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Brigitte Jostes (Berlin)



Anno 2008: Internationales Sprachenjahr und internationale Fragen der sprachlichen Bildung



The International Year of Languages 2008 and International Issues of Linguistic Education
In retrospect, significant parallels can be drawn between the International Year of Languages 2008, which was initiated by the United Nations General Assembly and was coordinated by UNESCO, and the European Year of Languages 2001, which was a joint initiative of the Council of Europe and the European Union. In both cases 'the Year' passed with little public notice, and ended with the insight that a shared interest in languages by no means goes hand in hand with common views on language policy. Moreover, the status in the education systems of mother tongues on the one hand and foreign languages or trans-regional linguae francae on the other was discussed intensely in both instances.
Against the background of the current debate on the influence of international educational organisations on national educational systems and concepts, the present article asks whether UNESCO has a specific role to play in the area of language education, and what (eurocentrically determined) blindspots in language education concepts become visible when one looks beyond the borders of Europe.



1 Sprachenjahre und Sprachenfragen

Das Internationale Jahr der Sprachen 2008, ausgerufen von den Vereinten Nationen und organisiert von der UNESCO, reiht sich ein in eine Folge sprachenbezogener Jahre: 2001 haben Europarat und Europäische Union gemeinsam das Europäische Jahr der Sprachen ausgerufen, auf Initiative eines amerikanischen Fremdsprachenlehrerbandes wurde mit Unterstützung der US-Regierung 2005 in den USA das Year of Languages gefeiert, die Afrikanische Union zelebrierte 2006/2007 anlässlich des 20. Jahrestags des Language Plan of Action for Africa das Jahr der afrikanischen Sprachen und Deutschland befand sich 2010 im Jahr der deutschen Sprache.

Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen dem Europäischen Sprachenjahr 2001 (ESJ) und dem Internationalen Sprachenjahr 2008 (ISJ) stellen im Folgenden den Ausgangspunkt für internationale Fragen der sprachlichen Bildung dar.1




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In organisatorischer Hinsicht ähneln sich die Strukturen solcher Jahre: Die organisierenden Institutionen verkünden allgemeine Ziele der sprachenbezogenen Jahre und stellen mithilfe von Logos, interaktiven Veranstaltungskalendern und zentralen Eröffnungs- und Abschlussfeiern einen Rahmen für all jene bereit, die sich mit Veranstaltungen, Projekten und Diskussionen beteiligen wollen. Es folgen Evaluationen und Berichte, die neben Auflistungen der Aktivitäten auch die sprachenpolitischen Debatten des Jahres bilanzieren sowie Pläne und Überlegungen zur Nachhaltigkeit des Jahres beinhalten.

Interessanter sind Parallelen und Unterschiede in inhaltlicher Hinsicht. Strategisch und diskursiv eingebunden werden diese Jahre in mehrjährige Programme oder langfristige Ziele. Für die EU stand das Jahr 2010 als Zielmarke für die im Jahr 2000 beschlossene so genannte "Lissabon-Strategie", bis zu der die EU eigentlich zum "wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensgestützten Wirtschaftsraum der Welt" gemacht werden sollte. Eine weitere Zusammenarbeit der europäischen Bildungsminister wurde im Jahr 2009 bis zum Jahr 2020 beschlossen. Ein wichtiges Ziel des hiermit verbundenen Arbeitsprogramms der Bildungsminister aus dem Jahre 2002 stellt die Ausweitung der Fremdsprachenkenntnisse der Europäer dar, die auf die Formel "Muttersprache plus zwei Fremdsprachen für alle" gebracht wurde. Wie im ESJ 2001 so auch im Arbeitsprogramm: Im Sprachbildungsdiskurs der EU genießen Fremdsprachenkenntnisse seit jeher besondere Beachtung. Dies hat einerseits mit der äußerst begrenzten Zuständigkeit der EU im Bildungsbereich zu tun. Betrachtet man Fremdsprachenkenntnisse jedoch als "transnationales sprachliches Kapital" (Gerhards 2010), so fügt sich der ihr zugemessene Stellenwert im ESJ wie auch im Arbeitsprogramm der Bildungsminister in den Gesamtrahmen einer ursprünglich ökonomisch motivierten Zusammenarbeit. Ganz anders als bei der UNESCO, wo Muttersprachen und der Kampf für Muttersprachen-basierten Unterricht schon lange im Zentrum stehen, wird die Bedeutung muttersprachlicher Kompetenzen im EU-Bildungsdiskurs erst in den letzten Jahren erwähnt; so etwa im Europäischen Referenzrahmen für die "Schlüsselkompetenzen für lebenslanges Lernen" aus dem Jahre 2006.

Im Jahr 2000 beschlossen auch die Vereinten Nationen mit der so genannten Millenniumserklärung gemeinsame Ziele, die bis zum Jahr 2015 erreicht werden sollen. Diese, wie auch die Ziele der von der UNESCO geführten Bewegung Education for all, wurden in bildungsbezogener Hinsicht mit dem ISJ 2008 verknüpft. Zugleich wurde das Sprachenjahr aber auch eng verbunden mit dem Auftrag der UNESCO, das kulturelle Erbe der Welt zu schützen. Schließlich wurde mit der im Jahr 2003 verabschiedeten Konvention zur Erhaltung des immateriellen Kulturerbes (Intangible Culture Heritage) den in Absatz 2a genannten "mündlich überlieferte[n] Traditionen und Ausdrucksformen, einschließlich der Sprache als Träger immateriellen Kulturerbes" ein prominenter Platz zugewiesen. Es ist diese Verbindung von Bildung (mit einem Schwerpunkt auf Alphabetisierung) einerseits und Schutz bedrohter Sprachen andererseits, die mit ihrem darin enthaltenen Konfliktpotential die (kaum an die Öffentlichkeit gelangten) Diskussionen im Internationalen Sprachenjahr und darüber hinaus prägen.




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Nicht nur das Europäische Sprachenjahr, auch das Internationale wurde in ihrem Verlauf nur marginal von der Öffentlichkeit zur Kenntnis genommen:

The news that there was to be an International Year of Languages in 2008 was received with great acclaim around the linguistic world – once they heard about it! I saw no announcement in the press, and learned about it almost by accident. And the general public is still largely ignorant of it. (Crystal 2008: 215)

Beendet wurden beide Jahre mit der Einsicht, dass ein geteiltes Interesse für Sprachen keineswegs mit geteilten sprachenpolitischen Ansichten einhergehe. Hier wie dort wurde insbesondere der Stellenwert von Muttersprachen einerseits und Fremdsprachen bzw. überregionalen Verkehrssprachen andererseits in den Bildungssystemen diskutiert. Indes könnten die Unterschiede zwischen Europa und der UNESCO-Welt kaum größer sein, wenn man danach fragt, welche der möglichen Positionen sich jeweils die Verteidigung der Viel- und Mehrsprachigkeit auf die Fahnen geschrieben hat: Während die Verbreitung des Content and Language Integrated Learning (also Sachfachunterricht in der Fremdsprache) ganz oben auf der europäischen Agenda steht, steht die UNESCO gerade für Programme, mit denen Raum für die Muttersprachen in der institutionellen Bildung (gegen die großen Verkehrssprachen) erkämpft werden soll. Dass die Situation in Europa so anders ist, liegt natürlich insbesondere an der spezifischen europäischen Sprachgeschichte, die zu zahlreichen voll ausgebauten Kultursprachen führte. Das Lesen- und Schreibenlernen in der Muttersprache (bzw. in der zu unserer muttersprachlichen Varietät gehörenden Standardsprache) erscheint den Europäern heute quasi natürlich.

Vor dem Hintergrund der gegenwärtigen Debatte um den Einfluss internationaler Bildungsorganisationen auf nationale Bildungssysteme und -konzepte nimmt der vorliegende Beitrag das Internationale Jahr der Sprachen 2008 zum Anlass, nach einer möglichen spezifischen Rolle der UNESCO – die hier insbesondere in der Gegenüberstellung mit der EU deutlich gemacht wird – im Bereich der sprachlichen Bildung zu fragen. Gerade durch die anders gelagerten Schwerpunkte der UNESCO – der Kampf gegen das (so genannte) Sprachensterben einerseits (das als ein Verlust von Wissen inszeniert wird) und das Ziel der "Bildung für alle", in dessen Zentrum die Alphabetisierung (mit den Problemen der Wahl der Unterrichtssprachen für die kleinen Sprachen) steht andererseits – könnten eurozentrisch bedingte Fokussierungen und blinde Flecken sichtbar werden. Hierzu zählt insbesondere die nahezu ausschließliche Fokussierung auf die Frage, welche und wie viele Sprachen als Fremdsprachen gelernt werden sollen. Abgelenkt wird damit sowohl von der viel zentraleren Frage nach den Unterrichtssprachen als auch von der damit verbundenen Frage nach dem Erwerb von elaborierten Sprachformen – Fragen, die in sprachenpolitischer Hinsicht natürlich untrennbar mit Schriftlichkeit und somit mit Standardisierung und Ausbau der Sprachen verbunden sind.




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In bildungspolitischer Hinsicht wirft die zunehmend von internationalen Bildungsorganisationen beeinflusste sprachliche Bildung aber noch mehr Fragen auf als die Gewichtungen zwischen den Sprachen der Nähe (Muttersprachen, lokale oder regionale) auf der einen und den Sprachen der Distanz (Verkehrssprachen mit größerer kommunikativer Reichweite) auf der anderen Seite. Über die jeweilige Sprachenwahl hinaus stellt sich die Frage nach den Funktionen und Zielen der sprachlichen Bildung, die immer an mehr oder weniger explizite anthropologische und sprachtheoretische Modelle gekoppelt sind.

Im folgenden Abschnitt werden Ziele und Ergebnisse des Internationalen Sprachenjahrs näher beleuchtet. Im Anschluss daran folgt die Einbettung dieser Initiative in den größeren Kontext der sprachlichen Bildung der UNESCO: Im Zentrum steht hier neben der literacy insbesondere die multilingual education. Im darauf folgenden Abschnitt wird die Sprachbildungspolitik der UNESCO weiter eingebettet in den größeren Zusammenhang von globalen Bildungsdiskursen mit dem Fokus auf Sprache und ihren inhärenten Polen von Nähe und Distanz: Im "entgrenzten Raum" müssen diese weltweit neu bewertet und die Besetzung dieser Pole mit konkreten Einzelsprachen neu ausgehandelt werden. Im abschließenden Fazit wird die Frage aufgeworfen, ob sich in den Sprachbildungsdiskursen der internationalen Bildungsorganisationen – trotz aller world polity – noch Unterschiede im Hinblick auf anthropologische Modelle ausmachen lassen.


2 Das Internationale Jahr der Sprachen 2008

2.1 Ziele

"In effort to promote unity in diversity, global understanding": Mit diesem Zusatz, dessen erster Teil an das Europa-Motto erinnert, erklärte die Generalversammlung der Vereinten Nationen am 16. Mai 2007 das Jahr 2008 zum Internationalen Jahr der Sprachen. Die Initiative für dieses Sprachenjahr ging von Österreich aus, mit der Organisation des Jahres wurde die UNESCO beauftragt, "Languages Matter!" lautete der Slogan des Jahres, eine Internetseite mit Broschüre (UNESCO 2008a), Informationen und Logo wurde eingerichtet.2 Eröffnung und Abschluss des Jahres wurden jeweils am International Mother Language Day, dem 21. Februar, feierlich begangen, so dass das Sprachenjahr in das Jahr 2009 hineinragte.

