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Stefanie Golisch (Monza)



Christian Hartmeier (2009): 'Mich wiegt ein Lied aus Göttertagen.' – Albert H. Rausch/Henry Benrath (1882–1949) – Humanist, Kulturkritiker, Sympathisant der Diktatur. Eine biografisch-ideengeschichtliche Studie. Würzburg: Ergon.



Nur selten wird man wohl von einem Buch, das als germanistische Dissertation vorgelegt wurde, behaupten können, es lese sich streckenweise spannend wie ein Roman – und doch ist genau dies der Fall bei Christian Hartmeiers Studie über den heute weitgehend vergessenen Schriftsteller und Büchnerpreisträger von 1932 Albert Heinrich Rausch (1882–1949).

Auf höchstem Reflexionsniveau und zugleich in einer Sprache verfasst, deren Klarheit und Eleganz sich in der zeitgenössischen Literatur und Literaturwissenschaft nur noch selten findet, vermisst der Autor Leben und Denken jenes Humanisten, Kulturkritikers und Sympathisanten der Diktatur, wie es im Untertitel heißt, der unter dem Pseudonym Henry Benrath seinerzeit ein erfolgreicher Autor der renommierten Deutschen Verlagsanstalt war. Mit seinen breit angelegten historischen Romanen – zumal der Kaiserinnen-Trilogie – war er noch bis in die sechziger Jahre des vorigen Jahrhunderts gut auf dem deutschsprachigen Buchmarkt platziert.

In den Kreisen der alten Eliten aus Bürgertum und Adel gehörte der Name Benrath in den Kanon jener Autoren, die man einfach gelesen haben musste. Seine Bücher waren nicht nur gehobene Unterhaltungsliteratur, sondern zugleich Orte der Selbstvergewisserung; in ihnen fand eine heutzutage nahezu ausgestorbene soziale Schicht nicht nur ihre konservativen kulturellen und politischen Einschätzungen widergespiegelt, sondern auch ihren Glauben an die Rechtmäßigkeit ihrer gesellschaftlichen Führungsposition.

Hartmeiers ausdrückliches Anliegen ist es, dieses Selbstbild einer kritischen Reflexion zu unterziehen. In durchweg nachvollziehbaren Schritten analysiert er die entscheidenden kulturkritischen Denkfiguren Rauschs, die sich unter dem Eindruck der Modernisierungskrise in den Jahrzehnten vor und nach 1900 entwickelt hatten und später – in Teilen – zum Wegbereiter seiner gefährlichen Affinität zum Faschismus wurden: die Kritik am kapitalistischen Leistungsdenken, am Rationalismus und an der Demokratisierung der Gesellschaft. Zwar hätte man sich wünschen können, dass die primär ideengeschichtlich und biographisch orientierte Studie den 'Künstler' Rausch etwas stärker berücksichtigt hätte; insbesondere der unterschiedliche Sprachgestus in Lyrik und Roman erscheint mir durchaus einer Analyse wert. Auch hätte Hartmeier auf Friedrich von Unruh eingehen können, dessen Denkfiguren in mancher Hinsicht denen Rauschs verwandt, in anderer jedoch entgegengesetzt waren, um im Vergleich der beiden Autoren die in der Arbeit angesprochenen Ambivalenzen und Unterschiede im deutschen Konservatismus deutlicher zu beleuchten, doch wiegen diese Einwände gering gegen die unabweislichen Verdienste der Studie.




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Auf anschauliche und doch stets distanzierte Weise macht der Autor deutlich, dass es jene Welt, die Albert Heinrich Rausch Zeit seines Lebens nicht müde wurde als zeitloses Ideal zu verklären, in dieser Form niemals gegeben hat: eine paternalistisch-hierarchische Gesellschaft, in der weise Monarchen, feinsinnige Adlige und kultivierte Bürger ein Leben führen, das darauf zielt, sich als Individuum vollständig zu verwirklichen. Um dieses Ziel kreist das gesamte Denken Albert Heinrich Rauschs, der als Schriftsteller mit seinem Werk der konservativen Elite seiner Zeit den Weg dahin weisen möchte. Gleichzeitig ist diese Elite dem bekennenden Homosexuellen und exaltierten Dichter gewagter homoerotischer Poeme die Folie, auf der er sich als schillernder und bewunderter Paradiesvogel entfaltet.

