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Daniel Fliege (Paris)



Martini, Raffaella (2014): Vittoria Colonna. L'opera poetica e la spiritualità. Mailand: Edizioni Biblioteca Francescana.


Dass die von Costanzo Cargnoni herausgegebene Studienreihe Studi Cappuccini mit einer von Raffaella Martini verfassten Studie zu Vittoria Colonna eingeleitet wird, ist bemerkenswert und leistet einen wichtigen Beitrag zur Würdigung ihres Werkes, das auch in Italien auf Grund der schwierigen Editionslage immer noch kaum bekannt ist (es gibt derzeit keine einzige Ausgabe ihrer Rime auf dem Markt). Im Vorwort erinnert Cargnoni an die Rolle Colonnas als glühende Verteidigerin des Kapuzinerordens in den 1530er Jahren und verspricht "risultati interessanti e innovatrici" in der vorliegenden Studie Martinis.

Der Inhalt von Martinis Arbeit ist schnell referiert: Im ersten Kapitel resümiert Martini Colonnas Biographie und hebt dabei vor allem die religiösen Aspekte ihres Lebens hervor. Daran schließt sich unvermittelt Kapitel 2 "Il Petrarchismo" an, in dem Martini eine knappe literaturgeschichtliche Darstellung des Petrarkismus ausgehend vom Tod Petrarcas bis ins 16. Jahrhundert darbietet. Darin weist sie auf die Bedeutung Pietro Bembos und Baldassar Castigliones Cortigiano sowie auf die Bedeutung des Neoplatonismus für die italienische Literatur des Cinquecento hin, um am Ende auf die Bedeutung des weiblichen Petrarkismus einzugehen. Im dritten Kapitel "Vittoria Colonna: l'opera poetica" kommt Martini schließlich zum Werk Colonnas und hebt zunächst wieder wie im vorherigen Kapitel die Bedeutung Bembos hervor, woran sich die Interpretation der Gedichte Colonnas anschließen, thematisch geordnet zunächst der Rime amorose, danach der Rime spirituali. In der "Conclusione" schließlich vergleicht Martini zuerst Colonna und Bembo und endet mit einigen abschließenden Bemerkungen zur Spiritualität Colonnas.

Martini zeigt dabei ein profundes Wissen in theologischen Fragestellungen und ihre Leidenschaft für Vittoria Colonna ist deutlich zu spüren. Interessant am Schlussteil ist, dass Martini versucht, Colonna in heutige theologische Debatten einzuordnen, dabei auch Papst Benedikt XVI. zitiert und damit die Aktualität Colonnas demonstriert.




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Insgesamt jedoch stellt Martinis Studie von Anfang an eher ein Kuriosum dar: Die Einleitung lässt den Leser darüber im Unklaren, was Martini mit diesem Buch bezweckt, wie sie methodisch vorgeht und was den Leser in den folgenden Kapiteln erwartet – außer dass sie, wie dem Titel des Buches zu entnehmen ist, das poetische Werk und die Spiritualität Colonnas untersuchen will, wobei jeder Colonna-Forscher bei diesen beiden Stichpunkten wohl zunächst an die erst 2008 erschienene und keinesfalls überholte Monographie von Abigail Brundin denken wird, die jedoch in der Bibliographie von Martinis Arbeit überraschenderweise nicht auftaucht.

Martini deutet Colonnas Gedichte vor allem biographisch. So liest sie beispielsweise im bekannten Sonett der "corpi sterili, alme feconde" einen Verweis auf Colonnas Kinderlosigkeit. Diese Lesart ist nicht neu und Martinis Interpretationen bleiben leider an dieser Stelle stehen und verweigern sich einer tiefergehenden Analyse, weshalb sie insgesamt zu beschreibend und oberflächlich bleiben. Streckenweise verzichtet Martini auch ganz auf Analysen und reiht die Sonette aneinander, unterbrochen nur durch belanglose Sätze wie: "Famosissimo è poi questo sonetto" (246). Der angekündigte 'Vergleich' ("confronto") zwischen Bembo und Colonna zu Beginn der "Conclusione" bleibt im Grunde aus und erschöpft sich in banalen Beobachtungen.

