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Regine Brossmann (Göppingen)




Der Esel und die gelehrte Unwissenheit.
La Mothe Le Vayers Dialogue sur les rares et éminentes qualités des ânes de ce temps




The donkey and the erudition of ignorance. La Mothe Le Vayer's Dialogue sur les rares et éminentes qualités des ânes de ce temps
François de La Mothe Le Vayer (1588–1672), French philosopher and man of letters, uses the dialogue to defend Pyrrhonic scepticism, inherited from antiquity and dating back to the Greek philosophers Pyrrho of Elis (ca. 360–270 B.C.) and Sextus Empiricus (ca. 150–200 A.D.) as well as depicting 17th century libertinisme érudit with ironic wit and sardonic humour. The sceptic suspends all judgement and claims to know nothing, because to him any certainty of knowledge is ontologically impossible. Stating one's own ignorance has a long philosophic tradition among both Pagan and Christian thinkers, from Socrates to Cusanus. As an emblem of the Socratic as well as sceptic scio, ut nescio , La Mothe Le Vayer chooses the donkey, traditionally linked to ignorance and stupidity. The donkey is by emblematic and literary tradition (e.g. Apuleius' Golden Donkey) also connected to the ideas of 'stoic' endurance as well as of unbridled 'epicurean' sexuality. La Mothe Le Vayer uses these 'received ideas' about the donkey for an apology of scepticism as well as a comprehensive criticism of society, science, ethics and religion of his time. In the tradition of the Sophists as well as of Erasmus' Encomium moriae, the sceptic humorously defends the 'indefensible' thesis of the superiority of the donkey over Man. In doing so, he also deconstructs Christian morality and Aristotelian philosophy as well as the strict boundaries the prevailing world picture of his time set between Man and Beast. Before him, already Giordano Bruno used the donkey in his dialogue Cabala de cavallo Pegaso con l'aggiunta dell'Asino Cilleno (1585) to criticise both Aristotelism and Christianity, as well as scepticism. La Mothe Le Vayer, who probably knew this dialogue, agrees with the first two criticisms but has to reject the third.

 

Einleitung

François de La Mothe Le Vayer (1588–1672), Jurist mit Sitz im Pariser parlement, Philosoph, Schriftsteller und Prinzenerzieher Ludwigs XIV. und seines Bruders, entwickelte als unabhängiger Denker einen Skeptizismus, den die Encyclopedia Britannica als "more radical than Michel de Montaigne but less absolute than that of Pierre Bayle" (Encyclopedia Britannica 2003: s.v. La Mothe Le Vayer) bezeichnet und damit zugleich philosophiegeschichtlich zwischen Renaissance-Skeptizismus und Frühaufklärung verortet – denn zwischen diesen steht er im 17. Jahrhundert als Skeptiker und Vertreter des libertinage érudit. Ebenso repräsentiert er eine Zeit, in der der scholastische Aristotelismus zunehmend angezweifelt wurde und eine neue rationalistische Fundierung der Wissenschaften mittels der Schriften Descartes' noch nicht erfolgt war.1




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Radikaler als der Skeptizismus Montaignes ist derjenige La Mothe Le Vayers darin, dass letzterer – anders als Montaigne – aufgrund seiner skeptischen Anthropologie auch die angeblich evidenten Meinungen jenes bon sens bzw. sens commun in Zweifel zieht, der nach Montaigne (wie auch nach Descartes) allen Menschen gleichermaßen eigen sei2 und zu einem consentement universel, der universellen Zustimmung (oder zumindest demjenigen der größeren Zahl) in Bezug auf offenkundige, empirisch wahrnehmbare Tatsachen führe; ein Thema, das bereits im ersten der Dialogues faits à l'imitation des anciens, dem Dialogue de la philosophie sceptique (1630), angesprochen wird.3 La Mothe Le Vayer, der später eine Opuscule sceptique sur cette commune façon de parler 'n'avoir pas le sens commun' (1646) verfasste, glaubte hingegen weder an eine unbedingte Verlässlichkeit des sens commun noch daran, dass die größere Zahl unbedingt im Recht sein müsse, denn "il n'y a point d'opinions plus assurément fausses que les plus universellement crues" (La Mothe Le Vayer 1646: 255). Die These, dass der Esel dem Menschen nicht nur physisch, sondern auch moralisch, ja sogar intellektuell überlegen sei und die geschundene Kreatur damit auch noch das bessere Los gezogen habe – dies alles widerspricht zu sehr dem 'sens commun,' als dass der Skeptiker Philonius nicht mit dem Widerspruch seines Gesprächspartners rechnen müsste. Doch sucht Philonius-La Mothe Le Vayer in der Tradition der sophistischen Rhetorik eine solcherart 'unhaltbare' These zu verteidigen, gerade weil dies – für den Redner wie für den Zuhörer – eine Herausforderung darstellt, in jeglichem Wortsinne. Doch was der pyrrhonische Skeptiker beabsichtigt, geht über das Vollbringen eines rhetorischen Bravourstücks hinaus, zumal der Dialog auch nicht mit dem Erweis der Überlegenheit des Esels endet, sondern damit, dass keiner der beiden Gesprächspartner über den anderen obsiegt. Damit steht am Ende nicht ein abschließendes Urteil, was durchaus im Sinne des Pyrrhoneer ist, der sich per Definition des Urteils enthält, sondern ein – immer noch durchaus provokativer – Gleichstand der Argumente für die Überlegenheit des Esels wie für diejenige des Menschen. Der Esel wird so zum Prüfstein der menschlichen praktischen Klugheit wie der Philosophie, Wissenschaft, Moral und Religion, die La Mothe Le Vayer hier einer umfassenden Kritik unterzieht. Die Behauptung, dass sein Skeptizismus radikaler sei als derjenige Montaignes, erscheint uns angesichts der Schärfe, der dialektischen Systematik und Konsequenz einer Kritik gerechtfertigt, von der weder antike Autoritäten noch rationalistische Philosophie und Wissenschaft oder christliche Theologie ausgenommen werden. Jedoch entfällt oft – wie auch hier – ein eindeutiger 'Sieg' eines der beiden Gesprächspartner, und dies wohl nicht zuletzt auch deshalb, weil sich der skeptische Autor La Mothe Le Vayer aus Prinzip des definitiven Urteils enthält.

Am Ende steht für ihn vielmehr der Gleichstand der Pro- und Contra-Argumente (Isosthenie) und damit die Unentscheidbarkeit des höheren Guts (bzw. des schlimmeren Übels). Einen solchen Zustand der Unerkennbarkeit sieht der pyrrhonische Skeptiker für alle Gegenstände, ja für die gesamte Wirklichkeit als ontologisch gegeben, ja er macht es sich heimlich zur Aufgabe, durch seine schlusslose dialektische Argumentation eben diesen Zustand aufzuzeigen bzw. herzustellen. Dies bedeutet jedoch als 'Gewinn' de facto, dass das Rütteln an allen noch so fest gefügten Überzeugungen des sens commun wie der verschiedensten Autoritätsinstanzen eine theoretische Rechtfertigung erhält, argumentiert der Skeptiker doch mit Sextus Empiricus, dass die behauptete Ununterscheidbarkeit von Gütern und Übeln das Aufgeben des Strebens nach den ersteren und des Fliehens vor den letzteren zur Konsequenz hat und damit den Menschen zur 'Seelenruhe', bzw. zur Freiheit von Beunruhigungen (Ataraxie) führe.




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Struktur

Der Dialogue des rares et éminentes qualitéz des asnes de ce temps zwischen dem 'Eselsfreund' Philonius und Paleologue, dem Vertreter der 'alten Logik', ist der vierte und damit der letzte der ersten Ausgabe (1630) der Dialogues faits à l'imitation des anciens, die unter dem Pseudonym Orasius Tubero erschienen und denen in einer zweiten Ausgabe (1632) fünf weitere Dialoge mit noch stärker skeptischem Inhalt hinzugefügt wurden. La Mothe Le Vayer meidet die philosophische Abhandlung als Form der dogmatischen 'pédants' und schreibt als Weltmann lieber kurze Traktate oder aber in der Dialogform, bei der die Suche nach der Wahrheit unter Freunden auch eine soziale Komponente mit einschließt. Bei der hier vorliegenden Kombination aus pyrrhonischer Dialektik und geselligem Dialog muss er jedoch Kompromisse zwischen beiden eingehen, denn die Darlegungen des 'Eselsfreundes' Philonius geraten leicht zu seitenlangen Monologen, was der Lebendigkeit des Philosophengesprächs Abbruch tun könnte, würde nicht die (Über-)Fülle der Gelehrsamkeit durch geistreichen Humor aufgelockert.

Dem Dialog wurde das Motto des Fabeldichters Phaedrus aus Buch 4 vorangestellt: "Dum nihil habemus majus, calamo ludimus", "solange wir nichts Bedeutenderes haben, spielen wir mit einem Schilfrohr". Dieses Zitat ist jedoch mehr als nur eine Rechtfertigung für den wenig seriös wirkenden Disputationsgegenstand 'Esel' bzw. für den philosophischen Scherz, sondern es kann emblematisch für die Haltung des Skeptikers zu der Gesamtheit des Wissens des frühen 17. Jahrhunderts gesehen werden. La Mothe Le Vayer wird das genannte Zitat deshalb auch seinem Discours pour montrer que les doutes de la philosophie sceptique sont de grand usage dans les sciences voranstellen.

Eine kurze Vorrede fungiert als captatio benevolentiae für seine "petite asnerie", in der die bereits im Titel angekündigte scharfe Zeitkritik durch den Humor gemildert wird.

Die Préface gibt einen Überblick über die Geschichte des alten, bereits antiken Genres der Lobrede auf einen unbedeutenden oder negativen Gegenstand. Auch die Verteidigungsrede zugunsten eigentlich unhaltbarer (inopinabiles) Thesen und kaum zu verteidigender Gegenstände habe eine lange Tradition – diese reiche von Anthistenes, dem ersten Kyniker, der nach Diogenes Laërtius eine Verteidigung des Muttermörders Orestes verfasst haben soll, über Pico della Mirandolas Verteidigung der Barbarei bis zu Erasmus' Lob der Torheit. "Et l'esprit non moins enjoüé que sçavant d'Erasme, nous a descrit les merites de la folie (La Mothe Le Vayer 1988: 151). Die ironische Lobrede auf einen Gegenstand, der kein besonderes Lob verdient zu haben scheint, wird von den genannten Autoren wie auch von La Mothe Le Vayer als ein Mittel der Kultur- und Gesellschaftskritik eingesetzt.




