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Rolf Kailuweit (Freiburg)


Konzeptionelle Mündlichkeit!?
Überlegungen zur Chat-Kommunikation anhand französischer, italienischer und spanischer Materialien


Conceptional Orality!? – chatting online revisited. Evidence from French, Italian and Spanish.
The following article shows that chatting online is more than the mere typing of utterances, like how one would execute them in an informal conversation. Hence, the function of chatting and the relationship between the medium and the linguistic means will be dealt with. By means of short extracts from French, Italian and Spanish chat protocols, it will be shown which kind of orality chat communication suggests. The critical discussion of new attempts to adopt Koch's & Oesterreicher's model of orality and scriptuality to the field of Computer Mediated Communication will be used to show that this model cannot easily account for the phenomenon of chatting. Chat can be better understood as a creative process that produces "written proximity", it resembles role play, however it is under the control of specific media conditions.


0. Einleitung

(1) (16) trouver > foldinque> :o :o sa va
(24) foldinque> trouver> bien et toi
(27) trouver > foldinque> sa va mci koi de9?

Koi de9? [Quoi de neuf] Gibt es in der Chat-Kommunikation tatsächlich etwas Neues aus sprachwissenschaftler Sicht? Computervermittelte Kommunikation (CMC = Computer Mediated Communication) ist seit etwa einem Jahrzehnt ein Alltagsphänomen: im deutsch- und englischsprachigen Raum, wie in der Romania. Inzwischen verfügt die Mehrheit der über 14jährigen über einen Internetzugang (Zahlen für Deutschland und die USA in Schlobinski 2005: 1). Waren anfangs vor allem die Jüngeren und Gebildeteren online, so erstreckt sich der Gebrauch der Neuen Medien zusehends auf alle Gesellschaftsschichten.

Die Neuen Medien bringen nun offensichtlich auch spezifische Formen des Sprachgebrauchs hervor, ein Umstand, der Experten und Laien gleichermaßen interessiert und erregt. Es scheint so, dass über die Neuen Medien bestimmte Formen der Mündlichkeit in die Schriftlichkeit eingehen, da einerseits diese im Wesentlichen den Gebrauch der seit Erfindung der Schreibmaschine bekannten Zeicheninventare erfordern, andererseits jedoch unter Kommunikationsbedingungen stehen, die eher denen der Mündlichkeit entsprechen. Am auffälligsten ist dies im Chat, wo eine Vielzahl von Personen in Echtzeit quasi-synchron schriftlich miteinander kommuniziert.



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Bei der Verwunderung, die das Phänomen »Chat« noch immer auslöst, geht es nicht nur darum, dass Sprachmuster, die uns aus der Mündlichkeit bekannt sind, verstärkt in geschriebener Form erscheinen. Dies ist zumindest im Ansatz auch in Privatbriefen und in der literarischen Nachformung von Gesprächen der Fall. Auffällig ist vielmehr, dass die traditionellen Ausdrucksweisen der Schriftlichkeit unter den medialen Bedingungen des Chats durch neue Formen des Schreibens ersetzt werden. Zeit spielt dabei eine wichtige Rolle. Rumpfformen wie mci [merci], Vereinfachungen des Grapheminventars wie in sa [ça] oder koi [quoi] sowie die Verwendung des Lautwertes von Ziffern (9 = neuf) mögen an Kurzschrift und Stenographie erinnern, der kommunikative Einsatz von Bildsymbolen, etwa :o :o für die Begrüßungsküsschen, ist genuine Neuschöpfung. Es mag dahinstehen, ob Chatten, wie Sprachpuristen befürchten könnten, zu einem weiteren Verfall der Orthographiekenntnisse führt. Entscheidend ist, dass der Chat nicht herkömmliche Schriftlichkeit ersetzt, sondern eine neue schriftbasierte Kommunikationsform hervorbringt.

Ich möchte im Folgenden zeigen, dass Chatten mehr ist als das bloße Tippen von Äußerungen, wie man sie bei einem informellen Gespräch tätigen würde. Dazu gilt es noch einmal die Funktion des Chattens und das Verhältnis von Medium und Sprachform zu durchdenken. Dabei soll anhand von kurzen Auszügen aus französischen, italienischen und spanischen Chat-Protokollen gezeigt werden, in welcher Form Mündlichkeit in die Chat-Kommunikation eingeht.


1. Das Korpus

Das Korpus, das ich hier zugrunde lege, entstammt dreier Abschlussarbeiten, die ich in den Jahren 2005 und 2006 betreut habe. Kristina Burgert zeichnete im Rahmen ihrer BA-Arbeit zwischen dem 17. und 21.12.2005 acht französische Chat-Sequenzen auf den Kanälen www.chat-land.org und http://chat.lycoss.fr auf, die insgesamt 150 Minuten entsprechen. Sechs Sequenzen geben Chats ohne thematische Vorgabe wieder, je eine Sequenz stammt aus einem Chat mit dem Thema »Musik« und mit dem Thema »Kino«. Carolin Vollmer protokollierte für ihre Wissenschaftliche Arbeit im Rahmen ihres Lehramtsstudiums am 15.03.2006 eine Stunde des thematisch ungebundenen Chats http://www.macaroni.it/chatdeisogni , dessen Zielgruppe Personen im Alter zwischen 25 und 55 sind. Verena Backes schließlich zeichnete für ihre Magisterarbeit zwischen dem 01.02.2006 und dem 06.04.2006 vier Sequenzen des spanischen Chats http://www.irc-hispano.org/index.php?seccion=canal&sec=&can=mas_de_30 auf, die insgesamt 160 Minuten umfassen. Dieser Chat ist ebenfalls thematisch ungebunden und richtet sich an Personen in der Altersklasse 30 bis 40. Das Korpus kann selbstredend nicht Repräsentativität beanspruchen. Es bietet jedoch aufgrund der zeitlichen Nähe der Aufzeichnungen, ähnlicher Inhalte und eines ähnlichen Nutzerkreises eine wertvolle Grundlage zu einem Vergleich der Chat-Sprache im Französischen, Italienischen und Spanischen.

