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Vera Elisabeth Gerling (Düsseldorf)



Doris Bachmann-Medick (2006): Cultural Turns. Neuorientierungen in den Kulturwissenschaften. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt. (= Rowohlts Enzyklopädie)



Im Jahr 2006 stellte der Wissenschaftsrat die Kulturwissenschaften als "zwar wichtige, jedoch zeitlich begrenzte Stufe in der Begründung der Geisteswissenschaften" (12) dar. Doris Bachmann-Medick möchte mit ihrem Buch Cultural Turns hingegen aufzeigen, wie die verschiedenen kulturwissenschaftlichen Wenden die Geisteswissenschaften quer zu den Disziplinen fundamental und damit auch nachhaltig verändert haben. Sie seien nicht als akademische Schulen zu verstehen, sondern als Neufokussierungen und Perspektivenwechsel (23) und so liege die Chance der Kulturwissenschaften darin, die Defizite der traditionellen, eurozentrischen und auf Referentialität ausgerichteten Forschung erkennbar zu machen, indem sie sich der Materialität und Medialität des Kulturellen widmeten (9).

Bachmann-Medick nimmt sich vor, eine 'andere' Geschichte der Kulturwissenschaften zu entwerfen (7), indem sie die folgenden sieben Wenden in jeweils getrennten Kapiteln präsentiert: 1. Interpretative Turn, 2. Performative Turn, 3. Reflexive Turn / Literary Turn, 4. Postcolonial Turn, 5. Translational Turn, 6. Spatial Turn und 7. Iconic Turn. Dem Linguistic Turn wird kein eigenes Kapitel gewidmet, sondern ein Unterkapitel der Einleitung, da er laut Bachmann-Medick den eigentlichen Cultural Turn ja erst ausgelöst habe und somit grundlegend alle nachfolgenden Turns mit bestimme – werde hier doch die grundlegende Annahme entwickelt, die Wirklichkeit sei nicht an sich, sondern allein in ihrer sprachlich determinierten Darstellungsform zu analysieren (34). Die jeweiligen Kapitel sind ähnlich strukturiert und enthalten stets eine allgemeine Einleitung, eine Darstellung von Entstehungskontext und Entwicklung des Turns sowie Erläuterungen zu den Auswirkungen in den einzelnen Disziplinen.

Grundsätzlich geht Bachmann-Medick davon aus, dass folgende Eigenschaften vorliegen müssen, damit von einem 'Turn' gesprochen werden kann: Zunächst geschehe eine Erweiterung des Gegenstandsfeldes durch neue Erkenntnisobjekte. durch neue Erkenntnisobjekte. Über die Metaphorisierung der Begriffe entstehe eine methodische Profilierung zum Erkenntnismittel und -medium (26). Gemeinsames Ziel der Turns sei es, "jenseits binärer Erkenntniseinstellungen und dichotomischer Grenzziehungen neue methodische Erschließungen von 'Zwischenräumen' zu erkunden" (246). Die Inhalte ihrer Darstellung lassen sich folgendermaßen zusammenfassen:




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Interpretative Turn (58–103): Mit Claude Lévi-Strauss wird die Anthropologie in den 1970er Jahren eine intellektuelle Disziplin, indem er anstelle einer quasi-naturwissenschaftlichen Erklärung von Gesellschaften nach einer interpretativen Erklärung der Bedeutung von Institutionen, Bräuchen etc. strebt. Als Variante des Linguistic Turn entsteht hier ein erweiterter Textbegriff und mit ihm die Vorstellung, die Vorstellung, dass auch Kultur und Handlungen als Texte zu verstehen und zu interpretieren seien. Es wird nicht mehr nach kausalen Gesetzmäßigkeiten gesucht, sondern die Bewertung von Ereignissen rückt ins Zentrum des Interesses. So begründet Clifford Geertz die interpretative Kulturanthropologie, bei der die Kultur als Zeichen- und Symbolsystem neue Betrachtung findet. Insbesondere der grundlegenden Kategorie des Fremden nähert man sich nun nicht mehr über die Empathie der Horizontverschmelzung (Gadamer), sondern über Zeichen und Symbole. Auch die Methodik verändert sich eklatant: Statt eines Globalblicks werden Mikroanalysen durchgeführt und alle 'Texte' (auch Literatur) als soziale Texte wahrgenommen sowie als Teil eines weiteren Feldes diskursiver Praktiken und Diskursformationen betrachtet, wie sich in der "dichten Beschreibung" (Clifford Geertz) (68) herauskristallisiert.