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Literarische Vorbilder

Doch gibt es wahrscheinlich noch ein weiteres Vorbild, das La Mothe Le Vayer aus guten Gründen nicht namentlich nennt. Vor La Mothe Le Vayer hatte bereits Giordano Bruno (1548–1600) mit der Cabala del Cavallo Pegaso con l'aggiunta dell'Asino Cillenico (1585) ein Dialogwerk verfasst, in dem ein satirisches Lob des Esels in der Tradition des Encomium moriae und des Encomium asini des Agrippa von Nettesheim (1530) nunmehr zur offenen Kritik an Christentum und Aristotelismus dient. Auch hier wird der Esel zum Sinnbild der beiden ersteren Lehrsysteme wie auch zu demjenigen der pyrrhonischen Skepsis,4 letzteres jedoch in einem entschieden antiskeptischen Sinne, denn Bruno bekämpfte auch den Pyrrhonismus nicht minder scharf als eine weitere Form der Dummheit und Ignoranz. Der Dialogteilnehmer Saulino referiert über die Rolle, die der Esel im Alten Testament, im Talmud und in der Kabbala und zuvor schon in der ägyptischen Religion gespielt habe und über die Bedeutung des Esels in den ägyptischen Hieroglyphen (nach Horapollo stehe die Hieroglyphe 'Mann mit Eselskopf für einen Dummkopf oder unbeherrschten Menschen). Onorio, ein Pegasus in Eselsgestalt, erzählt von seinen Metamorphosen und wie er einmal als Esel und ein anderes Mal als Aristoteles gelebt habe; es verbinden sich die satirische Kritik des Stagiariten mit Anleihen beim Goldenen Esel des Apuleius und der pythagoreischen Lehre von der Seelenwanderung.

Möglicherweise kannte La Mothe Le Vayer, der des Italienischen mächtig war, diesen Dialog, von dem sich 11 Druckexemplare in europäischen Bibliotheken erhalten haben, und verfasste seinen Dialogue des [...] qualités des asnes als Erwiderung auf Brunos Kritik am Pyrrhonismus, wobei er Brunos Dialog teilweise zum Vorbild für seinen eigenen nahm. Auf den 1600 in Rom verbrannten Häretiker konnte er sich jedoch weder berufen noch sich offen mit ihm auseinandersetzen. Während Giordano Bruno in seiner einleitenden Deklamation an den gelehrigen, gläubigen und frommen Leser offen erklärt "Die Einfältigen der Welt sind es gewesen, die die Religionen, die Zeremonien, das Gesetz, den Glauben, die Lebensregeln gemacht haben" (Bruno 2000: 16), geht La Mothe Le Vayers satirische Polemik weitaus verdeckter vor, wohl nicht zuletzt deshalb, weil der gelehrte Libertin sich dessen bewusst war, dass die Schärfe und die Offenheit der antichristlichen Polemik des Nolaners mit zu seinem Untergang beigetragen hatte.

La Mothe Le Vayers eigene Kritik an Christentum und Aristotelismus wird im Geiste der pyrrhonischen Skepsis vorgetragen, einer aus der Antike stammenden und in der Frühen Neuzeit wieder aufgenommenen Strömung der Philosophie, als deren Anhänger in der Tradition des Montaigneschen Skeptizismus sich La Mothe Le Vayer bekannte. Diese beruft sich auf die weitgehend im Dunkel liegende Gründerfigur des griechischen Philosophen Pyrrhon von Elis (4.–3. Jahrhundert v. Chr.), von dem nur Anekdoten überliefert sind, sowie auf die – historisch weitaus später anzusetzenden – wichtigsten Quellentexte, den Grundriss der pyrrhonischen Skepsis des griechischen Arztes und Philosophen Sextus Empiricus (ca. 150–200 n. Chr.) sowie auf die Philosophenleben des Diogenes Laërtius.




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La Mothe Le Vayers kritischer Skeptizismus speist sich des weiteren auch aus verschiedenen anderen Quellen – aus antiken Quellen wie der griechischen Sophistik, wie auch aus der 'akademischen Skepsis', die sich an der Neueren Platonischen Akademie entwickelte, und zu deren bekanntesten Vertretern Arkesilaos, Karneades und Kleitomachos zählten. La Mothe Le Vayer schöpfte aber auch aus frühneuzeitlichen Texten, darunter wohl am stärksten aus Michel de Montaignes Essais. Mit dem letzteren teilt er auch die Überzeugung, man müsse angesichts der Torheit des Menschengeschlechts dem Lachen des Demokrit den Vorzug gegenüber dem Weinen des Heraklit geben.5

Nun handelt es sich beim Dialogue sur les rares et eminentes qualitez des asnes gattungsmäßig nicht um eine Lobrede, sondern – wie bereits aus dem Titel unschwer ersichtlich – um einen Dialog, der in der Art einer schulmäßigen philosophischen Disputation abgefasst ist, bei der der Skeptiker und 'Eselsfreund' Philonius den Esel verteidigt, während sein Gegenspieler Paleologue6 – der Vertreter der 'alten Denkweise' – seinen Unwert nachweisen will. Letzterem gelingt es jedoch nicht, den Verlauf des Gesprächs selbst zu bestimmen und eigenständige Gedanken und Beiträge einzubringen – seine Rolle ist vielmehr eine reagierende, ist auf diejenige des Widerspruchs festgelegt, der oft die Form ironischer Bemerkungen annimmt. So wird der philosophische Dialog gleichzeitig zum Lehrgespräch, in dem Philonius die Rolle des Lehrenden beansprucht und Paleologue damit die Schülerrolle zuweisen möchte, die er jedoch ablehnt.


Zwischen Unwissenheit und Belehrung

Zu Beginn der Disputation müsste nun eigentlich die Definition des Gegenstandes stehen – auf die La Mothe Le Vayer Philonius jedoch verzichten lässt, da ein pyrrhonischer Skeptiker aus Prinzip nichts definiert7 und der Gegenstand 'Esel' im 17. Jahrhundert jedermann aus eigener empirischer Anschauung bekannt war. Denn es sei nicht wahr, dass die Hervorbringungskraft der Natur sich seit der Antike abgeschwächt habe, sagt Philonius, was man schon daran erkennen könne, dass Anzahl und Qualität der Esel mitnichten gesunken seien: "Et croyez sur tout, que jamais nostre Europe ne produisit de plus beaux Asnes, et en meilleur nombre, qu'elle fait au siecle où nous sommes" (La Mothe Le Vayer 1988: 153). Herodots, Aristoteles' und Strabons Bemerkungen zum Esel werden in einem pseudowissenschaftlichen Diskurs einer kritischen Untersuchung unterzogen, um zu dem Ergebnis zu gelangen, dass trotz seines relativ kühlen Klimas Gallien seit jeher die besten Esel hervorgebracht habe: "[...] nous pouvans vanter qu'il n'y a lieu au monde où ils viennent en plus grand nombre, et avec plus de perfection que chez nous." (La Mothe Le Vayer 1988: 157) Im Folgenden behauptet er im Bezug auf die Irrtümer der genannten antiken Autoritäten: "C'est ainsi que les plus grands hommes font quelquefois les plus lourdes fautes, tan grande es el yerro, como el que yerra [der Irrtum ist so groß wie derjenige, der sich irrt]; leur exaltation ne sert qu'à rendre leur cheute plus pesante et considerable." (ebd.: 157). Eine solche skeptische Position, die sich dem blinden Autoritätsglauben verweigert, nimmt schon einen Teil der später folgenden Thematik vorweg, mit Hilfe des Esels die Unwissenheit und Torheit des Menschen aufzuzeigen, ja den Esel zu ihrem Prüfstein zu machen – und so zu beweisen, dass auch dieser letztere zum Transportmittel der Kulturkritik taugt.




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Der Esel erscheint bei La Mothe Le Vayer ganz konventionell als Symbol der Unwissenheit; im Petit Opuscule sceptique sur cette commune façon de parler "n'avoir pas le sens commun (1646) heißt es : "L'âne représente si bien l'ignorance humaine que nous avons fait passer dans notre language ordinaire le mot d'ânerie pour elle, en faisant deux synonymes" (La Mothe Le Vayer 1970, Bd. II: 271), aber auch und insbesondere als Figur einer humanistischen 'docta ignorantia', einer 'belehrten Unwissenheit',8 d. h. einer Unwissenheit, die – getreu dem sokratischen Wort: "Ich weiß, dass ich nichts weiß" – sich selbst als solche erkennt. Im weiteren Sinne bedeutet sie auch die Freiheit von Scheinwissen und Vorurteil als sokratischen – oder bei La Mothe Le Vayer eher noch pyrrhonischen – Nullpunkt des Wissens.

In diesem Sinne ist mitunter auch schon – pars pro toto – ein bloßer Eselskiefer beredt genug, wie jener des biblischen Richters Samson, zu dessen bizarren Heldentaten es gehört, dass er, bewaffnet nur mit dem Kinnbacken eines Esels, nicht weniger als tausend Philister erschlagen haben soll (Richter 15, 15–16).

Philonius-La Mothe Le Vayer interpretiert besagten Eselskiefer als ein Symbol der Stärke und der Tapferkeit: "Hé quoy, les Peres interpretans ce grand exploict de Samson, qui tua mille hommes avec la maschoüere d'un Asne, ne prennent-ils pas cette machoüere pour un signe hyerogliphique de vaillance, et de force?" (La Mothe Le Vayer 1988: 171)9

La Mothe Le Vayer offeriert später im Petit Opuscule sceptique sur cette commune façon de parler, 'N'avoir pas le ses commun' (1646) noch eine andere figurative Auslegung dieser Schriftstelle in dem Sinne, dass diese "mâchoire de l'âne" eine "hieroglyphe de l'ignorance Sceptique" sei, wobei letztere eine machtvolle Waffe gegen die 'Philister' darstelle.

Der Eselskiefer als Hieroglyphe verweist auf die Hieroglyphica des Horapollo, einer vermeintlichen Entschlüsselung der ägyptischen Hieroglyphen, die diese als eine symbolische Geheimschrift deutete und die im 15. und 16. Jahrhundert weite Verbreitung erlangte. Dort wird z.B. die Hieroglyphe "Eselskopf" (caput asinum) sowohl als 'Fremdling' als auch als 'Mensch, der niemals über die Grenzen seines Vaterlandes hinausgekommen ist' (I, 23) gedeutet.10 Doch La Mothe Le Vayer hat nicht das konkrete Symbolzeichen übernommen, wohl aber das symbolische Verfahren als solches, das er nun auf die biblische Geschichte anwendet – wobei er sich auch auf die Lehre vom mehrfachen Schriftsinn der Bibel stützen kann, zu dem neben dem Literalsinn, dem endzeitlichen und dem moraldidaktischen insbesondere auch der allegorische Sinn zählte.11

Denn der Esel wird hier als Figur einer umfassenden Zeit-, Kultur- und Zivilisationskritik gebraucht, wobei die langohrigen Esel stets gegen die kurzohrigen und zweibeinigen ausgespielt werden. Die Argumentation Philonius'-La Mothe Le Vayers macht es sich zur Aufgabe, den 'Lehrmeister' Esel, "nostre Docteur Arcadique" unter dem Gesichtspunkt seiner Vorzüge gegenüber dem Menschen in den üblichen philosophischen Kategorien zu betrachten "[...] en considerant ses prerogatives et advantages aux trois genres de biens conneus des Philosophes, c'est à sçavoir, ceux de l'esprit, du corps, et de la fortune." (La Mothe Le Vayer 1988: 158)




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Die Eselsfigur als Vehikel ironischer Skepsis

Die Lob- und Verteidigungsreden, die Philonius im Folgenden auf 'Maître Baudet' hält, verteidigen damit sämtlich die Grundthese, das das Grautier dem Menschen überlegen sei: etwa im Hinblick auf seinen unvermischten und nachweislich allerältesten Adel, denn der Esel wird bereits in der Bibel erwähnt : "on ne peut pas dire qu'il soit comme le Mulet, et autres bestes bastardes, qui n'entrerent jamais en l'Arche de Noé, d'où est sortie la plus ancienne noblesse (pour raison dequoy on en conserve encores les plus authentiques tiltres dans les archives)" (La Mothe Le Vayer 1988: 159), und es fehlen auch nicht seinem Rang entsprechende Verdienste: "[…] tout le vieil et nouveau Testament sont pleins de passages, qui parlent tres-honorablement de luy" (ebd.: 159). Die Ahnengalerie der biblischen Grautiere reicht dabei von Bileams Eselin, die den Engel des Herrn vor ihrem Besitzer erblickte, über die Esel der Richter Israels Jair Galaadites und Abdon bis hin zu der Eselin, die Jesus bei seinem Einzug in Jerusalem trug.

