategorie des Menschen ausmachen: Neben den Dimensionen der Zeit (Heimat konstruiert sich als Teil des individuellen und kollektiven Gedächtnisses), der sozialen Beziehungen und tradierten Kulturmuster, die identitäre Identifikation und Gruppenzugehörigkeit gewährleisten, ist vor allem seine zweifache 'Entgrenzung' der räumlichen Dimension interessant. Diese wird nämlich zum einen nicht allein geographisch verstanden, sondern als erlebter und gestalteter Raum – also, um mit den Kategorien Lefebvres zu sprechen, als espace vécu und espace perçu (vgl. Lefebvre 1974: 49). Zum anderen schreibt Wimmer:




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Die geographische Ausdehnung der Heimat ist nicht strikt begrenzbar und für das Individuum auch nicht ein für allemal fest fixiert. […] Sie kann von einem Ort, ja Ortsteil, Straßenzug, über einen Landschaftsraum, ein Bundesland, Deutschland, Europa, prinzipiell zur ganzen Welt führen. (1986: 21)

Nach diesen neueren Definitionsansätzen ist Heimat folglich ein komplexes Gefüge, das zahlreiche Ausdifferenzierungen zulässt und durchaus transnational und pan-territorial gedacht werden kann.


Imaginativ-(re)konstruierte Heimat einer diasporischen Minderheit

Im Gegensatz zu anderen Mitgliedern ethnischer Minderheiten, die ihre Heimatländer aus politischen, religiösen oder wirtschaftlichen Gründen verließen bzw. verlassen mussten, fehlt den Roma dieses geographisch klar bestimmbare, nationalstaatlich organisierte Heimatland, in dem Romanès (romani chib), die indogermanische Roma-Sprache, Amts- und Verkehrssprache ist bzw. war. Auch wenn es als erwiesen gilt, dass die ursprüngliche Herkunft der Roma in einem Gebiet im Bereich Nordindiens bzw. Pakistans liegen dürfte, gab es auch dort nie ein wirkliches Heimatland, in dem Roma sesshaft als dominante Ethnie gelebt hätten. Ohne genauere Kenntnis über Gründe und Motivationen – in der Forschung ist bis heute umstritten, ob es sich um freiwillige Migration oder um Vertreibung handelte –, erfolgte die Emigration der Roma noch vor 1000 nach Christi. Die Migrationsbewegung verlief wahrscheinlich über Persien und Armenien nach Griechenland, das im 14. Jahrhundert erreicht wurde und von wo aus sich die Ethnie über ganz Europa zu verstreuen begann.

Obwohl es keinerlei historische Belege über die Zeit in Indien gibt, spielt der Bezug auf eine de facto vollkommen nebulöse Vergangenheit auf dem indischen Subkontinent ebenso wie die jahrhundertelange Wanderschaft eine zentrale Rolle bei der Wahrung der kollektiven Identität. Die fiktive Rekonstruktion eines mental-imaginativen Heimatlandes im Sinne von Vijay Mishras Diasporic Imaginary (2007) hat dabei eine stark unifizierende Funktion und gewährleistet das Zugehörigkeits- und Zusammengehörigkeitsgefühlt der gesamten Ethnie. Obwohl es im Falle der Roma keine traumatische Vertreibungserfahrung aus dem ursprünglichen Heimatland und dessen rituelle Erinnerung wie im Falle der jüdischen Diaspora gibt, kann aufgrund des rekonstruierten Heimatlandes Indiens von den Roma als einer diasporischen Gemeinschaft gesprochen werden (vgl. ebd.). Wie Gostmann und Wagner hinsichtlich der aktiven Produktion qualitativer Kollektividentität bei Nationen ohne Staat hervorheben, gründet die Verbreitung und Verankerung einer imaginativ-mentalen Heimat im kollektiven Gedächtnis in der narrativ-fiktiven Erfindung von Nationalmythen (Gostmann / Wagner 2007: 69). Julia Blandfort hat in ihrer Dissertation Die Literatur der Roma Frankreichs (2015) eine Vielzahl von literarischen Texten von Roma untersucht, die unzählige Versionen von Mythologisierungen und literarischen Re-inszenierungen des indischen Heimatlandes sowie der Flucht und Vertreibung aus diesem paradiesartig stilisierten Gebiet liefern.