Der damalige UNESCO-Generaldirektor Koichiro Matsuura gab dem Jahr eine Mitteilung mit auf den Weg, von der schon ein kurzer Auszug grundlegende Prinzipien verdeutlicht:




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Languages are indeed essential to the identity of groups and individuals and to their peaceful coexistence. They constitute a strategic factor of progress towards sustainable development and a harmonious relationship between the global and the local context. Only if multilingualism is fully accepted can all languages find their place in our globalized world.3

Zunächst wird hier die Bedeutung der Sprachen für den grundlegenden Auftrag der Friedenswahrung betont. Über die friedliche Koexistenz von Gruppen und Individuen hinaus wird schon in dieser zentralen Mitteilung die Beziehung zwischen dem Globalen und dem Lokalen thematisiert: Das Ziel einer harmonischen Beziehung, für das die Sprachen einen strategischen Faktor darstellen sollen, verweist erstens auf ein konfliktbeladenes Verhältnis zwischen dem Globalen und dem Lokalen. Es verweist zweitens auf die kommunikative Dimension von Nähe und Distanz, deren Pole und dazwischen liegenden Bereiche zwar jeder einzelnen Sprache inhärent sind, jedoch im Rahmen der sprachlichen Arbeitsteilung in der Regel verschiedenen Einzelsprachen zugeordnet werden. So lässt sich bereits aus diesem kurzen Auszug aus der Mitteilung zum Internationalen Sprachenjahr schließen, dass das Ziel der individuellen Mehrsprachigkeit als der Besitz eines verbalen Repertoires konzipiert wird, in dem neben Sprachen mit großer kommunikativer Reichweite für das Globale auch Varietäten/Sprachen für das Lokale und Nahe ihren Platz haben. Entsprechend wird der Begriff der multilingual education an verschiedenen Stellen als dreisprachige Erziehung/Bildung präzisiert: Sie solle die Muttersprache, eine regionale oder nationale sowie eine internationale Sprache umfassen (vgl. UNESCO 2009a: 1).

Und auch für die UNESCO stellen die Sprachen natürlich einen ökonomischen Faktor dar; eine nachhaltige Entwicklung (sustainable development) ist nicht von ökonomischen Fragen zu trennen. Diese Zusammenhänge von Entwicklung und Sprachen werden explizit gemacht in der Verbindung des Sprachenjahrs mit den Millenniums-Zielen:

1) Linguistic factors play a strategic role in the eradication of extreme poverty and hunger (Millennium Development Goal 1) as the ability to obtain a livelihood, to participate in social and public life and to engage in dialogue is dependent, to a great extent, on language skills. Marginalization vs integration, exclusion vs empowerment, poverty vs development are heavily affected by linguistic policies and practices.
2) As a principal medium of knowledge transmission, languages are essential to achieving universal primary education (Millennium Development Goal 2) and responding to HIV and AIDS, malaria and other diseases (Millennium Development Goal 6). To be effective and adapted to the culture and needs of learners, education (including health education) and literacy programmes must be delivered in languages understood by those learners.
3) Inasmuch as languages enfold and convey local and indigenous knowledge and knowhow of the natural milieu, sound management of natural resources is also linked to the protection and promotion of languages. For this reason, languages are also strategic for environmental sustainability (Millennium Development Goal 7).
4) Finally, the actual enjoyment of fundamental rights (expression, education, participation in cultural life, benefiting from scientific progress) is conditioned to a large extent by linguistic factors. Appropriate language policies thus provide an essential medium for exercising those rights. (UNESCO 2008a: 1f.) 4




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Vor dem Hintergrund von Armut und Hunger in der Welt geht es um die Befähigung zu gesellschaftlicher Teilhabe und um die sprachlichen Voraussetzungen von Bildung und Aufklärung insbesondere im Bereich der Gesundheit. Sprachen und Sprachkenntnisse werden mit dieser Ankopplung an die Millenniumsziele also diskursiv mit existentiellen Fragen des menschlichen Überlebens verknüpft.

Der hier evozierte Kontext, in den das Sprachenjahr gestellt wird, könnte kaum in einem größeren Kontrast zum diskursiv evozierten Kontext des Europäischen Sprachenjahrs stehen, für den die Lissabon-Strategie exemplarisch ist: Während die Vormachtstellung in der ökonomischen Wettbewerbsfähigkeit im Kontext der Wissensgesellschaft den europäischen Diskurs prägt, grundieren Bilder von Armut, Hunger, Ausgrenzung und Seuchen den UNESCO-Diskurs.

Spezifisch für den UNESCO-Diskurs ist die Verbindung von Naturschutz und sprachlicher Vielfalt, wie sie unter Punkt 3 begegnet: Sprachen werden als Träger tradierten Wissens insbesondere über die natürliche Umgebung konzipiert und insofern trage der Erhalt der zahlreichen unverschrifteten Klein- und Kleinstsprachen zum Erhalt der natürlichen Umwelt bei. Dieser Gedanke wird insbesondere vom Projekt Terralingua vertreten, das der UNESCO nahesteht und zu dessen Unterstützern neben zahlreichen anderen Linguisten auch die Finnin Tove Skuttnab-Kangas zählt. Die für ihren Kampf um linguistic human rights bekannte Skuttnab-Kangas taucht immer wieder als Expertin für sprachenpolitische Fragen in den Debatten der UNESCO auf5 und ihr Argumentationsmuster der Verschränkung von sprachlicher Diversität einerseits und Biodiversität andererseits scheint einen prägenden Einfluss auf den sprachenpolitischen Diskurs der UNESCO zu haben.

Völlig zu Recht wird von vielen Sprachwissenschaftlern und Soziologen diese diskursive Verschränkung von Biologie und Sprache kritisch betrachtet: So wurde die unangemessene Rede vom "Sterben" der Sprachen von Theodor Elwert (1985) grundlegend behandelt, gegenwärtig verweisen Abram de Swaan (2004) mit seinem Begriff des linguistic sentimentalism und Jürgen Gerhards (2011) mit seiner Kritik am "Kult der Minderheitensprachen" auf die Unangemessenheit einer solchen Sichtweise, die Sprachen als lebende Organismen repräsentiere, statt kommunikative und identifikatorische Funktionen zu beleuchten.

Indes stößt die Kritik an der von der UNESCO hergestellten Verbindung von Sprache und Wissen solange an Grenzen, wie sie im traditionellen Rahmen einer Kritik an der Sapir-Whorf-Hypothese mit ihrem zugrunde liegenden engen Begriff von Sprache als Sprachsystem (langue) verbleibt. In den UNESCO-Texten hingegen erscheint das Wissen, das mit einer abgelegten Sprache unzugänglich wird, vielmehr als die Gesamtheit der (meist ungeschriebenen) Texte in dieser Sprache, also quasi als Gesamtheit der parole. Insofern werden Sprachen auch hier sowohl als Medium der Wissensweitergabe (in Punkt 2) als auch als Träger von Wissen (Punkt 3) präsentiert.




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Und wenn Sprache als die Gesamtheit der in ihr verfassten (gesprochenen und geschriebenen) Texte verstanden wird, ist die Rede vom Wissensverlust keineswegs so leicht mit Rekurs auf die alten Debatten etwa um die Sprachabhängigkeit von Farbwahrnehmungen abzutun. Diese Rede von sprachlich verfasstem bewahrenswerten Wissen – man kann auch von akkumuliertem kulturellen Kapital sprechen6 – über lokale Umgebungen mag trotz der insgesamt problematischen Verschränkung von Biologie und Kultur verständlich werden, wenn man sie auf eine andere Domäne bezieht, beispielsweise auf die Wissenschaft und ihren suksessiven Übergang von mehreren großen Kultursprachen in das Englische als internationale Wissenschaftssprache: Denn obgleich sich die UNESCO mit ihrer universellen Ethik und ihrer Universalisierung der Schrift deutlich in die Tradition der Aufklärung stellt, die unauflösbar mit einem Fortschrittsglauben verbunden ist, scheint dieses Bemühen um Weitergabe und zukünftige Zugänglichkeit von lokalem und traditionellem Wissen in Kontrast zu einem Fortschrittsglauben zu stehen, der auf sprachliche Brücken in die Vergangenheit leichter zu verzichten scheinen kann. Genau dieses Bedürfnis nach "Kommunikation in zeitlicher Distanz" kann man aber als einen Grund – neben zahlreichen anderen, durchaus auch politisch-instrumentellen – für die Bemühungen von Kulturen mit oralen Erinnerungstraditionen um Verschriftung ihrer Sprachen ansehen, die zugleich Vorbedingung eines Muttersprachen-basierten bilingualen Unterrichts ist.

Wenn "Wissensverlust" durch sprachlich unzugänglich gewordene Texte in Europa nur selten beklagt wird, mag das damit zusammenhängen, dass die an die Existenz von standardisierten Sprachen gebundene Schriftsprachlichkeit in erster Linie im Hinblick auf die räumliche Distanz gesehen wird. Sie wird verbunden mit dem Gewinn an kommunikativer Reichweite in räumlicher Hinsicht. Auch der Begriff "Verkehrssprachen" zielt auf "überregionale", nicht "übertemporale" Kommunikation.

2.2 Rückblick

Im Bericht über das Internationale Sprachenjahr vom 10. März 2009 (United Nations / General Assembly, 2009) werden die Konferenzen, Initiativen und Projekte sowohl der UNESCO als auch der Mitgliedstaaten und weiterer Akteure in thematischen Clustern zusammengefasst; diese sind:

(a) flagship awareness-raising initiatives;
(b) languages and education;
(c) endangered languages;
(d) languages, cultural exchange and translation;
(e) languages and cyberspace;
(f) languages, socialization and integration;
(g) languages, knowledge and know-how.




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Für den Themenbereich "languages and education" werden in diesem Abschlussbericht "multilingualism and the use of the mother language in the education system" als die beiden zentralen Aktionsfelder herausgestellt. Neben verschiedenen internationalen Konferenzen7 wird hier u.a. auf die UNESCO-Publikation Advocacy kit for promoting multilingual education: including the excluded (UNESCO 2007b) verwiesen. Dieser im Internet bereitgestellte Ratgeber kann in inhaltlicher und konzeptioneller Hinsicht als exemplarisch für die Aktivitäten der UNESCO in diesem Bereich angesehen werden. Der Ratgeber ist aus fünf einzelnen Broschüren zusammengesetzt, wobei der einführende Überblick neben der Zielsetzung der Broschüre – die mother tongue based multilingual education – ein Glossar mit grundlegenden sprach- und bildungspolitisch relevanten Begriffen enthält (dialect, dominant language, foreign language, heritage language, home language, language of instruction etc.). Die zweite Broschüre gibt einen Überblick über die derzeitige sprachliche Situation in den Schulsystemen des Asien-Pazifik-Raums.8 Während etwa in Papua-Neuguinea mit seinen rund 850 Sprachen Unterricht im Elementar- und Primarbereich in 350 bis 400 Sprachen (!) angeboten würde, fände im Sultanat Brunei keine der geschätzten 17 lokalen Sprachen Berücksichtigung, Unterrichtssprachen seien ausschließlich Malaiisch und Englisch. Die folgenden drei Broschüren sind an drei verschiedene Adressatengruppen gerichtet: policy makers, programme implementers und community members. Den policy makers wird die Bedeutung einer "mother tongue based multilingual education" für einen Abbau von Bildungsungerechtigkeit und eine Ausweitung der Bildungsbeteiligung dargelegt. Neben den Grundprinzipien, wie sie von der UNESCO vertreten werden, werden die notwendigen Rahmenbedingungen (wie Verschriftung bislang unverschrifteter Sprachen, Entwicklung von Unterrichtsmaterialien etc.) erläutert. Ähnlich geschieht dies auch in der Broschüre für die programme implementers, die darüber hinaus aber noch praktische Fragen und konkrete Beispiele aus verschiedenen Ländern behandelt. In der Broschüre für Eltern, Lehrer und weitere community members steht neben der Informationsvermittlung die Sensibilisierung für die Bedeutung der Muttersprache gerade für die erste Phase der institutionellen Bildung im Vordergrund. Exemplarisch für eine Aktivität der UNESCO ist diese Publikation einerseits, weil der Handlungsspielraum (und damit die illokutionäre Kraft der Texte) dieser internationalen Organisation in diesem Bereich weitestgehend auf Informationsverbreitung und Beratung eingeschränkt ist; hierbei werden die jeweils involvierten Akteure gezielt angesprochen und mit grundlegenden Informationen und Beispielen aus anderen Ländern versorgt. Von großer Bedeutung ist die wissenschaftstheoretische Einordnung dieser und ähnlicher Texte, wobei nach Adick (2008) zwischen einer Orientierung am Handeln und Nutzen einerseits und einer Orientierung am Erkennen und an Wahrheit andererseits unterschieden werden muss: Hiernach wäre dieser "advocacy kit" typisch für die Textgattungen, die von Adick (2008: 75) dem Referenzsystem "Erziehung" und der Reflexionsebene "Pädagogik" zugeordnet werden, die am Handeln und Nutzen orientiert ist.




