PhiN 75/2016: 16



Susanne Lorenz (München)



Die komische Geschichte eines tragischen Helden: Elemente der Komik in Adelbert von Chamissos Peter Schlemihls wundersame Geschichte



The comical story of a tragic hero: Comical elements in Adelbert von Chamissos Peter Schlemihls wundersame Geschichte
Although it was Chamisso himself who pointed out that the story of "Peter Schlemihl" is a comic one it has so far never been literary studies' objective to take a closer look at the comic aspects of Chamisso's narrative. Thomas Mann appreciated its wit and the reader will indeed find witty dialogues as well as slapstick elements in "Peter Schlemihl". The means of comedy therefore apply to figures as well as scenes. In fact, this story is so thoroughly comic that although Peter Schlemihl is himself a tragic hero he makes us laugh nevertheless.


1 Der "Schlemihl" als komische Literatur

In der Literatur tritt dem Leser das Komische, im Unterschied zum Lächerlichen, nicht zwangsläufig offensiv entgegen. Zwischen derbem Kalauer und feiner Ironie liegen unzählige Abstufungen komischer Stilmittel und Kontexte, in deren Beherrschung die hohe Kunst besteht. Peter Schlemihls wundersame Geschichte (nachfolgend "Schlemihl" genannt) ist ein wunderbares Beispiel dafür, wie nuanciert und vielgestaltig diese Mittel zum Einsatz kommen können. Thomas Mann geht in seinem Essay zu Chamisso kurz darauf ein, spricht von "Witz und Einfall des Buches" (Mann 1965: 50) und hebt einige Szenen und Pointen hervor, doch sein eigentliches Thema ist das gesellschaftliche Außenseitertum des Künstlers. Umso erstaunlicher ist es, dass dieses Feld seither unbeackert geblieben ist und literaturwissenschaftliche Arbeiten das Thema Komik im "Schlemihl" allenfalls an einigen Stellen erwähnt, nie aber genauer untersucht haben.




PhiN 75/2016: 17


In der Analyse werden die einschlägigen Theorien der Komik von Schopenhauer über Freud bis zu zeitgenössischen Ansätzen erwähnt, denn sie alle dokumentieren Beobachtungen komischer Merkmale, die sich auch im "Schlemihl" entdecken lassen und daher nebeneinander stehen können. Zusätzlich zur Ironie, die ein rein sprachliches Mittel der Komik darstellt, durchziehen den "Schlemihl" etliche situationsbedingte und visuelle Elemente des Komischen. Vor allem das Groteske als literarische Verfremdungstechnik nimmt in dieser Erzählung einen besonderen Stellenwert ein, da der Teufel dieses ästhetische Gestaltungsprinzip in ausgeprägtem Maße verkörpert.

Alle Äußerungen der Komik, so unterschiedlich in ihrer Vielfalt, haben doch eine Gemeinsamkeit: Sie stellen ihren eigenen Kontext in Frage und schaffen dadurch einen neuen. Daher ist der vorliegenden Analyse Dieter Henrichs Komik-Theorie zugrunde gelegt, die das Komische an den Übergängen zwischen Kontexten verortet und den Überraschungseffekt als wesentliches Merkmal benennt.

Dass Chamissos Geschichte des Peter Schlemihl eine komische ist, erfährt der Leser zuerst von Chamisso selbst, der in seinem der Erzählung vorangestellten Brief an den Verleger Eduard Hitzig bedauert, dass die Geschichte "nicht von einer geschickteren fremden Hand in ihrer ganzen komischen Kraft dargestellt werden kann" (Chamisso 2010: 12).1 Chamisso erklärt in diesem Brief zudem indirekt die Spielregeln bzw. die Rezeptionsregeln, indem er mehrere Rollen einnimmt, aber die des Autors verweigert. Er gibt sich vielmehr als Freund des Autors Schlemihl und dessen erster Leser aus, der an dieser Stelle die Gelegenheit nutzt, den vorliegenden Text für alle nachfolgenden Leser einzuordnen und somit das Leseverhalten zu steuern.

Dieses Fiktionsspiel gibt der Geschichte hier eine uneigentliche Basis mit, die sowohl die Handlung als auch die Figuren in Schlemihls Bericht ironisch grundiert. Da sich die komischen Eigenschaften der Figuren maßgeblich in ihren Taten zeigen, verschränken sich Handlung und Charakter der Protagonisten auf eine sich wechselseitig verstärkende Weise, die sich nicht sinnvoll auseinanderdividieren lässt. Die Nebenfiguren sollen in aller Kürze behandelt werden, damit sich das Hauptaugenmerk auf den Teufel und Peter Schlemihl richten kann, deren komisches Potenzial sich in den zentralen Situationen der Geschichte äußert. Vor allen Dingen aber soll geklärt werden, ob es sich bei Schlemihl überhaupt um eine komische Figur handelt, gar einen "comic Faust" (Wisse 1971: 15), oder nicht eher um einen tragischen Helden, der bisweilen unfreiwillig komisch agiert.




PhiN 75/2016: 18


2 Das Fiktionsspiel als komische Erzählstrategie

2.1 Titel und Vorwort der ersten Auflage

Als der "Schlemihl" 1814 erstmals erscheint, eröffnet bereits der Titel das Fiktionsspiel mit dem Zusatz "mitgetheilt von Adelbert von Chamisso und herausgegeben von Friedrich Baron de la Motte Fouqué". "Mitgetheilt" lässt offen, ob es sich bei Chamisso um den Verfasser oder lediglich den Boten handelt. Die beiden fingierten Briefe, die der Erzählung in der Erstausgabe vorangestellt sind, geben darüber scheinbar Aufschluss. Im ersten Brief richtet sich Chamissos Freund Fouqué an den Verleger Eduard Hitzig. Beiden hatte Chamisso das Manuskript Schlemihls zukommen lassen, was der Leser aus dem zweiten Schreiben von Chamisso an Hitzig erfährt. Hauptsächlich besteht die Fiktion darin, Peter Schlemihl als den Autor seiner eigenen Geschichte zu etablieren. Darüber hinaus formiert sich in diesen beiden Briefen als Teilen "eines für die Romantik typischen Fiktionsspiels" (Walach 2009: 10) die ironische Parabase, durch die sich der Künstler selbst erklärt und die in "ihren verschiedenen Ausprägungen [...] wesentliches Kennzeichen der Fiktionsironie ist" (Müller 1995: 213).