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Die imaginativ-(re)konstruierte Heimat hat eine enorme Bedeutung für das kollektive Selbstbewusstsein der diasporischen Minderheit als eigenständige Nation, die ihre Völkerrechte international einfordert. Dies zeigt etwa die Flagge, die 1971 anlässlich des ersten Weltkongresses der International Romani Union in Anlehnung an die Indische Flagge kreiert wurde. Während das Blau den Himmel und das Grün die Erde symbolisiert und damit die Naturverbundenheit der Roma zum Ausdruck bringen soll, verdeutlicht das Chakra – das Rad – die indische Herkunft.2

Die imaginative Rekonstruktion eines geographisch fixierbaren Heimatlandes darf aber nicht darüber hinweg täuschen, dass Roma-Gemeinschaften de facto fast überall auf der Welt verstreut leben. Aber auch die transnationale Dispersität kann, so unsere These, als Heimat begriffen werden.


Transnationale Heimat als pan-territoriales Rhizom

Ebenso wie der indische Ursprung alle Roma eint, so eint sie gerade ihre Zerstreutheit. Am deutlichsten sichtbar wurde das Selbstempfinden der Transnationalität als nationenbildendes Charakteristikum bei der Biennale 2007 in Venedig, wo es neben den 'normalen', d.h. nationalen Länderpavillons den ersten transnationalen Roma-Pavillon gab.3

In Frankreich leben nach Schätzungen des Europarates rund 400.000 Roma, was einen prozentualen Anteil an der Gesamtbevölkerung von 0,62% ausmacht.4 Dabei darf aber nicht vergessen werden, dass es die Roma eigentlich gar nicht gibt: Auch wenn das Heteronym dies fälschlicherweise nahe legen kann, handelt es sich um keine in sich homogene ethnische Gruppe im Sinne einer einheitlich definierten Kulturgemeinschaft, sondern vielmehr um eine geographisch dispers verbreitete, diasporische Minderheit. Diese kann unter Rekurs auf Gilles Deleuze und Félix Guattari (1980: 36f.) als Rhizom gedacht werden, als ein Netz, das vielfältige Knotenpunkte aufweist, an denen An- und Verknüpfungen sowie Austausch zwischen den transnational verstreuten Gemeinschaften stattfinden kann. Beschreibt man die Ethnie der Roma nun in Anlehnung an James Cliffords prozessuales Diaspora-Konzept des Decentered Network als dezentrierte, transnationale Netzwerkgemeinschaft (vgl. Clifford 1994), dann wird deutlich, dass sich das räumliche Element durch die Entgrenzung des Heimatgefühls zugunsten eines sozialen Aspektes verschiebt. Der transnationale Heimatbegriff meint dann eine transnational-rhizomatische Solidargemeinschaft. Heimat kann damit überall auf der Welt sein und ist als soziale Heimat immer und überall dort, wo Roma auf andere Roma-Gruppen treffen. Die räumliche Komponente des transnationalen Heimatbegriffs ist also metaphorisch als Verortung in Beziehungsnetzen und damit vorrangig sozial zu verstehen und basiert auf dem Gerüst gemeinsamer Werte wie der Anerkennung der patriarchalen Familienhierarchie, der absoluten Loyalität dem Familienclan gegenüber, sehr festen Geschlechterrollen, einem traditionellen Ehrbegriff, einer engen Naturverbundenheit sowie einer starken Spiritualität zwischen Katholizismus und pantheistischer Esoterik.5




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In literarischen Texten findet sich das transnationale Heimatkonzept vielfach im Bild der Welt als Heimat, verknüpft mit einer existentiell verankerten, pantheistisch gedachten Naturverbundenheit. So heißt es im Gedicht "Por nacer gitano" des spanischen Roma-Dichters Pedro Amaya:

Por nacer gitano
y de cuerpo entero,
el mundo es mi casa,
el cielo es mi techo,
la tierra es mi suelo. (Amaya 1993: 9)

