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Paul GĂ©vaudan (Tübingen)


Peter Koch (1.3.1951–7.7.2014)


Am 7. Juli 2014 ist der romanistische Sprachwissenschaftler Peter Koch ganz plötzlich und unerwartet verstorben. In Hannover geboren und aufgewachsen, studierte er von 1969 bis 1975 Romanistik und Latein an den Universitäten Göttingen, Poitiers und Freiburg im Breisgau und legte die wissenschaftliche Prüfung für das Lehramt an Gymnasien an der Universität Freiburg ab. Dort wurde er 1979 mit einer Dissertation zur syntaktischen und semantischen Verbvalenz im Französischen promoviert (1981 erschienen unter dem Titel Verb. Valenz. Verfügung. Zur Satzsemantik und Valenz französischer Verben am Beispiel der Verfügungs-Verben, Heidelberg: Winter).

Nach der 1980 an gleicher Stelle abgelegten pädagogischen Prüfung für das Lehramt an Gymnasien wurde er wissenschaftlicher Assistent von Hans-Martin Gauger am Romanischen Seminar in Freiburg und erlangte dort 1987 die venia legendi mit der Habilitationsschrift Distanz im Dictamen. Zur Schriftlichkeit und Pragmatik mittelalterlicher Brief- und Redemodelle in Italien. 1988 wurde er auf eine C3-Professur für Romanische Philologie mit dem Schwerpunkt Sprachwissenschaft an die Universität Mainz berufen, die er von 1986 bis 1988 bereits vertreten hatte. 1990 folgte er dann dem Ruf auf eine C4-Professur für Romanische Philologie an der Freien Universität Berlin. Schließlich wurde er 1996 Ordinarius für Romanische Philologie (französische und italienische Sprachwissenschaft) am Romanischen Seminar in Tübingen.

Peter Koch war eine außerordentlich kreative und aktive Forschungspersönlichkeit, ein sehr engagierter Hochschullehrer und ein hervorragender Vertreter der deutschen und internationalen Romanistik. An dieser Stelle geht es um den Versuch einer knappen Würdigung seines wissenschaftlichen Werks, das im Wesentlichen auf 127 Aufsätze und vier Monographien verteilt ist (hinzu kommen sieben von ihm herausgegebene Sammelbände). Seine Publikationssprachen sind (in abnehmender Frequenz) Deutsch, Französisch, Englisch, Italienisch, Spanisch und Sardisch. Das Verzeichnis seiner Schriften kann auf seiner weitergeführten Homepage unter der Adresse http://homepages.uni-tuebingen.de/peter.koch/publ.htm eingesehen werden.

Um seinem Denken näherzukommen und die Vielfalt seines Werks zu erfassen, das auf vielen Gebieten wichtige, teilweise bahnbrechende Beiträge umfasst, bedarf es einer gewissen Systematisierung, an die wir uns über einige Eckpfeiler seiner Sprachauffassung herantasten können. So schreibt er bereits in seiner Dissertation:

Sprache ist immer an die menschlichen Subjekte gebunden, die sprachliche Ausdrücke verwenden, indem sie sprechen. (Koch 1981: 21f.)





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Nach eigener Aussage gehört dieses Prinzip zu den sprachtheoretischen Optionen seiner Dissertation. Es bestimmt jedoch nicht nur diese einzelne Arbeit, sondern sein gesamtes Werk. Man könnte dieses Prinzip auch als empiristisch bezeichnen, denn wenn alles Sprachliche an die sprechenden Subjekte gebunden ist, dann ist es die empirische Erscheinung von Sprache, die das Sprachliche ausmacht. Diese Auffassung, die Peter Koch mit Wilhelm von Humboldt, Karl Bühler, Eugenio Coseriu und Émile Benveniste sowie mit den Vertretern der kognitiven Linguistik und der Konstruktionsgrammatik teilte, relativiert den Systemcharakter der Sprache, ohne ihn jedoch gänzlich in Frage zu stellen, wie der folgenden Stellungnahme zu entnehmen ist:

Jede Sprache hat eine Ausdrucks- und eine Inhaltsseite. Zwischen beiden besteht eine Relation, die ich als Repäsentation bezeichnen möchte: Bestimmte Ausdrucksformen (lautliche, morphologische, syntaktische) repräsentieren Inhalte in einer sehr verwickelten Weise, die keineswegs als eineindeutig angesehen werden kann[.] (Koch 1981: 21)

