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Yvonne Stork (Freiburg)



Dietrich Busse (2009): Semantik. Paderborn: Fink. (= LIBAC – Linguistik für Bachelor)



Das vorliegende Buch ist als Einführung speziell für Bachelor-Studierende, nicht nur in philologischen Fächern, sondern auch in benachbarten Disziplinen wie Medien- und Kommunikationswissenschaften, konzipiert. Der Germanist Dietrich Busse ist ein ausgewiesener Semantik-Spezialist, der eine ganze Reihe einschlägiger Publikationen auf diesem Gebiet verfasst hat.1

Wie konzipiert man einen knappen – der Klappentext wirbt mit "[s]chmal, kompetent, didaktisch" – Einführungsband in die Semantik, die "[m]it ihren starken Bezügen zu Philosophie, Logik, allgemeiner Semiotik, Psychologie und Kognitionswissenschaft (...) ein Tummelplatz der Theorien, Modelle, wissenschaftlichen Schulen" (7) ist? Busse entscheidet sich für eine Aufteilung in zwei Teile mit allerdings mannigfachen Querverbindungen, Grundbegriffe, Theorien und Modelle der Linguistischen Semantik sowie Gegenstände und Forschungsrichtungen der Linguistischen Semantik. Der gewählte Aufbau scheint mir sinnvoll. Es kommt zwar mehrfach zu Überschneidungen zwischen den beiden großen Teilen,2 doch das ist kaum zu vermeiden. Teil I wie Teil II umfassen jeweils vier Kapitel, wobei der erste Teil fast doppelt so lang ist. Jedem Kapitel ist ein kurzer Abschnitt "Ziele und Warm Up" vorgeschaltet. Über die Bezeichnung "Warm Up" für Beispiele, manchmal auch kurze einleitende Gedanken, die den Leser auf das neue Kapitel einstimmen sollen, kann man sicher streiten, sie geht aber vermutlich nicht auf Busse, sondern eher auf den Reihenherausgeber Hans Jürgen Heringer oder den Verlag zurück, denn der ebenfalls in der Reihe Linguistik für Bachelor erschienene Band Morphologie beginnt auch jedes Kapitel mit einem "Warm Up". Am Ende jedes Kapitels bzw. bei Kap. 2 auch am Schluss jedes Unterkapitels finden sich Aufgaben und Literaturangaben zur Vertiefung. Bei den Kap. 2, 3 und 4 kommt zusätzlich noch ein Fazit hinzu. Den Abschluss des Bandes bilden eine Bibliographie (134–141) und ein Register (142–144).

Busse beginnt mit einem sehr kurzen Kapitel "Grundlagen der Semantik" (13–21), in dem er den Gegenstand des Buches kurz skizziert, darlegt, dass Semantik meistens als Wortsemantik betrieben wird, und überdies auf die Theorieabhängigkeit jeder wissenschaftlichen Erkenntnis hinweist.




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Das zweite Kapitel, "Wortbedeutung: Positionen der Wortsemantik" (22–59), ist das mit Abstand umfassendste. Auf eine Präsentation der klassischen Zeichentheorie sowie der Zeichentheorie Ferdinand de Saussures folgen Ausführungen über "Das definitorische Spiel der Semantiktheorien: Ersetzungskonzepte für 'Bedeutung'". Im Anschluss daran werden vier verschiedene Positionen der Wortsemantik präsentiert, die traditionelle Semantik, die logische Semantik, die Merkmalsemantik und die Stereotypen- bzw. Prototypen-Semantik. Einzelne Aspekte, wie etwa die Auffassung der Vertreter der Prototypensemantik, dass Bedeutungen prototypikalischen Charakter hätten, finden durchaus Busses Zustimmung, insgesamt überwiegt jedoch in allen Fällen die Kritik, die zum Teil recht harsch ausfällt. Busse räumt allerdings ein: "Keines der Modelle ist frei von Problemen, aber das kann bei einem solch komplexen Gebiet wie der Semantik vielleicht auch gar nicht anders sein" (59).

