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Jörg Fehr (Berlin)



Chomskys Universalgrammatik – ein axiomatisches System



Chomsky's Universal Grammar – an axiomatic system
The most salient and controversial issue concerning generative transformational grammar (hereafter GTG) is its foundation in the cognitive domain, which results from the condition of explanatory adequacy proposed by Chomsky. Less known but nevertheless highly relevant for the further elaboration of the theory of grammar is the explicit notions of grammaticality and productivity GTG established. The operationalization of these two concepts is in my opinion the most important feature of this paradigmatic framework. Minimalist Program, the recent offspring of GTG, adds an axiomatic approach to generative grammar theory and transforms universal grammar into a truely mathematical system of description.
In this paper I therefore will attempt to make explicit the axiomatic system, which is implicitly mentioned in Chomsky (1995), and to show, how the notion of grammaticality can be deduced from this system.



Einführung

Das auffälligste und zugleich umstrittenste Charakteristikum der Generativen Transformationsgrammatik (GTG) ist ihre kognitive Fixiertheit, die auf Chomskys Erklärungsadäquatheitsbedingung für Grammatiktheorien zurückgeht. Weniger beachtet, aber von ungleich höherer Relevanz für die Grammatiktheorie ist die Explizierung der vordem unscharfen Begriffe Grammatikalität und Produktivität durch die GTG. Die Operationalisierung dieser Konzepte stellt m.E. das Hauptverdienst dieser Ansatzes dar und nicht ihre Verortung im Kognitiven. Mit der neuesten Variante der GTG, Minimalist Program, hält nun die Axiomatik Einzug in die Grammatiktheorie und verwandelt sie in ein rein mathematisches Beschreibungssystem.

Im folgenden Artikel möchte ich diese Axiomatisierung, die in Chomsky (1995) implizit enthalten ist, explizieren und den Grammatikalitätsbegriff im resultierenden Axiomensystem ableiten.



1 Das Minimalist Program

Noam Chomskys Minimalist Program geht von der These aus, daß Sprache ein perfektes System darstellt. Unter Sprache (I-language) versteht er dabei eine generative Prozedur, die strukturelle Beschreibungen erzeugt. Diese strukturellen Beschreibungen sind die Ausdrücke der Sprache (vgl. Chomsky 1995: 167).




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Die Universalgrammatik (UG) ist nach Chomsky (1995: 167) eine Theorie der Sprachen und der Ausdrücke, die von diesen generiert werden. Sie spezifiziert bestimmte Symbolsysteme (sprachliche Repräsentationsebenen), die Mittel zur Darstellung von systematischen Informationen über sprachliche Ausdrücke zur Verfügung stellen. Jeder sprachliche Ausdruck ist dabei eine Folge von Repräsentationen, jeweils eine für jede sprachliche Ebene.

Die Sprache ist in Performanzsysteme eingebettet, die es ermöglichen, die sprachlichen Ausdrücke zur Artikulation, Interpretation usw. zu nutzen. Chomsky (1995: 168) stellt sich die strukturellen Beschreibungen als Instruktionen für diese Performanzsysteme vor, die für deren Funktion relevant sind. Er unterscheidet ein artikulatorisch-perzeptives (A-P) und ein konzeptuell-intentionales (C-I) System. Sprachliche Ausdrücke müssen daher zwei Interface-Level-Repräsentationen enthalten, die diese beiden Performanzsysteme mit Informationen versorgen. Die Phonetic Form (PF) stellt dabei die Klasse der A-P-, die Logical Form (LF) die Klasse der C-I-Level-Repräsentationen dar. Jede Sprache determiniert also eine Menge von Paaren, zusammengestellt aus jeweils einer PF-(p)- und einer LF-(l)-Repräsentation.

Mit dem Minimalist Program stellt Chomsky die Hypothese auf, daß es sich bei der UG um die Theorie einer maximal effizienten Generierungsprozedur handelt. Die Effizienz der Prozedur drückt sich in Form von Ökonomiebedingungen aus, die sowohl für Repräsentationen als auch für Derivationen (die Gesamtheit der Herleitungsschritte, die zu einer strukturellen Beschreibung geführt haben) gelten (vgl. Chomsky 1995: 200). Die Interface-Level-Repräsentationen sind demnach redundanzfrei: Jedes verwendete Symbol muß eine "externe" Interpretation über sprachunabhängige Regeln erhalten. Symbole, denen keine solche Interpretation zugeordnet werden kann, verletzen die Interface-Bedingung Principle of Full Interpretation und führen zu einer Ablehnung (crash) der Repräsentation.