Das Vorwort baut dieses ironische Konstrukt in mehreren Schritten auf. Zunächst leitet Fouqué seinen Brief mit einer durchaus komischen Begründung ein, denn in seiner Ratlosigkeit darüber, wie das Manuskript am besten vor unbefugten Blicken zu schützen sei, beschließt er nicht etwa, es in einem Tresor zu bewahren: "Da mach' ich's denn wie ein Schwindelnder, der in der Angst lieber gleich in den Abgrund springt: ich lasse die ganze Geschichte drucken" (Chamisso 2010: 9). Die Komik besteht hier ganz klassisch in der überraschenden Maßnahme Fouqués, die der erwartbareren widerspricht. Dieses Oppositionsverhältnis wird dadurch noch komischer, dass im nachfolgenden Brief an Hitzig Chamisso an beide Freunde appelliert:

Ihr werdet einsehen, wie unangenehm es mir seyn würde, wenn etwa die Beichte, die ein ehrlicher Mann im Vertrauen auf meine Freundschaft und Redlichkeit an meiner Brust ablegt, in einem Dichterwerke an den Pranger geheftet würde (Chamisso 2010: 11)




PhiN 75/2016: 19


Die gewählte Reihenfolge der Briefe dient der Zuspitzung der Situation.2 Der Leser wird davon unterrichtet, dass Fouqué eigenmächtig mit dem Manuskript verfahren ist, bevor er erfährt, dass die Geschichte dezidiert nicht für die Öffentlichkeit bestimmt war. Durch die vorgebliche Eigenmächtigkeit Fouqués und den widersinnigen Vorwand dieser Handlung, mit der er in der Konsequenz seinen Freund Chamisso scheinbar in eine peinliche Lage bringt, baut sich die Pointe dieses Fiktionsspiels überraschend (und nicht vorhersehbar) auf. Der Leser, der das Buch nach diesen Vorbemerkungen natürlich nicht weglegt, sondern die vermeintlich nicht für seine Augen bestimmte Geschichte liest, wird zum Mitwisser und somit zu einem Teil der Fiktion.

2.2 Schlemihls Porträt

Chamisso gibt in seinem Brief an Hitzig nicht nur genaue Auskunft darüber, wie das Manuskript in seinen Besitz gelangt ist. Er fügt dem Schreiben auch eine Zeichnung bei, die "der kunstreiche Leopold, der eben an seinem Fenster stand, von der auffallenden Erscheinung entworfen hat" (Chamisso 2010: 12). Indem Chamisso das Porträt Schlemihls zu einem Teil seiner fiktiven Textgenese macht, erbringt er einen weiteren vermeintlichen Beweis für den Wahrheitsgehalt seiner Herausgeberfiktion. "Franz Joseph Leopold war ein Berliner Zeichner und Kupferstecher. Er machte Chamissos Spiel mit, indem er [...] neben dem Stiefel mit dem hemmenden Pantoffel hinschrieb: 'Leopold ad Natur. delin. et fecit / aqua forti'" (Matt 2010: 139f.). Somit scheint die Existenz des Autors Peter Schlemihl erwiesen, denn ein realer Künstler hat ihn gesehen und nach der Natur porträtiert, also eine Vorform des Fotobeweises erbracht. "Diese Notiz", schreibt Peter von Matt, "wird in den Ausgaben und Kommentaren immer unterschlagen, obwohl sie die Radierung von einer bloßen Illustration zum integrierenden Teil der fiktiven Textgenese [...] macht" (Matt 2010: 140). Den Aufwand, den Chamisso hier betreibt, um mithilfe der Fiktion die Grenzen der Fiktion einzureißen, wirkt an sich schon aberwitzig. Die Art aber, wie er reale Personen in dieses Fiktionsspiel mit einbezieht und somit überraschende Volten schlägt, ist höchst komisch. "Komik hat offenkundig mit Übergängen zwischen Kontexten zu tun, in denen ein Kontext auf überraschende Weise aufgehoben oder in Frage gestellt wird" (Henrich 1976: 385), und genau das tut Chamisso, indem er Franz Joseph Leopold zum Komplizen seines Spiels macht. Das Porträt Schlemihls zeigt einen Mann, der große Ähnlichkeit mit dem Autor hat, denn "Tracht und Aufmachung sind ja Chamissos eigene. Seine Kurtka war in Berlin berühmt" (Matt 2010: 139). In der Gestalt Peter Schlemihls wird Chamisso "sein eigener Doppelgänger" (ebd.), was die Fiktionsironie auf die Spitze treibt, denn Chamisso ist Schlemihl, somit also der Autor und die ganze Geschichte ein selbstreferenzielles Schelmenstück.

Chamisso selbst beschreibt die äußere Erscheinung seines Helden im Brief an Hitzig als auffallend; tatsächlich ist sie mehr als das: Sie ist komisch. Das liegt nicht nur an den sogenannten Hemmschuhen, doch dazu später mehr.