Dass einerseits lautliche und andererseits morphologische und syntaktische Ausdrucksformen Inhalte repräsentieren, entspricht dem Prinzip der doppelten Gliederung („double articulation“) der Sprache, das nichts anderes ist als die Funktionsweise eines Repräsentationssystems. Indem er jedoch die „Eineindeutigkeit“ der Repräsentation in Abrede stellt, bezweifelt Peter Koch die Abgeschlossenheit sprachlicher Systeme. In seinen Augen können Sprachen keine geschlossenen Systeme sein, da sie stetig durch Sprechtätigkeit geformt, bestätigt und verändert werden. Auch dies macht er an den sprechenden Subjekten fest:

[D]ie sprechenden Subjekte sind den sprachlichen Regeln nicht unterworfen wie Naturgesetzen, sondern sie verfügen über sie insofern, als sie sie wie alle sozialen Normen befolgen können oder aber auch nicht befolgen und sogar ändern können (Koch 1981: 27)

Das Untersuchungsobjekt von Peter Koch sind allerdings nicht die sprechenden Subjekte, sondern die Sprache, die nach seiner Auffassung einerseits Tätigkeit und Produkt des Sprechens und andererseits Vermögen zu sprechen ist. Man könnte auch sagen, es geht in erster Linie nicht um die Subjekte und auch nicht um ein idealisiertes Sprachsystem, sondern um Sprachen, wie sie tatsächlich gesprochen werden. Als Romanist ging es Peter Koch dabei natürlich vor allem um die romanischen Sprachen, die er ausgezeichnet beherrschte und deren Beschreibung und Erklärung im Zentrum seiner Arbeit stand. Dabei nehmen seine Studien sowohl eine interne, funktionale und systematische als auch eine externe, mediale und soziologische Perspektive auf die Sprachen ein. Nach diesen Prinzipien lässt sich auch sein Werk gliedern.





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Einen internen Blick auf die romanischen und anderen Sprachen werfen seine Arbeiten zur kognitiven und zur lexikalischen Semantik, zum Bedeutungswandel sowie generell zum lexikalischen Wandel und zur lexikalische Typologie. Aus dieser Perspektive entstanden auch seine Arbeiten zum Sprachwandel, zur Grammatikalisierung sowie zur sprachlichen Motivation und Ambiguität sowie zur Onomasiologie, zur Rhetorik und zu den rhetorischen Tropen. Ferner auch seine Arbeiten zur Valenztheorie (beginnend mit seiner Dissertation, s.o.), zur Metataxe, zur Konstruktionsgrammatik und zur Versprachlichung von Existenz und Lokalisierung. Auf diesen Gebieten hat sich Peter Koch national und international einen hervorragenden Ruf erworben. Seine Verarbeitung diverser kognitiver Theorien (Assoziationslehre, Gestalttheorie, Prototypentheorie und insbesondere Frame-Theorie) in zahlreichen Studien zur lexikalischen Semantik und zur Grammatik und Grammatikalisierung romanischer (und zuweilen auch anderer Sprachen) ist einzigartig.

Zu den externen Studien gehören die berühmten Schriften zur Schriftlichkeit und Mündlichkeit sowie zur Nähe- und Distanzsprache, die aus der Zusammenarbeit mit Wulf Oesterreicher hervorgegangen sind (beginnend mit dem Aufsatz „Sprache der Nähe – Sprache der Distanz. Mündlichkeit und Schriftlichkeit im Spannungsfeld von Sprachtheorie und Sprachgeschichte“ in der Zeitschrift Romanistisches Jahrbuch 36), ferner seine unveröffentlichte Habilitationsschrift aus dem Jahr 1987 zur Schriftlichkeit der ars dictaminis, der italienischen Briefkunst des 11. und 12. Jahrhunderts (Distanz im Dictamen, s.o.), aus der sich viele seiner nachfolgenden Aufsätze zur Schriftlichkeit und zur Architektur der Sprachen speisen. Insbesondere der von Peter Koch geprägte Begriff der Diskurstradition, der mittlerweile zum sprachtheoretischen Standard geworden ist, gehört zu den bahnbrechenden Innovationen dieser Arbeit. Auch weitere Publikationen zur externen Sprachgeschichte und zur Varietätenlinguistik, zur Diglossie, Mehrsprachigkeit, Standardisierung und zum Sprachausbau in den romanischen Sprachgebieten (einschließlich romanisch basierter Kreolsprachen) beruhen auf Überlegungen, die bereits in dieser Schrift erkennbar werden.

Auch Peter Kochs Beiträge zur Medientheorie und zur Entstehung der Schrift, sowie zur romanischen Mediävistik und zur Varietätenlinguistik des Lateinischen lassen sich auf seine genialen Studien aus den 1980er Jahren zurückführen. Nun zeigen die Gebiete der Schrift- und Medientheorie und der Mediävistik, dass man die Einteilung von Peter Kochs Werk in sprachexterne und sprachinterne Studien relativieren muss, denn sie sprengen den Rahmen der Sprachwissenschaft und sind eher im Bereich der Semiotik zu verorten. Doch ein weit gewichtigerer Grund, aus dem die Unterscheidung der internen und externen Sprachbetrachtung in Peter Kochs Werk nuanciert werden muss, besteht darin, dass die interne Betrachtung in seinen Arbeiten stets auch ein externes Element beinhaltet und die externe Betrachtung umgekehrt immer auch intern ist.





