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Tanja Angela Kunz (Berlin)



Die Kehrseite der Wiederholung – Weiblichkeit, Gewalt und Erzählen in Peter Handkes Die morawische Nacht



The Flipside of Repetition: Femaleness, Violence, and Narration in Peter Handke’s Die morawische Nacht
An often recurring feature in Handke’s work is the sudden outburst of violence, which, by way of its repeated incidence, assumes the form of a compulsive urge. In this paper, I will show that the beneficial effects of repeated violent acts fuel the protagonist’s desires to grow, and lead them to confront the negative forces at work within them. Therefore, my analysis will focus on Handke’s conception of female figures, who in his works are often the victims of violence. While numerous examinations dealt with the negative image of female figures in Handke’s work, I will point out a different perspective that is entirely connected with Handke’s sense of reiteration and narration. I will focus on the author's Die morawische Nacht, where the virile creative act of narration merges with the never ending quest for the other sex, caught in a fertile dialectic process of lack and idealisation.



1 Einführung in die Thematik

Seit den 1980er Jahren stehen die Werke des österreichischen Autors Peter Handke in der Forschung hauptsächlich für eine "Ästhetik der Ganzheit und Schönheit", für eine "besonders geartete[] idealistische[] Stimmung [...], die den jungen und den reifen Handke miteinander verbindet" (Strasser 2002: 42). In ihnen gehe es um eine konsequente Suche "nach dem rettenden Weg, zeige der sich, wo er wolle" (Dittberner 1989: 4) und es offenbare sich darin der Wunsch "nach einem poetischen Sich-Zusammenfügen" (Au 2001: 29) als ein "Bedürfnis nach Heil" (Fuß 2001).

Handkes Werke sind jedoch auch und ganz wesentlich gekennzeichnet durch das Hereinbrechen defizitärer Seinsanteile, welche die Existenz seiner Personen bedrohen. Christoph Bartmann bemerkt hierzu beispielsweise, dass "die schöne Ordnung der Erzählung [...] jederzeit bedroht [ist] von Rückfällen ins Nichts oder von voreiliger Begeisterung" (Bartmann 2006: 16). Das ersehnte Gute und Schöne findet sich permanent gestört, wenngleich auch nie endgültig zerstört.




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Die Störung gefährdet das Schreib- und Erzählprojekt, sie erhält und bewahrt es jedoch zugleich; denn erst der Wechsel von Gelingen und Störung ermöglicht die endlose Fortsetzbarkeit des Erzählens. Das Erzählen entsteht folglich in diesem Zwischenraum als etwas Drittes, in welchem es auf die unterschiedlichsten Weisen darum geht, Wege aus der Störung zu be- und erschreiben (vgl. zu Bedeutungsweisen des Dritten in Handkes Werken: Kunz 2014).

In der folgenden Analyse wird es um die Frage gehen, auf welche Weise das fragmentarische Defekte zum zentralen Motor1 der Positivitäten bei Handke wird. Exemplarisch wird ein Aspekt, welcher der zunehmenden Bewusstwerdung dient, herausgegriffen und analysiert: Das kehrseitig angelegte Prinzip der Wiederholung, das seiner Bedeutung nach dem erwähnten Wechsel von Gelingen und Störung entspricht, wird hierfür theoretisch betrachtet und im Hinblick auf Handkes Werke in einen neuen Interpretationszusammenhang mit den Gewaltdarstellungen und den Repräsentationen des Weiblichen gebracht.

Die Erzählung Die morawische Nacht eignet sich für die Analyse dieser Aspekte besonders gut, da sie eine komplexe Erzählstruktur mit multiplen Erzählern aufweist: Der Ex-Autor erzählt seinen Freunden mündlich seine Erlebnisse auf seiner Europareise. An dieser mündlichen Erzählung sind die Zuhörer jedoch aktiv beteiligt; denn sie erweisen sich als partielle Reisebegleiter und übernehmen als solche fallweise die Erzählerposition. Dies führt zum einen zu einer Perspektivierung des Erzählten, zum anderen rückt das in Handkes Werken zunehmend als ideale Erzählhaltung akzentuierte gemeinschaftliche Erzählen erneut in den Fokus (vgl. dazu z.B. auch Handke 1983a = CS 129ff.). Die an der Erzählung sich sukzessive beteiligende Frau stellt innerhalb dieser Struktur eine zusätzliche Erweiterung der Erzählperspektiven dar, deren Besonderheit es noch genauer zu betrachten gilt. Durch diese multiplen Erzählperspektiven findet eine Potenzierung der Wiederholungsebenen statt.

Spätestens seit dem Erscheinen von Handkes gleichnamiger Erzählung Die Wiederholung sind Handkes Werke von der Forschung intensiv auf das Wiederholungsprinzip untersucht worden. Neben zahlreichen Analysen speziell zur genannten Erzählung (vgl. z.B. Renner 1988; Egyptien 1989; Sebald 1991; Siebert 1995; Butzer 1998; Bombitz 2009 u.a.) ist in der Forschung, in Anlehnung an eine Formulierung aus Handkes Die Geschichte des Bleistifts, häufig von einer "sprachliche[n] Wiedereroberung der Welt" beim Autor die Rede (Handke 1990b = GB 6; vgl. z.B. Siebert 1995: 154; Leuenberger 1994: 40).




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Auf der einzelnen Werkebene wurden wiederholt auftretende Motive analysiert, wie beispielsweise die leeren Viehsteige, die blinden Fenster (vgl. Siebert 1995: 179ff.; Michel 1998: 212) oder die Schwelle (z.B. Wagner-Egelhaaf 1992: 94). Daneben geht es um mythische Aspekte der Wiederholung (vgl. z.B. Butzer 1998; Herwig 2006; Müller-Funk 2009) oder um den Wiederholungsbegriff im Kontext von Vergessen und Erinnerung (vgl. z.B. Butzer 1998; Michel 1998; Parry 2006; Franke 2008). Diese Untersuchungsfelder sind inzwischen zu Gemeinplätzen der Handke-Forschung avanciert. Für die vorliegende Analyse sind sie jedoch nur partiell relevant.

Im Folgenden wird es wesentlich um die Kippfunktion der Wiederholung hinsichtlich einer Ausrichtung des Handkeschen Werks auf das Gute gehen. Das Kehrseitige ist in der Begriffsbedeutung bereits angelegt, weshalb sich das Wiederholungsprinzip besonders gut dafür eignet, die Produktivität des Kontrapunktischen im Handkeschen Werk vorzustellen. Für die weitere Analyse sind daher prämissenklärend drei Aspekte der Wiederholung vorauszuschicken: Erstens ist es ein Kennzeichen ihrer Bedeutung, defizitär angelegt zu sein. Das wesentlichste Merkmal der Wiederholung ist die Unverfügbarkeit2. Zweitens ist die Wiederholung ein "Mittel des Lernens und der Automatisierung von Funktionen sowie Fundament aller Übung" (Mathy 1998: 7) und bedingt dadurch zentrale Implikationen der Produktivität. Sie verweist damit nicht zuletzt auf lebenskunstphilosophische Tendenzen in Peter Handkes Werken, wie sie Markus Barth eingehend analysiert hat (Barth 1998). Und drittens ist die Wiederholung "ein wesentlich an die Form der Antithese [...] gebundenes Phänomen" (Villwock 1998: 12/13)3.

Bei der Analyse des Wiederholungsprinzips ist somit immer nach gegenläufigen Prinzipien zu suchen: Als negativer Ausdruck der Wiederholung werden im Folgenden die zahlreichen Gewaltausbrüche als radikalste Form des Defizitären innerhalb der Werke Handkes in Augenschein genommen. Sie stehen der positiven Ausrichtung der Wiederholung auf Erkenntnis, Bewusstheit und damit Konfliktlösung entgegen. In der wiederholten Konfrontation mit der Frau, an der sich häufig die Gewalt entlädt, zeigt sich einerseits die Unverfügbarkeit des weiblichen Prinzips, andererseits aber auch der unabschließbare Wunsch nach einer Einübung in positive Begegnungsweisen. Folgerichtig bleibt zu fragen, welche Funktion das weibliche Prinzip innerhalb dieser Wechsel von Gelingen und Störung einnimmt.




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Anhand einer Analyse von Die morawische Nacht wird sich zeigen lassen, wie sich der genannte Zwiespalt auflöst, indem das weibliche Prinzip einem Funktionswandel unterzogen und im Spiegel des Wiederholungsprinzips zum Synonym für eine positiv besetzte Form des Erzählens wird.


2 Die Funktion von Aggression und Gewalt

Bei einem kurzen Überblick über einige wesentliche Gewaltdarstellungen bei Handke wird deutlich erkennbar, dass diese ein zentrales Element seiner Werke sind: Beginnend mit dem Tormann, an dessen Anfang der Mord an einer Zufallsbekannten steht (Handke 1972a = AT 21), über die Misshandlung Elisabeth Bergners durch Stroheim in Der Ritt über den Bodensee (Handke 1973 = St2 131), findet der Leser in Die linkshändige Frau eine Mutter, die plötzlich ihr Kind würgt (Handke 1981 = LF 72). In Langsame Heimkehr quält der Protagonist Sorger in einem Anfall von emphatischen Allmachtsgefühlen die Hauskatze in Alaska (Handke 1979 = LH 36), in Der Chinese des Schmerzes begeht Andreas Loser, um der Nazi-Vergangenheit und der damit verbundenen Schuld Herr zu werden sowie als Ausbruch aus der persönlichen Einsamkeit, einen moralisch nicht weiter verfolgten Mord an einem Hakenkreuzsprayer (CS 102ff.), und in Die morawische Nacht schlägt der Ex-Autor die für ihn bestimmte Frau.

Eine Analogie findet die letztgenannte partnerschaftliche Gewalt bereits in der Beschreibung der plötzlich einsetzenden "entzweienden Müdigkeiten" zwischen Liebenden mit einhergehender Gewaltausübung gegen den Partner oder "versteckt, an etwas Dritten", im Versuch über die Müdigkeit (Handke 1989 = VM 16/17).