Bislang findet sich im romanistischen Kontext nur bei Kattenbusch (2002) eine sprachübergreifende Betrachtung.1 Kattenbusch führt jedoch lediglich kurze nicht näher referenzialisierte Fragmente aus argentinischen, spanischen und italienischen Chats an und entnimmt seine französischen Daten offenbar allein der Sekundärliteratur. In dem vorliegenden Beitrag strebe ich keine detaillierte Analyse der romanischen Chat-Sprache(n) an. Vielmehr soll mir das Korpus dazu dienen, einige Parallelen und Unterschiede aufzuzeigen und die theoretischen Ausführungen an konkreten Beispielen zu illustrieren.



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2. Konzeptionelle Mündlichkeit?

Schönfeldt (2002: 27) betont, dass eine Vielzahl von Studien2 zum Chat auf das Mündlichkeits- / Schriftlichkeitsmodell von Koch / Oesterreicher (1985, 1990, 2001) zurückgreift. Angeblich kommen diese Studien zu dem Ergebnis, dass die Chat-Sprache dem Mündlichkeitspol nahe steht:

Die eindeutig nachweisbare Nähe dieser schriftlich vermittelten synchronen Kommunikationsform zum konzeptionellen Mündlichkeitspol ist […] unumstritten und ist anhand der in freien Chats verwendeten Sprache bereits vielfach nachgewiesen worden. (Schönfeldt 2002: 27).

"Eindeutig nachweisbar", "unumstritten", "vielfach nachgewiesen" – die auffällige Selbst-Versicherung reizt dazu, die These zu hinterfragen, die sich auch unabhängig von einer Modellierung nach Koch / Oesterreicher als eine Art common sense findet: Chat ist ein der mündlichen Kommunikation entsprechender unmittelbarer Austausch.3

Koch / Oesterreicher (1985) unterscheiden bekanntlich nach Söll (1974) mediale von konzeptioneller Mündlichkeit und Schriftlichkeit. Während sich der graphische und der phonische Code als Medien dichotomisch gegenüberstehen, konzipieren die Sprecher ihre Äußerungen im Rahmen eines Kontinuums zwischen dem Mündlichkeits- bzw. Nähepol und dem Schriftlichkeits- bzw. Distanzpol, d.h. die intendierte konzeptionelle Mündlichkeit oder Schriftlichkeit bestimmt unabhängig vom Code die Wahl bestimmter universeller (z.B. Parataxe vs. Hypotaxe) oder einzelsprachlicher (z.B. Gebrauch des passé simple / passato remoto) Mittel. Will man also die These, Chat-Kommunikation sei konzeptionell mündlich, überprüfen, so sind einerseits die Kommunikationsbedingungen als Parameter der konzeptionellen Dimension und andererseits die verwendeten sprachlichen Mittel zu untersuchen.4

Die Frage, ob Chat-Kommunikation zum Pol konzeptioneller Mündlichkeit tendiere, sei, so führt Dürscheid (2003: 47) aus, falsch gestellt. Chat oder E-mail sind Kommunikationsformen, in denen eine Vielzahl strukturell und funktionell unterschiedlicher Texte bzw. Diskurse realisiert werden (cf. ibd.: 40–42). Dürscheid unterscheidet zwischen situationsentbundenen Texten und situationsgebundenen Diskursen und ordnet Chat mit Storrer5 den Diskursen zu. M.E. ist diese Unterscheidung wenig hilfreich. Mit Coseriu kann man zwischen dem Diskurs als Aktivität des Sprechens und dem Text als Produkt dieser Aktivität unterscheiden. Jedes Sprechen / Schreiben produziert einen Text, nur ist dieser unterschiedlich materialisiert und deshalb unterschiedlich lange »haltbar«. Chat-Protokolle sind einfach zu erstellen und als Texte zu verwenden, auch wenn die Chatter in der Regel nicht intendieren, ihre Texte wiederzuverwenden.



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Wichtig ist dagegen Dürscheids Unterscheidung zwischen Kommunikationsform und Textsorte. In das Konzeptionalitäts-Kontinuum lassen sich nur bestimmte Textsorten einordnen, nicht Kommunikationsformen als ganze. Die Kommunikationsform Chat wird etwa auch als Polit-Chat (Austausch mit Politikern), und ferner als Beratungs- oder Unterrichtschat verwendet. Eine weitgehend einheitliche Textsorte, die hier näher untersucht werden soll, ist jedoch der unmoderierte, thematisch offene Chat, der in der Literatur auch mit der Tautologie "Plauder-Chat" bezeichnet wird (cf. Storrer 2002: 6) und als prototypische Form des Chats angesehen werden kann.


2.1. Parameter

Die Situierung der Sprechhandlung und damit die Wahl der sprachlichen Mittel erfolgt nun nach Koch / Oesterreicher in Abhängigkeit von einer Liste von Parametern (cf. Oesterreicher 2001: 220):

1. private vs. öffentliche Kommunikation
2. bekannte vs. unbekannte Kommunikationspartner
3. starke vs. schwache emotionale Beteiligung
4. maximale vs. minimale Handlungs- und Situations-Verankerung
5. maximale vs. minimale referenzielle Verankerung
6. raum-zeitliche Kopräsenz vs. raum-zeitliche Trennung
7. intensive vs. minimale Kooperation
8. Dialog vs. Monolog
9. Spontaneität vs. Reflektiertheit
10. thematische Freiheit vs. thematische Fixierung

Wenn man diese Parameter auf den "Plauder-Chat" anwendet,6 ergibt sich folgendes Bild:


Private vs. öffentliche Kommunikation

Wie schon aus den kurzen Auszügen am Ende deutlich wird, ist Chat ein öffentliches Phänomen, an dem eine Vielzahl von Personen partizipiert und interagiert oder auch nicht. Verschiedene Gesprächsstränge laufen nebeneinander, können aber jederzeit von anderen rezipiert werden und zwar von Personen, die aktiv am Chat teilnehmen und solchen, die ihn nur passiv verfolgen. Privatheit (das Adressieren einer Nachricht an einen Teilnehmer, die für die anderen unsichtbar bleibt) ist mit der Flüsterfunktion möglich. Im folgenden französischen Fragment wird von einem Teilnehmer versucht, Privatheit herzustellen. Die angesprochene Teilnehmerin lehnt es jedoch ab, den öffentlichen Bereich zu verlassen:

(2) (24) loveurpourmaloveuse> sarah59> comment je peux te donné mon adresse messenger mais pas en public
(28) sarah59> loveurpourmaloveuse> mé on est très bien ici, nan ?



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Bekannte vs. unbekannte Kommunikationspartner

Chat-Kommunikation ist komplex. Dass Chat-Partner Pseudonyme verwenden, bedeutet nicht, dass die Kommunikationspartner sich grundsätzlich unbekannt sind. Zum einen kennen sich die regelmäßigen Besucher eines Chatrooms über ihre Chat-Äußerungen, zum anderen sind Kontakte durchaus angestrebt, wie etwa in diesem Beleg aus dem spanischen Korpus deutlich wird:

(3) (648_2) soy nueva en Madrid
(658_2) y busco gente para salir, tengo fotos en http…


Starke vs. schwache emotionale Beteiligung

Die Emotionalität in Chats ist stark. Das zeigen schon die Begrüßungs- und Verabschiedungsrituale:

(4) (587) araldis : nn voglio ke stai male se scappo
(591) maschionelatino : nooo nun scappa'


Maximale vs. minimale Handlungs- und Situations-Verankerung

Auch hier ist wieder die Komplexität des Phänomens zu bedenken. Eine Handlungs- und Situationsverankerung entsteht etwa durch das Betreten und Verlassen des Chatroom. Innerhalb des Raums wird Handlung bisweilen gemeinsam imaginiert. Jede Handlung muss jedoch versprachlicht werden, wie im folgenden spanischen Beispiel deutlich wird: fordert seine Chat-Partnerin auf, sein Alter zu schätzen, in dem er vor ihr eine imaginäre Runde dreht:

(5) (750) «Courth» cuantos años tienes?
(756) lamorenavlc26, cuantos me echas?
(762) Courth da una vueltecita delante de lamorenavlc26


Maximale vs. minimale referenzielle Verankerung

Auch die Anbindung an die Sprecher-Origo ist komplex. Einerseits kann nicht auf den Raum des Sprechers vor dem Computer gezeigt werden, andererseits bietet nicht nur der Chatroom einen virtuelle Referenz, sondern die Präsenz der sprachlichen Kette auf dem Bildschirm und im Speicher ermöglicht auch Verweise von der Art des soeben zitierten spanischen Beispiels.



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Raum-zeitliche Kopräsenz vs. raum-zeitliche Trennung

Beide Ebenen fallen auseinander: wir haben es mit zeitlicher Kopräsenz und räumlicher Trennung zu tun. Im virtuellen Chatroom selbst besteht jedoch raum-zeitliche Präsenz.


Intensive vs. minimale Kooperation

Die Kooperation ist einerseits hoch aufgrund der schnellen Abfolge der turns. Andererseits kann ein turn nicht unterbrochen und von einem anderen Sprecher zuende geführt werden. Häufig werden auch Beiträge völlig ignoriert, wie der Gruß von <nandi> im folgenden spanischen Fragment. Da niemand antwortet, verlässt 68 turns später den Chat:

(6) (750)(510_2) *** nandi [x-cript51@BNYmhc.D2OIJO.virtual] has joined #Mas_de_30
(574_2) <nandi> buenassssssssssss
(636_2) *** nandi left #Mas_de_30 []


Dialog vs. Monolog

Chat ist zwar Dialog, jeder turn für sich aber ein kurzer ununterbrochener Monolog, bei dem die Intervention der anderen nicht nur wie im Alltagsgespräch in der Regel als unhöflich gilt, sondern medientechnisch ausgeschlossen ist. Die dialogische Struktur bringt es mit sich, dass längere Beiträge inakzeptabel erscheinen, vielleicht gerade auch, weil ein Unterbrechen des turns in Echtzeit nicht möglich ist.


Spontaneität vs. Reflektiertheit

Vielfach wird die Spontaneität von Chat-Beiträgen herausgestellt. Dabei wird die schnelle Aufeinanderfolge und Kürze der Beiträge meiner Ansicht nach vorschnell mit Spontaneität gleichgesetzt. Wenn Spontaneität heißt, man konzentriert sich auf die Inhalte und denkt nicht darüber nach, in welcher sprachlichen Form man etwas sagt, dann ist Chat-Kommunikation nicht schlichtweg spontan. Die Form spielt offenbar eine große Rolle, da es gerade auch darum geht, mit originellem Zeichengebrauch Aufmerksamkeit zu erregen.


Thematische Freiheit vs. thematische Fixierung

Bei unseren unmoderierten thematisch ungebundenen Chats gibt es per definitionem keine Themenfixierung. Thematische Freiheit ist jedoch in weiten Passagen auch eine Freiheit von Themen. Phatische Äußerungen spielen eine zentrale Rolle.



