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Christiane Maaß (Hannover)


Konstanze Jungbluth (2005): Die Pragmatik der Demonstrativpronomina in den iberoromanischen Sprachen. Tübingen: Niemeyer.


Die vorliegende Arbeit der Tübinger Romanistin Konstanze Jungbluth entstand im Kontext der Linguistik des Sprechens, wie sie von Eugenio Coseriu entworfen und von Brigitte Schlieben-Lange in ihrer pragmatischen Dimension weiter ausgearbeitet worden ist. Es handelt sich um eine korpusgestützte, komparatistische Studie zur Deixisforschung, wobei neben bereits bestehenden Korpora auch neue, von der Autorin selbst erhobene, systematisch in die Untersuchung einbezogen werden.

Die Studie kontrastiert das Spanische, das Katalanische und das brasilianische Portugiesisch mit Blick auf die zur Verfügung stehenden und von den Sprechern genutzten deiktischen Systeme. Der gewählte Sprachausschnitt ist dadurch einerseits in romanistischer Perspektive von Interesse; andererseits ergeben sich aber auch aus deixistheoretischer Sicht interessante Einsichten, werden doch Sprachen miteinander verglichen, die im Paradigma der Demonstrativpronomina teilweise zweistellige, teilweise aber auch dreistellige deiktische Systeme aufweisen. Anders als beispielsweise das Englische, das nur eine Unterscheidung von proximalem this und distalem that vorsieht, gestattet das Spanische eine Dreiteilung des Raums: este (‚dér hier’) ese (‚dér da’) und aquel (‚dér dort’). Jungbluth verweist darauf, dass dieses dreistellige System nicht etwa „eine Erweiterung eines universellen zweistelligen Systems“ darstellt, sondern „autonomen Charakter hat“ [46].

Die für die vorliegende Studie untersuchten Sprachen verhalten sich also bezüglich der Stelligkeit der deiktischen Systeme unterschiedlich: Neben dem Spanischen weist auch das schriftsprachliche brasilianische Portugiesisch ein Dreierparadigma auf (este – esse – aquele). Im gesprochenen brasilianischen Portugiesisch erscheint jedoch ein zweistelliges Paradigma (esse – aquele), während der Gebrauch von este weitgehend zurückgedrängt wurde. Im Katalanischen schließlich zeigt sich eine Varianz innerhalb des Systems der Demonstrativa, wobei in einigen Varietäten zweistellige, in anderen dreistellige Paradigmen auftreten. So wird in der Region von València ein dreistelliges Paradigma verwendet, in Barcelona dagegen ein zweistelliges. Die in der Studie verwendeten Daten zum Katalanischen beruhen nicht auf eigener Feldforschung der Autorin, Jungbluth verweist aber auf das Desiderat einer umfangreichen Korpuserhebung für das Katalanische, eine Forderung, die angesichts der beschriebenen Situation der internen Varietäten nur unterstützt werden kann, sind hier doch weitere interessante Einsichten zu erwarten.

Mit Blick auf die Situation des brasilianischen Portugiesisch wird überdies deutlich, dass die Einbeziehung der Differenz zwischen mündlichem und schriftlichem Sprachgebrauch Differenzen und möglicherweise sogar diachronische Varianzen innerhalb ein und derselben Einzelsprache hervortreten lässt.