PhiN 75/2016: 20


2.3 Autor-Leser- bzw. Autor-Autor-Interaktion

Thematisiert sich der Autor im eigenen Werk, dient das in der Regel dazu, das Werk selbst zu fiktionalisieren (vgl. Müller 1995: 213) und durch die somit gewonnene Rollendistanz eine ironische "coincidentia oppositorum" (Müller 1995: 215) zu schaffen. Was Chamisso mit seinem vorangestellten Brief an Hitzig bezweckt, ist das Gegenteil. Er gestaltet seine Rolle anders, definiert sich als Freund des Erzählers und als dessen ins Vertrauen gezogener Leser, überträgt die Autorschaft einer fiktiven Figur, erklärt das Manuskript als nicht zur Publikation bestimmt und verifiziert dadurch die nachfolgende Geschichte – der Wahrheitsanspruch wird nicht zurückgewiesen, sondern erhoben. Die Fiktionsironie dieses Spiels gewinnt durch die verdoppelte Rollendistanz an Komplexität, mit der es Chamisso aber nicht bewenden lässt. Er schreibt sich zusätzlich explizit in die Geschichte hinein: Neunmal ruft der Erzähler den Freund namentlich an, "O mein guter Chamisso", "lieber Chamisso" und "mein Adalbert" (Chamisso 2010: 44;68;68) lauten drei der sieben Variationen. In der Autor-Leser-Interaktion manifestiert sich eine Form der ironischen Parabase, die einen Dialog suggeriert und das "ironische Als-Ob" (Müller 1995: 234) intensiviert. Nun ist dieses Als-Ob hier allerdings ein doppeltes. Schließlich setzt der Verfasser alles daran, nicht als Verfasser, sondern als Leser in Erscheinung zu treten. Chamisso richtet sich als tatsächlicher Autor und vorgeblicher Adressat genau genommen an sich selbst. Mit dem Ziel, das Fiktionsspiel damit demonstrativ zu verifizieren, vergrößert er gleichzeitig die Rollendistanz und erhöht die Anzahl ironischer Ebenen in der immer komplexer werdenden komischen Erzählstrategie. Denn Chamisso geht noch einen Schritt weiter und tritt in Schlemihls Träumen auf.

2.4 Schlemihls Traumsequenzen

"Was denkest Du, daß ich nun anfing? – O mein lieber Chamisso, selbst vor Dir es zu gestehen, macht mich erröthen" (Chamisso 2010: 24). Im zweiten Kapitel spricht Schlemihl den Empfänger seines Manuskripts unvermittelt zum ersten Mal namentlich an und leitet damit die Schilderung eines verzweifelten, wütenden Goldrauschs ein, der den Erzähler so erschöpft, dass er auf seinem Lager aus Goldstücken einschläft. Der Erzähler bleibt weiter in der Anrede: "Da träumt" es mir von Dir; [...] Du rührtest Dich aber nicht, Du hattest auch nicht Athem, Du warst todt" (Chamisso 2010: 25). Sich in die Geschichte hineinzuschreiben ist die eine Sache, aber in die Unwirklichkeit eines fiktiven Traumes einzudringen, ist ein genialer Streich in Chamissos Erzählstrategie. Die doppelt unwirkliche Situation erlaubt es ihm sogar zu sterben, sich mit seiner Fiktion gewordenen Figur also die größte Freiheit herauszunehmen. In dieser Uneigentlichkeit erreicht er ein Maximum an ironischer Distanz.




PhiN 75/2016: 21


Der zweite Traum findet den Helden in einer völlig anderen Situation als der erste. Ohne den Glückssäckel und somit befreit von den Nachstellungen des Teufels, träumt Schlemihl von seinen Freunden Mina, Bendel und Chamisso, die ihm unter Palmen wandelnd freundlich zulächeln. Auch dieser Traum hat eine Pointe: Von allen, die Schlemihl in paradiesischer Kulisse flanieren sieht, "hatte aber Keiner einen Schatten, und was seltsamer ist, es sah nicht übel aus" (Chamisso 2010: 82). Schlemihl zeigt sich hier als humoristischer Held, "der über sich selbst zu lachen vermag"(Jauss 1976: 108). Endlich versöhnt mit seiner nunmehr unumkehrbaren Schattenlosigkeit, scheint er trotzdem überrascht, dass die Schattenlosigkeit seiner Freunde das Gesamtbild nicht beeinträchtigt. Indem er ihnen im Traum ihre Schlagschatten nimmt, macht er sie zu seinesgleichen, d.h. macht sich Chamisso zu Schlemihl und sprengt einmal mehr durch sein komisches Verwirrspiel die Grenzen der Fiktion. Wenn ein Wesensmerkmal der Komik die überraschende Aufhebung eines Kontextes ist, führt Chamisso diese Eigenschaft in den beiden Traumsequenzen sogar noch weiter, denn hier verschwimmen gleich drei Kontexte miteinander: der reale, der fiktive und der geträumte.

2.5 Vorwort der zweiten Auflage

Als Eduard Hitzig 1827 die zweite Auflage des "Schlemihl" herausbringt, fügt er den beiden Briefen einen eigenen hinzu, den er an Fouqué adressiert. Damit versucht Hitzig, gezielt an dessen Herausgeberfiktion anzuknüpfen.

Dieser [Brief] hatte nichts mehr mit der Entstehung des Werks zu tun; er gehörte also nicht an diesen Platz. Dennoch wurde er in den meisten späteren Ausgaben der Erzählung ebenfalls vorangestellt, wodurch die subtile Einheit von Text und Textfiktion nicht nur zerbrochen, sondern auch unverständlich wurde (Matt 2010: 140).

Tatsächlich schreibt Hitzig an Fouqué, "mir hast Du 1814 ja kein Wort von der Herausgabe des Manuskripts gesagt" (Matt 2010: 101) und bricht mit dieser Bemerkung die Spielregel, denn Fouqué hatte den Freund in seinem fingierten Brief zwar nicht in den Entscheidungsprozess einbezogen, aber durchaus darüber informiert – in der Realität allerdings nicht (da wusste nur Chamisso Bescheid), und darauf nimmt Hitzig hier Bezug. Wenn er auch eigentlich versucht, die Fiktion aufrechtzuerhalten, indem er Fouqué des eigenmächtigen Handelns abwechselnd schimpft und lobt, übertreibt er es doch ein wenig und gibt eine Anekdote wieder, die unklar lässt, ob Chamisso oder Schlemihl daran beteiligt gewesen sein soll. Somit hat Peter von Matt Recht, wenn er die Einheit von Text und Fiktionsspiel zerstört sieht. In der zweiten Auflage und allen Ausgaben, die Hitzigs Brief mit ins Vorwort nehmen, geht der Witz verloren.




