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Marika Gazzella (Hamburg)



Houellebecqs Roman Soumission – Wertungsprobleme zwischen Trivial- und Höhenkammliteratur



Houellebecqs novel Soumission – valuation issues between trash and high literature
Ever since his first novel Extension du domaine de la lutte the French author Michel Houellebecq's writings are labelled "pornographic" and "misogynist" by literary intelligentsia and the audience. Furthermore, his novels are criticised for lacking in originality and for being stereotype-biased. There is a noticeable gap between those who consider Houellebecq's work excellent literature and those who conceive it as trash, especially in his newest novel Soumission. But where is the border between pornographic and erotic descriptions in literature and how does the representation of sexuality affect whether an author's work is conceived as artistic or trashy? Based on concrete literary criticism criteria (Dumont, Hügel, Eco) and clear definition of what pornography and eroticism are (Bataille, Faulstich) this article will analyse the sexual content of Soumission with regard to its literary quality.



Einleitung

Kurz nachdem im Januar 2015 Soumission, der neue Roman des französischen Skandalromanciers und Dichters Michel Houellebecq, veröffentlicht wird, beginnt erneut die traditionsreiche Debatte um dessen schriftstellerische Qualität (siehe Ollivier 1998). Diesmal werden an seinem neusten Werk vor allem Stereotypen- und Klischeelastigkeit sowie die vermeintlich sinnfreie Aneinanderreihung pornografischer Sexszenen kritisiert. So bemängelt Étienne De Solages:

[…] l'auteur a tendance à tomber dans la "littérature porno", décrivant sur des dizaines de lignes les ébats de son personnage avec diverses prostituées, ce qui n'apporte pas grand-chose à l'histoire, et révèle l'état d'esprit de Houellebecq. Bien dommage. (De Solages 2015)

Zwar sei der Sinn des Romans, nämlich die Kritik an der westlichen Dekadenz und dem damit einhergehenden menschlichen Elend, durchaus erkennbar, doch ließe der Autor dabei nichts als Klischees aufleben:

A force de vouloir nous faire percevoir, à tout prix, la décadence de l'Occident et la misère de l'homme, l'auteur en arrive à réchauffer nombre de clichés qui lui sont chers et qui émaillent ses précédents romans : les obsessions sexuelles […]. (Saint Hilaire 2015)




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Auf deutscher Seite fällt die Polemik nicht milder aus. In ihrem Artikel "Der Sensor blinkt, aber die Poesie ist kaputt. Michel Houellebecqs Unterwerfung" beklagen Hanna Engelmeier und Pierre-Heli Monot ebenfalls die dem Roman innewohnende, ihrer Meinung nach misslungene sexuelle Provokation sowie die inkohärente, willkürliche Verknüpfung der Themenkomplexe Sex, Religion und Literatur:

Immer noch keine Liebe in Houellebecqhausen; dafür aber Sex-Szenen mit der Provokationsamplitude einer Schülerzeitung (muslimische Escort-Girls nehmen François Hoden in den Mund usw. usw.). […] Ad acta. 2015 ist bei Houellebecq: Péguy, schwachmatische Pornografie, Agathe Novak-Lechevalier, le Goncourt, Huysmans, funkelnde Augen, ein bisschen Islam. So möchten wir bitte nicht mehr angetextet werden. (Engelmeier / Monot 2015)

Doch inwieweit sind die Vorwürfe der sinnlosen Pornografie, der Stereotypie und des misslungenen Diskurswechsels im Roman Soumission gerechtfertigt?1 Ist das Werk aufgrund dieser Merkmale sowohl stilistisch als auch inhaltlich der trivialliterarischen Kategorie zuzuordnen oder erfüllen genau diese Strategien eine tragende Funktion für die Handlung und die Konstitution des Protagonisten im Sinne der Höhenkammliteratur? Um diesen Fragen auf den Grund zu gehen, werden zunächst in den theoretischen Vorüberlegungen trivial- und höhenkammliterarische Kriterien erhoben. Des Weiteren werden die Begriffe Pornografie, Obszönität und Erotik voneinander abgegrenzt, sodass die Sexszenen des Romans im anschließenden Hauptteil klassifiziert werden können. Unter Rückbindung an die körperlichen und soziopathologischen Aspekte des misanthropischen Protagonisten François wird anschließend die am Roman bemängelte Darstellung von Sexualität in Hinblick auf Sinnhaftigkeit, Einbettung in die Rahmenhandlung und figurenkonstituierende Funktion untersucht. Für die inhaltliche und sprachliche Interpretation werden neben den zuvor definierten trivial- und höhenkammliterarischen Kriterien psychologisch-rezeptionsästhetische und philosophische Aspekte sowie soziohistorische Fakten hinzugezogen, da diese weitere mögliche Deutungsweisen der literarischen Strategien Houellebecqs erschließen. Abschließend wird anhand der Untersuchungsergebnisse diskutiert, inwiefern die vorangestellten Polemiken haltbar sind, ob eine eindeutige Zuordnung des Romans Soumission ins Trivial- oder Höhenkammliterarische möglich ist und welche Wertungsprobleme diese Klassifizierung potenziell mit sich bringt.


Pornografie, Obszönität und Erotik

Eine eindeutige Definition dessen zu geben, was Pornografie ist, gestaltet sich aufgrund der soziohistorischen Prägung des Begriffs und des sich stetig vollziehenden gesellschaftlichen Wertewandels als ein schwieriges Unterfangen. Zunächst einmal ist etymologisch zu klären, aus welchen Komponenten sich der Begriff der Pornografie zusammensetzt, nämlich aus den griechischen Morphemen porne, dt. 'Hure', und graphein, 'das Schreiben' oder auch 'die Beschreibung' (vgl. Kluge / Seebold 2002: 713). Daraus folgert Bettina Bremme, dass Pornografie das 'Schreiben über Huren sowie die 'Hurenbeschreibung' umfasst (vgl. Bremme 1990: 5). Nach juristischer Definition stellt die Pornografie das Sexuelle in drastischer Direktheit dar, in einer "den Sexualtrieb aufstachelnden, die Geschlechtlichkeit in den Schmutz ziehenden oder lächerlich machenden Art und Weise" (Fischer u.a. 2016: § 184 Rz.7). Dabei werde der Mensch zum bloßen, auswechselbaren Objekt geschlechtlicher Begierde oder Betätigung jedweder Art degradiert. Unter Einbezug der Definition von Brockhaus fasst Herbert Selg die Pornographie schließlich als "künstlerisch wertlose, das Obszöne betonende Darstellung geschlechtlicher Vorgänge in Wort und Bild" zusammen (Selg 1986: 24). Im Zusammenhang mit Pornografie impliziert das Obszöne nach Paul Englisch die absichtliche Reizung der "Geschlechtsnerven" des Rezipienten im bewussten Gegensatz zur herrschenden Moral (vgl. Englisch 1987: 5f.).2 Was jedoch als obszön gilt, richtet sich nach kultureller, ethnischer sowie religiöser Zugehörigkeit und kann individuell unterschiedlich empfunden werden (vgl. Wahrig / Wahrig-Burfeind 1999: 647). Zwar können Pornografie und Obszönität gepaart auftreten, weswegen sie häufig als Synonyme verwendet werden, doch weder das Obszöne ist zwangsläufig pornografisch,3 noch ist Pornografie unweigerlich obszön.4 Der Eindruck von Obszönität wird durch die Überschreitung einer Grenze, also einen Tabubruch erweckt, der nicht zwangsläufig sexuell erregender Natur ist, sondern auch mit Scham und Ekel verbunden sein kann (vgl. Marcuse 1962: 11).




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Der Medienwissenschaftler Werner Faulstich grenzt in seiner Definition die Pornografie deutlich von der Erotik ab, indem er drei wesentliche Unterscheidungskriterien aufstellt: Damit ein Werk als pornografisch gilt, muss es erstens "explizit detailliert", zweitens "fiktional wirklich" und drittens "szenisch narrativ" sein (1994: 10). Bezeichnend ist nach Faulstich für das pornografische Werk, dass die darin enthaltenen Sexszenen in eine bloß rudimentär entwickelte Rahmenhandlung mit zweckmäßig konstruierten Schauplätzen eingebettet sind (ebd.: 206f.). Darüber hinaus werde keine Spannung aufgebaut, da es zwischen den Figuren sofort "ums Eingemachte" ginge (ebd.) und diese aufgrund fehlender Charakterisierungen auf ihre Geschlechtlichkeit reduziert seien. Des Weiteren werde im Gegensatz zur erotischen Darstellung, in der ein Sexualakt gespielt sein kann, im pornografischen Werk der Akt faktisch vollzogen und gezeigt. Da es sich dabei jedoch nicht um eine spontane Handlung, sondern um eine Inszenierung handele, bezeichnet Faulstich dieses Charakteristikum als "fiktional wirklich" (ebd.: 16). Das Kriterium des "szenisch Narrativen" meint den Rekurs auf genrespezifische Konventionen, die im Falle der Pornografie darauf abzielen ein Szenario zu entwerfen, das die sexuellen Fantasien des potentiellen Rezipienten integriert. Innerhalb des pornografischen Genres entspräche dies primär sexuell motivierten Protagonisten und deren Einbettung in episodisch strukturierte Handlungen in einer fingierten Welt.

Was die ästhetische Gestaltung betrifft, seien im pornografischen Film "Nahaufnahmen" typisch, sodass durch die visuelle Zerlegung des Körpers in seine Einzelteile das Gesamtbild nicht erkennbar sei (ebd.: 18). Da beim Lesen, anders als beim Sichten von Bildmaterial, die pornografische Wirkung nicht primär visuell, sondern sekundär im Prozess der bildhaften Vorstellung des Gelesenen eintreten kann, würden sich für die vorliegende literaturwissenschaftliche Ausarbeitung die Aspekte der "Nahaufnahmen" und der "visuellen Zerlegung" analog durch 'detaillierte Beschreibungen gegebenenfalls einzelner Körperteile' ersetzen lassen. Darüber hinaus kann nach Faulstich das pornografische Werk in der Manier einer "Ästhetik des Hässlichen" (ebd.: 208f.) vorgeführt werden oder in den "Diskurs der Wollust" (ebd.: 209f.) eingebettet sein. Unter die "Ästhetik des Hässlichen" fallen nach Faulstich klischeehafte und stereotype Repräsentationen, in welchen das Triebhafte über den Geist triumphiert. Dabei würden die Figuren abstoßend und hässlich in Szene gesetzt werden, sodass die sexuelle Darbietung schlecht gemacht wirke (ebd.: 208f.). Mit dem "Diskurs der Wollust" meint der Medienwissenschaftler die auffällige Markierung des Genusses, welcher sich auf Seiten der weiblichen Akteure in demonstrativem Stöhnen ausdrückt. Die weibliche Demonstration von Lust fungiere in der Pornografie als wichtiges Vehikel der Rezipientensteuerung, denn so werde dem männlichen Rezipienten, der sich beim Zusehen mit dem männlichen Darsteller identifiziere, die Bestätigung zuteil, ein guter Liebhaber zu sein. Der weiblichen Rezipientin hingegen suggeriere eine solche Darbietung die Möglichkeit zur grenzenlosen Befriedigung durch den Sexualakt (ebd.: 209f.).

Inwieweit lässt sich nun die Erotik inhaltlich und stilistisch von der Pornografie abgrenzen? Hans-Bernd Brosius merkt an, dass mit Erotik "besonders gefühlsbetonte Darstellungen assoziiert" werden (Brosius 1992: 139). Im Gegensatz zur Pornografie agiere die Erotik subtiler, indem sie den Sexualakt lediglich andeute oder verschleiert darstelle (vgl. Lo Duca 1977: 12). Vor allem geht es in der Erotik nach Georges Bataille um die "Auflösung konstituierter Formen" (1994: 21). Nach seiner Auffassung birgt die erotische, körperliche Vereinigung stets den Übergang von der "Diskontinuität" zur "Kontinuität",5 also eine "Entindividualisierung" und damit den Tod beider Individuen in sich (ebd.: 16). Da der Mensch trotz der Sehnsucht nach "Kontinuität" mit einem gewissen Egoismus ausgestattet sei, um sein Überleben zu sichern, ließe sich sein Innerstes nur so weit auf die "Kontinuität" ein, wie es sie ertragen könne.6 Dadurch sei es dem Individuum möglich, trotz der körperlichen Vereinigung mit einem anderen Wesen seine "Diskontinuität" zu wahren, also nicht der endgültigen Konsequenz der Enteignung seines Körpers und damit dem Tod seiner Individualität zum Opfer zu fallen (ebd.: 20f.). Zusammenfassend ist das bataillesche Konzept der Erotik zutiefst ambivalent besetzt, da die Liebenden einerseits die Verschmelzung zur Einheit, also den Selbstverlust wünschen, ihn jedoch gleichzeitig fürchten (vgl. ebd.: 22). Der wichtigste Aspekt der Erotik nach Bataille besteht allerdings im Genuss des bewussten Sündigens: Die Angst, die sich im Menschen einstellt, wenn er bewusst ein Verbot überschreitet, wirke sich ungemein luststeigernd aus und verfestige das überschrittene Verbot umso mehr (vgl. ebd.: 40f.). So definiert der Philosoph die Erotik als "das Jasagen zum Leben bis in den Tod" (ebd.: 13), als eine selbstzerstörerische Tendenz des Menschen, seine gefährliche Sehnsucht nach Enteignung und seinen inneren Kampf zwischen der Einhaltung und dem Verlangen nach der lustvollen Überschreitung der geltenden Verbote.