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Zusammenfassung

Unsere Beispiele verdeutlichen, dass Plauder-Chats Kommunikationsphänomene sind, die nach den Parametern von Koch / Oesterreicher nicht eindeutig an einem der beiden Pole stehen. Es fällt jedoch auf, dass eine Reihe von Parametern aufgrund der Komplexität der Chat-Kommunikation nicht ohne weiteres angelegt werden können. Sie nehmen andere Werte an, je nachdem ob wir den virtuellen Chatroom als Referenzraum der Kommunikation ansetzen oder den einzelnen Schreiber vor seinem Rechner. Wir haben es mutatis mutandis mit einem doppelten Kommunikationssystem zu tun, wie Pfister (1997) es für das Drama beschreibt: eines inneren innerhalb des Chatrooms, in dem die Teilnehmer unter Pseudonym miteinander agieren und eines äußeren, das zwischen den Chat-Äußerungen und den realen Personen, die sie rezipieren, besteht. Allerdings handelt es sich im Gegensatz zum Drama nicht um die Kommunikation zwischen einem Autor und dem Publikum im äußeren System und unter den Figuren im inneren System, sondern das Chatten funktioniert gewissermaßen als würden die Schauspieler ihre Texte improvisieren und nicht für ein Publikum, sondern für sich selbst spielen. Dies ist nun in keiner Weise abwegig, sondern entspricht der Situation des Rollenspiels in der Pädagogik oder Psychotherapie. Nichtsdestoweniger bleiben hier, wie beim Chat, beide Kommunikationssysteme getrennt: die "fiktive" Ebene der Figuren und die "reale", der hinter ihnen stehenden Personen. Auf diesen Gedanken komme ich am Ende des Beitrages noch einmal zurück.


2.2 Versprachlichungsstrategien

Die sprachlichen Mittel, die im vorliegenden Korpus verwendet werden, unterscheiden sich erheblich von denen, die wir üblicherweise in Texten konzeptioneller Schriftlichkeit vorfinden. Einige Elemente, die von Koch / Oesterreicher als universell oder einzelsprachlich mündlich klassifiziert werden, lassen sich dagegen belegen. Ich beschränke mich auf wenige Beispiele.

Die Beiträge sind in der Regel aggregativ parataktisch. Hypotaxe ist die Ausnahme. In der folgenden ungewöhnlich langen italienischen Sequenz findet sich eine Subordination, die allerdings durch das nähesprachliche polyvalente che anstelle von perché eingeleitet wird:

(7) zulereginadiguerra : maschine per avere sto nick devi avere un pisello smisurato, per cortesia cambia nick che qui non ci casca nessuno

Umgangssprachliche Lautformen werden im graphischen Code nachgeahmt, z.B nan und bein, die schriftsprachlich non und bien entsprechen:

(8) (2) cricri 59> pimpim> nan je bois presque jamais tu le c bien mdr7
(5) sarah59> loveurpourmaloveuse> bein oui, je suis trop gentille, lol

In dem spanischen Ausschnitt im Anhang findet sich etwa ta luego für hasta luego:

(9) <RatonColorado> [ironika__] muaaaaaaaa ta luego

Im Italienischen ist bekanntlich die Nähesprache stärker regiolektal geprägt. Das zeigt sich bei den Sprechern unseres Korpus. Maschinolatino etwa verschriftet häufig Lautformen, die einer zentralen oder meridionalen Aussprache entsprechen, etwa nn für Standarditalienisch nd (risponni für rispondi)



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(10) maschionelatino : ara nn me risponni'

Es finden sich jedoch auch viele Versprachlichungsstrategien, die in der gesprochenen Sprache keine Entsprechungen haben. Die turns sind im Chat erheblich kürzer als in einer durchschnittlichen mündlichen Konversation (cf. Anis 1999).

Vor allem in der italienischen Sequenz fällt ein exzessiver Gebrauch von Emoticons auf. Bisweilen besteht der turn nur aus einem Emoticon:

(11) (557) sfilatino : ti sei svegliato mo' mo'
(558)  _ATREIU_ : si si proprio mo
(559)  _ATREIU_ : ke se vede?
(560) sfilatino : si dalle occhiaie
(561)  _ATREIU_ :
(562)  _ATREIU_ :

Nachahmungen von Geräuschen, wie dem Kussgeräusch im spanischen Chat, haben keine Entsprechung in der Mündlichkeit:

(12) (568) <ToNi> luna03 muakssssssssssssss

Ebenso wenig die konsonantischen Rumpfformen und Akronyme, die einerseits an ökonomische Abkürzungen erinnern, andererseits aber wiederum expressiv iteriert werden können (cf. Anis 1999: 74), wie mdr (mort de rire) im folgenden Beispiel:

(13) (21) bichon> louloutte62> mdrrr tu en as de la Chance toi

Auch Buchstabendreher und ihre Korrektur sind kein Phänomen der Mündlichkeit:

(14) (582)  _ATREIU_ : ciao leos
(583)  _ATREIU_ : leso

Es zeigt sich also, dass die Versprachlichungsstrategien der untersuchten Chats sich sowohl von denen der konzeptionellen Schriftlichkeit als auch der konzeptionellen Mündlichkeit unterscheiden. Es findet sich eine Reihe von Phänomenen, die offensichtlich den spezifischen medialen Bedingungen der Chat-Kommunikation geschuldet sind: Interaktivität, schnelles zeitliches Aufeinanderfolgen der Beiträge bei gleichzeitiger Eindimensionalität des Kanals: Beschränkung auf graphisch-optische Reize. Im folgenden Abschnitt soll gefragt werden, ob und inwieweit sich das Modell von Koch / Oesterreicher erweitern lässt, um den spezifischen Kommunikationsbedingungen der Chat-Kommunikation Rechnung zu tragen.