Martini folgt dabei größtenteils der Bullock-Ausgabe der Rime von 1982 und übernimmt unkritisch die von Bullock unternommene Einteilung des Werkes in fünf Teile, was seit der Veröffentlichung der Ausgabe auf heftige Kritik gestoßen ist (vgl. zuletzt Crivelli 2013). So erweckt Martini unter anderem den Eindruck, als seien die Rime epistolari eine eigenständige "raccolta" (279) von Gelegenheitsgedichten und problematisiert dabei nicht, dass sie ursprünglich integrale Bestandteile der amourösen bzw. spirituellen Sammlungen waren und von Bullock künstlich herausgetrennt wurden. Ebenso hinterfragt sie nicht das Verhältnis zwischen Rime amorose und Rime spirituali und akzeptiert die Lesart Bullocks, nach der die beiden Teile den Umbruch zwischen zwei Lebensphasen markierten. Ohne erkennbaren Grund zitiert sie zudem Colonnas Sonette teilweise aus der von ihr so gelobten Bullock-Edition von 1982 und andernorts aus anderen Editionen oder Sekundärtexten, was die Nachvollziehbarkeit erschwert.

Hinzukommt, dass das Buch einige formale Mängel aufweist, und zwar in so großer Zahl, dass man kaum mehr verzeihend über sie hinweglesen kann. Als ein kurioses Beispiel unter vielen sei hier nur genannt, dass systematisch die Tilde auf spanischen oder portugiesischen Eigennamen durch Zirkumflexe oder ein Trema ersetzt wird (so u.a. "Camöes", 60). Das Buch enthält auch einige Abbildungen, was den Text zwar auflockert, die Bilder sind jedoch von fragwürdiger Qualität: So kann man in Fig. 2 (112f., es handelt sich um die Pietà Michelangelos für Colonna) die einzelnen Bildpunkte deutlich erkennen – die Quellen dieser Fotografien werden im Übrigen nicht genannt. Schwerwiegender ist, dass Quellenangaben zu Zitaten teilweise fehlen und oft sehr unklar bleibt, woher Martini ihre Behauptungen zieht. Das macht es dem Leser sehr schwer diese nachzuvollziehen, geschweige denn zu überprüfen.




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Am Auffälligsten aber ist die an sich große Anzahl an Zitaten, die stellenweise ein solches Ausmaß annehmen, dass Martinis Text in einer bloßen Aneinanderreihung von Zitaten untergeht und Martini deshalb auf genaue Quellenangaben verzichten muss, damit der Text nicht in Fußnoten erstickt. Martini geht dabei meistens seitenweise und systematisch vor, indem sie einen zitierten Autor nach dem anderen abarbeitet: So bestehen z.B. ihre "Conclusione" und der Vergleich mit Bembo aus einem Konglomerat von Zitaten von Giovanni Rabitti, an die sich eine kurze Abhandlung über die Kirchengeschichte anschließt.

Es ließe sich noch vieles aufzählen, aber wir wollen es nicht übertreiben. Die Idee, die Reihe Studi Cappuccini mit einer Monographie über Colonna zu beginnen, ist ein wichtiger Schritt hin zu einer größeren Würdigung Colonnas in Italien. Auch ist es ein wichtiger Schritt, dass es nun eine italienischsprachige Monographie zu Colonna gibt. Wissenschaftlich jedoch bringt die Monographie keine neuen Erkenntnisse und leider wurde hier auch die Chance vertan, ihr Werk einem größeren Publikum in Italien nahe zu bringen.


Bibliographie

Brundin, Abigail (2008): Vittoria Colonna and the Spiritual Poetics of the Italian Reformation. England: Ashgate.

Crivelli, Tatiana (2013): "'Mentre al principio il fin non corrisponde.' Note sul canzoniere di Vittoria Colonna", in: Calligaro, Silvia / Di Dio, Alessia (Hg.): Marco Praloran 1955-2011. Studi offerti dai colleghi delle università svizzere. Pisa: ETS, 117–136.