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Julia Anand (Mainz)



Die (Un)Schuld einer Stadt. Das poröse Neapel der Certi bambini Diego De Silvas



The Guilty Innocence of a City. Naples’ Porosity in Diego De Silva's Certi bambini
The 'written city' in Diego De Silva’s Certi bambini is more than merely a decorative background that provides a setting for the characters, or positions them within a particular environment. On the contrary, the urban spaces of the city of Naples and the characters depicted in the novel are often at odds with each other. This conflict renders urban space meaningful in the sense that it conveys the story’s core messages. The function of the 'written city' is lacking critical examination at present. Hence, this article aims at investigating in more detail the narrative elements of the novel that deal with space and focalization. The purpose of the study is to reveal how the city becomes emblematic and is either blamed for or, in fact, innocent of the destiny of the certi bambini, the group of young criminal boys at the heart of the plot who belong to the Neapolitan sub-proletariat. In this context, the concept of porosity, considered by Walter Benjamin to be a typical quality of Naples, serves as a useful category to further scrutinize the 'written city' in the story. As porosity is a constant theme throughout the novel, both at the content and the structural level, it should also be considered pivotal for the question of guilt, which is constantly raised within the text.



1 Einleitung – De Silvas Stadt in der literarischen Tradition Neapels

Die Stadt Neapel war lange Zeit nur in Reiseberichten oder Erzählungen ausländischer Autoren präsent, wobei vor allem ihr romantisches Postkartenidyll thematisiert und textuell erzeugt wurde (Ghirelli 1977: 52f.). Nach dem zweiten Weltkrieg befand sich Neapel in einer katastrophalen humanitären Lage. Damit einhergehend veränderte sich auch ihre Erscheinung in der Literatur: Vermehrt wandten sich neapolitanische Schriftsteller literarisch ihrer Heimatstadt zu und setzen sich kritisch mit ihr auseinander. Der neapolitanische, in Italien medial sehr präsente Schriftsteller De Crescenzo fasst diese literaturgeschichtliche Veränderung in seinem Werk Così parlò Bellavista (1986) kritisch zusammen:

Dal dopoguerra in poi invece gli ordini letterari improvvisamente subivano un'inversione di rotta: guai a parlare di mare, di sole e di cuore napoletano! Cominciando da Malaparte e finendo a Luigi Compagnone, Anna Maria Ortese, Domenico Rea, Raffaele La Capria, Vittorio Viviani e compagnia cantando, il desiderio di togliere il trucco con il quale per tanti anni era stato imbellato il volto della nostra città ha fatto sì che insieme ai cosmetici è stata tolta forse anche la pelle del viso di un popolo che, pur senza mandolini e chitarre, continuava in ogni caso ad avere una propria fisionomia caratteristica. (De Crescenzo 1986: 8f.)1




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Sergio Izzo arbeitet ebenfalls "zumeist resignierend-pessimistische […] Wirklichkeitsinterpretationen von bisweilen apokalyptischem Ausmaß" der Stadt in der neapolitanischen Literatur der Nachkriegszeit heraus, die bis in die Gegenwartsliteratur vorherrschen (Izzo 2009: 9). Vor allem in den 50er Jahren wurde die "immagine collettiva" eines negativen Neapelbildes geschaffen, das die Literatur geprägt und auch für neapolitanische Autoren der Gegenwartsliteratur verbindliche Motive hervorgebracht hat (Prisco 1994: 124, vgl. auch Contarini 2003). Im postmodernen Italien bleibt die neapolitanische Literatur lange Zeit isoliert. Die öffentliche kritische Haltung war in der postmodernen Literatur fast verschwunden, versteckt unter dem Deckmantel medialer 'Großereignisse' (vgl. Donnarumma (2008: 54), wie Tiziano Scarpa in seinem Werk Kamikaze d'Occidente darstellt:

Negli ultimi vent'anni si sono tenuti celati i conflitti sotto una coltre di irrealtà: ma davvero credevamo di intorpidire per sempre un'intera nazione a colpi di campionati di calcio, Ferrari, Miss Italia, telequiz, lotterie, Festival di Sanremo? (Scarpa 2003: 170)

Nach diesem postmodernen Verzicht auf politisches Engagement haben die zeitgenössischen Intellektuellen das Bedürfnis, sich wieder häufiger über das öffentliche Leben zu äußern, was einen stärkeren Fokus auf Themen wie die organisierte Kriminalität oder die Aktivitäten von Berlusconi zur Folge hat (vgl. Donnarumma 2008: 43). Ihre Erzählungen werden zu einer journalistischen Reportage zwischen Dokumentation und Anklage und präsentieren sich als wahrheitsgetreue Zeugenaussage, verpackt in Form von Autobiografien, oder in einem "racconto credibile in prima persona" (ebd.: 42). Es handelt sich laut Donnarumma wenn auch nicht um eine eigene literarische Strömung, so um eine "tensione realistica" (ebd.: 54), auch wenn diese klar als "meccanismo estetico", als "una parte del gioco" verstanden wird (ebd.: 44). Die destruktive narrativa contemporanea neapolitanischer Schriftsteller steht ganz im Zeichen der allgemeinen italienischen Gegenwartsliteratur und befasst sich hierbei häufig mit ihrer Stadt (vgl. De Liso 2013: 2). Obwohl die Trümmer des Nachkriegsneapels längst beseitigt sind, stehen immer noch sozialkritische Themen im Mittelpunkt zeitgenössischer neapolitanischer narrativa: die hygienisch unzumutbaren Zustände und die kaltblütige Kriminalität, die Neapel unübersehbar prägen und häufig auf die korrupte Misswirtschaft lokaler Politiker und den Einfluss der Camorra zurückgeführt werden können (vgl. Izzo 2009: 4f.).

Viele der etablierten Bosse der Camorra sitzen seit einigen Jahrzehnten in Haft, doch in den letzten Jahren gewinnt die Mafia in einer ganz anderen Form wieder tödlichen Einfluss in den Straßen Neapels: durch die sogenannten baby killer. Ihr äußerst kaltblütiges Handeln steht in Kontrast zu der verniedlichenden Bezeichnung, die auf ihr Alter anspielt: Die Täter sind jung, teilweise sehr jung, Pubertierende oder gar Kinder und kommen aus unauffälligen Familien vom Rand der Gesellschaft; ihre Eltern sind häufig arbeitslos oder verwahrlost. Ersteres macht es für Polizei und Justiz besonders schwierig: Undurchsichtig und kleinteilig organisiert kommen die baby killer aufgrund ihres Alters meist mit geringen Strafen davon (vgl. Bremer 2016).




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Der in Neapel geborene Schriftsteller Diego De Silva befasst sich in seinem 2001 bei Einaudi erschienenen Roman Certi bambini (De Silva 2014) mit den Anfängen der Instrumentalisierung von Kindern im Rahmen krimineller Taten der Mafia, aus denen sich seither eigenständige baby killer-Banden entwickelt haben. Die Geschichte von De Silvas Protagonisten Rosario spielt sich vor dem Hintergrund eines anonymen Betonneapels ab, das niemals nur dekorative Funktion hat, sondern sich im Sinne Lotmans zu einem Gesamttopos zusammensetzt (vgl. Lotman 1993: 329). Dem urbanen Raum in Certi bambini kommt somit eine semantische Funktion zu: Er impliziert eine wechselseitige Beeinflussung von Stadt und Bewohnern.2 Aufgrund dieser Symbiose scheint der Stadt Neapel selbst eine Schuld am Schicksal ihrer Bewohner zuzukommen, wie es die Forschung festgestellt hat (vgl. De Liso 2013 und Conrad von Heydendorff i. Dr.). Dabei wird jedoch übersehen, dass in einem reziproken Verhältnis die Beeinflussung niemals einseitig sein kann: Die unilaterale Schuldzuweisung ist daher zu hinterfragen, wobei im Folgenden insbesondere die Strukturen der wechselseitigen Durchdringung im gesamtnarratologischen Kontext der Erzählung untersucht werden sollen.

Um die Schuldfrage zu beantworten, die die Erzählung mit ihrer moralischen Semantisierung urbaner Räume stellt, sollen zunächst die Theorie räumlicher Strukturen in literarischen Texten nach Jurij Lotman (1993) sowie das von Benjamin (1994) und Bloch (1965) für Neapel konstatierte Konzept der Porosität dargestellt werden. Anschließend folgen exemplarische Textanalysen, anhand derer in einem ersten Schritt die Konstitution eines porösen Neapels in Diego De Silvas Certi bambini untersucht wird. In diesem Zusammenhang werden auch erste Hinweise auf die Porosität der Figuren geliefert und eine erste textinterne Rolle der Porosität herausgearbeitet. Im Folgenden soll dann die Funktion und Bedeutung der Textstadt Neapel in Certi bambini auf ihre (Un)schuld hin untersucht werden. Hierzu werden in Orientierung an der Vorgehensweise einer Strukturanalyse vorerst die Fokalisierung und der Standpunkt des Erzählers betrachtet, um anschließend die Struktur der Erzählung sowie die Modellierung der Figuren und deren Beziehung zueinander zu analysieren. In diesem Zusammenhang soll eine weitere, textexterne Rolle der Porosität aufgezeigt werden.