Der Wert von Stammbaum, Wappen und Titel erscheint zumindest relativiert, wenn auch der Esel von ältestem Adel ist – sagt François de La Mothe Le Vayer, selbst ein Angehöriger des alten Adels, der neben dem väterlichen Titel auch den seines Onkels ererbt hatte. Gegenstand seiner Satire ist offenkundig das Abgrenzungsbedürfnis seiner altadligen Standesgenossen gegenüber einem inflationären Neuadel, der sich aus dem emporstrebenden Bürgertum sowie aus dem neuen Stand des Amtsadels rekrutierte.

Doch beim Spross eines alten Stammes müssen zur edlen Abkunft stets noch Eigenschaften des Leibes, Geistes und Charakters hinzutreten, die seinen hohen Anspruch rechtfertigen. Dem Menschen überlegen sei der Esel in denjenigen Gütern, die als leibliche Eigenschaften nicht von ihrem Besitzer zu trennen sind: "Car qu'y a-t'il, ce semble, plus souhaittable que la santé, la beauté, la force, l'agilité ?" (La Mothe Le Vayer 1988: 162). Am höchsten unter den genannten stehe die Gesundheit, und die robusten Esel seien – so wusste bereits Aristoteles – verglichen mit anderen Tieren besonders wenig krankheitsanfällig. Möglichen Einwänden gegen diese Aufwertung des Leibes gegenüber den geistigen Gütern kommt Philonius-La Mothe Le Vayer klug zuvor, indem er den ersteren mit den letzteren gleichsetzt, ja die Hierarchie der beiden trickreich umkehrt: zwar, so räumt Philonius ein, mögen diese Güter des Leibes vergänglich sein und nicht in unserer Macht stehen, wobei das erstere sie in den Augen der Christen und das letztere sie in den Augen der Stoiker abwertet, doch haben sie das Wort des griechischen Weisen Bias auf ihrer Seite, der von sich sagte, er trage alles Seinige mit sich – omnia mea mecum porto. Wäre der Esel ein Philosoph, meint Philonius-La Mothe Le Vayer augenzwinkernd, so wäre es schwer zu entscheiden, welcher Denkrichtung er anhängen würde: entweder wäre er ein Stoiker oder aber ein pyrrhonischer Skeptiker, da das eigensinnige, Schläge und andere Misshandlungen duldsam ertragende Last- und Zugtier sich offenkundig in der Negation der Gewissheit seiner Sinneseindrücke übe bzw. in ihr die skeptische Urteilsenthaltung praktiziere:




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[...] il use en la pluspart de ses actions une epoche et suspension d'esprit nonpareille, deferant si peu au rapport des sens […]. Vous voyez souvent tel Asne, qui par force et confirmation d'esprit ne veut croire rien moins que ce qu'il ressent, si bien que plus il reçoit de coups de baston, moins il s'émeut en son harnois, doutant que ce soient vrais coups de baston. (La Mothe Le Vayer 1988: 186–187)

La Mothe Le Vayer nahm sich die Freiheit, auch Skeptizismus und Skeptiker mittels der Eselsfigur mit ironischer Distanz zu betrachten – und diese Haltung durch geistvollen 'Witz zu vermitteln. Doch hinter der Ironie und der scherzhaften Maske wird wiederum der skeptische Geist der Kritik spürbar, wobei die letztere der aristotelisch-thomistischen Erkenntnistheorie wie auch der stoischen – und damit implizit auch der christlichen – Ethik gilt.

Das Christentum preist die Langmut und Geduld als Tugenden, die jedoch meist mit dem Sinnbild des Lammes assoziiert sind. Doch auch der Esel erscheint in der europäischen Emblematik als Sinnbild der Duldsamkeit, so zeigt Schoonhovius' (1594) Emblem Nr. 62 einen geprügelten Esel zusammen mit einem Star in der Schlinge und einem Ochsen im Joch, als superscriptio die Devise PATIENTER FERENDUM, QUOD NECESSE EST [Man muss geduldig ertragen, was unumgänglich ist] ; die subscriptio darunter endet mit der Aufforderung: "Perfer et obdura ; Patientia plurima mollit / Quae nequit humanum corrigere ingenium" [Halte aus und dulde! Geduld erleichtert sehr vieles, was der menschliche Geist nicht ändern kann] (zit. n. Henkel /Schöne 1967: Spalte 867).

Philonius-La Mothe Le Vayer behauptet, dass der Esel alle Tugenden des aristotelisch-thomistischen Tugendkatalogs besitze, darunter sogar die Klugheit.12 Des weiteren übe der Esel die Kardinaltugend der Gerechtigkeit in dem Sinne, dass er es unterlasse, Unrecht zu üben: "Or la premiere Justice, c'est d'estre exempt d'injustice, ainsi que discourt fort bien Socrate avec Hippias dans Xenophon." (La Mothe Le Vayer 1988: 174) Zu den Ungerechtigkeiten, die der Esel unterlasse, gehöre auch die Gottlosigkeit (impiété), ein Vorwurf, der von Seiten der christlichen Apologeten immer wieder gegen libertins érudits und Neopyrrhonisten jeglicher Prägung erhoben wurde.

Daraus ergibt sich im Umkehrschluss die ironische Behauptung, dass der Esel die Tugend der Frömmigkeit übe. Wenn es denn wahr sei, das auch Tiere die Ahnung eines höheren Wesens hätten, wie es manche christlichen Apologeten vermuteten und es auch Philonius annehmen will, seien sicherlich die Esel in ihrer sprichwörtlichen Geduld die frömmsten unter den Tieren und sogar frömmer als die Menschen, denn "ils n'ont jamais entr'eux esté en trouble sur ce sujet, par des inventions de sectes nouvelles, et n'ont eu que faire d'employer le feu pour purger le crime d'heresie" (La Mothe Le Vayer 1988: 175).

Er kommt in diesem Zusammenhang auf die bereits erwähnte biblische Geschichte von Samson und dem Eselskinnbacken zurück. Bereits die rabbinische Tradition hatte versucht, diese bizarre Legende symbolisch umzudeuten, und zwar durch das Verfahren der Anagrammbildung, wobei aus dem hebräischen Wort für 'Esel' – chamor – durch Umstellung der hebräischen Buchstaben (die nur die Konsonanten wiedergeben) das Wort für 'Frömmigkeit' – rechem – gebildet wurde. Die Waffe des Eselsknochens solle also neben Samsons Kraft auch seine einzigartige Frömmigkeit symbolisieren: "chamor enim apud Hebraeos inversis literis rechem, id est, pietatem significat, disent les Rabins, quand ils veulent que la maschoüere d'Asne de Samson, dont nous parlions tantost, soit prise pour sa force, accompagnée d'une singuliere pieté." (La Mothe Le Vayer1988: 174). Damit wird der Esel, dem neben seiner Geduld im allgemeinen auch Dummheit zugeschrieben wird, zum Emblem der Frömmigkeit erklärt.




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Die Ironie und implizite Religionskritik des libertinistischen Autors wird im Folgenden noch deutlicher. Ein beliebter Angriffspunkt gegen die Religion, den auch bereits Sextus Empiricus anführte (Sextus Empiricus 1985: 225–226), war (und ist) die Frage der Theodizee, der Gerechtigkeit Gottes, die sich insbesondere angesichts unverdienten Leidens stellt. Für die fromme Geduld der leidenden Kreatur – doch indirekt auch für die Unbarmherzigkeit und Ungerechtigkeit der Gottheit – spricht eine antike Fabel, die Philonius-La Mothe Le Vayer "l'Apologue", d.h. St. Thomas Aquinas, dem Apologeten schlechthin, entnimmt : Die Esel beschwerten sich einst bei Jupiter über ihre unerträglichen Leiden und baten um Abhilfe. Jupiter, der ihnen ihre gerechten Bitten nicht gewähren wollte, sie aber auch nicht geradewegs abschlagen konnte, fand gleich irdischen Machtinhabern einen Ausweg: Er ließ sie mit vielen hohen und unverständlichen Begründungen wissen, ihnen werde dann stattgegeben, wenn aus ihrem Urin ein schiffbarer Fluss geworden sei – eine Bedingung, die die Esel, obgleich sie begriffen, dass sie auf griechische Kalenden (d.h. auf den Sankt-Nimmerleinstag) vertröstet wurden, in respektvoller Geduld bis zum heutigen Tage zu erfüllen versuchten, indem sie immer dort urinieren, wo dies bereits ein anderer ihresgleichen getan hat.13

Von Philonius wird der duldsame Esel auch dafür gelobt, dass er gefasst und 'bereitwillig', d.h. ohne Protest und Gegenwehr zu sterben verstehe – eine Eigenschaft, die der Esel mit dem Lamm als dem Symboltier Christi teilt. Und der gute Tod, so heißt es daraufhin, gelte dem Stoiker – implizit ist mitgemeint: dem Christen – als die Krönung des guten Lebens:

Que si l'observation est veritable que nous mourons comme nous avons vescu, El fin loa la vida, y la tarde loa el dia, et qu'une bonne partie du bien mourir consiste à volontiers mourir ; la fin et le dernier periode de la vie de l'Asne, où il fait paroistre tant de vertu et de resolution, sera un puissant argument de la bonté et valeur de la pièce entiere. (La Mothe Le Vayer 1988: 189)

Doch wenn ausdrücklich daran erinnert wird, dass Mensch und Tier sterben wie sie gelebt haben – Esel somit als Esel – dann wird die 'ars moriendi' des Grautieres – und damit auch die menschliche – dem Verdacht ausgesetzt, möglicherweise nicht ein Zeichen von Tapferkeit, sondern vielmehr eines von Stumpfheit zu sein. Oder anders formuliert: wie groß ist der moralische Wert tapferen Sterbens wirklich, wenn animalische Dumpfheit (wie sie dem Esel gewöhnlich unterstellt wird) dieselbe Wirkung hervorbringt wie äußerste stoische Beherrschtheit oder tiefste christliche Gläubigkeit ? Und füge sich der Mensch – wie gefasst er auch stirbt – nicht faktisch ebenso unfreiwillig in das Unvermeidliche wie ein Tier, das zur Schlachtbank geführt wird?




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Obgleich La Mothe Le Vayer den Esel in anderem Kontext auch als Figur der Aufwertung des Leibes verwendet hat, wird er hier zu einer Figur der Verachtung der leiblich-sinnlichen Bedingtheit: so wenn Philonius von der eigensinnigen 'Standhaftigkeit' eines Esels erzählt, der sich trotz aller Stockhiebe nicht vom Fleck rührte, "avec une resolution vrayment Pyrrhonienne", wodurch die den pyrrhonischen Skeptikern oft zum Vorwurf gemachte "irrésolution" ironisch in ihr Gegenteil verkehrt wird: denn schließlich erfordert nichts so große Entschlossenheit wie der 'détournement' von der Evidenz der Sinne.

