Łukasz Grzesiak, PhiN 68/2014: 59–66.

PhiN 68/2014: 59



Łukasz Grzesiak (Trier)



Irma Hyvärinen und Annikki Liimatainen (Hg.) (2011): Beiträge zur pragmatischen Phraseologie. Frankfurt am Main: Peter Lang. (= Finnische Beiträge zur Germanistik, 25)



Seit der Veröffentlichung des bahnbrechenden Werks von Harald Burger Idiomatik des Deutschen (1973) sind 40 Jahre vergangen. In der Forschungslandschaft wird dieses Datum als kräftiger Aufwind der deutschen Phraseologieforschung angenommen. Seit dieser Zeit hat sich die Phraseologie zu einem internationalen Forschungsgebiet entwickelt und ist eine eigenständige linguistische Disziplin geworden, was sich in der Anzahl neuer Publikationen, internationaler Tagungen oder neu gegründeter Gesellschaften für Phraseologie1 zeigt. Davon zeugt auch der hier zu besprechende Band, der von Irma Hyvärinen und Annikki Liimatainen herausgegeben wurde und in der Reihe "Finnische Beiträge zur Germanistik" erschienen ist. Der Sammelband enthält acht Beiträge, die – wie die Herausgeberinnen in ihrem Vorwort erläutern – auf die 2008 an der Universität Helsinki im Rahmen der EUROPHRAS-Tagungen abgehaltene phraseologische Tagung zurückgehen.

Der inhaltliche Schwerpunkt der Beiträge liegt auf einer relativ selten erforschten und von den meisten Sprachwissenschaftlern zur phraseologischen Peripherie zugeordneten Teilklasse der phraseologischen Einheiten, und zwar auf pragmatische Phraseologismen. Davon zeugt auch das neueste bibliographische Werk Wolfgang Mieders (2009), in dem rund 10.000 bibliographische Angaben zu in den letzten zwei Jahrhunderten erschienenen phraseologisch orientierten Veröffentlichungen verzeichnet sind. Darunter sind zwar auch etliche Positionen mit phraseopragmatischer Thematik zu finden, jedoch hat man den Eindruck, dass die aktuellen Problemfelder der Phraseopragmatik nur ausnahmsweise als Forschungsobjekt fokussiert werden. In dem vorliegenden Band finden sich nun Beiträge, in denen glottodidaktische, translatorische und (inter)kulturelle Aspekte der neueren angewandten Sprachwissenschaft zur Sprache kommen.

Den Sammelband eröffnet der forschungsgeschichtlich orientierte Aufsatz "Zur Abgrenzung und Typologie pragmatischer Phraseologismen – Forschungsüberblick und offene Fragen" von Irma Hyvärinen. Die Autorin wendet sich den elementaren Sachverhalten der heutigen Phraseopragmatik zu und konzentriert sich ausführlich auf definitorische und typologische Problemfelder pragmatischer Phraseologismen.