2 Raumstruktur und Porosität in literarischen Texten

Die Großstadt kann man mit Horst Weich als dynamisches System prinzipiell gleich-gültiger Oppositionslinien verstehen, die nur schwer zu erfassen sind und sich einer Beschreibung tendenziell entziehen (vgl. Weich 1999: 39). Den Grundsatz räumlicher Oppositionen und ihrer Funktionen entwickelt Jurij Lotman in Die Struktur literarischer Texte (1993). Lotman versteht ein Kunstwerk als abgegrenzten Raum, der in seiner Endlichkeit ein unendliches Objekt, nämlich die äußere Welt, abbildet (ebd.: 311). Als Problem des literarischen Raumes stellt sich dar, dass für die meisten Menschen die "Denotate verbaler Zeichen irgendwelche räumlichen, sichtbaren Objekte sind, und das führt zu einer spezifischen Rezeption verbalisierter Modelle" (ebd.: 312). Der Rezipient entwirft also durch seine subjektive Raumvorstellung den textuell erzeugten Raum selbst. Somit wird die textuelle Semantik zur Sprache der räumlichen Modellierung (ebd.). Räumliche Strukturen meinen nach Lotman nicht nur materiell vorhandene Räume. Ebenso können Begriffe, die nicht räumlicher Natur sind, in räumlichen Modellen dargestellt werden. Die Sprache räumlicher Relationen erweist sich so z.B. auf der ideologischen Modellbildung als grundlegendes Mittel zur Deutung der Wirklichkeit. Alle "Modelle der Welt", soziale, religiöse oder politische Systeme, sind immer mit räumlichen Charakteristiken ausgestattet: hoch-niedrig, rechts-links, nah-fern haben hier keinen räumlichen Inhalt, sondern erhalten Bedeutungen wie 'gut' oder 'schlecht' (ebd.: 313). Jurij Lotman verweist darauf, dass 'hoch' und 'niedrig' in vielen Kulturen die gemeinsame Konnotation 'gut' und 'böse' eignet (ebd.: 313f.). Für meine Fragestellung von Bedeutung ist zudem Lotmans Beschreibung der topologischen Grenze, die er als das wichtigste Merkmal des Raumes befindet und die mit Weichs Großstadt-Oppositionen korreliert:




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Sie teilt den Raum in zwei disjunktive Teilräume […]. Die Art, wie ein Text durch eine solche Grenze aufgeteilt wird, ist eines seiner wesentlichen Charakteristika. […] [W]ichtig ist […]: die Grenze, die den Raum teilt, muß unüberwindbar sein und die innere Struktur der beiden Teile verschieden. (Ebd.: 327)

An die sich durch eine solche Grenze ergebenden Teilräume können verschiedene Figuren geknüpft sein, die die durch die Räume erzeugten ideologischen Gegensätze verkörpern (ebd.: 328).

In der vorliegenden Erzählung ist eine klare Abgrenzung verschiedener urbaner Teilräume nicht möglich. Diese durchdringen einander vielmehr und auch die Figuren sind innerlich nicht homogen: Die räumlichen Strukturen sowie der Protagonist Rosario und die für dessen Entwicklung bedeutende Figur der Caterina werden porös.

Das Adjektiv "porös" leitet sich von dem Substantiv "Pore" (griech.: póros) ab und bedeutet so viel wie "Loch, Öffnung, Höhlung" oder "Vertiefung". Dieser Begriff, der unter anderem in den Geowissenschaften verwendet wird, um die Eigenschaften von Gestein und Erden genauer zu bestimmen (vgl. Scholler i. Dr.), lässt sich auch als Eigenschaft der Stadt Neapel festsetzen: Als poröse Stadt wird Neapel in Walter Benjamins Aufsatz Neapel (Benjamin 1994) und Ernst Blochs Schrift Italien und die Porosität beschrieben. Bloch bezeichnet Neapel dort als "Lehrstunde in Porosität" (Bloch 1965: 509). Benjamin und Bloch hielten sich 1924 im Kreise weiterer Literaten und Philosophen auf Capri und in Positano auf, wo viele Aufsätze entstanden, die sich vor allem mit der Stadt Neapel befassen (Ujma 2007: 57). Benjamin ordnet in diesem Kreise als erster der Stadt Neapel den Begriff der "Porosität" zu3 und verweist vor allem auf ihre geologische und architektonische Erscheinung:

Porös wie dieses Gestein ist die Architektur. Bau und Aktion gehen in Höfen, Arkaden und Treppen ineinander über. In allem wahrt man den Spielraum, der es befähigt, Schauplatz neuer unvorhergesehener Konstellationen zu werden. Man meidet das Definitive, Geprägte. Keine Situation erscheint so, wie sie ist, für immer gedacht, keine Gestalt behauptet ihr 'so und nicht anders'. So kommt die Architektur, dieses bündigste Stück der Gemeinschaftsrhythmik, hier zustande [...]. (Benjamin 1994: 309)

Auch Claudio Velardi untersucht in seinem in den 90er Jahren erschienenen Werk La città porosa, conversazioni su Napoli (Velardi 1992) mit Gesprächspartnern die Porosität der Stadt. In seinem Gespräch mit Francesco Venezia "Il deserto, il corpo, il sottosuolo" begründet dieser die Eigenschaft der Porosität ebenfalls in erster Linie mit der geologischen Beschaffenheit Neapels, "costituita quasi nella sua totalità da colline o grossi banchi tufacei" und geht im Folgenden auf die Höhlensysteme ein, die unterhalb der neapolitanischen Stadtviertel liegen und teilweise in die Wohnbauarchitektur integriert sind (Venezia 1992: 29). Doch Benjamin und auch Bloch belassen es nicht bei der urban-geografischen und kunsthistorischen Porosität Neapels. Die geografische Beschaffenheit des Untergrundes der Stadt wird metonymisch fortgesetzt und zum "Bildspender" für das Alltagsleben (Scholler i. Dr.). So wie Tuffgestein und Höhlen das Mauerwerk und den barock gestalteten Stein durchdringen, ist die Stadt auch auf soziokultureller Ebene porös. Bloch nennt hier die Kollektivität, die im gesellschaftlichen Gefüge die Privatsphäre überlagert (Bloch 1965: 509). Walter Benjamin beschreibt in seinem Aufsatz das durch Katholizismus und Camorra geprägte poröse Alltagsleben der Stadt (Benjamin 1994: 307), deren "räumliche, zeitliche und soziale Beziehungen" sich gegenseitig durchdringen und somit die Eigenschaft der Porosität erhält (Scholler i. Dr.). Auch Velardi greift diese Ausweitung des Porositätsbegriffes auf:




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Napoli è porosa come la sua architettura. Porosa nella forma, nei suoi rapporti sociali, nel carattere dei suoi abitanti. L'anima della città, quindi, non può essere racchiusa in un punto, in un'immagine. Sfugge alle definizioni, è porosa come le sue mura. (Velardi 1992: 10)

Dietrich Scholler geht in seiner Einleitung "'Stadt des Porösen' – Neapel als Denkbild" (i. Dr.) noch einmal näher auf das "assoziative Netz" um den Begriff der Porosität ein und merkt an, dass sich Benjamins Denkbild Neapel durch die Lockerung der lexikalisierten Bedeutung zwischen Signifikant und Signifikat mit Unschärferelationen auflädt (ebd.). Diese Relation benennt er mit Leifeld (2000: 53f.) als eine "Figur […] der Ausdehnung", die zum einen die "Versinnbildlichung des Denkprozesses" umfasst, sich zum anderen aber auch auf den Rezipienten auswirkt: Dieser erschafft eine eigene Vorstellung des "Denkbildes" vor seinem geistigen Auge, das jedoch durch das "Weiterlesen" sogleich wieder verschwindet (Scholler i. Dr.). Der Leser muss das Bild bewusst wiederbeleben, um es auch mit eigenen Vorstellungen verknüpfen zu können, weshalb Scholler Benjamins "Denkbild" eine "Energie- und Bewegungsleistung" zuspricht (ebd.). Die 'Leserleistung' wird bezüglich der Rolle der Porosität in Certi bambini zum Tragen kommen.