Kritisch sei der Interpretative Turn nach Bachmann-Medick insofern zu sehen, als er sich in eurozentristischer Zuschreibung von Bedeutung ergehe und auf einem undynamischen Kulturkonzept beruhe. In einem zu engen Textverständnis werde der Aspekt der Macht ausgeblendet und die Interpretation nicht als eigene Handlungsform angesehen, sodass sich die Untersuchungen allein im eigenen Interpretationszirkel drehten.

Performative Turn (104–143): Im Rahmen dieses Turns findet, ebenfalls in den 1970er Jahren, eine Verschiebung zugunsten eines anderen Verständnisses von Kultur statt, welche nun als Darstellung gilt. Untersucht wird also die "Materialität, Medialität und Gestaltungskraft der sozialen Inszenierungskultur". Im Vordergrund steht dabei die "praktische Dimension der Herstellung kultureller Bedeutung" (104). Während im Rahmen dieses Turns zum Teil eine Abwendung vom Text geschieht, spricht sich Bachmann-Medick gegen eine Trennung von Kultur und Text aus. Vielmehr handele es sich hier um ein "performativ erweitertes Textverständnis" (106), welches auch den Aufführungscharakter betone – und dies nicht allein in den Theaterwissenschaften. Denn ausgehend von Austins Sprechakttheorie werden alle Äußerungen als Inszenierungen und somit Performance betrachtet. Somit macht dieser Turn Sprache als Handlung und Kultur als Inszenierung beschreibbar. Er ist jedoch nicht auf das Hervorbringen von Handlung durch Sprache zu verengen, erhält doch das Prozesshafte hier eine besondere Bedeutung, wie es sich auch an den anthropologischen Gegenstandsbereichen zeigt: Rituale sind demnach als Initiations- und Transformationsphänomene zu analysieren. Zentrale Begriffe stellen daher Liminalität und kulturelle Innovation dar. So ist die Liminalität ein Schlüsselphänomen des Rituals, das stets eine Grenzüberschreitung hervorbringt, durch die Neues entsteht. Im Gegensatz zu Zeremonien sind Rituale daher auch nicht gesellschaftsstabilisierend, sondern gekennzeichnet von ihrem kreativen Veränderungspotential. Ein weiterer performativer Leitbegriff ist daher die Transgression als "Praxis der Überschreitung, der Entgrenzung, Karnevalisierung und Durchbrechung von Codes" (126) mit subversiver Kraft.




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Zwar hat der Performative Turn insbesondere in den Theaterwissenschaften Fuß gefasst, die sich ja mit Inszenierung und insofern der Verknüpfung von Text und Performanz befassen (Erika Fischer-Lichte), jedoch erhält er ebenfalls besondere Bedeutung für die Geschichtswissenschaft, die nun menschliche Handlungsweisen in ihrer produktiven, bedeutungskonstituierenden Kraft untersucht. In der Literaturwissenschaft bietet sich hingegen das Feld der Ritualanalyse an, in dem literarische Texte daraufhin untersucht werden, ob sie rituelle Verlaufsordnungen parodieren oder aufsprengen und so kritisch reflektieren oder gar verstümmeln. So wird im Rahmen dieses Turns von einem starren Ritualbegriff abgerückt, der das Ritual als in sich geschlossene Sequenz mit festen Abläufen begreift. Vielmehr rücken disparate, gebrochene Ritualabläufe ins Zentrum des Interesses.

Reflexive Turn (144–183): Innerhalb dieses Turns, der auch Rhetorical Turn oder Literary Turn genannt wird, entsteht in den späten 1980er Jahren eine kritische Selbstreflexion insbesondere der Ethnologie, die erkennt, dass jede Kulturbeschreibung von der Autorität der Verfasser, Wissenschaftler oder Schriftsteller abhängig und somit der angenommene Empirismus der (Feld-)Forschung nicht gegeben ist. Insbesondere Michel Foucaults Einsichten in die Machtbeziehungen von Repräsentation stellen hier wichtige Anregungen dar. So wird z. B. die Darstellung des Anderen immer auch als eine mehr oder weniger versteckte Gewaltsamkeit der anthropologischen Verstehensbemühungen angesehen.