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Die systematische Einbeziehung dreistelliger deiktischer Paradigmen in der vorliegenden Arbeit ist aus deixistheoretischer Perspektive interessant, da die Paradigmen in vielen Sprachen zweistellig sind (darunter wie erwähnt im Englischen, eine Tatsache, deren Auswirkungen auf die Theoriebildung nicht zu unterschätzen sind) und somit ein großer Teil der Modelle zur Beschreibung deiktischer Verweise auf Grundlage solcher zweistelliger Systeme entwickelt worden ist. Dreistellige Paradigmen bringen deixistheoretische Erklärungsmodelle mit einer monozentrisch auf dem Sprecher fixierten Origo an ihre Grenzen. Darum verwundert es nicht, dass Jungbluth distanzorientierten Ansätzen, die die Sprecherorigo als einzigen, zentralen Angelpunkt ihrer Deixistheorie annehmen, eine Absage erteilt. Sie bevorzugt vielmehr einen Deixisansatz, der die Bedeutung des Hörers stärker berücksichtigt, also die Dialogizität der Sprechsituation, in der es zum Einsatz von Deiktika kommt. Damit steht sie nicht allein. In den letzten Jahren ist der Hörer als „Größe“ im Prozess des deiktischen Verweisens verstärkt in die Aufmerksamkeit der Forschung gerückt. Jungbluth selbst verweist u.a. auf Benveniste, der bereits 1956 neben der Sprecher- auch die Hörerperspektive gegenüber der 3. grammatischen Person, d.h. dem Redegegenstand bzw., um mit Benveniste zu sprechen, der „non-personne“, aufgewertet hatte. Aber auch in neueren und neuesten Studien ist diesem Aspekt zuletzt wieder zu seinem Recht verholfen worden. So seien etwa die Arbeiten von Fricke (2003a, 2003b, 2004a und 2004b) genannt, die anhand eines Korpus von Wegbeschreibungen nachweist, wie sich die Situierung von Sprecher und Hörer im Raum auf die Verwendung lokaler Deiktika auswirkt. Herrmann und Schweizer (1998) haben in ihrer Studie Sprechen über Raum u.a. das Funktionieren des partnerbezogenen Lokalisierens in seiner Pragmatik unter kognitivem Blickwinkel untersucht. Consten (2003, 2004) schließlich problematisiert die sprecherseitige Definition des Referenzbegriffs und wertet den Hörer bereits in seinem Referenzkonzept auf, indem er eine dynamische, hörerorientierte Vorstellung von Referenz entwirft.

Jungbluth greift für ihr Modell auf den Weinrich’schen Begriff der kommunikativen Dyade zurück und nennt ihr Modell „dyadenorientiert“. Damit betont sie die Integration von Sprecher und Hörer in einem gemeinsamen Raum, „der das Sprechereignis umfasst“ [6]. Damit betont sie aber auch die Möglichkeit der körperlichen Interaktion zwischen Sprecher und Hörer im Gesprächsraum, die sich auf die Verwendung der Deiktika auswirkt.

Das deixistheoretische Modell ihrer Studie wurde aufgrund des erhobenen Korpus erarbeitet. Die Autorin verwahrt sich dagegen, „vorgefasste Hypothesen vor Ort [zu] verifizieren oder [zu] falsifizieren, indem ‚am Schreibtisch’ entworfene Modelle durch Experimente mit Muttersprachlern erprobt werden“ [58]. In ihrer Theoriebildung räumt sie der Feldforschung Priorität gegenüber der Hypothesenbildung ein. Die Hypothesenbildung wird dann auch entschieden durch die Art des gewählten Korpus beeinflusst: Die Autorin hat ein umfangreiches Korpus erhoben, wobei sie gezielt Kontexte aufgesucht oder provoziert hat, bei der die körperliche Interaktion der Gesprächsteilnehmer im Mittelpunkt stand: Kaufhandlungen, praktische Instruktionen im handwerklichen Ausbildungsbetrieb, Werkstattbesichtigungen sowie Zusammenkünfte, bei denen die Teilnehmer Werkzeuge aus ihren Arbeitzusammenhängen mitbrachten und die Gesprächsteilnehmer deren Funktions- und Gebrauchsweise erraten sollten. In solchen Kontexten spielt freilich auch die Gestik eine wichtige Rolle sowie die Positionierung der Gesprächsteilnehmer zueinander: Jungbluth stellt fest, dass sich – nachvollziehbarerweise – der Gebrauch der Demonstrativpronomina in einer side-by-side- und bzw. face-to-back-Situation von dem in der kanonischen face-to-face-Situation unterscheidet.




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Diese Gewichtung des Korpus führt im Buch zu einem Handlungsbegriff, bei dem die menschliche Interaktion tendenziell auf die Koordination von Körpern und Gegenständen im Raum reduziert wird. Die Reduktion des Weinrich’schen Dyadenbegriffs auf die räumliche Positionierung der Gesprächsteilnehmer verstärkt dabei die lokalistische Prägung von Jungbluths Studie ebenso wie die Rückführung der deiktischen Dimensionen auf die lokale: Die Autorin spricht von „Zeitraum“, „sozialem Raum“, „Rederaum“ und „Textraum“. Diese lokalistische Prägung ist angesichts des gewählten Korpus und zu dessen Beschreibung sicher zweckmäßig, bedarf für eine allgemeine Deixistheorie aber einer Relativierung.

