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Beatrice Nickel (Stuttgart)



Die Avantgarde und das Sonett: Anverwandlungen einer Gattung



The Avantgarde and the sonnet: Adaptions of a poetic genre
From its invention in the 13th century onward the form of the sonnet has been much varied – most of all in regard to the rhyme scheme. Even Petrarca did not restrict himself to only one form of the sonnet. Later, in the Elizabethan Age, almost each of the famous sonneteers invented an individual form of the sonnet. This indicates that formal aspects have always been quite important to the poets writing a sonnet, which means that its visuality has also been a point of special interest. Indeed, the sonnet is first of all recognized by its formal structure. It is therefore hardly surprising that it has been received into the realm of visual poetry. The first example of a visual sonnet was written in the 14th century by an Italian poet. Particularly during the 20th century the sonnet was used for many different purposes in the field of visual poetry, e.g. as a medium of social criticism, of scientific achievements, as a form of non-verbal expression etc. This essay gives an idea of the many-sidedness of the visual sonnet in the 20th century.



1 Das Sonett zwischen Regelhaftigkeit und Freiheit

Das Sonett gilt gemeinhin als forme fixe, und dazu noch als eine, die an Regelhaftigkeit kaum zu überbieten ist. So der Eindruck, der dem Laien vermittelt wird. Unter diesen Umständen muss die Frage gestattet sein, warum gerade die Avantgarden, die ja stark dem technischen Experiment zugeneigt sind, sich der Form des Sonetts bedienen. Dabei scheint es sich geradezu um ein Paradox zu handeln. Dieses Paradox lässt sich allerdings sehr schnell auflösen, wenn man die Gattungsgeschichte des Sonetts in den Blick nimmt: "Le sonnet est un genre à forme fixe : telle est l'opinion reçue ; le sonnet est un protée : son histoire nous l'apprend." (Jost 1973: 67) Schon die ersten Sonettisten variieren nämlich die Form des Sonetts, und zwar vor allem hinsichtlich des Reimschemas. Beispielsweise gibt es bei Francesco Petrarca (1304–1374), auch wenn das Schema abba abba cde cde in seinen 317 Sonetten des Canzoniere (Manuskripte 1356–1360, Erstdruck 1470) dominiert, dennoch zahlreiche andere Varianten. Sobald das Sonett im 16., spätestens aber im 17. Jahrhundert den Weg aus Italien in die anderen europäischen Länder findet, wird in vielen eine nationale Form des Sonetts als Standardsonett etabliert: Zum Beispiel entwickelt Clément Marot (1496–1544) in Frankreich das sonnet régulier, das in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts von der Pléiade zum gültigen Modell erklärt wird, und in England setzt sich das von Sir Philip Sidney (1554–1586) geschaffene Shakespearean Sonnet durch.




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England ist insofern ein interessanter Betrachtungsgegenstand, als fast jeder der großen Sonettisten der Elizabethan Era und somit der ersten Blütephase des Sonetts im englischen Königreich eine eigene Form entwickelt: Edmund Spenser (1552–1599) bevorzugt das Schema abab bcbc cdcd ee und Sidney neben einer Reihe von Varianten abba abba cdc dee oder ccd eed. Die große, aber dennoch die Ausnahme bestätigende Regel stellt William Shakespeare (1564–1616) dar, auf den kein eigener Reimtypus des Sonetts zurückgeht. In seinen Sonnets (1609) weicht er nur zweimal von der von Surrey entwickelten Form (abab cdcd efef gg) ab.1 Wie in keinem anderen Land, das das Sonett in der Frühen Neuzeit aus Italien importiert und in den eigenen Gattungskanon aufnimmt, herrscht in England lange Zeit Unklarheit darüber, was ein Sonett sei. Dies ist ein wichtiger Beleg dafür, dass im 17. Jahrhundert das Sonett eben nicht umstandslos als forme fixe aufgefasst wird. Erst im Jahre 1575 liefert George Gascoigne (1539–1578) in Certayne Notes of Instruction Concerning the Making of Verse formale Vorgaben für das englische Sonett.2

Mehr noch als die englischen zeichnen sich die ersten deutschen Sonette, die aufgrund der allgemeinen kulturellen 'Verspätung' Deutschlands erst im Barock verfasst werden, durch formale Experimentierfreudigkeit aus. Diese betrifft vorwiegend die typographische Gestaltung, das Metrum sowie das Reimschema.3 Sie äußert sich außerdem in einer Vielzahl von "akustischen Sonettkunststückchen" (Mönch 1955: 149), wie zum Beispiel in Echo- und Dialogsonetten.