In der Erzählung La longue route d'une Zingarina (1978) beschreibt die französische Roma-Autorin Sandra Jayat (*1939) wie eine junge Romnì am Vorabend ihrer arrangierten Hochzeit dem Clan entflieht. Die Protagonistin Stellina – ein fiktionalisiertes alter ego der Autorin – bricht damit unwiderruflich mit ihrer Familie. Die aus mehrheitsgesellschaftlicher Perspektive ohnehin (territorial) 'heimaltlose' Romnì verliert damit auch den Halt ihres Familienclans. Gleichzeitig erlebt sie auf ihrer Wanderschaft aber immer wieder Momente eines transnationalen Heimatgefühls, nämlich immer dann, wenn sie auf Roma trifft und diese ihr Schutz und soziale Wärme im vertrauten Heimatraum der Roma-Lager gewähren.6

Nun steht die durchaus identifikationsstiftende Teilhabe am globalen Netzwerk an den jeweiligen Knotenpunkten – im vorliegenden Fall Frankreich – aber stets in einem Spannungsverhältnis zur lokalen Integration in die Mehrheitsgesellschaft. Hierbei lassen sich sowohl innerhalb der Minderheitengruppe als auch in Abgrenzung zur Mehrheitsgesellschaft Distinktions- und Separationstendenzen beobachten, die auf die Ausprägung partikularer sozialer Heimaten der verschiedenen Roma-Gruppen hindeuten.


Selbstbestimmte Abgrenzung und partikulare Gruppenheimat: nous et les autres

Die grundsätzliche Gruppenkohäsion der Roma als transnationaler diasporischer Minderheitengruppe kann als transnationales Ingroup-Heimatgefühl, d.h. als partikulare Gruppenheimat beschrieben werden. Es wurde ebenfalls bereits festgestellt, dass die soziale Dimension des Ingroup-Heimatgefühls besonders stark ausgeprägt ist. Dies spiegelt sich auch in dem Romanès-Wort7 für 'Heimat' wider: khertuno, das sich von kher ('Haus', 'Behausung') ableitet, drückt aus, dass Heimat der nach außen hin abgegrenzte, vertraute Schutzraum der Familie, der Privatsphäre, ist. In Heimatdefinitionen wird immer wieder – wie etwa bei Schumann (2001: 64) – darauf verwiesen, dass Heimat das ab- und ausgegrenzte Fremde impliziert. Dies lässt sich in Bezug auf den partikularen Heimatbegriff der Roma an dem stark empfundenen, gruppenspezifischen Wir-Gefühl im Kontrast zu dem unspezifischen Ihr als den Anderen ablesen: Während es für das Kollektiv eine Vielzahl von Begriffen gibt, die die einzelnen ausdifferenzierten Teilgruppen bezeichnen, werden Nicht-Roma, ganz egal welcher nationalen, ethnischen oder religiösen Herkunft, pauschalisierend als gadjo bezeichnet.




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Der französische Dichter Alexandre Romanès (*1951), der aus der großen Zirkusfamilie Bouglione stammt, selbst den Cirque Tzigane Romanès betreibt und daher zu den gens de voyage zu zählen ist, bringt die selbstbestimmte Abgrenzung von der Mehrheitsgesellschaft in seinen Gedichten dadurch zum Ausdruck, dass er seine ethnische wie kulturelle Alterität als gitan selbstbewusst betont. So wie in dem folgenden Gedicht der Anthologie Paroles Perdues, wo sich das lyrische Ich deutlich von der 'Rasse' der 'anderen' abgrenzt:

La grandeur, ils connaissent :
Décider, inventer, construire,
leur chemin est sans fin.
Moi, je ne suis pas de cette race. (Romanès 2004: 30)

Der Prozess des Othering ist aber freilich reziprok, was de facto zu einer hochkomplexen Verflechtung von selbstbestimmter Exklusion der Ingroup aus der umgebenden Mehrheitsgesellschaft und fremdbestimmter externer Exklusion der Ingroup durch die mehrheitsgesellschaftliche Outgroup führt.

