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Bettina Lindorfer (Berlin)



Annette Gerstenberg (2011): Generation und Sprachprofile im höheren Lebensalter. Untersuchung zum Französischen auf der Basis eines Korpus biographischer Interviews. Frankfurt/Main: Klostermann.



Allzu viel ist über das Sprechen im höheren Lebensalter noch nicht geforscht worden. Als biologische Angelegenheit liegt es den Geistes- und Kulturwissenschaften als Thema eher fern. Hier beschäftigt man sich höchstens mit "Generationen"; denn mit ihnen lässt sich die historische und kulturelle Dimension des Alters in den Vordergrund rücken und die Biologie kann außen vor bleiben. Das Gros der Forschung zu sprachlichen Aspekten des höheren Lebensalters findet somit nicht in der Sprachwissenschaft statt, sondern in der Neurobiologie bzw. den Kognitionswissenschaften. Um den Preis allerdings, dass die Sprache dort nur ganz selten im Zentrum steht; der Fokus liegt in der Regel auf allgemeinen Aspekten kognitiver Leistungsfähigkeit und das Sprechen ist nur mitgemeint.

In der Sprachwissenschaft wird der Faktor Alter in der Varietätenlinguistik abgehandelt. Allerdings verweist er hier traditionell auf die Jugend, deren innovative sprachliche Verfahren semantisch-lexikalischer Veränderungen einen nie versiegenden Quell der Forschung darbieten. Dem scheint mit dem Sprechen im höheren Lebensalter ein weniger schöpferisches Thema gegenüberzustehen. Schließlich sind es Defizitmarker wie Zerstreutheit, Langsamkeit, vielleicht noch Weitschweifigkeit, die als typische Merkmale der Sprache im höheren Lebensalter gelten. Umso verdienstvoller, dass Annette Gerstenberg ihre Habil zu diesem Thema geschrieben hat. In ihrem Buch Generation und Sprachprofile im höheren Lebensalter geht es um "normales Altern" (2), d.h. um regelhafte Veränderungen; pathologische Aspekte bleiben dagegen ausgespart.1

Während die traditionelle Versuchsanordnung der kognitionspsychologisch ausgerichteten Alternsforschung darin besteht, Gruppen von 15–30 älteren mit 15–30 jüngeren Personen zum Beispiel auf syntaktische Komplexität (Kemper 2009), auf Augenbewegungen beim Lesen oder auf die Ablenkbarkeit durch nicht aufgabenrelevante Informationen (Inhibition) zu vergleichen (Hasher/Zacks 1988), verzichtet Gerstenberg weitgehend auf solche Gegenüberstellungen. Ihr Gegenstand sind 56 biographische Interviews, die sie mit älteren Sprechern des Französischen im Jahr 2005 geführt hat und denen sie den sinnigen Namen LangAge gegeben hat.




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Die narrativ angelegten Gespräche wurden mit zumeist 70- bis 94-jährigen Französinnen und Franzosen aus Orléans geführt. Während ihre ältere Kerngruppe aus 48 Personen besteht, waren acht der Teilnehmer zwischen 45 und 70 Jahre alt. Das Korpus LangAge strebt zwar keine Repräsentativität an, durch die gemischte Zusammenstellung der Interviewgruppe wird aber doch der Anspruch erhoben, "exemplarisch die Frage zu erörtern, welche interne Struktur die vertretene Altersgruppe aufweist" (1).

Das Buch ist eine soziolinguistische Untersuchung, die sowohl qualitativ als auch quantitativ vorgeht: Einerseits sind die Interviews narrativ angelegt und werden qualitativ hinsichtlich kommunikativer Strategien ausgewertet2; andererseits werden diese Gespräche in Bezug auf Intonation, Wortschatz, Wortarten und morphosyntaktische Variation quantitativ analysiert mit dem Ziel, "somatische und kognitive Dimensionen der Sprache im höheren Lebensalter" sichtbar zu machen (6). Soziale Merkmale wie Geschlecht, Beruf, Schulbildung und Lebensstil sind neben den in den Gesprächen beobachteten sprachlichen Auffälligkeiten auf personenbezogenen Datenblättern – hier "Sprachprofile" genannt – festgehalten. Auf sie wird in den quantitativen Sprachanalysen zurückgegriffen.