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Auch anwendungsorientierte Forschung im Auftrag nationaler oder internationaler Organisationen (wie der UNESCO-Bericht zur Bildungsentwicklung im 21. Jahrhundert) sind dieser Reflexionsebene zuzuordnen: Obgleich hier natürlich Wissenschaftler beteiligt sind, gehören die produzierten Texte wissenschaftstheoretisch nicht zum Referenzsystem "Wissenschaft" mit seiner Orientierung am "Erkennen" und an "Wahrheit". Wenn diese Texte Gegenstand des "wissenschaftlichen" Systems werden, so ist ihr Entstehungs- und Verwertungszusammenhang zu reflektieren.9

Für den Bereich "endangered languages" sei beispielhaft auf den online verfügbaren "Atlas of the World's Languages in Danger" verwiesen, der mit Unterstützung der norwegischen Regierung realisiert und anlässlich des offiziellen Abschlusses des Sprachenjahres am 21. Februar 2009 der Öffentlichkeit präsentiert wurde.10 Ausgehend von einer Konzeptionalisierung von "Language Vitality", die neun Kriterien umfasst, werden die Sprachen der Welt sechs Kategorien zugeordnet, die von safe über vulnerable, definitely endangered, severely endangered, critically endangered bis hin zu extinct führen. Das gewichtigste der neun Kriterien ist die Intergenerational language transmission, also die Weitergabe an die nächste Generation. Im Referenzdokument "Language Vitality and Endangerment" (Brenzinger u.a. 2003) wird die zentrale Bedeutung des Status als "Muttersprache" oder First language in multilingualen Kontexten für dieses Kriterium deutlich: Definitiv bedroht sind Sprachen, wenn sie nicht mehr von Kindern als Muttersprache erworben werden. Aus Migrationssituationen weithin bekannt, ist häufig eine asymmetrische Sprachverwendung zu beobachten, bei der Eltern zwar noch in ihrer Erst- oder Muttersprache mit den Kindern sprechen, diese jedoch in der Zweitsprache der Eltern antworten, die für sie schon Erstsprache ist. Die höheren Grade der Bedrohung in Bezug auf dieses Kriterium gehen dann mit der Generationenfolge einher, wobei schon in der nächsten Generation die Sprache zu einer Großelternsprache wird, die von der Elterngeneration gar nicht mehr in der Kommunikation mit ihren Kindern verwendet wird. Die zentrale Bedeutung der Muttersprachlichkeit für den Sprachenerhalt wird hier deutlich und die Schlüsselposition wird einsichtig, die die Muttersprachen in der Bildungspolitik der UNESCO einnehmen.

Im statistischen Material, dass dem Online-Atlas beigefügt ist, wird der Anteil der gegenwärtig als ungefährdet eingestuften Sprachen mit 57 Prozent von angenommenen 6000 Sprachen insgesamt angegeben. Die Problematik quantitativer Angaben zur Sprachenvielfalt und Sprachenbedrohung wird offenkundig, wenn man beispielsweise die Liste der in Deutschland bedrohten Sprachen betrachtet: Während sich Deutschland im Rahmen der Europäischen Charta der Regional- und Minderheitensprachen des Europarats zum Schutz von fünf Minderheitensprachen (Dänisch, Sorbisch, Nordfriesisch, Saterfriesisch, Romanes) und einer Regionalsprache (Niederdeutsch) verpflichtet hat, finden sich im Atlas unter anderem auch das Alemannische, das Bayerische, das Moselfränkische und das Rheinfränkische.




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Bei solch einem weiten Sprachbegriff verwundert es nicht, dass das Ausmaß an Bedrohung für Sprachen in Europa laut Atlas größer ist, als dies gemeinhin gesehen wird. So auch im Europäischen Jahr der Sprachen 2001: Zwar fanden Minderheitensprachen in diesem Jahr generell keine allzu große Beachtung, wenn diese aber in Proklamationen oder Aktionen Erwähnung fanden, geschah dies nicht in einem Diskurs der Sprachgefährdung oder des "Sprachensterbens". Vor dem Hintergund dieses nicht vorhandenen Bedrohungs-Szenarios kam Muttersprachen keine Schlüsselrolle im Europäischen Sprachenjahr zu, im Fokus standen nahezu ausschließlich die Fremdsprachen. Dies wird auch in der Gegenüberstellung der zentralen Veröffentlichungen der Sprachenjahre deutlich: Ergebnisse der Eurobarometer-Studie zu den Fremdsprachenkenntnissen der Europäer zum Auftakt des Europäischen Jahrs, Atlas der gefährdeten Sprachen zum Abschluss des Internationalen Jahrs.

Indes stehen beide Sprachenjahre und die mit ihnen verwobenen sprach- und bildungspoltischen Diskurse unter dem übergeordneten Leitbild des multilinguisme und ihnen scheint damit zumindest eine negative Bewertung eines monolinguisme gemeinsam zu sein.11 Jenseits dieser Feststellung der gegenwärtig gängigen Konnotierungen lohnt ein Blick auf die Begrifflichkeiten: In den Texten des Europarats wird die individuelle Mehrsprachigkeit als plurilinguisme und die gesellschaftliche Vielsprachigkeit bzw. die Sprachenvielfalt als multilinguisme bezeichnet wird. Demgegenüber verwendet die Europäische Union den Begriff multilinguisme entweder für beide Aspekte (wie etwa in der Rahmenstrategie für Mehrsprachigkeit, Europäische Kommission 2005) oder aber es werden, wo Unterscheidungen notwendig sind, die individuellen Sprachkompetenzen als multilingusime und die Sprachenvielfalt als linguistic diversity bezeichnet. Die UNESCO verwendet die Begriffe prinzipiell so wie die Europäische Union, bei genauerer Betrachtung fallen aber zwei Unterschiede auf. Erstens wird die linguistic diversity meist in zweierlei Weise erweitert: Entweder in der Wendung linguistic and cultural diversity oder aber in der – bereits angesprochenen – Verschränkung von linguistic and biological diversity. In beiden Fällen geht es um eine Verknüpfung der Sprachen mit Traditionen und Wissensbeständen, die den Sprachen Gewicht verleiht und sie als schützenswertes Erbe erscheinen lässt. Zweitens ist der bildungspolitische Diskurs des multilinguisme (als individueller mehrsprachiger Kompetenz) geprägt von der besonderen Rolle der Muttersprache im sprachlichen Repertoire des Individuums, wie es im programmatischen Basisprinzip der mother tongue based multilingual education deutlich wird. Zur Rolle der lokalen (oder vernakularen) Sprachen in der Bildung hat die UNESCO im Jahre 1953 einen Bericht veröffentlicht (UNESCO 1953), der in seiner Bedeutung als Referenzdokument von dem Positionspapier Education in a multilingual world (UNESCO 2003) abgelöst wurde. Im Gegensatz dazu findet sich in den programmatischen Schriften der Europäischen Union zwar einerseits die Formel "Muttersprache plus zwei Fremdsprachen", die die angestrebte mehrsprachige Kompetenz näher präzisiert.




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Die Muttersprache erscheint aber immer als das unhinterfragt Gegebene, die fehlenden Fremdsprachenkenntnisse als das Problematische. Und nimmt man etwa die Erläuterung zur Mehrsprachigkeit aus dem Europäischen Referenzrahmen für Sprachen, der zwar vom Europarat entwickelt, aber von der EU im Sprachenjahr europaweit lanciert wurde, so fällt hier die Gleichwertigkeit aller Sprachen im sprachlichen Repertoire des Individuums auf, bei der der Muttersprache keine privilegierte Rolle zukommt: Es geht um eine mehrsprachige kommunikative Kompetenz, auf deren Teile flexibel zurückgegriffen werden kann und die keine Hierarchisierungen erkennen lassen. Klar hervor tritt zudem der instrumentelle Charakter der Sprachen, deren Besitz dem Ziel der "effektiven Kommunikation" untergeordnet wird.12

Vor dem Hintergrund des UNESCO-Szenarios mit dem Kampf für Erhalt und Weitergabe der Muttersprachen zur Stabilisierung von mehrsprachigen Situationen und zur Abwendung des Sprachwechsels (language shift) wirft der Mehrsprachigkeits-Diskurs der EU mit seiner Orientierung an Ökonomie, Effizienz und Fremdsprachen eine grundlegende Frage auf: Mit welchem langfristigen (bewussten oder unbewussten) Ziel verfolgt die EU die Strategie der Mehrsprachigkeit, wenn doch Vielsprachigkeit und weit verbreitete Mehrsprachigkeit für einen Staat oder ein Gemeinwesen anderer Art weitaus höhere direkte und indirekte Kosten aufwirft als Einsprachigkeit?13 Zumindest aus soziolinguistischer Perspektive liegt es auf der Hand, dass jedes Gemeinwesen, welches einen Sprachwechsel von mehreren lokalen zu nur einer überregionalen oder gar globalen Sprache anstrebt, dieses Ziel einer neuen Einsprachigkeit nur über eine Politik der Mehrsprachigkeit verfolgen kann. Denn schließlich setzt jeder Sprachwechsel von der einen Einsprachigkeit zur anderen eine dazwischen gelagerte Phase der Mehrsprachigkeit voraus, in der eine Domäne nach der anderen an die neue Sprache übergeht. Werden die "Lebensadern" einer Sprache – nämlich die familiären kommunikativen Netzwerke – von diesem Wechsel erfasst, wie im Falle der von der UNESCO als stark bedroht eingestuften Sprachen, steht ein vollständiger Sprachwechsel bevor. Aber genau vor dieser Bedrohung stehen die voll ausgebauten Kultursprachen Europas ja nicht. Vielmehr geht es gegenwärtig um den zunehmenden Rückgang der sprachlichen Vielfalt und die damit verbundene neue Einsprachigkeit in den höheren Domänen. Und obgleich sich in den Abschlussberichten zum Europäischen Jahr, die separat vom Europarat und von der Europäischen Kommission erstellt wurden, nur spärliche Hinweise auf politische Diskussionen in diesem Jahr finden,14 kreisten die Diskussionen in diesem Jahr genau um diese Frage: Wie ist auf den Rückgang der sprachlichen Vielfalt und die Ausbreitung der (englischen) Einsprachigkeit in den höheren Domänen zu reagieren? Hierbei ging es neben der Frage nach einer Begründung für andere Fremdsprachen jenseits der großen Verkehrssprache Englisch durchaus auch um die eigenen Sprachen, wie etwa in zwei parlamentarischen Anfragen zur deutschen Sprache in Deutschland.15