In diesem Sinne scheut Philonius auch nicht davor zurück, dem Esel die Worte des Philosophen Zenon von Elea beizulegen, der, als Verschwörer gegen den Tyrannen der Stadt entdeckt, gemartert wurde und seinem Henker zurief: Tunde, tunde, saccum Asini tundis, non Asinum – "Schlag nur zu, schlag nur zu, du schlägst nur den Sack des Esels [bzw. Zenons], nicht den Esel [bzw. Zenon] selbst" –, da nur der Leib (der 'Sack') die Schläge erleide und nicht die Seele als der 'edlere' Teil und der eigentliche Sitz der Persönlichkeit: "Bien qu'il ne soit pas de tout poinct certain, s'il le fait plustot par cette indeterminée acatalepsie de la Sceptique, que pour ce qu'il adhere et se plaist à la secte Stoïque, qu'on sçait avoit estably toute la beatitude en cette partie superieure qui est en nous." (La Mothe Le Vayer 1988: 187)

La Mothe Le Vayer spielt hier auf den Streit zwischen Stoikern und akademischen Skeptikern um die Erkenntnistheorie an, zumal auf die Kritik des Arkesilaos an der stoischen Erkenntnistheorie und ihrem Zentralbegriff der 'erkennenden Vorstellung' (phantasia kataleptike), die – von der Vernunft geprüft und von Zustimmung abhängig – für die Stoiker "eine mit dem höchsten Grad an immanenter 'Glaubhaftigkeit' begabte Vorstellung" darstellte (Hossenfelder 1985: 17–18). Gleichzeitig stehen die 'Stoiker' auch stellvertretend für die Christen, die dazu tendierten, den Leib gegenüber der "partie superieure" der Seele abzuwerten.

La Mothe Le Vayer lässt es nicht dabei bewenden, eine antistoische und damit implizit antichristliche 'Umwertung der Werte' vorzunehmen, er flicht auch (und gerade) an unvermuteten Stellen bissige Seitenhiebe gegen die Religion ein, wie z.B. Philonius' Erinnerung daran, dass auch die ersten Christen von ihren heidnischen Zeitgenossen als ,Eselsanbeter' verspottet wurden, da die Verehrung eines Gekreuzigten Anstoß erregte: "Et prenez garde que le reproche que vous me faites, est le mesme, et aussi mal fondé que celuy de quelques Payens, qui imputoient aux premiers Chrestiens (nommez par eux, dit Tertullien, Asinarii) et encores au precedent aux Juifs, d'adorer la teste d'un Asne, sous pretexte que les Asnes sauvages avoient enseigné à Moyse les eaux du desert." (La Mothe Le Vayer 1988: 189–190)

Dass Juden und Christen ihren religiösen Kult ganz anders deuteten als ihre heidnische Umgebung,14 stellt eine Doppeldeutigkeit der Zeichen dar, die vom Skeptiker als Unentscheidbarkeit ihrer Bedeutung gesehen werden könnte – eine Haltung, die sich damit dem Agnostizismus annähert. Das doppeldeutige Zeichen der 'Eselsgestalt' des christlichen Glaubens ließe sich zwar noch apologetisch wenden, wie dies etwa Erasmus von Rotterdam im Lob der Torheit getan hatte; es lässt sich aber ebenso gut auch gegen den Glauben benutzen, so wie dies offensive Atheisten tun würden (und werden). La Mothe Le Vayer scheint hier zwischen dem Standpunkt des fideistischen Christen, des Agnostikers und dem des Atheisten zu oszillieren, mit deutlicher Neigung nach den beiden letzteren. Doch hält er das Esels-Zeichen in der Schwebe.




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Damit wird der Esel für La Mothe Le Vayer zu einer polysemen und 'multifunktionalen' Figur, geeignet zum Rundumschlag gegen sämtliche Dogmatismen wie auch zur scherzhaften Selbstdarstellung des Skeptikers: er kann kritisch als Figur des Stoizismus wie des Christentums benutzt werden, aber auch lobend als solche des Skeptizismus. In diesem unbeständigen Schwanken der Bedeutungen wird er zum Symbol der skeptischen Moralistik par excellence und damit auch zum 'Träger' der skeptischen Philosophie-, Zeit- und Zivilisationskritik, die auch eine Kritik der stoischen und christlichen Ethik mit einschließt.

Der Esel des Skeptikers – eine wahrhaft proteushafte Figur – ist jedoch nicht nur negativ besetzt; er wird auch positiv als eine Figur der Reintegration der ursprünglichen leib-seelischen Einheit der Kreatur wie auch des Menschen benutzt, die die Stoiker wie alle Metaphysiker – damit implizit auch die Christen – in naturwidriger Weise leugnen wollten. La Mothe Le Vayer teilt nicht nur Montaignes Glauben an die Natur als die weise Führerin des Menschen. Nicht von ungefähr spricht er, der wie die von ihm geschätzten heterodoxen Denker die italienischen Renaissance (Bruno, Vanini, Cardano etc.) von der antiken Naturphilosophie stark beeinflusst war, in der Tradition des Neopaganismus von der Natur wie von einer mit Weisheit und schöpferischer Kraft begabten Gottheit, die Respekt heischt.

Nicht nur zieht sich das Motiv der natürlichen Tugend und Vernunft des Tiers und des Lasters und der Unvernunft des Menschen im allgemeinen und seiner Zeitgenossen im besonderen wie ein roter Faden durch die Argumentation Philonius-La Mothe Le Vayers; der ebenso störrische wie duldsame Esel wird somit auch zur – positiv verstandenen – Figur des Skeptikers. Das Werk La Mothe Le Vayers sei nach Salazars Studie 'La divine Sceptique'. Ethique et Rhétorique au 17e siècle autour de La Mothe Le Vayer ebenso zur skeptischen Tradition in der französischen Moralistik zu zählen wie dasjenige La Rochefoucaulds oder La Bruyères. Mit letzterem teile er die Nähe zu den Charakteren des Theophrast als einer gemeinsamen Inspirationsquelle (Salazar 2000: 79 ff.).

Während Theophrast jedoch seine Charaktertypen samt ihrer Fehler jeweils einzeln und weitgehend kommentarlos vor den Leser hinstellt, konfrontiert La Mothe Le Vayer stets die menschliche Marotte mit dem vernünftigeren Grautier.

'Skeptische Moralistik' – eine contradictio in adiecto? Eine solche erschöpfe sich nicht in einer bloßen wertneutralen Deskription der Mannigfaltigkeit menschlichen (bzw. tierlichen) Verhaltens. Der Leser werde nach Salazar implizit zu einem Werturteil hingeführt, das ihm dabei jedoch letztlich nicht vorgegeben wird und das auch immer ein vorläufiges und relatives bleibt.




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Das standhafte Erdulden der Übel ohne Auflehnung gegen das Geschick – die proverbielle Eselsgeduld – wird von den Stoikern wie auch den Christen als Tugend und moralische Leistung betrachtet; und auch der Pyrrhoniker übt sich auf seine Weise in geduldiger Unterlassung – acatalepsie – , dem Nicht-Erstreben der Güter bzw. dem Nicht-Fliehen der Übel, die für ihn als solche nicht erkennbar sind. Doch strebt nicht nach Epikur jedes mit einer gewissen Intelligenz ausgestattete Lebewesen danach, Übel zu meiden und Güter zu suchen? Da der Esel dies aber nicht tut und die Schläge 'stoisch' erduldet und sie auch nicht 'nachträgt' und rächt, obgleich er über ein gutes Gedächtnis verfüge, "[n]on que de soy il manque de courage, ou de memoire, car je sçay bien que Galien a remarqué qu'il l'a meilleure qu'aucun de tous les animaux" (La Mothe Le Vayer 1988: 180–181), wird er von der 'opinion commune' für dumm erklärt. Für den Esel stellt seine Geduld jedenfalls kein moralisches Verdienst dar, da sie – ohne jede Anstrengung des Geistes – einfach seiner Natur entspricht. Das gleiche gelte für die andere, ausführlich gelobte 'asinine Tugend', für die tempérance. Der Esel war, was seine Nahrung anbelangt, für seine Anspruchslosigkeit bekannt – er kann sich auch von Disteln und Dornensträuchern ernähren und kommt lange Zeit ohne Wasser aus; er fresse und trinke auch nur, was seinem Körper zuträglich sei und erfreue sich dabei einer gesunden Seele in einem gesunden Geist. Das mittlere Maß, in der aristotelischen Ethik Inbegriff des Guten, werde durch den Naturinstinkt weitaus vernünftiger reguliert als durch die menschliche (Un)vernunft.


Eselserotik: das Modell Apuleius

Allein dem erotischen Trieb folge der Esel recht bereitwillig und ausgiebig; er sei von der Natur dazu auch privilegiert ausgestattet ; mit seinem großen Phallus war er einst dem Gotte Priap als Opfer zugedacht.15 Und dass mit solchen Qualitäten nicht allein die Gunst der Götter erworben werde, das könne man im Goldenen Esel des Apuleius (2001) und der pseudo-lukianischen Satire Lukios oder Der Esel nachlesen.

Der spätantike Roman Der Goldene Esel wurde um ca. 170 n. Chr. von dem Philosophen, Rhetor und Schriftsteller Lucius Apuleius Madaurensis verfasst.16 Sein eigentlicher Titel Metamorphosen spielt auf die Ovidschen Metamorphosen an und variiert das seit Ovid in der römischen Literatur etablierte Thema von Liebe und Verwandlung in Novellenmotiven nach Art der Milesischen Geschichten, in deren Tradition auch der Bereich des Sexuellen in mitunter recht frivolen und gewagten Szenen einbezogen wird.

Der Held Lucius bereist Thessalien, das Land der Hexerei. Von unwiderstehlicher Neugierde getrieben, möchte auch er sich in der Magie versuchen und erhält von seiner Geliebten, der Dienerin einer Hexe, ein Zaubermittel, mit dessen Hilfe sich ihre Herrin in einen Vogel verwandle, um ihren Liebschaften zu frönen. Doch durch einen Irrtum erhält er das falsche und verwandelt sich – in einen Esel. Als geschundenes Grautier mit menschlichem Bewusstsein wechselt er viele Male den Besitzer, erlebt er Abenteuer im Stil eines pikaresken Romans und bekommt als unverbesserlich neugieriger, kritischer und dabei nicht immer unbeteiligter Beobachter Einblicke auch in verborgene und tabuisierte Bereiche der Gesellschaft, zumal in diejenigen von Liebe und Sexualität. Nachdem er zuerst einer Räuberbande in die Hände fällt, entlarvt er später die Priester der syrischen Göttin als habgierige und lüsterne Heuchler. Auch über die Tugend der Frauen wird er im Folgenden mehr und mehr desillusioniert. Er wird Zeuge der Ehebrüche so genannter ehrbarer Matronen und macht einen betrogenen Ehemann auf das Versteck des überraschten Liebhabers aufmerksam. Schließlich muss er, der Esel, sogar die Gelüste einer in ihn verliebten schönen und vornehmen Dame befriedigen (das Pasiphaë-Motiv), was er zugegebenermaßen nicht ganz ungern tut. Nur mit einer zum Tode verurteilen Giftmörderin will er nichts zu schaffen haben. Dennoch entgeht auch er selbst dem Tod in der Arena nur knapp.