Die zentrale Erkenntnis der Alternsforschung, dass es das Alter nicht gibt, sondern dass dieser Lebensabschnitt im Gegenteil durch Plastizität, Variabilität und Individualität (Baltes 2007: 16) gekennzeichnet ist, wird somit schon im Ansatz dieser Studie gewürdigt; denn neben dem Lebensalter werden Faktoren wie Herkunft, Bildung, (frühere) berufliche Tätigkeiten, derzeitiger Lebensstil nicht nur in den Datenblättern festgehalten, sondern auch in den Clusteranalysen berücksichtigt.

Wie in der Forschung üblich (Fiehler/Thimm 2003, Fiehler 2008) wird der Altersbegriff differenziert in numerisches, biologisches, soziales und interaktiv konstituiertes Alter: Während sich numerisch auf die Lebensjahre bezieht, stehen mit dem biologisch-medizinischen Alter die körperlich-geistige Verfassung, mit dem sozialen Alter der in einer Gruppe verkörperte gesellschaftliche Status und mit dem interaktiv hergestellten schließlich die age marker (z.B. kommunikative Strategien wie das Sprechen mit dominanter Vergangenheitsperspektive, alt- vs. jung-Kategorisierungen oder veraltete Ausdrücke) im Vordergrund (11). Interessant ist hier indes, dass der Altersbegriff mit dem soziologisch und historisch konturierten Begriff der Generation konfrontiert wird. Während Kognitions- und Psycholinguistik dies in der Regel vermeiden3 mit der Begründung, dass es gerade gelte, "Kohorteneffekte" zu eliminieren, geht es Gerstenberg nämlich darum, neben dem wesentlich Alterstypischen der einzelnen Sprachbeiträge auch die Generationszugehörigkeit sichtbar machen. Am deutlichsten wird dies in einigen von den Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Studie verwendeten veralteten Ausdrücken wie môme 'Kind', marelle 'Kinderspiel', vêpres 'Abendmesse',




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die von ihnen gelegentlich auch metadiskursiv markiert werden, mit Wendungen wie "ce qu'on appelait à l'époque ..." oder "comme on disait" (137–146).