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Trivial- und Höhenkammliteratur

Wie ist es nun um die künstlerische Qualität pornografischer Werke bestellt? Nach Sigmund Freud sind Kunst und Wissenschaft – zusammenfassend die Errungenschaften der Zivilisation – Ausdruck von Sublimierung. Durch die Umlenkung der Triebwünsche auf eine kulturelle Beschäftigung wirke sich die Sublimierung dämmend auf die erotischen Triebfantasien des Rezipienten aus. Dieser Kunstästhetik zufolge wären Pornografie (da sie auf die sexuelle Erregung des Lesers abzielt) und Kunst (als Umlenkung der sexuellen Triebe auf das Kulturelle) nicht miteinander vereinbar. Auch Immanuel Kant betrachtet die sinnlich aufreizende Wirkung eines Werkes als eine Gefährdung dessen künstlerischer Integrität, da die ästhetische Autonomie der Kunst im Moment des "interesselosen Wohlgefallens" liege. Beim Rückgriff auf aufreizendes oder rührendes Inventar verschiebe sich das "interesselose Wohlgefallen" zum "Wohlgefallen am Angenehmen", was wiederum einer subjektiven Beliebigkeit unterstünde und nichts über die Schönheit des Werks aussagen könne (vgl. Kant 1977: 281). Unter dieser Prämisse wendet sich Jean Paul Richter ebenfalls gegen ein sensualistisches Kunstkonzept:

Der stärkste Einwand gegen die Ausmalerei der sinnlichen Liebe ist kein sittlicher, sondern ein poetischer. Es gibt nämlich zwei Empfindungen, welche keinen reinen freien Kunstgenuß zulassen, weil sie aus dem Gemälde in den Zuschauer hinabsteigen und das Anschauen in ein Leiden verkehren, nämlich die des Ekels und die der sinnlichen Liebe. Freilich postuliert man für letzte das Gegenteil vom Zuschauer – man geb' ihm aber auch vorher eine Handvoll dünnes Silberhaar dazu und ein sedates Alter von 80 Jahren. (Richter 1973: 427)

Die trivialisierende Wirkung des Pornografischen liegt den vorangestellten Argumenten zufolge also in der Ablenkung des Rezipienten von einer interesselosen Kunstwahrnehmung begründet. Doch welche Kriterien muss ein literarisches Werk noch erfüllen, um sich des Trivialitätsverdikts schuldig zu machen? Bereits seit 1855 belegt, wird der Begriff "Trivialliteratur" von Marianne Thalmann (1923) erstmals in die Terminologie der Literaturwissenschaft eingeführt und gerät schließlich in den 60er Jahren verstärkt in den Fokus literaturwissenschaftlicher Forschung (vgl. Lambrecht 2006: 13). Unter Rückbezug auf die Etymologie des Adjektivs "trivial" (wörtlich 'Kreuzung dreier Wege', von tri – 'drei' – und via – 'Weg') deutet Laurenz Volkmann jenes als trivial, das auf der Straße gehandelt wird (Volkmann 1998: 540). Ähnlich wertend verhält es sich mit Gero von Wilperts Auslegung von trivial und trivium als die 'dritte' und somit unterste Kategorie in der Literatur (Wilpert 1989: 970). Insgesamt ist der Begriff "Trivialliteratur" pejorativ konnotiert, hat sich als Antonym zur Höhenkammliteratur etabliert (vgl. Bürger 1982: 119f.) und umfasst diverse literarische Subgruppen wie Schundliteratur, Pornografie, Groschenromane, Gelegenheitslyrik sowie Volksdramen (ebd.: 21).

Zur konkreten Unterscheidung von Trivial- und Höhenkammliteratur bezieht sich Walter Nutz unmittelbar auf den Aspekt des Adressaten. Dabei betrachtet er Frauen- sowie Wildwestromane, kurz: den Leihbüchereiroman, als ein Beispiel par excellence für Trivialliteratur. Der Autor nehme dabei vordergründig die Funktion eines "Produzenten" ein, welcher sein Werk an den vorgegebenen Geschmack eines bestimmten Publikums anpasse (vgl. Nutz 1962: 16).7 Während die Trivialliteratur nach Nutz und Umberto Eco also als "Konsumliteratur" fungiert, werde Hochliteratur primär aus künstlerischen Absichten, gemäß der Kunstauffassung des Poeten verfasst, ohne konformistisch auf die Wünsche des Lesers einzugehen. Walther Killy setzt Trivialliteratur kurzerhand mit Kitsch gleich8 und Hans Schwerte (1968: 154f.) behauptet zusätzlich, dass sie 'antiaufklärerisch' sei. Am Beispiel eines Gedichts von Friederike Kempner definiert Horst Lambrecht Kitsch als den Versuch, klassisch-romantische Dichtung nachzuahmen und dabei auf "falsche Metaphorik" und "pseudolyrische Sprache" zurückzugreifen (vgl. Lambrecht 2006: 16).9




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Trivialität und Kitsch manifestieren sich nach diesen Definitionen sowohl auf der discours- als auch auf der histoire-Ebene. Inhaltlich identifiziert Hans-Otto Hügel folgende Merkmale als typisch trivialliterarisch: Die Beförderung von Scheinproblematik, die Schematisierung und Klischeeisierung sowie die Überschneidung von Banalität und Preziosität (vgl. Hügel 2003: 282). Weitere Charakteristika seien die unkreative Nachahmung vorgegebener Muster, das Fehlen einer kritischen und ironischen Distanz sowie das gepaarte Auftreten von unkritischer Naivität mit Ernsthaftigkeit (vgl. ebd.). Hügels Kriterienkatalog lässt sich noch um die Trivialitätsaspekte Altrud Dumonts (1986: 1915–1921) ergänzen. Zum einen ist das die Beschränkung auf Inhalte, die lediglich an das "Alltagsbewusstsein" des Lesers appellieren, statt ihm ein vertiefendes, "theoretisches Bewusstsein" abzuverlangen,10 zum anderen eine vorwiegend "deskriptive" statt einer "konzeptualisierenden" Schreibhaltung des Autors.11 Weitere Indizien für das Vorliegen eines trivialliterarischen Werks seien die "völlig konforme" statt einer "nonkonformen" Autorenposition sowie die Suggestion einer "distanzlosen" Rezipientenhaltung statt der Förderung einer "rational-distanzierten", "kritisch-reflektierenden" Lesart.12 Ein letztes Merkmal, welches Dumont für die Unterscheidung zwischen Trivial- und Hochliteratur aufführt, ist die "Automatisierung" anstelle von "Innovation". Der Trivialliteratur mangele es weitestgehend an Originalität, an intertextuellen Verweisen sowie an metafiktionalen Elementen, während sich die Hochliteratur durch innovative Darstellungsweisen und Themen sowie eine originelle sprachliche Gestaltung auszeichne (vgl. ebd.: 1921).


Soziopathologie

Der einzige Freund und treue Gefährte von Houellebecqs Protagonisten ist der längst verstorbene Autor Joris Karl Huysmans (vgl. S: 11), über dessen Werke der Literaturprofessor sieben Jahre lang promovierte. François' Einsamkeit und Depression wird bereits durch das emblematische Zitat aus Huysmans' En route zu Beginn des Romans überdeutlich:

"Je suis bien dégoûté de ma vie, bien las de moi, mais de là à mener une autre existence il y a loin ! […] Au fond, […] j'ai le cœur racorni et fumé par les noces, je ne suis bon à rien." J. K. Huysmans En route (S: 9 [=im Motto zum ersten Kapitel von Soumission])

Beide Figuren sind grundsätzlich Atheisten (vgl. S: 49), von ihrem Leben 'degoutiert' (vgl. S: Incipit sowie 207 und 220) und unterziehen sich im Zuge eines Sinneswandels im mittleren Alter einer Konversion. Zwar konvertiert Huysmans zum Katholizismus, während François vorhat, zum Islam zu konvertieren, allerdings ähneln sich die Figuren in ihren Motiven: Sie leiden angesichts ihres fortschreitenden Alters unter ihrem Junggesellenstatus und der damit einhergehenden Unerreichbarkeit bürgerlichen Glücks wie der Hausmannskost und der Häuslichkeit (vgl. S: 281). Die kontinuierlichen Verweise des Erzählers auf den dekadentistischen Autor sowie deren Parallelen hinsichtlich ihres Werdegangs und Charakters deuten auf die Konstellation beider als Komplementärfiguren hin: "Ma vie en somme continuait, par son uniformité et sa platitude prévisibles, à ressembler à celle de Huysmans un siècle et demi plus tôt." (S: 18)




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Mithilfe eines metascripturalen Diskurses offenbart François bereits auf den ersten Seiten des Romans sein persönliches Erzählmotiv. So behauptet er, dass sich ein Mensch in einem persönlichen Gespräch niemals so ausliefern könne wie einem unbekannten Empfänger auf einem leeren Blatt Papier (vgl. S: 13). Wie aus dem weiteren Verlauf des Romans hervorgeht, befindet sich der Protagonist trotz Depression, Einsamkeit und Alkoholismus nicht in psychotherapeutischer Behandlung, sodass seine Erzählung als an einen fremden Leser gerichtete, seelenhygienische Maßnahme gedeutet werden kann. Durch die Regelmäßigkeit und die Datierung seiner Einträge, die unzuverlässige Erzählweise sowie das Fehlen eines namentlich ausgewiesenen Adressaten und die Erzählform im Präteritum wirkt der Roman wie ein Tagebuch. Ganz in der Tradition der Houellebecqschen Romanprotagonisten hat auch François keinen Kontakt zu seinen Eltern. Der Vater lebt mit seiner neuen Lebensgefährtin in einem luxuriösen Chalet im Écrins-Massiv, während die Mutter in Nevers mit ihrer französischen Bulldogge einsam dahindarbt. Der Egoismus der Eltern und die daraus resultierende Kluft zwischen Eltern und Sohn scheinen unüberwindbar. Trotz deren fortgeschrittenen Alters und der damit einhergehenden Gewissheit, dass sie bald aus dem Leben scheiden werden, scheint sich unter keinen Umständen eine Verabredung arrangieren zu lassen:

Les deux babyboomers avaient toujours fait preuve d'un égoïsme implacable, et rien ne me portait à croire qu'ils m'accueilleraient avec bienveillance. La question de savoir si je reverrais mes parents avant leur mort me traversait parfois l'esprit, mais la réponse était à chaque fois négative, et je ne croyais même pas qu'une guerre civile puisse arranger l'affaire, ils trouveraient un prétexte pour refuser de m'héberger ; ils n'avaient jamais été, sur cette question, à court de prétextes. (S: 73)

Die Reaktion angesichts des Todes seiner Eltern fällt bei François dementsprechend nüchtern aus: Er nimmt die Nachricht mit einer Meursault-ähnlichen impassibilité entgegen, es fließen weder Tränen noch bringt der Erzähler anderweitig sein Bedauern zum Ausdruck.13 Von kitschigen, rührseligen Elementen sowie dem unverhältnismäßigen Einsatz lyrisierender Formulierungen nach Killy und Hügel ist der Duktus des Protagonisten weit entfernt. Im Gegenteil: als der Protagonist erfährt, dass sich niemand, weder Bekannte noch Verwandte, um die bereits mehrere Wochen fällige Bestattung gekümmert haben, scheint er besorgter um die französische Bulldogge als um seine Mutter: "[…] je me demandai ce qu'avait pu devenir son bouledogue français (SPA, euthanasie directe?)" (S: 175). Allgemein scheint der Tod anderer Menschen François kaum zu tangieren. Selbst als er während seiner Flucht nach Südfrankreich an einer Tankstelle drei Leichen vorfindet, berichtet er weder von Gefühlen der Panik noch des Ekels. Statt zu versuchen, den Puls der niedergestreckten Körper zu ertasten oder die Polizei zu verständigen, nimmt sich der Protagonist in gewohnt indifferenter Manier ein Thunfisch-Sandwich, ein alkoholfreies Bier und einen Michelin-Hotelführer aus dem Regal des Geschäfts und setzt ungerührt seine Reise fort (vgl. S: 129f.). Nur wenige Wochen nach dem Tod seiner Mutter wird François über den Tod seines Vaters verständigt, woraufhin er wegen Erbschaftsangelegenheiten einen Termin mit einem Notar und der Lebensgefährtin des Verstorbenen in Briançon vereinbart. Im Gespräch mit dessen Lebensgefährtin Sylvia wird François bewusst, wie schlecht er seinen Vater kannte. So erfährt er entgegen seiner Überzeugung, dass sein Vater ein geselliger, beliebter Mann sowie ein leidenschaftlicher Jäger war und eine langfristige Beziehung zu seiner 25 Jahre jüngeren Lebensgefährtin geführt hatte (vgl. S: 192f.). Die Tatsache, dass seinem Vater trotz seines hohen Alters und des damit verbundenen körperlichen Verfalls von einer wesentlich jüngeren, gut situierten Frau Liebe entgegengebracht wurde, schockiert den Protagonisten zutiefst. Ausgehend von der Weltsicht, dass sich der Wert einer Person einzig nach ihrem Alter, ihrer optischen Attraktivität und ihres finanziellen Status bemisst, entzieht sich die Liebesgeschichte zwischen seinem Vater und Sylvia völlig seinem Verständnishorizont:




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Je n'arriverais jamais à comprendre les femmes, cela m'apparaissait avec une évidence croissante. On avait affaire à une femme normale, et même d'une normalité presque exagérée ; pourtant, elle avait réussi à trouver quelque chose chez mon père ; quelque chose que ni ma mère ni moi n'avions décelé. […] Chez cet homme âgé, ordinaire, elle avait su, la première, trouver quelque chose à aimer. (S: 194)

Doch François' vom Jugendkult pervertierte Denkweise beschränkt sich nicht nur auf die Bewertung seiner selbst oder seiner Familienangehörigen: Höchst kritisch, teils karikierend, zerlegt der Erzähler vor seinem geistigen Auge seine Mitmenschen, beschreibt ihre äußere Erscheinung, im Falle der Frauen auch die spekulativen Rundungen unter ihrer Kleidung und schließlich das Aussehen ihrer primären sowie sekundären Geschlechtsmerkmale. In der Beschreibung seiner ehemaligen Partnerin Aurélie lässt der Erzähler keine Gnade walten. Dabei ist sein Urteil nicht nur wegen der Wortwahl, sondern auch durch die visuelle Hervorhebung des Verbs mittels Kursivdruck vernichtend:

[…] elle avait morflé, son corps avait subi des dommages irréparables, ses fesses et ses seins n'étaient plus que des surfaces de chair amaigries, réduites, flasques et pendantes, elle ne pouvait plus, ne pourrait jamais plus être considérée comme un objet de désir. (S: 22, Hervorhebung im Original)

Wie François hingegen aussieht, erfährt der Leser an keiner Stelle des Romans, denn er beschreibt weder seine Kleidung, noch macht er Angaben über seine Körpergröße, Augen- oder Haarfarbe. Ob der Protagonist selbst also zum attraktiven und somit konkurrenzfähigen Teil der von ihm als sexualkapitalistisch beschriebenen Welt zählt oder er sich aufgrund seines unmäßigen Alkohol- und Zigarettenkonsums optisch heruntergewirtschaftet hat, bleibt für den Rezipienten ungewiss. Abgesehen von seinem Zweifel an der heteroromantischen Liebe hält François auch die bedingungslose Liebe in Eltern-Kind-Beziehungen für illusorisch, beruhte sie doch nach der These Da Silvas lediglich auf der Vermittlung von Fähigkeiten und der Übertragung des Erbes (vgl. S: 203).14

Ungeachtet François' berufsbedingten humanistischen Hintergrunds ist sein Denken von zahlreichen Geschlechter- und Rassenstereotypen sowie Klischees durchzogen. Ausgehend von der äußeren Erscheinung seiner Mitmenschen sowie deren Alter und Geschlecht stellt der Erzähler verallgemeinernde Thesen an. So klassifiziert er beispielsweise Chantal Delouze, die resolute Präsidentin der Universität Sorbonne III, aufgrund ihres 'Igelhaarschnitts' als 'hundertprozentige Kampflesbe', die vermutlich Männer hasse und ihnen gegenüber Dominanzfantasien hege (vgl. S: 29). Unter anderem behauptet er, alle Menschen würden Sushi mögen (vgl. S: 42) und dass Männer nicht in der Lage seien, zu lieben, da sie Liebe mit Dankbarkeit für die ihnen von der Frau bereitete, sexuelle Lust verwechseln würden (vgl. S: 39). Auch in den vertraulichen Gesprächen mit seiner Liebhaberin Myriam kann sich der Protagonist seine inneren, machistischen Kommentare nicht verkneifen:




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[…] plusieurs fois je l'avais croisée à la fac et elle m'avait jeté un regard qu'on pouvait qualifier d'intense, mais elle avait toujours eu un regard intense à vrai dire, même lorsqu'il s'agissait de choisir un après-shampoing, il ne fallait pas que je me monte la tête […]. (S: 38)

D'ailleurs elle avait légèrement écarté les cuisses en attendant ma réponse, c'était le langage du corps ça, on était dans le réel. (S: 42)

Dabei dehnt sich seine stereotype Denkweise ins Misogyne aus, etwa wenn er postuliert, es entspräche dem Naturell aller Frauen, selbst dem der größten 'Dirnen', mit der Zeit zu Hausfrauen zu werden (vgl. S: 95) sowie dass er es für keine gute Idee halte, Frauen das Wahlrecht und den gleichberechtigten Zugang zu Bildung und Beruf zu gewähren (vgl. S: 41). François' Soziopathologie manifestiert sich nicht nur in seiner kommunikativen Unlust, sondern auch in seiner sexuellen Egozentrik. So stellt er sich den Geschlechtsverkehr für beide Parteien 'gern als befriedigend vor' (vgl. S: 19) und die einzige Reflexion, die er über die Funktionsweise der weiblichen Libido anstellt, ist:

La situation des femmes était peut-être légèrement différente, l'impulsion érotique chez les femmes étant plus diffuse et partant plus difficile à vaincre, mais enfin je n'avais vraiment pas le temps d'entrer dans des détails […]. (S: 280)

Zusammenfassend resultieren sein kategorischer Unglaube an die Liebe und die damit verbundene Misanthropie zum einen aus seinen miserablen Familienverhältnissen und zum anderen aus seinen eigenen, kurzlebigen Beziehungen, die durch seine Partnerinnen stets mit der Standardfloskel 'ich habe jemanden kennengelernt' (vgl. S: 20) beendet werden. Insgesamt wird François von seiner Geliebten Myriam nicht als deprimiert, sondern 'irgendwie schlimmer', als eine Person, die eine 'anormale Ehrlichkeit' und Unfähigkeit an sich habe, 'all die Kompromisse einzugehen, die den Leuten letztendlich erlauben würden zu leben', beschrieben (vgl. S: 43). Zu Freundschaft und Sympathie scheint der Protagonist ebenfalls keinen Zugang zu haben, da ihn seine Mitmenschen, besonders jüngere, außerhalb seiner sexuellen Kontakte zutiefst anwidern. Es sind vor allem der Elan, die Vitalität und das Aufständische in jungen Menschen, die ihm zu schaffen machen.

[…] je n'aimais pas les jeunes – et je ne les avais jamais aimés, même du temps où je pouvais être considéré comme faisant partie de leurs rangs. L'idée de jeunesse impliquait me semblait-il un certain enthousiasme à l'égard de la vie, ou peut-être une certaine révolte, le tout accompagné d'une au moins vague sensation de supériorité par rapport à la génération que l'on était appelé à remplacer; je n'avais jamais, en moi, rien ressenti de semblable. L'humanité ne m'intéressait pas, elle me dégoûtait même, je ne considérais nullement les humains comme mes frères […]. Pourtant, en un sens déplaisant, je devais bien les reconnaître, ces humains étaient mes semblables, mais c'était justement cette ressemblance qui me faisait fuir. (S: 207)




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Trotz seiner Misanthropie lässt sich François' Lebensstil als relativ permissiv bezeichnen. Obwohl er seinen Arbeitskollegen Steve weder sonderlich mag noch fachlich viel von ihm hält, begleitet er ihn regelmäßig nach den abgehaltenen Seminaren an der Universität auf einen Tee in die Große Pariser Moschee. Wegen der Speisen und des Alkohols überwindet sich der Protagonist sogar zum Erscheinen zu universitären Fachtagungen und internen Feiern, wo er sich zu höflichem Smalltalk durchringt. Innerlich tut sich François nämlich schwer, sich adäquat in Gespräche einzubringen, was sich darin ausdrückt, dass er sich permanent um seine diskursiven Fähigkeiten sorgt:

[…] j'éprouvai des difficultés croissantes, qui devinrent vite insurmontables, à maintenir un niveau raisonnable de communication chaleureuse. (S: 21)

'Ils ne vont pas attendre les élections pour faire ça ?' demandai-je après avoir goûté une première bouchée, ça me paraissait une bonne question. 'Les élections ? Les élections, pour quoi faire ? Qu'est-ce que ça peut y changer ?' Apparemment, ma question n'était pas si bonne que ça. (S: 36)

Die zustande kommenden Dialoge schildert der Protagonist – da gelangweilt oder zu stark alkoholisiert – unzuverlässig, indem er die Aussagen seiner Kommunikationspartner verkürzt und in indirekter Rede wiedergibt. Bei lästigen, uninteressanten Informationen oder Aspekten, mit denen er sich nicht identifizieren kann, schweift François gedanklich ab oder beendet seine Reflexionen abrupt: "Pour différentes raisons psychologiques que je n'ai ni la compétence ni le désir d'analyser, je m'écartais de ce schéma" (S: 12). Seine eigenen Gedanken formuliert der Erzähler hingegen vollständig aus und übermittelt sie zudem häufig vulgär an den Leser. Seine Gedankenströme enthalten zahlreiche, in Klammern gesetzte Kommentare, durch Kursivdruck gekennzeichnete zu betonende Einheiten sowie durch Gedankenstriche markierte, spöttische Interjektionen:

Sortant de mon cours (en quoi les deux vierges en burqa pouvaient-elles être intéressées par Jean Lorrain, ce pédé dégoûtant, qui se proclamait lui-même enfilanthrope ? leurs pères étaient-ils au courant du contenu exact de leurs études ? la littérature avait bon dos), je tombai sur Marie-Françoise, qui émit l'idée de déjeuner ensemble. Ma journée serait, décidément, sociale. (S: 35, Hervorhebung im Original)




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Indem er den französischen Schriftsteller Jean Lorrain als 'widerliche Schwuchtel' bezeichnet, offenbaren sich die Homophobie und politische Unkorrektheit15 des Protagonisten. Des Weiteren zeigt sich an dieser Stelle, wie der Erzähler beiläufig intertextuelle Anspielungen einstreut: Das Detail über Jean Lorrain, nämlich, dass dieser sich selbst als 'Fickanthrop' betitelt hätte, entspricht den Tatsachen (siehe Normandy 1928: 133f.). Im Fall von Marine Le Pen, die im Roman als Vorsitzende des Front National vorkommt, sowie bei Jean Lorrain handelt es sich um in der Realität existierende Personen, sodass Fiktion und Realität miteinander verwoben werden. Mit diesen markanten Stilmerkmalen geht auch ein radikaler Diskurswechsel in François' Erzählweise einher, etwa wenn er abrupt zu philosophischen Theorien von Nietzsche wechselt oder vor seinem geistigen Auge Huysmans zitiert, um die Aussagen seiner Gesprächspartner zu analysieren oder ihr Gerede auszublenden. Ganz gleich, ob es sich nun bei den Verweisen um Ablenkungsmanöver des Erzählers handelt oder diese zur Charakterisierung der Romanfiguren, gar der Vervielfältigung der Interpretationsweisen beitragen: All diese Einschübe verlangen dem Leser ein hohes theoretisches Bewusstsein ab und erfordern zum Teil die Unterbrechung der Lektüre für Recherchen, sodass mit dieser Strategie einer im trivialliterarischen Sinne passiven Rezipientenhaltung entgegengewirkt wird. Rhetorisch ähnelt François sogar stark seinem Lieblingsschriftsteller Huysmans: Beide unterhalten den Leser durch selbstironische Bemerkungen, seitenlange Klagen über ihren Lebensüberdruss und lachhafte Beschreibungen, sodass sie es dem Leser gestatten, sich über sie zu mokieren: "[…] l'humour de Huysmans présente le cas unique d'un humour généreux, qui donne au lecteur un coup d'avance, qui invite le lecteur à se moquer par avance de l'auteur, de l'excès de ses descriptions plaintives, atroces ou risibles" (S: 15). An dieser Stelle zeigen sich über die inhaltlichen Parallelen hinaus zusätzlich stilistische Gemeinsamkeiten der beiden Figuren. Damit verstärkt sich der Eindruck, dass der Rekurs auf den dekadentistischen Autor Huysmans nicht der Ausbeutung seines Klassikerstatus dient, sondern kreativ verwendet wird, um François ergänzend zu charakterisieren, sodass der Vorwurf der sinnlosen Intertextualität in diesem Zusammenhang zurückzuweisen ist. Das Trivialitätskriterium der Verschränkung von Banalität und Preziosität nach Hügel wird ebenfalls nicht erfüllt. Zwar überlappen sich anspruchsvolle, intertextuelle Verweise auf Philosophie und Literatur in François' Gedanken mit völlig Banalem, wie der Planung seiner Mikrowellengerichte (vgl. S: 37) oder als er sich über das Menü der universitären Mensa echauffiert (vgl. S: 15), doch genau dadurch wird deutlich, wie sinnentleert und routineartig sein Leben trotz seiner intellektuellen Tätigkeiten verläuft:

Mon après-midi de TD fut épuisant, les doctorants dans l'ensemble étaient épuisants, pour eux il commençait à y avoir un enjeu et pour moi plus du tout, à part choisir le plat indien que je gérais réchauffer aux micro-ondes le soir (Chicken Biryani ? Chicken Tikka Masala ? Chicken Rogan Josh ?) en regardant le débat politique sur France 2. (S: 37)

Was das Schicksal des Protagonisten und somit das Romanende anbelangt, kann weder von einem zwangsharmonisierenden Happy-End noch von einer vollständigen Erfüllung der Lesererwartung nach den Trivialitätskriterien Dumonts und Ecos die Rede sein: Der zutiefst unreligiöse François, der weder recht an die familiäre Institution noch an die glückliche Ehe glaubt, beschließt, zum Islam zu konvertieren. Im maliziös gewählten Modus des Konditionals schildert der Protagonist, wie nach seinem Wissensstand die Konversionszeremonie ablaufen wird, und rezitiert vor seinem geistigen Auge die erforderlichen Koranverse. Das Blasphemische: Abstinenz und Gebete sind dem Protagonisten, wie sich an der nur dreitägigen Klosterepisode zeigt, zutiefst zuwider. Den Koran hat François noch nie gelesen und er spricht auch kein Wort Arabisch, sodass er seine auswendiggelernten und ins französische Alphabet transkribierten Glaubensbekenntnisse "Ach-Hadou anel â ilâha illa lahou wa ach-hadou anna Mouhamadane rassouloullahi" (S: 298) in der Großen Pariser Moschee angestrengt herunterstammeln wird. Der letzte Satz des Romans, "Je n'aurais rien à regretter", bildet zusammen mit François' Vorstellung über die zukünftigen, polygamen Liaisons zu seinen muslimischen Studentinnen einen zutiefst unbefriedigenden Ausgang. Ob der Protagonist sein Vorhaben letztendlich realisieren wird, bleibt für den Leser ungewiss. Tatsache ist, dass er mit diesem Vorhaben – entgegen einer kitschliebenden Lesererwartung – seinen Glauben an die romantische Liebe endgültig begräbt.