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Während auf diese durchaus gegensätzlich diskutierte Rolle des Englischen in den offiziellen europäischen Abschlussberichten nicht verwiesen wird, weist der Abschlussbericht der UNESCO zum ISJ an ganz prominenter Stelle auf die umstrittene Rolle von Verkehrssprachen im Hinblick auf Sprachbedrohung und soziale Integration hin. So heißt es in den "Conclusions und lessons", die den Bericht abschließen:

3. The goals pursued by the different actors of the IYL were diverse and sometimes contradictory. For instance, the views on the role of vehicular languages as regards languages endangerment and social integration varied considerably. Accordingly, the shared interest for languages does not necessarily imply a shared vision.
(United Nations / General Assembly, 2009: 27)


3 Sprachliche Bildung bei der UNESCO

3.1 Literacy

Lange bevor der Begriff Literacy samt seiner metonymischen Erweiterungen zum Schlüsselbegriff der Diskurse aller internationaler Bildungsorganisationen wurde, stand Alphabetisierung als Vermittlung grundlegender Schreib- und Lesefähigkeiten im Zentrum der UNESCO-Bildungspolitik. Neu-Altenheimer hat an verschiedenen Stellen auf die Verschränkung von universeller Ethik und Universalisierung von Schrift hingewiesen, die in den ersten Jahrzehnten des Bestehens der UNESCO ganz in der Traditon der Aufklärung stand, mit der Befreiungspädagogik in den siebziger Jahren aber eine gewisse pluralistische Wendung genommen habe (vgl. Neu-Altenheimer 1996: 18f.).

Trotz aller Pluralisierung bleibt die Verschränkung von literacy und universellen Menschenrechten aber bestehen, wie schon der erste Satz einer vergleichenden Studie zu internationalen Literacy-Statistiken zeigt: "Literacy ist very important – many would say a human right" (UNESCO 2008b: 9). Somit bleibt der Kampf gegen den Analphabetismus eine der zentralen Aktionsbereiche der UNESCO, wobei Programmen zur Alphabetisierung von Erwachsenen traditionell eine große Bedeutung zukam. Dabei entsprach die Definition von literacy, die 1958 von der Generalkonferenz der UNESCO angenommen wurde, noch ganz dem traditionellen Verständnis von einer grundlegenden Beherrschung der Schrift. Im Jahr 1978 wurde vor dem Hintergrund der Bedeutung von literacy für ökonomisches Wachstum und Entwicklung und aufgrund der Ergebnisse der jahrelangen Programme der Begriff der functional literacy von der Generalkonferenz angenommen:




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1. The following definitions should be used for statistical purposes:
(a) A person is literate who can with understanding both read and write a short simple statement on his everyday life.
(b) A person is illiterate who cannot with understanding both read and write a short simple statement on his everyday life.
(c) A person is functionally literate who can engage in all those activities in which literacy is required for effective functioning of his group and community and also for enabling him to continue to use reading, writing and calculation for his own and the community's development.
(d) A person is functionally illiterate who cannot engage in all those activities in which literacy is required for effective functioning of his group and community and also for enabling him to continue to use reading, writing and calculation for his own and the community's development.
(UNESCO 1978)

In der weiteren Entwicklung wird literacy zunehmend eingebettet in das weiter gefasste Konzept der "Grundbildung": Lese- und Schreibfähigkeiten bilden hierfür die Basis, die "entscheidende Dimension der Grundbildung ist die Eröffnung der Möglichkeit der Partizipation am gesellschaftlichen Leben und an gesellschaftlichen Aktivitäten" (Schemmann 2007: 196).

3.2. Multilingual education

3.2.1 Begriffe
Als Rahmen der Initiativen der UNESCO im Bereich der sprachlichen Bildung kann seit 2003 das Positionspapier Education in a multilingual world (UNESCO 2003) angesehen werden, das hier ausführlich dargestellt werden soll.

In dessen erstem Teil werden zentrale Begriffe insbesondere zur Bezeichnung des Status und der Funktion von Sprachen erläutert: Auf die Unterscheidung minority vs. majority languages und official vs. national languages folgt der Eintrag language(s) of instruction als "language used for teaching the basic curriculum of the educational system (UNESCO 2003: 14), deren Wahl eine wiederkehrende Herausforderung für die Entwicklung einer qualitativen Bildung darstelle. Während manche Länder für eine einzige Unterrichtssprache optierten (meist die offizielle oder Mehrheitssprache), setzten andere Länder auch nationale und lokale Sprachen als Unterrichtssprachen ein. Ein grundlegendes Problem ergebe sich für Sprecher anderer Sprachen:

Speakers of mother tongues, which are not the same as the national or local language, are often at a considerable disadvantage in the educational system similar to the disadvantage in receiving instruction in a foreign official language (UNESCO 2003: 14).

Dieser Hinweis leitet schon die nächste Begriffserklärung ein, nämlich die mother tongue instruction, die im Allgemeinen als Unterrichtssprache (medium of instruction) verstanden wird, aber zusätzlich auch auf die Sprache als Gegenstand des Unterrichts verweisen kann und aus UNESCO-Sicht beides umfassen sollte.




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Im Hinblick auf das Problem der Angabe von Sprecherzahlen wird auf die verschiedenen Bedeutungen des Begriffs "Muttersprache" verwiesen, hier werden vier verschiedene Aspekte unterschieden, die keineswegs notwendigerweise zusammenfallen müssen:

[...] the language(s) that one has learnt first; the language(s) one identifies with or is identified as a native speaker of by others, the languages(s) one knows best and the language(s) one uses most (UNESCO 2003: 15).

Aufgrund seiner verbreiteten Verwendung in politischen und allgemeinen Diskursen werde er hier trotz dieser Mehrdeutigkeit verwendet, jedoch nicht ohne den Hinweis, dass jede Sprache wieder ihr eigenes Varietätenspektrum besitze, wodurch die Sprache der ersten kindlichen Erfahrungen große Unterschiede zur Sprache der formalen Bildung aufweisen könne. Auf diese Vielfalt innerhalb einer als "Muttersprache" bezeichneten Sprache sei an dieser Stelle schon hingewiesen: Gerade die Schulsprache mit ihrer Orientierung an Schriftsprachlichkeit kann als elaboriertes sprachliches Register angesehen werden, das damit trotz der Zuordnung zur intuitiv nähesprachlich konzipierten "Muttersprache" eindeutig distanzsprachliche Merkmale trägt.

Als erste mögliche Schwierigkeit der Realisierung des muttersprachlichen Unterrichts werden die nicht verschrifteten Sprachen genannt. Sodann die fehlende Anerkennung als legitimate language (womit neben den Zusammenhängen von Sprache und Macht im Sinne Bourdieus auch die Schwierigkeit von Abgrenzungen innerhalb eines Dialektkontinuums angesprochen sein könnte), die Entwicklung der Terminologie für Bildungszwecke (also der Ausbaugrad im lexikalischen Bereich), die verfügbaren Unterrichtsmaterialien, eine große Vielzahl von Sprachen, ein Mangel an entsprechend ausgebildeten Lehrern und – erst an letzter Stelle – mögliche Widerstände seitens Schülern, Eltern und Lehrern gegen den muttersprachlichen Unterricht.

Sollte die Reihenfolge dieser Listung einer Gewichtung entsprechen, so ließe sich beispielsweise mit Bezug auf den Beitrag des Inders Ganesh Devy in der thematischen Debatte vor dem Executive Board der UNESCO am 7.10.2008 im Kontext des ISJ kritisch fragen, ob dieser Widerstand nicht eine größer einzustufende Schwierigkeit darstellt. So berichtet Devy sehr anschaulich, wie groß der Drang in Indien auf teure Privatschulen mit Englisch als Unterrichtssprache sei, während der für Schüler kostenfreie öffentliche Unterricht mit 52 indischen Unterrichtssprachen realisiert werde:

The Indian State operates primary schools in 52 Indian languages and several foreign languages. Adult literacy and nonformal schooling are continuously promoted. There are constitutional guarantees built into the educational programmes aimed at promoting all listed languages. The Central Institute of Indian Languages is charged with the production of educational materials in marginalized and minority languages. And yet in spite of such efforts, many marginalized languages – and even some that are not marginalized – seem to display an inscrutable indifference towards their own upkeep.




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An unimaginably large number of children seem to join schools that charge exorbitant fees and use the English language as the medium of instruction. In some, the schooling is all geared towards enabling children to join the 45,000 institutions of higher learning, more than 60% of which are devoted to information technology. When a child joins a school giving instruction in an Indian language it comes to be seen as the beginning of a social disadvantage, particularly in the case of those languages that need really special efforts for their preservation. (UNESCO 2008c: 13)

Die soziale Benachteiligung wird hier von Eltern also genau da gesehen, wo die UNESCO einen Abbau von Benachteiligung und einen Beitrag zur sozialen Integration sieht. Genau auf diesen Konflikt verweist die oben zitierte Schlussfolgerung im Bericht zum ISJ, in der auf die kontrovers diskutierte Rolle von vehicular languages im Hinblick auf Sprachbedrohung und soziale Integration verwiesen wurde. Indes taucht der Begriff Verkehrssprache (vehicular language) weder in diesem Glossar auf, noch ist er ein verbreiteter Begriff in den anderen einschlägigen UNESCO-Dokumenten.

In einem neueren UNESCO-Dokument zur mehrsprachigen Bildung in Afrika mit ähnlichem Glossar begegnet indes der Begriff language of wider communication, die auch als Lingua franca oder trade language bezeichnet werden könne (UNESCO 2010: 63). Interessanterweise wird hier auch der Begriff foreign language erläutert, mit dem Sprachen bezeichnet werden, die nicht vertraut sind oder die nicht beherrscht werden. Diese Definition ist zunächst irritierend, da "Fremdsprachen" im geläufigen Sinne ja durchaus beherrscht werden können, ohne ihren Status als "Fremdsprachen" zu verlieren, ansonsten würde der Ausdruck "Fremdsprachenkenntnisse" in sich widersprüchlich sein. Hier wird nun einerseits darauf verwiesen, dass die offiziellen Sprachen Afrikas, die meist die ehemaligen Kolonialsprachen sind, für viele Afrikaner Fremdsprachen seien, da sie sie nicht beherrschten. Zugleich wird aber auf die Entwicklung insbesondere in afrikanischen Städten verwiesen, wo sich die Menschen zunehmend mit der offiziellen Sprache identifizierten und das Englische, Französische oder Portugiesische als ihre Muttersprache bezeichneten.16 Und genau diese großen Sprachen von internationaler Bedeutung sind wohl auch gemeint, wenn von der problematischen Rolle der Verkehrssprachen (vehicular languages) gesprochen wird. Die Begriffserläuterung zu den foreign languages veranschaulicht den im Hinblick auf die Spracherhaltsbemühungen als problematisch angesehenen Prozess: Mit dem Vordringen in die Netzwerke des kommunikativen Nähebereichs werden die Verkehrssprachen als Sprachen mit großer kommunikativer Reichweite mangels intergenerationeller Weitergabe der lokalen Sprachen zunehmend Muttersprachen und decken so – potentiell – die gesamte Weite von Domänen äußerster Nähe bis zu äußerster Distanz ab.