Trotz dieser deutlichen transnationalen Gruppenkohäsion lässt sich etwa am Beispiel der Roma Frankreichs ein recht ausgeprägtes Ingroup-Othering beobachten: Bedingt durch die vielfältigen Migrationsbewegungen kam es infolge der kulturellen und sprachlichen Wechselbeziehungen verschiedener Roma-Gruppen mit unterschiedlichen europäischen Mehrheitsgesellschaften, in denen diese in den vergangenen Jahrhunderten jeweils lebten, zu einer starken sprachlichen und kulturellen Ausdifferenzierung. Diese führte durch kulturelle Mimikry (vgl. Bhabha 2000: 134) und Assimilierungsprozesse mitunter auch zur Ausprägung neuer – aus der Perspektive der Ingroup fremder – sozialer Lebensformen: Zu unterscheiden ist einerseits zwischen den Roma-Gruppen der manouches und der gitans, die schon seit Jahrhunderten auf französischem Territorium leben, muttersprachlich Französisch sprechen und aufgrund des ius solis auch französischer Staatsbürgerschaft sind, und den neu nach Frankreich migrierten Roma aus Osteuropa andererseits, die Ausländer sind und muttersprachlich eine der Romanès-Varianten plus eine oder mehrere osteuropäische Sprachen sprechen.8

Die geringe Anteilnahme französischer Roma angesichts der staatlichen Räumaktionen, ja die zum Teil sogar ablehnende Haltung den osteuropäischen Roma gegenüber resultiert mitunter daraus, dass sich die manouches und gitans kaum mit den Zuwanderern identifizieren können. Trotz vereinzelter Solidaritätsbekundungen bei der Räumung von Roma-Lagern und gelegentlicher Proteste gegen die Abschiebungen durch französische Roma-Aktivisten – oft Künstler –, bleibt das Verhältnis der französischen Roma zu den neuen Zuwanderern recht gespalten (vgl. Strassenburg 2014). Diese starke Form des Ingroup-Othering lässt sich über die amalgame Hybrididentität in Frankreich lebender Roma erklären, für die Frankreich – im Gegensatz zu den osteuropäischen Roma – geographische wie soziale Heimat ist.




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Frankreich als 'andere' und 'fremde' Heimat französischer Roma

Die Mehrheit der französischen Roma ist weitgehend 'unsichtbar', d.h. bezüglich ihrer Lebensweise nach außen hin nicht als Mitglied einer Minderheit erkennbar. Sie lebt – entgegen des weithin verbreiteten Heterostereotyps – mehrheitlich sesshaft, geht einer geregelten Arbeit nach und ist im französischen Sozialsystem weitgehend integriert. Die Möglichkeit zur Mobilität ist jedoch auch den meisten sesshaft lebenden Roma sehr wichtig, was sich etwa daran ablesen lässt, dass die Mehrheit unter ihnen Wohnwagen, Wohnmobile oder Campingbusse besitzt. Nur rund 3% der in Frankreich lebenden Roma leben tatsächlich noch dauerhaft 'nomadisch' als gens de yoyage.9 Da es sich aber auch hier um keine permanente Mobilität handelt, kann man diese Lebensform mit Roner-Trojer als "sesshaftes Nomadentum" bezeichnen: "Jederzeit bereit, diesen Platz sofort verlassen zu können, nicht gebunden an Boden oder Besitz, sondern an Familie und Kultur." (Roner-Trojer 2015: 297) Dies trifft etwa auf den engagierten Roma-Künstler Gabi Jiménez (*1964) zu, der seit 30 Jahren in einem (durchaus komfortablen) Wohnwagen – meist – auf einer aire d'accueil10 in Marines in der Nähe von Paris lebt und 2007 auch auf der bereits erwähnten Biennale in Venedig ausstellte.