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Körperlichkeit

Im Vergleich zu Houellebecqs früheren Romanen wie Extension du domaine de la lutte, Les particules élémentaires und Plateforme erweist sich sein neustes Werk Soumission hinsichtlich der Menge an Sexszenen als sehr zurückhaltend.16 Ausschweifende Orgien auf Partys17 in Ferienlagern und in Swingerclubs18 integriert der Autor diesmal nicht, auch fehlen die charakteristischen, repetitiven Masturbationssequenzen sowie die ödipalen Momente seiner männlichen Protagonisten.19 Inwieweit ist es also gerechtfertigt, diesen Roman dem Pornografischen oder gar dem Obszönen zuzuordnen? Für das Urteil der Obszönität spräche die Offenbarung diverser, unappetitlicher Details über den Gesundheitszustand des Protagonisten, darunter seine chronischen Hämorrhoiden (vgl. S: 98), Fußpilz zwischen den Zehen, Dishydrosis sowie wiederkehrende, juckend-brennende, bullöse Ekzeme (vgl. S: 206). Diesen liegen offensichtlich psychosomatische Ursachen zugrunde, denn François' Befinden verschlechtert sich besonders nach der Trennung von Myriam und seinem letzten, enttäuschenden Escortbesuch rasant.

Die Frage nach dem pornografischen Gehalt der Sexszenen im Roman ist hingegen weitaus komplexer. Teilweise bestätigen sich die Pornografiekriterien Faulstichs hinsichtlich des Handlungsaufbaus in den Escortepisoden. Zum einen fehlt der Spannungsbogen völlig, bevor die Figuren miteinander intim werden, und zum anderen erfolgt der Sexualakt gewissermaßen abseits der Rahmenhandlung. Dadurch, dass François seine Sexualpartnerinnen nicht durch Zufall, im Rahmen seines Berufs, gemeinsamer Freunde oder durch seine Reise nach Südfrankreich kennenlernt, sondern über eine Website ordert und sofort zur Beschreibung des Akts übergeht, lässt er dem Rezipienten keine Zeit, sich atmosphärisch auf das Bevorstehende einzustimmen. Zum anderen werden die expliziten Schilderungen des Erzählers lediglich durch ein Komma von der Beschreibung der Inneneinrichtung des Etablissements getrennt, sodass der Leser übergangslos in die Szene katapultiert wird:

[…] elles louaient un joli studio près de la place Monge, elles avaient fait brûler de l'encens et mis de la musique douce genre chant de baleines, je les pénétrai et les enculai tour à tour sans fatigue et sans plaisir. Ce n'est qu'au bout d'une demi-heure, alors que je prenais Luisa en levrette, que quelque chose de nouveau se produisit : Rachida me fit la bise, puis, avec un petit sourire, se glissa derrière moi ; elle posa d'abord une main sur mes fesses, puis approcha son visage et commença à me lécher les couilles […]. Éperdu de reconnaissance je me retournai, arrachai le préservatif et m'offris à la bouche de Rachida. Deux minutes plus tard, je jouis entre ses lèvres ; elle lécha méticuleusement les dernières gouttes pendant que je lui caressais les cheveux. (S: 196f.)

[…] ma bite était redevenue un organe aussi efficace qu'insensible ; je quittais leur studio dans un état de semi-désespoir […]. (S: 205)




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Während sich François bei seiner ersten Escortbuchung auf eine einzige Dame, Nadia, beschränkt, steigert sich sein Bedürfnis nach Reizintensivierung im Laufe des Romans, sodass er beim nächsten Mal eine Menage-à-trois bei Rachida und Luisa bucht. Der Drang nach zunehmend stärkeren Tabubrüchen manifestiert sich nicht nur an den immer kürzer werdenden Zeitabständen zwischen der Inanspruchnahme sexueller Dienstleistungen, sondern auch an der Anzahl der daran beteiligten Frauen und der darin stattfindenden Sexualpraktiken. Ganz im Stile der Pornofilme, die sich François auf seinem Computer ansieht (vgl. S: 26), spielen sich nun auch vor dem geistigen Auge des Lesers lasziv in Szene gesetzte Wechsel zwischen Vaginal-, Anal- und Oralsex bei dem Protagonisten und seinen gebuchten Gespielinnen ab. Dabei ist François – nach dem Vorbild des von ihm gesichteten pornografischen Materials – beim Oralverkehr stets Rezipient. Sein Ejakulat wird demonstrativ auf den Brüsten der Frauen verteilt (vgl. S: 187) oder scheinbar gierig heruntergeschluckt (vgl. S: 186 und 197). Es erweist sich an dieser Stelle als offensichtlich, dass der Sexualakt nicht angedeutet, sondern nach Faulstich "fiktional wirklich" vollzogen wird. Auch die Chronologie der nacheinander ausgeübten Sexualpraktiken in den Escortpassagen des Romans ist nach pornografisch-genrespezifischer Vorlage ausgerichtet, sodass das Kriterium des "szenisch Narrativen" ebenfalls erfüllt wird. So erfolgt der Oralsex nach dem Analverkehr und dies sogar explizit ohne Kondom (ebd.: 197),20 was François' latent-omnipräsenter Todessehnsucht eine praktische Dimension verleiht.21 Angesichts der Akkumulation und Kombination von Sexualpraktiken, die aus dem gemeinen pornografischen Register stammen, der expliziten visuellen Beschreibungen der eingenommenen Sexualstellungen und der Degradierung der Frauen zu Sexobjekten entsprechen die vorliegenden Passagen sowohl der juristischen Definition von Pornografie als auch dem Kriterium der "visuellen Zerlegung" nach Faulstich.

Poetisch wird der Erzähler in der Beschreibung von sexuellen Handlungen höchstens in ironischer Intention, etwa wenn er die Zungenfertigkeit der zwei Darstellerinnen im Pornofilm mit dem Naturinstinkt der Schwalben vergleicht, die sich 'in leichter Unruhe im dunklen Südhimmel des Département Seine-et-Marne kreuzen, kurz bevor sie Europa verlassen, um dem Winter zu entfliehen' (vgl. S: 26). Kitsch im Sinne exzessiv lyrisierter, auf klassische Modelle rekurrierender Beschreibungen nach Killy und Hügel lässt sich Houellebecq also an dieser Stelle nicht vorwerfen. Stattdessen erweist sich die Pornografie-Polemik angesichts des vulgären Vokabulars als diskutabel. Das übliche Repertoire an genitalen Bezeichnungen des Autors beläuft sich im vorliegenden Roman auf chatte, bite sowie queue und gelegentlich auf die medizinischen Fachausdrücke vagin und pénis. Auch was die Darlegung der Sexualpraktiken angeht, alterniert der Erzähler zwischen medizinisch korrektem Vokabular, etwa pénétrer sowie fellation, und den vulgären Entsprechungen baiser, enculer und faire une pipe. Es drängt sich hier die Frage nach dem Grund dieses Registerwechsels auf: Erfährt der Erzähler eine Luststeigerung, wenn er das sexuell Erlebte unter Einsatz obszöner Worte wiedergibt? Möchte der Protagonist die stattfindenden sexuellen Handlungen so lieblos und pornografisch wie möglich beschreiben, um seine emotionale Misere zu betonen? Oder handelt es sich dabei vielmehr um einen rezeptionsorientierten Kunstgriff mit dem Ziel, den Leser zu erregen oder zu beschämen?

Nach dem Psychoanalytiker Sándor Ferenczi wohnt dem obszönen Wort die eigentümliche Macht inne, die den Hörer dazu zwingt, sich den darin benannten Gegenstand, das geschlechtliche Organ oder die geschlechtliche Tätigkeit in dinglicher Wirklichkeit vorzustellen (Ferenczi 1911: 175). Dabei sieht er die Grundlage eines jeden Vorstellungsvorgangs in der Schematisierung wirklicher Dinge in Bilder. Sobald die Fähigkeit zum abstrakten Denken in Worten erlangt werde, würden Wünsche nicht mehr durch bildhafte Vorstellungen, sondern durch "qualitätsschwache Sprachzeichen" ersetzt werden, was allerdings wie der Spracherwerb selbst ein längerer Lernprozess sei. Durch die Tatsache, dass die infantilen Sexualtheorien bei ihrer Entstehung vom Kind zunächst in volkstümliche, gegebenenfalls vulgäre Ausdrücke gehüllt und erst anschließend durch die moralische Zensur von der elterlichen Instanz überlagert würden, entstünde im Laufe der geistigen Entwicklung eine starke Regressionstendenz gegenüber den obszönen Worten (vgl. ebd.: 178). Demnach hätte der Einsatz obszöner Worte beim Erwachsenen nach der Theorie Freuds und Ferenczis den unfreiwilligen Rückfall des Lesers in die primäre halluzinatorische Arbeitsweise der Psyche zufolge, in der das Wort kein abstrahiertes Konzept mehr, sondern ein konkretes Bild evoziert. Da Freud und Ferenczi davon ausgehen, dass der frühkindliche Spracherwerb an motorische Vorgänge gekoppelt ist, würde dies für die im Kindesalter erlernten obszönen Worte bedeuten, dass sie nun beim Erwachsenen, der sie artikuliert, das Gefühl auslösen, er begehe eine Handlung (vgl. ebd.: 170).




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Der Einsatz moralisch verpönten und unterdrückten Wortschatzes würde sich nach einer solchen Auslegung als psychologisch-rezeptionsästhetischer Kunstgriff erweisen, der sich wesentlich intensiver auf den Rezipienten auswirkt und ihn durch die sich ihm unwillkürlich aufdrängenden Bilder gnadenlos in die Romanhandlung integriert. Dieser Aspekt würde die voyeuristische Perspektive, die François seinen Leser einzunehmen zwingt, unterstützen und den Pornografievorwurf somit erhärten. Ambivalent verhält es sich allerdings mit Faulstichs Aspekten der Ästhetik der Wollust und des Hässlichen. Zwar streut François in der Beschreibung seiner Orgien hin und wieder ein weibliches Stöhnen ein und schildert das Schlucken des Ejakulats als lustvoll (vgl. S: 186f.), allerdings sind diese Lustbekundungen mit Skepsis zu betrachten, da es sich um entlohnte Dienstleistungen handelt, die angesichts der stattfindenden Praktiken in erster Linie der Befriedigung des Protagonisten dienen. Die Ästhetik des Hässlichen liegt ebenfalls lediglich latent vor, denn die Escortdamen werden als jung und attraktiv beschrieben und die geschilderten Praktiken als sehr professionell durchgeführt.