Die räumliche Struktur eines Textes ist also mehr als nur "dekorativer Hintergrund" (Lotman 1993: 329) und der dargestellte Raum lokalisiert nicht nur die Figuren und das Geschehen. Er dient ebenso der Repräsentation nicht-räumlicher Relationen im Text, die eine für die semantische Ebene relevante Struktur des "Gesamt-Topos" schafft (ebd.).


3 Konstitution und Funktion von Stadt und Text in Diego De Silvas Certi bambini

Certi bambini erzählt in 20 Kapiteln die Geschichte Rosarios, eines elfjährigen Jungen aus dem neapolitanischen Subproletariat, der zwischen caritativen Hilfsarbeiten im Frauenhaus Casa Letizia und verschiedenartigen kriminellen Tätigkeiten – vom Einbruch bis zum Auftragsmord – hin- und hergerissen wird. Repräsentiert werden die beiden Bereiche durch die Figuren Santino (Casa Letizia) und Damiano (Kriminalität), während sie sich mit Caterina, einer Bewohnerin des Frauenhauses, vermischen.

In Anlehnung an die aristotelische Einheit der Zeit wird im Roman ein Tag aus dem Leben Rosarios nachgezeichnet: Nach dem Aufstehen beobachtet der Junge seine Nachbarn im Wohnblock einer neapolitanischen Vorstadt, bereitet seiner Großmutter Lilina, um die er sich kümmern muss, das Frühstück und verbringt den Vormittag mit seinen Freunden in der Bar Las Vegas. Am Mittag kommt er zurück nach Hause und packt seine Trainingstasche, in der sich eine Pistole befindet, zieht zur Tarnung seine Fußballkleidung an und verlässt die Wohnung, um seinen ersten Auftragsmord zu begehen. Diesen vollführt er in einer dunklen Unterführung.




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Auf dem Nachhauseweg in der U-Bahn sitzt er einem Mädchen gegenüber. Dessen Ähnlichkeit zu Caterina, einem verstorbenen 17-jährigen Mädchen, in das Rosario verliebt war, ruft in ihm sequenzhafte Erinnerungen wach. Rosarios Geschichte entwirrt sich in der Folge durch solche episodenhafte Erinnerungen, die durch unterschiedliche Situationen und die Konfrontation mit Nebenfiguren evoziert werden und dem Leser rückblickend das Leben, die Gedanken und Gefühle der Figur näherbringen und erklären, wie Rosario zum Mörder wurde. Rosarios Alltag besteht aus Diebstählen, Treffen mit seinen Freunden, Billardspiel, Alkohol und Zigaretten. Zur Schule geht er nicht; vielmehr nimmt Damiano, ein Mitglied der Mafiabande, die Rolle eines Lehrers ein, der ihn in die Kriminalität einführt und ihn alles über das Töten lehrt. Von seinem Vorbild, dem in der Casa Letizia sozial engagierten Santino, wendet er sich ab, als er erfährt, dass dieser ein Verhältnis mit Caterina hat. Rosarios Halt im positiv konnotierten Neapel erfährt hierdurch einen Bruch. Als Caterina schwanger wird und bei der Geburt verstirbt, verliert er diesen Halt vollends. Der Racheakt am praktizierenden Arzt markiert den Wendepunkt in Rosarios Karriere, der von nun an nur noch im Dienste Damianos steht. Schon diese knappe inhaltliche Darstellung der Erzählung macht die symbiotische Verbundenheit zwischen der Stadt und ihren Einwohnern evident. Wie genau sich diese Porosität konstituiert, soll im Folgenden beleuchtet werden.


3.1 Die Konstitution einer porösen Stadt

Bei der Betrachtung der Stadt in Certi bambini muss zunächst darauf hingewiesen werden, dass die Stadt Neapel gar nicht explizit benannt wird. Dennoch wurde die Referentialisierung der parthenopäischen Orte von der Kritik hinreichend bewiesen.4 Die Textstadt konstituiert sich nach Christiane Conrad von Heydendorff durch Stadtlexeme, die auf den äußeren Bezirk einer Großstadtlandschaft verweisen. Hierbei geht sie auf das Incipit der Erzählung ein (Conrad von Heydendorff i. Dr.), das auch für die vorliegende Betrachtung von Bedeutung ist. Bereits am Texteingang wird ein urbaner Raum geschaffen, der die Eigenschaft der Porosität sowohl im geologischen als auch im sozialen Kontext aufweist. Der Eingangssatz beschreibt im Präsens die bereits erwähnte Unterführung ("galleria"), über der die Überführung ("cavalcavia") ins "quartiere popolo nuovo" führt (Cb: 3). Die Unterführung verweist zum einen auf die Höhlensysteme des neapolitanischen Untergrunds. Zum anderen ordnen die im folgenden Satz genannten Spezifikationsisotopien (vgl. Mahler 1999: 16f.) der Unterführung die positiv konnotierte Eigenschaft "comoda" zu, der jedoch der Hinweis "[che] la gente la fa poco, per via dei tossici" entgegen steht (Cb: 3). Hierdurch wird auf die semantische Ebene der Gegensätze verwiesen, die den ganzen Roman durchziehen und auf poröse Art und Weise ineinander verwoben sind. Da Drogenabhängige sich statt in speziellen Einrichtungen oder Beratungsstationen in der Unterführung aufhalten, erhält die Textstadt die Eigenschaften 'verwahrlost', 'sozial nicht organisiert' und 'von der Stadtverwaltung vergessen', denn regelmäßige Kontrollen durch beispielsweise Ordnungspolizisten könnten die eigentliche Funktion dieses Ortes garantieren. Einige Zeilen später wird dieses triste Bild durch die Gedanken Rosarios bestätigt, als dieser versucht, sich an Details eines brutalen Überfalls auf ihn und seine Freunde in der Unterführung zu erinnern, jedoch nichts als das "grigio della strada" vor dem inneren Auge sieht, das immer wieder verschwindet um gleich darauf wieder zu erscheinen ("scompare e riappare") (ebd.). Das wiederholte Auftauchen und Verschwinden des grauen Asphalts kann als pars pro toto für das überall immer wieder auftauchende Asphalt- und Betongrau des Viertels verstanden werden, was eine gewisse Anonymität und Kälte in der Vorstellung des Rezipienten erzeugt. Es wird also das Bild eines vernachlässigten, sich selbst überlassenen, grauen und gefühllosen Großstadtvorortes entworfen.




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Die Textstadt lässt sich, wie im Folgenden gezeigt werden soll, durch dreierlei Arten von Porosität definieren: durch extrovertierte, introvertierte und semantisch moralisierende Porosität. Ein erster Fall von Porosität findet seinen Ausdruck zum Beispiel in einem Graffito, das Rosario während einer Autofahrt mit Damiano wahrnimmt: "NON SEI STATA SINCERA" (Cb: 18, Hervorhebung im Original). Der hier von Damiano als "ricchione" (ebd.) bezeichnete Urheber des Graffito trägt sein privates Innenleben nach außen und teilt es der Gemeinschaft mit. Dies soll als extrovertierte Porosität bezeichnet werden.5 Auch wenn Graffiti an allen denkbaren Orten anzutreffen sind, so weist dieser Schriftzug auf die poröse Durchdringung von Öffentlichem und Privatem hin. Dieses Phänomen hat auch Walter Benjamin in seinem Text über Neapel festgehalten: "Jede private Haltung und Verrichtung wird durchflutet von Strömen des Gemeinschaftslebens" und "[w]ie die Stube auf die Straße wiederkehrt, mit Stühlen, Herd und Altar, so, nur viel lauter, wandert die Straße in die Stube hinein." (Benjamin 1994: 314)