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Dies zeigt sich exemplarisch in seinem Begriff der Diskurstradition, den er als zweite historische Dimension der Sprache neben der „idiomatischen Norm“ von Coseriu konzipiert und dessen theoretisches Sprachmodell er damit erweitert. Die Diskurstraditionen sind Formen der sprachlichen Kommunikation, die mit bestimmten sozialen Funktionen verbunden sind. Im Zusammenhang mit diversen Kommunikationssituationen gibt es konventionelle Formen des Ausdrucks, die beispielsweise in mehr oder weniger formellen Konversationen (wie begrüßt man sich, was ist höflich), in der Kommunikation zwischen Lehrer und Schülern im Klassenzimmer, beim Abfassen eines Briefs an eine Behörde, in den Formulierungen eines Vertrags oder im Stil eines Zeitungsartikels üblich sind. Auch wenn diese Ausdrucksformen von sozialen, externen Faktoren abhängen, so sind sie doch nur durch lexikalische und grammatische Mittel realisierbar, unabhängig davon, dass die Diskurstradition selbst (etwa die Unterrichtsform oder der Vertrag) in verschiedenen Sprachen analog existieren kann.

Das Zusammenspiel der internen und externen Sprachbetrachtung in Peter Kochs Denken zeigt sich auch in der von ihm und Wulf Oesterreicher entwickelten Konzeption der Nähe- und Distanzsprache, für deren Definition und Beschreibung sie Faktoren aus den zwei Dimensionen „Kommunikationsbedingungen“ und „Versprachlichungsstrategien“ heranziehen. Analog zu den sozialen Funktionen und den Ausdrucksformen der Diskurstraditionen geht es dabei um externe Bedingungen der Kommunikation (Dialogizität vs. Monologizität, Privatheit vs. Öffentlichkeit, Spontaneität vs. Planung etc.) und um interne Strategien der Versprachlichung (Parataxe vs. Hypotaxe, lexikalische Variation vs. Wiederholung, phonischer vs. graphischer Kode etc.). Gerade diese Aufeinanderbezogenheit von sozialen und semiotischen Phänomenen in Diskursen und Texten macht die Faszination der „externen“ Sprachbetrachtungen von Peter Koch aus.

Was seine „internen“ Studien betrifft, so beschränken sich diese niemals auf rein strukturelle oder systemische Aspekte der Sprache, denn in seinem Denken gibt es – wie gesehen – keine geschlossenen Systeme. Demnach gibt es immer externe Faktoren, die auf die Formen des Sprechens und der Sprache Einfluss nehmen. Diese sind jedoch nicht nur im klassischen Sinne extern, betreffen also nicht nur die soziale Eingebundenheit von Sprache, sondern auch in einem anthropologischen Sinn, denn das Vermögen und die Tätigkeit des Sprechens sind nach Peter Kochs Auffassung untrennbar mit dem menschlichen Geist, mit der Kognition verbunden. Seine Schriften zur Semantik und Grammatik lassen erkennen, wie sehr onomasiologisch und semasiologisch erfassbare Strukturen von kognitiven Prinzipien geprägt waren und wie sehr die Motivationen sprachlicher Relationen und Strukturen das nicht grundsätzlich in Frage gestellte Arbitraritätsprinzip relativieren.

Ein weiterer für Peter Kochs Denken eminent wichtiger „externer“ Faktor ist die individuelle Kreativität der Sprecher. Sie ist der externe Stimulus, der sprachliche Systeme offen gestaltet, und durch sie entsteht die historische und soziale Dynamik der Sprachnormen. Dies erklärt die deutliche diachronische Ausrichtung von Peter Kochs Werk. Gemäß seiner Sprachauffassung sind synchrone Strukturen, ob motiviert oder arbiträr, nur die Momentaufnahme einer von der Sprechtätigkeit der Subjekte angetriebenen stetigen sprachlichen Entwicklung.





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Wenn wir uns die Mühe machen, die vielen Beiträge von Peter Koch zu überschauen und zu würdigen, können wir feststellen, dass sein wissenschaftliches Erbe nicht nur eine ungemein reichhaltige Sammlung an exzellenten Studien umfasst, sondern auch eine diesen Studien innewohnende Theorie der Sprache (langage) und der Sprachwissenschaft. Ein großer Romanist, Sprachwissenschaftler und Denker hat uns verlassen. Sein unfassbar ausgreifendes, bedeutendes Werk bleibt.