Was trotz aller zutreffenden Pornografiemerkmale evident gegen eine Klassifizierung dieser Sexszenen als pornografisch spricht, ist deren fehlendes erregendes Potenzial. Die Diskrepanz zwischen der auf den Protagonisten einwirkenden visuellen sowie physischen Reize kontrastiert mit dessen fader Reizwahrnehmung während des Koitus und ist ein weiteres Indiz für dessen Teilnahmslosigkeit. Indem der Erzähler seine Kopulationsbeschreibungen gehäuft mit beeindruckenden Zeitangaben versieht (vgl. S: 187 und 197) und sein Geschlechtsteil als 'effizient' bezeichnet (vgl. S: 205), scheint er dem Leser vordergründig seine grenzenlose Potenz beweisen zu wollen, attestiert sich jedoch damit in erster Linie eine schwere Hyporgasmie.22 Die Insistenz des Erzählers auf seiner Lustlosigkeit ("je n'éprouvais aucun plaisir", "sans fatigue et sans plaisir", S: 197) während des Akts, seine gleichzeitige Todessehnsucht und die Tatsache, dass es sich um finanziell arrangierte Begegnungen handelt, wirken auf den Rezipienten insgesamt höchst ent-erotisierend. An dieser Stelle lässt sich das Trivialitätskriterium der vorsätzlichen Erregung und der damit einhergehenden Manipulation des Lesers nach Kant nicht feststellen. Durch die nüchternen, sterilen Beschreibungen wird die rational-distanzierte Haltung des Rezipienten kaum beirrt. Obwohl der Protagonist an vielen Stellen des Romans keinerlei Lust verspürt, reagiert er auf Gelegenheitssex mit resignierter Permissivität: "[…] je savais déjà au moment où les portes de l'ascenseur se refermèrent sur nous qu'il ne se passerait rien, je n'avais même pas envie de la voir nue, j'aurais préféré éviter cela, cela se produisit pourtant […]." (S: 22) Es geht sogar so weit, dass François beim Gedanken an Sex übel wird, dass er noch nicht einmal Lust zu 'ficken' hat, 'vielleicht ein bisschen', jedoch gleichzeitig 'ein bisschen Lust zu sterben' empfindet (vgl. S: 44). Häufig gibt der Erzähler seinem ersten Impuls, dem der Unlust, nicht nach, sondern zwingt sich getreu Kants "Pflicht gegen sich selbst"23 zum Geschlechtsverkehr:

Je n'avais au fond nullement envie, et l'obscure notion kantienne de "devoir envers soi" flottait dans mon esprit lorsque je me décidai à parcourir les écrans de mon site de rencontres habituel. J'optai finalement pour une annonce passée par deux filles : Rachida, une Marocaine de 22 ans, et Luisa, une Espagnole de 24 ans, proposaient de "se laisser envoûter par un duo coquin et endiablé". (S: 196)

Diese traditionsreiche Verbindung von Eros und Thanatos, die bereits von Freud und Bataille psychophilosophisch thematisiert wurde, schlägt sich am deutlichsten in der situativen Einbettung der Sexszenen im Roman nieder, denn der Protagonist nimmt die Escortservices nach der Trennung von Myriam und als er vom Tod seiner Eltern erfährt in Anspruch. Vordergründig erscheint François weder vom Ableben seiner Eltern emotional betroffen noch von Myriams Trennungsverkündung, was die vorangestellte soziopathologische Analyse der Figur bezeugte. Kompensiert wird François' fehlender emotionaler Zugang zu seinen Mitmenschen jedoch durch seine Sexualitätsfixierung, die gleichzeitig als Verdrängungsmechanismus seines seelischen Unbehagens und der eigenen Vergänglichkeitsgewissheit fungiert. Die Tyrannei des Eros, der François im Roman unterliegt, manifestiert sich zum einen in dessen zwanghafter Suche nach sexuellen Begegnungen bei völliger Lustlosigkeit, zum anderen in seiner Unfähigkeit zu Monogamie und Abstinenz, womit sein Verhalten die Kehrseite des libertären Hedonismus in der abendländischen Gesellschaft seit der 68er-Revolution spiegelt.




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Der Topos des unstillbaren, begehrenden Subjekts ist spätestens seit Petrarca tief in der abendländischen Literatur verwurzelt und wurde bereits von Jacques Lacan in seinem epochalen Aufsatz La signification du phallus reflektiert. Nach diesem beruht alles Begehren des Subjekts auf seiner Spaltung und der daraus resultierenden Sehnsucht nach der verlorenen Einheit. Dabei steht der Phallus für den ursprünglichen Mangel, der das Subjekt von seiner Vollständigkeit trennt. Paradoxerweise ist der Phallus nach Lacan, anders als bei Freud, nicht zu besitzen, sondern entsteht erst im Geschlechtsakt. Der aktive Part kann dabei für den anderen zum Phallus werden und der passive Part kann ihn empfangen, doch nach Beendigung des Akts entzieht sich der Phallus beiden Parteien wieder. So alterniert der Phallus zwischen Absenz und Präsenz, worin die Spaltung des Subjekts und sein damit einhergehender unstillbarer Mangel begründet liegen (siehe Lacan 1966: 685–695). François' Sexualleben ist nach dieser Lesart nicht wie auf den ersten Blick erscheinend 'frei' und 'emanzipiert', sondern völlig determiniert. In seinem narzisstischen Streben nach ewiger Jugend und Sex als verzweifelte Suche nach authentischer Glückserfahrung bleiben Gefühle der Liebe und Geborgenheit auf der Strecke. Die Erotik, die nach Bataille darin besteht, dass sich der Mensch insgeheim nach "Selbstverlust", nach seinem Übergang von der "Diskontinuität" zur "Kontinuität", zusammenfassend nach der völligen Verschmelzung sehnt, bleibt dem Protagonisten nicht vergönnt. Kein Reiz, kein sexuelles Verbot sind für ihn stark genug, um die Oberfläche der Erotik auch nur ansatzweise zu tangieren. Das Tabu, das François seit seiner Lehrtätigkeit an der Sorbonne durch die sexuellen Beziehungen zu seinen Studentinnen regelmäßig bricht, die Tatsache, dass diese häufig wechseln und wesentlich jünger sind als er und auch seine Überschreitung des in Frankreich bestehenden Verbots der Prostitution, indem er Escortdienste in Anspruch nimmt, reizen ihn allesamt nicht mehr. Selbst als der Protagonist das sexuelle Tabu in religiöse Sphären verlagert, etwa indem er mit den muslimischen Escorts Nadia und Rachida24 Analverkehr – eine schwere Sünde nach dem Koran und ein Gesetzesverstoß gegen die Scharia (siehe Kasule 2015) – praktiziert, vermag ihn nicht aus seiner sexuellen Inappetenz zu reißen:

Puis je me décidai pour Nadiabeurette ; ça m'excitait assez, compte tenu des circonstances politiques globales, de choisir une musulmane. […] elle avait un petit cul bien étroit, mais je ne sais pas pourquoi je n'éprouvais aucun plaisir, je me sentais capable de l'enculer, sans fatigue et sans joie, pendant des heures entières […]. (S: 185f.)

Zwar kann nach Michel Foucault das Individuum durch die Sexualität zu einer privilegierten Selbsterfahrung gelangen, unter anderem durch die Wahl der Sexualpraktiken und der damit einhergehenden kontinuierlichen Stilisierung seiner Freiheit als selbstbestimmter, begehrender Mensch (vgl. Foucault 1984a: 34 und 45). Doch genau aus der Perspektive dieses Subjektivierungsmodells wird an François demonstriert, wie das menschliche Individuum stagniert. Zum einen ist die sexuelle Selbstbestimmung des Protagonisten nur eine scheinbare, beugt er sich doch regelmäßig der Tyrannei der Lust25 trotz völliger Lustlosigkeit, um sich seiner Männlichkeit und Jugendlichkeit zu versichern. Zum anderen erfolgt seine Subjektkonstitution nicht mehr aus seiner Fähigkeit zur Vernunft oder zu intellektuellen Leistungen, wie im Sinne Freuds und Kants,26 sondern durch körperliche Faktoren wie Jugendlichkeit, Attraktivität und sexuelle Errungenschaften gemäß einer kapitalistisch-wettbewerbsorientierten Gesellschaft. Das daraus resultierende sexuell-genitalorientierte Liebeskonzept bewirkt, wie die Sexszenen des Romans an zahlreichen Stellen bezeugen, gerade die Desubjektivierung des Menschen. Vor allem manifestiert sich dies in der Austauschbarkeit und Ersetzbarkeit der Partnerinnen François', die im Roman zwar genannt, allerdings kaum charakterisiert werden (vgl. S: 21).27 So konstatiert der Protagonist nach seiner Trennung wortwörtlich, er habe Myriam 'noch immer nicht ersetzt' (vgl. S: 24).




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Insgesamt werden die Frauen bewertet und exponiert wie Ware im Supermarkt, werden durch ihre Betrachtung als Mittel zum Zweck zum Objekt degradiert.28 Der descartessche Grundsatz "Je pense, donc je suis" wird von François, dem Pars pro Toto der westlichen Gesellschaft, im übertragenen Sinne in ein jammerndes "je souffre, donc je suis" und, nachdem sich seine intellektuelle Karriere durch die universitären Umwälzungen dem Ende neigt, sogar drastischer in ein "Je baise, donc je suis" verkehrt. Deutlich wird dies, als François eines Nachts weinend, schmerzerfüllt und dem Suizid nahe zusammenbricht, sodass er daraufhin beschließt, sich für einige Zeit in ein Kloster zurückzuziehen. Dabei wählt er die Benediktinerabtei Saint-Martin de Ligugé, in der er als Doktorand einst zu Forschungszwecken verweilte und in der Huysmans sein Gelübde ablegte. Trotz guter Vorsätze scheitert François nach nur drei Tagen an der ihm auferlegten Askese und verlässt fluchtartig das Kloster, um sich an der nächstbesten Bahnhofskneipe unter Zigarettenqualm zu betrinken. Durch die Erfahrung der Askese hätten sich dem Protagonisten Fragen nach seiner Subjektkonstitution und nach Wahrheit aufgedrängt, die er offenbar nicht ertragen konnte. Doch erst in der Abstinenz kann das Individuum nach Foucault Erkenntnis darüber erlangen, wie es abseits gesellschaftlicher Konventionen und Gruppenzwang wirklich um seine intimen Bedürfnisse bestellt ist, sodass es wieder ein Gespür sowie die Kontrolle über sein Sexualleben erlangen kann:

À travers les exercices d'abstinence et de maîtrise de soi qui constitue l'askêsis nécessaire, la place qui est faite à la connaissance de soi devient plus importante : la tâche de s'éprouver, de s'examiner, de se contrôler dans une série d'exercices bien définis place la question de la vérité ­– de la vérité de ce qu'on est, de ce qu'on fait et de ce qu'on est capable de faire – au cœur de la constitution du sujet moral. (Foucault 1984b: 85)

Hinsichtlich Dumonts höhenkammliterarischen Kriteriums der Originalität sind die sexuellen Darbietungen in Soumission nicht mit dem innovativ-makabren Sexualszenario in den Werken des Marquis De Sade29 oder Pauline Réages30 zu vergleichen. Houellebecqs innovatorisches Potenzial liegt vielmehr in der intermedialen Gestaltung der Sexszenen, die er im Fall der Escortepisoden stilistisch sowie szenisch deutlich dem pornografischen Filmgenre entlehnt und in der Anbahnung zwischen Myriam und François mit Elementen eines Erotikthrillers versieht. So verweist die Darbietung Myriams, die keine Unterwäsche trägt und wie beiläufig ihre Beine spreizt, sodass sie François intime Einblicke gewährt, auf die berühmte Vernehmungsszene des Films Basic Instinct (Verhoeven 1992)31:

"Tu m'as apporté un cadeau ?" demandai-je d'un ton que je voulais plaisant, comme une tentative pour alléger l'atmosphère. – Non", répondit-elle avec gravité, "je n'ai rien trouvé qui me plaise vraiment." Après un nouveau temps de silence, d'un seul coup, elle écarta largement les cuisses ; elle ne portait pas de culotte, et sa jupe était si courte que la ligne de la chatte apparut, épilée et candide. "Je vais te faire une pipe…" dit-elle, "une très bonne pipe. Viens, assieds-toi sur le canapé." J'obéis, la laissai me déshabiller. Elle s'agenouilla devant moi et commença par une feuille de rose, longue et tendre, avant de me prendre par la main et de me relever. Je m'adossai contre le mur. Elle s'agenouilla de nouveau et commença à me lécher les couilles tout en me branlant à petit coups rapides. "Quand tu veux, je passe à la bite..."dit-elle, s'interrompant un instant. J'attendis encore, jusqu'à ce que le désir devienne irrésistible, avant de dire : "Maintenant". Je la regardai dans les yeux juste avant que sa langue ne se pose sur mon sexe, la voir faire augmentait encore mon excitation; elle était dans un état étrange, mélange de concentration et de frénésie, sa langue virevoltait sur mon gland, tantôt rapide, tantôt appuyée et lente; sa main gauche serrait la base de ma bite tandis que les doigts de sa main droite tapotaient mes couilles, les vagues de plaisir déferlaient et balayaient ma conscience, je tenais à peine sur mes jambes, j'étais à deux doigts de m'évanouir. (S: 101)




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Bezüglich der Pornografiemerkmale Faulstichs ist die hier vorliegende Sexszene situativ in Myriams Besuch anlässlich François' Geburtstags eingebettet, sodass sich der Sexualakt zwischen den Figuren nicht sofort, sondern erst allmählich durch den zweideutig-erotischen Dialog anbahnt. In dieser Passage beobachtet der Leser die exquisite Verführung des Protagonisten durch seine Geliebte und seine Luststeigerung bis zum Gefühl der Besinnungslosigkeit. So besteht während des Oralverkehrs zwischen den Figuren Blickkontakt. Besonders genau, teilweise detailverliebt beschreibt François die Sexualpraktiken und Durchführung seiner Partnerin. Dabei bedient er sich, was die Bezeichnungen seiner Genitalien angeht, sowohl neutraler als auch derberer Ausdrücke:

Elle […] commença par une feuille de rose, longue et tendre […]. Elle […] commença à me lécher les couilles tout en me branlant à petit coups rapides. […] sa langue virevoltait sur mon gland […] sa main gauche serrait la base de ma bite, tandis que les doigts de sa main droite tapotaient mes couilles […]. (Ebd.)