Alle Versuche, das Sonett als lyrische Form auf ein idealtypisches Modell festzulegen, gehen an der geschichtlichen Realität dieser Gattung vorbei. Ein ähnliches Phänomen lässt sich übrigens auch bei der Novelle beobachten, deren Bestimmungen aus dem 18. Jahrhundert die komplette Frühgeschichte der Gattung ausblenden. Vor allem in den Poetiken, die im 16. oder 17. Jahrhundert veröffentlicht werden, wird dennoch ein solcher Idealtypus des Sonetts vertreten, oder in seltenen Fällen ein paar wenige Idealtypen. Der tatsächlichen Sonettpraxis kommt da schon Antonio da Tempo (?–1339) näher, der in seiner Summa artis rithmici vulgaris dictaminis (1332) zumindest sechzehn Reimvarianten des Sonetts unterscheidet. Wohlgemerkt: Wir befinden uns hier noch in der absoluten Frühphase des europäischen bzw. genauer des italienischen Sonetts.

Trotz des Variantenreichtums des Sonetts ist die Festlegung der Gattung auf bestimmte formale Vorgaben eine durchaus nachvollziehbare menschliche Verhaltensweise. Um mit einem Begriff sinnvoll arbeiten zu können, braucht man schließlich eine konkrete Vorstellung von der inhaltlichen Füllung des Begriffes. Eine Tautologie wie die Definition: "Ein Sonett ist, was ein Sonett ist, oder was ein Dichter als ein solches bezeichnet", hilft im konkreten Einzelfall jedem, der ein solches verfassen möchte, kaum. Dass gerade in der Frühen Neuzeit, also unmittelbar nach der Übernahme des Sonetts aus Italien in die anderen europäischen Länder das Bedürfnis stark ausgeprägt ist, diese Gattung auf bestimmte formale Vorgaben festzulegen, wird mit Blick auf den literaturgeschichtlichen Kontext nachvollziehbar. Sowohl das 16. als auch das 17. Jahrhundert ist ja eine Zeit der normativen Poetiken, die den Dichtern konkrete Dichtungsanweisungen mit auf den Weg geben. In Frankreich entstehen in der Nachfolge von Thomas Sébillets berühmten Art poétique françoys (1548) beispielsweise zahlreiche poetologische Traktate dieser Art, die natürlich auch die Verfertigung eines ordnungsgemäßen und regelkonformen Sonetts, eben eines sonnet régulier, thematisieren – vor allem auch von den Mitgliedern der Pléiade.




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Der kleine, anfangs gegebene gattungsgeschichtliche Rückblick in die ersten nationalen Blütephasen des europäischen Sonetts zeigt eines überdeutlich: Das Sonett wird von Anfang an in verschiedensten Hinsichten variiert. Zum Beispiel stammt das erste figurale Sonett bereits aus dem 14. Jahrhundert, und zwar von Nicolò de' Rossi (ca. 1290–ca. 1340). Hierbei handelt es sich um ein sternförmiges Gebilde, bei dem zunächst der traditionelle Lesevorgang der Betrachtung weichen muss. Erst in einem zweiten Schritt oder auf den zweiten Blick kommt auch die verbale Komponente des Sonetts ins Spiel, und die Entzifferung der inhaltlichen Aussage beginnt. Dies geschieht dabei allerdings nicht in der konventionell horizontalen Leserichtung, sondern den visuellen Gegebenheiten eines Sternbildes entsprechend in diagonalen Richtungen. Hier ist die Linearität des kanonisierten Sonetts aufgegeben, und die Form hat den Bereich der Visuellen Poesie erobert.


Abb. 1: de' Rossi, Sonett Nr. 247 (zit. n. Greber 2002: 641)


Nachdem dieser Schritt schon im 14. Jahrhundert problemlos vollzogen werden konnte, ist es wenig verwunderlich, dass die Avantgarden des 20. Jahrhunderts die Experimente mit dem Sonett weiter vorantreiben. Besonders im 20. Jahrhundert werden wieder verstärkt Sonette produziert, und zwar sowohl mit verbalen als auch non-verbalen Mitteln und vor allem im Bereich der Visuellen Dichtung. Damit lässt sich das häufige Auftreten von Sonetten im Rahmen der Visuellen Poesie erklären. Visuelle Poesie und Sonette stehen zudem in einem engen Verhältnis zueinander:

Unter dem Stichwort kombinatorische Graphie könnte man das Sonett als bisher verkannte (Früh-)Form der Visuellen Poesie vorstellen. Dabei geht es keineswegs bloß um die exponierte Form des Figurensonetts vom Barock bis zur Konkreten Poesie. (Greber 2002: 586)




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Jedes Sonett besitzt nämlich eine "elementare Visualität" (Greber 2002: 587). Man könnte hier auch von einer primären Visualität sprechen, die die Gattung als solche besitzt und die in den figurierten Sonetten durch eine sekundäre, nämlich die Anordnung der verwendeten Zeichen auf der Papierfläche, ergänzt wird. Aus diesem Grund erfreut sich das Sonett auch im Umfeld der Konkreten Poesie großer Beliebtheit. Vor allem in Brasilien floriert das Sonett spätestens seit den 1960er Jahren aufs Neue. Innovationen betreffen dabei sowohl die thematische als auch die formale Ebene.


2 Die soziale Dimension des visuellen Sonetts

Das erste Beispiel stammt von dem Brasilianer Avelino de Araújo, der insofern einen guten Ausgangspunkt darstellt, als er gleich ein ganzes Sonettbuch (Livro de sonetos, 1994) publiziert hat. Sein Soneto América Latina (1987) (zit. n. López Fernández 2006: 109) stammt allerdings nicht aus dieser Sonettsammlung:


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Abb. 2: Araújo, Soneto América Latina (1987)


Schon auf den ersten Blick sticht ins Auge, dass es sich um ein non-verbales Sonett handelt. Das ist insofern der Rede wert, als Araújo somit das in der literarischen Tradition auf Sprache angewiesene Sonettschema ausschließlich mit nichtsprachlichen Mitteln füllt.

Zur Form des Sonetts im vorliegenden Fall ist zu sagen, dass es zwei Quartette und zwei Terzette gibt, die 4-4-3-3-Struktur ist also beibehalten. Dennoch weicht das vorliegende Sonett in einem wichtigen Aspekt vom kanonisierten Sonett ab, denn die beiden Vierergruppen erscheinen erst nach den beiden Dreiergruppen. Die Anordnung der Quartette und Terzette im 'Normalsonett' ist also in ihr Gegenteil verkehrt. Araújo entfernt sich mit dieser Variation allerdings weniger von literarischen Mustern, als man anzunehmen geneigt sein könnte: Auch für eine solche Anordnung gibt es nämlich eine literarische Tradition, und zwar das so genannte sonnet à rebours (z.B. bei Apollinaire). In Araújos Sonett gesellt sich daher zur Innovation gleichermaßen die Tradition.




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Nun zur Struktur des Sonetts: Dadurch, dass Araújo die von ihm verwendeten Gabeln in ihrer Zackenzahl so variiert, dass es zwei mit vier und zwei mit drei gibt, legt er die Annahme nahe, dass jede Zacke der vier Gabeln4 als Entsprechung eines Verses in der traditionellen Sonettform aufgefasst werden soll. Die Anordnung der Quartette und Terzette ist dabei nicht das Einzige, was im Sonett umgedreht ist, sondern auch die horizontale Ausrichtung der Gabeln. Die vertikale Abweichung vom kanonisierten Sonett – und somit der dominanten literarischen Tradition – geht einher mit einer solchen auf der horizontalen Ebene. Der traditionellen Leserichtung von links nach rechts entsprechend erwartet der Leser/Betrachter eher die Ausrichtung der Zacken nach rechts. Im Sonett ist etwas aus dem Gleichgewicht geraten, hier ist etwas nicht so, wie es sein sollte. Worum es sich dabei handeln könnte, benennt der Titel: um den Hunger in Lateinamerika. Diesen symbolisieren auf paradigmatische Weise die leeren Gabeln, die förmlich auf Nahrung zu warten scheinen. "La imagen gráfica del poema, el tenedor vacío e invertido, presenta el tema del hambre en América Latina." (López Fernández 2006: 109) Es handelt sich hierbei also um eine stark sozial engagierte Konkrete Dichtung bzw. Sonettkunst. Araújo neigt in seiner gesamten Dichtung zu einem solchen Engagement. (vgl. López Fernández 2006: 108ff.) Bevorzugt thematisiert er die Konsumgesellschaft und deren Folgen, soziale Ungerechtigkeiten und Ungleichheiten, die Wirtschaftslage, aber auch das fehlende ökologische Bewusstsein u.ä. Zum Beispiel existiert von Araújo auch ein Sonett mit dem Titel Código de barras (1997), das kein einziges verbales Element, sondern nur einen Barcode enthält. Hier nimmt der Dichter das konsumgesteuerte Verhalten des modernen Menschen kritisch in den Blick. Sein Soneto 31.03.1964 (1990) (Araújo 1990) widmet Avelino de Araújo einem geschichtlichem Ereignis, nämlich dem durch die USA geförderten Militärputsch in Brasilien, durch den der langjährige brasilianische Präsident João Goulart gestürzt wurde. Die Macht übernahm unverzüglich Humberto de Alencar Castelo Branco und errichtete in seiner Regierungszeit (1964–1967) ein Militärregime. Das Sonett enthält ebenfalls keine verbalen Elemente. Es versucht vielmehr, durch geschwärzte Vierecke den Gewalthandlungen, die im Kontext des Militärputsches stehen, einen visuellen Ausdruck zu geben. Angesichts des Militärputsches ist die Dichtung sprachlos, es bleibt nur die Möglichkeit der Schwärzung:


Abb. 3: Araújo, Soneto 31.03.1964 (1990)





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Auch in diesem Sonett wahrt der Dichter in gewissem Sinne die sonetttypische Strukturierung, denn es erscheinen vier Einheiten, von denen jeweils zwei eine gleich große Fläche ausfüllen. Man könnte die Flächenpaare darum jeweils als ein visuelles Pendant der Quartette und Terzette des kanonisierten Sonetts auffassen. Von einem 4-4-3-3-Schema kann hier insofern aber nicht gesprochen werden, als die Flächen in sich nicht weiter unterteilt sind. Betrachtet man zunächst nur die 'Quartette', so fühlt man sich an A. W. Schlegels Vergleich dieser mit der geometrischen Figur des Quadrats erinnert.5 Allerdings muss dieser erste Eindruck schnell verschwinden, zumal auch die Terzette als Vierecke gestaltet sind und nicht, wie von Schlegel vorgeschlagen, als Dreiecke konstruiert sind.

Dass es sich bei Araújos Vorliebe für eine sozial und politisch engagierte Dichtung um keine Randerscheinung, sondern ein Merkmal der brasilianischen Konkreten Poesie handelt, belegt die Dichtung der Noigandres-Gruppe, die bevorzugt soziale Missstände in Brasilien anprangert: "the Brazilian Noigandres group never put aside its concern with social commitment (political engagé poems) […]." (Campos 2005: 9)6 Vom sozialen Engagement Avelino de Araújos zeugt auf besonders eindringliche Weise auch Araújos Apartheid Soneto (1988) (zit. n. krüger 2006: 163): "Temáticamente el título en relación con la imagen gráfica del poema denuncia el apartheid y visualmente se denuncia cualuier forma de represión de las libertades del individuo." (López Fernández 2006: 108)


3 Die moderne Wissenschaft und das visuelle Sonett

Einer modernen technischen Errungenschaft ist Mary Ellen Solts weltberühmtes Moonshot Sonnet (1964) (Solt 1970: 242)7, das bislang als ältestes non-verbales Sonett gilt, gewidmet, nämlich den ersten Mondaufnahmen, die um die Welt gingen. Wie schon bei den Beispielen von Araújo erfahren die non-verbalen Zeichen nur durch die Titelworte eine Semantisierung:


Abb. 4: Solt, Moonshot Sonnet (1964)





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Wie Araújo in den beiden vorangehenden Texten füllt auch Solt das Sonettschema ausschließlich mit non-verbalen Elementen. In diesem Fall handelt es sich ausschließlich um Striche bzw. graphische Oberflächenmarkierungen, wie sie in der Auswertung der ersten Mondaufnahmen verwendet wurden. Diese sind dabei nach der traditionellen Binnengliederung des Sonetts in zwei Quartette und zwei Terzette angeordnet, wobei keines der kanonisierten Reimschemata zu erkennen ist. Wie stark dieses Sonett der Tradition der Gattung verpflichtet ist, kann an einem weiteren Aspekt aufgezeigt werden, der bisher keine Rolle gespielt hat. Die Traditionsverbundenheit manifestiert sich nämlich nicht nur in der formalen Anlage, sondern ebenso auf der inhaltlichen Ebene. Das Thema des Mondes ist ja ein beliebter Gegenstand der traditionellen Sonettistik von Petrarca über die Sonettisten des 16. und 17. Jahrhunderts bis hin zu den Romantikern. "Nur wenn der Leser ein traditionelles Sonett mit dem lyrischen Thema Mond mit assoziiert, wird ihm die Intention der Autorin […] verständlich." (Beyer 1975: 24) Zu diesem Sonett existiert ein aufschlussreicher Selbstkommentar der Dichterin:

I could not [write a sonnet to the moon] […] unless I was willing to incorporate its new scientific content. The sonnet was a supranational, supralingual form like the concrete poem. 'Moonshot Sonnet' is both a spoof of old forms and a statement about the necessity for new ones. (zit. n. Spatola 2008: 98).