Angesichts dieser wiederholten Vorkommnis von Gewaltausbrüchen und -ausübungen gilt es, die Funktion dieser Übergriffshandlungen genauer zu bestimmen und von anderen Formen der Aggression abzugrenzen: Zunächst sind sie, was im Folgenden genauer zu erläutern sein wird, reiner Leidensausdruck und Expression eines vorerst unlösbaren Problems. In diesem Punkt unterscheiden sie sich z.B. von Beschimpfungen und Verfluchungen. In dem frühen Stück Publikumsbeschimpfung heißt es beispielsweise: "Indem wir beschimpfen, können wir unmittelbar werden." (Handke 1972b = St1 44)




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Zwar geht Axel Ruckaberle richtig davon aus, dass Handke durch Beschimpfungen die Krise exponiert (Ruckaberle 1989: 68) und vorgestellte Lebensentwürfe als unabgeschlossene Provisorien entlarvt (Ruckaberle 1989: 71). Dabei darf jedoch nicht übersehen werden, dass die Beschimpfungen durch die erwünschte Erzeugung von Unmittelbarkeit zu einer direkten Bewusstseinsänderung führen. Im Moment der Beschimpfung wird das mittelbare Erleben in bewusstes Innewerden überführt. Die in späteren Werken sogenannten Verfluchungen, wie sie beispielsweise in Die morawische Nacht zu finden sind, stehen in Analogie zu diesen frühen Formen des Krisenexponats durch Beschimpfung: Wenn beispielsweise auf der Reise des Ex-Autors zum Grab des verstorbenen Vaters eine alte Frau aus der Gegend den Zugereisten mit Verfluchungen wie "Ja, verdammter Vaterloser du!" (Handke 2008 = MN 303) bedenkt, so reißt sie ihn damit aus der vorhergehenden Stagnation in der Selbstklage:

[...] es war zum Staunen, […], wie der wohl schon fast seit einem Jahrhundert tote Großvater [...] ihm gegenwärtig war, und dagegen sein Erzeuger, der, dem er sein Leben verdankte, gar nicht, und nicht einmal hier vor der klaren geometrischen Leere, die sonst wie nichts anderes ihm die einen wie die anderen Abwesenden und Verschwundenen verkörpern konnte. Er hätte die Mutter doch fragen sollen. Noch und noch Fragen hatte er jetzt, und er hatte sie alle versäumt, und ein bitterliches Schuldgefühl ergriff ihn, und ein Zorn auf sich selber, mit dem Gedanken: "Ah meine verdammte Vaterlosigkeit! Ohne Vater: außerhalb des Rechts". (MN 301/302)

Indem ihn die alte Frau im Zuge ihrer Verfluchungen des Platzes am Grab des Vaters verweist, setzt sie seine Reise weiter in Gang, so dass es der Ex-Autor, entgegen seiner bisherigen Langsamkeit, "auf einmal eilig" (MN 306) hat.

Einen ähnlichen Effekt haben die Beschimpfungen der Mutter in Die morawische Nacht als "Spielverderber", "Idiot" oder "du letzter der Dorftrottel, du hinterletzter Besserwisser und falscher Einfühler" (MN 502). Sie führen den Ex-Autor aus seiner Orientierungslosigkeit heraus, wecken ihn aus seinem Wahn und ermöglichen ihm die Rückkehr zu der fremden Frau, die er zuvor mit Gewalt verstoßen hatte.

Durch beide Aggressionsformen – Beschimpfungen und Verfluchungen – erfahren die Protagonisten der Werke Handkes folglich einen Ruck zur Ernsthaftigkeit, der sie aus dem Gefangensein im eigenen Inneren in eine Unmittelbarkeit versetzt und handlungsfördernd wirkt. Beschimpfungen und Verfluchungen bringen somit die Lösung der exponierten Krise bereits mit sich und sind daher parallel-funktional.




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Anders verhält es sich bei den Gewaltausbrüchen, durch die ein länger währender Prozess der Bewusstseinsveränderung in Gang gesetzt wird. In Der Chinese des Schmerzes führt der Mord beispielsweise zu einem die gesamte Erzählung einnehmenden Suchprozess nach genealogischer Zeugenschaft. In Die linkshändige Frau ist das Würgen des Kinds Ausdruck der verzweifelten Einsamkeit im Zuge des langwierigen und bis zuletzt nur partiell erschlossenen Selbstfindungsprozesses von Marianne, und in Langsame Heimkehr resultiert das Quälen der Hauskatze aus den unerträglichen Wechseln von Raumverlust und Raumaneignung, über die Sorger erst allmählich durch die sukzessive Entwicklung positiver Gegenkräfte4 Herr wird. Auch das Beispiel von Die morawische Nacht zeigt, dass der Gewaltausbruch gegenüber der fremden Frau ein Zeichen längerfristiger, erfahrungsbedingter Selbstentfremdung ist, die sich aus verschiedenen Krisenkomponenten zusammensetzt und steigert: Erstens ist der Anlass der erzählten Rundreise des Ex-Autors dezidiert eine "Rundflucht" (MN 14) und bleibt, wenngleich sie auch der Befreiung dient (MN 41), im weiteren Verlauf eine "Fluchtbewegung" (MN 37)5, wobei auch das Erzählen von dieser Reise erst durch eine unbestimmt bleibende "Gefahr" ermöglicht wird (MN 18). Zweitens wird die Entfremdung durch das konkrete Vorhaben einer familiären Selbstkonfrontation bedingt6, was sich unter anderem daran zeigt, dass die Gewalt im Übergang zum Geburtsdorf des Ex-Autors "an der Schwelle von Alter und Neuer Straße" (MN 451)7 und somit unmittelbar vor der Konfrontation mit den Wurzeln der eigenen Existenz erfolgt. Und drittens kreist die Problematik der Bedrohung in der Erzählung von Beginn an um die Thematik des Weiblichen, die wesentlich durch den Wechsel von Gelingen und Störung gekennzeichnet ist.


3 Das weibliche Prinzip im Kontext von Gelingen und Störung in Die morawische Nacht

Ähnlich wie in Der kurze Brief zum langen Abschied ist der Grund der Abreise des Ex-Autors in Die morawische Nacht eine Frau, die ihn verfolgt. Obgleich es zu keinem Zeitpunkt und d.h. anders als beim Showdown in Der kurze Brief zum langen Abschied zu einem leibhaftigen Zusammentreffen mit der vermeintlichen Verfolgerin kommt, stört ihr Negativbild wiederholt die zentrale Zweierbeziehung zwischen dem Ex-Autor und der fremden Frau.




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Bereits beim ersten Ansichtigwerden des Gegenübers in einer entlegenen, überfüllten Gaststätte auf der Wanderung richtet sich das bis dato nicht auf ein konkretes Subjekt bezogene Gewaltpotential8 übersprungartig auf die fremde Frau: "Die offenen Haare, Wind darin, obwohl kein Wind ging, 'oder waren das Schlangen?', so fuhr für eine böse Sekunde sein ewiger Frauenargwohn dazwischen" (MN 262).

Des Ex-Autors mythologische Assoziation der schlangenköpfigen Medusa, deren Anblick zu Stein erstarren lässt, erfährt jedoch im selben Augenblick Milderung durch den Zusatz: "aber der [Frauenargwohn] sprach da nicht aus ihm selber" (MN 262). Hierin liegt eine Anspielung auf den inneren Widersacher, der in Langsame Heimkehr entlarvt und seiner negativen Wirkungsmacht beraubt wird (vgl. LH 135; 174). Auch in Die morawische Nacht verliert der Widersacher durch die erkennende Distanzierung seine Macht über den Ex-Autor.

Die erste Begegnung zwischen Ex-Autor und fremder Frau führt zunächst zu einer gelingenden Zusammenkunft der "Ebenbürtige[n]" (MN 267). Die harmonische Begegnung generiert einen Erfahrungszugewinn, der sich im Einsetzen eines anderen Zeitmaßes (MN 264), eines "andere[n] System[s]", einer zweiten Welt (MN 265) zeigt. Diese werden später durch die vorübergehende Trennung des Paares, bei der aus der anfänglich weiter bestehenden Verbindung Entfremdung wird, erneut gestört: Es kommt zu einem Krieg zwischen beiden, der, "'mörderisch wie er war, den herkömmlichen Paarkriegen in nichts nachstand'" (MN 272). Beim Wiedersehen an besagter Schwelle zum Geburtsdorf hat der Ex-Autor eine Form von Anti-Erleuchtung: Es "durchfuhr den Wanderer ein Blitz, blendend und zugleich klar: Sie, die sich als seine Geliebte gab, war in Wirklichkeit seine langjährige Verfolgerin" (MN 449). Je näher er der "bösesten der Hexen" (MN 449) kommt, desto mehr erscheint sie ihm als eine "Bedrohung" (MN 447), die ihm den Sinn fürs Erleben raubt (MN 448).

Diese erneute Störungserfahrung lässt die fremde Frau nicht nur in Analogie zu der die Flucht bedingenden Verfolgerin treten (MN 448/449), sondern auch in einer linearen Folge zu den zuvor in der Erzählung beschriebenen früheren Konstellationen mit Frauen erscheinen, die dem Ex-Autor im Zuge seiner Schriftstellertätigkeit verstärkt den Weg zum Buch verstellt hatten (MN 245).9 Aus diesem Erlebnisraub resultierte über die Jahre ein erbarmungsloser Kampf (MN 244), der sich an der fremden Frau, die vergleichsweise unbeteiligt auftritt, erneut übersprunghaft wiederholt.