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Schließlich wird er mit Hilfe der Göttin Isis von seiner Eselsgestalt erlöst, indem er bei einer Prozession zu ihren Ehren Rosen frisst und sich so in den jungen Mann Lucius zurückverwandelt. Dafür weiht er – nunmehr geläutert – von nun an sein Leben der Göttin.

Bei aller Freizügigkeit in der Darstellung des Sexuellen darf nicht übersehen werden, dass der in einen Esel verwandelte Held dennoch stets auch eine moralische Instanz ist, die die Scheinhaftigkeit der Moral der anderen entlarvt. Das Privileg der Esel ist die Freiheit der Instinkte. Doch auch die Menschen, so das Fazit, halten die ihrigen oft auch nicht viel besser im Zaum. Das Ende ist hier ein fromm-erbauliches im Sinne der Isisreligion, zu deren Anhängern der Verfasser offensichtlich zählte, und stellt einen nicht unerheblichen Bruch in dem Werk dar: Nachdem der Held sich zuvor lustvoll ausleben durfte, lässt er sich nun in die Mysterien der Isis und des Osiris einweihen und wird ein zur Keuschheit verpflichteter Priester.

Die nahezu gleiche Haupt- bzw. Rahmenhandlung behandelt auch die früher Lukian zugeschriebene Satire Lukios oder Der Esel, die in etwa zur gleichen Zeit entstanden, aber weitaus kürzer ist. Beide dürften einem gemeinsamen literarischen Vorbild, den Metamorphosen des Lukios von Patrai, verpflichtet sein, das leider verloren ist. La Mothe Le Vayer zieht den fabliau-artigen, konsequent libertinen Schluss der pseudo-lukianischen Satire dem religiösen Schluss des Apuleius vor. Nach dem pseudo-lukianischen Text wird der Held nicht durch eine Gottheit errettet, sondern vermag sich selbst zu erlösen: Er raubt in dem Amphitheater, in dem er bei Spielen auftreten soll, einem Diener Rosen aus einem Korb und verwandelt sich vor aller Augen in einen Menschen zurück. Im Glauben, dass die Dame, die ihn als Esel begehrt hatte, ihn nun als wohlgestalten Jüngling erst recht lieben würde, kehrt er zu ihr zurück und wird von ihr – enttäuscht hinausgeworfen.


Kynische Freiheit der Instinkte

Mittels der pseudo-lukianischen Satire, deren Ausgang Philonius ebenso frei wie ausführlich nacherzählt,17 wird unter der Maske des Esels den neuplatonisch-idealistischen Liebesauffassungen, die in der preziösen und pastoralen Romanliteratur des frühen 17. Jahrhunderts vorherrschent (z.B. in d'Urfées Astrée), indirekt, aber deshalb nicht weniger deutlich, eine Absage erteilt; en passant werden in den philosophischen Dialog unter Männern auch Elemente einer wenig schmeichelhaften Frauensatire eingeflochten.




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Der Esel ermöglicht es dem Sprecher Philonius, unbefangen und vorurteilslos über Sexualität in allen ihren Spielarten und Erscheinungsformen zu reden – jenseits aller Verbote und Tabus. Nicht nur der Geschlechtsakt selbst wird dekupabilisiert; auch Homosexualität, Masturbation, ja sogar Zoophilie erscheinen Philonius nicht per se verwerflich und zumindest weniger unnatürlich als ein zwangsweise auferlegter Zölibat,18 eine Position, die den Jesuitenpater Le Moyne zu dem entrüsteten, aber nicht ganz unzutreffenden Kommentar veranlasste, die Dialogues "enseignaient qu'il n'y a point d'amours qui ne soient permises" (zit. n. Cavaillé 2002: 165).

Eine scharfe Trennung von libertinage érudit und libertinage des moeurs erscheint uns unter diesem Gesichtpunkt sachlich nicht gerechtfertigt bzw. eher eine Konstruktion der Kritik zu sein. Jean-Pierre Cavaillé ist nur zuzustimmen, wenn er bemerkt, dass in den Dialogues, insbesondere im Banquet sceptique und im Dialogue sur les ânes, immer wieder überaus 'libertine', um nicht zu sagen zotenhafte Zitate, Anekdoten und Erzählungen eingestreut sind: "[…] la paillardise, assez abondante dans les Dialogues, reconduit à une philosophie des moeurs résolument naturaliste, d'inspiration épicurienne, libérée de la morale chrétienne, et l'écriture libertine – au sens cette fois du libertinage des moeurs – , participe elle-même de cette nature affranchie." (Cavaillé 2002: 163). Philonius (und mit ihm La Mothe Le Vayer) bekennt sich im Namen des Esels offen zur Sexualität als integralem Bestandteil der menschlichen Natur, wobei letztere für ihn nicht mehr durch den transzendenten Bezug zur Gottheit, sondern durch den verwandtschaftlichen zum Tier definiert wird:

[...] j'advoüeray ingenuëment qu'aussi bien qu'Alexandre ne se reconnoissoit jamais mieux homme, et non fils de Jupiter, qu'en la prattique des passetemps amoureux; l'Asne de mesme, ne se trouve jamais plus Asne, que par la cheute (qu'il fait neantmoins assez volontiers) en cette courte et plaisante epilepsie. (La Mothe Le Vayer 1988: 182)

In diesem Zusammenhang wird auch der bekannte Vers des Terenz Homo sum; humani nihil a me alienum puto19 scherzhaft lang- wie kurzohrigen Eseln zugeeignet – quandoquidem Asinus est, Asini à se nihil alienum putans (Da er nun einmal Esel ist und, was dem Esel eigen, sich selbst nicht für fremd hält).

Der Esel erscheint als Figur einer kynischen Freiheit der Instinkte, die mit der heidnischen Antike und mit dem goldenen Zeitalter assoziiert wird:

Voilà quant à la Temperance, qui a pour annexe la modestie et la pudeur, qui regle nos gestes et actions. Or bien qu'en beaucoup de choses l'Asne semble accompagner les siennes d'une liberté Cynique, et de la mesme franchise qui estoit prattiquée au siecle doré, suivant ce qu'a fort bien remarqué l'Italien, ogn'uno à suo modo, et l'Asino à l'antica. (La Mothe Le Vayer 1988: 184)

Diese Deutung des Esels erscheint uns eine genuin libertine, die einer epikureischen Ethik verpflichtet ist und die den Goldenen Esel des Apuleius und die pseudo-lukianische Satire als wesentliche Quelle für das Esels-Motiv benutzt. Sie ist gleichzeitig eigenständig gegenüber der traditionellen Verwendung des Motivkomplexes Esel, Liebe und Metamorphose in der Emblematik, in der der verliebte Esel als Sinnbild der den Menschen veredelnden Macht der Liebe erscheint: Amor beflügelt den Esel oder lehrt ihn tanzen (Henkel/Schöne 1967: Spalten 516–517).20




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Obgleich in den Dialogues de facto neue Embleme geschaffen werden, wird dieser Prozess neuer Bedeutungsbeilegung auf ironische Weise als Dechiffrierungsprozess bereits seit jeher existierender Bedeutungen ausgegeben. Denn im Unterschied zur Emblematik geht La Mothe Le Vayer nicht vom Menschen bzw. von einer menschlichen Situation aus, die es mit Hilfe der Tiergestalt zu versinnbildlichen gilt, sondern er verfährt in entgegen gesetzter Richtung und beginnt beim empirischen Tier, das im Folgenden zum Emblem des Menschen wird. Über die kulturelle Bedeutung des Esels geht Philonius-La Mothe Le Vayer zum Menschen über, der dem Tier ähnlicher sei, als er meint. Den Eigenschaften des Grautiers werden von ihm bestimmte sinnbildliche Bedeutungen zugeschrieben, die sonst allein dem Menschen zukommen. In dieser Richtung ging bereits der Physiologus vor, der – als Kompendium des zoologischen Wissens wie der Tiersymbolik – ebenfalls eine Bewegung vom konkreten Tier zu seiner sinnbildlichen Bedeutung kennt und auf diese Weise die Bedeutungen der Natur (als dem 'Buch Gottes') entschlüsseln will.21

Die dechiffrierende Bewegung vom Gegenstand oder Bild oder von der Fabel zum Sinngehalt ist auch Francis Bacons mythographischem Werk The Wisdom of The Ancients eigen, das Jean Baudoin 1619 (= Bacon 1619) ins Französische übertragen hatte. Bacon, der neben Montaigne zu den bevorzugten 'modernen' Autoren La Mothe Le Vayers zählte, stellte in diesem Werk die Behauptung auf, alle Mythen und Sagen der Alten seien allegorisch zu deuten – eine bereits seit der Antike praktizierte Interpretationsmethode. Während des gesamten Dialogue des rares et éminentes qualités des asnes benutzt, ja expliziert La Mothe Le Vayer Bacons allegorische Deutungsmethode, und dies (wie so oft), ohne Autor und Titel des Quellenwerks zu nennen. Bacon selbst verwehrt sich zwar im Vorwort zu The Wisdom of the Ancients gegen die nicht unübliche Praxis, dass Philosophen die Fabeln der Alten im Sinne der Rechtfertigung ihrer eigenen Doktrinen willkürlich umdeuteten; dies sei ein alter Missbrauch, der bereits in der Antike begonnen habe. Wir behaupten jedoch, dass La Mothe Le Vayer sich davon unbenommen dieser Tradition der philosophischen Umdeutung der Mythen anschließt, jedoch auf erkennbar ironische Weise, wodurch er sich von einem solchen Vorgehen wiederum distanziert und es implizit kritisiert, ja es ins Lächerliche zieht, entstammt doch der Hauptgegenstand seiner Deutungsbemühungen, der Esel, nicht der noblen Welt der antiken Sage, sondern der Banalität der realen Welt. Was die 'Fabeln der Alten' betrifft, so macht sich La Mothe Le Vayer in einer dialektischen Bewegung die Baconsche These zu eigen, zahlreichen Mythen unterliege ex origine eine geheimnisvolle, allegorisch ausgedrückte Weisheit, und er stellt sie zugleich ironisch in Frage.

Das im Folgenden ausführlicher besprochene Beispiel seiner geradezu 'an den Haaren herbeigezogenen' Interpretation eines unbedeutenden Details der Prometheussage, nämlich des Pflanzenstengels, mit dem Prometheus den Göttern das Feuer raubte, spricht dabei für sich, führt es doch die allegorische Deutung geradezu ad absurdum. Er entleert das Sagenmotiv (Prometheus, Odysseus) seines ursprünglichen Gehalts und unterlegt ihm zugleich einen neuen, nämlich seinen eigenen – und hält dies alles ironisch in der Schwebe. Im weiteren lässt sich dieser Angriff auf den allegorischen Schriftsinn auch zu einem indirekten Angriff auf die willkürliche allegorische Umdeutung der biblischen Geschichten ausweiten, die bereits in der jüdischen Tradition begann und durch die die katholische Kirche fortgesetzt wird (man denke an die Umdeutung der Geschichte von Samson und dem Eselskiefer).