Im einleitenden methodologischen und forschungsüberblickenden Teil wird auch die nicht frankophone, vor allem US-amerikanische, Forschung einbezogen, die Konzeption des Korpus begründet und der Interviewleitfaden vor dem Hintergrund des eigenen Erkenntnisinteresses vorgestellt. Der Hauptteil besteht aus 13 Kapiteln. Die ersten zwei sind Begriffsdefinitionen ("Generation", "Alter", "Gedächtnis") und der Aufarbeitung kognitions- und soziolinguistischer Ergebnisse der Alternsforschung gewidmet, bevor der Begriff des "Sprachprofils" fokussiert wird. Kapitel 3 begründet die Auswahl und Zusammenstellung der Interviewpartner/innen. Kapitel 4 beschreibt Methoden und technische Hilfsmittel, d.h. Aufnahme- und Transkriptionstechniken, Statistikprogramme, aber auch die Vergleichskorpora, auf die die Studie rekurriert; hier wird etwa das Korpus ESLO1, die zwischen 1968 und 1971 erhobene und mittlerweile digital verfügbare Enquête sociolinguistique à Orléans, vorgestellt und das synchrone Referenzkorpus C-ORAL-ROM. Kapitel 5 fächert die sieben sozialen Parameter auf, nach denen die Sprachprofile erstellt wurden – neben dem Lebensalter auch Geschlecht, Ausbildung, (frühere) berufliche Tätigkeiten, organisierte Aktivitäten der Befragten. Kapitel 6 problematisiert die Textsorte "Biographisches Interview". Kapitel 7 beschäftigt sich mit der "Relevantsetzung von Alter" seitens der Probanden durch Thematisierung ihrer Generationszugehörigkeit, aber auch ihrer Wortfindungsprobleme und Gedächtnislücken oder durch altersspezifische Themen und Ausdrücke. In Kapitel 8 wird der von den Interviewpartnern selbst thematisierte lexikalische Wandel herausgearbeitet, indem "diachronen lexikalischen Markierungen" wie in dem schon erwähnten "comme on disait à l'époque" nachgegangen wird. Kapitel 9 erstellt intonatorische Teilprofile der aufgenommenen Gespräche unter Berücksichtigung von Stimmhöhe, Länge und Pausen mithilfe des Programms Analor (für die Messung akustischer Eigenschaften wurde PRAAT verwendet). In Kapitel 10 wird mithilfe des Programms Cordial Analyseur die lexikalische Variation statistisch in Bezug auf Archaismen untersucht und im 11. Kapitel die Frequenz einzelner Wortarten ermittelt. Kapitel 12 fragt nach grammatischen Auffälligkeiten in Bezug auf (doppelte oder einfache) Verneinungspartikel und in Bezug auf die Bezeichnung der 1. Person Plural ("on" vs. "nous"), bevor Kapitel 13 die signifikanten Korrelationen für alle ermittelten Werte in der Gesamtgruppe vergleicht. Die Arbeit kommt hier zu dem Ergebnis, "dass die Variable Alter nur zu einem geringen Teil mit der sprachlichen Variation in Zusammenhang zu bringen ist" (247); das heißt die Variabilität innerhalb der untersuchten Gruppe war in fast allen Punkten deutlicher von anderen Faktoren als dem Alter bestimmt. Gerstenberg nennt zwei Ausnahmen: die Länge der Intonationseinheiten und, in einem geringeren Maße, den "Quotient von Substantiven auf Verben" (224). Ein weiteres Ergebnis der Studie ist, dass sich die berufliche Tätigkeit mehr als alle anderen Parameter auf das sprachliche Profil,




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insbesondere auf die morphosyntaktischen Merkmale nous und ne der untersuchten Personen auswirkte. Im 70-seitigen Anhang sind die 56 Datenblätter wie auch die erste Minute der Interviews programmgestützt transkribiert und annotiert abgedruckt. Neben einem Register der anonymisierten Teilnehmer und Teilnehmerinnen gibt es dankenswerterweise auch ein – wenn auch ausbaufähiges – Sachregister.

Auch wenn die Verfasserin verschiedentlich deklariert, dass ihre Studie "nicht nach Besonderheiten der Altersgruppe [die über 70-Jährigen; B.L.] im Unterschied zu anderen", sondern vielmehr nach den Strukturen innerhalb der untersuchten Gruppe frage (8) bzw. dass "aus der sprachlichen Heterogenität der betrachteten Altersgruppe Strukturen und Gruppen von Sprechern ähnlicher Sprachprofile" (5) und eben nicht ein homogenes Subsystem einer "Alterssprache" entworfen werden soll (2), geht es ihr durchaus auch um die Besonderheiten der Sprache im Alter. Das wird zum Beispiel da deutlich, wo notiert wird, dass nicht nur "individuelle und gruppenspezifische Ebenen der Variation", sondern eben auch "altersgebundene Spezifika" erfasst werden sollen (149). Als Vergleichsgrößen hierbei dienen ihr zum einen die erwähnten acht 'randständigen' Gesprächspartner/innen zwischen 45 und 70 Jahren, zum anderen das diachrone und das synchrone Vergleichskorpus ESLO und C-ORAL-ROM wie auch Beschreibungen der Standardsprache, die sich bekanntlich in der Regel auf 'mittelalte' Erwachsene beziehen; denn auch in der Linguistik werden sowohl "Jugend" als auch "(höheres Lebens-)Alter" als Abweichungen von einer nicht näher definierten mittleren Erwachsenengruppe verstanden, deren Sprache stillschweigend als "unmarkierte Norm" gilt (Zimmermann 1990: 238).