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Inhaltlich gliedert sich der Aufsatz in vier größere Kapitel. Im einleitenden Teil wird zuerst der Status pragmatischer phraseologischer Einheiten innerhalb des Sprachsystems diskutiert und – daran anschließend – die pragmatische Lesart solcher Phraseme erläutert. Darüber hinaus geht die Autorin auf die terminologische Vielfalt des phraseopragmatischen Felds ein und erstellt eine Liste der in der einschlägigen Literatur vorkommenden alternativen Termini zur Bezeichnung der Teilklasse von pragmatischen Phraseologismen. Das zweite Kapitel der Studie gibt eine ausführliche Darstellung der einzelnen Phasen der Theoriebildung von Harald Burger (1973), der als erster in der germanistischen Phraseologieforschung "der Phraseopragmatik Aufmerksamkeit geschenkt hat, auch wenn dem Thema nur ca. zwei Seiten (...) gewidmet werden" (14). Weiterhin untersucht Hyvärinen den Stellenwert pragmatischer Ausdrücke zuerst im Handbuch der Phraseologie, dem zweiten wegweisenden Werk von Harald Burger, Annelies Buhofer und Ambros Sialm (1982), wo schon "der pragmatischen Phraseologie recht viel Platz gewidmet [wird]" (15) und nimmt dann die Einführung in die Phraseologie von Burger (32007) unter die Lupe. Das dritte Kapitel wird den Klassifikationen von kommunikativen Formeln gewidmet, in dem sowohl die sich auf satzwertige Einheiten konzentrierenden Typologien als auch solche, denen die Satzwertigkeit und die Nicht-Satzwertigkeit zugrunde liegen, besprochen werden. In diesem Zusammenhang analysiert die Autorin die Monographie von Coulmas (1981), in der die theoretische Basis für die Einteilung der Grobklasse pragmatischer Phraseologismen in die situations- und sprechaktgebundene Routineformeln und multisituationell einsetzbare gesprächsspezifische Formeln zu finden ist. Aspekte der Grenzziehung zwischen Routineformeln und Gesprächsformeln werden vorgestellt und kritisch in Anlehnung an zwei Arbeiten von Stein (1995 und 2004) erörtert. Der abschließende Teil des Aufsatzes subsumiert die Ausführungen in vier zentralen Punkten, in denen sich die Autorin für eine Systematisierung der Bedeutungen der jeweiligen Termini ausspricht und einige Argumente für die erneute Diskussion zur syntagmatischen Rahmenstruktur der pragmatischen Phraseologismen nennt. Insgesamt stellt Irma Hyvärinen zum einen eine solide Einführung dar, die die terminologische und klassifikatorische Problematik der pragmatischen Phraseologie sachlich und problematisierend erörtert, und zum anderen liefert die Autorin eine aktualisierte, gründliche Synthese zur Theoriebildung innerhalb der Phraseopragmatik. Mit ihrem einführenden Artikel schafft Hyvärinen einen Bezugspunkt für weitere in dem zu besprechenden Sammelband publizierte Aufsätze und bildet auch einen Ausgangspunkt zu weitreichenden Reflexionen und Ansätzen für weitere phraseopragmatisch orientierte Forschungen.

Die zwei nächsten Beiträge führen ins Feld der glottodidaktischen Aspekte der Arbeit mit soziopragmatisch verfestigten sprachlichen Einheiten im fremdsprachlichen Unterricht.




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Da "bisher (...) keine wissenschaftlichen Artikel, die sich speziell mit der Akzentuierung von Phraseologismen bzw. RF [= Routineformeln] auseinandergesetzt haben, [existieren]" (45), beschäftigt sich Nicole Mackus als eine der ersten Autoren mit dem phonetischen Feld der Phraseologie (unter der besonderen Berücksichtigung der Prosodie von pragmatischen Phraseologismen) und stellt die Frage nach der "Akzentuierung von Routineformeln". Gegenstand der Untersuchung ist die Satzakzentuierung von zwölf satzwertigen Routineformeln: elf Kommentarformeln und einer Fluchformel. Die Auswertung der Ergebnisse erfolgt in vier Gruppen von je 40 muttersprachlichen und 10 nichtmuttersprachlichen Probanden. Den Auftakt bilden die Überlegungen zur Wichtigkeit der intonatorischen Aspekte in Bezug auf kommunikative Formeln, die wegen ihrer funktionalen Tragweite "immer wieder Stolpersteine für Fremdsprachenlerner" (46) sind. Die eindeutige Zuordnung von Routineformeln zu einer bestimmten Kommunikationssituation ist wegen ihrer pragmatischen Mehrfachkodierung unmöglich und fließend, die gleiche Formel kann – mit unterschiedlicher Intonation – multisituationell anwendbar sein und wirkt deshalb mit unterschiedlichen perlokutionären Effekten. Infolgedessen setzt die Autorin – in Anlehnung an Dieling (1991) – Wort- und Satzakzentfehler an die erste Stelle, weil sie "zu Irritationen, Verstehensschwierigkeiten, Missverständnissen oder gar Nichtverstehen führen" (46) können. Im Zuge der Analyse stellt sich heraus, dass der Satzakzent von Routineformeln variabel ist, und die Muttersprachler meist eins bzw. zwei Akzentmuster als richtig empfinden.