Während die nomadisch lebenden französischen Roma zwar hinsichtlich Sprache und Staatsbürgerschaft Teil der französischen Gesellschaft, aufgrund ihrer nicht permanent sesshaften Lebensweise aber offensichtlich 'anders' sind und räumlich sichtbar von der Mehrheitsgesellschaft ab- bzw. ausgegrenzt in peripheren Zwischenräumen – nicht selten handelt es sich um unwirtliche non-lieux im Sinne Augés (1994: 92) – leben,11 ist der Großteil der französischen Roma durch kulturelle Mimikry oder gar Assimilation innerhalb der Outgroup 'unsichtbar'. Diese kulturellen Anpassungsstrategien sind Schutzmechanismen vor negativen Stereotypen und daraus resultierender ethnischer Diskriminierung, beziehen sich aber allein auf das öffentliche soziale Leben. Französische Roma sind in dieser externen Identität citoyens français wie alle anderen Franzosen. So verheimlicht ein Großteil in Schule und Beruf die eigene ethnische Zugehörigkeit. Aus der Perspektive dieser gruppenexternen Identität des öffentlichen Lebens ist Frankreich geographische (Geburts- und Wohnort), rechtliche (Staatsangehörigkeit und Bürgerrechte) und sprachliche Heimat. So 'französisch' Roma im öffentlichen Alltag auch leben mögen, so 'anders' definieren sie ihre Identität im Schutzraum der Familie: khertuno, die gruppeninterne soziale, kulturelle, sprachliche und spirituelle Heimat als Roma, bleibt auf das private Leben beschränkt.

Die Identität französischer Roma kann folglich als amalgame Hybrididentität beschrieben werden, die sich zwischen gruppeninterner und gruppenexterner Identität konstituiert und somit in einem Zwischenraum, einem third space im Sinne von Edward Soja (1996), anzusiedeln ist. Die identitäre Verortung ist grundsätzlich dual und kontextabhängig, wobei das dominante Heimat- bzw. Identitätsgefühl dynamisch ist und zwischen der Wahrnehmung Frankreichs als der 'anderen' Heimat (Nähe; das Alteritäre ist selbstbestimmt und von innen) und der 'fremden' Heimat (Distanz; Vorurteile und Diskriminierung führen zu Ausgrenzung von außen) changieren kann.12




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Eine Besonderheit für Roma in Frankreich ist die Tatsache, dass es mit dem in der Camargue liegenden Wallfahrtsort Saintes-Maries-de-la-Mer seit Mitte der 60er Jahre des 20. Jahrhunderts auf französischem Territorium einen Erinnerungsort der Roma gibt, der für eine zeitlich sehr begrenzte Zeit, nämlich jeweils am 24. Mai, zum spirituellen Heimatort der Roma wird.13 Die Vermischung kultureller und spiritueller Räume von Roma und gadje zu einem Zwischenraum wird hier besonders deutlich: Jährlich wird der kleine Ort für einige Tage von einem Lager-Gürtel von Tausenden von Roma umgeben, die mit ihren Wohnwagen und Campingbussen anreisen und ein nicht zuletzt auch für gadje touristisch höchst attraktives Fest um die Prozessionen und Messen zu Ehren der Schwarzen Sara, der Patronin der Roma, herum ausrichten. Am nächsten Tag finden die rituellen Feierlichkeiten zu Ehren der Dorfheiligen Maria Kleophae und Maria Salome statt. Sehr lokaler französischer oder besser provenzalischer Kult und transnationaler Roma-Kult verschmelzen hier – temporär stark begrenzt – zu einem eigenwilligen Amalgam.