Eine ähnliche Vermischung von Privatem und Öffentlichen findet sich in gespiegelter Weise bei der Beschreibung von Rosarios häuslichem Umfeld: Gleich nach dem Erwachen öffnet Rosario die Fensterläden und schaut hinaus in den Hof. Das Öffnen der Fensterläden geschieht zeitdehnend durch eine Beschreibung über dreieinhalb Zeilen, betont durch adjektivische Spezifizierungen wie "pazientemente" (Cb: 4) oder das langsame Öffnen der Augen ("apre gli occhi sul cortile", ebd.). Mit der Flut an Eindrücken, die der Innenhof bietet, bricht das öffentliche Leben über ganze 18 Zeilen hinweg in den privaten Raum von Rosarios Zimmer ein, sodass wir von introvertierter Porosität sprechen können. In synthetischer und intensiver Weise nimmt Rosario "l'odore di famiglie con figli […], il pastore dell'ammezzato […] [e] il segretario della scuola elementare, Scannapieco […] [che] sta litigando con le sorelle […]" wahr (ebd.: 4f.). Die Intensität und Vielschichtigkeit der Eindrücke, die in sein Zimmer eindringt, wird durch die Länge der einzelnen Sätze und die detaillierte Beschreibung des mit allen Sinnen Wahrgenommenen gesteigert ("adesivi die formaggini", "abbaia in continuazione", "brontola al volume giusto", "colpisce forte la ringhiera con la mano aperta", ebd.). Nachdem Rosario sich erst einmal eine Zigarette angezündet hat (als müsse er das soeben Gesehene verdauen), folgt eine weitere Beschreibung des Innenhofes und des morgendlichen Treibens, die sich dann auf die genauere Betrachtung der "Signora Assuntina" konzentriert (ebd.: 5–7). Hier erfährt die introvertierte Porosität eine weitere Steigerung, da die Beobachtung des Öffentlichen in Rosarios intimster Privatsphäre erotische Regungen hervorruft: "mò vado a casa sua, busso, quella apre e me la fotto. Nessuna cosa al mondo gli è mai sembrata più possibile. Poi si schiaccia l'erezione con la mano." (ebd.: 7)

Ebenjene Signorina Assuntina provoziert auch die dritte Ausprägung der Porosität, in der die stets präsenten Gegensätze von Glauben und Kriminalität verschmolzen werden: Wie der Name Assuntina, von Assunta, "Vergine elevata al cielo in anima e corpo" (Zingarelli 2011: 203), auf den in Neapel äußerst wichtigen katholischen Glauben verweist, so hat auch der Name des Protagonisten Rosario (gleich dem ital. rosario, der Rosenkranz, vgl. Tagliavini 1978b: 327f.), eine katholische Herkunft und Bedeutung.6 Der katholische Glaube findet in Neapel seinen Fixpunkt in der Figur der Madonna, die an jeder Ecke der Stadt zu finden ist. Die Madonna ist in Certi bambini eng verknüpft mit dem Schauplatz des Verbrechens (der galleria)7, sowie mit der Figur der Caterina, die Rosario als "madonna" (Cb: 118) betrachtet und die er nach ihrem Tod sogar anbetet (ebd.: 42).




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De Silva verwendet hier den Topos der verstorbenen Geliebten, die Dante und Petrarca mit Beatrice und Laura sinnbildend für die italienische literarische Tradition einführten. Die Figur der Caterina wird – ähnlich wie es auch Beatrice und Laura für die beiden Renaissancedichter wurden – zum Leitbild Rosarios. In der Tat misst er in dem Moment, als er die Unterführung zur Ausführung des Mordes betritt, seinen Schritt an ihr: "Inizia a camminare, regolando il passo sulla madonnina in lontananza." (Ebd.: 34) Caterinas Präsenz am Ort des Verbrechens führt zu einer Vereinigung von Katholizismus und Kriminalität, was sie zur Verkörperung des porösen Zustandes der Stadt werden lässt. Es soll an dieser Stelle von einer semantisch-moralisierenden Porosität gesprochen werden, da – so Benjamin – die Stadt stets danach strebe "Katholizismus aus jeder Situation sich wieder herzustellen" (Benjamin 1994: 307). Die hier dargestellte Porosität wirkt also moralisierend und nimmt damit eine wichtige textinterne Rolle in diesem literarischen Schuldprozess gegen Neapel ein.

Auf inhaltlicher Ebene wird also durch bestimmte urbane Räume sowohl architektonisch als auch soziokulturell das Bild einer porösen Stadt konstituiert. Die Räume eines großstädtischen Vorortes lassen in der Imagination des Lesers ein anonym-graues, verwahrlost-vergessenes, chaotisch-lautes und kriminell-kaltblütiges Neapel entstehen. Die certi bambini leben nicht im 'Postkartenneapel', sondern inmitten von anonymem Zement, Über- und Unterführungen, düsteren Kneipen, alten Autos und Blocksiedlungen (vgl. Conrad von Heydendorff. i. Dr.). Die Porosität zeigt sich in der Zurschaustellung des Privaten im Öffentlichen, des Hereinholen des Öffentlichen in das Private und nicht zuletzt in der moralisierenden Ausgleichbewegung zwischen Katholizismus und Kriminalität.


3.2 Die poröse Struktur des Stadttextes  

Konnte bisher die poröse Konstitution der Stadt auf inhaltlicher Ebene nachgewiesen werden, so wird im Folgenden die Durchlässigkeit der Textstruktur im Fokus stehen. Porosität manifestiert sich im Roman in der Modellierung der Erzählperspektive, der verwendeten Sprache, der verschiedenen Erzählebenen, der Figuren und der topologisch-semantischen Raumaufteilung.


3.2.1 Die 'durchlässige' Instanz des Erzählers und seine Sprache

"Ancora oggi, e ci pensa, Rosario si contorce dalla colera. […] Tutti quei calci con gli stivali con la punta. Tutti quei pugni in faccia. Rosario vorrebbe tanto ricordarsi quegli stronzi, ma non li ha visti bene." (Cb: 3) Der heterodiegetische Erzähler nimmt eine sehr geringe Distanz zum Protagonisten ein, dessen Perspektive er in interner Fokalisierung vermittelt. Dies wird gleich zu Beginn deutlich, als Rosario über den brutalen Vorfall in der bereits betrachteten galleria nachdenkt: Der Rezipient folgt allein Rosario in seine Welt, er erhält keinen Einblick in die Welt der Nebenfiguren. Die sehr geringe Distanz des Erzählers zu Rosario zeigt sich im soeben angeführten Zitat in der Verwendung des Schimpfworts stronzo: Die erlebte Rede gleicht hier fast einem stream of consciousness, da Rosarios Gefühle und Gedanken dem Leser direkt vermittelt zu werden scheinen. Es entsteht eine Art 'Durchlässigkeit' der Erzählinstanz. Diese lässt sich als weiterer stilistischer Verweis auf die Porosität werten, die infolgedessen sowohl Rosario als auch der durch ihn rezipierten Stadt als Eigenschaft zugeordnet wird. Das Schimpfwort vermittelt die Gefühle 'Wut' und 'Aggression', die Rosario gegen diejenigen hegt, die ihn und seine Freunde verprügeln, und weist auf seine Zugehörigkeit zum Subproletariat hin.




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Die Dialoge werden vom Erzähler nicht modifiziert, sondern in direkter Rede wiedergegeben. Dies geschieht unter Verwendung von Dialekt oder dialektal geprägter italienischer Umgangssprache, die den Wirklichkeitsanspruch des Erzählten untermauern.8 Ähnlich dem neapolitanischen unterirdischen Höhlensystem oder den Tuffsteinfelsen durchdringt der Dialekt die sprachliche Architektur des italienischen Fließtextes, sodass sich auch in Bezug auf die stilistische Ebene von Porosität sprechen ließe.

Sieht man von den Anfängen der italienischen Literatur ab, wird Dialekt vor allem in der italienischen Nachkriegsliteratur und hier insbesondere im Neorealismus verwendet. Eine wegweisende Position nimmt dabei Pasolinis Ragazzi di vita (1955) ein. Dieser Roman rief durch seine Themen und den Stil einen wahren Skandal hervor: die Darstellung des miserablen Lebens der ragazzi di vita, die dem sottoproletariato romano angehören, das von der rasanten wirtschaftlichen und urbanen Entwicklung an den Rand der Stadt in die Peripherie gedrängt wurde, die episodenhafte Struktur des Romans und nicht zuletzt die Verwendung des Dialekts. Pasolini wollte so das Leben der ragazzi mit einer gesteigerten "naturalità" darstellen (Muzzioli 1975: 44). Alle soeben genannten Charakteristika des Textes, die ihn als skandalös erschienen ließen, finden sich auch in der Erzählung Certi bambini. So ist anzunehmen, dass Diego De Silva sich unter anderem mit der Verwendung des Dialekts an Pasolinis Ragazzi di vita orientiert. Eine Parallele zwischen den Texten kann schon durch die Verwandtschaft der Titel (bambini und ragazzi) konstatiert werden. Zudem untermauert der Dialekt den Wirklichkeitsanspruch der Erzählungen (vgl. von Hofer 1971: 10).