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Die Attraktivität dieses Modells – für das in historischer Perspektive idealtypisch die europäischen Nationalsprachen stehen –, das das Lernen von weiteren Sprachen überflüssig zu machen und vor ungerechten Kommunikationsbedingungen wie der Muttersprachenasymmetrie17 zu schützen scheint, wird durch das oben beispielhaft angeführte indische Szenario illustriert. Indes wird diese Perspektive der Sprecher weniger verbreiteter Sprachen, die insbesondere für ihre Kinder einen Sprachwechsel als Gewinn an kommunikativer Reichweite und Abbau kommunikativer Benachteiligung sehen, im weltweiten Diskurs der positiven Bewertung von Mehrsprachigkeit durchweg als eine falsche Sichtweise behandelt, auf die mit Aufklärungs- und Sensibilisierungsprogrammen zu reagieren sei. Eine Ausnahme stellt hier sicher der niederländische Soziologe Abram de Swaan (2004) dar, der den Linguisten und ihrem Diskurs über das Sprachensterben einen linguistic sentimentalism vorwirft, wenn sie die kommunikativen Funktionen der Sprachen ausblendeten. Zudem sei sprachliche Diversität nicht mit kultureller Diversität gleichzusetzen und kulturelle Traditionen auch in einer anderen Sprache zu tradieren. Dieser Sentimentalismus, der sicher auch den UNESCO-Diskurs prägt, leuchtet zwar bisweilen auch in den EU-Texten auf, er steht aber in radikalem Kontrast zum Sprachbildungsdiskurs der weitaus wirkungsmächtigeren OECD. Nahezu vergeblich sucht man etwa in den Texten zu den PISA-Studien überhaupt irgendwelche Thematisierungen von Sprachen, selbst die reading literary erweckt in ihrer Konzeptionalisierung fast den Anschein einer sprachlosen Kompetenz. Wo doch Sprache thematisiert werden muss – etwa bei der Anzahl der Schüler, die aus sprachlichen Gründen von den Tests ausgeschlossen wurden – fällt der Begriff language of instruction, in der die Tests durchgeführt und deren grundlegende Beherrschung Bedingung für die Teilnahme war. Noch emotionsloser wird die Begrifflichkeit, wenn die PISA-Ergebnisse in Deutschland diskutiert werden: Hier wird interessanterweise nicht nur der Begriff "Muttersprache" völlig vermieden, hier wird die Unterrichtssprache – also das Deutsche in Deutschland – gar zur "Verkehrssprache". Diese Dimension der emotionalen Distanzierung und die damit verbundene Abwertung der Vergemeinschaftungsfunktion der Unterrichtssprachen (die in Europa in der Regel die Nationalsprachen sind) wird im Abschnitt zur "Sprache im entgrenzten Raum" ausführlicher thematisiert.

3.2.2. Der normative Rahmen
Im Anschluss an die begrifflichen Bestimmungen gibt das Papier im zweiten Teil einen Überblick über die Rahmen setzenden Deklarationen, Empfehlungen und Vereinbarungen. Hierbei ist die jeweilige "illokutionäre Kraft" der Dokumente zu beachten, die erstens durch den Status der veröffentlichenden Institutionen und zweitens durch die Textsorte bestimmt wird. Als Sonderorganisation der Vereinten Nationen kommt der UNESCO wie beispielsweise der Weltgesundheitsorganisation oder der Weltbankgruppe zwar eine Autonomie zu (im Gegensatz zu Organisationen oder Programmen, die den Vereinten Nationen direkt untergeordnet sind, wie etwa UNICEF), institutionell findet aber über den Wirtschafts- und Sozialrat der Vereinten Nationen eine Koordination statt. Die Standard setzenden Instrumente der Vereinten Nationen, allen voran die Erklärung der Menschenrechte von 1948, gelten natürlich auch für die UNESCO.




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So auch die weniger bekannte Declaration on the Human Rights of Individuals who are not Nationals of the Country in which they live aus dem Jahre 1985, in der in Artikel 1 als "alien" jedes Individuum bezeichnet wird, "who is not a national of the State in which he or she is present". Auf diese Deklaration wie auch auf die "Internationale Konvention zum Schutz der Rechte aller Wanderarbeitnehmer und ihrer Familienangehörigen", die von der UN-Generalversammlung im Jahre 1990 beschlossen und nach der Ratifizierung von 20 Staaten im Jahre 2003 in Kraft trat (bislang jedoch von keinem europäischen Staat ratifiziert wurde), sei hier verwiesen, um auf die zunehmend ins Bewusstsein rückende bildungspolitische Problematik der nicht autochthonen Erstsprachen im Kontext von Globalisierung und Migration zu verweisen. Demgegenüber steht etwa die Charta der Regional- und Minderheitensprachen des (als ebenfalls rein zwischenstaatlicher Organisation mit Konventionen arbeitenden) Europarats: Sie bezieht sich explizit auf die traditionell auf einem Gebiet gesprochenen Sprachen und schließt Zuwanderersprachen ausdrücklich aus. Dieses Vorgehen entspricht den Ausführungen im erläuternden Bericht des Europarats, nach denen der Hauptzweck der Charta auf kulturellem Gebiet liege und wo es in Abschnitt 10 heißt: "The charter sets out to protect and promote regional or minority languages, not linguistic minorities" (Europarat 1992). Ein paralleler Ansatz findet sich auf UNESCO-Seite in der eingangs erwähnten Konvention zur Erhaltung des immateriellen Kulturerbes aus dem Jahre 2003 (die in diesem Dokument zur multilingual education noch nicht erfasst ist): Da es in dieser Konvention um die Bewahrung des kulturellen Erbes als eine Art Hinüberretten von Wissen und Traditionen durch die Zeit geht, steht ganz ähnlich wie in der Charta der Regional- und Minderheiten nicht das Beibehalten von Traditionen jener Individuen oder Gruppen im Fokus, die sich räumlich von den Orten dieser Traditionen entfernt haben, es geht auch in dieser Konvention nicht um Sprecher sondern um Sprachen als Teile der Kultur, und folgerichtig finden Migration und neue Minderheiten auch hier keine Erwähnung.

Indes kann aus Menschenrechtsperspektive kein Unterschied gemacht werden zwischen Sprechern der alten oder autochthonen Minderheitensprachen einerseits und Sprechern neuer oder allochthoner Minderheitensprachen andererseits. Und folgerichtig wird in der Konvention der Vereinten Nationen zu den Rechten der Wanderarbeiter in Artikel 45 nicht nur der Unterricht der so genannten local language für die Kinder von Migranten eingefordert, darüber hinaus wird auch ein Unterricht der mother tongue and culture eingefordert, an dem sich die Herkunftsstaaten gegebenenfalls beteiligen sollten:

Article 45
[...]
2. States of employment shall pursue a policy, where appropriate in collaboration with the States of origin, aimed at facilitating the integration of children of migrant workers in the local school system, particularly in respect of teaching them the local language.




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3. States of employment shall endeavour to facilitate for the children of migrant workers the teaching of their mother tongue and culture and, in this regard, States of origin shall collaborate whenever appropriate.
4. States of employment may provide special schemes of education in the mother tongue of children of migrant workers, if necessary in collaboration with the States of origin.
(United Nations / General Assembly 1990)

Das sich abzeichnende Modell der Bewahrung der Muttersprache und Kenntnis der damit verbundenen Kultur als einer Art Verankerung in der Zeit bzw. in der eigenen Geschichte bei gleichzeitiger Integration in den lokalen Kontext durch Erlernen der lokalen Sprache und – wie die weiteren Dokumente zeigen werden – das Erlernen einer dritten Sprache von größerer Reichweite wird spätestens mit dieser Konvention der Vereinten Nationen also eindeutig auch auf Migrationssituationen bezogen.

Im Anschluss an die Deklarationen und Konventionen der Vereinten Nationen werden einschlägige Deklarationen und Empfehlungen der UNESCO zu Sprache und Bildung gelistet. Hervorzuheben ist hier die Universial Declaration on Cultural Diversity aus dem Jahre 2001, in der in Artikel 5 unter dem Stichwort Cultural rights das Selbstbestimmungsrecht im Hinblick auf die Sprachenwahl auffällt, das vom sonst so ausschließlich auf die Muttersprachen fixierten Diskurs der UNESCO abweicht: "All persons have therefore the right to express themselves and to create and disseminate their work in the language of their choice, and particularly in their mother tongue" (UNESCO 2001).

Im Anschluss an die Liste der einschlägigen UNESCO-Dokumente wird auf einige Ergebnisse internationaler Konferenzen verwiesen. Neben der immer wieder erwähnten Bedeutung des muttersprachlichen Unterrichts erscheinen hier im Zusammenhang mit der Higher education auch die Fremdsprachen als Teil der intercultural education.

3.2.3 Basisprinzipien
Als drei Basisprinzipien werden genannt:

1. UNESCO supports mother tongue instruction as a means of improving educational quality by building upon the knowledge and experience of the learners and teachers.
2. UNESCO supports bilingual and/or multilingual education at all levels of education as a means of promoting both social and gender equality and as a key element of linguistically diverse societies.
3. UNESCO supports language as an essential component of inter-cultural education in order to encourage understanding between different population groups and ensure respect for fundamental rights.
(UNESCO 2003: 30)




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In den Erläuterungen zu diesen Prinzipien wird darauf verwiesen, dass der Unterricht in der Muttersprache essentiell für den ersten Unterricht und die literacy sei und dass dieser so weit wie möglich in der Bildungsspanne ausgedehnt werden solle. Verwiesen wird unter diesem Punkt auf das Problem bei unvermeidbar gemischten Gruppen, für die eine Sprache gewählt werden solle, die für alle mit den geringsten Schwierigkeiten verbunden sei. Mit dieser Problematik der Auswahl einer Varietät oder Sprache im Hinblick auf ihren Ausbau zur Unterrichtssprache ist natürlich die gesamte soziolinguistische Thematik von Abstand und Ausbau von Sprachen verbunden. Die UNESCO weist in einem Bericht des Generaldirektors aus dem Jahre 2009 ihren Mitgliedsstaaten die Aufgabe zu, die jeweilige Unterrichtssprache auf der Basis einer soziolinguistischen Analyse der sprachlichen Situation zu wählen:

Role of Member States:
Conduct a careful analysis of the sociolinguistic situation in consultation with stakeholders concerned such as learners, parents and school officials. It is often a good solution to select a common language that is close to one or more other languages used. When the learner's language cannot be used as a language of instruction, a language with which he or she is also familiar may be selected, but not a language that is completely foreign and poorly known. (UNESCO 2009a: 2)

Bei der Wahl der Sprachen solle also das Prinzip der sprachlichen Nähe entscheidend sein und eine völlige Fremdheit vermieden werden.

Beispielhaft für Strategien der Implementierung lokaler Muttersprachen in das Bildungssystem kann auf die Situation im Senegal hingewiesen werden, wie sie in einem Dokument zur Lehrerausbildung für den bilingualen Unterricht in den Ländern der Sahelzone beschrieben wird (UNESCO 2007c): Im ersten Artikel der senegalesischen Verfassung wird bekanntlich das Französische als langue officielle der Republik benannt, als langues nationales werden Diola, Malinké, Pular, Sérère, Soninké und Wolof gelistet, aber eben auch "toute autre langue nationale qui sera codifiée". Diese Offenheit der Kategorie der langues nationales führt für das Bildungssystem zu einem Stufenmodell für die Einführung der langues nationales als Unterrichtssprachen:

Cette analyse a permis d'élaborer un plan d'introduction des langues nationales en trois étapes:
1) La première consiste à introduire les six langues anciennement codifiées et qui étaient les mieux préparées (wolof, pular, mandinka, diola, soninké, sérère),
2) La deuxième, à introduire les langues nouvellement codifiées après toutefois une réalisation d'études complémentaires,
3) La troisième étape enfin consiste en description, la codification et l'outillage des langues restantes avant de les introduire à l'école. (UNESCO 2007c: 10)

Sehr deutlich wird hier, wie Beschreibung und Kodifizierung von Sprachen der Ausweitung der Zahl der Unterrichtssprachen vorausgehen muss.




