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Livia Gaudino Fallegger (Giessen)



Syntax und Semantik von eingebetteten und nicht eingebetteten Sätzen



Syntax and semantics of embedded and not embedded phrases.
It is common to describe complex sentences within the syntax as a combination of a main clause with one (or several) subordinate clause(s). This approach to grammatical facts suggests that main and subordinate structures are identical, because both are understood as clauses: The sole difference between them might be the hierarchy - the subordinate clause depends on the main clause. This interpretation of complex sentences is also typical for the generative syntax, since this theory describes main clauses as well as subordinate clauses as CPs.
In the following contribution the author wants to prove that main and subordinate structures are semantically different and that their syntax reflects this difference. For Instance, what is a main clause as "I live in London" without its subordinate clause "because this is a wonderful city"? Sure, it is a sentence. Yet, a subordinate structure cannot be a sentence without its main clause. When we ask for the reason of this contradiction, we find that the presence of the conjunction makes a difference. However, the problem remains to explain why. The author argues that main clauses (or sentences) and subordinate clauses are different in relation to their truth-contents and that the conjunction impedes the evaluation of the truth-contents of the clause-proposition. Concluding her contribution she will give arguments suggesting that her analysis permits a better comprehension of the acquisition of the subordinate clauses during the language-evolution of the child. Examples from the romance languages will illustrate her thesis.


1. Einleitung

Dieser Aufsatz besteht aus zwei Teilen. Im ersten Teil werde ich zeigen, dass eingebettete und nicht eingebettete Sätze, obwohl beide als CPs (CP: complementizer phrase) erfasst werden, strukturell grundlegend verschieden sind. Im zweiten Teil werde ich diese These mit einigen Reflexionen zum Spracherwerb verknüpfen. Ich veranschauliche meine Auffassung an den romanischen Sprachen.

Sind Sprachsegmente wie (1), (2), (3) und (4) Sätze oder sind sie es nicht? Und wo liegt etwa der Unterschied zwischen (1) und (5)?

(1) sp. que hace calor
'dass es warm ist'
(2) sp. para que se lo ponga
'damit er/sie ihn anzieht'
(3) sp. ya que no tiene tiempo
'da er/sie keine Zeit hat'
(4) sp. aunque hace calor
'obwohl es warm ist'
(5) sp. hace calor
'es ist warm'

Als erstes ist zu beobachten, dass (5) als Antwort auf eine Frage wie (6) fungieren kann, wohingegen dergleichen im Falle von (1) nicht der Fall ist:

(6) sp. ¿Qué tiempo hace? (5) Hace calor
'Wie ist das Wetter?' Es ist warm
(6.1) sp. ¿Qué tiempo hace? (1) ??Que hace calor.
'Wie ist das Wetter ? 'Dass es warm ist'

Warum? Was hat also (5), das den anderen Beispielen fehlt?

Die Konjunktion scheint hierbei relevant zu sein, denn de facto ist sie dafür verantwortlich, dass das Sprachsegment, welches sie einleitet, nicht mehr als Assertion fungiert, d.h. als eine Struktur, deren Wahrheitswert vom Hörer evaluierbar ist.1 Denn während sich von einem Sprachsegment wie (5) 'es stimmt' oder 'es stimmt nicht' denken bzw. sagen lässt, ist dies im Falle von que hace calor oder etwa para que te lo ponga, sofern vom Matrixsatz losgelöst, unmöglich (vgl. Krifka 2003/04, 2. Sitzung).




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Dies löst die Frage aus, weshalb die Evaluierung des Wahrheitswertes einer Proposition unterdrückt wird, nur weil der Prädikation eine Konjunktion vorangeht. So sind wir erneut zur Frage zurückgelangt, was für hace calor so bezeichnend ist, das que hace calor oder aunque hace calor fehlt. Die Beantwortung dieser Frage macht eine Darstellung der Syntax und Semantik von eingebetteten und nicht eingebetteten Sätzen erforderlich.