PhiN 75/2016: 22


3 Die Komik der Figuren

Im Personal der Geschichte zeichnet Chamisso tendenziell einfache, wenn nicht sogar eindimensionale Persönlichkeitsstrukturen, die sich mit je einer Haupteigenschaft charakterisieren lassen: Bendel ist treu, Mina heilig, Rascal hinterhältig und John korrupt. Die komplexen Figuren in dieser Erzählung sind eindeutig die beiden Protagonisten: der Teufel und Peter Schlemihl. Auch steckt in diesen beiden das ganze komische Potenzial.

3.1 Der Teufel

Als "stiller, dünner, hagrer, länglichter, ältlicher Mann" (Chamisso 2010: 15) in einem enganliegenden grauen Anzug tritt der Teufel gleich zu Beginn der Geschichte auf Thomas Johns Gartenparty in Erscheinung. Während der Erzähler den grauen Mann neutral beschreibt, wählt ein um Information gebetener Gast andere Worte: "Dieser? der wie ein Ende Zwirn aussieht, der einem Schneider aus der Nadel entlaufen ist?" (Chamisso 2010: 17). Aus Schlemihls Beobachtung geht bereits hervor, dass der Mann lang und dünn ist, doch zu einer Witzfigur wird er erst durch den Blick und die Äußerung des befragten Gastes.

Indem beide Beschreibungen zusammen genommen die Figur des Teufels wie eine Karikatur auf ein wesentliches Merkmal reduzieren, wird er zum grauen Faden der Geschichte, als der er immer wieder auftaucht, ohne jemals einen Namen zu erhalten. Doch den Teufel im "Schlemihl" als Karikatur zu bezeichnen, wird der Komplexität der Gestalt nicht gerecht. Eine Karikatur bedeutet zwar "die Überhöhung und Zuspitzung in der Darstellung komischer Erscheinungen" (Borew 1960: 396), doch Chamisso geht mit dieser Figur noch weiter und stattet sie mit – nicht nur im literarischen Sinne – grotesken Merkmalen aus.

Als allgemeine künstlerische Verfahrensweise strebt das Groteske nach möglichst phantasievoller Kombination von Heterogenitäten: zwischen dem Ornamentalen und dem Monströsen, zwischen Grauen und Verspieltheit, zwischen Derbkomischem und Dämonischem. Mittel dazu ist ein Wechselspiel sich störender, gegenseitig aufhebender Perspektiven, Modi und Diskurse, das sich in der Rezeption wiederholt als bis zum Wahrnehmungsschrecken gehende Irritation, als Schaukelbewegung zwischen Illusions- und Desillusionsbildung: durch karikierende Übersteigerung, ja aggressive Deformation der Realität bis ins bedrohlich Fratzenhafte (Haaser / Oesterle 2007: 745).




PhiN 75/2016: 23


Mit dem großen Fernrohr, das der Teufel aus seiner für solche Gegenstände nicht konzipierten Rocktasche zieht, überschreitet er die Grenze des Wahrscheinlichen und definiert die ganze Situation als eine fantastische. Als er nach weiteren immer voluminöser werdenden Gegenständen schließlich drei gesattelte Pferde aus derselben Tasche zutage fördert, wird die Handlung so grotesk, dass Schlemihl den Anblick des grauen Mannes nicht mehr erträgt und geht. Chamisso folgt mit dieser Verfremdungstechnik "der Tradition der alten Strukturformel 'Verkehrte Welt'" (Haaser / Oesterle: 746) bis zu dem Punkt, an dem es Schlemihl unheimlich wird. "Die rezeptive Ambivalenz aus 'Lachen und Grauen' wird theoriegeschichtlich konstant dem Grotesken zugeschrieben" (Gerigk 2008: 92), wobei Lachen und Grauen hier nicht in einer einzigen Rezeption zusammenfallen. Schlemihl "war schon lang' unheimlich, ja graulich zu Muthe" (Chamisso 2010: 18), ihn gruselt die unerklärliche Fähigkeit des Mannes, die Grenzen des Möglichen und Wahrscheinlichen zu überschreiten. Der Leser allerdings lacht wegen der physikalischen Diskrepanz der Größen von Rocktasche und der daraus hervorgeholten Gegenstände. Hier greift die Inkongruenztheorie des Komischen nach Arthur Schopenhauer, die bis heute Gültigkeit hat und von einer plötzlich wahrgenommenen Unstimmigkeit zwischen einem erwarteten und dem realen Gegenstand ausgeht, die zum Lachen reizt (vgl. Schopenhauer 1892: §13).

In besonderem Maße trifft die Inkongruenztheorie auf die Persönlichkeit des Teufels zu, die rein gar nichts "von Pferdefuß, Dämonie und höllischem Witz" (Mann 1911: 49) hat. Thomas Mann bezeichnet ihn als überhöflich, tatsächlich geriert sich der Teufel unangenehm servil, zeigt sich verlegen und errötet sogar im Gespräch mit Schlemihl – für Mann „ein köstlich überzeugender Zug“ (ebd.). Das anbiedernde Verhalten, das Erröten sind genaugenommen sehr menschliche Züge und stehen damit im komischen Widerspruch zu den erwarteten teuflisch-bösen Eigenschaften. Gleichzeitig sind es gerade diese Merkmale, die den Teufel überhaupt erst in eine lächerliche Position bringen. Indem sich der Teufel menschlich gibt, wird er vergleichbar und kann komisch sein.

Die übernatürlichen Fähigkeiten, die der Teufel auf Johns Fest beweist, sind zunächst nicht zwangsläufig Attribute des Leibhaftigen. In dieser anfänglichen Uneindeutigkeit, der Unteuflischkeit des teuflischen Verhaltens muss auch der Grund vermutet werden, warum Schlemihl sein Gegenüber auch nach vollzogenem Schattenhandel noch nicht erkennt.