Anders als in den Escortszenen, in denen der Erzähler nüchtern, gefühlstaub und gelangweilt vom Geschehen berichtet, durchzucken ihn bei Myriams Fellatio 'Wellen der Lust' (S: 101). So beschreibt François seinen Zustand als 'der Ohnmacht nahe' (ebd.), was die gesamte Sequenz trotz des Einsatzes obszönen Vokabulars nach dem Konzept der Hingabe und des Selbstverlustes von Bataille mehr in die erotische als in die pornografische Sphäre rückt. Die sexuelle Stagnation des Protagonisten wird gerade durch den Kontrast zwischen den unenthusiastisch beschriebenen Escortepisoden und den hier vorliegenden, zärtlichen Sexszenen deutlich:

[…] Je revins sur le lit, caressai ses fesses ; elle se blottit contre moi sans se réveiller. Je la retournai, écartai ses cuisses et commençai à la caresser ; presque tout de suite elle fut mouillée, et je vins en elle. […] Je remontai ses cuisses pour la pénétrer bien profond, et je commençai à aller et venir. […] Je senti tout de suite que cette fois j'allais être capable de me contrôler aussi longtemps que nécessaire, que j'allais pouvoir stopper à volonté la montée du plaisir. Mes reins bougeaient souplement, sans fatigue, au bout de quelques minutes elle se mit à gémir, puis à hurler et je continuai à la pénétrer, je continuai même lorsqu'elle commença à contracter sa chatte sur ma queue, je respirais lentement, sans efforts, j'avais l'impression d'être éternel, puis elle eut un très long gémissement, je m'abattis sur elle et l'entourai de mes bras, elle répétait : "Mon chéri… Mon chéri…" en pleurant. (S: 105f.)

Der Protagonist verführt die schlafende Myriam in Form eines Vorspiels und bemüht sich auch als der Akt zustande kommt um Selbstbeherrschung. Trotz seiner soziopathologischen Prädisposition übt sich François in Empathie, indem er, wie er dem Leser durch die folgenden Zeilen mitteilt, auf das Wohlbefinden seiner Partnerin und ihre körperlichen Reaktionen achtet.32 Sowohl François als auch Myriam erleben in dieser Nacht Erotik nach dem Verständnis Batailles. Der Protagonist berichtet von einem Gefühl der 'Unendlichkeit' (ebd.), gelangt also nach Bataille in den Zustand der "Kontinuität", und der Selbstverlust Myriams manifestiert sich am deutlichsten in ihren Tränen, die sich nach dem erlebten Höhepunkt ihren Weg bahnen. Durch die Wortwahl des Erzählers gewinnt der beschriebene Akt an Romantik, etwa durch die Verben 'streicheln' und 'weinen' oder die Adjektive 'leicht' und 'langsam' (vgl. ebd.). Zwar folgt auch die pikantere Formulierung "lorsqu'elle commença à contracter sa chatte sur ma queue" (ebd.), allerdings könnte diese vom Erzähler als Beweis für die Echtheit von Myriams Orgasmus intendiert sein (im Gegensatz zu den späteren gespielten Orgasmen der Escortdamen) oder wieder als eine den Rezipienten integrierende Strategie nach Ferenczi. Das wichtigste Kriterium, das die Szenen zwischen Myriam und François in den Bereich der Erotik statt der Pornografie rückt, ist die gefühlsbetonte, den geistig-psychischen Bereich einbeziehende Darstellung. So offenbart Myriam ihrem Liebhaber, sie sei weder eine 'Schlampe' noch 'nymphoman', denn wenn sie ihm 'einen blase', dann geschähe dies aus Liebe zu ihm (vgl. S: 102).




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Nachdem die Beziehung der beiden Figuren durch Myriams Emigration nach Israel zerbricht, verschlechtern sich sowohl François' gesundheitlicher Zustand als auch seine depressive Verstimmung. Schließlich schwankt der Protagonist angesichts seines stetigen körperlichen Verfalls und seiner damit verbundenen Erektionsprobleme zwischen zwei Extremen: dem Wunsch nach platonischem Glück in der Ehe und einem weiterhin sexuell promiskuitiven Lebensstil, der ihn seiner Jugendlichkeit und Attraktivität versichern würde. Genau wie Huysmans in seinem Roman En ménage fragt sich auch François, was passiert, sobald die erotisch-leidenschaftliche Liebe in den alternden Körpern eines Ehepaares erlischt. Doch während Huysmans den Übergang von der erotischen Liebe zum 'lauwarmen Glück alter Paare' in seinem Roman mit nie gekannter Sanftheit erzählt (vgl. S: 94), reduziert François das eheliche Leben auf 'Erektionsprobleme' und 'Scheidentrockenheit' (vgl. S: 185). Der Protagonist geht sogar weiter und unterstellt Huysmans, er sei nicht aus metaphysischen Anreizen wie etwa der Frage nach einem Leben nach dem Tod oder der spirituellen Bedeutung von Sex konvertiert, sondern einzig um den körperlichen Qualen zu entkommen:

[…] en cela aussi Huysmans était exactement semblable aux autres hommes, leur propre mort leur est en général à peu près indifférente, leur seule préoccupation réelle, leur vrai souci, c'est d'échapper autant que possible à la souffrance physique. […] Le seul vrai sujet de Huysmans était le bonheur bourgeois, un bonheur bourgeois douloureusement inaccessible au célibataire, et qui n'était même pas celui de la haute bourgeoisie, la cuisine célébrée dans Là-bas était plutôt ce qu'on aurait pu appeler une honnête cuisine de ménage […]. (S: 280f.)

François' Entschluss zur Konversion und seine Heiratsabsicht am Ende des Romans scheinen aus derselben Haltung zu resultieren, jedoch mit einem entscheidenden Unterschied: Nicht nur spekuliert der Protagonist auf die Vorzüge des gemeinsamen, durch die Ehefrau geführten Haushalts und die damit einhergehenden kulinarischen Verheißungen, sondern auch auf den Genuss der polygamen Ehe. Wie aus der vorliegenden Analyse hervorgeht, übernehmen gerade die in den Rezensionen als "sinnlos" und "pornografisch" verurteilten Sexszenen eine tragende Rolle für die Konstitution der Romanfigur. Zum einen determiniert der Sexualzwang, dem der Protagonist unterliegt, seine Entscheidungen und Handlungen, zum anderen fungiert er als Kompensationsmechanismus für François' sozialen Defizite. Ferner noch wird die gesamte Romanhandlung erst durch François' sexuell-emotionales Mangelempfinden und seinen vergeblichen Kampf gegen seine sich mit jedem weiteren Sexualakt verschärfende Desubjektivierung vorangetrieben.


Fazit

In der Romananalyse, die sich auf die Soziopathologie des Protagonisten und die daraus resultierende Bedeutung von Körperlichkeit für die Romanhandlung konzentrierte, trat die Ambiguität als deutlichstes Wertungsproblem hervor, sodass eine Zuordnung des Werks in die trivial- oder höhenkammliterarische Kategorie nur bedingt möglich ist. So stellte sich unter der Berücksichtigung von Faulstichs Pornografiekriterien sowie Batailles Erotikkonzept heraus, dass sich die Darstellung der Sexualität in Soumission ambivalent gestaltet. Formal und inhaltlich liegen sowohl erotische Sexszenen zwischen Myriam und François als auch obszöne und pornografische Episoden in den Escortszenen vor. Paradoxerweise wirken sich jedoch Letztere durch den bestehenden Kontrast zu den früheren, erotisch geschilderten Momenten im Roman und die fortan konstante Lustlosigkeit des Protagonisten nicht erregend, sondern höchst ent-erotisierend auf den Leser aus, sodass in diesem Sinne das "interesselose Wohlgefallen" am literarischen Werk nach Kant kaum gefährdet sein dürfte. Darüber hinaus stellt die Sexualität in diesem Roman keinen selbstbestimmten Akt der Subjektkonstitution nach Foucault, sondern im Gegenteil die Fremdbestimmung und absolute Determination des Protagonisten dar. Die Beliebigkeit, Austauschbarkeit und Permissivität, mit denen François seine sexuellen Begegnungen arrangiert, bezeugen dessen eigene Desubjektivierung und die seiner Sexualpartnerinnen. In François' misslungener Askese im Kloster von Rocamadour tritt dessen unstillbares Begehren im Sinne eines kategorialen, phallischen Mangels nach Lacan deutlich zum Vorschein. Der Vorwurf der reinen, nicht zur Romanhandlung beitragenden pornografischen Passagen von De Solages (siehe Einleitung) ist demnach unhaltbar, bereiten doch gerade die lieblosen sexuellen Eskapaden des schrankenlosen und gleichzeitig sinnentleerten Erotomanen François dessen Weg in die Semikonversion.33




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Hinsichtlich der sprachlichen Gestaltung entpuppt sich der Roman je nach Lesart ebenfalls als zweischneidig. Aus der Romananalyse ging hervor, dass den rar gesäten rhetorischen Stilfiguren keine genuin lyrisierende, sondern vielmehr eine ironisierende Funktion zukommt, was das Werk weder ins Trivial- noch ins Höhenkammliterarische rückt. Des Weiteren scheint Houellebecq mit Killys Trivialitätsmerkmal des Kitsches zu spielen, indem er ihn einsetzt, um ihn jedoch sofort wieder zu parodieren, beispielsweise als Myriam schluchzend ihr französisches Nationalgefühl daran festmacht, dass sie Käse liebt:

"Mais qu'est-ce que je vais faire en Israël ? Je ne parle pas un mot d'hébreu. Mon pays, c'est la France." Sa voix s'altéra légèrement, je sentis qu'elle était au bord des larmes. "J'aime la France ! ..." dit-elle d'une voix de plus en plus étranglée, "j'aime, je sais pas… j'aime le fromage ! – J'en ai !" Je me levai d'un bond clownesque pour essayer de détendre l'atmosphère, cherchai dans le réfrigérateur […]. (S: 104)

Über das andere Extrem, nämlich die stilistische 'Plattitüde' des Skandalromanciers (vgl. Clément 2007: 109–111), wird hingegen seit dem Erscheinen seiner ersten Romane regelmäßig debattiert, was je nach Standpunkt als poetisches Unvermögen des Autors oder als kunstvolle Nüchternheit, etwa nach der Naturalismustradition Zolas, ausgelegt werden kann (vgl. Schober 2003: 156). Hinsichtlich Dumonts stilistischem Innovationskriterium erweisen sich Houellebecqs abrupte Diskurswechsel, die sich je nach Romanthema von philosophischen, theologischen, literatur- bis über naturwissenschaftliche Verweise erstrecken, sowie dessen opulenter Einsatz von Intertextualität als diskussionswürdig. Dabei ist Engelmeiers und Monots Kritikpunkt der Verschränkung von Banalität und Preziosität gemäß des Trivialitätskriteriums Hügels, konkret die Verbindung von "schwachmatischer Pornografie" mit dem Islam und intertextuellen Verweisen auf diverse namenhafte Autoren wie Huysmans und Péguy, nicht völlig von der Hand zu weisen. Tatsächlich wirkt die radikale Diskursmischung im Roman vorerst deplatziert, scheintiefgründig und vorsätzlich skandalstiftend. Doch bei Betrachtung des Romans vor dem Hintergrund der Literaturästhetik der Postmoderne lässt sich der Rekurs des Autors auf Intertextualität als Kunstgriff im Sinne eines intendierten Verfremdungseffekts interpretieren.34 Gespräche und Handlungen werden dabei sukzessiv unterbrochen, sodass der Leser die Gelegenheit bekommt, das Gelesene kritisch zu durchdenken oder gar sein theoretisches Wissen zu vertiefen. Darüber hinaus spricht der parallel und zugleich antagonistisch verlaufende Werdegang der Komplementärfiguren Huysmans und François für einen kohärenten Einsatz der Intertextualität im höhenkammliterarischen Sinne. Zudem steuert der Autor durch optische Hervorhebungen wie etwa den Kursivdruck bestimmter Passagen, die Setzung von Semikola und Parenthesen den Lesefluss des Rezipienten. Es fällt schwer, bei den homophoben und politisch inkorrekten Kommentaren des Protagonisten zu identifizieren, wo der Übergang von Ironie zur Ernsthaftigkeit erfolgt. Eine gewisse Distanz schafft der Autor dennoch, indem er seinem Protagonisten selbstironische, lachhafte Vergleiche in den Mund legt,35 was von einer gewissen Autoreflexivität François' hinsichtlich seiner stereotypen Denkweise zeugt. Die vielfach bemängelte Vulgarität im Roman stellt sich ebenfalls als zwiespältiger Aspekt heraus. Zum einen kann sie, wie aus der Analyse hervorging, als psychologisch wirksame, rezeptionsästhetische Strategie im Sinne Ferenczis verstanden werden, sodass der Leser durch den Einsatz obszönen Vokabulars unvermittelt in die Handlung integriert wird und gezwungen ist, sich das sprachliche Zeichen in aller Bildlichkeit vorzustellen. Nach der poststrukturalistischen Lesart Derridas allerdings würden der auffällige, insistente Gebrauch obszöner Worte und die Redundanz der Lebensmüdigkeits-Monologe des Protagonisten den Textsinn zerfallen lassen, statt Kohärenz zu stiften, da mit jeder Wiederholung von Textelementen neue Abweichungen von der ursprünglichen Bedeutung hinzukommen.36

Dumonts Frage nach der thematischen Innovation des Romans Soumission lässt sich ebenso wenig eindeutig beantworten. Das Grundschema der Romane Houellebecqs, wie auch des vorliegenden, besteht aus folgenden Komponenten:37 einem abgehalfterten, vereinsamten, männlichen Protagonisten inmitten der Midlife-Crisis, dessen Misanthropie und sexuelle Ausschweifungen seinen Niedergang zeichnen. Die Variablen dieser Gleichung bleiben lediglich Zeit, Ort und die Gestaltung der verbleibenden Romanfiguren. An dieser Stelle erweist sich Saint-Hilaires Vorwurf der ausgeprägten Klischee- und Stereotypenlastigkeit hinsichtlich der Gestaltung des Settings und der Figurenkonstellation im Roman als diskutabel (vgl. Saint Hilaire, siehe Einleitung).