Da hier rhetorische Strategien in Texten im Mittelpunkt stehen, wird die Literaturwissenschaft zur Leitwissenschaft. Die Krise der Repräsentation basiert selbstreflexiv im Sinne der Semiotik und der Theorie der Postmoderne auf der Annahme der Verselbständigung der Zeichen. So geht man nun davon aus, dass Texte nur Teilwahrheiten zu vermitteln vermögen. Inkongruentes und Widersprüchliches wird um der Kohärenz willen ausgelassen und Ausschluss und Rhetorik bedingen die Darstellung, wobei die Einflussnahmen von Geschichte, Machtverhältnissen und Diskursen vom Schreiber nicht zu kontrollieren sind (vgl. Orientalismuskritik von Edward Said). Diesem für den Turn grundlegenden Dilemma entkommt man nur, indem man sich dieser Beschränktheit bewusst ist und z.B. standortabhängige, fragmentierte, mehrstimmige Kulturbeschreibungen anbietet. Anwendung findet dieser Turn daher nicht zuletzt in der Geschichtswissenschaft, die nun auch die Rhetorik der Geschichtsschreibung näher betrachtet (Hayden White).

Der Reflexive Turn hat laut Bachmann-Medick dazu geführt, dass Kultur nun nicht mehr wahrgenommen werde als "ein objektivierbarer, einheitlicher Behälter von Symbolen und Bedeutungen. Kultur gilt vielmehr als ein dynamisches Beziehungsgeflecht von Kommunikationspraktiken und Repräsentationen, durch deren Darstellungsdynamik sie überhaupt erst Gestalt annimmt." (169) Jedoch bestehe die Gefahr, dass die Dekonstruktion zum Selbstzweck und beispielsweise die Ethnographie zu reiner Literaturwissenschaft verkomme. Nicht zuletzt wäre dies wiederum eine Form von Eurozentrismus in der Beschränkung auf "white male anthropologists" (172).




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Postcolonial Turn (184–237): Ausgelöst von der Literaturwissenschaft werden seit den 1980er Jahren Machtkonstellationen und Eurozentrismus in den Blick genommen, sodass die Wissenschaften eine Infragestellung ihrer eigenen Prämissen vornehmen. Kritische Analysekategorien zur Konstruktion des Anderen werden entwickelt und die Verknüpfung von Wissen und Macht in einer weiterhin hegemonialen, auf Dichotomien beruhenden Weltordnung aufgezeigt. Zu einem Turn wird die Strömung also durch die grundsätzliche Kritik an der modernen Wissensordnung und am universalisierenden Herrschaftsdiskurs, somit erst in den 1990er Jahren durch eine poststrukturalistisch und dekonstruktivistisch (Jacques Derrida) geprägte kulturell-epistemologische Profilierung der zunächst historisch-politischen Ansätze. Als Dreigestirn dieses Turns nennt Bachmann-Medick Edward W. Said, Gayatri C. Spivak und Homi K. Bhabha, die jeweils den Diskurs als Konstitutionsmoment des Kolonialismus erkennen. Dabei nennt sie auch als Leitwissenschaft die Literaturwissenschaft, da die Impulse für ein anderes Denken von der Literatur selbst ausgehen: außereuropäische Literaturen durchkreuzen europäische Kategorien und Theorien, die auf Gattungsabgrenzungen, Periodisierungen und Kanonbildung beruhen. Als Schlüsselbegriffe für diese Wende erläutert sie das Writing Back, das Re-Mapping, die Hybridität, den Dritten Raum sowie die Krise der Identität.

Dieser Turn hat in verschiedenen Disziplinen deutliche Spuren hinterlassen: In der Theologie ändert sich die Bibelexegese, die Literaturwissenschaft stellt die Kanones in Frage und öffnet die Texte für neue Lesarten, in der Geschichtswissenschaft werden die Totalisierungsansätze des westlichen Historismus erschüttert und verflochtene Geschichten entdeckt, die Philosophie wird interkulturell, die Kunstgeschichte widmet sich z. B. postkolonialen Perspektiven in Kunstausstellungen und die Ethnologie stellt sich der postkolonialen Kritik. Bachmann-Medick sieht hier die Gefahr, dass sich der Postcolonial Turn zu einem einfachen Jargon verdünnen und durch die Konzentration auf die Diskurskritik jegliche Anbindung an politisch-ökonomische Realitäten verlieren könne. Zudem stecke er noch immer fest in den Händen der europäischen Theoriezentren.