Die Redundanzfreiheit bezieht sich auch auf die Operationen, die in der Derivation verwendet werden. Die Ökonomiemetrik bevorzugt beispielsweise möglichst kurze Derivationen, d.h. Derivationen, die nur die unbedingt notwendigen Operationen enthalten (vgl. Chomsky 1995: 200f).



2 Grammatik und Axiomatik

Was versteht man unter Grammatik? Den Wälzer im orangefarbenen Einband mit der Aufschrift "Duden Grammatik", eine erschöpfende Beschreibung des Satz- und Wortbaus (sowie der Lautstruktur) natürlichsprachlicher Äußerungen oder eine Theorie der Sprachkompetenz der Muttersprachler?




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Grammatiken sind Beschreibungen von sprachlichen Strukturen. Sie liefern Schablonen, die über Äußerungen gelegt werden, um zu prüfen, ob diese Äußerungen der betreffenden Einzelsprache darstellen. Eine Grammatik spannt einen einzelsprachlichen Rahmen auf, in dessen Grenzen sprachliche Ausdrücke variieren dürfen, ohne Gefahr zu laufen, einer anderen Einzelsprache zugeordnet zu werden.

Die Universalgrammatik (UG) stellt eine Grammatik der Grammatiken dar, die Grammatiken natürlicher Sprachen von Grammatiken nicht-natürlicher Sprachen unterscheidet.

Die grammatische Beschreibung erfolgt in einer Metasprache, die mit der Objektsprache identisch sein kann. Die Nutzung einer natürlichen Sprache zur Kodierung der grammatischen Beschreibung liegt jedoch nahe, schließlich sind die natürlichen Sprachen die einzigen, die als ihre eigenen Metasprachen dienen können. Der Nachteil einer derartigen Vorgehensweise ist jedoch, daß eine besondere Eigenschaft, die sämtlichen natürlichen Sprachen zu eigen ist, nicht adäquat beschrieben werden kann, nämlich die Produktivität: Natürliche Sprachen ermöglichen es ihren Benutzern, beliebig viele neue Äußerungen zu produzieren und perzipieren, Äußerungen, die nie zuvor ein Mensch gehört oder ausgesprochen hat, die gleichwohl aber von allen erwachsenen Mitgliedern der jeweiligen Sprachgemeinschaft problemlos verstanden werden können. Um mit Wilhelm von Humboldt zu sprechen, die Sprachbenutzer werden in die Lage versetzt, mit endlichen Mitteln unendlich viele Sätze zu bilden:

Das Verfahren der Sprache ist aber nicht bloß ein solches, wodurch eine einzelne Erscheinung zustande kommt; es muß derselben zugleich die Möglichkeit eröffnen, eine unbestimmbare Menge solcher Erscheinungen und unter allen, ihr von dem Gedanken gestellten Bedingungen hervorzubringen. Denn sie steht ganz eigentlich einem unendlichen und wahrhaft grenzenlosen Gebiete, dem Inbegriff alles Denkbaren gegenüber. Sie muß daher von endlichen Mitteln einen unendlichen Gebrauch machen, und vermag dies durch die Identität der gedanken- und spracheerzeugenden Kraft. (Böhler (Hg.) 1973: 96).

Diese Produktivität ist es, die Sprache für den alltäglichen Gebrauch überhaupt erst tauglich macht, daher sollte ein Hauptziel einer Grammatik sein, diese herausragende Spracheigenschaft adäquat zu beschreiben – und welche Metasprache würde sich für eine derartige Aufgabe besser eignen als die Sprache der Mathematik?

Betrachtet man Humboldts These von der Bildung unendlich vieler Sätze mit endlichen Mittel einmal näher, so springt ihre Ähnlichkeit zur Theorie der axiomatischen Logik ins Auge: Eine Beschreibung (Theorie) in der axiomatischen Logik ist durch eine endliche Menge A von Axiomen und eine endliche Menge R von Herleitungsregeln bestimmt. Durch Anwendung der Regeln in R auf die Axiome in A wird eine (potentiell) unbeschränkte Menge von Theoremen T hergeleitet. Nach Maurice Gross (1972: 5) bilden A und R die Grammatik einer (formalen) Sprache, deren Sätze durch T repräsentiert werden.




