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Heiko Stullich (Bochum)



Bernd Blaschke (2004): Der homo oeconomicus und sein Kredit bei Musil, Joyce, Svevo, Unamuno und Céline. München: Fink.



Die vorliegende Monographie fügt sich in eine Reihe von Studien in das Forschungsfeld zu dem Zusammenhang von Ökonomie und Literatur ein, welches in den letzten Jahren vor allem in Deutschland eine beachtliche Konjunktur erfahren hat. Die Initialzündung dürfte Jochen Hörischs kultur- und medienwissenschaftliche Studie Kopf oder Zahl (1996) über das Geld als ontosemiologisches Leitmedium gewesen sein. Im gleichen Kontext stehen die Studien Tauschverhältnisse – Zur Ökonomie des Literarischen und zum Ökonomischen in der Literatur von Gellert bis Goethe von Thomas Wegmann (2002) sowie Kalkül und Leidenschaft – Poetik des ökonomischen Menschen von Joseph Vogl (2002). In den USA existiert dieses Forschungsfeld, das dort unter dem Namen 'New Economic Criticism' firmiert,1 schon etwas länger. Wegweisend sind hierbei vor allem Marc Shells Arbeiten The Economy of Literature (1978) und Money, language and thought – Literary and philosophic economies from the medieval to the modern era (1982). Allen gemein ist die Beschäftigung mit "Inszenierungen der Ökonomie und ihrer Figurationen" (Blaschke 2004: 12) innerhalb der Literatur, die sich sowohl von vorschneller Ideologiekritik (neo-)marxistischer Provenienz (die auch Bernd Blaschke kritisiert2), als auch von traditioneller Stoff- und Motivforschung vornehmlich naturalistisch-realistischer Romane absetzt. Das Interesse dieser Forschungsrichtung wendet sich konkreten ökonomische Phänomenen zu, die fernab von der einfachen Bezeichnung des ökonomischen Gegenstandes die Texte strukturieren, ohne dabei in einer einfachen Codierung von Affirmation / Kritik aufzugehen.

Blaschke versucht nun anhand der Leitkriterien des homo oeconomicus und des Kredits die ausgewählten Texte "gründlich, textnah und ausführlich zu kommentieren" (ebd.: 12). Diesen Leitbegriffen sind zwei kurze Unterkapitel innerhalb des ersten methodischen Teils der Arbeit gewidmet. In diesen wird die Auswahl erklärt und die Begriffe werden weiter (im Falle des homo oeconomicus auch historisch) konturiert (vgl. ebd., Kap. 1.2 und 1.3: 17–24 bzw. 25ff.). Dabei dient das Modell des homo oeconomicus der Analyse einzelner Figuren, deren Entscheidungsvorgänge von rationalen Kosten-Nutzen-Abwägungen geprägt sind: "In meiner Beobachtung von Romanen geht es mir um beides: Ökonomie als Gegenstandsbereich [...] aber auch um ökonomisch-kalkulierendes Verhalten der Figuren in Sphären des Nicht-Käuflichen, wie der Liebe" (ebd.: 18).