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3. Medien und Kommunikationsbedingungen

Koch / Oesterreicher betonen zwar immer wieder (Oesterreicher 2001: 220), dass die Liste der Parameter eine offene ist. Sie haben sie jedoch nach kleineren Präzisierungen am Anfang (vgl. Koch / Oesterreicher 1985: 23; Koch / Oesterreicher 1990: 12) in 15 Jahren nicht mehr modifiziert oder ergänzt (cf. Koch 2005: 42). Es sollte indes bedacht werden, dass die mediale Dimension selbst zu den Kommunikationsbedingungen gehört (cf. Bittner 2003: 66; Kailuweit 2004). Wenn die Wahl der Ausdrucksmittel aber gerade nicht unabhängig von der Wahl des Mediums ist, dann würde dies das Modell von Koch / Oesterreicher aushebeln.

Kattenbusch (2002), Berruto (2005) und Dürscheid (2003) haben in jüngerer Zeit versucht, einerseits an den Parametern von Koch / Oesterreicher zur Bestimmung der Konzeption festzuhalten und dennoch andererseits den Einfluss des Medialen auf die Wahl der sprachlichen Mittel zu berücksichtigen.

Kattenbusch (2002: 192–195) schlägt vor, neben dem graphischen und phonischen einen "lalischen" Code (von gr. lalía ,Geplauder') als dritte mediale Realisationsform hinzuzufügen.


Fig. 1 (Kattenbusch 2002: 194).



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Unter lalischem Code versteht Kattenbusch

…ein Hybrid zwischen graphischem Kode und ikonographischem Kode (unter Verwendung von Emoticons, nicht allgemein üblichen Akronymen etc. zur Wiedergabe parasprachlicher und non-verbaler Kommunikationselemente). (Kattenbusch 2002: 192).

Kattenbuschs Vorschlag ist nun aus mehreren Gründen nicht überzeugend. Die Aufteilung des Kontinuum der Nähe und Distanz in ein »lalisches« und ein graphisches Feld suggeriert, dass Nähe nur »lalisch« (oder phonisch), Distanz nur graphisch (oder phonisch) ausgedrückt werden kann. Kattenbusch widerspricht sich hier selbst: zwei Seiten zuvor hatte er noch graphische Nähe lalischer Nähe gegenübergestellt, gleichwohl aber lalische Distanz ausgeschlossen:

(15) C'è nessuno? Peccato : cennessuno? :-((
(graphische Nähe) (lalische Nähe) (cf. Kattenbusch 2002: 192).

Auch ist es fraglich, ob »lalisch« ein eigener Code ist, der vom graphischen klar abgegrenzt werden kann. Kattenbuschs eigene Definition spricht bereits dagegen: Der »lalische« Code beinhaltet den graphischen, aber auch der traditionelle graphische Code verfügt über ikonographische Elemente (z.B. Pfeile; Währungssymbole etc.). Schließlich bleibt unklar, inwiefern die in Fig. 1 dargestellten Kommunikationsformen – nach Dürscheid (2003) müssten diese ohnehin durch Textsorten / Diskursarten ersetzt werden – in den Bereich des Phonischen hineinragen. Die phonischen Entsprechungen (Voicemail; Videokonferenz) besitzen eigene Kommunikationsbedingungen, die separat zu untersuchen wären.

Berruto (2005: 156) dagegen bringt die medialen Bedingungen der Chat-Kommunikation ins Spiel, indem er das Modell von Koch / Oesterreicher um eine Dimension der »Interaktivität« erweitert. CMC steht nach Berruto nun am Pol hoher Interaktivität aber zwischen dem medial graphischen und dem konzeptionell Mündlichen.


Fig. 2 (Berruto 2005: 156)

Auch Berrutos Modifizierung des Modells von Koch / Oesterreicher kann nicht überzeugen. Wie Kattenbusch trennt er nicht zwischen Kommunikationsform (CMC) und Textsorte. Versteht man unter CMC vor allem Textsorten wie den unmoderierten nicht themengebundenen Chat, dann ist hohe Interaktivität sicherlich gegeben. Hohe Interaktivität charakterisiert aber auch und gerade das prototypische Alltagsgespräch. Allerdings ist, wie ein anonymer Gutachter dieses Beitrages anmerkt, die angeblich neue Dimension der Interaktivität nur ein aus dem Modell herausgelöster Aspekt, der in den Parametern von Koch / Oesterreicher bereits abgedeckt ist (Dialogizität). Daraus folgt, dass es wohl nicht nur an meinem mangelnden geometrischen Vorstellungsvermögen liegt, dass es unklar bleibt, wo die traditionellen von Koch / Oesterreicher in ihr Kontinuum eingeordneten Textsorten im dreidimensionalen Schema von Berruto zu situieren wären. Das Umformen eines einzelnen Parameters in eine neue Dimension bricht mit der ursprünglichen Logik des Ansatzes, dichotomisch zwischen Medien zu unterscheiden und dann in dem (eindimensionalen) Kontinuum zwischen konzeptioneller Mündlichkeit und Schriftlichkeit verschiedene Textsorten zu situierten.




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Dürscheid (2003: 38s) kritisiert, dass der Medienbegriff von Koch / Oesterreicher zu eng sei. Mit Holly (1997: 69s) definiert sie Medien als "konkrete materielle Hilfsmittel, mit denen Zeichen verstärkt, hergestellt, gespeichert und / oder übertragen werden". Medien im Sinne von Koch / Oestereicher möchte sie dagegen als "Medialität" bezeichnen, so dass weiterhin von einer medialen Mündlichkeit (phonischer Code) und Schriftlichkeit (graphischer Code) gesprochen werden könnte (cf. Dürscheid 2003: 39). Auch Dürscheid thematisiert indirekt das Phänomen der Interaktivität, wenn sie unter den medialen Kommunikationsbedingungen den Aspekt der Zeitlichkeit herausgreift: Texte, die an Speichermedien gebunden sind, werden asynchron rezipiert, flüchtige, hoch interaktive Diskursformen im gesprochenen Code dagegen synchron. Bei einer hoch interaktiven Diskursform im geschriebenen Code, also etwa beim Chat, erfolgt die Rezeption leicht zeitlich verzögert und insofern quasi-synchron. Chatten unterscheidet sich von der Face-to-Face-Kommunikation dadurch, dass der Tippakt selbst vom Rezipienten nicht wahrgenommen wird,8 sondern die getippte Äußerung als ganze mit einer geringen zeitlichen Verzögerung auf dem Bildschirm erscheint.