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Tatsache ist, dass Houellebecq leidige Universitätsklischees von Professoren-Studentinnen-Verhältnissen und sexuellen Gefälligkeiten zwischen wissenschaftlichem Personal und Universitätspräsidenten aufwärmt, um dem Leser den moralischen Verfall des westlichen Menschen vorzuführen. Zudem muss für seine Erschaffung der gesellschaftlichen Dystopie der Islam herhalten, der im Roman nur oberflächlich metaphysisch reflektiert wird und stattdessen auf die Aspekte der Rückkehr zum Patriarchat, insbesondere der von François und Rédiger herbeigesehnten Hausfrauenbewirtung und sozialdarwinistisch ausgelegten Polygamie reduziert wird. Ein weiterer Kritikpunkt ist die Geschlechterstereotypie, der dieser Roman verhaftet ist: Frauen scheinen aus dem Diskurs über die Liebesunfähigkeit des westlichen Menschen ausgeklammert zu sein, denn sowohl Sylvia, die neue Partnerin von François' Vater, als auch die Professorin Marie-Françoise Tanneur, vor allem aber die der jüngeren Generation angehörende Myriam werden als liebesfähige Wesen dargestellt. Fraglich ist nun, ob ausgehend von der postmodernen Literaturästhetik die Stereotypie in diesem Roman nicht derart offensichtlich ist, dass eine kritisch-distanzierte Leserhaltung gefördert wird, da durch eine derartige Übertreibung eine Identifikation des Lesers mit den Romanfiguren ausbleibt. Nach einer solchen Lesart würden gerade die Strategien der Klischeeisierung38, Stereotypisierung sowie Karikierung und die daraus resultierende satirische Wirklichkeitsverzerrung den Leser dazu animieren, die im Roman dargestellte Realität zu hinterfragen.39 Dies würde für den aufklärerischen und gesellschaftsabbildenden Charakter des Romans nach Schwerte sprechen und das Werk somit in die höhenkammliterarische Kategorie befördern. François, für den die Abstinenz von Alkohol und Sex nicht zu bewerkstelligen ist, der sich im Grunde genommen atheistisch, höchstens agnostisch positioniert und den Koran noch nie gelesen hat, visiert auf den letzten Seiten des Romans seine Konversion zum Islam an, was ihn seines letzten Quäntchens Integrität beraubt und zum bequemen Konformisten degradiert.40

Es bleibt zu klären, inwieweit der Roman Hügels Trivialitätskriterium der Beförderung von Scheinproblematik erfüllt. Zwar ist Houellebecqs Gesellschaftsprognose in seinem aktuellen Roman düster, allerdings keineswegs "scheinproblematisierend", da sie an soziologische Fakten angelehnt ist. Es genügt, sich die steigende Scheidungsrate bei gleichzeitig sinkender Geburtenrate seit der 68er-Revolution und die daraus resultierenden demografischen Konsequenzen für Europa zu vergegenwärtigen (siehe Kaufmann 2007: 116–159), um die Vermutung einer inhaltlich trivialen Grundlage des Romans zu widerlegen. Eine Zwangsharmonisierung im Sinne eines Happy Ends nach Dumont liegt nicht vor, berichtet der Erzähler zum Schluss des Romans auf perfide Weise im Konditional von seiner Konversionszeremonie. Der Leser bleibt verwirrt zurück, schwankt angesichts des grammatischen Modus zwischen Hoffnung und Resignation bezüglich François' Schicksals. Gleichzeitig erteilt der Autor damit Ecos Trivialitätsmerkmal der vollständigen Befriedigung von Lesererwartungen eine Absage. Bei der Betrachtung von Soumission im Gesamtkorpus der narrativen Texte Houellebecqs lässt sich zusammenfassen, dass der Autor der rimbaldianischen Aufforderung "l'amour est à réinventer" (Rimbaud 1873: 22) durchaus nachkommt, allerdings indem er sie systematisch pervertiert: Statt eines der Lesererwartung entsprechenden, kitschig- romantisierten Liebeskonzepts entwickelt der Autor ein emotionsentleertes, genitalorientiertes Surrogat (siehe dazu Ducat 2005: 51). Ausgehend von der Unmöglichkeit romantischer sowie parental-filialer Liebe in der westlichen Gesellschaft muss der Fortbestand der menschlichen Spezies anderweitig gesichert werden. Im Fall von Les particules élémentaires und La possibilité d'une île entwirft der Autor posthumane Gesellschaftsentwürfe, die eine ungeschlechtliche Fortpflanzung der Menschen gewährleisten. In dieser Tradition, wenn auch mit einer Innovation hinsichtlich des Lösungsvorschlags, lässt sich auch Soumission lesen, nämlich als eine Art Scheitern der Liebesehe und der Rückkehr zur Vernunftehe über die Religion des Islam. Die einzige Rettung der Menschheit – so die Kernthese des Romans – ist die Entmündigung des Menschen, also, wie der Titel emblematisch suggeriert, die völlige 'Unterwerfung' unter eine religiöse, fortpflanzungsregulierende Autorität.41 Entgegen einer konformistischen, bequemen Erzählweise scheint sich Houellebecq in die Tradition der postmodernen Literaturästhetik einzureihen. Ontologische Fragen nach dem, was 'gut' und 'böse' ist, was 'richtig' und was hingegen 'falsch' ist, werden nach dem nietzscheanischen Ambivalenzprinzip42 der coincidentia oppositorum aufgeworfen (vgl. Zima 2001: 239). Bedeutet Entscheidungsfreiheit Macht oder Bürde? Ist die Rückkehr zu archaischen Systemen wie dem Patriarchat und der Vernunftehe im Grunde gut, weil sie die immer egoistischere, der Liebe unfähige Menschheit vor dem Aussterben rettet? Oder leitet sie durch die Untergrabung aller menschlichen Handelsautonomie gleichsam den Untergang des Menschen ein?

Die Analyse des Romans vor dem Hintergrund literaturästhetischer Trivialitätskriterien sowie der Polemiken hinsichtlich der Darstellung von Sexualität zeigt, dass sich das Werk gerade wegen seines ambiguen Charakters tendenziell in die Kategorie der anspruchsvollen Literatur einreiht.




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Anmerkungen

1 Zum deutsch-französischen Vergleich der Rezeption von Soumission sei an dieser Stelle auf den Artikel Agnieszka Komorowskas verwiesen. Neben den Rezeptionsunterschieden werden Houellebecqs Selbstdarstellung als nicht engagierter Autor und das Moment der Überblendung von Fakt und Fiktion nach dem Attentat auf das Satiremagazin Charlie Hebdo untersucht (Komorowska 2016: 137–162).




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2 Diese These ist insofern hinterfragungswürdig, als erregende Schriften per se nicht physiologisch zu reizen vermögen, sondern lediglich auf das Vorstellungsvermögen einwirken, sodass eine physiologische Reaktion nicht primär, sondern sekundär eintreten kann (siehe Marcuse 1962: 23).

3 Ein Beispiel für nicht pornografische Obszönität wäre die Bezeichnung der Bombardierung von Bagdad während des Golfkriegs als "großartiges Feuerwerk" (vgl. Gnüg 2002: 12).

4 Nach Gorsen ist dies für die Aktfotos des Playboys der Fall: Dabei handele es sich vielmehr um "schamindifferente" als um "schamlose" Darstellungen. Durch das aseptische und makellose Arrangement der Fotomodelle könne lediglich eine Art "Oberflächenreizung der sexuellen Person" ausgelöst werden (Gorsen 1987: 39).

5 Mit der Diskontinuität meint Bataille, dass ein Wesen sich von den zwei Wesen, die es hervorgebracht haben, unterscheidet und es insgesamt von allen anderen Wesen differiert. Die Kontinuität des Seins wird hingegen im Tod erreicht und ist gleichzeitig eine Phase der Fortpflanzung. Bataille führt hier das Beispiel der Verschmelzung von Spermium und Eizelle zur Zygote auf: Beide Elemente, Spermium und Eizelle, sind diskontinuierliche, voneinander unterschiedliche Wesen. Bei ihrer Verschmelzung hören sie auf, als einzelne Elemente zu existieren, und gehen in ihrer Vereinigung in die Kontinuität über, was für ihre Existenz als Individuen dem Tod gleichkommt. Aus ihrer Verschmelzung und der damit verbundenen Phase der Kontinuität geht ein neues, diskontinuierliches (da von der Parentalgeneration unterschiedliches) Wesen hervor: Die Zygote. Dem Fortpflanzungsakt, der mit der Erotik verbunden sein kann, wohnt demnach natürlicherweise der Tod inne. (Vgl. ebd.: 13–18)

6 Bataille geht davon aus, dass sich der Mensch stets nach Selbstverlust sehnt: "In der Erotik geht es immer um die Auflösung konstituierter Formen" (ebd.: 21).

7 Eco sieht zudem Trivialität als Phänomen der Massenkultur, das auf einer Komplizenschaft zwischen Autor und Leser beruht. Der Konsument wolle sich auf die Mühen komplexer ästhetischer Wahrnehmung nicht einlassen, sondern auf eine vereinfachte, Effekte produzierende Literatur zurückgreifen (vgl. Eco 1984: 63f.).

8 "Der Stoff ist ihr [der kitschigen Erzählung] nächst dem Reiz wichtig, oft so sehr, dass wir eine der Kumulation der Reize entsprechende Kumulation der Stoffe finden. […] Dem Kitsch hingegen muss die Wirkung des Augenblickes vorzüglich wichtig sein; mit ihr allein versichert er sich der Teilnahme seiner Leser, nur sie vermag die Reize zu gewähren, die das Ganze als ein Ganzes nie haben kann" (Killy 1961: 14).




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9 Darüber hinaus versteht Eco unter Kitsch die ostentative Benutzung von Stilformen und Ausdrucksweisen, die anerkannte Kunstwerke auszeichnen. Diese würden auf minderwertige Weise imitiert und in unangemessener Weise verwendet, sodass sie im anspruchsvollen Leser Unmutsreaktionen auslösen würden (vgl. Eco 1984: 59 und 64).

10 Mit dem "Alltagsbewusstsein" verbindet Dumont ein beschränktes Blickfeld auf unmittelbar gewollte Zwecke sowie eine begrenzte Reflexionsfähigkeit, die sich nur unmittelbarer Wirkungen des Handelns annimmt. Inhaltlich würde sich der Autor dabei lediglich an "Teilausschnitten" der gesellschaftlichen Realität orientieren und diese weitestgehend unkritisch in sein Werk integrieren (vgl. Dumont 1986: 1915).

11 Dumont beschreibt jene Schreibhaltung als "deskriptiv", die sich darauf beschränkt, einen Ist-Zustand der gesellschaftlichen Realität zu beschreiben. Dies vollziehe sich nach zwei Tendenzen, nämlich entweder einer vereinfachenden Harmonisierung von in Wirklichkeit konfliktgeladenen Zuständen mittels eines "versöhnenden Happy Ends" oder einer völlig überspitzten, übertrieben-kritischen Darstellungsweise, die "ohne Programm und ohne Richtung" einen Zerrspiegel der Gesellschaft entwerfe (vgl. ebd.).

12 Da sich nach Dumont ein literarisches Werk grundsätzlich in der Rezeption des Lesers realisiert, entfaltet sich darin erst seine Wirkung als trivial- oder hochliterarisches Werk. Der Leser werde durch eine gezielte emotionale Stimulierung nicht nur manipuliert, sondern auch entmündigt, da er dadurch nicht mehr in der Lage sei, eine rationale Distanz zum Dargestellten zu wahren, sodass er nach Kant kein "interesseloses Wohlgefallen" mehr empfinden könne (vgl. ebd.).

13 Siehe das Incipit von Camus' Roman: "Aujourd'hui, maman est morte. Ou peut-être hier, je ne sais pas." (2012: Première partie, I).

14 Nach ausgiebiger Recherche scheint es keinen Philosophen namens Da Silva mit einer solchen Theorie zu geben.

15 Was die Polemik bezüglich der politischen Provokation in Soumission angeht, sei an dieser Stelle auf den Artikel von Wolfgang Asholt verwiesen, der die Frage nach der "political correctness" im Roman erörtert. Seiner Meinung nach grenzt die Ablehnung des Schriftstellers Houellebecq in der französischen Literaturwissenschaft an (Selbst-)Zensur (vgl. Asholt 2016: 120).