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Sind für die kodifizierten Sprachen dann auch die weiteren Rahmenbedingungen für ihre Verwendung als Unterrichtssprache vorhanden (Unterrichtsmaterialien sowie ausgebildete Lehrkräfte) stellt sich die Frage, in welchem Verhältnis lokale Muttersprache einerseits, die official/foreign language und ggf. eine dritte Sprache von internationaler Reichweite andererseits stehen sollen.

Unterschieden werden etwa in einem Dokument des Hamburger UNESCO-Instituts für Lebenslanges Lernen (UNESCO 2010: Annex 5) vier Typen bilingualer Bildungsmodelle:

  1. Subtractive education model: Schüler mit anderen Muttersprachen werden sobald wie möglich in der offiziellen Sprache unterrichtet.
  2. Early-exit (or transitional) model: Schüler mit anderen Muttersprachen werden zunächst in diesen unterrichtet, nach ein bis vier Jahren wird der Wechsel zur offiziellen Sprache vollzogen.
  3. Late-exit models: Der Übergang zum Unterricht in der offiziellen Sprache wird erst nach fünf bis sechs Jahren vollzogen, anschließend wird die Mutterspache als Fach weiter unterrichtet.
  4. Additive (bilingual) education models: Die Muttersprache bleibt Unterrichtssprache bis zum Schulabschluss, die offizielle Sprache wird nur als Fach unterrichtet oder wird im Laufe der Schulzeit zur zweiten Unterrichtssprache, ggf. kommt eine dritte Sprache von größerer kommunikativer Reichweite hinzu.

Es dürfte nach den vorangegangenen Ausführungen deutlich geworden sein, dass die UNESCO die Modelle 3 und insbesondere 4 favorisiert: Den Muttersprachen soll so viel Raum wie möglich gegeben werden, um ihrer Verdrängung entgegen zu wirken und eine nachhaltige Verankerung von Mehrsprachigkeit zu befördern. Insbesondere sei aber für das jeweilige Individuum der Erwerb von schulischen Bildungsinhalten und insbesondere der Schrifterwerb enorm erschwert, wenn er sich im Medium einer Sprache vollziehe, die bei Eintritt in das Schulsystem völlig unbekannt sei. Diese Argumentation ist ohne Weiteres nachzuvollziehen.

In fast allen UNESCO-Texten zu den verschiedenen Modellen bilingualer Bildung wird zur spracherwerbstheoretischen Begründung aber zudem auf die Arbeiten des Kanadiers Jim Cummins verwiesen. Auf dessen – insbesondere in Laiendiskursen ungeheuer wirkungsmächtig gewordenen – Hypothesen (Interdependenzhypothese und Schwellenniveau-Hypothese) sei hier im Hinblick auf das Ineinandergreifen der Sprachbildungsdiskurse hingewiesen: In der Laienversion dieser Hypothesen, die als gesicherte Wahrheit erscheint, heißt es, dass ein Kind erst seine Muttersprache umfassend beherrschen müsse, bevor es erfolgreich eine weitere Sprache erwerben könne. Auf diese vermeintliche Wahrheit bezieht sich nicht nur der türkische Präsident Erdoğan, wenn er Türkischunterricht für die türkischen Migranten in Deutschland fordert, in nahezu allen Diskursen zum Herkunftssprachunterricht für Migranten in Europa finden sich Verweise auf diese vermeintliche Erkenntnis.




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Auf die Tatsache, dass es sich hier um alles andere als um eine gesicherte Erkenntnis handelt und dass sich selbst Cummins gegen eine derartige Verkürzung und bildungspolitische Instrumentalisierung seiner Hypothesen gewehrt hat, wurde an verschiedenen Stellen verwiesen (vgl. beispielsweise Siebert-Ott 2001). Interessant ist neben der Institutionen übergreifenden Wirkungsmächtigkeit dieses Mythos aber auch seine Entstehungsgeschichte: Denn es war gerade die oben schon erwähnte Tove Skuttnab-Kangas, die im Rahmen eines für die UNESCO durchgeführten Projekts zu den Sprachkompetenzen von Kindern finnischer Arbeitsmigranten in Schweden die Grundlage für die frühen Arbeiten von Cummins legte (insbesondere Cummins 1979), die zwar selten wirklich gelesen, aber aus dem globalisierten Sprachbildungsdiskurs nicht mehr wegzudenken sind.18



4 Bildungsdiskurse und Sprache im entgrenzten Raum

Wenn die Entgrenzung des Raums als ein wesentliches Merkmal von Globalisierung angesehen werden kann, so haben diese veränderten Raumreferenzen massive Konsequenzen für die nationalstaatlich organisierten Bildungssysteme.19 In den Erziehungs- und Bildungswissenschaften tritt neben eine vergleichende Perspektive zunehmend eine internationale Perspektive, die die Effekte der Globalisierung und insbesondere die Rolle internationaler Bildungsorganisationen erforscht.20 Beobachtet wird nicht nur der wachsende Einfluss dieser Organisationen, sondern auch die Angleichung ihrer bildungspolitischen Konzepte und Positionen.21 Schlüsselwörter des internationalen Bildungsdiskurses sind "Wissensgesellschaft", "Humankapital", "lebenslanges Lernen" und "Migration" bzw. "Mobilität" der Arbeitskräfte. Hiermit verbunden ist eine generelle Umorientierung vom Erwerb konkreten Wissens hin zu Fähigkeiten (skills) oder "Kompetenzen". Diese Begriffe können als Bestandteile des dauernd produzierten "Geredes" angesehen werden, wie Adick (2008: 169) es mit Bezug auf das Modell der "world polity" von John W. Meyer nennt.

Der Bildungsdiskurs der UNESCO beruft sich auf den 1. Artikel der Verfassung der UNESCO, in dem die Wahrung des Friedens als übergeordnetes Ziel festgeschrieben ist:

Verfassung 1945: Artikel I · Ziele und Aufgaben
1. Ziel der UNESCO ist es, durch Förderung der Zusammenarbeit zwischen den Völkern in Bildung, Wissenschaft und Kultur zur Wahrung des Friedens und der Sicherheit beizutragen, um in der ganzen Welt die Achtung vor Recht und Gerechtigkeit, vor den Menschenrechten und Grundfreiheiten zu stärken, die den Völkern der Welt ohne Unterschied der Rasse, des Geschlechts, der Sprache oder Religion durch die Charta der Vereinten Nationen bestätigt worden sind.




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Anders also als der Bildungsdiskurs der EU, der als jüngerer spill over-Effekt des im Kern ökonomisch motivierten Zusammengehens der europäischen Staaten gesehen werden kann, steht Bildung von Beginn an im Zentrum des Aufgabenbereichs der UNESCO. Lassen sich mit diesen ganz unterschiedlichen Ursprüngen Unterschiede zwischen den Sprachbildungsdiskursen zwischen UNESCO einerseits und EU andererseits erklären? Oder inwieweit ist überhaupt ein Vergleich möglich?

Schließlich zeigen die Diskurse von nationalstaatlichen Akteuren, internationalen Nichtregierungsorganisationen und zwischenstaatlichen Organisationen eine starke interdiskursive Verschränkung, bei der die Frage nach dem Zusammenwirken dieser Diskurse und dem Handeln der letztlich über die tatsächlichen Bildungssysteme entscheidenden Staaten in Abhängigkeit des gewählten Theorieansatzes jeweils anders betrachtet werden kann.22 In Bezug auf den Bereich der Bildung und die Rolle internationaler Organisationen verdient der Ansatz von John W. Meyer, dessen Schlüsselbegriff world polity in der deutschsprachigen Literatur mit "Weltkultur" wiedergegeben wird, eine besondere Beachtung: Grob gesagt sieht Meyer im Prozess der Globalisierung die weltweite Durchsetzung einer kulturellen Ordnung, die ihre Ursprünge in der westlichen Gesellschaft hat. Grundprinzipien dieser Ordnung wären "Fortschrittsglaube, Säkularisierung und die Durchsetzung zweckrationalen Handelns" (Krücken 2005: 9), als umfassende Ziele dieser Ordnung werden von Meyer u.a. selbst "Gerechtigkeit" und "Fortschritt" genannt (Meyer / Boli / Thomas 2005: 17). Zentral für den Ansatz von Meyer ist der Gedanke, dass die traditionell so genannten "Akteure" (Individuen, Staaten, Organisationen) nicht von einer äußeren Umwelt beeinflusst, sondern vielmehr durch diese Regeln und Modelle intern strukturiert sind.23 Von Bedeutung für die Rolle internationaler Organisationen ist hier der Gedanke des Eingebundenseins eines jeglichen Akteurs in immer dichter werdende Beratungsstrukturen, die den gleichen Grundprinzipien folgen. Die zunehmende weltweite Gleichförmigkeit oder "Isomorphie" im Bereich der Bildung wie auch in anderen Bereichen wird in diesem Ansatz als ein Resultat dieser Verbreitung der ursprünglich westlichen Prinzipien gesehen, bei der den "kulturellen Anderen" – die sich durch die Haltung des interesselosen Beraters auszeichnen – eine wichtige Bedeutung zukommt:

Es scheint, dass alle Parteien in diesem System gewinnen, nicht indem sie Akteure sind, sondern indem sie nationalstaatlichen Akteuren sagen, was zu tun ist. Anders gesagt bringt das System rationalisierter Akteure eine große Zahl kultureller Anderer hervor (Meyer / Jepperson 2000). Ein Anderer trägt die Haltung des interesselosen Beraters zur Schau, dem es mehr um die Wahrheit geht als um seine eigenen Interessen. Oder des Wissenschaftlers, der ohne eigene Interessen die Probleme der wirtschaftlichen Entwicklung oder des Treibhauseffekts erforscht. Oder der Nichtregierungsorganisationen (wie sie in Boli / Thomas 1999 untersucht werden): Sie sprechen nicht für schnöde Interessen, sondern für das Kollektive Gute der Welt (Meyer 2005: 170).




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Wenn Meyer auf die besondere Organisation der Europäischen Union schaut, das für ihn "vor allem aus Anderen, nicht aus Akteuren" besteht (Meyer 2005: 171), so ist zu betonen, dass man ihm zufolge die Europäische Union als "besonders intensive Form des sich entwickelnden globalen Systems" betrachten kann (Meyer 2005: 174). Insofern schreibt er auch den Strukturen, nach denen die Kultur Europas aufgebaut sei, in gleicher Weise der Weltkultur (world polity) zu:

Die Kultur, von der hier die Rede ist, ist die Kultur der Rationalisierung, die sich selbst nicht als Kultur, sondern als Naturgesetz präsentiert. Ihre Grundlage bilden die angeblich naturgegebenen Menschenrechte, die in gewisser Weise als Parallele zur wissenschaftlichen Rechtfertigung fungieren. In der Mitte steht das Naturgesetz der sozioökonomischen Entwicklung und des Marktes. Darüber steht die verwissenschaftlichte Umwelt. Diese drei Strukturen bilden die kulturell definierte ontologische Grundlage, auf der Europa auch ohne Staat bestehen kann. Interessanterweise ist die moderne world polity genauso aufgebaut und hat genau dieselben Grundlagen. (Meyer 2005: 174)

Wenn die Europäische Union von Meyer quasi als Prototyp für eine solche Strukturierung angesehen wird, die von einem Netzwerk an Beratern generiert und verdichtet wird, so gilt es, die EU als zwischenstaatliche Organisation von ihren Mitgliedern zu unterscheiden. Denn im Hinblick auf die Mitgliedsstaaten der EU gelte die generelle Beobachtung, dass Staaten mit einer eigenen großen Geschichte im Verhältnis zu neuen und wenig entwickelten Ländern noch Fähigkeiten besäßen, "die ihnen die Beibehaltung eines gewissen Maßes an nationaler Besonderheit ermöglichen" (Meyer / Ramirez 2005: 224).