PhiN 75/2016: 24


Die physikalischen Gesetze bricht der Teufel auch, wenn er Schlemihls Schatten handhabt wie eine Picknickdecke. "[M]it einer bewundernswürdigen Geschicklichkeit sah ich ihn meinen Schatten, vom Kopf bis zu meinen Füßen, leise von dem Grase lösen, aufheben, zusammenrollen und falten, und zuletzt einstecken" (Chamisso 2010: 21). Ähnlich liest sich die Situation, in der der Teufel Schlemihl zum Umdenken bewegen will, nachdem der sich weigerte, jenem seine Seele zu verkaufen: "Er zog sogleich meinen Schatten aus seiner Tasche, und mit einem geschickten Wurf auf der Haide entfaltend, breitete er ihn auf der Sonnenseite zu seinen Füßen aus" (Chamisso 2010: 58). Die Komik dieser beiden Szenen

resultiert aus dem Bruch mit den physikalischen Gesetzen des Verhältnisses von Licht und Schatten. Der graue Mann breitet den Schatten Schlemihls zur Sonne hin aus. Die komische Wirkung wird durch die aktivische Formulierung der beiden 'aufwartenden Schatten' noch verstärkt, wodurch der graue Mann für Augenblicke nicht mehr der Werfer der Schatten ist, sondern aus ihnen hervortritt (Braun 2007: 239).

Der Teufel weiß, dass es nur zwei Dinge gibt, die Schlemihl begehrt: seinen Schatten und Mina. Indem er seinem Kunden den verlorenen Schatten als Lockmittel vorhält und ihm gleichzeitig mit dem Verlust Minas droht, meint der Teufel, ihn fest im Griff zu haben und schließlich an die seinerseits begehrte Seele zu gelangen. In seinem elaborierten Kampfplan scheut der Teufel keine Mühe, beweist Geduld, Erfindungsreichtum und strategisches Geschick. Trotzdem scheitert er, denn er hat nicht mit der charakterlichen Integrität Schlemihls gerechnet. Dieses aufwendige Unterfangen ist komisch, nicht weil es grotesk wäre. Das ist es zwar auch, aber in erster Linie erkennt der Leser den Teufel hierin erst als das, was er ist: ein Clown. Freud erklärt in seiner Abhandlung über den Witz, warum wir über Clowns lachen, weil ihre Bewegungen "uns übermäßig und unzweckmäßig erscheinen. Wir lachen über einen allzu großen Aufwand" (Freud 1976: 154). Tatsächlich leuchtet nicht ein, warum der Teufel sein Ziel nicht direkt angeht, sondern Schlemihl erst den Schatten abhandelt, bevor er diesen in einem zweiten, viel später erfolgenden Schritt gegen dessen Seele einzutauschen versucht. Schlemihl bekennt selbst, "es flimmerte mir wie doppelte Dukaten vor den Augen" (Chamisso 2010: 21). In diesem Moment gibt er seinen Schatten bereitwillig her, sicher wäre seine Seele eine ebenso leichte Beute gewesen. Doch der Clown "setzt sich selber eine Hürde, an der er scheitert" (Striedter 1976: 390). Nun muss man bedenken, dass der Clown für ein Publikum scheitert und damit das Ziel verfolgt, andere zum Lachen zu bringen, für einen Clown also Scheitern "das eigentliche Gelingen" (ebd.) ist. Nicht so für den Teufel dieser Erzählung, der nicht aus eigenem Bedürfnis zum Clown wird, sondern weil der Autor ihn zu dieser dezidiert komischen Figur macht. Darüber ist sich der Teufel sogar im Klaren, wenn er sagt: "Das ist also der Dank für die Mühe, die man genommen hat, Monsieur, der schwache Nerven hat, den langen lieben Tag hindurch zu pflegen. Und man soll den Narren im Spiele abgeben" (Chamisso 2010: 70). Damit geht er selbstironisch auf Distanz zu seiner Rolle in der Geschichte, legt die Karten offen auf den Tisch und erklärt, dass es jeden Schatten zu seinem Besitzer zurückziehe, er Schlemihls Schatten nicht loswürde und somit Schlemihl ihn, den Grauen, nicht abzuschütteln vermöge, sie also für immer aneinander gebunden blieben, unterschriebe Schlemihl nicht irgendwann den Vertrag. Jetzt erst wird dem Leser bewusst, in welche Klemme sich der Teufel da hineinmanövriert hat. Schlemihl braucht noch eine Weile, bis er merkt, dass inzwischen nicht mehr nur er der Ausgelieferte ist. Diese Zeit versucht der Teufel zu nutzen und greift zur einzigen Maßnahme, die ihm jetzt noch zu Gebote steht, da er sonst keine Druckmittel mehr hat: er fängt an zu nerven.




PhiN 75/2016: 25


Wie ein "Plagegeist" verfolgt er Schlemihl: "Er sprach aus demselben Tone fort und fort; ich floh umsonst, er ließ nicht nach, und immer gegenwärtig, redete höhnend von Gold und Schatten. Ich konnte zu keinem eigenen Gedanken kommen" (Chamisso 2010: 70f.). Diese Taktik, Schlemihl nicht zum Nachdenken kommen zu lassen, setzt er am nächsten Tag fort, als er sich zunächst unerkannt als Fußgänger und "Redekünstler" (Chamisso 2010: 74) dem in die Einsamkeit reitenden Helden anschließt. In seinem verzweifelten Aktionismus, Schlemihl die Seele im wahrsten Sinne abzuschwatzen, bleibt der graue Mann so lange in seiner clownesken Rolle, bis er auch mit dieser Strategie scheitert und einen folgenschweren Fehler begeht. Er offenbart sich Schlemihl als Teufel, indem er Johns gerichtete und verdammte Seele aus der Tasche zieht. Mit dieser Selbstentlarvung ist sein komisches Scheitern vollständig und unumkehrbar – die Geschichte geht ab hier ohne ihn weiter.