Mary Ellen Solt formuliert hier etwas, das für alle visuellen Sonette – und nicht nur diese, sondern darüber hinaus für jede Form des experimentellen Sonettierens – gilt, nämlich die Verortung zwischen Tradition – wenn hier auch ex negativo als Parodie (spoof) – und Innovation (new forms). Die Dichterin stellt sich sogar explizit in die Traditionslinie des Sonetts seit seiner ersten Blütephase in der Renaissance, allerdings mit der zeitgemäßen thematischen Ausrichtung auf die moderne Wissenschaft (scientific content). Zumal sie sich der Mondfotografien bedient, die in den Zeitungen abgedruckt wurden, kann man das Moonshot Sonnet zu Recht als ein ready-made poem bezeichnen. Hier folgt Mary Ellen Solt der Tradition der dadaistischen Methode, Artefakte zu erzeugen.

Dadurch, dass Solt sich im Moonshot Sonnet der Rastermarkierungen der ersten Mondaufnahmen bedient, nimmt sie eine 'Entromantisierung' oder 'Entzauberung' des Mondes vor. Sie überwindet damit den Mondenschein als romantisches Motiv in der Dichtung und realisiert somit einen modernistischen Aufklärungsgestus, den schon Marinetti zum futuristischen Programm erhoben hat: Uccidiamo il chiaro di Luna (1909).8 Hier sagt Marinetti sämtlicher sentimentaler Kunst und Literatur den Kampf an. Der Mond als romantischer nächtlicher Begleiter des Menschen erscheint im Moonshot Sonnet auch deshalb 'entzaubert', weil er mithilfe einer Hochpräzisionskamera abgebildet wird. Das entstandene Bild ist daher ein rein technisches Produkt, der Mond wird nicht mehr vom (mehr oder weniger romantisch veranlagten) Menschen wahrgenommen. Dadurch wird das Bild vom Mond zugleich reproduzierbar, wodurch die Aura des romantischen Mondenscheins verschwindet. Es vollzieht sich hier, was fast 30 Jahre zuvor Walter Benjamin in seinem Essay Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit (1936)9 prognostizieren konnte: Die Erzeugung von artifiziellen Repräsentationen von Wirklichkeit durch technische Verfahren nimmt dem Kunstwerk wie dem von ihm Repräsentierten jegliche Aura. Es bleibt der durch Apparate erzeugte Blick auf den Mond.




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Das Zitat enthält aber noch weitere interessante Aussagen, und zwar u.a. hinsichtlich der Verbindungsglieder zwischen Sonettistik und Konkreter Poesie. Zunächst wurde ausführlich erläutert, dass sich die Form des Sonetts deshalb besonders gut für die visuelle Konkrete Poesie eigne, weil sie von Anfang an dem visuellen Aspekt Rechnung trage. Mary Ellen Solt sieht eine weitere Parallele in der Internationalität des Sonetts und der Konkreten Poesie. Zweifelsohne ist das Sonett nicht auf eine Nationalliteratur eingeschränkt, sondern hat sich seit seiner 'Erfindung' in der Mitte des 13. Jahrhunderts bis zur Gegenwart zunächst im gesamten Europa und später dann in Nord- und vor allem auch Südamerika ausgebreitet, wie die einleitend besprochenen Sonette des Brasilianers Avelino de Araújo exemplarisch belegen. Dass man die Präsenz des Sonetts v.a. auf die westliche Welt einschränken muss, soll nicht daran hindern, von einer (zumindest potentiell) internationalen Gattung zu sprechen.

Und auch über den internationalen Status der Konkreten Poesie kann kein Zweifel bestehen: Konkrete Poesie ist per se ein internationales Phänomen, oder wie Eugen Gomringer schreibt: "die konkrete poesie […] ist einer der konsequentesten versuche, poesie inter- und übernational zu begründen." (gomringer 1996: 9) Schon ein flüchtiger Blick in eine der drei großen Anthologien lässt an der Internationalität der Konkreten Poesie keinen Zweifel.10 Besonders der Titel der von Mary Ellen Solt herausgegebenen Anthologie benennt die internationale Ausrichtung explizit: Concrete Poetry: A World View.11 Bereits die 'Geburtsstunde' der Konkreten Poesie lässt sich zu Recht als "transatlantic baptism" (Clüver 2000: 33), nämlich durch Eugen Gomringer und Décio Pignatari in der Hochschule für Gestaltung in Ulm (1955), bezeichnen. In den frühen fünfziger Jahren sowohl in Deutschland als auch Brasilien entstanden, findet die Konkrete Poesie Aufnahme in fast allen europäischen Ländern, Nordamerika und Japan.