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Der Bezug zu anderen tätlichen Angriffen in Handkes erlebnisbetonter Prosa wird hier klar ersichtlich: In Die Angst des Tormanns beim Elfmeter ist es beispielsweise die Vorstellungsunfähigkeit, die den Mord an der Frau auslöst (AT 18). In Der Chinese des Schmerzes rührt die Attacke gegen den Hakenkreuzsprayer dezidiert daher, dass die Hakenkreuze die Wahrnehmungsgabe des Erzählers stören. Auch die Wahrnehmung des Ex-Autors bei der Wiederbegegnung mit der Frau in Die morawische Nacht unterliegt einer solch existentielle Ausmaße annehmenden Gefahr, so dass durch den Verlust der Wahrnehmungsfähigkeit auch ein völliger Selbstverlust droht. Die daraus resultierende panische Wut motiviert – wie auch in Der Chinese des Schmerzes – den Gewaltakt. Der wütende Betroffene kann in keinem Fall den Fokus von dem Objekt oder Subjekt seiner Bewusstseinsstörung abwenden. So fühlt sich auch der Ex-Autor nahezu magisch angezogen von der Frau in einem "Schritt für Schritt noch sich steigernden Gewaltimpuls" (MN 450), der in Verfluchungen und Schlägen mündet (MN 451).10

Auf die Gewaltausübung folgt die Orientierungslosigkeit im ehemaligen Kindheitsraum. Auch hier zeigt sich eine Analogie zu Der Chinese des Schmerzes, worin der Protagonist Loser, nach seinem Mord am Hakenkreuzsprayer vorrübergehend erblindet (vgl. CS 171). Der Mord in letztgenannter Erzählung wird jedoch, explizit, als rechtmäßiger Akt dargestellt, was ein verändertes Licht auf Fragen um Schuld und Täterschaft wirft. Anders wird die Gewalthandlung in Die morawische Nacht bewertet: Zwar empfindet sich der Ex-Autor zunächst ebenfalls im Recht11, doch die Brechung dieser Selbstgerechtigkeit wird in der Erzählung bereits früh vorbereitet: Erstens wird die Unfähigkeit des Ex-Autors zu einer Zweierbeziehung in der Erzählung von Beginn an als Mangel vorgestellt (vgl. z.B. MN 130ff.). Zweitens wird der bereits zitierte Frauenargwohn als Wahn präsentiert. Im Unterschied beispielsweise zu Der kurze Brief zum langen Abschied, worin Judith bedrohlich als die böswillig Handelnde vorgestellt wird, da sie die Absicht hegt, ihren früheren Partner zu töten, entspringen in Die morawische Nacht derartige Vorstellungen eindeutig der männlichen Psyche; denn das Motiv der Verfolgung und der daraus sich ergebenden erzwungenen Flucht tritt zwar noch auf, die Verfolgerin selbst bleibt jedoch ein Phantom, das zu keiner Zeit Realität wird. Bei einer erneuten Begegnung zwischen dem Ex-Autor und der fremden Frau am Grab seiner Vorfahren wird dies abermals deutlich: Dort kommt es zu einer kurzzeitigen Lösung der vermeintlichen Bedrohung: "Indem er sich umdrehte, stand sie tatsächlich da, lächelnd, dem Anschein nach unversehrt, als wäre nichts gewesen. Für einen Augenblick lächelte er zurück.




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Dann aber: Wiederaufwallen des Wahns." (MN 474) Die Folge dieser Lösung ist eine Selbstaufspaltung in einen noch schwachen, erkennenden und einen stärkeren, zwanghaft wiederholenden Teil:

Ein Teil seiner selbst schloß in der Vorstellung sie in seine Arme und verharrte mit ihr Stirn an Stirn, ein für allemal. Und der andere Teil, von dem er zugleich wieder klar wußte, daß es keineswegs ein Teil "seiner selbst" war, tat das der Vorstellung gerade Entgegengesetzte und wurde neuerlich tätlich. (MN 474)

Obgleich der Ex-Autor folglich noch immer dem Zwang des Wahns unterworfen ist, hat er diesen parallel bereits ausgesondert und von seinem Selbstverständnis abgespalten.


4 Wiederholung und Antithese

In der vorgestellten wiederkehrenden Konfrontation mit der fremden Frau, spiegelt sich die antithetische Struktur der Wiederholung. Bereits in Der Chinese des Schmerzes wird dezidiert zwischen den gegenläufigen Prinzipien der Wiederholung und des Wiederholungszwangs unterschieden.

Die positive Konnotation der Wiederholung wird vom Erzähler mit der "erfrischenden Wiederholung", dem "Wiederholungs-Entschluss[]" und der "Wiederholungsmöglichkeit" in Bezug gesetzt. Dem gegenüber steht die "'ermüdende Wiederholung'", der "'Wiederholungszwang'" und die "'Wiederholungsgefahr'" (CS 70). Peter Pütz hat in seiner Untersuchung Die Wiederholung als ästhetisches Prinzip gezeigt, dass der "konstitutive[n] Doppelcharakter von Wiederholung und Gegenentwurf" essentieller Teil des Wiederholungsbegriffs ist (Pütz 2004: 22). Die Wiederholung zielt auf Lösung mittels Erkenntnis, die der Wiederholungszwang zu verhindern sucht, denn er bezeichnet ein "gegenläufiges Formprinzip, das die universale Bezüglichkeit des Einzelnen, die Transformation von Elementen in Komponenten betreibt und zugleich widerruft, wobei in dem 'wider' immer noch das 'wieder' nachklingt" (Pütz 2004: 17). So besehen birgt auch der Wiederholungszwang letztlich die Möglichkeit zur Erkenntnis und zwar deshalb, weil zwischen dem Ereignis und dem Wiederholen des Ereignisses ein raum-zeitlicher Zwischenraum besteht. Peter Pütz hat wie folgt darauf hingewiesen:




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Dem Anschein nach ist Wiederholung die exakte Wiederkehr einunddesselben, so dass eine völlige Kongruenz aufeinanderfolgender Erscheinungen zustande kommt. In Wahrheit aber schmilzt das, was sich wiederholt, nicht bis zur vollständigen Ununterscheidbarkeit ineinander, sondern das Wiederholen setzt immer schon eine Duplizität, also Andersartigkeit voraus. (Pütz 2004: 7)

Es liegt hier eine "Relation von Wiederkehr und Wandel" vor (Pütz 2004: 28)12, die nach André und Deupmann gerade zu dem wird, was "jeder identitären Wiederholung" eigentlich fremd sein sollte: zum "Generator des Neuen" (André 2003: VII; vgl. dazu auch Villwock 1998: 16). Das Wiederholte mag in allen Details dem ursprünglichen Ereignis gleichen, in Bezug auf Raum und Zeit bleibt es immer von ersterem unterschieden (Pütz 2004: 7; vgl. dazu auch Kierkegaard 1983: 169). Dieser Unterschied ist für Handkes Werke zentral; denn mit dem Unterschied in Raum und Zeit entsteht bei Handke jene entscheidende Lücke, die eine Bewusstwerdung herbeiführen kann: Durch den raum-zeitlichen Zwischenraum verändert sich der Kontext, in dem das Wiederholte stattfindet, so dass es, z.B. durch zwischenzeitlichen Erfahrungszugewinn, neu und anders erscheint. Das sukzessive Durchsichtigwerden des Wahns in Die morawische Nacht ist ein Beispiel für diesen Vorgang. Dieser kann zwar nicht umgehend bewältigt werden, aber die anfängliche Sicherheit in der Selbstgerechtigkeit wird brüchig und lässt im Zuge der wiederholten Konfrontation mit der fremden Frau am Ahnengrab, wie bereits ausgeführt, nicht nur kurzzeitig den Wahn kenntlich werden, sondern führt zur Selbstaufspaltung in einen erkennenden und einen zwanghaft wiederholenden Teil.


5 Reminiszenz als Wiederholungsverwicklung in Die morawische Nacht

Erinnerung und Erzählung stehen in der Regel in einer linearen Folge: Die Reminiszenz ist die erste Stufe der 'Wieder-holung' von Gewesenem, das Erzählen die zweite Stufe als sprachliche Reproduktion des Erinnerten.

Zu Beginn von Die morawische Nacht kommt dies beispielsweise zum Ausdruck, wenn zwischen einem "Rückgriff auf das Unterwegsgewesensein" und dem "Erzählen davon" (MN 46) unterschieden wird. Diese Unterscheidung von Erinnern und Erzählen geht von einer Wiederholungsstaffelung aus, die jedoch im weiteren Erzählverlauf in eine Uneindeutigkeit der zeitlichen Zuschreibung aufgelöst wird. Dies lässt sich besonders deutlich bei der vollständigen Betrachtung der bereits als Auszug zitierten Textstelle zum Frauenargwohn des Ex-Autors im Zuge der ersten Begegnung mit der fremden Frau erkennen:




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Er brauchte lange, bis er sie entdeckte. Die Gaststätte, für ihre Entlegenheit, war gefüllt fast bis auf den letzten Platz [...]. Und sie, die Frau, saß an dem hintersten Tisch im Freien. [...] Und sie erkannte den Neuankömmling, den Mann, von weitem. Doch nicht etwa ihn, den gesamteuropäischen Autor, oder Ex-Autor? Unsinn: Sie erkannte den Mann dort, und mehr war dazu nicht zu sagen. Und er: Sie kam ihm gleich bekannt vor. Ja, war das nicht die dritte Gasthörerin [...] während des [...] Geräuschsymposions damals bei Numancia? Wenn, dann hatte sie sich für das Treffen dort aber verkleidet. Abgesehen von der schwarzen Hornbrille: Geradezu vermummt war sie alle die Tage gewesen, ein Tuch um den Kopf, bis tief in die Stirn, und so nicht nur bei den Vorträgen, sondern sogar beim Abschiedsfest, fast wie eine Abgesandte aus irgendeinem Arabien, unzugänglich, mit niemandem ein Wort wechselnd, auch so unansehnlich, daß man an ihr vorbeiblickte. Und jetzt: Die offenen Haare, Wind darin, obwohl kein Wind ging, "oder waren das Schlangen?", so fuhr für eine böse Sekunde sein ewiger Frauenargwohn dazwischen, aber der sprach da nicht aus ihm selber; die nackten Schultern, die Sonne auf den glatten gewölbten Lidern – auch dazu war mehr nicht zu sagen. Warum nur war sie derart verkleidet gewesen? Was hatte sie ausspionieren wollen? Oder wen?
Diese Fragen des Argwohns kamen ihm aber erst viel später, in der Periode ihrer zweiten Abwesenheit. (MN 261/262)

Bei der Zitation der vollständigen Textstelle wird ersichtlich, dass es sich hierbei nicht um eine klar zu rekonstruierende Abfolge von Gelingen und Störung handelt: Vielmehr offenbart sich eine weit komplexere Struktur aus Reminiszenz und Wiederholung. Das Problem entfaltet sich im Wesentlichen an der zeitlichen Vorweg- und Rücknahme von Erzählelementen und kreist dabei entscheidend um die beiden Wörter: "Und jetzt".