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La Mothe Le Vayer hat das allegorisch deutende Verfahren dem Gegenstand des Esels und seinen Intentionen der skeptischen Gesellschafts- und Philosophiekritik angepasst: Eigenschaften des Tiers stehen für solche des Menschen und insbesondere des Philosophen. Dem Verhalten des Esels werden nacheinander Stoizismus, Epikureismus und nicht zuletzt auch Skeptizismus zugeschrieben – ein kleiner Streifzug durch die Philosophie, der in den Skeptizismus mündet. Bei solcherart kontradiktorischen Attributionen bleibt das Bewusstsein der Nicht-Identität von signifiant und signifié, von Emblem und realem Gegenstand, sowie einer (gewissen) Arbitrarität ihrer Verbindung stets wach; die Widersprüchlichkeit der Attribute entspricht zugleich auch der Widersprüchlichkeit und Inkonstanz der menschlichen Natur wie die skeptische Anthropologie sie sieht. Was die kulturelle und zumal die symbolhafte Bedeutung des Esels betrifft, so sind Symbole stets mehrdeutig; und gerade der Esel bot La Mothe Le Vayer besonders gute Möglichkeiten des Spiels mit der Vielschichtigkeit und Widersprüchlichkeit möglicher sinnbildlicher Bedeutungen, wie er sie in der Emblemtradition, dem Roman des Apuleius und der pseudo-lukianischen Satire, aber auch der französischen Sprache selbst vorfinden konnte: sprichwörtliche Torheit vs. instinktsichere Klugheit, stoisches Erdulden vs. epikureisches Lustprinzip, asketische Genügsamkeit vs. ungezügelte Triebe, niedere vs. freie Instinkte – wobei bei der Wertung zumal der letzteren auch die stets mitschwingende Opposition heidnische Antike vs. christliche Frühe Neuzeit eine nicht unbedeutende Rolle spielt. Die ironische – um nicht zu sagen: pyrrhonische – Ambiguität von angeblicher Torheit und verborgener Weisheit des Esels befindet sich dabei in der der Tradition der ironischen Ambiguität des Encomium moriae – jedoch ohne Erasmus' christlichen Deutungshorizont. Philonius-La Mothe Le Vayer geht noch weiter und behauptet die Überlegenheit des Tiers, von dem der Mensch nur lernen könne – eine provozierende These, zu der er als gelehrter Humanist eine Fülle von Belegen aus der Literatur- und Wissenschaftsgeschichte heranzieht. Für Provokation ist in jedem Fall auf dem Gebiet der Ethik gesorgt; denn der Esel bewegt sich als reines Naturwesen jenseits der menschlichen Moral, deren Kategorien wie 'Tugend' und 'Laster', 'Schuld' und 'Verdienst' für La Mothe Le Vayer als pyrrhonischem Skeptiker nicht gottgegeben, sondern variable Hervorbringungen der menschlichen Kultur sind. Allein die Natur bzw. "la necessité naturelle" werden als Normen bildende Instanzen anerkannt:

Il ne nous reste plus en cette sommaire delineation des vertus Asinines, que la Temperance a considerer, laquelle fait garder une mediocrité aux plaisirs dont sont capables les sens du goust, et de l'attouchement, ayant pour regle la necessité naturelle, naturalibus enim simpliciter neque meremur, neque demeremur. (La Mothe Le Vayer 1988: 181)




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Sein Urteil über die katholische, aristotelisch-thomistische Ethik hält er jedoch in vorsichtiger Mehrdeutigkeit bzw. in pyrrhonischer Unentschiedenheit. Denn wenn selbst der Esel das 'rechte Mittelmaß' zwischen den Extremen einhält und das ganz ohne von der gleich lautenden aristotelischen Definition der 'moralischen Tugenden' zu wissen, dann werden diese 'vertus morales' von der Natur bestätigt, aber auch zugleich vom 'hohen Ross' des Philosophen zum bescheidenen Esel herabgeholt. Als 'vertus Asinines' sind sie Torheit und natürliche Weisheit in einem. Der Esel als ein Naturwesen 'jenseits von Gut und Böse' stellt eine kynische 'Umwertung der Werte' dar. Denn bereits Diogenes von Sinope, dem ebenso bedürfnislosen wie schamlosen Philosophen im Fass, wurde von seinen Zeitgenossen vorgeworfen, dass er 'die Münze umgeprägt' habe; und auch er erschien der Mit- und Nachwelt teils als weise, teils als Narr.

Nicht zuletzt auch dem pyrrhonischen Skeptiker könnte man vorwerfen, er präge die moralischen Werte um, und dies neben seiner Kritik der Ethik auch nicht zuletzt durch seine philosophische Lebenskunst des Nicht-Eingreifens in den Gang der Dinge, der Nicht-Sorge, des Nicht-Denkens an Übel und Tod falle er auf eine prärationale, gleichsam animalische Stufe zurück. La Mothe Le Vayer begegnet solchen möglichen Einwänden auf offensive Weise: er leugnet nicht den prärationalen Aspekt der unter der Maske des Gelehrtenscherzes zum Vorbild erhobenen 'asininen Bewusstseinsstufe', er wertet sie vielmehr als 'tierliche Vernunft' in provozierender Weise auf – auch dies ein möglicher Weg skeptischer Vernunft-, Philosophie- und Gesellschaftskritik. Dabei verfolgt er eine doppelte Strategie: Einerseits erniedrigt er den Menschen auf das Niveau seiner animalischen Natur und stellt ihn damit auf eine Stufe mit dem Tier. In einer zweiten, noch radikaleren Bewegung erhebt er das Tier und seine nur scheinbare Dummheit (bêtise) gar zum Modell, das über den Menschen gestellt wird – eine Umkehrung der traditionellen Seinshierarchie (vgl. hierzu auch Giocanti 2001: 370–390).

Der Esel als proverbielle Verkörperung der Dummheit kann so zum Emblem der menschlichen Tor- und Tierheit werden, das der Skeptiker mit der Devise: Nosce te ipsum [Erkenne dich selbst] versieht. Denn der Mensch, so erhaben er sich auch dünkt, entgeht trotz angeblicher Klugheit, zivilisatorischer Leistungen, Bildung und Wissenschaft weder den Beschränkungen seiner törichten Unwissenheit noch denen seiner animalischen Natur, die er mit dem Esel teilt. Am klügsten ist er noch, wenn er sich – so wie der Skeptiker – im Esel (wieder)erkennt und spiegelt. Dieser solcherart umrissene Themenkomplex, der eng mit dem emblematischen Bild des Esels verbunden ist, lässt sich durch das ganze Werk La Mothe Le Vayers hindurch verfolgen. Dabei stützt dieser sich weniger auf den bereits vorhandenen Fundus an Emblembildern mit Eseln samt den zugehörigen Devisen und Bedeutungen, als dass er vielmehr mittels Elementen aus Literatur und antiker Mythologie neue Embleme und semantische Konstruktionen schafft. Im Dialogue sur les rares et éminentes qualités des ânes wird selbst Odysseus, der listenreiche "patron de la prudence", der von dem kaiserzeitlichen Sophisten-Biographen Philostratus (vgl. 1855: 1.2) als geistesabwesend trauernder Heros dargestellt wird, auf provozierende Weise mit einem Esel verglichen: "Quand je vois cet Ithaquois dépeint par Philostrate in Heroicis, la tristesse sur le front, les yeux égaréz, tesmoignans une grande abstraction d'esprit, bref en posture d'un songe-creux perpétuel, il me semble que je vois l'idée parfaicte d'un Asne, et son portraict très-accomply." (La Mothe Le Vayer 1988: 73) – Denn auch der Esel habe jenen versonnen-melancholischen Blick, der als Zeichen von Geist gilt.




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Prometheus und der eselhafte Zivilisationsprozess

Ein anderes emblematisches Bild für die Nähe des Menschen zum Esel findet er später in De la prudence, einem der Petits traités en forme de lettres: Prometheus, der den Menschen das Feuer brachte, das im übertragenen Sinne auch für die Flamme des Geistes steht, habe dies mit Hilfe einer Rute, der 'Eselspflanze' férule, getan. Deren Name bezeichnet eine mediterrane Pflanzenart, das Steckenkraut (Ferula scorodosma), aber auch die Rute des Schulmeisters und des Eselstreibers, eine Zuchtrute, die auch der Skeptiker La Mothe Le Vayer gegen die störrische Unbelehrbarkeit der Dogmatiker schwingen will:

Ah que l'Antiquité nous a fait une belle leçon de ce que peut valoir toute notre science, ou toute notre sagesse, avec la fable de Prométhée! Ce héros ne déroba le feu du ciel qui nous anime que par le moyen de la plante des ânes qu'on nomme férule, pour dire, ce me semble, que nos plus hautes connaissances ne sont que des âneries, et notre plus fine prudence, qu'une ridicule rêverie. (La Mothe Le Vayer 1970, Bd. II: 346)

Denn die geschilderte Szene des 'prometheischen Akts' heroischer Zivilisationsstiftung, die sich doch eines 'eselhaften' Instruments bedient, könne, im allegorischen Sinne verstanden, dafür stehen, "dass unser höchstes Wissen nur eine Eselei und unsere feinsinnigste Klugheit nur eine lächerliche Träumerei" seien. La Mothe Le Vayers Vorgehen der ironischen Emblembildung lässt sich hier besonders gut aufzeigen: Die Sage von Prometheus, der den Menschen das göttliche Feuer bringt, ist alles andere als neu – wohl aber ihre (Um-)Deutung, die eine neue semantische Konstruktion darstellt – ein 'Umprägen der emblematischen Medaille'. Diese hat jedoch zwei Seiten: Die 'ânerie' der vier- und zweibeinigen Esel La Mothe Le Vayers ist nicht nur negativ besetzt, sondern gleichzeitig auch eine paradoxe, 'weise Torheit', an der die Klugheit der Weisen zuschanden wird, so wie sie etwa im Lob der Torheit des Erasmus von Rotterdam, einem in der Vorrede genannten Intertext, bereits vorgebildet war. Der wesentliche Unterschied zu Erasmus besteht jedoch darin, dass La Mothe Le Vayer die 'weise Torheit' nicht mehr zur christlichen Einfalt wendet, sondern zur kynischen Freiheit von fragwürdig gewordenen gesellschaftlichen Moralbegriffen. Die u .a. auch darin begründete potenzielle Überlegenheit des Esels über den Menschen mündet in ein sokratisches oder besser skeptisches Eingeständnis ethischen Nichtwissens – da vom pyrrhonischen Skeptiker alles angebliche menschliche Wissen in Frage gestellt wird. Dass der Esel dabei im Dialog als Verkörperung des positiven (meint Philonius) wie auch des negativen (meint Paleologue) Aspekts derselben Eigenschaft – nämlich der weisen Torheit' – benutzt wird, dient der Herstellung der vom Pyrrhoneer behaupteten unentscheidbaren Gleichwertigkeit der Argumente, der so genannten Isosthenie. Diese letztere verhüllt nur wenig, dass ein ethischer Standpunkt des Skeptikers offenbar trotz allem existiert: derjenige einer skeptischen Anthropologie in Verbindung mit einer epikureischen Ethik.