Ein Grundproblem der Forschung zum höheren Lebensalter ist, dass sie einerseits auf übergreifende und alterstypische Stilmerkmale ("patterns"), andererseits aber auch auf individuellen und persönlichen "Stilmix" trifft (5). Als Merkmale des Altersstils werden in der vorliegenden Studie insbesondere die "Relevantsetzungen des Alters" thematisiert, d.h. Bemerkungen, in denen die Sprechenden ihr Alter erst interaktiv konstruieren. Sie tun dies z.B. in metadiskursiven Bemerkungen – häufig eingeleitet durch Wendungen wie "quand on vieillit","quand on arrive à un certain âge" (128ff.) –, in denen sie selbst ihr Alter als wichtige Variable kennzeichnen.

In den quantitativen Sprachanalysen zielt die vorliegende Studie nicht auf einzelne sprachliche Merkmale ab, sondern auf Merkmalskombinationen, mit Hilfe derer Subgruppen gebildet werden. Dazu wird das multivariante Verfahren der hierarchischen Clusteranalyse angewendet (7 und 79ff.), dessen Ergebnisse in Baumdiagrammen abgebildet sind (188 und 217). Die Methode der hierarchischen Clusterbildung folgt dialektologischen und soziolinguistischen Ansätzen: Die Befragten werden zunächst unter dem Gesichtspunkt ähnlicher Merkmalskombinationen gruppiert und erst in einem zweiten Schritt werden die Merkmale selbst fokussiert (8).




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Hierbei legt die Analyse den Akzent einerseits auf intonatorische und andererseits auf "lexikalisch-syntaktisch-morphosyntaktische" Häufungen (8). Bei der Auswertung werden wie erwähnt auch die von den Befragten erhobenen Daten der Sprachprofile herangezogen.

Um gleichermaßen erlernte Muster, individuelle Gestaltungen und Anzeichen somatischer und kognitiver Bedingungen einbeziehen zu können, konzentriert sich die Erstellung intonatorischer Teilprofile auf die période intonative (150f.): Der Tonhöhenverlauf, die Dauer der Intonationseinheiten und die Pausenlängen (nicht aber Akzent und Intensität) der ersten Minute von 54 Interviews wurden gemessen und mit anderen Altersgruppen in Beziehung gesetzt (164). Die Messungen bestätigen bisher vorliegende Befunde, dass es nämlich eine alterstypische Tendenz zu kürzeren Intonationseinheiten gibt. Während sie im Allgemeinen "mit der abnehmenden Leistungsfähigkeit der Lunge in Verbindung gebracht" wird (169), will Gerstenberg ihr Ergebnis jedoch "nicht monokausal bewertet" wissen mit Verweis darauf, dass es auch einen "erhöhten kognitiven Planungsaufwand" zu berücksichtigen gelte (172). Die in der Forschungsliteratur bei isoliert ausgesprochenen Vokalen festgestellte Zunahme von Pausenlängen im höheren Lebensalter bestätigen ihre narrativen Interviews nicht (173). Und auch in Bezug auf die Frequenz einzelner Wortarten kommt sie zu dem Ergebnis, dass "weder Einzelwerte für Substantive und Verben noch der Quotient von Substantiven auf Verben (...) eine deutliche Korrelation mit dem Lebensalter" (224) aufweist. Deutlicher abgegrenzt ist ihre Altersgruppe jedoch in der Bezeichnung der 1. Person Plural: "Eine offenbar generationsspezifisch noch vorhandene Verwendung von nous" ist festzustellen – allerdings auch, "dass individuelle Verwendungsweisen über den erwartbaren Gebrauch nach Alter dominieren" (245). In diesem Punkt unterstreicht die Untersuchung erneut, dass Pauschalisierungen in Bezug auf Alter und Generationen mit Vorsicht zu genießen sind.