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Eine Grammatik läßt sich also als ein deduktives System von Axiomen und Herleitungsregeln auffassen, das die Sätze einer Sprache als seine Theoreme herleitet (vgl. auch Partee et al. 1993: 435).

In der Logik werden die folgenden drei Eigenschaften von axiomatischen Systemen erwartet: Konsistenz, Vollständigkeit und Unabhängigkeit: Konsistent ist ein Axiomensystem, wenn aus seinen Axiomen nicht gleichzeitig Aussagen und deren Verneinungen abgeleitet werden können, d.h., das Axiomensystem muß widerspruchsfrei sein (vgl. Partee et al. 1993).

Ein Axiomensystem ist vollständig, wenn es möglich ist, innerhalb des Systems alle Aussagen abzuleiten, die ein bestimmtes Kriterium erfüllen. Dieses Kriterium kann sehr verschiedener Natur sein; man unterscheidet jedoch grundsätzlich zwischen syntaktischer Vollständigkeit (jede Aussage, die im System ausdrückbar ist, d.h., ausdrückbar unter ausschließlicher Verwendung der Grundbegriffe des Systems und einer gegebenen formalisierten Logik, kann bewiesen oder widerlegt werden) und semantischer Vollständigkeit in bezug auf ein Modell M (jede Aussage, die im System ausdrückbar ist und im Modell M wahr ist, kann im System abgeleitet werden) (vgl. Partee et al. 1993: 200f).

Die Eigenschaft der Unabhängigkeit bezieht sich auf die Redundanzfreiheit eines Axiomensystems. Ein Axiom ist unabhängig, wenn es nicht von einem anderen Axiom des Systems abgeleitet werden kann. Trifft diese Bedingung auf ein Axiom nicht zu, so handelt es sich bei diesem nicht um ein Axiom, sondern um ein Theorem. Nach Hermann Weyl besteht eine enge Verbindung zwischen dem Kriterium der Widerspruchslosigkeit und der Unabhängigkeit:

... denn daß der Satz a von gewissen vorliegenden Axiomen unabhängig ist, kommt darauf hinaus, daß der Satz ~a mit ihnen nicht im Widerspruch steht. (Weyl 1966: 36)

Partee et al. (1993: 201) weisen den drei genannten Systembedingungen unterschiedliche Relevanzen zu: Konsistenz ist von fundamentaler Bedeutung für ein Axiomensystem, schließlich ist sie fraglos die minimale Adäquatheitsbedingung einer jeglichen Menge von Axiomen, die ein System formalisieren, das nicht in sich selbst widersprüchlich sein soll. Für Logiker ist häufig die Vollständigkeit eines Axiomensystems von großem theoretischen Interesse, was aber für andere Wissenschaftsbereiche nicht unbedingt gilt. Partee et al. (1993) halten diese Bedingung daher für vernachlässigbar. Für Weyl stellt der Versuch, die Vollständigkeit eines Axiomensystems zu beweisen, ein unmögliches Unterfangen dar, das zu einer Trivialisierung der Mathematik führen würde, wenn es gelänge:




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Was soll das [Vollständigkeit] heißen? Daß sich für jede generelle einschlägige Aussage a die Frage "gilt a oder ~a?" durch logische Schlüsse auf Grund der Axiome müsse entscheiden lassen? Dann garantierte die Widerspruchsfreiheit, daß man niemals zu beiden Aussagen a, ~a gelangt, die Vollständigkeit, daß man stets zu einer von beiden gelangen kann. Die Vollständigkeit in diesem Sinne würde nur durch die Angabe einer das Beweisverfahren fest regelnden Methode verbürgt werden, die nachweislich für jedes einschlägige Problem zur Entscheidung führt. Die Mathematik wäre damit trivialisiert. Aber ein solcher "Stein der Weisen" ist bisher nicht gefunden worden und wird niemals gefunden werden. Die Mathematik besteht nicht darin, aus vorgegebenen Voraussetzungen die logischen Folgerungen allseitig zu entwickeln; sondern die Anschauung, das Leben des wissenschaftlichen Geistes stellt die Probleme, und diese lassen sich nicht wie Rechenaufgaben nach festem Schema lösen. Der deduktive Weg, der zu ihrer Lösung führt, ist nicht vorgezeichnet, er ist zu entdecken [...]. Es gibt [...] kein deskriptiv zu fassendes Merkmal für die aus gegebenen Prämissen beweisbaren Sätze; wir bleiben angewiesen auf die Konstruktion. (Weyl 1966: 41)

Was die Unabhängigkeit von Axiomen angeht, so ist sie eine Frage der Eleganz, die im allgemeinen für Axiomensysteme als erstrebenswert angesehen wird, für das System als Ganzes jedoch keine signifikanten Konsequenzen hat (vgl. Partee et al. 1993: 201).