Fig. 3 (Dürscheid 2003: 49)

Die Situierung der Textsorten / Diskursarten erfolgt in Abhängigkeit zu den medialen Bedingungen. Das jeweilige Spektrum ist verschoben. Das konzeptionell »mündlichste« Chatten, so Dürscheids These, ist weniger »mündlich« als die konzeptionell »mündlichste« Nachricht auf dem Anrufbeantworter oder diese wiederum steht in ihrer konzeptionellen Mündlichkeit hinter dem prototypischen Alltagsgespräch zurück. Um diese Hypothese zu bestätigen oder zu widerlegen wären gründlichere vergleichende Untersuchungen des in den jeweiligen Textsorten verwendeten Sprachmaterials notwendig. Dies kann an dieser Stelle nicht geleistet werden.

Dürscheids (2003) Unterscheidung von Synchronizität, Quasi-Synchronizität und Asynchronizität ist gewiss richtig und bedeutsam. Gleichwohl kann der Ausschluss synchroner Schriftlichkeit und quasi-synchroner Mündlichkeit nicht überzeugen. Typische Situationen synchroner Schriftlichkeit sind etwa das gemeinsame Bekritzeln eines Blattes, wie es Tischnachbarn während einer langweiligen Schulstunde praktizieren. Aber genauso gut kann man während einer Arbeitsbesprechung gemeinsam wichtige Ideen und Ansätze auf ein Blatt oder eine Tafel notieren. Typische Beispiele für quasi-synchrone Mündlichkeit sind der Sprechfunk oder die Gegensprechanlage im Wechselverkehr (Halbduplexbetrieb). Hier verfolgt der Rezipient die Entstehung der Nachricht zwar in Echtzeit, kann aber im Gegensatz zur synchronen Mündlichkeit nicht intervenieren, bis der Sprecher das Rederecht abgegeben hat.

Obgleich das Modell von Dürscheid (2003) insgesamt ausgereifter erscheint als die Vorschläge von Kattenbusch und Berruto, wird es meiner Ansicht nach dem komplexen Verhältnis von Medium und Konzeption nicht vollauf gerecht. Im Wesentlichen liegt dies daran, dass Dürscheid (2003: 50) zwar an der Unterscheidung von konzeptioneller Mündlichkeit und Schriftlichkeit festhalten will, nicht aber an der von Koch / Oesterreicher synonym verwendeten Unterscheidung von Nähe und Distanz mit all ihren Konnotationen. Meines Erachtens liegt aber gerade in den Konnotationen, die mit der Bezeichnung der Pole konzeptioneller Mündlichkeit und Schriftlichkeit als Nähe- und Distanzpol verbunden sind, der besondere Wert des Modells von Koch / Oesterreicher. Diesem Gedanken möchte ich abschließend nachgehen.




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4. Von der »konzeptionellen Mündlichkeit« zur »schriftlichen Nähe«

Dürscheid (2003: 50) kritisiert, dass sich mit Nähe und Distanz keine medialen Implikationen verbinden. Ferner seien die einzelnen Parameter hinsichtlich der Nähe oder Distanz oftmals nicht eindeutig oder entsprächen nicht den für eine Textsorte üblichen Versprachlichungsstrategien. Bei der Predigt läge physisch Nähe vor, trotzdem sei sie konzeptionell schriftlich. Beim Plauder-Chat wiederum käme räumliche wie soziale Distanz – die Teilnehmer kennen sich in der Regel nicht – zusammen: trotzdem sei Chat-Sprache konzeptionell mündlich.

Meines Erachtens besteht der Ertrag der Nähe-Distanz-Unterscheidung gerade darin, dass sie medienunabhängig ist und gleichsam die Bestimmung von prototypischen Kommunikationssituationen erlaubt. Nähe heißt prototypisch, räumliche, zeitliche und soziale Nähe, Distanz entsprechend räumliche, zeitliche und soziale Distanz. Traditionell entspricht die Face-to-Face-Kommunikation vertrauter Sprecher prototypischer Nähekommunikation.

Es ist, wie auch Hennig (2001) ausführt, jedoch unglücklich, diese als »konzeptionell« mündlich zu bezeichnen. Wenn wir mit vertrauten Kommunikationspartnern ein Alltagsgespräch führen, konzipieren wir gar nicht, wir sprechen einfach. Es geht um die Inhalte, die Ausdrucksmittel sind gleichsam durchsichtig. Hennig (2001) weist nun darauf hin, dass konzeptionelle Mündlichkeit und Schriftlichkeit auch bei Söll (1985) auf den Fall der Medienüberkreuzung beschränkt war: konzeptionell mündlich sei etwa ein Gesprächsprotokoll oder die Nachahmung von Mündlichkeit in der Belletristik oder in einem Fremdsprachenlehrbuch (cf. Hennig 2001: 221).