16 Im Fall von Extensions du domaine de la lutte liegen auf 156 Seiten insgesamt 67 Bezeichnungen für die männlichen sowie die weiblichen Sexualorgane vor. Diese Zahl steigert sich beträchtlich in Les particules éléméntaires (1998), wo auf 394 Seiten 239 Mal Geschlechtsorgane aufgeführt werden. Der Einsatz obszönen Vokabulars gipfelt im Roman Plateforme, in dem der Autor auf insgesamt 370 Seiten 372 Mal (also durchschnittlich auf jeder Seite) Genitalien und sexuelle Körperflüssigkeiten thematisiert (vgl. Clément 2011: 177f.).

17 Siehe La possibilité d'une île (Houellebecq 2005): Beschrieben werden exzessive Studentenpartys in der Wohnung von Esther, der wesentlich jüngeren Geliebten des Protagonisten Daniel. Es fließt Alkohol in Strömen und es sind harte Drogen wie Kokain und Heroin in Umlauf, sodass es zu libertären, sexuellen Ausschreitungen unter den Gästen kommt. Den Anblick seiner geliebten Esther, die sich in dieser Nacht vielen fremden Männern hingibt, erträgt Daniel nicht, er berauscht sich und es kommt zu Eifersuchtsszenen, die den endgültigen Bruch zwischen den beiden Figuren einleiten.




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18 Siehe Les particules élémentaires: Der Protagonist Michel begibt sich zu einem Nudistencamp in der Hoffnung, dort seine sexuellen Gelüste stillen zu können. Dort wird er in einem Whirlpool Zeuge einer Orgie zwischen Christiane, seiner späteren Geliebten, und mehreren Männern. In dieser Tradition führen die beiden ihre Beziehung weiter, besuchen regelmäßig Swingerclubs, bis Christiane eines Abends in Folge ihrer fortschreitenden Wirbelnekrose unter dem Stoß eines fremden Sexualpartners im Swingerclub zusammenbricht. Angesichts ihrer daraus resultierenden Querschnittslähmung sowie des Verlusts ihrer sexuellen Vitalität und damit ihrer erotisierenden Wirkung auf Männer nimmt sich Christiane durch einen Sturz vom Balkon das Leben.

19 Siehe Les particules élémentaires: Der infolge der 68er-Bewegung von seinen Eltern im Stich gelassene Protagonist Michel hegt einen immensen Hass gegen seine Mutter. Als er sie als Jugendlicher eines Morgens nackt und schlafend mit ihrem Liebhaber im Bett vorfindet, ist er vom Anblick ihrer entblößten Scham so fasziniert, dass er der Versuchung kaum widerstehen kann, die Vulva seiner Mutter zu berühren. Letztendlich gelingt es ihm, seinem Impuls nicht nachzugeben, doch muss er sich daraufhin auf der Terrasse durch das Onanieren Abhilfe verschaffen. Skandalös ist diese Szene nicht bloß wegen ihrer extrem ödipalen Komponente, sondern weil sich Michel bei der Ejakulation auf der Terrasse durch eine Katze beobachtet fühlt und diese infolgedessen erschlägt. In seinen Therapiesitzungen schildert Michel minutiös sein Masturbationsbedürfnis sowie seine Vorgehensweise, sodass nicht nur die Therapeutin in Verlegenheit gerät, sondern sich auch zahlreiche Leser in den Rezensionen zum Roman über diesen Umstand empören.

20 In der Ménage-à-trois zwischen Rachida, Luisa und François (S: 197).

21 Dies spielt auf das sexuelle Risikoverhalten des Protagonisten an, der eine Ansteckung mit dem HI-Virus regelrecht herausfordert. Zusammen mit seiner allgemein nachlässigen Haltung gegenüber seiner Gesundheit durch übermäßigen Alkohol- und Nikotingenuss ist dieses sexuelle Detail ein weiteres Indiz für François' sukzessive Autodestruktion.

22 Die Hyporgasmie zählt zu den sexuellen Funktionsstörungen und liegt vor, wenn trotz physiologisch ausreichender Stimulation die Orgasmusfähigkeit eingeschränkt ist, sei es durch ein subjektives Gefühl der genitalen Taubheit oder durch einen stark verlangsamt eintretenden Höhepunkt (siehe Beier / Loewit 2012: 32).

23 An dieser Stelle sei das ironische Augenzwinkern des Erzählers erwähnt, der, um sein eigenes Handeln zu rationalisieren, regelmäßig pseudophilosophisch argumentiert. Bezugspersonen dieser Argumentationen sind vor allem Huysmans, Nietzsche und Kant.

24 Ergänzend zur Frage nach dem pornografischen Potential der geschilderten Sexualhandlungen im Roman drängt sich hier das pornografische Genre des interracial auf, in dem Darsteller unterschiedlicher Ethnien miteinander interagieren (siehe Lehman 2006: 208). Houellebecq lässt in seinen Romanen auffallend häufig Männer der Ersten Welt mit Frauen der Dritten Welt verkehren, im vorliegenden Fall den französischen Protagonisten mit zwei Nordafrikanerinnen und in Plateforme mit Thailänderinnen. Hier weise ich auf den Exotismusdiskurs von Jennifer Yee hin, nach welchem die Zusammenstellung der Interaktanten "Kolonisator – Kolonisierter" einem Differenz-Fetisch zugrunde liegt (vgl. Yee 2000: 211). Xuan Jing beleuchtet diesen Aspekt in ihrem Artikel nach Hegels Konzept der Phänomenologie des Geistes und sieht sowohl in der Unterrichtssituation François', der sein Literaturseminar vor schweigsamen Chinesinnen abhält, als auch in dessen sexuellen Konsum einen deutlichen Abdruck des Herr-Knecht-Verhältnisses mit kolonialgeschichtlicher Reminiszenz (vgl. Xuan 2015: 124). Dies spielt nicht nur auf das "dépérissement de la sexualité en Occident" an, sondern zeigt darüber hinaus, wie sich der westliche Mensch den Orient untertan macht und ihn mitverdirbt (vgl. Houellebecq 1998: 251).




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25 Siehe Guillebaud 2001: 121–173, der den Wechsel zwischen repressiven und freizügigen Phasen der menschlichen Sexualität in der Gesellschaft, insbesondere die Diskrepanz zwischen der von der modernen Gesellschaft verlangten Emanzipation und dem konformistischen Verhalten, das die vermeintliche sexuelle Befreiung des Individuums mit sich bringt, soziohistorisch untersucht.

26 Hier sei nochmals auf die freudianische These der menschlichen Fähigkeit zur Sublimierung hingewiesen, vgl. Freud 1994: 109–133. Nach Kant hingegen zeichnet sich der Mensch durch das ihm innewohnende Erkenntnisstreben und seine Vernunftbegabung aus. In seiner Analytik der Grundsätze unterscheidet der Philosoph innerhalb des Verstandes zwischen dem weitgefassten Verstandsbegriff sowie den enger gefassten Begriffen der Urteilskraft und der Vernunft. Dem Verstand im engeren Sinne werden Begriffe, der Urteilskraft Grundsätze und der Vernunft Schlüsse zugeordnet (siehe dazu Kant 1998: 130f.).

27 Der Erzähler listet im ersten Kapitel schlagwortartig mehrere weibliche, homophone Namen auf, mit denen er seine ehemaligen Partnerinnen erwähnt, ohne ausführlicher auf diese einzugehen. Höchstens wird deren körperlicher Verfall thematisiert.

28 In diesem Vergleich ist die Sexworkerin nichts weiter als eine Speise im Menü, die den Genuss und das Sättigungsgefühl des Klienten zu gewährleisten hat: il en allait des sites d'escorts un peu comme des guides gastronomiques, où la description, d'un lyrisme remarquable, des plats de la carte, laissait entrevoir des délices bien supérieurs à ceux qui étaient en fin de comptes éprouves […] (vgl. S: 185).

29 In den 120 journées de Sodome, ou L'école du libertinage (Sade 1904) werden die Sexualpraktiken in "passions simples", "doubles", "criminelles" und "meurtrières" unterteilt. Die darin dargestellte Sexualität ist von Vergewaltigung, Folter, Päderastie, koprophagen sowie blasphemischen Episoden durchzogen und wird zusätzlich von den skurrilen Reden der Libertins gekrönt.

30 In der Histoire d'O (Réage 1954) lässt sich die masochistische Protagonistin als Zeichen ihrer Unterwürfigkeit Brandmale am Gesäß sowie Ringe an ihren Schamlippen anbringen.

31 Catherine (Sharon Stone) wird des Mordes verdächtigt und dazu auf dem Polizeirevier verhört. Sie trägt ein kurzes, weißes Kleid und darunter keine Unterwäsche. Verführerisch raunt sie Detective Nick eine Gegenfrage zu und löst dabei wie beiläufig ihre damenhaft überkreuzten Beine: "Have you ever fucked on cocaine, Nick?" Die Kamera verweilt einen Moment auf ihrer unbedeckten Scham ehe sie die Beine wieder gemächlich überschlägt und lasziv abschließt mit "It's nice".

32 In Myriams Lustbekundungen manifestiert sich deutlich die Ästhetik der Wollust nach Faulstich.




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33 Mit "Semikonversion" sei hier auf das Raumkonzept Lotmans verwiesen, der die Handlung literarischer Texte hinsichtlich ihrer Raumüberschreitung in "sujethafte" und "sujetlose" unterteilt (vgl. Lotman 1993: 237). Im vorliegenden Roman visiert der Protagonist eine Konversion an, ohne sie faktisch zu vollziehen. Des Weiteren beabsichtigt er nicht, den Geboten des Islams wie den täglichen Gebeten und der Abstinenz von Alkohol Folge zu leisten, sodass eine Raumüberschreitung im Sinne Lotmans nur bedingt vorliegt.

34 Collins sieht die Integration widersprüchlicher Stilarten als radikales Experiment der Postmoderne an, die unter anderem die Überbrückung der Kluft zwischen Elite- und Massenkultur zum Ziel hat: "Post-Modernism departs from its predecessors in that as a textual practice it actually incorporates the heterogeneity of those conflicting styles […]." (Collins 1989: 114f.)

35 Zum Beispiel als François angesichts seiner Politikverdrossenheit trocken konstatiert, er sei 'politisiert wie ein Handtuch' (vgl. S: 50).

36 Siehe Derrida 1972: 201–218 und Derrida 1976: 44 hinsichtlich des Konzepts der Differenz und Iterabilität.

37 Eine Ausnahme bildet sein Roman La carte et le territoire (Houellebecq 2010).

38 Myriam verkörpert in der Verführung François' an dessen Geburtstag das Klischee der femme fatale, was durch die starke gestische Ähnlichkeit zum Film Basic Instinct evoziert wird. Damit wird der Szene zusätzlich eine intermediale Dimension verliehen, was aus postmoderner Perspektive von poetischer Raffinesse zeugt.

39 Houellebecqs soziologische Gesellschaftssatire unter bewusstem Einsatz von Klischees und Stereotypen wird von Schober sogar als Anschluss an die Realismustradition Flauberts und Balzacs, gar als Erneuerung des voltaireschen conte philosophique gewertet (vgl. Schober 2003: 156, 186 und 221). Weitere satirische Anklänge an den literarischen Realismus bietet Houellebecq, indem er seinen Protagonisten minutiös seine kulinarisch anspruchslosen Mahlzeiten (z.B. gummiartige Rinderzunge aus der Mikrowelle) beschreiben lässt.

40 Das Thema der "Als-Ob-Bekehrung" in Soumission wird in Kai Nonnenmachers Artikel ausführlich behandelt. Neben Fragen der Vereinbarkeit von politischem Katholizismus und Laizismus wird das Motiv der Konversion als Autofiktion in Soumission untersucht. Sehr interessant ist in diesem Zusammenhang Nonnenmachers vergleichende Analyse der autofiktionalen Auseinandersetzung mit dem Glauben in Royaume von Emmanuel Carrère (Nonnenmacher 2016: 171–198).




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41 Xuan Jings Lesart des Romans als "Geschichtsparabel über den Kulturzustand Europas" ist hierbei sehr aufschlussreich: "Europa […] befindet sich in einer Wandelphase zwischen Selbstaufgabe und Selbsterneuerung. Liegt einerseits der Zukunftsvision eines islamischen Frankreichs die Geschichtslogik zugrunde, daß die westliche Kulturgemeinschaft ihrer Selbstverwirklichung zum Opfer fällt, so bedeutet dieses Opfer andererseits – dafür spricht das Leitmotiv des Romans, die Konversion – keinen Untergang, sondern stellt vielmehr ein dialektisches Moment dar, bei dem die Unterwerfung im Sinne einer absoluten Anerkennung des Anderen zu einem neuen Selbstbewußtsein führt." (Xuan 2015: 2)

42 "Kann man nicht alle Werte umdrehn? Und ist Gut vielleicht Böse? Und Gott nur eine Erfindung und Feinheit des Teufels? Ist alles vielleicht im letzten Grunde falsch?" (Nietzsche 2013: 35).