Die herausgehobene Rolle des Korpus für die Studie ist jedoch gleichzeitig der stärkste Punkt der Arbeit. Zwar sind in letzter Zeit zunehmend Deixisstudien unter Berücksichtigung von Korpora entstanden, ein Großteil der Deixisforschung ist jedoch nach wie vor korpusfern, was bei einem Phänomen, das die Situationseingebundenheit von Sprache als zentrales Definitionskriterium hat, immer wieder verwundert. Indem sie konsequent von den Korpora ausgeht, ist Jungbluth in der Lage, bisherige Annahmen zur Verwendung der Demonstrativa zu relativieren und neue Akzente zu setzen. Interessant ist beispielsweise ihr Verweis auf die wichtige Rolle der Demonstrativadverbien, die neben den traditionell – wie auch in der vorliegenden Studie – mehr beachteten Demonstrativpronomina als Forschungsgegenstand reklamiert werden. Außerdem versetzt die Korpusanalyse die Autorin in die Lage, Abweichungen zwischen den Möglichkeiten des Paradigmas und der tatsächlichen Ausschöpfung desselben etwa im mündlichen Gebrauch zu benennen und darin Indizien für einen sich abzeichnenden Sprachwandel aufzuzeigen. Hier wird deutlich, dass die konsequente Einbeziehung von Korpora in die Deixisforschung mehr liefern kann als nur belegte, „authentische“ Beispiele für bereits theorieintern wasserdicht gemachte Annahmen.

Besonders hervorzuheben ist überdies, dass die Autorin das von ihr erstellte BRATOLI-Korpus (die Daten stammen aus BRAsilien, TOledo und LIma) der wissenschaftlichen Öffentlichkeit für weitere Studien zugänglich machen will – ein wichtiger Beitrag für die romanistische Forschung und darüber hinaus.

Zusammenfassend ist zu sagen, dass die Korpusorientierung die eindeutige Stärke des vorliegenden Buches ist. Hier wird es zweifellos sogar über das behandelte Thema hinaus wirken. Überdies zeigt die Studie, dass erfreulicherweise in der Deixisforschung ganz offenkundig der einsam denotierende Sprecher abgelöst wird durch interaktionale Modelle wie das hier favorisierte dyadenorientierte Modell unter Einbeziehung der Hörerperspektive.




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Bibliographie

Benveniste, Émile (1966 [1956]): "La nature des pronoms", in: Problèmes de linguistique générale, I, Paris, 251–257.

Consten, Manfred (2003): "Towards a unified model of domain-bound reference", in: Lenz, Friedrich (Hg.), Deictic Conceptualization of Space, Time and Person, Amsterdam, 223–248.

Consten, Manfred (2004): Anaphorisch oder deiktisch? Zu einem integrativen Modell domänengebundener Referenz, Tübingen: Niemeyer, 2004.

Fricke, Ellen (2003a): "Origo, pointing, and speech – the phenomenon of two non-identical origos on the gestural and verbal level", in: Streeck, Jürgen (ed.), Gesture: The Living Medium, Proceedings of the first congress of the International Society for Gesture Studies (ISGS), June 5–8, 2002, The University of Texas at Austin.

Fricke, Ellen (2003b): "Origo, pointing, and conceptualization: what gestures reveal about the nature of the origo in face-to-face interaction", in: Lenz, Friedrich (Hg.), Deictic Conceptualization of Space, Time and Person, Amsterdam, 67–91.

Fricke, Ellen (2004a): "Aspekte der Verkörperung von Vorgestelltem in deiktischen Verweisräumen bei Beschreibungen des Potsdamer Platzes in Berlin", in: Nöth, Winfried und Guido Ipsen (Hg.), Körper – Verkörperung – Entkörperung / Body – Embodiment – Disembodiment, Akten des 10. Internationalen Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Semiotik in Kassel, 19.–21.7.2002, Kassel: Kassel University Press.

Fricke, Ellen (2004b): Origo, Geste und Raum – Lokaldeixis im Deutschen. Dissertation, Technische Universität Berlin, Manuskript.

Herrmann, Theo / Schweizer, Karin (1998): Sprechen über Raum. Sprachliches Lokalisieren und seine kognitiven Grundlagen, Bern et al.: Huber.