Zu ähnlichen kulturellen Vermischungen zwischen In- und Outgroup kommt es im künstlerischen Bereich, wobei Roma-Künstler und -Autoren zwar stets auch eine amalgame Hybrididentität aufweisen, sich gleichzeitig jedoch auch als politisches Sprachrohr für die Belange ihrer Gruppe betrachten und sich deutlich als französische Roma inszenieren. Dies ist beispielsweise bei Baro Windrestein alias Baro Syntax der Fall. Von sich behauptet der Begründer des Gipsy-Hip Hop: "Je me sens manouche et français." (Vgl. Strassenburg 2014) Abgesehen von den Sommermonaten, wo er mit seiner Familie im Wohnwagen durch Frankreich zieht, wohnt er in einer Wohnung am Pariser Stadtrand. Seine Kinder verheimlichen im öffentlichen Leben ihre Roma-Identität, er hingegen propagiert ein stolzes Auftreten als Roma: Er hat ein T-Shirt-Label gegründet, das selbstbewusste Motti wie "Gitan fier" oder "Manouche pur souche" auf T-Shirts druckt.14 In seinen Liedern, die Swing in der Tradition Django Reinhardts, traditionelle Roma-Musik, Elektro-Beats und (französischen) Hip-Hop vermischen, rappt er von den unzähligen Vorurteilen und Diskriminierungen, denen Roma ausgesetzt sind,15 und in seinem wohl berühmtesten Titel "Gens de voyage" klagt er die Zwangsausweisungen osteuropäischer Roma offen an.

Auch die Werke des bereits genannten Malers Gabi Jiménez zeigen die Amalgamierung von Elementen der Roma-Kultur – etwa die Farbenfreude und zentrale Themen und Motive wie Musik, Naturelemente (Sonne, Mond) und Leben im Wohnwagen bzw. Lager – mit solchen der mehrheitsgesellschaftlichen Kunst, wobei die Referenzen auf Keith Haring, Pablo Picasso und Marc Chagall unverkennbar sind.

Für einige französische Roma-Künstler führt die Zwischenstellung an der Schnittstelle zwischen dem Roma-Kollektiv und der Mehrheitsgesellschaft aber auch zu identitären Dilemma-Situationen, die zu einem Gefühl sozialer Heimatlosigkeit führen können. Dies ist der Fall bei dem bereits genannten Alexandre Romanès. Die Roma-Kultur ist eine rein orale Kultur und kennt keine schriftlich fixierte Literatur: "Pourquoi j'ai écrit? L'écriture n'est pas une tradition gitane" (2004: 17), weiß Romanès und dennoch ging er seinem Drang nach, in der Nachfolge Jean Genets Gedichte zu schreiben. Das Gefühl der gruppeninternen wie gruppenexternen Ausgrenzung und des Zugehörigkeitsverlusts drückt er in einem seiner Gedichte aus:




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"Tu n'es qu'un gitan !"
C'est ce qu'ils pensent.
Je n'aurais peut-être jamais dû écrire.
J'ai trahi, j'avais tellement de choses à dire.
Je demande pardon à mon père,
À ma mère et à toute ma race. (Romanès 2004: 27)

Indem er sich in die französische Mehrheitskultur einschreibt (vgl. Bauer 2016: 164–175), entfernt er sich einerseits von der rein oralen Tradition seiner Gruppe und verliert damit zugleich einen Teil seiner gruppeninternen sozialen Heimat: "J'ai trahi", schreibt er und bittet Familie und Gruppe um Entschuldigung.16 Andererseits thematisiert Romanès in seinen Gedichten die fehlende Akzeptanz und Wertschätzung seines Schreibens als Beitrag zur französischen Dichtung seitens der 'anderen' ("ils"), d.h. der französischen Mehrheitsgesellschaft: "Tu n'es qu'un gitan! C'est ce qu'ils pensent".


Fazit

Verheimatung von Roma ist als aktiv gestalteter Prozess zu begreifen (vgl. Vicenzotti 2009). Heimat ist in Bezug auf die Roma allgemein als mentales, transnational-aterritoriales und primär soziales Konzept zu verstehen. In Bezug auf die Roma Frankreichs hat sich gezeigt, dass es sich um ein performatives Konzept handelt, das sich als dynamischer Austarierungsprozess zwischen einer gruppeninternen Partikularheimat als Mitglied des Minderheitenkollektivs und einer gruppenexternen Heimat als staatsbürgerliches Mitglied der französischen Kultur und Gesellschaft fassen lässt. Aufgrund der Dynamik und Prozesshaftigkeit der hybriden Identität französischer Roma kann Frankreich tatsächlich beides zugleich sein: Heimat und Fremde.