Die für die Korpuserstellung verwendete Methode des biographischen Interviews wurde in der Romanistik bislang fast ausschließlich in der Migrationslinguistik eingesetzt, um mobile Mehrsprachigkeit aus der Perspektive der jeweiligen Sprecher beleuchten zu können. Mit dieser Methode (vgl. Schütze 1983) wird die Strategie verfolgt, "eine monologische Dominanz der Interviewpartner zu unterstützen bzw. zu erreichen" (109). In den Interviews von Generation und Sprachprofile im höheren Lebensalter sind allerdings sowohl die Nationalität als auch das Alter der Interviewerin gegenüber ihren Gesprächspartner/inne/n markiert4 . Das autobiographische Erzählen wird auch in der künstlich hergestellten Gesprächssituation des Interviews als eine "Diskurstradition 'von universaler Natur'" aufgefasst (109): Die Wahl des Ortes durch die Interviewten, ihr durchgängiger Blickkontakt zur Interviewerin während des Gesprächs und ihre Möglichkeit, den Verlauf mitzubestimmen, gewährleisteten einen weitgehend natürlichen Gesprächsablauf, auch wenn dieser durch geplante Fragen und Themen vorstrukturiert gewesen sei (115).




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Allerdings muss die Verfasserin angesichts der Probleme jüngerer Befragter, die gewünschte Erzählhaltung der "monologischen Dominanz" einzunehmen, zugestehen, dass das Interview "nur eingeschränkt für unterschiedliche Altersgruppen eingesetzt werden kann" (118): "Je jünger die Gesprächspartner werden, desto unfertiger ist der autobiographische narrative Vorrat" (3).

Naturgemäß akzentuiert der mikroperspektivische Zugang des Gesprächs die Erfahrung der Individuen. In der Migrationslinguistik tut er dies mit dem Ziel, überindividuelle Typen von Erfahrungen und Sprechweisen aufzuzeigen. Während migrationslinguistische Interviews also die Sprachproblematik der Individuen beleuchten und diese (in ihrer Typizität) als Erfahrungs- bzw. Sprachträger in den Vordergrund rücken – oft mit einem Akzent auf den Sprachattitüden bzw. dem Sprachbewusstsein (Franceschini 2005 und 2010; Adamzik 2002) –, interessiert sich Gerstenberg zweifellos mehr für die Gruppe, deren Sprachmaterial nach bestimmten Strukturmustern analysiert wird. Schon in ihrer Bestimmung des biographischen Interviews "als eine elizitierte Textsorte der mündlichen Kommunikation zwischen Gesprächspartnern unterschiedlichen Alters und unterschiedlicher Nationalität" (115f.), zeichnet sich ab, dass die Verfasserin bemüht ist, die "weiche" Zugangsart des Gesprächs formallinguistisch abzustützen bzw. zu bezwingen. In den quantitativen Analysen geschieht dies durch eine ganze Artillerie von akribisch austarierten, oft programmgestützten Auswertungsstrategien. Während also im Vordergrund versucht wird, eine weitgehend natürliche Gesprächsatmosphäre herzustellen, durchleuchtet die linguistische Analyse das dabei Gesagte kaum nach inhaltlichen, sondern gezielt nach formal-sprachlichen Aspekten. So werden die Aufnahmedaten durch das computerphilologische Programmsystem TUSTEP verwaltet und verarbeitet, es werden statistische und graphische Analysen durch das Programm R durchgeführt (9) und anderes mehr. Das eindrucksvolle Manövrieren mit den angeführten Hilfsmitteln kann jedoch nur bedingt über den Verlust der Stimmen der Befragten hinwegtäuschen; die gehen nämlich nicht nur insofern verloren, als sie aus Diskretionsgründen nicht publiziert werden, sondern vor allem insofern als die quantitative Analyse sich nirgends ihren Aussagen zuwendet. Das, was die alten Leute sagen, kommt in dieser Studie nicht zu Wort.