Genau besehen weist die vorliegende Textstelle fünf zeitliche Ebenen auf, innerhalb derer eine Lokalisierung des Jetztbezugs gezielt erschwert wird: Zunächst wird von der Zeit der Begegnung in der Gaststätte berichtet, im Zuge derer ein vergangenheitsbezogener Vergleich der fremden Frau mit einer früher, zum Zeitpunkt des Geräuschsymposions gesehenen, unscheinbaren Frau vorgenommen wird. Das darauf folgende "Und jetzt" scheint nun zunächst eine Rückkehr in die Zeit der Gaststättenbegegnung zu bezeichnen. Mit dem Hinweis darauf, dass die auf das "Und jetzt" folgende misogyne Intervention jedoch erst zu einem späteren Zeitpunkt im Ereignisverlauf stattfand, nämlich zur Zeit der Trennung des Paars, wird eine dritte Zeitebene eingeführt, die sich aus der Sicht der Gaststättenbegegnung in der Zukunft, aus der Sicht der Erzählzeit in der Vergangenheit befindet.




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Der vermeintlich zur Zeit der Begegnung in der Gaststätte aufkommende Frauenargwohn wird verlagert, das bewusst konstruierte missverständliche Sinnverstehen des Lesers korrigiert. Doch auch nach dieser Korrektur bleibt der Zeitbezug des "Und jetzt" weiter undurchsichtig; denn es liegen zusätzlich die beiden Erzählebenen vor, die ebenfalls als zeitliche Bezugsebenen des "Und jetzt" fungieren können: die Zeit des mündlichen Erzählens der Freunde auf dem Morawaboot und die Zeit des schriftlichen Erzählens.

Nebenbei sei erwähnt, dass hier eine Potenzierung des Gemeinplatzes erfolgt, demzufolge Erzählen immer bereits ein Wiederholen ist: Im Erzählen weicht die Unmittelbarkeit des erlebten Ereignisses einer Mittelbarkeit in der erzählten Form, wobei dieses durch die formgebende Sprache verändert auftritt. In Die Wiederholung heißt es beispielsweise: "Erzählung, wiederhole, das heißt, erneuere" (Handke 1986 = W 333). In der Handke-Forschung wurde daher mehrfach darauf hingewiesen, dass die Wiederholung bei Handke nicht auf "Wiedergabe eines Bekannten", sondern auf "Finden eines Unbekannten" zielt (Huber 2005: 181) und von daher "keine bloße Repetition des Vergangenen, sondern eine bewusste Auseinandersetzung mit der (eigenen) Geschichte [ist], die einen möglichen Neuanfang in der Gegenwart ermöglicht. " (Au 2001: 79) Darüber hinaus erklärt diese enge Verbindung zwischen Wiederholen und Erzählen in Bezug auf das umfangreiche Werk Die morawische Nacht aus gattungsästhetischer Sicht, weshalb Handke auf der Bezeichnung Erzählung insistiert.

Das zitierte "Und jetzt" ist nun auf mindestens vier der fünf Zeitebenen potentiell als Wiederholung angelegt. Undurchsichtig bleibt nun gerade, auf welcher Zeitebene dieser Wiederholungsstrukturen eine Bewusstwerdung über den Frauenargwohn stattgefunden hat. Die tatsächliche Chronologie von Ereignis, Erinnerung und Bewusstwerdung ist nicht eineindeutig zu rekonstruieren und verliert sich daher in einer Wiederholungsverwicklung, in welcher auch die rückwirkende Sinnzuschreibung durch Erinnerung als fragiles Konstrukt zugleich dargestellt und vorgeführt wird.13

Aus dieser zeitlichen Undurchsichtigkeit resultiert eine Fokusverlagerung vom konkreten Ereignis auf die Prinzipien von Wiederholung und Bewusstwerdung als solche. Entscheidend sind demzufolge zwei Aspekte: Zunächst geht es darum, dass und nicht wann eine Bewusstwerdung stattgefunden hat. Und zweitens wird diese Bewusstwerdung dezidiert als ein Ergebnis der Wiederholung und in diesem Kontext tendenziell als eines der wiederholten Wiederholung vorgestellt.




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Diese Potenzierung der Wiederholungsebenen nimmt jene schrittweise Erkenntnis vorweg, die sich in der bereits ausgeführten, wiederholten Struktur von Gelingen und Störung bei den Begegnungen mit der fremden Frau vollzieht.

Auch Ursache und Lösung der Störung werden in der vorliegenden Textpassage benannt: Die Ursache wird vorgestellt als ein Produkt aus Wieder-holung und Vergleich: Vergangenes wird 'wieder geholt' und mit gegenwärtigem verglichen.

Unter dem verfälschenden Blickwinkel des Argwohns wird dieser natürliche Vorgang zum Generator des Wiederholungszwangs. Die Lösung dieser Störung liegt in der Transformation des Ereignishaften ins Ereignislose: Mit dem "Und jetzt" wird das Eintreten eines Ereignisses markiert, das zugleich durch die Undurchsichtigkeit des Zeitbezugs seiner Ereignishaftigkeit enthoben ist.

In diesem Transformationsprozess liegt ein Merkmal der Wiederholung, das bereits früh Niederschlag in Handkes Werken findet. Im Journal Phantasien der Wiederholung heißt es beispielsweise: "Wiederholen (gut wiederholen) kann ich nur das Ereignislose" (Handke 1983b = PhW 56). An die Stelle des Ereignisses tritt durch die Wiederholungsverwicklung in Die morawische Nacht folglich die Undurchsichtigkeit des Jetztbezugs, welche das eigentlich Ereignishafte in die Ereignislosigkeit überführt und damit tendenziell das 'gute Wiederholen' als Läuterungsvorgang vorbereitet.14

Diese komplexe Wiederholungsstruktur und die Transformation von Ereignis in Ereignislosigkeit bedingt die Beziehung des Ex-Autors zu der fremden Frau wesentlich, der dadurch eine zentrale Funktion im Zuge des vorgestellten Läuterungsprozesses zukommt. In ihrer selbstlosen Omnipräsenz spiegelt und ermöglicht sie die produktive, erkenntnisbefördernde Wiederholung, was nun jedoch andererseits kritische Fragen nach den Bewertungsweisen des Weiblichen in Handkes Werken aufwirft, auf die es kurz einzugehen gilt.





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6 Funktionswandel des weiblichen Prinzips

In der Forschung wurde immer wieder das negative Bild beklagt, das Handkes Frauenfiguren in seinem Werk einnehmen: Isolde Schaad spricht beispielsweise davon, dass es in Handkes Schreiben "geradezu zur Pflege der Frauenverneinung" komme (Schaad 2004: 87). Herwig Gottwald geht in Bezug auf Die linkshändige Frau von der "postfeministische[n] Asexualität" der Protagonistin aus (Gottwald 2006: 135) und Mireille Tabah spricht Handkes Frauenfiguren ein "gleichsam androgynes Wesen ohne geschlechtsspezifische Individualität" zu (Tabah 1995: 129). Mihaela Zaharia pauschalisiert in ihrer Untersuchung Frauengestalten bei Peter Handke:

Die Ehefrau langweilt ihn, die Geliebte verliert rasch ihren Reiz, die Mutter begeht Selbstmord. Die Handkesche Welt besteht aus männlichen Ich-Erzählern und bedeutungslosen Protagonistinnen, die sich innerhalb eines desolaten Bildes, das bei Handke als mentales Konstrukt und Möglichkeit aufzufassen ist, bewegen. (Zaharia 2009: 324)

Entsprechende Notate in Handkes Journalen haben einen nicht unerheblichen Beitrag zu dieser Meinungsbildung geleistet. Eine besonders provokative Äußerung findet sich beispielsweise in Das Gewicht der Welt: "Plötzlich dachte ich: Ich möchte wirklich nicht mehr meinen edlen Schwanz in so eine Frau hineinstecken!, und lächelte sie versonnen an, und sie lächelte zurück" (Handke 1979 = GW 40).15 Ist die Frau in Handkes Werken folglich das gesichtslose und plumpe16 Opfer zwanghafter, männlicher Wiederholungstäter oder wird sie, analog zu ihrer Funktion bei männlichen Autoren im Allgemeinen, als "bloße[r] Signifikant[] für die Empfindungen und Anschauungen des Mannes" (Tabah 1995: 129) präsentiert17?

In der Tat entsprechen Handkes Frauenfiguren häufig traditionellen Mustern oder bleiben weitestgehend persönlichkeitslos. Dies ist jedoch nicht als besonderes Kennzeichen der weiblichen Personen zu werten. Vielmehr können alle genannten Kritikpunkte auch für die männlichen Protagonisten angeführt werden. Hinzu kommt, dass sich die Darstellung von Frauenfiguren in etwa seit den 1980er Jahren diversifiziert. Die negativen Konnotierungen bleiben zwar bestehen18, neben diese Negativbilder treten nun jedoch Nivellierungs- und Idealisierungsbestrebungen.