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Komplementär zu diesem ökonomisch-anthropologischen rational-choice-Modell wird eine Ethik der Gabe und des Exzesses profiliert (ebd.: 100–106). Das Ergebnis sind, so Blaschke "zwei polare idealtypische Modellierungen ökonomischen Verhaltens, die es erlauben, die Figuren der Romane mit zwei philosophisch und anthropologisch profilierten Konzepten zu analysieren" (ebd.: 100). Leider wird die Kategorie der Gabe im methodischen Teil größtenteils vernachlässigt und auf nur sechs Seiten die komplexe Diskussion um diesen Begriff zusammengefasst. Stattdessen nutzt Blaschke den Begriff des 'Kredits' als den zweiten Leitbegriff. Als Kredit wird eine "grundlegende Beziehung des Glaubens, der Akkreditierung, die nicht mehr nur als Zeit- und Zeichenstruktur moderner Wirtschaft fundamental ist" (ebd.: 25) verstanden, die mit Musil zu einer Idee des universalen Fundamentalkredits erweitert wird, "zu einer Art moderner Existenzialie, einem lebensnotwendigen Grundmedium des Vertrauens" (ebd.). Bei dieser sehr vagen Erläuterung bleibt es, denn schließlich wird die Kategorie in ein grundlegendes narratologisches Schema überführt, das dazu dient "Inszenierungen von Erzähler-Akkreditierungen und Diskreditierungen [zu] verfolgen" (ebd.: 27). Das bedeutet aber letztlich nichts anderes als die Erzählinstanzen auf konventionelle Muster der Erzählanalyse zu untersuchen, d.h. im Hinblick auf die Glaubwürdigkeit des Erzählers. Der Gewinn, der durch eine Beschreibung von narrativen Strukturen mit Hilfe eines ökonomisch inspirierten Vokabulars erzielt wird, bleibt in der gesamten Studie eher zweifelhaft. Beide Leitbegriffe (und der Unterbegriff der Gabe) hätten einer genaueren Konturierung bedurft um ihren methodischen Wert klar zu machen; gerade der Begriff des 'Kredits' bleibt dabei unterbestimmt.

Als Gegenstand der Analyse hat Blaschke sicher nicht zufällig fünf Romane ausgewählt, die ohne Zweifel zum Standardrepertoire der Moderne gehören. Auch wenn er sich emphatisch gegen geschichtsphilosophische Entwürfe und skeptisch gegenüber Epochen-Konzepten ausspricht, setzt er gerade durch die Betonung eines nur heuristischen – gleichzeitig aber unterbestimmten – Gebrauchs des 'Moderne'-Begriffs damit doch einen sehr konventionellen Begriff von Moderne, indem dieser nicht weiter problematisiert oder genauer bestimmt, sondern einfach vorausgesetzt wird. Problematisch wird dies, wenn es um den inneren Gesamtzusammenhang der Einzelanalysen geht, der über diesen schwachen Epochenbegriff und die ökonomischen Diskurse als tertium comparationis gestiftet werden soll. Der lose Zusammenhang der ausgewählten Werke soll wohl eher über die Überzeugungskraft als kanonischer Werke fünf verschiedener Nationalliteraturen erreicht werden. Ein wenig mehr Bescheidenheit hätte hier gut getan, vor allem bezüglich der Auswahl der Texte zugunsten eines plausibleren komparatistischen Zusammenhangs.

Auf das einleitende methodische Kapitel folgt eine selektive 'Inventur' der bisherigen Forschungsarbeit zum Zusammenhang von Ökonomie und Literatur. Das Kapitel soll, wie Blaschke betont, neben einer methodologischen Positionierung auch eine "Service-Absicht" erfüllen, "eine Typologisierung und Zusammenfassung vorliegender Studien [...] die den Einstieg [...] ins theoretische und historische Feld literarischer Ökonomiken erleichtert" (ebd.: 37). In der Tat ist dieses Kapitel eine nützliche Bestandsaufnahme, auch wenn das erste Unterkapitel mit dem Titel "Wirtschaftswissenschaftliches Denken 1900–33, Geschichte der Doktrinen" mit dreieinhalb Seiten viel zu kurz ausfällt, um die beabsichtigte Service-Absicht hinreichend zu erfüllen. Die anschließenden Unterkapitel rezensieren der Reihe nach verschiedene Versuche "literarischer Ökonomik", angefangen u.a. bei soziologischen und marxistischen Analysen von Lukács, Adorno und Benjamin. Darauf folgen neomarxistische Literaturanalysen von u.a. Jameson, Eagleton und Zima und die eher verstreuten Bemerkungen über Literatur und ökonomische Zusammenhänge bei Goux und Bourdieu sowie über die einschlägigen angelsächsischen Arbeiten in dem Bereich von Marc Shell. Anschließend widmet sich der Autor soziologischen Beobachtungen zu Geld und Ökonomie bei Simmel, Luhmann und seinem Schüler Dirk Baecker. Abschließend wird ein Blick auf das Denken der Gabe und der Verausgabung von Mauss, Bataille, Derrida u.a. geworfen, um es – wie schon beschrieben – als ein Gegenmodell zum homo oeconomicus zu etablieren. Nach diesem die Forschung resümierenden Kapitel widmet sich der Autor den Einzelanalysen der jeweiligen Romane.