Die Universalgrammatik ist laut Noam Chomsky (1995) eine Theorie der menschlichen Sprachfähigkeit. Zu den Eigenschaften der menschlichen Sprachfähigkeit gehört, daß prinzipiell jede menschliche Sprache (als Erstsprache) erworben werden kann. Zum Erwerb einer Sprache gehört neben der Beherrschung des angemessenen Gebrauchs, der Produktion und dem Verstehen auch die Fähigkeit zur Beurteilung der Grammatikalität ihrer Ausdrücke (Äußerungen). Darüber hinaus ermöglicht die menschliche Sprachfähigkeit, Ausdrücke natürlicher Sprachen von Ausdrücken anderer Sprachen (wie etwa der der Mathematik, der Logik oder Morsekode etc.) zu unterscheiden. Folglich muß eine adäquate Theorie der menschlichen Sprachfähigkeit das Konzept der Grammatikalität von natürlichsprachlichen Ausdrücken involvieren, so daß ein universalsprachlicher Grammatikalitätsbegriff definierbar ist, der die Bildung einer echten Untermenge der Ausdrücke natürlicher Sprachen aus der Menge der Ausdrücke aller möglichen Sprachen zuläßt. Im Klartext bedeutet das, daß die Universalgrammatik zwischen Ausdrücken natürlicher Sprachen und denen nicht-natürlicher Sprachen unterscheiden können muß.

Betrachtet man die Universalgrammatik axiomatisch, so muß sie eine endliche Menge von nicht-beweisbaren Grundaussagen (Axiomen oder Postulaten) zur Verfügung stellen, die die grundsätzlichen Eigenschaften der menschlichen Sprachfähigkeit adäquat wiedergeben und aus denen man ein Grammatikalitätstheorem ableiten kann, das die eben diskutierten Bedingungen erfüllt.

Im folgenden werde ich eine Axiomatisierung von Chomskys aktuellem Grammatikentwurf Minimalist Program vorschlagen und die Herleitung seiner Grammatikalitätsbedingung aus diesem formalen System demonstrieren. Anstatt der Bezeichnung Axiom für die nicht-beweisbaren Grundaussagen der Theorie ziehe ich allerdings den Ausdruck Postulat vor, da, im Gegensatz zur Konsistenz und Unabhängigkeit, die Vollständigkeit des Systems, wie weiter oben bereits erläutert, nicht beweisbar ist.




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3 Das Minimalist Program – Theorie der menschlichen Sprachfähigkeit

P(ostulat) 1 (language faculty) Das menschliche Gehirn stellt Kapazitäten (array of capacities) zur Verfügung, die beim Gebrauch und Verstehen von Sprache involviert sind, die sogenannte Sprachfähigkeit (language faculty).

P2 (Redundanzfreiheit) Die Sprachfähigkeit ist redundanzfrei (nonredundant) insofern, als kein Phänomen von Prinzipien der Sprache "überdeterminiert" ist.

P3 (UG–Theorie des Initialzustandes) Die UG ist eine Theorie des Initialzustandes S0 der relevanten Komponente der Sprachfähigkeit. Sie beschäftigt sich mit den invarianten Prinzipien von S0 und dem Bereich der erlaubten Variationen. Dabei ist Variation durch das determinert, was für ein Kind beim Erstspracherwerb "sichtbar" ist, d.h., durch primäre sprachliche Daten.

P4 (Sprache als kognitiver Zustand) Eine bestimmte Sprache L ist die Instanz eines stabilen Zustands des kognitiven Systems der Sprachfähigkeit, der aus dem (einzelspracheninvarianten) Initialzustand dieses Systems durch Spezifizierung von (einzelsprachenabhängigen) Optionen resultiert.