Es ergibt sich jedoch noch eine weitere Funktion des Dialekts für die Erzählung. Der Autor der Certi bambini hält es nicht für notwendig, die dialektalen Dialoge zu übersetzen und somit für den Leser verständlicher zu machen. Analog zu von Hofers Ansatz, den Dialekt in Pasolinis Ragazzi di vita als ein den Lektürefluss unterbrechendes Stilmittel zu interpretieren, kann man auch in Certi bambini von gewollt gesetzten Verständnisschwierigkeiten ausgehen (vgl. von Hofer 1971: 67). Während sich bei der Lektüre eines Textes das Erfassen des Wortlautes gleichzeitig mit dem Verstehen des Sinnes vollzieht, treten Wortlaut und Bedeutung nicht mehr nur "an der Peripherie des Bewußtseinsfeldes" auf; sie suggerieren etwas Besonderes und verstärken damit die Aufmerksamkeit des Lesers (ebd.). Der Lesefluss des Rezipienten erweist sich somit als 'löchrig'. Hier kann auf die von Scholler erwähnte Ausdehnung des Denkbildes Neapel mit deren Eigenschaft der Porosität nach Benjamin und die damit einhergehende Energie- und Bewegungsleistung des Lesers verwiesen werden (Scholler i. Dr.), die genau in jener Unterbrechung des Lektüreflusses und der Manifestation der Porosität in der außertextuellen Realität gefordert wird. Die Verwendung des Dialekts unterstreicht den Standpunkt des Erzählers, der stark hinter der Erzählung zurücktritt, um die Aufmerksamkeit des Lesers voll und ganz auf Rosarios Gedanken- und Gefühlswelt sowie auf die Geschehnisse zu richten (vgl. De Liso 2013: 4). Der Standpunkt des Erzählers und die Verwendung des Dialekts reihen sich also zum einen in die 'realistische' Erzählart der nach Donnarumma in Italien gegenwärtig vorhandenen "tensione realistica" ein, zum anderen ermöglichen sie dem Leser eine ungefilterte Aufnahme der Textstadt Neapel: De Silva macht den Leser auf die Missstände der certi bambini aufmerksam. Er lässt die 'realen' Fakten für sich sprechen, die, durch die bis hierhin erarbeitete 'durchlässige' Erzählinstanz verstärkt, durch den den Lesefluss unterbrechenden Dialekt in die Lebenswirklichkeit des Lesers eindringen und ihm eine 'Stadt des Realen' nach Andreas Mahler vorführen (Mahler 1999: 32). Die Porosität nimmt hier also eine textexterne Rolle ein, da sie die Bewegungsleistung des Lesers fordert.




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3.2.2 Die zeitliche Porosität der Erzählebenen

Eine weitere poröse Modellierung der Textstruktur findet man bei der Betrachtung der verschiedenen Erzählebenen: Der Leser trifft häufig auf anachronistisches Erzählen. Im ersten Kapitel wird noch chronologisch der Vormittag des Auftragsmordes beschrieben, doch schon in Kapitel 2, wenn Rosario sich auf dem Weg ins Las Vegas befindet, wird der Leser mit einer ersten Analepse konfrontiert, die, gekennzeichnet durch Klammern, eine Episode erzählt, in der Rosario mit seinem 'Lehrmeister' Damiano im Auto fährt (Cb: 18). Es folgen, vor allem bis zur und während der Tat, kurze bis sehr kurze Erinnerungssequenzen in indirekter Rede, die sich alle auf Aussagen, Handlungen oder Anweisungen Damianos beziehen.9

In einer zweiten Ebene werden diese Anweisungen in direktem Wortlaut, aber ohne Anführungszeichen, wiedergegeben.10 Die Tat wird erneut chronologisch erzählt, ebenso der Weg zur U-Bahn. Doch hier erfolgt ein Bruch in der Erzählung. Während die bisher benannten Analepsen in den Kapiteln durch Klammern deutlich vom chronologischen Erzählstrang hervorgehoben wurden, folgen nun nicht gekennzeichnete Analepsen, die in eigenen Kapiteln organisiert sind. So betrachtet Rosario am Ende des fünften Kapitels das ihm gegenüber sitzende Mädchen, bevor der Leser am Anfang von Kapitel 6 direkt in eine zurückliegende Situation in der Casa Letizia geworfen wird (ebd.: 43f.). Der Rezipient ist hierdurch im ersten Moment desorientiert und muss sich neu in das Erzählte einfinden, dessen Informationsgehalt beinahe das Vakuum eines Incipits aufweist. Man kann hier von einem 'löchrigen' Informationsfluss sprechen, dem eine ähnliche aufmerksamkeitsfördernde Funktion wie der Verwendung des Dialekts zukommt.

Im folgenden Kapitel wird der Leser zurück in die narrative Gegenwart des Sprechzeitpunkts, also in die U-Bahn, katapultiert. Noch in derselben Passage ist er mit einer in Klammern ausgewiesenen Erinnerungssequenz mit Damiano und einer nicht ausgewiesenen, in der Vergangenheit liegenden Episode konfrontiert. Der Wechsel zwischen narrativer Gegenwart und den episodenhaften Erinnerungssequenzen zieht sich bis zum Ende der Erzählung durch. Dabei sind die Erinnerungsepisoden an das Verhalten oder Erscheinen verschiedener Passagiere in der U-Bahn geknüpft. So ruft ein Hund in Rosario die Erinnerung an eine sodann in Klammern erzählte Situation mit Damiano ins Gedächtnis, in der dieser ihn auffordert einen Hund zu erschießen (Cb: 71–76).

Bis hierhin lässt sich also feststellen, dass der Leser es mit drei verschiedenen Erzählebenen zu tun hat: einem chronologisch dominanten Erzählstrang, einer chronologisch subordinierten Erzählebene und einem anachronisch infiltrierten Erzählstrang. Zuerst wird der Leser mit dem heterodiegetisch chronologischen Erzählstrang konfrontiert, in dem der Tag von Rosarios Tat von seinem Erwachen bis zur Heimkehr erzählt wird. Hierin eingebettet erfolgen zwei weitere, ebenfalls heterodiegetische Erzählstränge. Zum einen die durch Klammern ausgewiesene Erzählebene der Erinnerungssequenzen und Anweisungen Damianos, die dem Hauptstrang unterlegt ist. Diese ist chronologisch aufgebaut und führt nach und nach die 'Lehrstunden' mit Damiano vor, mit Ausnahme der letzten Sequenz, die als Analepse an den Anfang all dieser 'Lehrstunden' zurückführt und an dieser Stelle nicht durch Klammern ausgewiesen ist (ebd.: 154). Diese 'Damiano-Sequenz' bricht dadurch teilweise aus ihrer Erzählebene aus und wird zum Verbindungsglied zum anachronisch infiltrierten Erzählstrang, der durch das Mädchen in der U-Bahn in Kapitel 5 initiiert wird. Die zeitliche Durchdringung, also die Porosität, wird hier in zahlreichen analeptischen und einigen proleptischen Erinnerungssequenzen sichtbar.11




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Hinzu kommt jedoch ein bis hierhin noch nicht beleuchteter vierter, extradiegetischer Erzählstrang in Form von Einschüben, die Adamo als "loci testuali strategici" bezeichnet (Adamo 2007: 177): An drei Stellen im Text markiert kursive Schrift einen Blick auf den urbanen Alltag des gesellschaftlichen Mittelstandes der brava gente, der somit auch graphisch bewusst in Gegensatz zu Rosarios Leben in der Unterschicht steht (Cb: 80, 138, 158). De Silva greift hier auf eine bereits von Elio Vittorini verwendete Technik zurück, der sein neorealistisches Werk Uomini o no ebenfalls in Passagen in kursiver Schriftart und solche in recte strukturiert hat (Vittorini 1980), wodurch sich neben Pasolini ein weiterer Bezug De Silvas auf den Neorealismus ergibt.

Die Struktur der Erzählung Certi bambini erweist sich in einem Gesamtblick als hochgradig porös. Die sich durchdringenden und ineinander eingearbeiteten Erzählstränge erzeugen genau jenes Bild der Architektur Neapels, das von verschiedenen Stilen geprägt und immer wieder von Felsen durchbrochen und von Höhlensystemen unterwandert ist. Wie Velardi schreibt: "[…] l'anima della città, quindi, non può essere racchiusa in un punto, in un'immagine." (Velardi 1992: 10) Auch Rosarios Geschichte lässt sich nicht nur in einem Erzählstrang wiedergeben. Es ergibt sich eine Parallele zwischen seiner Geschichte und der Stadt Neapel durch ähnliche Eigenschaften von Figur und Schauplatz, die die Durchdringung und Verflechtung der Bewohner Neapels und ihrer Stadt deutlich machen.