3.2 Peter Schlehmil

Von Schlemihls äußerer Erscheinung zu urteilen, in der er sich als Naturforscher präsentiert, könnte man ihn durchaus für eine komische Figur halten. Er wirkt verkleidet, "und jede Kleidung, die lange genug aus der Mode ist, wirkt als Verkleidung [...] – lächerlich" (Plessner 2013: 110). Schlemihl trägt nicht nur einen aus der Mode gekommenen Waffenrock, er trägt auch noch Pantoffeln über seinen Stiefeln. Auf Nicht-Eingeweihte, denen die Funktion der Pantoffeln nicht bekannt ist, muss ein solcher Aufzug exzentrisch und skurril wirken – oben militärisch und unten gemütlich, ein Widerspruch, der zum Lachen reizt.

"Alle echte Komik, die uns im Leben begegnet, ist unfreiwillige Komik" (Hartmann 2013: 114), heißt es bei Nicolai Hartmann. Tatsächlich beruht einer der Hauptgründe, über Schlemihl zu lachen oder schmunzeln, auf dessen Ahnungslosigkeit. Der Leser befindet sich für den Großteil der Erzählung in einem Wissensvorsprung vor dem Helden, der erst am Ende des achten Kapitels erkennt, auf wen er sich eingelassen hat. Schlemihls Unwissenheit bildet die Basis vieler komischer Situationen, in denen der Leser sich aus Überlegenheit amüsiert.

Es gibt allerdings eine große Gemeinsamkeit der beiden komischen Potenziale in dieser Geschichte: Die Tatsache, dass beide Protagonisten etwas mit einer solchen Unbedingtheit haben oder erreichen wollen, führt dazu, dass sie sich zu Handlungen hinreißen lassen, die in den komischsten Situationen gipfeln. Dennoch sind beide Helden grundverschieden angelegt, der Teufel als Clown und Schlemihl als tragischer Held. Denn nicht nur das „Komische wird durch einen Widerspruch erzeugt. Ebenfalls durch einen Widerspruch wird das Tragische hervorgebracht“ (Borew 1960:290). Dass Schlemihl als tragischer Held auch komisch sein kann, schließt sich nicht aus.




PhiN 75/2016: 26


Eine der auffälligsten Eigenschaften Schlemihls ist seine extreme Empfindsamkeit, die ihn in Momenten größter Anspannung in Ohnmacht fallen oder einschlafen lässt. Die Situationen, in denen sich Schlemihl überfordert fühlt, ähneln sich besonders in einem Punkt – er schließt die Schilderung stets sinngemäß mit: "Ich hatte [...] alle Besinnung verloren" (Chamisso 2010: 53). Nun bilden männliche Ohnmachten in der Literatur des 19. Jahrhunderts zwar keine Ausnahme, allerdings kollabieren Männer in der Regel aus anderen Gründen als Frauen. Da bei Schlemihl körperlicher Schmerz und Blutverlust als Ursachen für seine Zusammenbrüche ausgeschlossen werden können, liegt sein Fall anders. "Die daran beteiligten Emotionen, die [...] eher mit Frauen verbunden sind, können dem Männlichkeitsbild der Zeit jedoch zuwiderlaufen, und der ohnmächtige Kollaps bildet so auch ein Mittel zur satirischen Ausstellung der empfindsamen 'Verweiblichung'" (Ellwanger 2011: 9). Im "Schlemihl" ist es allerdings nicht nur die Art der unwillkürlichen Anfälle, sondern auch die Häufigkeit, mit der sie auftreten, die komisch, weil übertrieben wirken. Freud schreibt, es seien "alle Grimassen komisch, welche den normalen Ausdruck der Gemütsbewegung übertreiben, auch dann, wenn sie unwillkürlich erfolgen" (Freud 1976: 154) und nennt den Veitstanz als Beispiel. Das Gleiche gilt auch für die Ohnmachten des Helden als exaltierte Gefühlsäußerungen, die somit das beste Beispiel für dessen unfreiwillige Komik abgeben.

Weniger unwillkürlich als vielmehr der Verzweiflung geschuldet, sind Schlemihls Versuche, seine Schattenlosigkeit zu begründen bzw. zu beheben. Eine der komischsten Szenen ist Schlemihls Treffen mit dem Kunstmaler, den er fragt, ob er einem Menschen einen Schatten malen könne. In diesem Anliegen ballt sich die ganze Tragikomik der Hauptfigur; dieselbe Szene ist allerdings auch ein Beweis für die Wirksamkeit des Glückssäckels, der den Besitzer nicht nur reich macht. "Witz und Verstand" (Chamisso 2010: 35) gibt es gratis dazu und machen aus Schlemihl einen begnadeten Lügner. Eine Kostprobe davon gibt er dem Maler, dem er das Abhandenkommen des Schattens erklärt: Im russischen Winter sei er am Boden festgefroren und nicht mehr zu lösen gewesen (vgl. Chamisso 2010: 32). Ein weiteres Mal begründet Schlemihl seine Schattenlosigkeit mit einer aberwitzigen Geschichte und beweist damit sein neuerworbenes komisches Talent. Je verzweifelter die Lage, in der er sich befindet, desto erfindungsreicher seine Ausführungen:

Es trat mir dereinst ein ungeschlachter Mann so flämisch in meinen Schatten, daß er ein großes Loch darein riß – ich habe ihn nur zum Ausbessern gegeben, denn Gold vermag viel, ich habe ihn schon gestern wieder bekommen sollen“ (Chamisso 2010: 54).




PhiN 75/2016: 27


So belügt er den Forstmeister, um dessen Tochter Mina er wirbt. Größer als hier wird seine Not nicht mehr, und immerhin verhelfen ihm Witz und Verstand zu einer Frist von drei Tagen. Weil sich Witz immer verbal äußert (vgl. Schopenhauer 1892: §13), kann man hier tatsächlich von solchem sprechen, obwohl Schlemihl in den geschilderten Situationen nicht die Absicht verfolgt, die Belogenen oder sonstige Anwesende zum Lachen zu bringen, im Gegenteil.