P5 (discrete infinity) Sprachen besitzen die Eigenschaft der diskreten Unendlichkeit: Sie spezifizieren einen unendlichen Bereich symbolischer Objekte, strukturelle Beschreibungen genannt, mit endlichen Mitteln.

T(heorem) 1 (Performanzsysteme) Die Sprache ist in Performanzsysteme eingebettet, die es ihren Ausdrücken ermöglichen, zum Artikulieren, Interpretieren, Referieren, Befragen, Reflektieren und anderen Tätigkeiten verwendet zu werden. (aus P4 und P1)

P6 (Klassifizierung der Performanzsysteme) Die Performanzsysteme gehören zwei allgemeinen Typen an: artikulatorisch-perzeptuell und konzeptuell-intentional.

T2 (Sprache als generative Prozedur) Eine Sprache L ist eine endlich spezifizierte generative Prozedur, die eine unendliche Menge von Paaren (p, l ) – strukturelle Beschreibungen genannt – aufzählt, die vom artikulatorisch-perzeptuellen und konzeptuell-intentionalen System interpretiert werden (können). (aus P5 und T1/P6)

T3 (Semantik/Phonetik) Jede der strukturellen Beschreibungen stellt einen Komplex von Eigenschaften dar, die solche Eigenschaften einschließen, die man üblicherweise "semantisch" und "phonetisch" nennt. (aus T2)

Definition 1 (Grammatik) Die Theorie von einer bestimmten Sprache ist eine Grammatik.

Definition 2 (Universalgrammatik) Die Theorie von den Sprachen und den Ausdrücken, die von ihnen generiert werden, ist die Universalgrammatik (UG).




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P7 (Trennung von Lexikon und Computational System) Eine Sprache besteht aus zwei Komponenten: einem Lexikon und einem Computational System. Das Lexikon spezifiziert die Elemente, die vom Computational System verarbeitet werden, mit ihren idiosynkratischen Eigenschaften. Das Computational System verwendet diese Elemente, um Derivationen und strukturelle Beschreibungen zu generieren.

T4 (Interface–Level) Die UG spezifiziert genau zwei sprachliche Ebenen, jede ein Symbolsystem (symbolic system), auch repräsentationelles System genannt, nämlich die Interface-Levels A-P und C-I, die die "Instruktionen" für das artikulatorisch-perzeptuelle bzw. das konzeptuell-intentionale System zur Verfügung stellen. (aus T2 und P2)

T5 (Derivation) Die Derivation eines bestimmten sprachlichen Ausdrucks beinhaltet die Wahl der Elemente aus dem Lexikon und die Berechnungen, die das Interface-Repräsentationspaar erstellen. (aus P7 und T4)

T6 (Principle of Full Interpretation FI) Jedem Element einer Repräsentation auf den Interface-Levels muß eine einzelsprachen-invariante Interpretation in Termen der Interaktion mit den Performanzsystemen zugeordnet werden können (external licensing condition). (aus P2 und T2)

T7 (Interface-Bedingung) Die Repräsentationen (PF, LF) auf den beiden Interface-Levels unterliegen Wohlgeformtheitsbedingungen (Interface Conditions), die durch die Erfordernisse der Performanzsysteme determiniert sind (bare output conditions), für die sie Informationen bereitstellen. (aus T6)

T8 (Minimalismus) Sprache stellt ein perfektes System dar: Derivationen und Repräsentationen sind minimal, d.h., es gibt keine überflüssigen Derivationsschritte und keine überflüssigen Symbole in den Repräsentationen. Derivationen und Repräsentationen sind also redundanzfrei. (aus P2 und T6)

Definition 3 (Konvergenz) Eine Derivation konvergiert auf einer der beiden Interface-Levels, wenn sie in einer Repräsentation resultiert, die die Bedingung der Full Interpretation erfüllt, und sie konvergiert, wenn sie auf beiden Interface-Levels konvergiert.