4 Die Dinghaftigkeit des visuellen Sonetts

Das folgende Beispiel aus der Feder Barbara Ullrichs und Karl Rihas, das Königssonett (ullrich 1992)12, weist trotz aller Innovationsleistungen ein interessantes Verhältnis zur Gattungsgeschichte des Sonetts auf:


Abb. 5: Ullrich/Riha, Königssonett (1992)





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Das besondere Verhältnis zur Sonetttradition besteht im Königssonett darin, dass es nach den Regeln des kanonisierten Meistersonetts konstruiert ist, d.h. die Innovation auf der inhaltlichen Ebene – statt skripturaler erscheinen ausschließlich pikturale Zeichen (Abbildungen konkreter Dinge) – korrespondiert nicht mit einer solchen auf der formalen, gestalterischen Ebene. Hierzu muss man zunächst wissen, dass das Meistersonett das letzte Sonett einer corona dei sonetti, eines Sonettenkranzes (vgl. Mönch 1955: 30f.), darstellt. Ein solcher Sonettenkranz ist eine der schwierigsten Formen von Sonettzyklen. Er besteht traditionellerweise aus vierzehn Sonetten und dem so genannten Meistersonett. Er ist derart aufgebaut, dass alle Einzelsonette das gleiche Metrum und auch Reimschema aufweisen. Jedes der Sonette beginnt jeweils mit dem Abschlussvers des vorangehenden Sonetts. Die Einzelsonette kulminieren dann im Meistersonett, das aus den Finalversen aller vierzehn Sonette in unveränderter Reihenfolge gebildet wird. Ullrich und Riha haben dieses sehr strenge Aufbauprinzip etwas gelockert und nach den eigenen Vorstellungen abgewandelt, denn das Königssonett beendet einen Zyklus mit insgesamt sechzehn statt vierzehn Sonetten13 und nimmt darüber hinaus die Zeilen der Einzelsonette nicht in der Reihenfolge ihres erstmaligen Erscheinens auf. Eine weitere Besonderheit besteht auch darin, dass jedes der ding-sonette aus vierzehn identischen Zeilen aufgebaut ist. Darum besteht das Königssonett zugleich aus der letzten und den dreizehn ersten Zeilen jedes der entsprechenden Sonette.

Die Aufmerksamkeit von der Makrostruktur des Sonettenkranzes auf die Mikrostruktur des Einzelsonettes lenkend, fällt auf, dass im Königssonett sehr stark die Zweiteiligkeit14, die für Walter Mönch eines der Wesensmerkmale des Sonetts ist (vgl. Mönch 1955: 33f.), betont ist, und zwar dadurch, dass die beiden Quartette länger sind als die beiden Terzette, wobei die Quartette und die Terzette jeweils eine identische Länge aufweisen. Auch diesem traditionellen Charakteristikum der poetischen Gattung zollt das Königssonett seinen Tribut.




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5 Die Welt der Zahlen und das visuelle Sonett

Im nächsten Beispiel, dem portugiesischen Soneto soma 14X (1963) (Marques 1973: 68)15, hat sich der Dichter des Zeichensystems der Mathematik bedient. In diesem Fall handelt es sich um ein reines Zahlengedicht. Auf ganz besondere Weise spielt hier vor allem der numerische Aspekt des Sonetts eine große Rolle:


Abb. 6: Melo e Castro, Soneto soma 14X (1963)