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Den Anfang macht Miguel de Unamunos La Niebla, den Blaschke auf ökonomische Akkreditionsprobleme hin liest. Wie er herausstellt, sei es zunächst 'plottechnisch' vor allem die Differenz von arm / reich, die die verschiedenen Liebes-Ökonomien des Texts motivierten; die Figuren würden durch ihre scharfen Kalkulationen in "Kompensations-, Substitutions- und Surrogats-Heiraten" (ebd.: 115) zusammengebracht. Liebe werde als Tauschverhältnis beschrieben, das letztlich auf Akkreditierung und auf das Problem der "Realdeckung der Gefühle" (ebd.: 116) angewiesen bleibe. Dieses Problem der Glaubwürdigkeit weite sich aus und werde letztendlich zum Problem der Referentialität des Textes überhaupt; in seiner Ausweitung werde durch das metafiktionale Gespräch zwischen Hauptfigur und Autor eine vollständige Diskreditierung herbeigeführt. Zeichen und Referent kämen nicht mehr zur Deckung, das Geschriebene werde als Fiktionales in seiner Konstruktion entlarvt.

Die interessanteste Lektüre gelingt Blaschke vielleicht bei James Joyces Ulysses, der auf verschiedenen Ebenen auf Diskurse über Wertschöpfung, Zirkulation und Verschwendung Bezug nimmt und von ihnen u.a. strukturiert wird. Entlang der drei Hauptfiguren Leopold und Molly Bloom und Stephen Daedalus entwickelt er drei Modelle von Ökonomie, die im Text kontrastiert werden. Leopold Bloom beschäftige eine ständige Mikro-Kalkulation seiner alltäglichen Einnahmen und Ausgaben in pence-Beträgen, die ihn durch die verschiedenen Kapitel begleite. Insbesondere das 'Katechismus'-Kapitel stehe hierbei im Zeichen einer umfassenden Inventur. Demgegenüber zeige sich Stephen in seinem Künstlerhabitus indifferent gegenüber jeglichen Verrechnungen und verschreibe sich einer anti-ökonomischen Verschwendungsethik. Geld werde von ihm nur als fließendes Zirkulationsmittel akzeptiert, das in Bewegung gehalten werden müsse. Stephen stehe somit für eine Ökonomie der Verausgabung und des Exzesses wie eine Antithese zu Blooms akribischer Buchhaltung. Molly Bloom dagegen verknüpfe in ihrem Monolog Kalkulationen um Liebe, Sexualität und Partnerwahl durch Berechnung des Tauschwerts. Dabei changiere sie zwischen Mikro-Kalkulationen z.B. über ihre Ausgaben und Träumereien größeren Stils.

Bei der Analyse von Italo Svevos Roman La coscienza di Zeno geht es dem Autor vorrangig um die Kalkulationen des Protagonisten und Erzählers Zeno; sein "Selbstverständnis als (oft und komisch vergeblich) kalkulierender homo oeconomicus äußert sich auch in meist witzig-grotesken Übertragungen des rechnerischen Denkens in Sphären, deren Logik solche Kalkulationen ausschließen sollte" (ebd.: 219). Auch hier würden Freundschaft und Liebe, geradezu sämtliche Beziehungen in streng kalkulatorischer Manier, die darüber hinaus immer wieder mit religiösen Motiven vermengt wird, durch die Hauptfigur gefasst und reflektiert. Ironischerweise diene diese Form der Rechnung aber quasi als Kompensation für die ihm versagte Kontrolle im väterlichen Unternehmen. Dabei werde der Rahmen der Erzählung ähnlich wie bei Unamuno einer ökonomisch-narratologischen Untersuchung unterzogen. Denn auch bei Svevo werde über die Form der therapeutischen Autobiographie, so Blaschke, das Problem der Glaubwürdigkeit des Erzählers, die von Svevo immer wieder untergraben wird, aufgeworfen.