Einen ähnlichen Gedanken habe ich in Kailuweit (2004) verfolgt: Bewusste Nachahmung von Mündlichkeit ist konzeptionell mündlich, sei es in der Literatur oder auch im Alltag, etwa wenn ich versuche, einen Dialekt zu sprechen, der nicht der meine ist. Hinsichtlich der Kommunikation im Plauder-Chat lässt sich nun zeigen, dass diese nur zum Teil konzeptionell mündlich ist. Sie dient aber, so meine These, mit all ihren Versprachlichungsstrategien der Produktion von Nähe. Dies geschieht, wie bereits oben angesprochen, über die Kreation eines doppelten Kommunikationssystems im Sinne Pfisters (1997). Zum einen wird der Chatroom gemeinsam als eine Bühne imaginiert, auf der etwas zu sehen und zu hören ist und fiktiv miteinander gesprochen und gehandelt wird. Dies erklärt die Imitation gesprochener Sprache, von Geräuschen, von Gestik und Mimik mithilfe von "Regieanweisungen" (z.B mdr, lol etc.) und Emoticons oder des Brüllens durch Verwendung von Majuskeln. Aber nicht alle Versprachlichungsstrategien passen sich ein in einen imaginären Raum theatralischer Präsenz. Expressivität etwa durch Konsonanteniteration oder Emoticons und Bildelemente, die selbst mit übertriebener Gestik und Mimik nicht übereinstimmen, fallen aus einem Szenario imitierter Alltagssprachlichkeit heraus.9 Hier wird insofern das innere Kommunikationssystem gleichsam suspendiert.10

Warum aber geschieht dies? Warum begeben sich Menschen in einen Chatroom und verhalten sich dort so, wie wir es beobachtet haben? Krämer (2000: 50s) sieht im Chat depersonalisierte »Chiffreexistenzen« am Werk und befürchtet eine "Dispensierung kommunikativer Verantwortung". In dieser Pauschalität ist ihre These sicherlich unzutreffend. Pseudonym heißt nicht anonym. Unabhängig davon, ob Chatter sich bereits persönlich kennen oder in Zukunft kennenlernen wollen, ist an das Aufrechterhalten eines Pseudonyms die Möglichkeit sozialer Repression wie Gratifikation gebunden, die unmittelbar auf die Person, die hinter dem Pseudonym steht, zurückwirkt.




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Yus stellt leicht verwundert fest: "a pesar de las limitaciones propias de este medio de comunicación, los usuarios del chat están bastante contentos con el uso que hacen de él" (Yus 2001: 86). Beschränkt erscheint der Chat aber nur, wenn man ihn als einen Ersatzmodus der Face-to-Face-Kommunikation ansieht. Weder ersetzt er das Alltagsgespräch noch ist er ein Betätigungsfeld für Psycho- oder Soziopathen. Er ist viel eher eine im schlichtesten Sinne kreative, künstlerische Tätigkeit, durchaus vergleichbar mit dem gemeinsamen laienhaften Musizieren, Töpfern, Malen und vor allem Theater spielen. Er schafft Freiräume ohne von kommunikativer Verantwortung völlig zu entbinden. Er ist ein Spiel, jedoch ein Spiel, das seine Regeln und Grenzen hat.


5. Resümee

Ziel meines Beitrags war es, anhand von Beispielen aus drei romanischen Sprachen, der These nachzugehen, Chat-Kommunikation sei eine Form konzeptioneller Mündlichkeit im Rahmen der Möglichkeiten Neuer Medien. Ich habe versucht zu zeigen, dass sich diese These anhand der Parameter des Mündlichkeits-Schriftlichkeits-Modells von Koch / Oesterreicher nicht bestätigen lässt. Es zeigte sich, dass viele Parameter aufgrund der Komplexität des Phänomens nicht ohne weiteres angelegt werden können. Die Versuche von Kattenbusch, (2002) und Berruto (2005), das Modell zum Zwecke seiner Anwendbarkeit auf den Bereich der CMC zu modifizieren, konnten nicht überzeugen. Auch Dürscheids (2003) vielbeachteter Ansatz, zwischen Medium und Medialität zu unterscheiden und Chatten als medial schriftliche, aber konzeptionell-mündliche quasi-synchrone Kommunikationsform zu bestimmen, ließ einige Fragen offen. Die Quasi-Synchronizität erschien für das Chatten in thematisch ungebundenen Chatrooms letztlich weniger zentral, als das Bemühen der Chatter, im Rahmen der Bedingungen des Neuen Mediums in einer Verdoppelung des Kommunikationssystems gleichsam wie beim Theaterspielen einen virtuellen Kommunikationsraum zu schaffen. In diesem Raum kann mit Mitteln, die der medialen Schriftlichkeit zuzuordnen sind, eine fiktive Nähe spielerisch erzeugt werden, ohne dass, wie Chat-Kritiker befürchten, dabei jede kommunikative Verantwortung verlorengeht. Das ludisch-kreative Moment macht meines Erachtens den spezifischen Reiz des Chattens aus. Inwieweit dabei in den (romanischen) Einzelsprachen spezifische Traditionen entstehen, bleibt abzuwarten und kann nur anhand weitaus größerer Korpora als der hier zugrundegelegten untersucht werden.


Bibliographie

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Yus, Francisco (2001): Ciberpragmática. El uso del lenguaje en Internet, Barcelona.


Anmerkungen

1 Einzelsprachlich ausgerichtet sind dagegen die Arbeiten von Anis (1999) zum Französischen, Pistolesi (2005) zum Italienischen und Yus (2001) zum Spanischen.

2 Etwa Maiworm (2003); differenzierter argumentieren Haase et al. (1997).

3 Schmitz (2004: 93) kritisiert diese These auf der Grundlage von Wehner (1997).

4 Maiworm (2003) untersucht nur die Versprachlichungsstrategien.

5 Storrer (2001: 5) spricht von getippten Gesprächen, bei denen die Sprecher dialogisch auf die aktuelle Äußerungssituation Bezug nehmen und nicht die Produktion von Texten intendieren, die in anderen situativen Kontexten rezipiert werden sollen.

6 Siehe dazu auch Hennig (2001: 226-235) und Kattenbusch (2002: 194), die jedoch nicht die gesamten Parameter von Koch / Oesterreicher behandeln.

7 Das französische "mdr" (= mort de rire) entspricht dem englischen "lol" (= laughing out loud)

8 Es gibt Instant-Messaging-Programme, wie Skype, die anzeigen, DASS ein Partner tippt, man sieht aber nicht in Echtzeit WAS sie oder er tippt.