Die Numerik des Sonetts spielt hier insofern eine große Rolle, als es erstens vierzehn Zeilen sind und zweitens die Zwischensumme der ersten dreizehn Zeilen jeweils die Zahl vierzehn ergibt. Auf diesen Tatbestand verweist der Begriff soma im Titel. Er bietet somit eine große Interpretationshilfe bzw. Rezeptionsanleitung. Die einzige Ausnahme von dieser Regel stellt der letzte Vers dar: hier ergibt die Zwischensumme achtundzwanzig und damit zweimal die Zahl vierzehn. Auf diese Weise hebt Melo e Castro die besondere Bedeutung des Finalverses hervor: "Observa-se ainda, que o último verso desto soneto, o verso 'chave de ouro' dá soma 28 (duas vezes 14), como que a querer dizer que é um verso que vale mais do que os outros." (Luna 2005: 74) Dies ist ein Verfahren, das auch in der traditionellen Sonettistik angewendet wird. Seit jeher nimmt der letzte Vers eine exponierte Stelle im Sonett ein. Dies trifft vor allem bei Joachim Du Bellay (1522–1560) zu. Er soll laut Guillaume Colletet (1598–1659) die "pointe d'esprit" (Colletet 1970: 32) in die französische Sonettistik eingeführt haben. Die Schlusspointe ist eines der Hauptmerkmale, welche das Sonett mit dem Epigramm verbindet. Besonders offensichtlich ist eine solche Finalbeschwerung – hier allerdings auf die letzten beiden Verse bezogen – im Shakespearean Sonnet, das mit dem heroic couplet endet.

Jede Zeile im Soneto soma 14X besteht dabei aus den Ziffern 0 bis 9, wobei jede Ziffernkombination nur ein einziges Mal vorkommt. Bezeichnenderweise taucht nur die Ziffer sieben und somit die Hälfte der Zahl vierzehn nicht auf.




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Traditionsverbunden ist das Sonett auch deshalb, weil die Zeilen nach der konventionalisierten Binnenstruktur der Gattung in Quartette und Terzette angeordnet sind. Darin, dass Melo e Castro pro Zeile fünf Ziffern verwendet, könnte man darüber hinaus einen Anklang an das Traditionsmetrum des Shakespearean Sonnet, nämlich den iambic pentameter, sehen.


6 Schlussbetrachtung

Sonette aus dem 20. Jahrhundert und aus vier verschiedenen Ländern (Brasilien, USA, Deutschland und Portugal) sollten einen exemplarischen Eindruck von der Situation des Sonetts in den Gegenwartsliteraturen vermitteln. Es handelt sich hierbei um eine extrem beliebte lyrische Gattung. Das scheinbare Paradox, dass eine als forme fixe in die Literaturgeschichte eingegangene Gattung besonders in der Dichtung des 20. Jahrhunderts aufgegriffen wird, obwohl sich diese allgemein von allen regelhaften Zwängen zu befreien sucht, konnte mit einem Rückblick in die Frühphase des europäischen Sonetts gelöst werden. Seit Anbeginn wird das Sonett nämlich in größerem oder kleinerem Ausmaß variiert, und zwar auf unterschiedlichste Weise (Metrum, Reim, Versanzahl etc.).

Auch handelt es sich beim Sonett von jeher um eine stark visuell ausgerichtete lyrische Gattung. Dass ein entsprechendes Bewusstsein schon in der Frühen Neuzeit existiert, belegen entsprechende Äußerungen in Poetologien aus dieser Zeit. Beispielsweise macht Jacques Peletier du Mans in seiner Poetik aus dem Jahre 1555 auf den architektonischen Bau des Sonetts aufmerksam, wenn er nämlich erklärt, dass ein Sonett idealtypischerweise um einen Kernbegriff herum gestaltet sein solle:

qu'il doet étre elabourè, doet santir sa longue reconnoessance, doit resonner an tous ses vers sérieusemant : et quasi tout filosofique an concepcions. Brief, il doet étre fet comme de deus ou de troes conclusions. Car celui la amportera le pris, qui au milieu de son ecrit, contantera le Lecteur de tele sorte, qu'il samble que ce soet un achevement : puis rechargera, e couronnera son ouurage d'une fin eureuse, e dine des beautez du milieu. (Peletier du Mans 1971: 61f.)16

Die Visualität spielt beim Sonett also von Anfang an eine entscheidende Rolle. Die visuellen Dichter des 20. Jahrhunderts bringen nur etwas zur vollen Entfaltung und Blüte, was das Sonett im Keim schon seit dem Zeitpunkt seiner 'Erfindung' besitzt und radikalisieren dieses – dies natürlich auch in der Hinsicht, dass oftmals verbale durch non-verbale Zeichen ersetzt werden. Nichtsdestoweniger bleibt auch bei den experimentellsten Sonetten aus dem Bereich der Visuellen Dichtung ein Bezug zur Tradition und somit dem konventionalisierten Sonett bestehen. Gerade das spannungsvolle Verhältnis von Tradition und Innovation macht den ästhetischen Reiz dieser Art von Sonetten aus.




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Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: de' Rossi, Sonett Nr. 247 (zit. n. Greber 2002: 641).