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Die zusammen mit dem Kapitel zum Ulysses längste – und auch lohnendste – Einzelanalyse wird Robert Musils Mann ohne Eigenschaften gewidmet. Blaschke nähert sich dem Text zunächst über verschiedene Skizzen und Notizen Musils. Von dort aus wird die Idee einer "pessimistischen Anthropologie" entwickelt, die den Menschen innerhalb einer "Ökonomie der Not" (ebd.: 277) positioniere und dadurch einen starken Egoismus entwickele, der den Geist als nur sekundär zurücklasse. Die Mittel der Bedürfnisbefriedigung seien die Spekulation mit entweder Ideen, so referiert Blaschke Musil, hausse, oder List und Gewalt, baisse. Diese Vermittlung von Bedürfnissen als movens benötige eine ihr entsprechende Organisation der Wirtschaft, die dies zu ihrem Fundament mache. Dieses Modell lasse Musil in abweichenden Akzentuierungen von verschiedenen Figuren, nämlich Ulrich, Fischel und Arnheim im Roman formulieren, auf die Blaschke in Unterkapiteln genauer eingeht. In der Figur der Clarisse sieht er den Versuch eines Gegenmodells der Gabe entworfen, das allerdings notwendigerweise nur im Wahnsinn zur Geltung kommen kann.

Célines Voyage au bout de la nuit unterscheide sich von den vorangegangenen Texten insofern, dass die Erzählerfigur einen eher unwillentlichen homo oeconomicus darstelle, der sich in langen Hasstiraden auf die bürgerliche Wirtschaft ergehe. Aber gerade durch seine Armut sei er permanent gezwungen seine knappen Ressourcen genau zu verwalten, um sich das Überleben zu sichern. So beschreibe er wütend die negativen Folgen eines universalen Ökonomismus, der in seiner Folge Verhältnisse der Ausbeutung und die ständige Präsenz der Differenz von arm und reich produziere. Diesem setze der Erzähler "eine große, wütende Sprachverausgabung, die gegen die proletarische Ökonomie des Mangels und die bürgerliche Ökonomie des Tauschs und der Trennung in arm und reich anschrei(b)t" (ebd.: 362) entgegen.

Die Einzelanalysen lassen einen gemischten Eindruck zurück. Während die Ergebnisse bei Unamuno, Svevo und Céline weniger überzeugend sind, da die Analysekategorien hier zu weit gefasst sind und größtenteils nur Analogien erzeugen können, sind die Ergebnisse zu Joyces und Musils Romanen bei weitem die interessanteren. Blaschke kann hier zeigen, wie ökonomische Kategorien die Texte zu großen Teilen über Motive, den Inhalt und bis in die Figurenkonstellationen (mit-)strukturieren. Vermutlich wäre eine Konzentration auf die beiden letztgenannten Werke ergiebiger gewesen.


Bibliographie

Hörisch, Jochen (1996): Kopf oder Zahl: Die Poesie des Geldes. Frankfurt am Main: Suhrkamp.

Shell, Marc (1978): The Economy of Literature. Baltimore: Johns Hopkins Univ. Press.

Shell, Marc (1982): Money, Language and Thought. Literary and philosophic economies from the medieval to the modern era. Los Angeles: UC Berkeley.




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Wegmann, Thomas (2002): Tauschverhältnisse: Zur Ökonomie des Literarischen und zum Ökonomischen in der Literatur von Gellert bis Goethe. Würzburg: Königshausen & Neumann.

Woodmansee, Martha (Hg.) (1999): The new economic criticism. Studies at the intersection of literature and economics. London / New York: Routledge.

Vogl, Joseph (2002): Kalkül und Leidenschaft. Poetik des ökonomischen Menschen. München.


Anmerkungen

1 Vgl. dazu den u.a. von Woodmansee (1999) herausgegebenen Reader.

2 Vgl. insbesondere Blaschke (2004: 42–60).