9 Bereits Wehner (1997:135) betont, dass Emoticons keine rein kompensatorische Funktion haben.

10 Von daher ist es nicht nur unmöglich, einen Chat zu vertonen (zu lesen) (cf. Storrer 2001: 5), sondern auch ihn vorzuspielen.



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Anhang

(1) bichon> fait une grooosse bise à vrimm !

(2) cricri 59> pimpim> nan je bois presque jamais tu le c bien mdr

(3) loveurpourmaloveuse> sarah59> a c cool toi au moin tu penses a moi

(4) pimpim> cricri 59> oui moi non plus

(5) sarah59> loveurpourmaloveuse> bein oui, je suis trop gentille, lol

(6) loveurpourmaloveuse> sarah59> c tres zentil

(7) louloutte62> kikou tt le monde

(8) audreyy> SALUT TOUT LE MONDe

(9) bichon> louloutte62> slt

(10) cricri 59> pimpim> heuuu un peu plus que moi quand meme

(11) bichon> audreyy> slt

(12) louloutte62> bichon> salut

(13) cricri 59> pimpim> XD XD

(14) bichon> louloutte62> pas encore

(15) loveurpourmaloveuse> sarah59> je m ennuie la :’( :’(

(16) bichon> louloutte62> au lit

(17) bichon> lol

(18) sarah59> loveurpourmaloveuse> moi aussi

(19) louloutte62> bichon> bah non c les vacances lol

(20) pimpim> cricri 59> non du tout

(21) bichon> louloutte62> mdrrr tu en as de la Chance toi

(22) cricri 59> pimpim> si si lol

(23) bichon> lol

(24) loveurpourmaloveuse> sarah59> comment je peux te donné mon adresse

messenger mais pas en public

(25) pimpim> cricri 59> non pk tu dis sa

(26) louloutte62> bichon> a bon??? pk?

(27) cricri 59> pimpim> heuuuu nan je prefere me taire :chut:

(28) sarah59> loveurpourmaloveuse> mé on est très bien ici, nan ?

(Aufgezeichnet am 22.12.2005 www.chat-land.org von Kristina Burgert)

*



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(568) luna03 muakssssssssssssss

(569) *** vncib [njnycpyrbc@DHuOg7.BvM75K.virtual] has joined #Mas_de_30

(570) *** monalisaa [asdfg@DAZGLC.BgiSXr.virtual] has quit [Read error: Connection reset by peer]

(571) maribelcita muakissssssssssss

(572) seeeeeeee ToNi

(573) luego vuelvo,chao

(574) [AdA06] jajajajjaja noooooo te has adelantao asi que no vale

(575) nas nochesss

(576) *** luna03 requested CTCP SOUND from #Mas_de_30: The Corrs y Alejandro Sanz - Aun hay.mp3

(577) MP3 aun hay : the cors y alejandro sanz-title (4.9MB/128Kbps/44.1Khz/5m 20s)

(578) [ironika__] muaaaaaaaa ta luego

(579) kurkx nassssssssss

(580) [ToNi] muassssssssssssssssssss pavito mio

(581) *** tok_tok [ircap751@B61nnW.B2GmkE.virtual] has quit [Read error: Connection reset by peer]

(582) *** Piojos0 [x-cript51@CvHQve.BP9FVM.virtual] has joined #Mas_de_30

(583) *** ESTRELLITA2 [ircap751@AnBo3d.A1YphS.virtual] has quit [User Quit: IRcap [7.51] http://www.ircap.net ]

(584) RatonColorado se fitisss

(585) *** Man_olo [ircap9.0@DQOVdk.D1Jo4m.virtual] has joined #Mas_de_30

(586) «kurkx» jajajaja na joio ni lo roce jajajaja

(587) serena_3 na nit ********

(588) [ToNi] se ligon

(589) [ToNi] bona nitttttt ****

(Aufgezeichnet am 01.02.2006, 22.30-23.00h http://www.irc.hispano.org/index.php von Verena Backes)

*



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(556) _ATREIU_ : ciao maskiò

(557) sfilatino : ti sei svegliato mo' mo'

(558)  _ATREIU_ : si si proprio mo

(559)  _ATREIU_ : ke se vede?

(560) sfilatino : si dalle occhiaie

(561)  _ATREIU_ :

(562)  _ATREIU_ :

(563) sfilatino : tien du' fanal abbaglianti

(564) araldis : ciao ragazzi buona giornata a tutti

(565) _ATREIU_ : ma va va

(566) maschionelatino : ciao araldis

(567) sfilatino : araldis ciao anche a te'

(568)  _ATREIU_ : ciao ara

(569) araldis : come va bella gente

(570)  _ATREIU_ : benino grazie

(571)  _ATREIU_ : te?

(572) maschionelatino : molto meglio mo che t'ho rivisto ara

(573) sfilatino : va che so' ncazzat nir nir xche' nn ho vinto al suxenal8 :

(574) sfilatino :

(575) araldis : sicuro

(576) - lesotutte è entrato in chat.

(577) - ChanServ ha nominato lesotutte un partecipante.

(578) lesotutte : e ricino

(579) maschionelatino : se se nn ti ricordi

(580) araldis : ok allora rimango..

(581) sfilatino : leso

(582)  _ATREIU_ : ciao leos

(583)  _ATREIU_ : leso

(584) lesotutte : ciao sfila

(585) lesotutte : atreiuuuu

(586) maschionelatino : ciao leso tesoro

(587) araldis : nn voglio ke stai male se scappo

(588)  _ATREIU_ :

(589) - vivitheoriginal è entrato in chat.

(590) - ChanServ ha nominato vivitheoriginal un partecipante.

(591) maschionelatino : nooo nun scappa'

(Aufgezeichnet 15.03.2006 www.macaroni.it/chatdeisogni von Carolin Vollmer)