Abbildung 2: Araújo, Soneto América Latina (1987).

Abbildung 3: Araújo, Soneto 31.03.1964 (1990).

Abbildung 4: Solt, Moonshot Sonnet (1964).

Abbildung 5: Ullrich/Riha, Königssonett (1992).

Abbildung 6: Melo e Castro, Soneto soma 14X (1963).


Anmerkungen

1 Die beiden Ausnahmen sind Sonnets 99 und 126.

2 Diese formalen Vorgaben lauten wie folgt: "then have you Sonnets, some thinke that all Poemes (being short) may be called Sonets, as in deede it is a diminutive worde derived of Sonare, but yet I can beste allowe to call those Sonets whiche are of fouretene lynes, every line conteyning tenne syllables. The firste twelve do ryme in staves of foure lines by crosse meetre, and the last twoo ryming togither do conclude the whole." (Gascoigne 1969: 471f.) Vor Gascoignes Poetik werden die Bezeichnungen song und sonnet in England synonym eingesetzt. Eine ähnliche terminologische Unsicherheit besteht in Frankreich nur in den allerersten Jahren der Sonettistik. (vgl. hierzu Roubaud 1990: 11ff.)

3 Beispielsweise stammt von Sigmund von Birken (1626–1681) ein Sonett, dessen Schriftbild ein geöffnetes Buch nachbildet, und von Simon Dach (1605–1659) mehrere 'falsche' Sonette. (Kircher 1979: 86 und 40ff.)

4 Auch von Karl Riha existiert ein Sonett, das aus vier Gabeln besteht, nämlich das gourmet-sonett. (riha 1988) Auch hier besitzen zwei Gabeln vier und zwei weitere Gabeln drei Zacken. Unterschiede bestehen vor allem in der vertikalen Anordnung der Gabeln, in der konventionellen Reihenfolge der Quartette und Terzette und im Fehlen jeglicher Sozialkritik. Hier geht das Experimentieren mit der Form ganz im Ludistischen auf. Außerdem erinnert das Motiv der vier Gabeln an Yves de Smets Fotocollage Fork (1972). Abdruck in Sprachen jenseits von Dichtung (1979: 132). Signifikanterweise unterscheiden sich die Gabeln bei Smet nicht hinsichtlich der Anzahl ihrer Zacken. Dies ist das neue, sonetttypische Element in Araújos Text.




PhiN 54/2010: 35


5 "So wie die Quartetts nach dem Schema des Quadrats, so lassen sich die Terzetts am bequemsten nach dem damit kontrastierenden […] des Triangels konstruieren." (Schlegel 1965: 189)

6 Zeugnis von einer solch engagierten Dichtung legt beispielsweise die 2003 erschienene Anthologie politischer Gedichte Haroldo de Campos' mit dem Titel El angel izquierda de la poesía ab.

7 Designed hat das Moonshot Sonnet John Furnival (*1933), der selbst konkrete Gedichte verfasst hat.

8 Marinetti (1968: 14–26).

9 Benjamin (2008).

10 Bei diesen drei handelt es sich um An Anthology of Concrete Poetry (1967), Concrete Poetry: An International Anthology (1967) und Concrete Poetry: A World View (1970).

11 Mary Ellen Solt versammelt hier 79 Dichter aus 20 Ländern.

12 Erneut in Riha (1994: 72).

13 Im Königssonett sind die folgenden vierzehn Sonette der ding-sonette (1994) verarbeitet: Trinkersonett, Glückskleesonett, Himmelssonett, Sonett für Leseratten, Glücksspielersonett, Kaffeetrinker-Sonett, Sonett für Großstadtbewohner, Sonett für Computerfreaks, Sonett für Eisenbahnfreunde, Fastfood-Esser-Sonett, Blitz- und Donnersonett, Sonett für Fische und Vögel, Maussonett und Segelschiffsonett. (ullrich/riha 1994)

14 Selbst im Shakespearean Sonnet bleibt die Zweiteiligkeit gewahrt, nur die Relationen haben sich im Vergleich zum romanischen Sonett (in seinen verschiedenen Erscheinungsformen) verschoben: Nicht mehr steht dem Oktett das Sextett gegenüber, sondern die ersten zwölf Verse den letzten beiden.

15 Im Jahre 2000 wurde dieses Sonett vertont, wobei wir wieder bei der ursprünglichen Verbindung von Sonett und Musik wären, auf die schon die Etymologie des Namens hinweist.

16 Die speziellen orthographischen Zeichen von Jacques Peletier du Mans konnten nicht wiedergegeben werden.