Der Beitrag von Marjo Vesalainen liefert eine Diagnose der mündlichen Sprachkompetenz finnischer DaF-Lerner und erforscht, inwieweit sich drei Hauptziele des fremdsprachlichen Unterrichts – die pragmatische, kognitive und affektive Dimension – in Bezug auf aktive Verwendung von kommunikativen Formeln bei der mündlichen Sprachproduktion äußern. Vesalainen diskutiert in seinem Beitrag, was die Sprachkompetenz ausmacht und wie die Komplexität dieses verflochtenen theoretischen Konstrukts zu erfassen ist. Dabei wird ein breites Verständnis von kommunikativen Formeln vertreten, das nicht nur situationsgebundene äußerungswertige Routineformeln, sondern auch situationsunabhängige nicht-äußerungswertige Gesprächsformeln umfasst. Den Forscher interessieren nicht nur die Fragen der "Bewertung und Beurteilung von mündlichen Sprachfertigkeiten finnischer Fremdsprachenlerner" (57), sondern auch "was für eine Rolle die Beherrschung kommunikativer Formeln bei der Bewertung der mündlichen Fertigkeiten spielt" (58). Nach einer kurzen Einführung zum Wesen und zur Rolle der kommunikativen Formeln im Fremdsprachenunterricht stellt der Autor das theoretische Fundament für den "Gemeinsamen europäischen Referenzrahmen für Sprachen" (= GeR) in Bezug auf die Beschreibung der mündlichen Fertigkeiten vor und konfrontiert die Evaluationsniveaus mit finnischen offiziellen Richtlinien für schulische Lehrpläne. Im zweiten Teil des Beitrags erfolgt die Auswertung des mündlichen Sprachtests. Die Ergebnisse der Untersuchung deuten ausdrücklich darauf hin, dass die im GeR festgelegten perfektionistischen Ansprüche der schulischen Realität entgegenstehen.




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Die zwei nächsten Beiträge befassen sich mit aktuellen Problemen der Phraseographie. Im Beitrag von Silke Lipinski "Zu Routineformeln im einsprachigen deutschen Lernerwörterbuch. Eine Untersuchung anhand von zwei Wörterbüchern" steht die kritische Auseinandersetzung mit der Wörterbuchpraxis in Bezug auf die metalexikographische Darstellung von Routineformeln in einsprachigen Lernerwörterbüchern zum Deutschen im Vordergrund. Der Beitrag von Marion Hahn, "Wie soll ich sagen – Konzeption eines deutsch-finnischen Wörterbuchs der kommunikativen Routineformeln", ist ebenfalls phraseographisch ausgerichtet, konzentriert sich aber auf die Erarbeitung der phraseologiekompatiblen lemmatischen, sublemmatischen und infralemmatischen Adressierung von pragmatischen Phraseologismen in einem bilingualen Wörterbuch.

Der Gegenstand der lexikographischen Analyse von Lipinski sind zwei aktuelle Lernerwörterbücher zum Deutschen, das PONS Großwörterbuch Deutsch als Fremdsprache (2008) und das in demselben Jahr erschienene WAHRIG Großwörterbuch Deutsch als Fremdsprache (2008). Der kritischen Analyse liegt das von der Autorin bearbeitete Instrumentarium in Form eines 30 Fragen umfassenden Kriterienkatalogs zugrunde. Der in vier Abschnitte unterteilte Katalog umfasst Fragen zur Rahmenstruktur, zur Mikrostruktur hinsichtlich Auffindbarkeit und Nennformschreibung, zur Mikrostruktur in Bezug auf semantische und pragmatische Angaben und letztlich Fragen zur sublemmatischen Adressierung des zu untersuchenden Wörterbuchs. Die von Lipinski gezogenen Schlussfolgerungen zeugen von der uneinheitlichen Aufnahme, Notation und Deskription von Routineformeln in den untersuchten Wörterbüchern, was bestätigt, dass diese Problemfelder nach wie vor in der lexikographischen Praxis vernachlässigt werden. Die lexikographische Notation und Beschreibung von Routineformeln entspricht dem aktuellen phraseologischen Forschungsstand nicht, zudem trifft man – wie Lipinski konstatiert – "auf ein vor dem Jahr 1982 anzusiedelndes Phraseologieverständnis" (87), und die Behandlung pragmatischer Äußerungen in Wörterbüchern bezieht sich auf die Spezifik solcher Formeln nicht, obwohl die metalexikographische Diskussion seit über 30 Jahren geführt wird.