Auch wenn der Text manchmal etwas eilig wirkt, ist die Studie in weiten Teilen gut lesbar. Besonders muss man aber anerkennen, dass sie eine Pionierleistung ist, eine Pionierleistung, die sich angesichts der großen Forschungslücken auf diesem Gebiet – gerade in der Romanistik – viel vorgenommen hat. Das (numerische) Alter ins Zentrum zu stellen und über den Begriff der Generation auch einen varietäten- bzw. soziolinguistischen Zugang zu suchen, erfordert einen Balanceakt zwischen Sozio- und Kognitionslinguistik, der Annette Gerstenberg gut gelungen ist.




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Bibliographie

Adamzik, Kirsten (2002): Biografie linguistiche. Biographies langagières. Sprachbiografien. Neuchâtel: Institut de Linguistique de l'Université.

Baltes, Paul B. (2007): "Alter(n) als Balanceakt: Im Schnittpunkt von Fortschritt und Würde", in: Peter Gruss (Hg.): Die Zukunft des Alterns. Die Antwort der Wissenschaft. München: Beck: 15–34.

Hasher, Lynn; Zacks, Rose T. (1988): "Working memory, comprehension, and aging: a review and a new view", in: The Psychology of Learning and Motivation 22: 193–225.

Fiehler, Reinhard (2008): Altern, Kommunikation und Identitätsarbeit. Mannheim: Institut für Deutsche Sprache.

Fiehler, Reinhard; Thimm, Caja (Hg.) (2003): Sprache und Kommunikation im Alter. Opladen usw.: Westdeutscher Verlag.

Franceschini, Rita (Hg.) (2005): In einer anderen Sprache. Stuttgart usw.: Metzler.

Franceschini, Rita (Hg.) (2010): Sprache und Biographie. Stuttgart/Weimar: Metzler. Themenheft LiLi, 160.

Kemper, Susan (2009): "The role of working memory in language development over the lifespan", in: Kees de Bot; Robert W. Schrauf (Hg.) Language Development over the Lifespan. New York u. London: Routledge: 271–287.

Lindenberger, Ulman u.a. (Hg.) (2010): Die Berliner Altersstudie. 3., erw. Aufl. Berlin: Akademie.

Schütze, Fritz (1983): "Biographieforschung und narratives Interview", in: Neue Praxis 3: 283–293.

Zimmermann, Klaus (1990): "Französisch: Sprache und Generationen", in: Lexikon der Romanistischen Linguistik. Bd. V,1: Französisch. Hg. v. Günter Holtus, Michael Metzeltin und Christian Schmitt. Tübingen: Niemeyer: 238–247.



Anmerkungen

1 Zum Stichwort Normalität des Alterns sei angemerkt, dass in Bezug auf Hochbetagte eigentlich auch pathologische Entwicklungen der Kognition berücksichtigt werden müssten; denn während z. B. weniger als 5% der 70-Jährigen an Demenzkrankheiten leiden, sind etwa 15% der 80-Jährigen und fast 50% der 90-Jährigen davon betroffen (vgl. Baltes 2007: 27).




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2 Die Fragetechnik ist an die von Schütze entwickelte Technik des narrativen Interviews angelehnt und soll zu längerem Erzählen anregen (3).

3 Eine Ausnahme ist die Berliner Altersstudie, die übrigens in ihrer 3. Auflage auch längsschnittlich erhobene Daten auswertet; vgl. Lindenberger u.a. 2010.

4 Die Homogenität der Textsorte ist dadurch garantiert, dass die älteren Sprecher des Französischen immer von derselben jüngeren Deutschen interviewt werden und somit kein style-shift durch wechselnden Adressatenbezug verursacht wird (109).