Eine Nivellierung liegt beispielsweise in Die Abwesenheit vor, worin auch der entsprechenden Klage der Frau Raum gegeben wird. Zunächst gibt die Frau die Vorwürfe, die ihr Geliebter ihr machte, bevor er sie verließ, wie folgt wieder:




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Er hat mir vorgeworfen, keinen Sinn für irgend etwas Drittes, eine Arbeit, eine Natur, eine Geschichte, zu haben; zwangsbezogen zu sein auf das Lieben, die Zweisamkeit, ohne zu begreifen, daß dieses Glück des Zweisamen nur auf dem Umweg über ein Drittes eintreffen könne. [...] Schlimmer noch erscheine ihm mein Unwillen, allem, was nicht ich selber sei, ob Dingen oder Menschen, seine Zeit zu lassen; ich nähme von dem anderen, wie schön es auch sei, bloß Notiz, ohne es anzuschauen, wodurch mein Begriff von Schönheit oder Häßlichkeit strafwürdig äußerlich sei [...]. (Handke 1990a = A 24/25)

Zu einem späteren Zeitpunkt in der Erzählung folgen ihre nicht minder gewichtigen Ausführungen zu den Fehlern des Mannes (hier stellvertretend jenen des Alten als Führer der Gruppe):

Du lügst. Du hast mich von Anfang an getäuscht. Du hast es nie ernst gemeint. Du bist ein Falschspieler, ein Hochstapler, ein Betrüger. [...] Du sagst: Ich laß’ mich nicht stören, aber du kannst nur allein sein, und auch das nicht allein mit dir, sondern mit deinen Büchern, deinen goldenen Bleistiften und deinen Steinen. (A 168/169)

An diesem Beispiel zeigt sich deutlich, dass zunehmend auch der kritische Blick der Frau auf den Mann in den Texten Handkes seinen Niederschlag findet. Dies führt zu einem Ausgleich, der das weibliche und das männliche Prinzip als grundsätzlich verschieden und doch gleichberechtigt nebeneinander stellt.

Am Beispiel von Der Chinese des Schmerzes lässt sich zeigen, dass zudem eine idealisierende Erweiterung des männlichen Blicks auf die Frau stattfindet: Darin erscheint die Frau, der Loser am Ostersonntag begegnet, als die personifizierte Liebe, die ihn zurück zu sich selbst führt, ihn wieder hineinholt in die Welt, ihn sogar darüber hinaus "zum Eingeborenen der Weltmitte" macht (CS 216). Und auch in Die morawische Nacht wird die fremde Frau von Beginn an als diejenige vorgestellt, die den Ex-Autor "gerettet hatte" (MN 37). Die Funktion der Rettung, das wird abschließend zu zeigen sein, kann die fremde Frau einzig dadurch erfüllen, dass sie zum Synonym für die positive Seite des Wiederholungsprinzips schlechthin wird. Erst in der idealtypischen Transformation zum weiblichen Prinzip ist es dem Ex-Autor möglich, die Frau wieder-zu-holen, ein- und heim-zu-holen in seinen Bereich, der in erster Linie der Bereich des Erzählens ist.





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7 Die Idealisierung zum weiblichen Prinzip in Die morawische Nacht

In Die morawische Nacht wurde das weibliche Prinzip der bislang weitestgehenden Abstraktion und zugleich symbolischen Aufwertung innerhalb der Werke Handkes unterzogen. Die von Isolde Schaad für die frühen Werke konstatierte und bereits zitierte "Pflege der Frauenverneinung" (2004: 87) weicht dabei einer Frauenbejahung, die nun ihrerseits in eine Idealisierung der Frau zum weiblichen Prinzip umschlägt. In Die morawische Nacht kommt es auf drei miteinander verwobenen Erzählebenen zu einer Idealisierung der Frau: erstens auf der Ebene der erzählten Reise des Ex-Autors (Ebene 1), zweitens im Zuge der erzählten nächtlichen Zusammenkunft auf dem Morawa-Boot (Ebene 2) und drittens bei dem erst am Ende sich offenbarenden Blick des Autors auf diese beiden Erzählbegebenheiten (Ebene 3). Auf allen drei Ebenen, die es im Folgenden genauer zu betrachten gilt, hat die Idealisierung des Weiblichen unterschiedliche Funktion und Bedeutung.

Auf der Ebene der Reiseerzählung (Ebene 1) werden den bereits erwähnten Erinnerungen an störende Frauenfiguren Episoden idealer Begegnungen gegenübergestellt. Erst vor dieser doppelten Folie weiblicher Störung und Idealisierung wird die Rolle der fremden Frau auf dieser Erzählebene ersichtlich. Es sind daher die beiden zentralen idealen weiblichen Figuren wie folgt zu ergänzen: die ewig Tote und die ewig Lebende. Die bereits im Kontext der lösenden Funktion von Beschimpfungen betrachtete Figur der Mutter repräsentiert die ewige Tote. Ihre "Erscheinung" (MN 499) führt die entscheidende Erkenntnis im Hinblick auf den wahnhaften Gehalt des Frauenargwohns herbei.19 Der Mutterfigur steht die Personifizierung der ewig Lebenden mit ähnlich hilfeleistender Funktion zur Seite: Ein lesendes Mädchen wird auf der Reise für den Ex-Autor zur Repräsentantin der "Unschuld", die zum Verschwinden seiner Vorurteile gegenüber seinem Land führt (MN 389). Des Ex-Autors Nachbild-Vorstellung von ihr offenbart die Idealisierung als "von außen unverwundbar, geschützt von sich selber, von ihrer Natur, ihrem Wesen, für immer frei, für immer jung" (MN 392).

Aus der Perspektive des Ex-Autors bildet nun die fremde Frau die Schnittstelle zwischen den rein positiven weiblichen Figuren, mit denen sie die Idealisierung und rettende Funktion gemeinsam hat, und den erinnerten Negativerfahrungen mit Frauen, die den Ex-Autor in seiner schriftstellerischen Arbeit und Existenz behindert hatten und die ihn dazu führen, gewalttätig gegenüber der fremden Frau zu werden.




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Dieses Changieren zwischen Gelingen und Störung im Zusammenspiel mit der Omnipräsenz, Neutralität und Persönlichkeitslosigkeit der fremden Frau bedingen, wie gezeigt, wesentlich den Umstand, dass die Frau auf dieser Erzählebene zum Symbol für die Wiederholung wird. Für den Leser hingegen sind die Negativimpressionen des Ex-Autors unmittelbar als Projektionen kenntlich, so dass diese kritisch gebrochen werden.

Als Projektionsfläche der männlichen Befindlichkeiten fungieren auch die übrigen weiblichen Personen auf der Ebene der Reiseerzählung und sie stehen dabei im Kontext von Erinnerung und Wiederholung im Sinne von Erneuerung. Eine Textpassage, die von einer Wiederbegegnung des Ex-Autors mit seiner zur Bettlerin gewordenen ersten Freundin handelt, ist hierfür besonders aufschlussreich. Bemerkenswerterweise wird diese schrittweise Serie des Wiedererkennens von "einer balkanischen Fluchlitanei" des "zerlumpte[n] Weib[s]" eingeleitet (MN 144/145). Erneut geht folglich mit den Verfluchungen parallel-funktional das Erkennen einher. Zunächst erkennt der Ex-Autor die 'Verflucherin' als die Bettlerin wieder, der er vor dem Kirchenportal Geld gespendet hatte (MN 145). Bei genauerer Betrachtung fällt ihm jedoch eine Falte in ihrem Gesicht auf, die sie scheinbar schon seit der Kindheit hatte. Es heißt:

Und an dieser Falte erkannte er sie, während sie in weiterverfluchte, als noch eine andere wieder. Ja, es war sie, diejenige welche, das Inselmädchen aus dem Sommer seines ersten Buchs. [...] Ja, sie war es. Und für diese eine Sekunde lang – ja, es war eine lange Sekunde – wurde ihr ganzes Gesicht, und nicht nur in der einen gebrochenen Stirnfalte, kenntlich als das der jungen Frau seinerzeit, ihrerzeit, beiderzeit, sanft und voll Liebreiz. (MN 146)

Der Ex-Autor erkennt somit in der Bettlerin dezidiert "noch eine andere [Frau] wieder". Die der einseitigen imago entspringende Anagnorisis wird begleitet von einem Moment der Erneuerung, da es zu einer Überblendung des Gesichts der Bettlerin durch das erinnerte Gesicht der ersten Freundin kommt. Das Merkmal der Falte initiiert diesen Überblendungsprozess der wieder-geholten Erinnerung. In der Beteuerung, dass die Bettlerin die einstige Jugendfreundin sei, wird nicht eine tatsächliche Übereinstimmung, sondern das Eintreten des Erkennens durch Analogiebildung hervorgehoben. Dies wird noch deutlicher, als der Ex-Autor die Bettlerin wenig später abermals in einer Wirtshausfrau wiedererkennt: "[...] zunächst war er sich gar nicht sicher, ob das noch die Obdachlose von vorhin war. Nicht, daß sie ihm umgewandelt erschien. Aber sie hatte sich doch, nach einem bei ihm zuhause üblichen Ausdruck, herausgeschwanzt." (MN 147)




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Das Wiedererkennen der einstigen Freundin wird nicht als eine personale Begegnung beschrieben, vielmehr dienen einzelne Merkmale bei anderen Frauen, einer Proustschen mémoire involontaire gleichend, als Initiierung einer mentalen 'Wiederfindung' seiner früheren Freundin. Eine assoziative Detailschau führt zur erinnerten Wiederholung des Vergangenen in die Gegenwart, was dem Ex-Autor während der nachtlangen, unbemerkt bleibenden schauenden Begleitung der Bettlerin die Möglichkeit bietet, einer versäumten "Pflicht" nachzukommen und dadurch eine unbestimmte "Schuldigkeit" zu tilgen (MN 148). Hier wiederholt sich, was Jürgen Egyptien bereits in Bezug auf Handkes Erzählung Die Wiederholung als "archäologische[s] Verfahren" (1989: 43) bezeichnet hat: Durch die Wiederholung vergangener Ereignisse mit Hilfe des Prinzips der Reminiszenz soll in der Hoffnung auf eine mögliche Neuordnung der Dinge aus der Perspektive der Jetztzeit eine positive Veränderung für die Zukunft erwirkt werden. Diese Veränderung bleibt jedoch einzig bezogen auf das Wahrnehmungssubjekt: Die sich aus der Pflicht zur Tilgung einer Schuldigkeit ergebende Läuterungsstruktur ist einzig innerhalb der inneren Erscheinungswelt des Erinnernden von Relevanz, weshalb die Frauen notwendig zur Projektionsfläche werden.