Die uneinheitliche Notationspraxis zeigt, dass in den bisherigen Wörterbuchkonzeptionen den pragmatischen Phraseologismen keine besondere Aufmerksamkeit geschenkt wurde und die sprachlichen Besonderheiten solcher Ausdrücke außer Acht gelassen werden. Als eine Antwort darauf stellt Marion Hahn in ihrem Beitrag "Zur Konzeption eines deutsch-finnischen Wörterbuchs der kommunikativen Routineformeln" den Entwurf eines pragmatischen Wörterbuchs in elektronischer Form dar, der praktikabel erscheint. Den Ausgangspunkt für das lexikographische Konzept bildet die Beschreibung der für pragmatische Phraseologismen charakteristischen Merkmale und ihrer Situationsgebundenheit. Im Anschluss daran wird der innovative Ansatz zur expliziten Darstellung wichtiger Kriterien des Gebrauchs von Routineformeln entwickelt.




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Der diesbezügliche Verbesserungsvorschlag besteht darin, eine Formel in eine selbstkonturierte, typische Äußerungssituation (sog. lexikographisches Mikrodrama) einzubetten. Dadurch wird deutlich, welche kommunikative Umgebung die adäquate Äußerung verlangt. Der wichtigste methodische Neuansatz besteht in der Zuweisung der Parameter kommunikativer Funktion(en), kommunikativer Wirkung(en)/Intention(en), grammatisch-syntaktischer und kulturspezifischer Besonderheiten. Im zweiten Teil des Beitrags wird die Anwendung dieses innovativen Beschreibungsmodells der kommunikativen Phraseme anhand von vier deutschen Formeln mit ihren finnischen Entsprechungen illustriert.

Im Mittelpunkt der zwei weiteren Beiträge stehen deutsch-finnische Aspekte der kontrastiven Kulturlinguistik. Beide Aufsätze stellen die übersetzungsanalytischen Studien zur Problematik der pragmatisch festen phraseologischen Einheiten dar, werden jedoch aus zwei unterschiedlichen Perspektiven betrachtet. Annikki Liimatainen analysiert in ihrer Studie unter sprach-, kultur- und übersetzungsvergleichendem Aspekt eine besondere Untergruppe der pragmatischen Phraseologismen, emotive Formeln, und wählt dabei das onomasiologische Verfahren. Die unilateral und dagegen semasiologisch orientierte Studie von Irma Hyvärinen bietet dem Leser eine Rückschau auf "verschiedene Funktionen von Höflichkeitsformeln mit bitte und ihren finnischen Äquivalenten" (148). Die beiden Beiträge können sich als Mini-Praxis-Buch verstehen, dessen praxisorientierte Beispiele sich auf literarische Übersetzungspraxis stützen, weil die Autorinnen, neben der Reflexion über den Status konventionalisierter Formeln und die Problematik ihrer Wiedergabe in Übersetzungen, ausgiebige praxisorientierte Beispiele, Anleitungen und Vorschläge geben, die auf der vorher diskutierten Theorie basieren.

Einen willkommenen Beitrag zum Thema affektives Kommentieren legt Annikki Liimatainen mit ihrer Studie "Zur Wiedergabe der emotiven Formeln in deutschen und finnischen Übersetzungen" vor, umso mehr, als es wenige systematische und vergleichende Arbeiten zu dieser Problematik gibt. Die Autorin untersucht emotional-expressive Formeln und formuliert im Anschluss an die Ergebnisse ihrer Analyse die Annahme, dass die emotiven Formeln "auch innerhalb einer Kultur sozial geschichtet [sind] und (...) mit stilistischen und expressiven Konnotationen verbunden sein [können] – und (...) somit nicht ohne Weiteres auf eine andere Kultur übertragbar [sind]" (113). Ihre empirischen Erhebungen machen deutlich, dass Missverständnisse aus semantischen und/oder pragmatischen Interferenzen resultieren und dass die Beherrschung der Strategien der Wiedergabe emotiver Ausdruckformen eine hohe (inter)kulturelle, soziopragmatische und idiomatische Kompetenz voraussetzt. Die Autorin betont dabei zu Recht die Kommunikations- und Kontextbedingtheit der expressiven Funktion solcher Formeln bei der Übersetzung.