Eine dritte Lüge erzählt er einem Bauern, nachdem er den Säckel losgeworden ist: Während einer Krankheit seien ihm "Haare, Nägel und Schatten ausgegangen" (Chamisso 2010: 84). Tatsächlich wirkt diese eher naheliegende Begründung weniger einfallsreich als die vorangegangenen, mit dem Reichtum hat Schlemihl auch dem Witz entsagt. Wobei diese Schlussfolgerung dem Helden doch Unrecht tut, denn schon mit einer seiner ersten Beobachtungen beweist er ganz ohne Glückssäckel großen Sprachwitz. Gerade auf Thomas Johns Gartenparty eingetroffen, sieht er zum ersten Mal den Gastgeber und schreibt: "Ich erkannte gleich den Mann am Glanze seiner wohlbeleibten Selbstzufriedenheit" (Chamisso 2010: 14).

Eine letzte Episode soll hier noch analysiert werden, die sowohl wegen ihrer Situationskomik erwähnt sein muss als auch, weil es nur durch das Zutun beider Protagonisten überhaupt zu dieser Szene kommt. Nach einigen Tagen, die Schlemihl allein über die Heide wandert, gleitet plötzlich ein menschlicher Schatten an ihm vorbei, von seinem Besitzer allerdings ist keine Spur zu sehen. Schlemihl zögert nicht: "Und ich sprang hinzu, mich seiner zu bemächtigen; ich dachte nemlich, daß, wenn es mir glückte, in seine Spur zu treten, so, daß er mir an die Füße käme, er wohl daran hängen bleiben würde, und sich mit der Zeit an mich gewöhnen" (Chamisso 2010: 61). Aus dieser an sich schon irrwitzigen Annahme, sich auf diese Art einen Schatten fangen und zähmen zu können, als handele es sich um einen streunenden Hund, entspinnt sich eine noch komischere Verfolgungsjagd, die man heutzutage filmreif nennen könnte. Im Grunde liegt hier eine derb-komische Einlage vor, die im Wesentlichen der Slapstick-Komödie entspricht. Chamisso entwirft eine Szene voll "grotesker visueller Gags" (Wilpert 1989: 862), denn schließlich prügelt sich Schlemihl noch mit dem Unsichtbaren, dessen Schatten er verfolgt. Natürlich steckt der Teufel hinter der Sache, der Schlemihl das unsichtbare Vogelnest zukommen lassen will. Überhaupt Grimmelshausens (Walach 2009: 27) unsichtbares Vogelnest als Pointe einzusetzen, um die Situationskomik aufzulösen, ist ein virtuos witziger Einfall.




PhiN 75/2016: 28


Trotz seines komischen Potenzials und der zahlreichen Momente, in denen Schlemihl seinen Leser aus unterschiedlichen Gründen zum Lachen bringt, ist er doch keine komische Figur. Denn im Gegensatz zum Teufel, der als eine solche Figur angelegt ist, lernt Schlemihl aus seinen Fehlern und überlässt dem Grauen nach dem Schatten eben nicht auch noch seine Seele. Schlemihl zieht Konsequenzen aus seinem eigenen Verhalten, aus dem Verhalten seiner Umwelt ihm gegenüber und aus seinem Scheitern. Keine komische Figur würde so handeln. Der Teufel beispielsweise verfolgt als einziges Ziel, Seelen in seinen Besitz zu bringen, und dazu ist ihm jedes natürliche und übernatürliche Mittel recht. Bei John hatte er leichtes Spiel, an Schlemihl ist er gescheitert. Doch dieses Scheitern ändert den Teufel nicht, macht ihn nicht weiser oder lässt ihn grundlegend seine Taktik ändern. Er ist eine durch und durch komische Figur und als solche macht er keine charakterliche Entwicklung durch. Damit steht er in der Tradition der Figur des geprellten Teufels im geistlichen Drama (Wilpert 1989: 466).

Anders bei Schlemihl, der eine Einsicht hat in die Ausweglosigkeit seiner Lage und die Einsamkeit wählt, sein Leben komplett ändert, indem er auf alles verzichtet, was ihm die Schattenlosigkeit ja durchaus erträglich gemacht hat. Schlemihl ist als weltreisender Naturforscher am Ende der Erzählung nicht mehr dieselbe Person, als die er zu Beginn der Geschichte in Hamburg von Bord gegangen ist. Vorzeitig ergraut und ohne Schatten ist er ein Gezeichneter. Nur dadurch, dass Schlemihl seine Seele behalten hat, konnte er auch in seiner Seele erschüttert werden, und das macht den tragischen Helden aus. Peter Schlemihl ist daher keine komische Version des Faust, auch wenn er sich einen Pudel zum Gefährten seines Naturforscherdaseins wählt.



4 Zusammenfassung

Es konnten im Rahmen dieses Beitrags nicht alle situationskomischen Szenen analysiert werden: Bendel, der seinem Herrn quasi Schatten spendet, damit Schlemihl sich in die Sonne und unter Leute wagen kann; Bendel, der den Teufel über die Heide prügelt, bis man die beiden nicht mehr sieht und nur noch die Schläge hört. Fängt man einmal an, die Erzählung auf ihre Komik hin zu lesen, entdeckt man immer mehr davon. Chamisso fährt eine erstaunliche Bandbreite komischer Elemente auf, angefangen bei der Fiktionsironie seiner, gemeinsam mit Fouqué fingierten Rahmenhandlung bis hin zu Slapstick-Einlagen, die jedem komischen Stummfilm zur Ehre gereicht hätten.




PhiN 75/2016: 29


Anhand der Rahmenhandlung zeigt sich, dass Chamisso es nicht bei einfachen Mitteln des romantischen Fiktionsspiels belässt, sondern immer noch eine weitere Ironie-Ebene einzieht und das Spiel in die Geschichte hinein fortsetzt, indem er sich selbst als Leser/Empfänger in die Erzählung hineinschreibt und auch hier zum Äußersten geht und sich selbst in Schlemihls Traum sterben lässt.