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Der Skeptiker behauptet zwar, nichts zu wissen und sich auch nicht entscheiden zu können, doch auch dies impliziert schon eine Stellungnahme. Im Scherz identifiziert er sich mit dem Esel als seinem Emblem. In La Mothe Le Vayers Petit traité sceptique sur cette commune façon de parler "n'avoir pas le sens commun" dient dazu die Fabel von Buridans Esel,22 der, zwischen zwei gleich große Haufen mit Heu gestellt, nicht weiß, auf welchen er sich zuerst stürzen soll:

Le sceptique n'étant pas ennemi de la raillerie, ni fâché qu'on lui reproche son ânerie, souffrira bien que je le compare ici à l'âne de Buridan dont parle un de nos proverbes, lequel mis entre deux bottes de foin, ne savait sur laquelle se ruer. Car il lui arrive de même dans l'égalité des raisons qu'il voit et examine sans prévention, son esprit demeurant dans un tel équilibre qu'il ne penche pas plus d'un côté que de l'autre. (La Mothe Le Vayer 1970, Bd. II: 272)

Im Sinne einer solchen Unentschiedenheit endet auch der Dialogue sur les rares et éminentes qualités des ânes, da keiner der beiden Gesprächspartner über den anderen obsiegen, d.h. ihn von der eigenen Sicht der Dinge überzeugen kann.

Jedoch wird de facto Philonius, der besser argumentierte und den aktiven, den Dialog dominierenden Part hatte, im Urteil des Lesers als der Bessere empfunden werden. 'Paleologue' dagegen meint, eine ironische Lobrede mit einer ebensolchen beantworten zu müssen. Er will die Tatsache, dass das Lob des Esels zugleich auf die Kritik der Menschen hinausläuft, allein Philonius' momentaner (Ver-)Stimmung zuschreiben. Denn solche Reden, meint er, seien vor allem dazu geeignet, sich 'die Milz zu reinigen'. Wir würden sagen: um sich etwas 'von der Leber zu reden'. Paleologues ironische Schlussbemerkung, die damit allein auf Philonius' ironische, ja zuweilen sarkastische Aussageweise antwortet, aber keine inhaltliche Stellungnahme darstellt, zeugt damit auch von seinem Unwillen, sich auf Philonius' inhaltliche Aussageabsichten einzulassen, die ihm gleichwohl nicht entgangen sein können :

J'approuve fort vostre conduite, et vous dispense volontiers du surplus pour cette heure, avec protestation que je n'auray jamais besoin de me purger la ratte, que je ne vous vienne remettre sur ce propos, et que je m'estimeray fort heureux si je vous trouve en si belle humeur. A Dieu. (La Mothe Le Vayer 1988: 196)


Bibliographie

Apuleius, Lucius (19632): Der goldene Esel. Metamorphosen. Lateinisch und deutsch. Hrsg. u. übers. von Edward Brandt. München: Heimeran.

Bacon, Francis (1619): La sagesse mystérieuse des anciens, ombragée du voile des fables. Übers. v. Jean Baudouin, Paris.

Bruno, Giordano (1585): Cabala del Cavallo Pegaso con l'aggiunta dell'Asino Cillenico. [http://www.giordanobruno.info/download.htm, 8.1.06]




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Bruno, Giordano (2000): Die Kabbala des Pegasus. Übers. u. hg. von Kai Neubauer. Hamburg: Meiner. [1585]

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Anmerkungen

1 Descartes' Discours de la Méthode erschien 1637, d. h. 7 Jahre nach den ersten vier Dialogues (1630).

2 In Montaignes Essais heißt es: "[…] [Q]ui a jamais cuidé avoir faute de sens ? Ce seroit une proposition qui impliqueroit en soy de la contradiction: /// c'est une maladie qui n'est jamais où elle se voit; ell'est bien tenace et forte, mais laquelle pourtant le premier rayon de la veuë du patient perce et dissipe, comme le regard du soleil un brouillas opaque; / s'accuser seroit s'excuser en ce subject là ; et se condamner, ce seroit s'absoudre." (Montaigne 1992, Bd. 2: 656).

3 Vgl. La Mothe Le Vayer (1988, Dialogue de la philosophie sceptique: 21–26).

4 Die Cabala del Cavallo Pegaso ist der radikalste von Brunos moralischen Dialogen in italienischer Sprache. In scharfer Satire rechnet Bruno mit den verschiedenen Formen der "Ignoranz" wie Christentum, Aristotelismus und Skeptizismus gleichermaßen ab und setzt gegen deren starrsinniges "Eseltum" seine naturalistische Philosophie des ewigen Wandels von Körper und Seele. – Ein Sonett zum satirischen Lobpreis des Esels sowie eine Deklamation an den gelehrigen, gläubigen und frommen Leser sind den Dialogen vorangestellt, in der der Autor den Goldenen Esel des Apuleius sowie das Ecomium asini (1530) des Agrippa von Nettesheim (1486–1535) erwähnt und sie ironisch tadelt, da sie sich mit ironischen Aussprüchen über das glorreiche Eseltum lustig machten. Jedoch: "Wer wird da die Welt überzeugen können, dass ich nicht dasselbe tue ?" (Bruno 2000: 11–12). In Wiederaufnahme und Radikalisierung von Motiven aus Erasmus' Lob der Torheit schreibt Bruno ein Lob des Eseltums, das auf den ersten Blick wie die genaue Umkehrung der moralischen Werte erscheint, die er im ersten der italienischen Dialoge, dem Aschermittwochsmahl (La Cena dei Ceneri, 1585) propagiert hatte.




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Die ironische Umkehr der Werte ist neben der pars-pro-toto Darstellung und der Variation der Motive eine seiner vorherrschenden Darstellungstechniken (vgl. hierzu Ciliberto 2000: XI–XXXVII). Der erste der Pegasus-Dialoge beginnt mit dem satirischen Lobpreis des Esels durch den Gesprächsteilnehmer Saulino und dessen Exkurse über den Esel in der Religion der Ägypter und – von diesen übernommen – in der Religion der Hebräer, im Talmud und in der Kabbala. Bruno rechnet auch die Kabbalisten zu den Eseln, da die Kabbala ein geozentrisches Weltbild mit 10 Himmelssphären voraussetzt, während er selbst das kopernikanische System übernahm und auf ein unendliches Universum hin erweiterte. Die Fixsterne seien Sonnen wie die unsrige, und es gebe eine unendliche Anzahl von Welten, d.h. von Sonnensystemen. Auch La Mothe Le Vayer bekannte sich zum Kopernikanismus, was zwar nicht im Dialogues des asnes, aber im ersten Dialogue de la philosophie sceptique thematisiert wird (La Mothe Le Vayer 1988: 57–58). In Brunos Erstem Dialog schneidet Saulino gegen Ende des Dialogs das Thema 'Skeptizismus' an, das zum Diskussionsgegenstand des Zweiten Dialogs wird, welcher drei Teile hat. Er unterscheidet "effettici" und 'pirroni', wobei der die "effettici" mit den akademischen Skeptikern gleichsetzt, die behaupten, dass nichts erkannt werden kann, während die 'pirroni' nicht einmal so viel behaupten können; deshalb besäßen sie den höchsten Grad an Eseltum. Dem Esel–Pegasus Onorio legt Bruno Gedenken und Quasi-Zitate von Sextus' Pyrrhonischen Hypotyposen in den Mund, die ihm offensichtlich bekannt waren. Der christliche und der pyrrhonistische Erkenntnisverzicht werden gleichgestellt und beide scharf kritisiert. Saulino vergleicht den Skeptiker mit einem Esel, der unfähig ist, sich zwischen zwei Alternativen zu entscheiden (das Motiv 'Buridans Esel'). Da für den Pyrrhoneer das menschliche Wissen nur eine andere Art von Unwissenheit darstellt, sei der Mensch für ihn generell unfähig, etwas anderes zu sein als ein Esel. Zu den hier von Bruno angegriffenen Skeptikern und Fideisten zählte auch der bereits erwähnte Heinrich Cornelius Agrippa von Nettesheim, dessen vielfach aufgelegtes und auch ins Italienische übersetztes Werk De incertitudine et vanitate scierntiarum declamatio invectiva (1526) einen radikalen christlichen Fideismus predigt, der auf die Wissenschaften verzichtet und sich statt dessen der Heiligen Schrift zuwendet (vgl. Popkin 2003: 28–29, 37). Im Ersten Teil des zweiten Dialogs wurde die Figur des Onorio eingeführt, auf den die Funktion von Saulino als Sprachrohr Brunos nun übergeht. Onorio erzählt von den verschiedenen Metamorphosen, die er durchgemacht habe, womit Bruno seine eigene pythagoreische Ansicht der ewigen Verwandlung der Dinge ausspricht. Im Zweiten Teil erzählt Onorio, wie er in einer seiner Verwandlungen auch einmal Aristoteles gewesen sei und die Menschen genarrt habe, indem er behauptete, er sei nicht nur ein hervorragender Humanwissenschaftler, d.h. Rhetor, Politiker und Logiker (was Onorio ihm zugesteht),sondern auch, er sei ein Naturphilosoph, wobei er, was die Natur betrifft, in Wahrheit völlig unwissend gewesen sei. Im Dritten Teil schließlich wird der Skeptizismus diskutiert, wobei insbesondere auf seine praktische Schädlichkeit abgehoben wird. Im Dritten Dialog wird der kyllenische Esel eingeführt (d.h. der merkurische Esel aus Raimundus Lullus' De auditu cabbalistico). Dieser gebildete, sprechende Esel verlangt Aufnahme in die pythagoreische Akademie, was ihm entgegen der pythagoreischen Grundsätze der Akademie verwehrt wird, worin autobiographische Züge zu erkennen sind. Schließlich schreitet Merkur ein, um dem Esel zu seinem Recht zu verhelfen. Giordano Bruno bestritt zwar nicht die Existenz Gottes, dessen Unendlichkeit allein ein unendliches Universum würdig sei, wohl aber die Gottessohnschaft Jesu und das Jüngste Gericht. 1592 wurde er in Venedig verhaftet und der Magie und der Häresie angeklagt. Da er nicht bereit war, die genannten strittigen Hauptpunkte seiner Lehre zu widerrufen, wurde er nach achtjährigem Prozess 1600 in Rom zum Tode verurteilt und auf dem Campo dei Fiori verbrannt. – Bruno wurde zusammen mit anderen heterodoxen Denkern der italienischen Renaissance wie Pomponazzi, Cardano, Campanella und Vanini in den Kreisen der französischen Libertins rezipiert. Er übte einen nicht unerheblichen Einfluss auf die gesamte Philosophiegeschichte aus.

5 In La Mothe Le Vayers Dialog Lettre de l'Autheur heißt es: "Je ne ris jamais plus volontiers qu'avec Democrite, quand je contemple aprés luy les actions que les pauvres humains estiment les plus importantes" (La Mothe Le Vayer 1988: 200). Die entsprechende Montaigne-Stelle lautet: "Democritus et Heraclytus ont esté deux philosophes, desquels le premier, trouvant vaine et ridicule l'humaine condition, ne sortoit en public qu'avec un visage moqueur et riant; Heraclitus, ayant pitié et compassion de cette mesme condition nostre, en portoit le visage continuellement atristé, et les yeux chargéz de larmes […]. J'ayme mieux la premiere humeur, non par ce qu'il est plus plaisant de rire que de pleurer, mais parce qu'elle est plus desdaigneuse, et qu'elle nous condamne plus que l'autre; et il me semble que nous ne pouvons jamais estre assez mersprisez selon nostre merite." (Montaigne 1969: 359)




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6 Der Name Palaiologos existiert in der Geschichte als der Beiname byzantinischer Herrscher, darunter des letzten Kaisers von Byzanz, Johannes VIII., der von 1425–1448 regierte. Der Name bezieht sich einerseits auf den Anspruch der alleinigen Richtigkeit der 'alten Lehre' der orthodoxen Kirche (der ihre von Johannes VIII. unterzeichnete Union mit der römischen Kirche scheitern ließ) als auch, in seiner Verwendung bei dem Skeptiker La Mothe Le Vayer, dass ein solcher Anspruch zum Untergang verurteilt war bzw. sei.