3.2.3 Poröse Protagonisten. Die Opposition in der Figurenkonstellation

Die neapolitanische Eigenschaft der Porosität begegnet dem Leser auch und vor allem in den Figuren und ihren Beziehungen: So ist die Figur des Protagonisten Rosario, der sich zwischen den semantischen Feldern 'Gut' und 'Böse' bewegt, selbst eine poröse, in sich nicht geschlossene Figur. Er pflegt seine Großmutter fürsorglich und hilft Santino bei dessen caritativer Arbeit in der Casa Letizia, schießt jedoch zugleich auf den Arzt, den er für Caterinas Tod verantwortlich macht, führt einen Auftragsmord durch und verübt die von Casaluce geplanten Einbrüche. Hierin bestätigt sich die Annahme, dass die Porosität (verkörpert durch Caterina) Rosarios Leitbild darstellt, der er in seinem Kindsein (noch) orientierungslos folgt, ebenso wie die herausgearbeitete Parallele, die sich zwischen Rosarios Geschichte und der Stadt Neapel ergibt.

Rosario erfüllt seine 'guten' Aufgaben ebenso gewissenhaft wie seine 'bösen', dennoch ist er sich intuitiv der Werte des 'Guten' und 'Bösen' bewusst. Der Auftragsmord lässt ihn einen kurzen Moment die Kontrolle über seinen Urinfluss verlieren, ebenso schmeckt er noch einige Stunden danach Blut im Mund, weshalb er sich übergeben muss (Cb: 39). Nachdem die jugendlichen Einbrecher ihren Freund Venturino zurücklassen mussten, "Rosario si andò a chiudere nel cesso e si lavò la faccia. Non si sentiva bene, non capiva se di meno o di più, comunque avvertiva un fastidio e il cuore gli batteva nelle orecchie." (Ebd.: 67) Die 'bösen' Taten lösen in ihm also vor allem eine körperliche Abwehrreaktion aus, die ihn zum einen nicht als abgebrühten, kaltblütigen Kriminellen charakterisiert, zum anderen die Absurdität seiner Taten in Anbetracht seines Kindseins unterstreicht. Dies lässt dem Leser die Möglichkeit, eine positive Wendung dieses real anmutenden, fiktiven Kinderlebens zu imaginieren. Rosario ist erst auf dem Weg kriminell zu werden. Noch sind die kriminellen Handlungen für ihn nicht zur Gewohnheit geworden, noch verursachen sie starke körperliche Abwehrreaktionen, noch hätte er also die Möglichkeit, aus allem auszubrechen und sich für die 'gute' Seite zu entscheiden.




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Nach Lotman können die durch eine Grenze geteilten Teile eines Raumes an Figuren geknüpft sein. Die Grenze verläuft in Certi bambini deutlich zwischen den ideologischen Polen 'Gut' und 'Böse', die sich oppositionell gegenüber stehen und an die in der Tat Figuren geknüpft sind. Während Santino (Diminutiv von ital. santo, der Heilige, vgl. Tagliavini 1978a: 373) augenscheinlich durch sein caritativ-soziales Engagement auf der 'guten' Seite Neapels steht, bewegt sich Damiano (ähnlich dem ital. demone, der Dämon, vgl. Zingarelli 2011: 643) aufgrund des kaltblütigen Missbrauchs von Minderjährigen für seine kriminellen Machenschaften auf der 'bösen' Seite der Stadt.12 Die eindeutigen onomastischen Verweise rufen im Leser das Bild von 'Engelchen und Teufelchen auf der Schulter' hervor, was eine Betrachtung der beiden Figuren als Verkörperungen von Rosarios Möglichkeiten nahelegt. Die beiden Figuren, die Rosario jeweils in seinen Taten beeinflussen, verkörpern gewissermaßen ein 'gutes' und ein 'böses' Neapel. Sie stellen also, mit Weich gesprochen, die sich wechselseitig anfechtenden Oppositionen der Großstadt Neapel dar (vgl. Weich 1999: 39). Caterina (von griech. kataròs, die Reine, vgl. Tagliavini 1978a: 133) symbolisiert hingegen den 'reinen' kindlichen Glauben an das Gute und somit Rosarios volles Vertrauen zu Santino (als das 'gute' Neapel) und seine Anerkennung für dessen gute Taten.13 Wie bereits erwähnt wird Caterina jedoch zugleich als poröse Figur dargestellt: Sie ist sowohl von den negativen Eigenschaften Neapels, der Kriminalität, als auch von der positiv konnotierten Eigenschaft, dem Katholizismus und dem nun zusätzlich erarbeiteten 'Glauben an das Gute' durchdrungen. Eine zusätzlich negative Konnotation der Figur ergibt sich, indem die mit Caterina verknüpfte Madonna am Tatort in der Unterführung auftritt. Die negative Seite scheint, sieht man sie als Leitbild Rosarios, Überhand zu nehmen und so wird auch der Glaube an das Gute von einer düsteren Vorahnung überschattet. Santino bzw. das 'gute' Neapel enttäuscht Rosario dann auch durch seine Liebschaft mit Caterina. Den sexuellen Akt zwischen Santino und Caterina nimmt der Beobachter Rosario als brutal und unterdrückend gegenüber Caterina wahr: "E lei era là, sotto, che faceva quello che voleva lui" und weiter im Text "[l]a buttò fuori di sé come ne avesse avuto abbastanza." (Cb: 103) Santino unterwirft und 'missbraucht' Rosarios Glaube an das 'Gute', weshalb Rosario sich von Santino, dem 'guten', dem sozial engagierten Neapel betrogen fühlt. Mit dem Verlust Caterinas geht der Verlust an den Glauben an das 'Gute' einher. Rosario hat nicht gelernt, mit Betrug und Enttäuschung umzugehen. Erneut verweist die Onomastik auf diese 'Unschuld' Rosarios, trotz all seiner Taten, wird doch der Rosenkranz bei der Bitte um die Vergebung der Sünden zu Hilfe genommen (vgl. Tagliavini 1978b: 327f.). Er hilft dem Sünder bei seiner Reinwaschung und kann somit nie selbst Sünde sein. Auffällig ist in der Tat, dass die grenzübertretenden Entscheidungen Rosarios in Richtung Damianos und des 'Bösen' immer ausgespart bleiben. Damiano oder das 'böse' Neapel prüft Rosario auf seine Loyalität, indem er ihn, einem Initialritus gleich, den Hund erschießen lässt (ebd.: 76). Die betreffende Erinnerungssequenz endet mit Damianos Aufforderung im Imperativ: "–Mò finisci tu" (ebd.). Der Erzähler hält dem Leser den Gehorsam (oder Ungehorsam) Rosarios gegenüber Damiano und damit der düsteren Seite seiner Stadt vor.




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Rosario hat bis dato zwischen zwei Polen und zwischen den beiden gegensätzlichen semantischen Räumen oszilliert; er bewegt sich damit auf der lotmanschen Grenzlinie (Lotman 1993: 327), die er immer wieder zur einen und zur anderen Seite überschreitet. Nach dem Betrug seitens des augenscheinlich 'Guten' rächt er sich an Santino, indem er die 'böse' Seite Neapels für seine Zwecke nutzt und die kriminelle Bande Qui Qua Quo auf ihn hetzt. Caterinas Tod ist das auslösende Moment für die absolute Abkehr von Rosarios Glauben an ein 'gutes' Neapel und treibt ihn tiefer in das Dickicht des 'bösen' Neapel: Er geht so weit, dass er auf den Arzt schießt, der die Geburt begleitet hat. Die beiden Pole 'Gut' und 'Böse', die sich bisher im Zustand der Porosität ihre Ambivalenz erhalten haben, kippen zugunsten des 'Bösen'. Die letzte Grenzüberschreitung ist kaum mehr reversibel, sodass die Kriminalität in De Silvas Welt wie flüssiger Beton durch die 'löchrige' Struktur der Stadt Neapel und parallel dazu durch die Figur des Rosario zu fließen scheint, um sie vollends auszufüllen und sich in ihr zu verhärten.