Während Chamisso die Grenzen zwischen der eigenen Autorschaft und der Figur Schlemihls vorgeblich scharf zieht, zeichnet er seinen Helden als eine höchst komplexe Person, deren komische und tragische Eigenschaften voneinander abzugrenzen nicht ganz so trennscharf gelingt. Dennoch wird trotz des großen komischen Potenzials des Protagonisten klar, dass Schlemihl ein tragischer Held ist und keine vorrangig komische Figur. Ein tragischer Held kann in seiner Seele erschüttert und von Leid gezeichnet werden, sich charakterlich weiterentwickeln und Konsequenzen für sein Handeln ziehen. Eine komische Figur könnte das nicht bzw. täte es nicht, denn ein Clown wie der Teufel einer ist, scheitert und scheitert wieder und scheitert noch einmal und immer so fort, weil er nicht aus seinen Fehlern lernt. Umgekehrt lernt Schlemihl sehr wohl aus seinem Fehler und zeigt damit, dass er aus dem ganzen Unglück heraus zu einer Erkenntnis gelangt ist. Erkenntnisgewinn aber bleibt dem Teufel versagt – er ist, der er ist und wird sich nie ändern. Insofern wäre es falsch, von Schlemihl als einem komischen Faust zu sprechen, denn Schlemihl ist nicht in erster Linie komisch und mit Goethes Held hat er eher wenig gemeinsam. Viel interessanter wäre es, den grauen Mann als clowneskes Pendant zum teuflisch-witzigen Mephisto zu untersuchen, aber das muss an anderer Stelle geschehen.


Bibliographie

Braun, Peter (2007): Mediale Mimesis. Licht- und Schattenspiele bei Adelbert von Chamisso und Justinius Kerner. München: Fink.

Borew, Jurij (1960): Über das Komische. Berlin: Aufbau.

Chamisso, Adelbert von (2010): Peter Schlemihls wundersame Geschichte. Stuttgart: Reclam. (ED 1814).

Ellwanger, Cécile (2011): Zwischen Stabilität und Konflikt: ohnmächtige Frauen in der Literatur des 18. und 19. Jahrhunderts.Diss. München. http://edoc.ub.uni-muenchen.de/16540/1/Ellwanger_Cecile.pdf

Freud, Sigmund (1976): Der Witz und seine Beziehung zum Unbewußten. Frankfurt/Main: Fischer.




PhiN 75/2016: 30


Gerigk, Anja (2008): Literarische Hochkomik in der Moderne. Theorie und Interpretationen. Tübingen: Francke.

Haaser, Rolf / Oesterle, Günter, Grotesk (2007), in: Weimar,  Klaus et al. (Hg.) (2007): Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft, Bd. 1, Berlin / New York: de Gruyter, 745–748.

Hartmann, Nicolai (2013): "Komik des Gegenstandes oder Humor der Auffassung", in: Bachmaier, Helmut (Hg.): Texte zur Theorie der Komik. Stuttgart: Reclam, 113–116.

Henrich, Dieter (1976): "Freie Komik", in: Preisendanz, Wolfgang / Warning, Rainer (Hg.): Das Komische. München: Fink, 385–389.

Jauss, Hans Robert (1976): "Über den Grund des Vergnügens am komischen Helden", in: Preisendanz, Wolfgang / Warning, Rainer (Hg.): Das Komische. München: Fink, 103–109.

Mann, Thomas (1965): "Chamisso [1911]", in: Gesammelte Werke in dreizehn Bänden. Reden und Aufsätze 1. Frankfurt/Main: Fischer, 35–57.

Matt, Peter von (2010): "Chamissos nüchterner Traum. Kunst und Geheimnis des Peter Schlemihl", in: Chamisso 2010, 117–142.

Müller, Marika (1995): Die Ironie. Kulturgeschichte und Textgestalt. Würzburg: Königshausen & Neumann.

Plessner, Helmuth (2013): "Ambivalenz und exzentrische Position", in: Bachmaier, Helmut (Hg.): Texte zur Theorie der Komik. Stuttgart: Reclam, 108–112.

Schopenhauer, Arthur (1892): Die Welt als Wille und Vorstellung. Leipzig: Reclam.

Striedter, Jurij (1976): "Der Clown und die Hürde", in: Preisendanz, Wolfgang / Warning, Rainer (Hg.): Das Komische. München: Fink, 389–398.

Walach, Dagmar (2009): Adelbert von Chamisso. Peter Schlemihls wundersame Geschichte. Erläuterungen und Dokumente. Stuttgart: Reclam.

Wilpert, Gero von (1989): Sachwörterbuch der Literatur. Stuttgart: Kröner.

Wisse, Ruth (1971): The Schlemiel [Schlemihl] as Modern Hero. Chicago: University Press.




PhiN 75/2016: 31


Anmerkungen

1 Zitiert wird nach der neuen Reclam-Ausgabe des Textes, die der Erstausgabe von 1814 folgt und im Anhang die Textbeigaben Chamissos und Hitzigs in späteren Auflagen anführt. Diese später hinzugekommen Texte führen das komische Fiktionsspiel um die Geschichte Schlemihls fort und sind daher für diese Arbeit von Bedeutung.

2 Für die Erstausgabe von 1814 hat Fouqué seinen Brief nicht datiert, was unklar lässt, ob er Hitzig vor oder nach Chamissos Schreiben vom 27. September 1813 erreicht haben soll. In späteren Ausgaben allerdings enthält der Brief das Datum "Ende Mai 1814" (z.B. in der Auflage von 1836), und entsprechend findet man in vielen dieser Ausgaben des "Schlemihl" eine chronologische Anordnung der Briefe, beispielsweise in der gerade erwähnten von 1836. Die Reihenfolge der vorangestellten Briefe der Erstausgabe ist möglicherweise ein im wahrsten Sinne komischer Glücksfall.