Wenn der Einfluss der "kulturellen Anderen" mit ihrer Kultur, die auf die europäische Aufklärung zurückweist, einen starken Einfluss insbesondere auf wenig entwickelte Länder hat, so scheint es logisch, dass sich weltweit Parallelen zu Prozessen zeigen "mit denen Europa früher konfrontiert wurde", wie Neu-Altenheimer (1994: 189f.) dies in einem ganz anderen disziplinären und theoretischen Zusammenhang – nämlich dem einer historischen Soziolinguistik – mit Blick auf die UNESCO und ihrem traditionellen Schwerpunkt auf Alphabetisierungsprogrammen feststellt:

Es zeigen sich weltweit Parallelen zu Prozessen, mit denen Europa früher konfrontiert wurde. Dies lässt sich im wesentlichen an drei Punkten zeigen […]:
1. Die Universalisierung ethischer Werte
2. Alphabetisierung als Überführung von Mündlichkeit in Schriftlichkeit
3. Sprache als kulturelle Identität [...]
Bildung und Erziehung gilt als Schlüssel für vernunftgeleitetes, friedliches Verhalten der Menschen. Dieses Ideal verbindet die UNESCO mit der Tradition der Aufklärung [...]
Die Universalisierung der Makroethik geht mit der Universalisierung von Schrift einher […]
(Neu-Altenheimer 1994: 189f.)




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Vor diesem Hintergrund der diskursiven und konzeptionellen Angleichung im Kontext einer world polity soll nun aber doch nach historisch und institutionell bedingten Unterschieden oder gegenläufigen Tendenzen bei den internationalen Bildungsorganisationen gefragt werden. So zeigt sich etwa im zunächst rein ökonomisch orientierten Bildungsdiskurs der Europäischen Union zunehmend die Dimension des sozialen Zusammenhalts (eigentlich ein Kernthema des viel einflussärmeren Europarats) und umgekehrt zeigt sich in den Texten der UNESCO eine Hinwendung zu ökonomischen Aspekten.

Die Interdiskursivität des internationalen Bildungsdiskurses kann am Begriff "lebenslanges Lernen" besonders deutlich gemacht werden.24 Geprägt und lanciert von den beiden sozial und friedensstiftend orientierten Organisationen (Europarat 1971: Permanent Education. Fundamentals for an Integrated Educational Policy sowie 1972 mit dem wirkungsmächtigen Bericht Apprendre à être der von der UNESCO eingesetzten Kommission zur Entwicklung des Bildungswesens unter der Leitung von Edgar Faure) wird der Begriff von den ökonomisch orientierten Organisationen OECD und EU übernommen und erfährt dort eine Neukonzeptionalisierung:

Lifelong learning became a worldwide topic of discussion in the 1970s with the publication of a report by UNESCO (Borg & Mayo, 2005). Reflecting a humanist background, this report called for lifelong education as part of individual cultural growth (Faure et. al., 1972). This humanist vision of lifelong learning is in sharp contrast to discussions in the late 1980s and 1990s. The OECD reconceptualized lifelong learning by making it part of human capital theory (Field, 2001), and the European Union gave it central prominence as part of the human capital requirements of the knowledge economy (Commission of the European Communities, 2000). Now, lifelong learning is considered essential for individuals to keep pace with the constantly changing global job market and technology (Borg & Mayo, 2005; Spring 1998). The European Union's statement on lifelong learning defined it as "all purposeful learning activity, undertaken on an ongoing basis with the aim of improving knowledge, skills and competence" (Commission of the European Communities 2000: 3) (Spring 2008: 339)

Lebenslanges Lernen erschien also im Faure-Bericht der UNESCO (Faure u.a. 1972) als Bedingung für eine Entwicklung der individuellen Persönlichkeit, deren Merkmale etwa Verantwortung und Emanzipation sind. Im Gegensatz dazu steht die Beschäftigungsfähigkeit auf dem internationalen Arbeitsmarkt, die den gegenwärtigen Diskurs um das lebenslange Lernen prägt.

In dieser humankapitalistischen Perspektive kommt sprachlichen Kompetenzen im Kontext der Globalisierung eine wachsende Bedeutung zu. Der enorme globale Wert der englischen Sprache wird durch Studien zu den Uniformisierungsprozessen der Bildung im Kontext der Globalisierung untermauert:




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The study of English is a common feature of what Meyer et al. (1992) consider to be a standardized global curriculum. According to Tsui and Tollefson (2007), 'Globalization is effected by two inseparable mediational tools, technology and English; proficiencies in these tools have been referred as global literacy skills' (p. 1). Although the percentage may have increased by now, when they did their study in the early 1990s, they found that 72% of the world’s secondary schools taught English as a modern foreign language (Meyer et al., 1992) (Spring 2008: 351).

Anschaulich präsentiert auch Cha (1992) diese globale Veränderung im Bereich der Sprachen in den nationalen Curricula in historischer Perspektive von 1850 bis 1986: Weltweit sei der Rückgang der klassischen Sprachen bei einer gleichzeitigen Ausweitung des Unterrichts in den Nationalsprachen und in Fremdsprachen zu beobachten, wobei der prozentuale Anteil des Englischen innerhalb der Fremdsprachen insbesondere ab 1945 (bei gleichzeitigem Rückgang des Französischen) rasant ansteige. Interessant ist: Die prozentualen Anteile der nationalen Sprachen im Sprachenunterricht fallen bei jungen Staaten weitaus geringer aus als bei älteren Staaten. Man könnte diese Zahlen mit Rückgriff auf die Weberschen Funktionen "Vergesellschaftung" und "Vergemeinschaftung", wie Gerhards (2010) die beiden grundlegenden Funktionen der "Sprache als Kapital" unterscheidet, so interpretieren, dass die Vergemeinschaftungsfunktion der Sprache an Bedeutung verloren hat.25 So wird der Vergesellschaftungsfunktion der Sprache mehr Raum gegeben, die sie als instrumentelles Kapital erscheinen lässt. Und in instrumenteller Hinsicht haben die internationalen Verkehrssprachen (als wertvollstes transnationales sprachliches Kapital) mit ihrer größeren kommunikativen Reichweite bei einer Entgrenzung des Raums eben einen höheren Wert.

Und diese enorme Bedeutung der "fremdsprachlichen Kompetenz" findet man auch in der weithin bekannten "Grundstruktur der Allgemeinbildung und des Kanons" des PISA-Forschers Jürgen Baumert (2002: 113), zu der es erläuternd heißt: "In vielen Berufen und Lebensbereichen ist die ausreichende Beherrschung des Englischen damit zur kulturellen Basiskompetenz geworden" (Baumert 2002: 111). An erster Stelle seiner "kulturellen Basiskompetenzen" findet sich indes die "Beherrschung der Verkehrssprache" (mit der Baumert die jeweilige Landessprache meint), deren "Primat" nach Baumert keiner ernsthaft in Frage stellen wird. Schematisch gekreuzt werden die Basiskompetenzen mit den "Modi der Weltbegegnung", die als "unterschiedliche Rationalitätsformen" beschrieben werden:

Die unterschiedlichen Rationalitätsformen eröffnen jeweils eigene Horizonte des Weltverstehens, die für Bildung grundlegend und nicht wechselseitig austauschbar sind. Schulen moderner Gesellschaften institutionalisieren die reflexive Begegnung mit jeder dieser unterschiedlichen menschlichen Rationalitätsformen.
Sie bilden die latente Struktur eines kanonischen Orientierungswissens, das die Grundlage moderner Allgemeinbildung darstellt. Wilhelm von Humboldt (1809) hat dies bereits im Königsberger und litauischen Schulplan auf den Punkt gebracht: Menschenbildung bedürfe der Sprache, Geschichte, Mathematik (und Naturwissenschaften), Ästhetik und Gymnastik (Baumert 2002: 107).




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Unter der Überschrift "Ästhetisch-expressive Begegnung und Gestaltung" als einer Rationalitätsform findet sich das gedoppelte Stichwort "Sprache/Literatur". Sprache erscheint also als (verkehrs- und fremdsprachliche) Kompetenz einerseits und (in ihrer Verbindung mit Literatur) als ein Teil des Orientierungswissens andererseits, das in kanonisierter Form als Allgemeinbildung vermittelt wird. Diese berühmte Kreuzklassifikation hat den Vorteil, dass sie eine doppelte Rolle von Sprache in Bildung vor Augen führt (als Werkzeug oder Instrument einerseits und als Wissen andererseits), die z.B. der Ausgangspunkt für viele Diskussionen um die konkrete Ausgestaltung sprachenbezogener Curricula ist, insbesondere im Hinblick auf die Auswahl zu behandelnder Textsorten.

Nicht zuletzt weil hier, wie in Bildungsdiskursen üblich, auf Wilhelm von Humboldt verwiesen wird, soll an dieser Stelle aber auf die für Humboldt charakteristische umfassende Verschränkung von Sprache und Bildung hingewiesen werden, die in dem Satz zusammengefasst werden kann: "Menschliche Bildung ist immer auch sprachliche Bildung" (Hörner 2008: 17) und in seiner Tiefe kaum von dieser Kreuzklassifikation und den Überlegungen zu den verkehrs- und fremdsprachlichen Kompetenzen wiedergegeben wird. Leichter können Verbindungen zwischen der Humboldtschen Auffassung von sprachlicher Bildung und den sprachbildungspolitischen Diskursen der UNESCO hergestellt werden: Die Initiativen für die Verankerung der lokalen Muttersprachen gerade in den ersten Bildungsphasen werden ja – gerade auch gegen den höheren Marktwert der überregionalen Sprachen – mit ihrer positiven Funktion für lokale Inklusionsprozesse und die je individuelle Entwicklung der Kinder begründet. Hierzu zählt neben dem Ausbau der sprachlichen Kompetenzen eben auch alles andere, was die Elementar- und Primarbildung charakterisiert (wie Persönlichkeitsentwicklung, emotionale Bildung, soziale Kompetenzen etc.). Eingebettet sind diese Initiativen für den muttersprachlichen Unterricht aber immer in mehrsprachige Konzepte, bei denen neben der wirtschaftlichen Notwendigkeit von Kenntnissen überregionaler Sprachen auch die persönlichkeitsbildende Bedeutung von Alteritätserfahrungen durch Fremdsprachen betont wird. Zugleich werden Sprachen als Träger tradierten Wissens repräsentiert, womit ihnen ganz wie bei Humboldt ein Wert als Produkte des menschlichen Geistes beigemessen wird.


5 Fazit: Anthropologische Modelle in Sprachbildungsdiskursen

In historisch-anthropologischer Perspektive ließe sich nun die Frage stellen, ob in den internationalen Sprachbildungsdiskursen – trotz aller world polity – noch implizite anthropologische Modelle als Leitbilder einer sprachlichen Bildung miteinander konkurrieren oder ob hier eine einzige Gleichförmigkeit auszumachen ist. Für Europa hat Jürgen Trabant (2001) den Kampf der kulturellen oder anthropologischen Modelle zu Beginn des 16. Jahrhunderts anhand der Positionen in der italienischen Questione della Lingua herausgearbeitet.