Der Autor bevorzugt gegenüber den genannten Ansätzen eindeutig die pragmatische Semantik und die Frame-Semantik, weshalb er diesen beiden Ausrichtungen jeweils ein eigenes Kapitel widmet. Die "Pragmatische Semantik" ist Gegenstand von Kapitel 3 (60–79). Busse betrachtet es als großes Plus von gebrauchstheoretischen und intentionalistischen Ansätzen, dass diese bei der Betrachtung semantischer Phänomene dem Begriff der Regel bzw. der Konvention eine wichtige Rolle beimessen. Die Trennung von Semantik und Pragmatik hält Busse für obsolet. Seiner Ansicht nach gilt: "'Pragmatik' ist Semantik; genauer: der Teil der Semantik, der sich verstärkt mit solchen kontext-, gebrauchs- und benutzerabhängigen Aspekten der bedeutungshaften Leistung sprachlicher Einheiten und ihrer Benutzung zu kommunikativen Zwecken befasst, die von den 'klassischen' Modellen der linguistischen Semantik (vor allem: Logische Semantik und Merkmalsemantik) nicht erfasst werden" (72). Die Phänomene Deixis, Implikaturen und Präsuppositionen, die im allgemeinen der Pragmatik zugeschlagen werden, stellen nach Meinung Busses einen wichtigen Gegenstandsbereich der Semantik dar. Traditionelle Semantik, logische Semantik, Merkmalsemantik und Stereotypen- bzw. Prototypen-Semantik erweisen sich für Analysen in diesem Bereich als wenig geeignet, nicht zuletzt deshalb, weil bei deiktischen Phänomenen, Implikaturen und Präsuppositionen "in verschiedenen Weisen auf verstehensrelevantes Wissen zurückgegriffen wird, das über dasjenige, das auf dem Bildschirm bisheriger linguistisch-semantischer Modelle auftauchte, deutlich hinausgeht" (78). Dieses Wissen ist nach Busse ein Teil der "Bedeutung" sprachlicher Einheiten. Ein Ansatz, der dieser Auffassung Rechnung trägt, ist die "Frame-Semantik", der Gegenstand des 4. Kapitels (80–90). Deren wesentliches Verdienst liegt nach Busse gerade darin, dass sie als erste Semantiktheorie dem verstehensrelevanten Wissen den ihm gebührenden zentralen Platz einräumt und somit nicht nur für wortsemantisch ausgerichtete Arbeiten die geeignete theoretische Grundlage abgeben könnte, sondern auch "für ein integratives Modell der Semantik aller sprachlichen Ebenen (Wort, Satz, Text)" (90).




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Im fünften Kapitel "Lexikalische Semantik" (93–101), das den zweiten Teil einleitet, zeigt Busse auf, inwiefern die sog. "lexikalische Bedeutung" bzw. "Wortbedeutung" seines Erachtens ein Konstrukt ist. Insgesamt ist dieses Kapitel absichtlich kurz gehalten. Busse möchte nämlich – eine absolut nachvollziehbare Entscheidung – mit seinem Buch bewusst einen Gegenakzent zum Gros der Literatur im Bereich der Semantik setzen, wo Satzsemantik, Textsemantik oder Ansätze einer kulturwissenschaftlich ausgerichteten Semantik, sowie nach Busses Ansicht auch ein Gegenstand wie die semantischen Relationen eindeutig im Schatten der lexikalischen Semantik stehen.3

Das sechste Kapitel dreht sich um "Semantische Relationen" (102–110). Hier führt Busse nicht nur "klassische" semantische Relationen wie Synonymie, Antonymie, Hypo- und Hyperonymie auf, sondern er entscheidet sich dafür, auch Polysemie und Homonymie unter den semantischen Relationen zu rubrizieren (cf. 103). M.E. wäre es sinnvoller, diese beiden Phänomene gemeinsam unter einem Extrapunkt "Lexikalische Ambiguität" zu präsentieren.4 Und sicherlich kann man die Homonymie nicht gemeinsam mit der Synonymie als eine Beziehung "der Bedeutungsidentität" bezeichnen, wie dies Busse vorschlägt.5 Ein geschickter Schachzug Busses ist es hingegen, zum Schluss mit Implikaturen und Präsuppositionen just zwei Relationen anzuführen, die im allgemeinen eher der Pragmatik zugeschlagen werden. So hat er gewissermaßen den Boden bereitet, um am Schluss des Abschnitts auf die Bedeutung der linguistischen Pragmatik – und in einem weiteren Schritt auch der Frame-Semantik – für die Erklärung semantischer Relationen hinzuweisen: "Neben diesen starken Bezügen der 'semantischen Relationen' zum Gegenstandsbereich der Linguistischen Pragmatik fällt auf, dass viele der erwähnten Beispiele auch als Beispiele für die semantische Frame-Theorie (...) an zentraler Stelle genannt wurden (z.B. bei Fillmore das Beispiel kaufen – verkaufen, oder Bezeichnungen wie Vater, Mutter, Tochter, Sohn, Schwester usw.). Frame-Semantik und Linguistische Pragmatik erscheinen daher bei genauerer Betrachtung als die adäquateren Erklärungsansätze für das, was sehr verkürzend als 'semantische Relationen' bezeichnet wird“ (107/108).