T9 (Wohlgeformtheitsbedingung für Derivationen) Eine Derivation ist nur dann wohlgeformt, wenn sie, ausgehend von einer lexikalischen Auswahl, eine strukturelle Beschreibung erzeugt, deren PF- und LF-Repräsentationen wohlgeformt und kompatibel sind (konvergente Derivation), und der eine Ökonomiemetrik den höchsten Wert im Vergleich zu einer Menge von konkurrierenden konvergenten Derivationen (reference set) zugeordnet hat. (aus T5, T7 und T8)




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T10 (Grammatikalität) Ein Ausdruck ist genau dann ein Ausdruck einer Sprache, wenn die Derivation, die seine strukturelle Beschreibung erzeugt hat, wohlgeformt ist. (aus T9)

(1) Herleitung der UG-Theoreme aus den Postulaten



Erläuterung

P1 stellt die Verortung der menschlichen Sprachfähigkeit im biologischen System sicher, P2 spiegelt den axiomatischen Charakter von Chomskys Grammatiktheorie wider und ist gleichzeitig das Axiom, auf dem der Ökonomiegedanke im Minimalist Program fußt. Das vierte Postulat, daß Sprache als kognitiven Zustand des Systems der menschlichen Sprachfähigkeit definiert, ist einerseits ein Reflex der kognitiven Sichtweise von Sprache, andererseits determiniert es, daß alle einzelsprachlichen Variationen auf einer einzelspracheninvarianten (i.e. universalsprachlichen) Grundlage aufbauen. P5 behandelt die oben bereits erwähnte Produktivität der natürlichen Sprachen, mit endlichen Mitteln unendlich viele sprachliche Ausdrücke zu kreieren. P6 bestimmt die beiden Schnittstellen zur Sensomotorik und zum restlichen kognitiven System, die für den Gebrauch und das Verstehen von Sprache notwendig sind, P7 die Trennung von endlichem Primärsymbolvorrat (Lexikon) und endlicher Verknüpfungsoperation (Computational System).

Postulat 3 erscheint im System isoliert: zur Herleitung des Grammatikalitätstheorems liefert es keinen Beitrag. Diese Tatsache macht auch deutlich, daß Erklärungsadäquatheit, die auf diesem Postulat aufbaut, kein Ausschlußkriterium für eine Grammatiktheorie darstellt (Näheres siehe Fehr (im Druck)).




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Aus den Postulaten P1 und P4 läßt sich die Annahme von Performanzsystemen (T1) ableiten, woraus zusammen mit P5 und P6 die Bestimmung von Sprache als rekursive Prozedur zur Erzeugung von strukturellen Beschreibungen, die von der Sensomotorik und höheren kognitiven Systemen verarbeitet werden können (T2), folgt. T3 folgt wiederum direkt aus T2 als Konsequenz der Verarbeitbarkeit der Beschreibungen durch andere kognitive Systeme, ebenso wie T4 aus der Zweiteilung in T3.

Das Principle of Full Interpretation (T6) resultiert aus der Erzeugung von paarigen strukturellen Beschreibungen zur Interpretation durch die beiden Performanzsysteme (T2) und der Anwendung des Redundanzfreiheitsprinzips (P2). Aus T6 folgen dann direkt T7 und T8.

Die Generierung eines Interface-Repräsentationspaares für die Interface-Level nach T4 erfolgt unter Berücksichtigung der Trennung von Lexikon und Computational System (P7). Die dabei entstandene Derivation (T5) unterliegt Wohlgeformtheitsbedingungen (T9) die sich aus T7 und T8 ergeben. Der Grammatikalitätsbegriff (T10) folgt schließlich direkt aus T9, quod erat demonstrandum.



Bibliographie

Böhler, Michael (Hg.). 1973. Wilhelm von Humboldt – Schriften zur Sprache. Stuttgart. Reclam.

Chomsky, Noam. 1995. The Minimalist Program. Cambridge/Mass. MIT Press.

Fehr, Jörg. [im Druck]. Redundanzminderung in der phonologischen Beschreibung. (Diss. Freie Universität Berlin 1997). Tübingen. Stauffenburg Verlag.

Gross, Maurice. 1972. Mathematical Models in Linguistics. Englewood Cliffs / New Jersey. Prentice-Hall, Inc.

Partee, Barbara H. / Meulen, Alice ter / Wall, Robert E. 1993. Mathematical Methods in Linguistics. Dordrecht. Kluwer Academic Publishers (zweiter, korrigierter Druck der ersten Auflage).

Weyl, Hermann. 1966. Philosophie der Mathematik und Naturwissenschaften. München, Wien. R. Oldenbourg (1. Auflage 1949, Philosophy of Mathematics and Natural Science. Princeton. Princeton University Press).

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