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Als "Hauptachse des Streits der kulturellen Modelle" bezeichnet Trabant die Opposition zwischen dem "Permanten" einerseits und dem "Performativen" andererseits. Den Pol des "Permanenten" vertreten hier die Humanisten mit ihrem Lob der Schriftkultur und der alten Sprachen. Überlegen und für ganz Europa prägend sei aber das Modell des Höflings, der für den entgegengesetzten Pol des "Performativen" stehe (Trabant 2001: 170).

Man kann, Jürgen Trabant hier weiterdenkend, konstatieren, dass das von Baldassare Castiglione (1528)26 entwickelte anthropologische Modell des Cortegiano (samt seiner europäischen Variationen zum französischen honnête homme und zum englischen gentleman) nicht nur für die europäische Alltagskultur, sondern auch für die Bildungspolitik der Europäischen Union zum Leitbild geworden ist:

Als Gesellschaftsmann, als homo politicus, sucht der Cortegiano eine Sprache der Konversation, also eine Sprechsprache, keine Schreibsprache. Er will aber keinen lokalen Dialekt, keine Sprache der Nähe, sondern eine Sprache mit größerer Reichweite, eine Sprache mit telekommunikativen Potenzial: eine Sprache der Nähe für Distanzierte, für Leute aus der Ferne (Trabant 2001: 168).

Hierzu passt: Der moderne Europäer, der insbesondere als dauerhaft mobil entworfen wird, soll in erster Linie die Sprache mit der größten Reichweite, also Englisch beherrschen. Sodann sollen die Fremdsprachenkenntnisse auch in anderen Sprachen insbesondere nähesprachlich und direkt verwertbar sein. Für die Muttersprachen gibt es in der idealtypischen Mehrsprachigkeit der Europäer keinen priviligierten Ort mehr, Latein als völlig "unkommunikative" Sprache hat in den EU-Diskursen einen sehr schweren Stand, wie überhaupt der Kommunikation in zeitlicher Distanz keine übergroße Bedeutung beigemessen wird. Entsprechend werden die Broschüren zur Bildungspolitik der Europäischen Union mit Fotos von international zusammengesetzten jungen Leuten bebildert, die sich – durch Studium oder Business miteinander verbunden – in ganz vertrauter Nähe miteinander präsentieren.

Dieses Modell des in Europa wirkungsmächtig gewordenen Cortegiano passt nicht recht zu den Positionen der UNESCO zur sprachlichen Bildung, wie die Ausführungen deutlich gemacht haben sollten. Implizit erscheint vielmehr das Bild eines durchaus lokal kommunizierenden Menschen, der Interesse an und Verantwortung für die verschiedenen Formen des ihn umgebenden und prägenden materiellen und immateriellen Erbes zeigt, in dem er verankert ist. Dies jedoch – idealtypisch – immer verbunden mit einer Offenheit für andere lokale Sprachen und Kulturen sowie mit ökonomisch notwendigen Kommunikationsfähigkeiten in zumindest einer Sprache von größerer kommunikativer Reichweite.




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Auf dem Cover eines neuen Infokits zum immateriellen Kulturerbe (UNESCO 2009c) ist vor dem Hintergrund von heimelig wirkenden Teppichen an Wand und Boden ein westlich gekleideter kleiner Junge zu sehen, der vertraut neben einem traditionell gekleideten älteren Beduinen sitzt. Der Mann hat einen schwer zu bestimmenden, mit Fell oder Stoff bespannten Gegenstand in der einen Hand und ist mit seinem Gesicht und der anderen Hand dem Jungen zugewandt. Es hat den Anschein, als unterweise er ihn in einer traditionellen Technik, dies zugleich sprachlich als auch durch eine vorführende Bewegung mit der freien Hand.

Am Pol des "Performativen" also das Bild der mobilen, jungen beruflich Erfolgreichen, die sich in internationaler Zusammensetzung in vertrauter Nähe präsentieren, am Pol des "Permanenten" eine traditionelle Wohnstätte oder ein Zelt, in dem generationenübergreifend kommuniziert wird. Nicht nur diskursive Gefahren lauern auf beiden Seiten: Während an anderer Stelle (vgl. Jostes 2006) die Sprachbildungspolitik der EU kritisch analysiert und der Eindruck einer "Folklorisierung" von Sprachen formuliert wurde, so ist im Hinblick auf die UNESCO sicher die nicht weniger problematische Gefahr einer "Reifizierung" von Sprachen kritisch zu betrachten.


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Anmerkungen

1 Zum Europäischen Jahr der Sprachen 2001 siehe Jostes (2002).

2 http://www.un.org/events/iyl/index.shtml

3 http://www.un.org/events/iyl/unesco_stmt.shtml

4 Kurz vor dem Beschluss zur Ausrufung des Internationalen Jahres der Sprachen im Mai 2007 erschien ein Kompendium über die Aktivitäten der UNESCO bezüglich Sprachen und Mehrsprachigkeit. Hier finden sich im einführenden Abschnitt 1 (Background) unter Punkt 4 teilweise identische Formulierungen, vgl. UNESCO (2007a: 2).

5 So etwa auch in der thematischen Debatte "Protecting Indigenous and Endangered Languages and the Role of Languages in Promoting EFA in the Context of Sustainable Development" beim Executive Board der UNESCO, die am 7. Oktober 2008 stattfand.

6 So tut es de Swaan in Bezug auf das Unzugänglichwerden von Texten durch den Sprachwechsel einer Gemeinschaft unter dem Stichwort "The unequal exchange of texts" (de Swaan 1998).

7 Exemplarisch: UNESCO (2009b).

8 Siehe hierzu auch UNESCO (2005).

9 Nicht zufällig treffen sich daher im Bereich der sprachlichen Bildung gerade auf dieser Ebene die Internationale Erziehungswissenschaft – die etwa Kriterien, Modelle und Ziele internationaler Bildungsberichte hinterfragt – und die Historische Anthropologie der Sprache, die auf die Historizität von Sprachmodellen und -theorien mit dem Stichwort der "doppelten Historizität" der Sprache verweist.

10 http://www.unesco.org/ culture/languages-atlas/

11 Zum Begriff der Einsprachigkeit sowie zur Dialektik von Einsprachigkeit und Mehrsprachigkeit vgl. Jostes (2009).

12 Indes lässt sich mit dem Kriterium der Effizienz in Europa kaum für eine zweite Fremdsprache neben dem Englischen als Lingua franca werben und genau hierum kreisten die Diskussionen im Europäischen Sprachenjahr. Da tatsächlich der Mehrwert von Fremdsprachenkenntnissen jenseits des Englischen kaum mit Effizienz zu fassen ist, hat die von der Europäischen Kommission eingesetzte Expertengruppe unter der Leitung von Amin Maalouf das Konzept der "Adoptivsprache" (als zweiter Muttersprache) für die zweite Fremdsprache entwickelt (vgl. Maalouf u.a. 2008). Jedoch liegt dieser Text, der die Charakteristika der Muttersprache thematisiert, um sie dann auf die zweite Fremdsprache als Adoptivsprache zu übertragen, nicht nur völlig quer zum ökonomisch gerahmten Diskurs der EU, er findet auch in den Strategien und Instrumenten keine Berücksichtigung.

13 "Zwar sind die Staatsausgaben für Sprache von Fall zu Fall sehr verschieden; vielsprachige Staaten bzw. Staaten, die in ihrer Struktur und Funktionsweise die Vielsprachigkeit ihrer Bevölkerung berücksichtigen, sind in vielen Fällen zu höheren, direkt oder indirekt mit Sprache verbundenen, Ausgaben gezwungen als einsprachige Staaten, aber auch letztere bedienen sich ihrer Sprache(n) nicht umsonst" (Coulmas 1992: 157).

14 Siehe Europarat (2002) und ECOTEC (2002).

15 Siehe die Auswahl sprachenpolitischer Dokumente, die im EYL in Deutschland entstanden, in: BMBF (Hg.) 2002: 80–81.

16 Siehe exemplarisch zu diesem Prozess im frankophonen Afrika Naguschewski (2003).

17 Siehe Ammon (1999).




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18 Der Verdacht auf eine eher seltene tatsächliche Lektüre resultiert erstens aus der Beobachtung, dass die Arbeiten von Cummins zwar gerne erwähnt und in ihren (vermeintlichen) Kernaussagen zusammengefasst werden, dass dies aber kaum mit konkreten Verweisen und Zitaten erfolgt. Der Verdacht einer nur sehr vagen Kenntnis erhärtet sich, wenn gar der Name des Autors konsequent falsch geschrieben wird, wie etwa in UNESCO (2007c: 8 und Bibliographie).

19 "Unabhängig davon, wie Globalisierung definiert wird: es geht immer um eine veränderte Bedeutung von Raum und Zeit mit Konsequenzen für sachbezogene Entscheidungen und soziale Interaktionen, mit denen Herausforderungen für allgemeinbildende Schulen in internationaler, nationaler, regionaler und lokaler Perspektive verbunden sind. Neue Medien und Kommunikationsformen haben eine Bedeutung sowohl für Menschen, als auch für die Schule. Denn die Auflösung der Differenz von Nah und Fern als gegebener Umweltgröße impliziert veränderte Raumreferenzen. Dies hat Konsequenzen für die Schule als einer gegenüber der Gesellschaft als organisatorisch abgeschlossen gedachten Einrichtung. Denn die Bedeutung des persönlichen Nahbereichs im lokalen und regionalen Kontext der Schule, der bisher mit Bezug zu nationalstaatlichen Grenzen als abgeschlossen beschrieben werden konnten, verändert sich im globalen Kontext" (Lang-Wojtasik 2008: 19).

20 Vgl. hierzu den Überblick zum Forschungsstand zu "Globalization and Education" von Spring (2008).

21 Siehe hierzu etwa Schemmann (2007: 228): "Im Falle der UNESCO stellt etwa die ausdrückliche Betonung der Friedensdimension ein Beispiel für eine Abweichung zu Konzepten anderer Organisationen". Zum Vergleich der Konzepte und Institutionen siehe auch Knoll (1996). Zur Geschichte der UNESCO insgesamt vgl. Hüfner (2005), zur Bildungspolitik beispielsweise Krüger-Potratz (Hg.) (2006).

22 Adick (2008: 200ff.) stellt drei große Referenztheorien nebeneinander, die sie anhand ihrer Schlüsselbegriffe einander gegenüber stellt: die "Weltkultur" (Meyer), das "Weltsystem" (Wallerstein) und die "Weltgesellschaft" (Luhmann).

23 "Kultur, wie wir sie verstehen, schließt die institutionellen Modelle der Gesellschaft selbst mit ein. Diese kulturellen Modelle bestimmen den gesellschaftlichen Rahmen, die als legitim geltenden Akteure und die Handlungsmuster, die zur Verfolgung kollektiver Ziele zur Verfügung stehen, und beziehen diese Elemente aufeinander" (Meyer / Boli / Thomas 2000: 29).

24 Zur Geschichte des Begriffs siehe Kraus (2001).

25 "Wird die Sprache für Prozesse der Vergesellschaftung genutzt, spreche ich von instrumentellem sprachlichen Kapital, bezieht sich der Ressourceneinsatz auf Vergemeinschaftungsprozesse, spreche ich von symbolischem sprachlichen Kapital. Handelt es sich um die Kompetenz, in mehreren Sprachen sprechen zu können, dann bezeichne ich dies als transnationales sprachliches Kapital und unterscheide analog zwischen einer instrumentellen und einer symbolischen Funktion des transnationalen sprachlichen Kapitals" (Gerhards 2010: 27).

26 Vgl. Quondam, Amedeo (Hg.) (1999).