Das siebte Kapitel trägt den Titel "Von der Wortsemantik zur Satz-, Text- und Kontext-Semantik" (111–124). Es ist ein (erneutes) entschiedenes Plädoyer, Semantik nicht als Wortsemantik zu betreiben, sondern als "Äußerungssemantik" (wenn man eine kommunikative Perspektive einnimmt) bzw. als "Kontextsemantik" (114) (wenn die Perspektive wie bei Busse eine epistemologische ist). Die beste Grundlage für eine solche wissensanalytische oder Kontextsemantik liefert nach Busse die Frame-Semantik Fillmorescher Prägung, da sie die für das Verstehen nötigen Wissensrahmen analysiert.

Den Abschluss bildet das achte Kapitel. Es lautet "Kulturwissenschaftliche Semantik: Ein Blick über den Tellerrand" (125–133) und beleuchtet die Tatsache, dass semantische Fragestellungen seit etwa 40 Jahren auch in Wissenschaften wie der Soziologie, der Politikwissenschaft, den Kommunikationswissenschaften oder der Geschichtswissenschaft thematisiert werden.




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Gleich, ob es sich um die Begriffsgeschichte Koselleckscher Prägung, um die sich auf Foucault berufende Diskursanalyse oder um die Argumentationsanalyse nach dem Modell Toulmins handelt, immer geht es um "eine starke Ausweitung des in semantischen Analysen zu berücksichtigenden semantisch relevanten (oder verstehensrelevanten) Wissens" (131). Insofern ist es nicht verwunderlich, dass Busse auch hier wieder auf Fillmores Frame-Semantik als adäquate semantische Theorie verweist.

Busses Semantik ist eine sehr dichte, dabei sehr klar geschriebene Einführung. Es gelingt dem Autor, die äußerst komplexe Materie verständlich darzustellen, ohne zu simplifizieren. Busse bietet einerseits einen guten Überblick über die zentralen Theorien im Bereich der Semantik und bezieht andererseits eindeutig Position, welche Ansätze seines Erachtens zu favorisieren sind, wie sich an seinem Ceterum censeo-ähnlichen Rekurs auf Fillmores Frame-Semantik vor allem im 7. und im 8. Kapitel zeigt.



Anmerkungen

1 Zu nennen sind hier in erster Linie seine drei Monographien Historische Semantik (Stuttgart 1987), Textinterpretation. Sprachtheoretische Grundlagen einer explikativen Semantik (Opladen 1991) und Juristische Semantik. Grundfragen der juristischen Interpretationstheorie in sprachwissenschaftlicher Sicht (Berlin 1993).

2 Das Unterkapitel 1.1 ist betitelt "Semantik: Begriff und Gegenstände", Teil II behandelt, wie erwähnt, "Gegenstände und Forschungsrichtungen der Linguistischen Semantik".

3 Was die Behandlung der semantischen Relationen in der Literatur betrifft, kann ich Busses Einschätzung allerdings nicht nachvollziehen, man denke z.B. an ihre Bedeutung in der Wortfeldforschung und in der strukturellen Semantik, wo es ja weniger um die Bedeutung einzelner Wörter, als vielmehr um das Aufzeigen von Strukturen und Relationen im Wortschatz geht.

4 Man könnte den Eindruck gewinnen, dass Busse selbst nicht ganz überzeugt ist von dieser Subsummierung. Während er alle anderen in 6.1 besprochenen Relationen in der Überschrift aufführt – 6.1 Syntagmatische und paradigmatische Relationen, Polysemie, Synonymie, Hypo- und Hyperonymie –, lässt er die Homonymie unerwähnt.

5 "Neben den Beziehungen der Bedeutungsverschiedenheit (Polysemie), der Bedeutungsidentität (Synonymie und Homonymie) und der Bedeutungshierarchie (Hyperonymie bzw. Hyponymie) sind die Beziehungen des Bedeutungsgegensatzes ein wichtiger Gegenstand der Untersuchung und Beschreibung semantischer Relationen" (105).