Auf der Ebene der Morawa-Erzählung (Ebene 2) findet eine doppelte Reduktion des Weiblichen statt: erstens zahlenmäßig – es gibt nur noch die fremde Frau – und zweitens in der Bewertungsweise; denn anders als auf der Ebene der erzählten Reise untersteht die fremde Frau auf dem Morawa-Boot von Beginn dem rein idealisierenden männlichen Blick. Für die Freunde auf dem Morawa-Boot wird die Form ihrer Hüfte zum pars pro toto ihrer Weiblichkeit und Schönheit (MN 22). Dadurch wird sie zur bloß erahnbaren holographischen Projektion, in der sich nun die Sehnsüchte des männlichen Personals spiegeln. Hinzu kommt, dass die Frau von Beginn der Erzählung das traditionelle Klischee der umsorgenden Frau repräsentiert, deren Aufenthaltsort, getrennt von den speisenden Männern, "bewegungslos und bereit" (MN 273), die Küche ist20:

Die fremde, vertraute Schönheit dagegen blieb, Überbleibsel der sonst fast verschwundenen balkanischen Sitten, in der halbdunklen Bordküche, außer später für das stumme Abräumen. Durch das Bullauge in der Küchentür ließ sie sich für den, der sich von seinem Platz erhob, erahnen, wie sie, alle Arbeiten getan, gleichermaßen stumm dort hinten in der Nische neben dem Herd saß, auf einem Hocker ohne Lehne, reglos, wenn auch ganz und gar nicht starr; still die Hände im Schoß. (MN 27)




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Sie verliert solcherlei nicht nur jegliche Form von Persönlichkeitsmerkmalen, sondern bleibt vor allem in der ersten Hälfte der Erzählung vollkommen sprachlos.

Parallel wird die Funktion der Frau als Signifikant für die Wünsche und Anschauungen der Männer zum eigentlichen Dreh- und Angelpunkt der Erzählung insgesamt erhoben: Ihr Ruf führt zu Beginn die Freunde auf dem Morawa-Boot zur nächtlichen Erzählung zusammen (vgl. das Lachen einer Frau am Telefon: MN 11). Sie initiiert auf diese Weise nicht nur die Zusammenkunft und die Reisegeschichte, sondern sorgt durch die unterschiedliche Art und Weise des wortlosen Weckrufs bereits für Erzählstoff unter den Gerufenen (MN 10/11).

In doppelter Hinsicht wird sie damit zur Initiatorin der Erzählung, ein Umstand, der sich im Zuge der Erzählung weiter fortsetzen wird und zu einer Transformation der Ideale auf der Ebene der nächtlichen Erzählung führen wird; denn die fremde Frau wird auch zur einleitenden und ergänzenden Erzählerin der zentralen und von dem Ex-Autor lange hinausgezögerten (MN 241; 249; 259) Liebesgeschichte zwischen ihr und dem Ex-Autor (MN 259). Hierfür tritt sie aus ihrer Sprachlosigkeit heraus und beendet das Hinauszögern der sogenannten "Frauengeschichte", auf welche letzten Endes die gesamte Erzählung hinsteuert: Nicht nur, dass die Freunde auf dem Morawaboot auf diese Geschichte warten (MN 240), darüber hinaus wird sie, einer Prophezeiung des Dichters Juan Lagunas auf der Reise des Ex-Autors zufolge, jenen wieder in den Stand der Autorschaft erheben (MN 204). Wenn der Ex-Autor folglich zuletzt wieder zum Autor wird, so ist dies zum einen der Liebesgeschichte, zum anderen gerade ihrem Scheitern geschuldet, was noch genauer zu zeigen sein wird.

Mit ihrem Eintritt in die Erzählhandlung verhindert die Frau das Verpassen des richtigen Moments:

[E]r hätte sie womöglich noch weiter hinausgezögert und wieder einmal den Moment verpaßt, wäre in jener Nacht auf der Morawa nicht unversehens die Fremde aus der Schwingtür zur Bootsküche getreten und für ihn eingesprungen. Sie war es, die anfing mit ihrer beider Geschichte, und er schien zunächst erleichtert, so als hätte ihm der Einsatz gefehlt. (MN 259)

In ihrem Heraustreten aus der Bordküche des Morawa-Boots und dem Eintritt in die Erzählhandlung verlässt die Frau die idealtypischen Muster: In diesem ersten Schritt löst sie sich von dem traditionellen Stereotyp der aphasisch schweigenden Frau, ohne zugleich der diesem gegenüberstehenden weiblichen Neigung zur Exzentrik (z.B. Raserei, Hysterie, Theatralik) zu verfallen (vgl. dazu z.B. Erdmann 2009: 44ff.), wandelt sich dadurch jedoch noch nicht zur Persönlichkeit.




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Anders als beispielsweise in Wunschloses Unglück, worin das Finden einer eigenen Sprache als Voraussetzung für die Ausbildung einer Persönlichkeit, respektive das Verhindern dieser Sprachfindung als Prozess der Depersonalisierung bei der Mutter vorgestellt wird, erfolgt in Die morawische Nacht über den Weg der Sprache vielmehr eine Transformation innerhalb der Ideale: Das Ideal der weiblichen Sorge wird in der Erleichterung durch das sprachliche Eingreifen zum wiederholt beschworenen Ideal der Rettung, das auf der Ebene der Reiseerzählung (Ebene 1) der Mutterfigur und dem lesenden Mädchen zugeschrieben wurde. Die fremde Frau vereinigt damit auf der Ebene der nächtlichen Erzählung (Ebene 2) diese beiden rettenden Prinzipien in sich.

Nun ist für die vorliegende Analyse weiterführend die präsentierte Vorstellung entscheidend, dass die Frau durch ihr eigeninitiativ initiiertes Erzählen dezidiert zur Wiederholung findet. Es heißt: "Immer wieder nahm sie ihm die Worte aus dem Mund, weniger um ihn zu korrigieren – auch das, einmal, ein einziges Mal, gegen Ende –, als um Anteil zu haben an dem Geschehenen, es für sich selber zu wiederholen und zurückzuholen" (MN 259). Mit diesem Eingreifen gliedert sich die Frau in den Prozess der Wieder-holung durch Erinnern und Erzählen ein und findet damit auf der Ebene der nächtlichen Erzählung eine handlungsleitende Entsprechung zu ihrer symbolhaften Bedeutung auf der Ebene der Reiseerzählung.

Das sprachliche Eingreifen der Frau stellt ein Ereignis dar. Doch auch dieses liegt einzig in wiederholter, d.h. erzählter Form, nämlich aus der Beobachterperspektive eines Freundes auf dem Morawa-Boot, vor (die dritte Ebene der Erzählung, durch welche die beschriebene Struktur nochmals erweitert wird, sei an dieser Stelle noch ausgespart). Auf diese Weise wird das Ereignis erneut seiner Ereignishaftigkeit beraubt. Diese Ebene verdoppelt sich mit Blick auf das erzählte Ereignis der Begegnung zwischen dem Ex-Autor und der fremden Frau sowie der sich auf dieser Ebene vollziehenden Rettung des Ex-Autors durch die Frau. Diese Ereignisse werden zum erzählten Erzählten. Die genannten Schichten der bereits anhand der Beschreibung des Frauenargwohns vorgestellten Ereignistransformation und Wiederholungsverwicklung werden auf der Textebene durch die unterschiedlichen Erzählperspektiven erneut sichtbar, wodurch wiederum eine Fokusverlagerung vom konkreten Ereignis auf die Prinzipien der Wiederholung erfolgt.




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Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die fremde Frau ihre rettende Funktion dadurch erhält, dass sie auf den verschiedenen Erzählebenen zur Symbolfigur für die Wiederholung wird: Auf der Ebene der Reiseerzählung (Ebene 1) ermöglicht sie durch ihr wiederholtes Erscheinen die erkennende Wiederholung, wodurch sich die Möglichkeit bietet, den darin enthaltenen Zwang aufzulösen. Auf der Ebene der nächtlichen Erzählung (Ebene 2) gibt sie wiederholt den rettenden Erzählimpuls und übernimmt auch selbst die Funktion der Erzählerin. Damit tritt sie ein in den wieder-holenden Kreislauf aus Erinnerung und Erzählung. Die Frau wird damit zur Initiatorin der Erzählung, zum Inhalt des Erzählten und zum Agens des Erzählens. Demzufolge kreist die Narration, ganz gemäß der Endlosigkeit der Wiederholungsstruktur, um das weibliche Prinzip.

Das erzählende Wiederholen wird zur unabschließbaren Suche nach dem anderen Geschlecht, das sich seinerseits als Wiederholendes zeigt. Die daraus entstehende zyklische Struktur nimmt utopische Ausmaße an: Erst die Umwandlung des wahnhaft entstandenen Gewaltpotentials mittels des durch die Frau symbolisch dargestellten Prinzips der Wiederholung führt zur Frau. Die aus dieser Begegnung entstehende Liebesgeschichte ermöglicht es dem Ex-Autor letztlich wieder, episch zu werden, d.h. durch die Frau findet der Ex-Autor zurück zur Erzählung, deren Einsetzen auf der Ebene der mündlichen Erzählung auf dem Morawa-Boot wiederum von der Frau initiiert wird. Der dem Namen nach poetisch stumme Ex-Autor sucht und findet daher in Die morawische Nacht, indem er in der Wiederholung zur Frau findet, den Weg zur Erzählung, die sich selbst erzählt.