Translational Turn (238–283): Dieser sich erst in jüngster Zeit anbahnende, noch entwicklungsfähige Turn versteht die Übersetzung als kultur- und sozialwissenschaftlichen Grundbegriff. Kulturelle Zwischenräume werden als 'Übersetzungsräume' begriffen, Identität, Migration und Exil werden zu zentralen Themen der Untersuchung von Kultur als Übersetzung.

Hierzu muss sich erst in den 1980er Jahren das Übersetzungskonzept mehr und mehr aus dem linguistisch-textlichen Paradigma herauslösen, um fortan als Leitperspektive für jegliche Form kulturellen Kontakts zu dienen, so z.B. in den Feldern "kulturelle Repräsentation und Transformation, Fremdheit und Alterität, Deplatzierung, kulturelle Differenzen und Macht" (239). Übersetzungsprozesse erfahren hier eine Neubewertung im Aufbrechen fester Identitäten, in der Kritik am Binaritätsprinzip zugunsten von Hybridisierungen oder auch durch das Re-Mapping im Spannungsfeld von Zentrum und Peripherie. Kultur wird nun nicht mehr allein als Text, sondern als Übersetzung verstanden. Dabei wird die Übersetzung nicht mehr als ein Vehikel der treuen Vermittlung zwischen polar definierten, originären Kulturen angesehen, sondern als wechselseitiger Prozess zwischen je schon übersetzten Kulturen. Es entsteht ein dynamisches Kulturverständnis, in dem Konzepte wie Kultur, Identität, Tradition oder auch Religion als immer schon vom Fremden durchzogen akzeptiert werden, im Gegensatz zu einem integrativen, holistischen und im hermeneutischen Bann des Verstehens sich befindenden Kulturbegriff. Kultur wäre vielmehr zu definieren als Praxis des Aushandelns kultureller Differenzen.




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In die Übersetzungsforschung selbst hat dieser Turn in mehrfacher Weise Einzug gehalten. Zum einen wird nun verstärkt untersucht, in welcher Form Texte kulturspezifische Handlungsweisen, Bedeutungen und Weltbilder repräsentieren und wie Übersetzungen an diskursiven Praktiken und historischen Diskursformationen teilhaben. Im Sinne einer Übersetzungspragmatik wird die Übersetzung als soziale und kulturelle Praxis angesehen, die das in der Ethnologie entwickelte, territoriale Kulturverständnis überwindet. Untersucht werden sollen nun gerade die den Übersetzungsprozess ausmachenden Auseinandersetzungen und Brüche. Für verschiedene andere Disziplinen sieht Bachmann-Medick noch Wirkungsmöglichkeiten dieses Turns. So könne die Übersetzung als neues Leitmotiv die Komparatistik vor dem Eurozentrismus bewahren, wenn sie den translatorischen Transnationalismus berücksichtige. Eine transnational ausgerichtete Geschichtswissenschaft könne historische Prozesse als Übersetzungsprozesse verstehen und so neue Blicke auf Kolonialismus und Dekolonisierung, auf Missionsgeschichte oder auch auf Theorietransfers werfen. In der Religionswissenschaft wäre die missionarische Verbreitung von Religion als Übersetzungsprozess anzusehen. In den Sozialwissenschaften könne die Metapher der Übersetzung als gesellschaftstheoretischer Begriff fungieren.

Spatial Turn (284–328): Mit Frederic Jameson kommt Ende der 1980er Jahre der Raum als neue zentrale Wahrnehmungseinheit und theoretisches Konzept ins Spiel. Er wird als soziale Konstruktion angesehen, die von Herrschaft und Macht durchzogen und durch Narrative konstituiert ist, insbesondere bezüglich der postkolonialen Raumperspektive (Homi Bhabha). Andererseits nimmt auch das globale Phänomen der Enträumlichung und Entortung durch neue Informationsströme Einfluss auf diese Wende. Untersuchungsgegenstände sind hier sowohl geographische (marginale) Räume als auch uneigentliche Räume wie Autobahnraststätten, Flughäfen oder Supermärkte (Marc Augé), bis hin zu mentalen Räumen. Die deutlich politische Orientierung zeigt sich beispielsweise, wenn auch in literarischen Texten mit imperialen Einschreibungen aufgeladene Räume untersucht werden (Edward Said).