3.2.4 Die poröse Semantisierung des Raumes

Bevor eine erste Bilanz in Bezug auf die 'Schuld' oder 'Unschuld' Neapels in De Silvas Certi bambini gezogen wird, soll an dieser Stelle noch einmal beleuchtet werden, inwieweit die Porosität einen Hinweis auf die 'Schuld' oder 'Unschuld' der Stadt Neapel liefert. Die Porosität der Stadt entsteht, wie dargestellt, unter anderem durch das Höhlensystem, das in Teilen unter der Stadt, aber auch mit ihrer Architektur verwachsen ist. Die Höhlen lassen sich somit einem Raum des Unten zuordnen. Diesen porösen Untergrund der Stadt hat bereits Jacopo Sannazaro in seiner Arcadia (1504) in "Prosa VII" (Sannazaro 1926) thematisiert.14 Sincero kommt dort aus Arkadien nach Neapel zurück und wird unterirdisch von einer Nymphe zum Flussgott geführt, von wo aus er von weinenden Nymphen nach Neapel geführt wird, die ihm den Tod der Geliebten voraussagen, was weitere Bezüge zur Figur der Caterina als Leitbild schafft. Das subterrane Neapel wird hier in Form von Grotten dargestellt, "[…] finalmente arrivato a una grotta cavata ne l'aspro tofo […]" (ebd.: 18), und der Porosität wird hier die Eigenschaft 'rau' zugeschrieben. In einer modernen Parallele kann auch die heutige kriminelle 'Unterwelt' Neapels, der sich die certi bambini stellen müssen, als 'rau' empfunden werden. Für die vorliegende Untersuchung ist jedoch von Bedeutung, dass die Porosität der Stadt in der literarischen Tradition an die Höhlensysteme und das unterirdische Neapel geknüpft ist und somit ganz Neapel dem 'bösen' Raum des Unten zuordnet.

Der ideologische Gegensatz 'Gut' und 'Böse' ist in Certi bambini in ihrer Semantik den topologischen Teilbereichen 'Oben' und 'Unten' zugeordnet und wird mit urbanen Orten verknüpft. Schon das Incipit präsentiert diese Opposition durch die cavalcavia und die galleria. Den Mord begeht Rosario dann auch in der dem Raum des Unten zugehörigen galleria. Bezeichnend ist, dass Rosario sowohl für die Hinfahrt zum Tatort als auch die Heimfahrt die U-Bahn wählt, sich also im 'bösen' Raum des Unten fortbewegt. Während die Hinfahrt ganz im Zeichen seiner bevorstehenden kriminellen Tat steht, dient die Rückfahrt als Aufhänger für die episodischen Erinnerungssequenzen, die Rosarios Motive erläutern. Hierbei fällt auf, dass Rosario die metropolitana, d.h. den 'bösen' Raum des Unten, nicht mag: "Non gli piace la metropolitana, non la prende mai perché non vuole stare sottoterra". (Cb: 29) Ihm gefällt die Rolle nicht, die er im 'bösen' Neapel spielt und die ihm durch das Verkehrsmittel U-Bahn zugeordnet wird. In einem starken Kontrast hierzu steht eine Episode des Erzählstranges der neapolitanischen Mittelschicht. In kursiver Schrift stellt der extradiegetische Erzähler den Weg zur Arbeit der brava gente dar, von denen viele den Bus nehmen "[per] guardarsi un poco di città" (ebd.: 80, Hervorhebung im Original), der sich oberirdisch bewegt und deshalb scheinbar dem 'guten' Raum des Oben zugeordnet werden kann. In Wahrheit jedoch bewegt sich die brava gente in einer Art geschütztem Vakuum jenseits von 'Gut' und 'Böse':15 Sie fährt einfach an allen Missständen der Stadt vorbei. Für sie "[è] [q]uella […] la città. Il tratto del pullman che ti porta dove devi scendere […]. La città verà è quella." (Ebd., Hervorhebung im Original). Das Ende dieses "loc[us] strategico" bildet, hier wieder in recte, die Ansprache an den Leser: "Rosario ha undici anni. […] Rosario non vi riguarda. Rosario vi piace." (Ebd.: 81) Der Leser wird an dieser Stelle mit der ironisch als "brava" gekennzeichneten "gente" gleichgesetzt, denn auch ihn geht Rosario nichts an, er 'gefällt' ihm sogar. Der Erzähler klagt den Leser auf sarkastische Weise damit ebenso für dessen Nichts-Tun an, wie er das 'schöne' Leben der Mittelschicht in direkte Opposition zum Leben der certi bambini setzt. Zudem ereignet sich hier ein Fiktionsbruch, der die Grenze zwischen Fiktion und außertextueller Wirklichkeit einmal mehr porös macht und die Aufmerksamkeit des Lesers einfordert. Die Anklage impliziert zugleich eine Aufforderung zum Handeln, deren Erfüllung die Bewegungsleistung vervollständigen würde.




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Es ergibt sich somit zunächst ein eher düsteres Bild von Neapel, das die Stadt als 'Schuldige' erscheinen lässt. Sie wird, wie zuletzt dargestellt, schon aufgrund ihrer Eigenschaft der Porosität tendenziell dem 'bösen' Raum des Unten zugeordnet. Verkörpert scheint sie vornehmlich durch die Figur Damianos, die Loyalität einfordert und eine falsche Sicherheit und Bestimmtheit durch klare Anweisungen suggeriert. Der so entstandene Missbrauch der certi bambini für kriminelle Handlungen scheint auf den ersten Blick tatsächlich der Stadt zuzuordnen zu sein.

Auf den zweiten Blick lässt sich aus den bisherigen Ergebnissen jedoch schließen, dass sich die wirklich 'böse' Seite Neapels aus dem Wechselspiel mit der augenscheinlich 'guten' Seite der Stadt, die durch Santino verkörpert wird, ergibt. Es ist die Nichteinlösung unausgesprochener Versprechen eines besseren Lebens, die Rosario den Weg in die Kriminalität weist. So verlagert sich an dieser Stelle die Schuld von der Stadt Neapel auf deren Bevölkerung und die Verwaltungsbeamten (denen auch die brava gente zuzuordnen ist), die entweder in die eigene Tasche wirtschaften oder aber über das Schicksal der Kinder hinwegsehen. "Rosario non vi riguarda", stellt der Erzähler fest (Cb: 81). Es ergibt sich somit eine Interpretation weg vom zweigeteilten Neapel hin zu einem Neapel, das von egoistischen Verantwortlichen vernachlässigt und verwahrlost liegen gelassen wird, ganz im Sinne der galleria des Incipit und gleich dem Schicksal der certi bambini.

Die Frage nach der Schuld lässt sich somit abschließend eindeutig beantworten: Die Textstadt Neapel wird in Certi bambini ebenso als Opfer dargestellt wie Rosario. Die Figuren der Erzählung tragen nach De Liso die Stadt Neapel in sich (De Liso 2013: 11). Auch die Beziehung zwischen der Stadt und ihren Bewohnern ist demnach 'durchlässig', weshalb sich das poröse Neapel und die Porosität der certi bambini, die sich zwischen den ideologischen Gegensätzen 'Gut' und 'Böse' bewegen, gegenseitig bedingen. Das Schicksal der certi bambini resultiert somit zwar aus der Textstadt Neapel, die jedoch als eine vernachlässigte Stadt dargestellt wird. Die Schuld an der Vernachlässigung trägt die Stadtverwaltung bzw. das soziale Netz der Stadt, das man als ebenso finto bezeichnen kann, wie der Erzähler das "pulito finto delle cose" als typisch neapolitanische Eigenschaft darstellt (Cb: 47).

Diese Schuldzuweisung wird auch am Ende des Texts deutlich, wenn die verschiedenen Erzählstränge zusammenlaufen. Rosario verlässt die U-Bahn mit der brava gente, die von der Arbeit heimkehrt und "la giornata adosso" hat (ebd.: 157). Er entdeckt dabei einen "signore […] [con] la faccia magra da attore" (ebd.: 157f.) und er fragt sich, ob er diesem Mann als Erwachsener ähnlich sehen könnte. Er möchte Kontakt zu ihm aufnehmen und fragt ihn nach der Uhrzeit. Dieser reagiert genervt: "[S]i annoia, butta un'occhiata all'orologio e recuperando il passo gli risponde senza importanza" (ebd.: 158). Das Desinteresse der brava gente wird hier noch einmal verdeutlicht. Der Erzähler wechselt ein letztes Mal in den extradiegetischen Modus und schließt das Werk mit dem Konklusionsmarker "insomma", um das belanglose Faktum darzubieten, dass es Menschen gibt, die "in piena estate va a comprare le paste" (ebd.). Die hier immanente Absurdität wird in einer folgenden Anmerkung noch einmal unterstrichen: "Dolci da stagione fredda." (Ebd.) Die Erzählung schließt somit durch den Hinweis auf die in ihren Kokon der Belanglosigkeiten eingehüllte brava gente, die gegenüber den herrschenden Missständen die Augen verschließt und die wahre Schuld am Schicksal der certi bambini trägt. Die Erzählung ähnelt insofern Pasolinis neorealistischem Roman Ragazzi di vita, der ebenso provokativ auf die kritische Situation der ragazzi des sottoproletariato urbano romano aufmerksam machen wollte (vgl. Muzzioli 1975: 5). Dass sich De Silva von dieser brava gente distanziert, verdeutlicht bereits der Epigraph der Erzählung: Das kleine Mädchen, dass sich dort zwischen den Toten bewegt, antwortet auf die Frage, warum es sich inmitten der Leichen befindet: "Tra i vivi non posso più stare." So wie ein wegschauendes Neapel Kinder zu kriminellen Handlungen zwingt, könnte eine interessierte, engagierte Bevölkerung die Stadt zum Besseren verändern. Insofern dürfte die Porosität, die die gesamte Erzählung durchzieht und die Grenze zwischen Fiktion und außertextueller Realität durchlässig macht, textextern auch dazu dienen, den Leser zum Handeln zu bewegen.