8 Die Verfallszeit des Ideals

Die morawische Nacht endet nicht mit dem analysierten utopischen Ideal des weiblichen Prinzips als Repräsentation der sich selbst erzählenden Erzählung. Letztlich wird dieses Ideal auf der dritten Erzählebene, wie noch genauer zu zeigen sein wird, gebrochen und es muss daher nach der Verfallszeit dieser Utopie eines perpetuum epicum gefragt werden.




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Die gezielte Brechung utopischer happy-endings hat in Handkes Werken als die Regel zu gelten. Zwar bleiben seine Werke auf Aspekte des Guten ausgerichtet, utopische Vorstellungen von absoluter Harmonie, Einheit oder Schönheit erweisen sich jedoch, sofern sie zuvor aufgebaut wurden, letztlich stets als unhaltbar und werden einer Relativierung unterzogen, durch die sie im eigentlichen Sinn abgeschafft werden. Dies zeigt beispielhaft ein Blick auf die Trilogie der Versuche.

Der Versuch über die Müdigkeit mündet in einem fiktiven Dialog zwischen zwei Gesprächspartnern und innerhalb dessen in der Erzählung des letzten Bilds von der Versöhnung der Menschheit "in kosmischer Müdigkeit" (VM 78). Dieses auf ideale und utopische Abgeschlossenheit hindeutende letzte Bild der Harmonie ist jedoch nur das vorläufige Ende des Versuchs. Ihm folgen zwei Nachträge, erneut in Dialogform, die das beschriebene Bild erweitern. Der zweite Nachtrag besteht zudem aus einer offenen Frage und verweist damit auf die Unabgeschlossenheit der Thematik und die mögliche Fortsetzbarkeit des erzählten Versuchs, was bereits durch die Dialogform an sich deutlich wird: Mittels des Dialogs kann der Erzählvorgang durch die verschiedenen Ansichten der Dialogpartner, die Multiplizierung assoziativer Vorgänge sowie der Frage-Antwort-Struktur potentiell endlos vorangetrieben werden.

Auch der Versuch über den geglückten Tag mündet in einen Dialog, an dessen Ende eine offene Frage steht. Es heißt darin: "Verlaß den Traum. Schau, wie der Schnee vorbeifällt an dem leeren Vogelnest. Auf zur Verwandlung. – Zum nächsten Traum?" (Handke 1991 = VT 91) Zum einen liegt eine Aufforderung zum Weitergehen in dieser Schlusssequenz, zum anderen bleibt die letzte Frage unbeantwortet, wodurch auch dieser Versuch mit dem Verweis auf die Erweiterbarkeit der Thematik schließt.

Nicht in einem Dialog, aber mit dem Hinweis auf den beginnenden Aufbruch endet der Versuch über die Jukebox. Zu dieser Erkenntnis kommt der Erzähler angesichts der Betrachtung eines Mädchens in einem Gasthaus:

Das junge Mädchen, sonst untätig, malte am Nebentisch chinesische Zeichen in ein Heft, dicht auf dicht, in einer Schrift viel regelmäßiger als die seine in diesen Wochen [...], und während er ihr, die in dieser Gegend, in diesem Spanien, doch unvergleichlich fremder sein mußte als er, immer weiter zuschaute, spürte er mit Staunen, daß er jetzt erst wirklich aufgebrochen war von dort, wo er herkam. (Handke 1990c = VJ 139)




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Die vorhergegangene Reise durch Spanien wird damit zu einem Weg, der zum Aufbruch hinführt. Der erzählte Versuch selbst erscheint als eine vorbewusste Stufe der Suche. Die Erkenntnis am Ende zeugt von einer nicht weiter ausgeführten und unrealisiert bleibenden Vertiefung der Daseinsbewusstheit, die auf eine spätere Realisierung in einem endlosen Schreibvorgang hindeutet.

Auch am Ende von Die morawische Nacht steht, wie im Versuch über die Jukebox, ein Aufbruch, der, ähnlich wie das Beispiel des Versuchs über den geglückten Tag, gekoppelt ist mit dem Erwachen aus einem Traum und einem Drang aufzubrechen. Mit den beiden Sätzen: "Die Nacht war zuende. Der Autor öffnete die Augen." (MN 555) wird die Potenzierung der Wiederholungsebenen erneut vorangetrieben.

Das Öffnen der Augen entlarvt zuletzt die Reisegeschichte des Ex-Autors, aber auch die Zusammenkunft der Freunde auf dem Morawa-Boot als den Traum einer Nacht. Durch dieses Augen-Öffnen wird aus den erschriebenen Formen weiblicher und erzählerischer Idealisierung zur Perfektion eine bloße nachtlange, phantasiegetragene Vorstellung. Sie wird beendet durch ein Gefühl der endgültigen Entzweiung (MN 555), des "ewige[n] Getrenntsein[s]" (MN 556) und erneut reaktiviert durch die Anrufung einer "Geographie der Träume" (MN 557). Das Changieren zwischen Gelingen und Störung im Zusammenspiel mit "Nachhall" (MN 557) und "Vorgeschmack" (MN 559) wird in einen wiederholenden Rhythmus überführt. Was folgerichtig bleibt, ist ein Drang "zum Aufbrechen" (MN 559) in eine neue Erzählung, damit sich wieder "in der Schwärze, schrundig, zerklüftet [...] sporadisch helle[] Stellen" (MN 558) zeigen. Der schmerzhafte Verlust, der folglich am Ende von Die morawische Nacht steht, hält nicht gefangen, sondern treibt eine erneute Suche an. Das Fehlen des weiblichen Prinzips wird zum Aufbruch genutzt.

Ein Rückblick auf die Unterredung mit dem Dichter Juan Lagunas auf der Ebene der Reiseerzählung belegt den Unterschied in der Bedeutung des Weiblichen für die Schrift. Der Dichter hatte einst mit dem Schreiben von Liebesgedichten begonnen und schreibt zwischenzeitlich nur mehr resignative "Verlustgedichte" (MN 189). Die Geschichte, welche in Die morawische Nacht erzählt wird, ist eine umgekehrte: Beginnt diese mit einer Flucht vor einer Frau und beschreibt zunächst die frühere Flucht des Autors als Voraussetzung für das Schreiben, so wird nun der unabschließbare Findungsprozess für das Erzählen bzw. Schreiben zentral. Der Verlust dient einzig der Reaktivierung dieses Findungsprozesses.




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Wenn sich der Autor fragt: "Ja, gab es die Frau denn gar nicht?" Und diese Frage mit der Replik beantwortet: "Doch, sie existierte, außerhalb des Traums, und wie, aber sie gehörte nicht ihm. Ah, der Schmerz über ihre Abwesenheit. Endgültig entzweit war er." (MN 555), so wird mit der Betonung der Existenz der Frau weniger eine realexistierende Utopie beschworen als das radikale Fehlen betont. Das weibliche Prinzip wird zum Unverfügbaren per se. Auf der Ebene der Autor-Erzählung (Ebene 3) wird folglich das weibliche Prinzip erneut dichotomisiert. Die Aufhebung der Struktur von Gelingen und Störung auf der Ebene der nächtlichen Erzählung (Ebene 2) wird wiederum aufgehoben und das weibliche Prinzip wird erneut in die antithetische Wiederholungsstruktur eingeführt, die ihr aus Sicht des Ex-Autors bereits auf der Ebene der Reiseerzählung zu Teil wurde (Ebene 1). Ganz gemäß dem erläuterten Wiederholungsverständnis liegt hier jedoch keine bloße 'Rückholung' vor. Die Modulationen haben vielmehr Veränderungen herbeigeführt, die es abschließend zu resümieren gilt.

Zuletzt ist der Blick des Autors auf die Frau nicht mehr wahngeleitet. Die Erzählung Die morawische Nacht handelt demzufolge von der Auflösung von Wahn und Gewalt durch das Prinzip der Wiederholung. Der Gang dieses Läuterungsverfahrens ist dabei der folgende: Die sich aus dem Wechsel von Gewaltausübung und idealer Nähe ergebende antithetische Struktur aus Gelingen und Störung wird zunächst einer Reduktion auf die Idealisierung der Frau unterzogen, um hernach auf einer erweiterten Ebene durch das Erwachen wieder in eine gewaltfreie Dichotomie aus Verlust und Sehnsucht überführt zu werden. Die negative Energie, die sich im Wiederholungszwang gegen die fremde Frau gerichtet hatte, wird im Zuge dieses Prozesses zu einer positiven Kraft des Aufbruchs umgewandelt. Das utopische Finden des Erzählens, das sich selbst erzählt, wird durch Repersonalisierung entutopisiert. Dies resultiert nicht allein aus dem Umstand, dass der Ex-Autor wieder als "Autor" bezeichnet wird, sondern auch daraus, dass zuletzt eine Umschreibung des Erzählanfangs stattfindet. Es heißt: "Auf sein Schiff hatte der Autor uns geladen mit einem 'Kommt, her mit euch'" (MN 560). Der zu Beginn vorgestellten Initiation des Erzählens durch das wortlose Lachen der Frau (MN 11) wird damit nachträglich die Erzählinstanz des Autors als eigentlicher Erzählinitiator vorangestellt. Auch auf dieser Ebene wird folglich die Frau zur Projektionsfläche des männlichen Blicks. Ihrem angsterzeugenden und gewalthervorrufenden Medusenblick zu einer Mischung aus Erato und Kalliope enthoben, wird sie gerade in ihrer Unverfügbarkeit zu jener schöpferischen Kraft, welche das defizitär angelegte männliche Prinzip in seine schriftstellerische Existenz rettet.