Die Geographie wird zur Leitwissenschaft des Spatial Turn, der das Raumverständnis nicht mehr territorial verankert, sondern "Raum" zu einem relationalen Begriff macht: "Raum als gesellschaftlicher Produktionsprozess der Wahrnehmung, Nutzung und Aneignung, eng verknüpft mit der symbolischen Ebene der Raumrepräsentation" (292). Der Raum wird in seiner Prozesshaftigkeit mit Machtphänomenen verbunden, wie insbesondere in Michel Foucaults Konzept der Heterotopien, die als liminale Krisen-, Abweichungs- und Illusionsorte zu beschreiben wären, oder in Homi Bhabhas Begriff des "Third Space" oder auch in Pierre Bourdieus Idee der Produktion des sozialen Raums als habitualisierte Praxisform. Raumrepräsentationen und Verfahren des Mapping bzw. Re-Mapping werden sowohl auf Kartenmaterial bezogen, wie auch als metaphorisiertes Ordnungsmuster, als Modell der Organisation von Wissen und der Kartierung mentaler Landkarten genutzt.




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Während in der Geographie Codes, Zeichen und Symbole als Geographie der Macht erkannt werden, vermag sie in ihrer feministischen Richtung aufzuzeigen, wie Räume geschlechtsspezifisch organisiert, strukturiert und imaginiert sind (Doreen Massey). In der Ethnologie kommen nun interkulturelle Kontaktzonen stärker ins Blickfeld, die Geschichtswissenschaft geht den spezifischen Implikationen von Erinnerungsorten nach. In der Literaturwissenschaft hingegen wird zum einen der 'erzählte' Raum untersucht, denn die performative Kraft der Sprache lässt Räume entstehen, die nicht nur einfach Schauplätze sind. Zum anderen wird der eigenen Verortung der Texte nachgegangen, z.B. der Migrationsliteratur und ihrer Situierung in Zwischenräumen der Sprachen.

Iconic Turn (329–380): In den 1980er Jahren entsteht in den USA die Diskussion um Visual Culture und den Pictorial Turn, ausgelöst durch Medien wie Film, Video und digitale Visualisierung. Im Iconic Turn steht schließlich seit den 1990er Jahren der Erkenntniswert von Bildern im Mittelpunkt: "Statt um Erkennen von Bildern geht es immer mehr um Erkennen durch Bilder und Visualität" (42). Bilder sind somit kein Erkenntnismittel mehr, sondern selbst Erkenntnisobjekt, wenn Kulturen des Sehens und des Blicks analysiert werden. Es wird eine neue Form der Bildsemiotik entwickelt, die weder sprachanalog funktioniert noch bildliche Evidenz zum Ziel hat, sondern die Aufmerksamkeit auf die brisante Allianz zwischen Bildern, Medien und gesellschaftlichen Inszenierungsformen lenkt: es geht um Bildpolitik, Bildinszenierung, Bildzensur, konkret z.B. um die problematische Medienpräsenz in der Kriegsberichterstattung. Die Flut der uns durch die neuen Medien umgebenden Bilder soll durch kritische Bildanalysen greifbar gemacht werden. Entsprechend gehören zu den Untersuchungsobjekten auch die profanen Bilder des Alltags, technisch produzierte und reproduzierbare Bilder, bis hin zu imaginären Bildern. Dies bedingt für die Disziplin der Kunstgeschichte eine besondere Herausforderung – Horst Belting stellt bereits 1983 die Disziplin generell in Frage, sofern sie an der traditionellen Bildanalyse festhalte. Aktuell wäre laut Bachmann-Medick hingegen im Rahmen der Visual Studies ein "Ausstieg aus dem Bild" zu konstatieren (346), da von den Abbild- und Repräsentationsfunktionen der Bilder abgerückt werde und vielmehr die Verbildlichungsakte und Visualisierungstechniken herausgearbeitet würden, wobei das Sehen als sozial und kulturell eingeübte Praxis angesehen werde. Man könne laut Bachmann-Medick gar von einem "Visual Turn" sprechen, da eine Verschiebung vom Bild zur Performanz stattfinde.