Im Kontext der starken Roma-Zuwanderung aus Osteuropa und einer grundsätzlich zunehmenden Xenophobie kommt es in der französischen Mehrheitsgesellschaft derzeit zu einer Re-Aktualisierung der latent stets präsenten, sich über Jahrhunderte im Sinne einer negativen longue durée perpetuierenden negativen Heterostereotype. Dieses neue Misstrauen gegenüber den zunehmend wieder als 'fremde' Franzosen wahrgenommenen Mitgliedern der Roma-Minderheit führt innerhalb der Ingroup ebenso zu einer verstärkten Abgrenzung und Rückbesinnung auf die eigene, 'andere' Kultur. Im Umkehrschluss bedeutet der Rückzug in die private Ingroup-Heimat, dass die französische Heimat dadurch 'fremd' wird.


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Anmerkungen

1 Für Einführungen in den Themenkomplex siehe z.B. Bastian (1995), Lobensommer (2003), Spellerberg/Kühne (2010).

2 Der Deutsche Zentralrat der Sinti und Roma lehnt die Flagge allerdings ab, da sie das Rad als Aufnahme des mehrheitsgesellschaftlichen Heterostereotyps für die ewige Wanderschaft der Roma betrachtet.

3 Bezeichnenderweise lautete der Titel des Pavillons "Paradise Lost" und verweist auf die 'verlorene' imaginativ-rekonstruierte Heimat der Roma. Zu dem von Tímea Junghaus kuratierten transnationalen Pavillon siehe: http://universes-in-universe.de/car/venezia/deu/2007/tour/roma/index.htm, 13.06.2017.

4 Im Vergleich liegt dieser Anteil für Deutschland bei nur 0,13%, in Spanien hingegen bei 1,63%. In osteuropäischen Ländern wie Rumänien, Mazedonien, Serbien, der Slowakei oder Ungarn liegen die Anteile allerdings mit jeweils zwischen 8 und 9% weitaus höher. Quelle: https://rm.coe.int/1680088ea9.

5 Genau lässt sich über das Wertesystem der einzelnen Roma-Gruppen jedoch nur sehr wenig sagen, da Roma nicht mit Nicht-Roma darüber sprechen und ein Tabubruch in der Regel zum Ausschluss aus der Gemeinschaft führt.




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6 Für eine literaturwissenschaftliche Lektüre des Romans siehe Blandfort (2015: 139).

7 Präzise gesagt handelt es sich um ein Wort des Sinte-Dialektes.

8 Diese neu nach Frankreich migrierten Roma leben vielfach in illegal errichteten Roma-Lagern in Industriebrachen oder anderen non-lieux der Peripherien französischer Städte und Gemeinden. Die Räumaktionen insbesondere dieser illegal errichteten Roma-Lager, die Sarkozy kurzerhand zu zones de non-droit und damit zu Räumen erklärte, die die innere Sicherheit gefährden, sind von beispielloser Menschenverachtung und Brutalität. Was 2009 unter Sarkozy begann, verbesserte sich – entgegen politischer Erwartungen an den Parti Socialiste – unter Hollande keinesfalls: Bereits im ersten Jahr von dessen Amtszeit stieg die Zahl der Zwangs-Abschiebungen von Roma auf mehr als das Doppelte. Damit zeigten beide Politiker ihre Bereitschaft, die heftige Kritik des Europäischen Parlamentes angesichts dieser Praxis für ihre gezielt populistisch wirksamen Maßnahmen in Kauf zu nehmen, allein um ihre Popularität bei den français de souche in wirtschaftlichen Krisenzeiten zu stärken. Wie sich die Zukunft unter Macron gestaltet, ist derzeit noch nicht abzusehen; sein grundsätzlich offener Kurs und sein Versprechen, sich für die Bevölkerung der quartiers sensibles einzusetzen, könnte auf Besserung der Verhältnisse hoffen lassen.