Arbeiter, Kleinbürger und Bauern haben in Rauschs Literatur vor allem eine Funktion: Stichwortgeber für die Elite zu sein, die sich wohlmeinend zum Volk hinabbeugt und dieses – natürlich nur zu seinem Besten – führt.

Hartmeiers Studie erkennt in Rausch zu Recht den Inbegriff der höchst problematischen geistig-ideologischen Disposition bestimmter konservativer Kreise, die wesentlich zum Aufstieg des Nationalsozialismus beigetragen und diesen – manchmal bis zum bitteren Ende – gestützt haben. Rausch hieß das faschistische Gedankengut und die faschistische Politik in Teilen gut und lieh ihnen in seinem Werk, freilich in unzähligen Verbrämungen und Maskeraden, seine Stimme.

Dass die angestrebte Theoriebildung, die literarische Zementierung seiner Geisteshaltung, keineswegs glatt verlaufen kann, liegt, so Hartmeier, in den unübersehbaren Widersprüchen ihrer Voraussetzungen selbst begründet: Männer wie Rausch waren eben keine deklassierten Kleinbürger, sie hatten nichts gemein mit den brutalen Schlägertrupps der SA und waren, schon aufgrund ihrer kosmopolitischen Haltung, keine eingeschworenen Antisemiten. In der Person Adolf Hitlers sahen sie ein notwendiges Übel; statt revolutionärer Erneuerung im nationalsozialistischen Geiste erhofften sie von ihm vielmehr eine Konsolidierung des gesellschaftlichen Status quo, wenn nicht gar die Rückkehr zur alten Ordnung der Vorkriegsverhältnisse.

Stets textnah und dadurch in jedem Schritt der Argumentation unmittelbar nachvollziehbar, dokumentiert und analysiert Hartmeier am Beispiel Rauschs die fatalen Denkmuster eines nicht zu unterschätzenden Teils des deutschen Konservatismus, der die nationalsozialistische Diktatur wahrscheinlich überhaupt erst ermöglichte.

Man kann Hartmeiers Rausch-Studie – und dies macht die überragende Qualität des Buches aus – auf mehreren Ebenen lesen: Als luzide sozio-kulturelle Analyse des faschistoiden Charakters, als differenzierten germanistischen Beitrag zur Soziologie eines Erfolgsschriftstellers und als höchst einfühlsame Biografie eines Menschen, der an seinem eigenen Anspruch scheiterte, Leben und Kunst in seiner Person zu einem organischen Ganzen zu verschmelzen.




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In kleinbürgerliche Verhältnisse hineingeboren, hatte Rausch schon früh den Kontakt zu jenen Kreisen gesucht, denen er sein Leben lang verbunden bleiben sollte: Adel und Großbürgertum. Zu Fuß ging er als junger Mann von seiner Heimatstadt Friedberg (Hessen) ins benachbarte Bad Nauheim, wo er jene tolerante und mondäne Lebensart kennen und schätzen lernte, die ihm zum nie ganz und gar erreichten Ideal der eigenen Existenz wurde. Stets nur für begrenzte Zeiträume war es ihm aufgrund von reichen Gönnern und Mäzenen möglich so zu leben, wie er meinte, dass es ihm zustünde: auf Schlössern oder weitläufigen Landsitzen, dem Alltag und dessen ökonomischen Zwängen enthoben, ganz und gar seiner literarischen Berufung hingegeben.