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Handke greift in seiner Darstellung der Frau aus männlicher Perspektive die wesentlichen literaturgeschichtlich relevanten Konnotationen des Weiblichen auf: Der Frau als Gefahr für den männlichen Part steht das Weibliche als rettendes und schöpfungsrelevantes Prinzip entgegen21. Das Changieren zwischen den Extremen von Dämonisierung und Idealisierung wird zuletzt in Wahnerkenntnis (Dämonisierung) und Mangelerscheinung (Idealisierung) aufgelöst. Als Phantasma dichterischer Produktivität steht die Frau damit im Kontext einer spätestens mit Goethe überhöhten "Ambivalenz im Mythos des unglückseligen Dichters" (vgl. dazu z.B. Dumiche 2002: 9).22 Doch der Anschluss an die Tradition führt, ganz gemäß dem hier erläuterten Wiederholungsverständnis, nicht zur reinen Reproduktion. Die Frau entzieht sich vielmehr sukzessive den beiden von Silvia Bovenschen für den kulturellen und ästhetischen Weiblichkeitsdiskurs herausgearbeiteten Polen von Mythifizierung und Domestizierung (vgl. 2003: z.B. 30/31; 53): Neben den bereits ausgeführten Erwerb der Erzählkapazität und die Repersonalisierung der Frau am Ende tritt, fast unmerklich, noch ein dritter Eigenständigkeitsfaktor: Gerade in ihrer selbstgewählten Abwesenheit am Ende von Die morawische Nacht liegt das eigentlich emanzipatorische Moment der Frau; denn darin entzieht sie sich dem Willen des zwischen Verehrung und Misogynie schwankenden männlichen Blicks.

Deutlich zeigt sich, dass es nicht mehr die Frau, sondern der Mann ist, der im Hinblick auf eine ersehnte Zweisamkeit in unproduktiven Ambivalenzen verhaftet bleibt. Sein Defizit speist sich ja gerade aus einem überkommenen Besitzdenken: "sie gehörte nicht ihm" (MN 555).

Der Widerstand der Frau, d.i. ihr Fehlen, generiert jedoch eine andere Form der Sehnsucht, mit der für den männlichen Literaten die einsame Aufgabe verbunden ist, daraus eine produktive Kraft zu schöpfen. Diese Potenz wird im Verweis auf eine noch zu erzählende Geschichte in Die morawische Nacht zuletzt antizipiert (MN 561). Damit bewahrt der Künstler die traditionell männliche Rolle als Schaffender und Wirkender (vgl. dazu Bovenschen 2003: 32). Zum Motor seiner positiv konnotierten männlichen Schöpfungsidee werden die aus der gewaltsamen Konfrontation gewonnene Erkenntnis und die aus dem Defizitären des Mangels entstandene Sehnsucht. Ihr Zündmechanismus jedoch liegt im sich wiederholenden und sich stets erneuernden Wechselspiel aus männlicher Idealisierung und weiblicher Emanzipation.





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Anmerkungen

1 Bei dem verwendeten Bild des Motors geht es mir nicht nur um die Antriebsfunktion, sondern auch um das Element des Zündenden im Sinne der Plötzlichkeit, d.h. einer sprunghaften Transformation ins Positive. Das akzidentielle Moment des Erkennens wird im Bild des Motors meiner Ansicht nach adäquat repräsentiert.

2 "Nur darum wiederholt man sich [...], weil das zu Wiederholende sich der dauerhaften Fixierung 'ein für allemal' entzieht." (André 2003: VII).

3 "In der Wiederholung vereinigt sich die Kontinuität mit der Diskontinuität, das Zeichen mit dem Bezeichneten, das Sein mit dem Werden, das Innere mit dem Äußeren, das Unsichtbare mit dem Sichtbaren, das Notwendige mit dem Zufälligen, die Freiheit mit der Unfreiheit, das Augenblickliche mit dem Ewigen, das Wortlose mit dem Wort, das Glück mit dem Unglück." (Villwock 1998: 12/13)

4 Zu nennen sind hier beispielsweise die Vorstellungskraft, durch welche die Räume zu einer "guten Innenkraft" werden (LH 12), der von Sorger gehegte "Glauben an die Kraft der Formen" (LH 19), eine kurzzeitige Selbstauflösungskraft (LH 27), die "Kraft zum Eingreifen" (124), das "reine Empfangen-Können" (LH 138) und die "Sehnsuchtskraft" (LH 198).

5 Auch das Boot auf der Morawa wird wiederholt als Fluchtvehikel bezeichnet: "Fluchtburg" (MN 7); "Das Boot war nicht verankert [...] – eben zur Flucht [...]" (MN 8); "Fluchtboot" (MN 13);

6 Diese wird dezidiert als das Ergebnis der Begegnung mit der fremden Frau beschrieben, die in zwei Stufen erfolgt: Zunächst wird die Gegend des verstorbenen Vaters bereist: "Nach der Zeit mit der Fremden aber war aus dem eher vagen Plan ein Antrieb geworden [...]. In die Gegend des Vaters und der väterlichen Vorfahren würde er gehen für sich wie auch für sie, die Frau, so wie überhaupt alles, was er in der Abwesenheit erlebte und wahrnähme, zugleich für sie geschähe." (MN 281) Danach erfolgt eine Wendung zur Geburtsgegend und dem nun vom Bruder übernommenen elterlichen Haus. Der Ex-Autor befindet sich somit auch lebensgeschichtlich im Grenzbereich zwischen Vergangenheit, die veraltet ist, und einer Zukunft, die noch nicht eingetreten ist, weshalb die Gegenwart undurchsichtig wird.




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7 Die Bezugnahme auf die Schwelle zwischen Alter und Neuer Straße erscheint plakativ, spielt jedoch zugleich auf den Wandel an, dem die Heimatgegend im Zuge großer Baumaßnahmen unterworfen war und der in dem Stück Über die Dörfer thematisch bereits im Zentrum stand (vgl. dazu Federmair 2013: 9).

8 Zu Beginn der Erzählung richtet sich das Vorhaben, "diese Frau zu töten" (MN 42), auf die unbekannte und unbekannt bleibende Verfolgerin.

9 Die bei Handke häufig erwähnte Unvereinbarkeit des Schriftstellerberufs mit einer Beziehung teilt auch der Ex-Autor in Die morawische Nacht (MN 242). Er fühlte sich bereits bei seiner ersten Freundin auf Cordura als ein Betrüger an der Schrift (MN 131).

10 Diese Schläge sind ihrerseits eine Wiederholung früherer Gewalt gegen eine Partnerin (MN 247).

11 "Er hatte recht gehandelt. Triumph!" (MN 542).

12 Bei Villwock heißt es: "Was wiederholt wird, bleibt nicht gleich, es wird verwandelt." (1998: 15) Auf diese Weise ist die Metamorphose ein "konstitutives Integral der Wiederholung" (1998: 26).

13 Später erst wird sich anhand der Erzählung der Gewaltszene erweisen, dass auf der Ebene der nächtlichen Wiederholung der Ereignisse durch Erzählen auf dem Morawa-Boot bereits eine Bewusstwerdung stattgefunden hat (vgl. MN 451).

14 Von der läuternden Funktion der Wiederholung zeugt beispielsweise ein Notat aus Die Geschichte des Bleistifts. Darin heißt es: "Ich nehme erst richtig wahr in der Wiederholung." (GB 148) In diesem Notat spiegelt sich die soeben beschriebene Verknüpfung von Wiederholung und Bewusstwerdung, die durch das richtige Wahrnehmen bedingt wird.

15 Isolde Schaad betont zur Repräsentation des Geschlechtsakts in Handkes Werken: "Im Liebesakt schaut er nicht die Partnerin an, sondern sich selber. Im Liebesakt also die Selbstbespiegelung." (Schaad 2004: 88).

16Isolde Schaad spricht bspw. davon, wie hoch der "Grad von Banalität ist, wenn er Frauen beschreibt" und "wie plump dann sein Frauenbild ist" (2004: 81, 79). Sie beklagt weiter das grundsätzliche Fehlen des weiblichen Eros (Schaad 1999: 106). Die Kritik zu Handkes Erzählung Die morawische Nacht äußert sich ähnlich zu der darin vorgestellten Frauenfigur (vgl. z.B. Otte 2008).

17 Nach Tabah bildet einzig die Mutter in Wunschloses Unglück eine Ausnahme (1995: 129).

18 Dies zeigt sich exemplarisch an folgenden abfälligen Notaten aus Am Felsfenster morgens: "Bring keine Frau zum Sprechen" (Handke 1998 = AFm 198). Und weiter: "Das Erotische an einem Nachdenklichen; und deswegen erscheint mir eine Frau so selten erotisch" (AFm 233).




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19 Nach einer langen predigtartigen Schuldentlastungsrede fordert die Mutter ihn auf: "'So steh jetzt auf der Stelle auf und hol die Bestimmte zu dir ins Bett. Die Nacht ist kalt, und sie wartet schon die längste Zeit unter deinem Fenster.'" (MN 502).

20 Es bleib darauf hinzuweisen, dass die Frau in dieser Vereinzelung erneut in Analogie zu den männlichen Protagonisten steht: Auch die Freunde auf dem Morawa-Boot bilden dezidiert keine Gemeinschaft. Von dem Ex-Autor werden sie ungastlich empfangen (MN 15/16; 28) und ihnen werden "Einzeltische" zugewiesen, "wo sie dann, mit dem Rücken zueinander oder wenigstens halb abgekehrt [...] saßen". Auf diese Weise wird ihre Vereinzelung, als "Befremdung", "Ausgesetzt- und Auseinandergewürfeltsein[]" (MN 21), exponiert und gezielt vorangetrieben. Auch sie bleiben somit weitestgehend persönlichkeitslos.

21 Vgl. zu den Konstruktionen von Weiblichkeit in der deutschsprachigen Literatur z.B. den Band von Ana-Maria Pălimariu und Elisabeth Berger Die fiktive Frau (Pălimariu 2009) sowie Becker-Cantarino 2010 und Wallinger 1986.

22 Zur ambivalenten Darstellung von Lotte in Goethes Werther vgl. z.B. Winkle 1988: 104ff.; Meyer-Krentler 1989: 65ff. Zur Ambivalenz der Gretchenfigur in Goethes Faust vgl. Heller 1979.