9 Weitaus mehr Roma leben hingegen als 'saisonale Nomaden', d.h. sie bewohnen irgendwo eine Wohnung oder ein Haus, arbeiten während der Sommermonate aber etwa als Schausteller oder unterhalten ein anderes fahrendes Gewerbe (vgl. Mappes-Niediek 2013: 57f.). Zudem ist die große Mehrheit der eigentlich sesshaft lebenden Roma zu nennen, die während der Ferien und Sommermonate nicht aus ökonomischen Gründen in Wohnwagen und Caravans durch Frankreich ziehen, sondern um Familienmitglieder zu besuchen oder um sich auf die Roma-Wallfahrt nach Saintes-Maries-de-la-Mer in der Camargue zu begeben.

10 Infolge der Loi Besson II aus dem Jahr 2000 sollten in Frankreich flächendeckend sogenannte aires d'accueil pour les Gens du voyage eingerichtet werden, um der 'anderen' Lebensweise derer, deren "habitat traditionnel est constitué par une résidence mobile" (Article I,1 de la Loi n°200-614 du 5 juillet 2000 relative à l'accueil et à l'habitat des gens du voyage) gerechter zu werden. Ferner sollte jede Gemeinde mit mehr als 5000 Einwohnern aires d'accueil permanentes einrichten. De facto wurden diese jedoch aufgrund des großen Widerstandes der ortsansässigen Bevölkerung bei weitem nicht von allen betroffenen Gemeinden geschaffen. Die nach außen hin mit Zäunen und Stacheldraht ab- und eingrenzenden Lagerplätze, sanitär und infrastrukturell oft vollkommen unterversorgt, sind aufgrund des Campierverbotes außerhalb der aires d'accueil vielfach überfüllt, so dass gerade in der Pariser Metropolregion zahlreiche illegale Roma-Lager entstehen.

11 Streck (2008: 22) führt aus, dass die Romagruppen als Teile der Mehrheitsgesellschaften wahrgenommen werden können, die – wenn auch nicht integriert – so doch "verbundene Teile eines asymmetrischen Verhältnisses" darstellen. Innerhalb dieses Systems gesellschaftlicher Asymmetrie können die klar konturierten Räume der Mehrheitsgesellschaft von den "undeutliche[n] Zwischenräume[n], Kontaktzonen, Freiräumen[n] und Niemandsländer[n]" (ebd.: 23) unterschieden werden, in denen Roma innerhalb der Gesamtgesellschaft zu situieren sind. Zu Strecks Verständnis des Begriffs 'Zwischenraum' siehe auch ders. (2005).

12 Je stärker Frankreich als kulturelle Heimat empfunden und gelebt wird, desto weniger hat das Konzept von Ingroup als partikulare Heimat Bedeutung, denn die Assimilation an die französische Mehrheitskultur und die Akzeptanz Frankreichs als alleinige Heimat führt zur Entfernung von, mitunter sogar zur Exklusion aus der Ingroup. Aufgrund der hybriden Identitätskonstruktion bedeutet dieser Ausschluss aus der internen Heimat tatsächlich Heimatlosigkeit.

13 Zu Geschichte und Ablauf der Roma-Wallfahrt in Saintes-Maries-de-la-Mer siehe z.B. Bordigoni (2002) und Rüthers (2012).

14 Auch sein Maskottchen, ein Igel – niglo auf Romanès –, zeigt seine enge Identifikation als Roma, bei denen dem Igel eine symbolische Bedeutung zukommt. Vgl. hierzu Blandfort (2015: 318–320) und Strassenburg (2013).

15 Vgl. hierzu das Interview von Weber (2012).

16 Die kulturelle Annäherung an die Mehrheitsgesellschaft und insbesondere das Schreiben über die Ingroup wurde sehr lange als absolutes Tabu betrachtet; eindrücklichsten Beispiel hierfür ist der Fall der polnischen Rom-Autorin Bronislava Wajs, bekannter als Papusza, die aufgrund der Veröffentlichung ihrer literarischen Texte aus der Gruppe verstoßen wurde (vgl. Fonseca 2003). Auch wenn literarisches Schreiben noch immer nicht von allen Gruppen(mitgliedern) akzeptiert wird, betrachtet ein Teil gerade der sesshaft lebenden französischen Roma vor dem Hintergrund der veränderten Lebensweisen literarische Texte über das traditionelle Leben als Möglichkeit der Wahrung des kollektiven Gedächtnisses.