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Vor diesem Hintergrund hebt Liimatainen vor allem die Notwendigkeit einer Korrelation zwischen dem konkreten verbalen Verhalten und dem nonverbalen Kontext hervor. Mit ihrem Beitrag stellt die Autorin auch einen Versuch der Typologisierung emotiver Formeln dar, die sich an ihren Funktionen orientieren, und weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass "die funktionale Äquivalenz (...) jedoch keine absolute, sondern eine graduelle Qualität [ist]" (135).

Irma Hyvärinen stellt dagegen die höflichen Ausdrucksformen in den Mittelpunkt ihrer Betrachtung und konzentriert sich sodann auf die deutschen Höflichkeitsformeln mit bitte und ihre finnischen Äquivalente. An einem reichen Korpus von 34 in den letzten 25 Jahren in Deutschland und Finnland publizierten Büchern präsentiert die Autorin die Regelmäßigkeit ihres Vorkommens. Die Forscherin zeigt, dass die eigentlichen Ausdruckformen mit bitte zwar konventionell bleiben, jedoch in Bezug auf ihre Struktur, Präsentation, ihren Informativitätsgrad und Bezug zum Gesamttext ein breites Funktionsspektrum aufweisen. Dieser Einteilung liegt eine vielseitige Erfassung der Mehrdimensionalität von Höflichkeit zugrunde, verstanden hier als eine interkulturelle und soziopragmatische Kompetenz. Dem Kernpunkt des Beitrags – der Funktionstypologie von bitte – stellt die Autorin eine umfangreiche Einführung voran, in der zuerst der phraseologische Status von Höflichkeitsformeln und die Terminologie erörtert werden; darüber hinaus wird weiter mit dem Höflichkeitsbegriff operiert und auf einige quantitative und qualitative Unterschiede im Gebrauch von Höflichkeitsformeln im deutschen und finnischen Kulturkreis eingegangen. Daran schließen sich die kontrastiven Studien zur Positionierung der englischen Formel please zu der deutschen bitte und finnischen ole hyvä in Bezug auf Sprechakte des Bittens an. Hyvärinen greift aus der Fülle möglicher Fragestellungen diejenige der sprechakttheoretischen Realisierung der bitte-Formel heraus und erstellt anhand dreier einsprachiger deutscher Wörterbücher eine 10-klassige Funktionstypologie mit insgesamt 17 situativ unterschiedlichen Gebrauchsvarianten von bitte. Als Schlussbetrachtung überprüft die Verfasserin fünf deutsch-finnische Wörterbücher hinsichtlich des in ihnen kodifizierten Funktionsspektrums von bitte und analysiert, inwieweit die Ergebnisse ihrer kontrastiven Analyse den in Wörterbüchern vorgeschlagenen bitte-Äquivalenten entsprechen. An insgesamt 112 Belegen zeigt Hyvärinen Art und Ausmaß der Prototypizität der bitte-Sprechakte, einschließlich ihrer jeweiligen initiativen und reaktiven Realisierungsmittel, und bestätigt, dass der Gebrauch von bitte-Formeln von kulturspezifischen Präferenzen abhängt.

Den letzten Teil und zugleich den den Gesamtband abschließenden Artikel präsentieren Wiltrud Mihatsch und Jan Wirrer mit dem Titel "Phraseme der anderen Art: Ungenauigkeitssignale" in Bezug auf germanische und romanische Sprachen. Die Ungenauigkeitssignale stehen im Schnittpunkt von Phraseologie, Pragmatik, Relevanztheorie sowie Konversations- und Diskursanalyse und werden in dem zu besprechenden Beitrag unter dem Aspekt der syntaktischen, semantischen, morphologischen und phonologischen Fixierung untersucht.