Kritisch und dennoch nicht ohne menschliche Anteilnahme, stellt Hartmeier einen Mann dar, der seine überzogenen, realitätsfernen Selbstbilder und sein vermeintlich gottgewolltes Künstlertum niemals in Frage gestellt, sondern im Gegenteil im Laufe seines Lebens zur absoluten Gewissheit stilisiert hat. Nicht anders als tragisch ist in diesem Zusammenhang der Hiatus zu bezeichnen, der sich zwischen Rauschs Eigenwahrnehmung auf der einen, seinem tatsächlichen literarischen Rang auf der anderen Seite auftut. Der Großschriftsteller, als den er sich selbst zeitlebens sah, ja im Interesse seines prekären geistig-seelischen Gleichgewichtes wohl sehen 'musste', war Albert Heinrich Rausch, auch wenn der Erfolg ihm in bestimmten Perioden seines Lebens durchaus Recht zu geben schien, keineswegs. Zwar gelingen ihm immer wieder einmal Verse oder Sätze, die in die Tiefe reichen, seine Egomanie jedoch, das krampfhafte Bemühen, jede individuelle Lebensäußerung in die Sphären des Absoluten zu transzendieren, unterminiert auf lange Sicht die Qualität seiner Texte und erzeugt den Eindruck des Künstlichen, da allzu Gewollten.

So beschloss Rausch sein Leben denn auch keineswegs auf dem Parnass, sondern als Untermieter einer einfachen Familie in dem kleinen Dorf Magreglio, hoch über dem Comer See, wohin ihn die Kriegswirren verschlagen hatten. Schon vor der Machtübernahme der Nationalsozialisten hatte er seinen Wohnsitz nach Frankreich verlegt, in jenes Land, das er am meisten liebte, am besten kannte und das aufgrund seines kulturgeschichtlichen Erbes neben Deutschland und Italien einen Fixpunkt auf seiner inneren Landkarte darstellte. Rausch wusste die tolerante Weltstadt Paris zu schätzen, welche es ihm ermöglichte, als Künstler und Homosexueller außerhalb der gesellschaftlichen Normen zu leben und dennoch nicht als Verachteter gebrandmarkt zu werden.

Ein Außenseiter blieb er gleichwohl; am Ende zerbrach er an seinen eigenen Widersprüchen, die in der Unhaltbarkeit jener Denkmuster begründet liegen, mit denen er sich sein ganzes Leben lang aufrecht erhalten und auf die er seine Kunst gegründet hatte.

Eindringlich hebt Hartmeier die Zäsur hervor, welche das Ende des Zweiten Weltkrieges für Rausch bedeutet. Zwar wird er in den Briefen und Schriften aus seinen letzten Lebensjahren alles daran setzen, seine biografische Verstrickung in den Nationalsozialismus zu einer verdeckten Gegnerschaft umzudeuten, die angestrebte Selbstrechtfertigung kann freilich nur sehr unvollständig gelingen. Detailliert werden infolgedessen die Unterschiede zwischen Dichtung und Wahrheit herausgearbeitet.




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Auf die berechtigte Frage, weshalb man sich nun eigentlich mit Leben und Werk eines Schriftstellers beschäftigen sollte, der die Zeiten eindeutig nicht überdauert hat, liefert die auf allen ihren Ebenen in höchstem Grade anregende Studie Hartmeiers eine überzeugende Antwort: In diesem Gescheiterten, diesem durch und durch mediokren Schriftsteller, der von sich selbst glaubte, ein ganz Großer zu sein, muss das deutsche Volk – ob es ihm gefällt oder nicht – sich selbst erkennen, sein verhängnisvolles Scheitern an falschen Idealen und pathologischen Selbstmystifizierungen.

In diesem Sinne – so wage ich das Fazit dieser komplexen Studie in einer kompakten Formel zusammenzufassen – ist Albert Heinrich Rausch alias Henry Benrath 'das' Beispiel schlechthin für jenen Typus deutschen Schriftstellers, der die tragische Karikatur des absoluten Ichs war, mit dem der deutsche Idealismus sich einst angeschickt hatte, die Grenzmarken des Denkens ins subjektive Bewusstsein des Denkenden zu transponieren.

Um diese gewiss ein wenig leichtsinnige Simplifizierung in ihren infiniten Bedeutungsvarianten zu deklinieren, gibt es indes nur eins: Man muss dieses außerordentliche Buch lesen.