Neben der Kunstgeschichte wirkt dieser Turn selbstredend auch in den Medienwissenschaften, die Macht und Manipulation durch Bilder untersuchen. In der Politikwissenschaft stecke hingegen der Turn laut Bachmann-Medick noch in den Kinderschuhen, denn hier fehle noch das Instrumentarium der Bildanalyse. In der Literaturwissenschaft hat durch die Intermedialitätsforschung als Weiterführung der Intertextualitätsforschung eine medientheoretische Horizonterweiterung stattgefunden. In Medizin und Naturwissenschaften werden Bilder nun nicht mehr als bloße Illustrationen gesehen, vielmehr als Konstruktion der Sichtbarkeit erkannt. Die Gender Studies untersuchen die Herstellung von Geschlechtsidentitäten im Verlauf des Bildprozesses. Aufmerksamkeit gilt hier "den Wahrnehmungskategorien des Sehens, des Blicks und des Betrachtetwerdens" (359).




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Doris Bachmann-Medick zeichnet unter dem Fokus der verschiedenen Wenden ein Panorama der deutschen Geisteswissenschaften, wie sie sich seit den 1970er Jahren bis heute entwickelt haben. Gerade durch die schematische Aneinanderreihung der verschiedenen Turns und die damit einhergehenden Redundanzen dieser so eng miteinander verwobenen Wenden tut sich jedoch die Frage auf, inwieweit diese Art der Ausdifferenzierung sinnvoll ist. Ein wenig erinnert die Darstellung an jene von Jorge Luis Borges entworfene chinesische Ordnung von Tiergattungen, in der unter anderem die Kategorien "in diese Gruppierung gehörende" oder "und so weiter" Eingang finden. Beispielsweise wird hinsichtlich des Translational Turn die Möglichkeit hervorgehoben, die "aktuelle Tendenz zur Binaritätskritik" (256) zu unterstützen. Dabei nennt Bachmann-Medick doch bereits in ihrer Einleitung die Kritik an binären Schemata als grundlegend für jeden Turn. Bezüglich des Spatial Turn stellt sie das Ziel der Überwindung der "Vorherrschaft evolutionistischer Auffassungen von Zeit, Chronologie und Fortschritt" (286) heraus – was abermals als grundlegend für alle Turns anzusehen ist. Weiterhin bedingt die Einschränkung auf die deutsche Forschungslandschaft bei gleichzeitiger Orientierung an den angelsächsischen Cultural Studies die erneute Beschränkung auf einen hegemonialen Blick. Insbesondere bezüglich der Überschneidungspunkte zwischen Postcolonial und Translational Turn wäre ein Einbeziehen beispielsweise lateinamerikanischer Übersetzungsperspektiven sinnvoll gewesen: so werden in der Antropofagia-Bewegung Texte aus dem Zentrum in hybridisierenden Übersetzungsprozessen der Peripherie einverleibt, um hegemoniale Machtbeziehungen subversiv zu unterlaufen. Übersetzungstheoretische Ansätze aus Lateinamerika sind fraglos richtungweisend für diesen Turn.

Abgesehen von diesen Mängeln, die gewiss auch den quantitativ begrenzten Möglichkeiten des Mediums Buch (dieses zählt 410 Seiten) anzulasten sind, handelt es sich insgesamt jedoch um ein informatives, sehr gut strukturiertes und aufschlussreiches Buch, das so manches Licht in das Dickicht der Turns zu bringen vermag. Es gelingt Doris Bachmann-Medick in hervorragender Weise, deren jeweilige Entstehung zu skizzieren sowie die spezifischen Anwendungsmöglichkeiten darzulegen. Dabei verliert sie keineswegs den Blick für die vielfältigen Überschneidungen, die zwischen diesen Strömungen existieren, wie auch für die zahlreichen unterschiedlichen Ausformungen in der (inter)disziplinären Forschung. Insofern mag dies Buch auch als ideale 'andere' Einführung in die Kulturwissenschaften dienen. Passend zum in Deutschland ausgerufenen "Jahr der Geisteswissenschaften" 2007 untermauert Bachmann-Medick zudem deren wissenschaftliche und gesellschaftliche Bedeutung für einen kritischen Umgang mit einer sich im steten Wandel befindlichen Welt.