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Im textuell-pragmatischen Bereich besteht die Grundfunktion der Ungenauigkeitsverfahren darin, "bei nichtversprachlichten Konzepten oder unbekannten Konzepten, Referenten oder Quantitäten die Identifikation zu gewährleisten" (220). Darüber hinaus verweisen die Ungenauigkeitssignale direkt auf Instanzen und Faktoren der Kommunikation und tragen zur Steuerung des Gesprächs bei. Obgleich die von Mihatsch und Wirrer untersuchten Einheiten auf die klassischen phraseologischen Merkmale nicht völlig zutreffen, "gehören sie zweifelsfrei in den Objektbereich der Phraseologie und sind nach phraseologischen Gesichtspunkten analysierbar" (222).

Die von den Autoren des vorliegenden Bands behandelten Themen und Probleme sind sowohl sprach- und kulturwissenschaftlich als auch fremdsprachendidaktisch von großer Relevanz. Die Komplexität der pragmatischen Phraseologismen als zwischen Wort und Satz angesiedelten sprachlichen Syntagmen aufgezeigt zu haben, ist ohne Frage ein Verdienst der Publikation. Dass sich die in den besprochenen Beiträgen präsentierten Anwendungsvorschläge über viele Inhaltsbereiche der angewandten Sprachwissenschaft erstrecken, trägt durchaus zum weiteren praktischen Nutzwert dieses Bandes bei. Insgesamt legen die Herausgeber einen gut konzipierten und ansprechenden Sammelband vor, indem sie anregende und weiterführende Fragen aufwerfen, nicht ohne zugleich auch Antworten bzw. klare Stellungnahmen zu liefern. Die Beiträge bieten viele interessante Einblicke in die Verknüpfung von theoretischen Überlegungen mit innovativen Vorgehensweisen und empfehlen sich in vielerlei Hinsicht als eine Fundgrube für Phraseologen, Didaktiker, Übersetzer und Lexikographen.



Bibliographie

Burger, Harald (1973): Idiomatik des Deutschen. Tübingen: Max Niemeyer.

Burger, Harald, Annelies Häcki Buhofer und Ambros Sialm (1982): Handbuch der Phraseologie. Berlin: Walter De Gruyter.

Burger, Harald (32007): Phraseologie. Eine Einführung am Beispiel des Deutschen. Berlin: Schmidt Erich.

Coulmas, Florian (1981): Routine in Gespräch. Zur pragmatischen Fundierung der Idiomatik. Wiesbaden: Akademische Verlags-Gesellschaft Athenaion.




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Cyffka, Andreas (2008) (Hg.): PONS Großwörterbuch Deutsch als Fremdsprache. Stuttgart: Ernst Klett.

Dieling, Helga (1991): "Nicht bagatellisieren. Phonetische Fehler im Fremdsprachenunterricht", in: Deutsch als Fremdsprache 28, 111–115.

Mieder, Wolfgang (2009): International Bibliography of Paremiology and Phraseology. Berlin: Walter de Gruyter.

Stein, Stephan (1995): Formelhafte Sprache. Untersuchungen zu ihren pragmatischen und kognitiven Funktionen im gegenwärtigen Deutsch. Frankfurt am Main: Peter Lang. (= Sprache in der Gesellschaft, 22)

Stein, Stephan (2004): "Formelhaftigkeit und Routinen in mündlicher Kommunikation", in: Wortverbindungen – mehr oder weniger fest. Hg. von Kathrin Steyer. Berlin: Walter de Gruyter, 262–288. (= Jahrbuch des Instituts für Deutsche Sprache 2003)

Wahrig-Burfeind, Renate (2008): WAHRIG Großwörterbuch Deutsch als Fremdsprache. Gütersloh: Bertelsmann Lexikon.



Anmerkung

1 Es handelt sich z.B. um die Europäische Gesellschaft für Phraseologie (EUROPHRAS), die Dänische Gesellschaft für Phraseologie (Dansk Selskab for Fraseologi DANFRAS), die Japanische Gesellschaft für Phraseologie u.a.