7 Nach Sextus Empiricus zählt zu den 'skeptischen Schlagwörtern' "Man darf nichts bestimmen", Ausdruck der skeptischen Behauptungsunfähigkeit (Sextus Empiricus 1985: 135–137).

8 Der Titel von Nikolaus von Kues' Hauptschrift De docta ignorantia (Über die belehrte Unwissenheit, 1440) prägte diesen Ausdruck, der zum toposhaften Begriff wurde. Der Cusaner bezieht sich darin ausdrücklich auf das sokratische Eingeständnis der Unwissenheit (De docta ignorantia, I, 4). Er stellt darin die Forderung auf: "Da nun überdies unser Verlangen nach Wissen nicht sinnlos ist, so wünschen wir uns unter den angegebenen Umständen ein Wissen um unser Nichtwissen. Gelingt uns die vollständige Erfüllung dieser Absicht, so haben wir die belehrte Unwissenheit erreicht" (I, 5). Er stellt die Forderung auf:: "Da nun überdies unser Verlangen nach Wissen nicht sinnlos ist, so wünschen wir uns unter den angegebenen Umständen ein Wissen um unser Nichtwissen. Gelingt uns die vollständige Erfüllung dieser Absicht, so haben wir die belehrte Unwissenheit erreicht" (I, 5) (vgl. Kues 1994) – Nikolaus von Kues erkennt wie Sokrates sein Nichtwissen, während die pyrrhonischen Skeptiker Sextus, Montaigne und La Mothe Le Vayer die Unwissenheit weiter radikalisieren, da sie auch keine sichere Erkenntnis des Nichtwissens besitzen. Nikolaus von Kues vermeidet mit der theologia negativa den Fideismus, die völlige Preisgabe der Rationaltheologie als der alten philosophischen praeambula fidei, ebenso wie die umgekehrte Anmaßung, zu wissen, wer Gott sei. (Vgl. (Neuhaus 1997) – Die neopyrrhonischen Skeptiker des 16. und 17. Jahrhunderts sind dagegen zumeist Fideisten (auch Montaigne wird häufig wie auch Charron und Pascal als Fideist betrachtet), wenn sie nicht noch weiter gehen und sich – wie La Mothe Le Vayer – mehr oder minder offen ganz dem Glauben verweigern.

9 La Mothe Le Vayer beruft sich hier auf Georgius Venetus (1622, Sect. 8: 431).

10 Vgl. hierzu (Henkel / Schöne 1967).

11 Gemeint ist der mehrfache Schriftsinn, wie ihn die Kirchenväter Origines, Cassian und Hieronymus entwickelt hatten.

12 Für letzteres führt er aus Aristoteles sowie der Naturgeschichte des Plinius d. Ä (Kap. 18,6) an, dass sich die Eselin gerade zur Zeit der Sommersonnenwende decken lasse, damit ihr Junges nach etwa einem Jahr Tragezeit wieder zur günstigen warmen Jahreszeit zur Welt komme (La Mothe Le Vayer, 1988, 173–174). – La Mothe Le Vayer unterscheidet hier wie die antiken Autoren nicht zwischen Intelligenz, angeborenem Instinkt und physischen Vorgängen (Brunft etc.), wogegen Montaigne in der Frage nach einer Intelligenz der Tiere in Essai II,12 diesen Begriff stärker in Richtung Lern- und Reflexionsfähigkeit differenziert.

13 Die Stelle lautet: "pour estre soulagez de leurs peines si extrémes, ils envoyerent leurs cahyers avec leurs deputez vers Jupiter, lequel ne pouvant sans trop d'injustice dénier la meilleure part du contenu dans leurs justes demandes, éluda le coup dextrement, gauchissant avec souplesse (et ce pour beaucoup de hautes et incomprehensibles raisons) en les remettant à quand ils auroient fait un fleuve navigable de leurs urines. Or, quoy qu'ils comprinssent bien que c'estoit les remettre aux Calendes Grecques, si ont-ils esté si respectueux envers le Ciel, que du depuis, et encores aujourd'huy, passant où quelqu'un des leurs a pissé, ils s'arrestent tout court pour faire le mesme, à fin de joindre leurs eaux, et en composer une mer s'ils pouvoient." (La Mothe Le Vayer 1988: 175)

14 Erasmus' Paradoxon der scheinbaren 'Torheit' des christlichen Glaubens, unter der seine tiefere Weisheit aufscheine, beschließt das Lob der Torheit, wobei die Torheit – eine allegorische Frauengestalt – auch hier mit dem Esel in Verbindung gebracht wird: "Doch da wir einmal unsere Eselsgestalt in das Löwenfell der Bildung gekleidet haben, wollen wir auch noch beweisen, daß die Seligkeit der Christen, die sie unter so vielen Mühen erstreben, nichts anderes ist als eine Art Verrücktheit oder Torheit." An gleicher Stelle wird der christliche Glaube aber auch positiv dargestellt: "Im ganzen kann man sagen, dass ein Schimmer göttlichen Wesens sie [die Christen] umgibt." (Erasmus von Rotterdam 1949: 106) – Dies erinnert an die paulinische Antithese aus 1. Korinther 1, 18: "Denn das Wort vom Kreuz ist eine Torheit denen, die verloren werden; uns aber, die wir selig werden, ist's eine Gotteskraft."




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15 "La Nature donc ne faisant rien en vain, il est aisé de deviner à quel usage elle a voüé ce merveilleux outil; et qu'elle ne s'est pas oubliée de donner l'instinct, le courage et les forces, pour l'employer aux fins auxquelles elle l'a destiné." (La Mothe Le Vayer 1988: 182)

16 Lucius Apuleius Madaurensis, Grieche aus Madaura (Mdauruch im heutigen Ostalgerien), wird der Zweiten Sophistik zugerechnet, einer geistigen Bewegung der hohen Kaiserzeit, die philosophisches Gedankengut des klassischen Griechenland reaktualisierte und mit der lateinischen Kultur zu verschmelzen suchte. – Apuleius verfasste zahlreiche Schriften zu vielfältigen, nicht zuletzt auch philosophischen Themen, wovon Über das Daimonion des Sokrates, Über Platon und seine Lehre und eine Bearbeitung der pseudoaristotelischen Abhandlung Über das Weltall erhalten geblieben sind, der größere Teil ist jedoch verloren. Auch der Goldene Esel wird seit der Frühen Neuzeit nicht nur als ein literarisches, sondern ebenfalls als ein philosophisches Werk begriffen, das sophistischem und skeptischem Gedankengut verpflichtet ist. Es thematisiert verschiedentlich die Beeinflussbarkeit des (Gerichts-)Urteils; am deutlichsten wird Apuleius wohl in dem Erzählerkommentar zum 'Urteil des Paris' (10. Buch, Kap. 33), einem inszenierten Schauspiel. Das Urteil des Paris – ein früher Fall von Richterkorruption ? Denn in der Ilias hatte Venus bekanntlich dem Schiedsrichter Paris zuvor die schönste aller Frauen, Helena, versprochen und solcherart über Juno und Minerva triumphiert.

17 Nach dem abendlichen Mahl wollen Lucius und die Dame gemeinsam zu Bett gehen. Pseudo-Lukian erzählt: Als er sich entkleidet, stellt sie jedoch fest, dass er als Mann nicht mehr über das 'große Eselsymbol' verfüge, und sie setzt ihn enttäuscht vor die Tür. – Philonus' /La Mothe Le Vayers freie Nacherzählung verstärkt noch die Erotik der Szene, da ihm zufolge die Geliebte ihre betrübliche Entdeckung erst bei den "plus mignardes caresses" macht, "sur quoy transportée de douleur, elle chassa honteusement de devant elle celuy qui n'avoit plus le caractere magique, lequel tenoit engagées ses plus intimes et moueleuses affections." (La Mothe Le Vayer 1988: 184)

18 Reflexionen über den Themenkreis "Liebe, Sexualität, Geschlechterverhältnis" finden sich auch im Dialog Du mariage. (vgl. La Mothe Le Vayer 1988: 452 ff).

19 Der Vers steht im Heautotimorumenos (Der Selbstquäler).

20 Der verliebte Esel erscheint in Emblembüchern als Sinnbild menschlicher Tölpelhaftigkeit, die von Gott Amor belehrt, zivilisiert und beflügelt wird. So zeigt ein Emblem das Bild eines Esels, dem Amor Flügel einsetzt, unter der Devise "AMOR ADDIT INERTIBUS ALAS". In Guillaume de La Perrières (1539) Emblembuch Le Theatre des Bons Engins findet sich. als Emblem Nr. 62 ein Esel, der tanzt, wenn Amor musiziert, mit der Unterschrift: "Amour apprend les asnes à dancer, / Et les lourdaulx fait deuenir muguetz [...]" – [Amor lehrt die Esel tanzen und lässt die Tölpel zu Gecken werden].

21 Dort wird im Zusammenhang mit dem Wildesel auch das Thema Sexualität angesprochen, allerdings allein im Hinblick darauf, dass der Leithengst keinen Rivalen dulde, auch unter den eigenen Nachkommen nicht : "Zur Zeit, da die Eselsstuten werfen, geht der Leithengst, der Vater, reihum und untersucht jedes Fohlen. Und wenn ein männliches geboren wurde, dann beißt er ihm die Hoden ab, damit es keinen Samen bekommt." Die sinnbildliche Bedeutung läuft auf eine Gegenüberstellung von 'fleischlichem' Alten und 'geistlichem' Neuen Bund hinaus: "Die Patriarchen nun suchten leiblichen Samen zu säen. Die Apostel hingegen, da sie Söhne im Geist waren durch ihr Wirken, übten Enthaltsamkeit, himmlischen Samen für sich suchend." Als Gott seinen Bund mit Abraham schloss, versprach er ihm unzählbar viele Nachkommen (1. Mose 15,4). Die christlichen Apostel – Erzväter des Neuen Bundes – hätten dagegen allein geistige 'Nachfahren' gezeugt in den Menschen, die sie bekehrten, und die wiederum andere missionierten; so seien sie zu den 'Vätern' einer weitaus größeren Zahl von Menschen geworden als dies biologisch möglich wäre (vgl. Der Physiologus 2001: 19, 9). – Der Wildesel (antronius asinus) steht des weiteren auch für geistlose Körperkraft, wie in der Devise ANIMI VIRES CORPORIS VIRIBUS PRAESTARE (Die Geisteskräfte sind den Körperkräften überlegen) (vgl. Costalius 1555: 86 ).

22 Die Fabel, nach der der Esel verhungert, da er zu keiner Entscheidung zwischen den beiden gleich großen Heuhaufen fähig ist, verdankt ihren Namen dem scholastischen Philosophen Jean Buridan (ca.1300–1358), dem sie zugeschrieben wird.