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4 Schlussbetrachtung

Die Eigenschaft der Porosität, mit der der Stadttext die Textstadt Neapel bereits im Incipit und in den ersten Kapiteln auszeichnet, dient zum einen als referentieller Verweis auf die graue Großstadt Neapel mit ihren geologisch-architektonischen und soziokulturell porösen urbanen Räumen. Zum anderen steht sie sinnbildend für die sich auflösenden Gegensatzstrukturen, die sich durch die Erzählung ziehen. Sie wird in ihrer textinternen Funktion in der Verkörperung der Figur Caterinas zum Leitbild Rosarios. Die Erzählinstanz in Certi bambini erweist sich als sehr 'durchlässig', da der heterodiegetische Erzähler dem Leser in interner Fokalisierung und mit geringer Distanz zum Protagonisten Rosarios Handlungen und die durch ihn rezipierte Stadt unmodifiziert vermittelt. Auch die Dialoge in direkter Rede werden ungefiltert und unkommentiert im Dialekt wiedergegeben. Die Verwendung des Dialekts verweist zum einen auf die Parallelen der Erzählung zu Pasolinis Ragazzi di vita und steigert den Wirklichkeitsanspruch der Geschichte Rosarios. Der Dialekt fungiert jedoch zum anderen als das den Lesefluss unterbrechende Moment, das auch den Rezeptionsakt porös werden lässt, wodurch die Bewegungsleistung des Lesers gefordert wird. Als porös lässt sich auch die Gliederung der Erzählung in die vier unterschiedlichen Erzählstränge beschreiben: ein chronologisch dominanter Erzählstrang, in den eine chronologisch subordinierte Erzählebene und ein anachronisch infiltrierender Erzählstrang eingebettet sind sowie ein extradiegetischer Erzählstrang, der die anderen Stränge nicht berührt, jedoch das Stadtbild durch das Vorführen der brava gente komplettiert.

Aufbauend auf De Liso, die zeigt, dass die Figur Rosario die Stadt Neapel in sich trägt, konnte festgestellt werden, dass die poröse Textstadt Neapel die 'poröse' Figur des Rosario impliziert, der seine Schritte an Caterina als dem Leitbild der Porosität misst und das in der Erzählung an bestimmte Figuren und Teilräume geknüpfte ideologische Gegensatzpaar 'Gut' und 'Böse' in sich vereint. Rosarios ursprünglich 'reiner' Glaube an das Gute, der sich in seiner Liebe zu Caterina offenbart, wird angesichts von deren freudlosem sexuellen Akt mit dem Schein-'Heiligen' Santino ins Wanken gebracht, sodass die 'böse' Seite Überhand zu nehmen beginnt, wobei allerdings der Rosenkranz, der sich in Rosarios Namen verbirgt, dessen kindliche Unschuld zu bewahren scheint. So erweist sich auch trotz der ersten Zurechnung der Textstadt Neapel zum 'bösen' Raum des Unten, die bereits in der literarischen Tradition von Jacopo Sannazaros subterranem Neapel in der Arcadia angelegt ist, die Schuldigsprechung der Stadt als Trugschluss. Denn echte Schuld am Schicksal der certi bambini kommt vielmehr der brava gente zu, die dem nur scheinbar an das Gute geknüpften Raum des Oben zugeordnet ist. Dass sich diese brava gente eigentlich in einem losgelösten Vakuum fern von 'Gut' und 'Böse' bewegt, von wo aus sie die Missstände der Stadt ausblenden kann, zeigt sich schon formal durch den ihr gewidmeten, von der Erzählung abgelösten extradiegetischen Erzählstrang. Dieser Gruppe der ignoranten Zuschauer wird durch einen Fiktionsbruch in Form einer direkten Ansprache auch der Leser zugerechnet, der sich aus seiner solchermaßen implizierten Schuld durch sein Handeln befreien könnte.




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Diego De Silvas vernachlässigte Textstadt Neapel wird trotz allem zu einem unschuldigen Opfer ihrer egoistischen und für die Kriminalität und das Elend blinden Bevölkerung und Behörden. De Silva verfolgt also ganz ähnliche Absichten wie Pasolini in Ragazzi di vita: Er ist sich der destruktiven Wechselwirkungen zwischen seiner Heimatstadt und deren Bevölkerung bewusst und macht auf die Missstände aufmerksam, suggeriert jedoch, dass diese zum Positiven verändert werden können, wenn der Teil der Bevölkerung, der entgegen den certi bambini die Möglichkeit dazu hat, etwas verändern will. Hierhin besteht die Funktion und Bedeutung der porösen Textstadt Neapel: Es gilt die Grenze zwischen Text und Leser aufzubrechen, sodass letzterer dazu bewegt wird, hinzuschauen und zu handeln.


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Anmerkungen

1 In dieser Äußerung De Crescenzos klingt an, dass die neapolitanische Nachkriegsliteratur, die ihm zufolge und entgegen der genannten Autoren ihre eigene Charakteristik behalten hat, das eigene Volk zu hart in die Kritik nahm. Hierfür wird er von seinen Kritikern jedoch als verklärt und populistisch beschimpft (vgl. Izzo 2009: 8).

2 Vgl. Barthes (1985: 265): "La cité est un discours, et ce discours est véritablement un langage: la ville parle à ses habitants, nous parlons notre ville, la ville où nous nous trouvons, simplement en l'habitant, en la parcourant, en la regardant."

3 Ujma merkt an, dass sowohl der Aufsatz als auch der Begriff der Porosität zusammen mit Benjamins Freundin Asja Lacis entstanden sind, vgl. Rexroth 1972: 987.

4 De Liso (2013) gibt einen Überblick von referentialisierenden Markern im Text, die Conrad von Heydendorff (i. Dr.) im Detail ausarbeitet.

5 Vgl. zur extrovertierten Porosität ebenfalls den Vorfall der sich streitenden "copietta" (Cb: 17).

6 Vgl. zur Rolle von Namen in der Literatur und zur wechselseitigen semantischen Einflussnahme der Namen literarischer Figuren oder Orte Eichler (1995: 536): "Name is given substance by narrative, and in turn sets its seal on the story".




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7 Der Raum der galleria wird deutlich mit der "madonnina" in Zusammenhang gebracht, so wird sie etwa "la galleria della madonnina" genannt (Cb: 33).

8 Vgl. Dialoge in Cb: 22f., 78, 108, 116.

9 Bsp.: "'Prendiamocelo bello dolce il caffè', aveva detto Damiano guardandolo dritto negli occhi. E aveva cominciato a riempirgli la tazzina. Un cucchiaino. Due. Tre. Quattro. Cinque. Finché la tazzina si era fatta stracolma di zucchero. 'Bevi'" (Cb: 25, weitere Textstellen: ebd.: 58, 72).

10 Bsp.: "Deciso. Quando alzi la pistola non la devi guardare più. He' 'a cummanna" (Cb: 29).

11 Bsp.: In Kapitel 12 wird zuerst analeptisch erzählt, wie Rosario sich zu Qui Quo Qua begibt, um Santino bei ihnen anzuschwärzen (Cb: 105–108). Im selben Kapitel an späterer Stelle wird dann proleptisch zu der vorhergegangenen Sequenz erzählt, wie Rosario auf die Idee kommt, sich für seine Rache an die Bande zu wenden: "Fu allora che gli venne l'idea di andare da Qui Quo Qua." (Ebd.: 113, vgl. auch 127).

12 Auf diese durch die Onomastik hervorgerufene semantische Opposition verweist bereits Conrad von Heydendorff (i.Dr.).

13 Auch lässt sich der Name Caterina auf griech. Ekáte zurückführen, die "dea dell'oltretomba". Die Onomastik der Figur verweist somit erneut auf ihre Funktion als Leitbild für Rosario, da sie ihn, gemäß der petrarkistischen Tradition, vor allem nach ihrem Tod beeinflusst.

14 Zur Bedeutung des porösen Untergrundes in Sannazaros Arcadia vgl. Scholler (i. Dr.).

15 Entsprechend führt Conrad von Heydendorff anhand dieser Szene die Seite Neapels vor, die sich als Nicht-Ort auszeichnet (i. Dr.).