2. Zum Verständnis des Satzkonzeptes

2.1 Die Syntax von nicht eingebetteten Sätzen

Im Rahmen der Generativen Syntax werden sowohl eingebettete als auch nicht eingebettete Sätze als CPs erfasst (vgl. Chomsky 1981, 1986). Die CP kann als ein dem X-bar-Schema angepasster Knoten verstanden werden, der sich oberhalb der IP (inflection phrase) befindet (vgl. Chomsky 1986). Der Kopf der CP ist COMP (complementizer). Da in COMP Konjunktionen wie que/che/'dass' oder si/se/'ob' generiert werden, welche wiederum als Einleiter jeweils deklarativ eingebetteter Sätze und indirekter Fragesätze verstanden werden, sagt man, dass COMP durch [+/-WH] spezifiziert ist, d.h. durch die grammatischen Merkmale, die den Satztypus (deklarativ, interrogativ, etc.) bestimmen (vgl. u.a. Graffi 1994: 197). Somit kann man sagen, dass COMP keine lexikalische, sondern eine funktionale Kategorie ist, wobei funktionale Kategorien sich dadurch auszeichnen, dass sie Träger von grammatischen Merkmalen (z.B. Tempus, Modus, Nominativ, etc.) sind und ihr semantischer Inhalt, verglichen mit den lexikalischen Kategorien, geringer ist (vgl. Müller 1993: 26 und im Allgemeinen die hier aufgeführten bibliographischen Angaben). Die CP verfügt wie alle anderen Knoten auch über eine Spezifikator-Stelle (Spec-CP). Hierher werden Relativpronomina sowie die Wh-Wörter (Fragewörter) bewegt, die eingebettete und nicht eingebettete Wh-Sätze einleiten. Kennzeichnend für Sprachen wie das Italienische oder das Französische2 ist hierbei, dass sie die gleichzeitige phonetische Realisierung von Spec-CP und COMP nicht zulassen, was erklären würde, dass in den besagten Sprachen sowohl bei eingebetteten als auch nicht eingebetteten Wh-Sätzen der Kopf der CP leer ist (leere Köpfe werden durch ein 'e' – empty – angezeigt):

(7) it. Che cosa ha comprato Mario? (Graffi 1994: 200)
Was hat gekauft Mario
'Was hat Mario gekauft ?'
[c''[SpecChe cosa1] [c'[compe] [I''ha comprato Mario t1]]]

Dass es Sprachen wie das Französische von Québec oder das Piemontesische gibt, in denen Spec-CP und COMP sowohl im eingebetteten als auch im nicht eingebetteten Satz gleichzeitig manifest sein können, wird wiederum als Evidenz dafür interpretiert, dass die Wh-Wörter und die Konjunktionen unterschiedliche Positionen belegen und dass die Wh-Wörter nach Spec-CP bewegt werden:




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(8) piem. Dime chi ch'a-va a Milan
Sage mir, wer dass fährt nach Mailand
'Sage mir, wer nach Mailand fährt'
(9) québ. Quoi que tu as fait? (Müller/Riemer 1998: 71)
Was dass du hast gemacht
'Was hast du gemacht'

Nicht eingebettete Deklarativsätze des Spanischen, Italienischen etc. scheinen auf Anhieb keine CP zu sein, denn bei diesem Satztypus ist die CP nicht manifest:

(10) sp. Pablo ha comprado el pan
Paul hat gekauft das Brot
'Paul hat das Brot gekauft'
[c''[Spece] [c'[compe] [I''Pablo ha comprado el pan]]]

Als Nachweis dafür, dass auch nicht eingebettete Sätze CPs sind, werden Beispiele wie (11) und (12) genannt, in denen COMP unter spezifischen kommunikativen Bedingungen auch außerhalb der eingebetteten Sätze phonetisch manifest ist:

(11) sp. Que mi gato se enratonó (Graffi 1994: 199)
dass meine Katze sich an Mäusen überfraß
'Meine Katze hat sich an Mäusen überfressen'
(12) frz. Qu' elle est bavarde! (Graffi 1994: 200)
dass sie ist geschwätzig
'Wie geschwätzig sie nur ist'

Schließlich sei erwähnt, dass COMP in nicht eingebetteten Deklarativsätzen von V2-Sprachen wie dem Deutschen durch das dorthin bewegte finite Verb [+F] belegt wird. Erklärt wird diese Annahme dadurch, dass in nicht eingebetteten Deklarativsätzen des Deutschen sich das finite Verb, das sonst im eingebetteten Satz am Satzende steht, nach COMP bewegen kann, weil diese Position durch keine Konjunktion belegt ist.

Fassen wir zusammen: Sowohl nicht eingebettete als auch eingebettete Sätze gelten als Strukturen, deren oberster Knoten eine CP ist, wobei der Kopf der CP nur in eingebetteten Sätzen systematisch durch in situ generierte lexikalische Elemente manifest wird. Da die CP funktional betrachtet auf die grammatischen Merkmale spezialisiert ist, die den Satztypus [+/-WH] bestimmen, geht aus dieser Analyse hervor, dass sowohl nicht eingebettete als auch eingebettete Sätze gleichermaßen über einen Satztypus verfügen, so dass aus diesem Blickwinkel auch eingebettete Sätze als deklarativ oder (indirekt) interrogativ verstanden werden können.




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2.2 Die Semantik von nicht eingebetteten Sätzen

Folgt man Ferrari (1995), deren Beschreibungsmodell sich u.a. auf Frege bezieht, lässt sich die semantische Struktur eines nicht eingebetteten Deklarativsatzes wie (13)

(13) sp. Afortunadamente hace calor
'Zum Glück ist es warm'

durch folgende Formalisierung erfassen:

(14) [Satzmodus (ATT (p))]

(14) besagt, dass ein Satz semantisch aus drei Bestandteilen besteht: einer Proposition (p), einer Sprechereinstellung (ATT. d.h. attitude/attitudine) und einem Satzmodus. Die Proposition fällt syntaktisch mit der Prädikation, also mit der IP und den von der IP dominierten Knoten, zusammen; Satzmodus und ATT sind dagegen nach Ferrari keine denotativen Inhalte (contenuti posizionali), die mit der Evaluierung der Proposition zu tun haben. Der ATT-Operator steht für die Einstellung des Sprechers gegenüber der Proposition: Diese kann epistemischer, deontischer und emotionaler Natur sein, wobei die epistemische Einstellung immer gegeben ist, (auch wenn die ATT-Stelle wie etwa in (5) nicht explizit verbalisiert ist), weil eine Proposition, sofern sie Teil eines Satzes ist, immer Operand einer evaluierenden Einstellung ist (Ferrari 1995: 104).

Syntaktisch ist der Knoten, der für ATT zuständig ist, außerhalb der IP angesiedelt. Wendet man Rizzis Beschreibung der left periphery an (vgl. Rizzi 2002), dann könnte man annehmen, dass die Phrase, die ATT vermittelt, ihren Platz in MOD (head modifier) haben könnte, einer Stelle, die die Prädikation als Ganzes (also die IP) modifiziert. (15) beschreibt in einer von mir vereinfachten Version die Struktur des linken Satzrandes nach Rizzi:

(15) Force Top Fokus Mod IP.3 Der Satzmodus ist verglichen mit der Proposition und der propositionalen Einstellung eine abstraktere Dimension. Semantisch steht er in Verbindung mit der Evaluierung des Wahrheitswerts eines Satzes seitens des Sprechers.4 Der Grundgedanke wahrheitsfunktionaler Semantiken besteht in der Annahme, dass die Bedeutung eines Sprachsegments mit seinem Wahrheitswert zusammenfällt, wobei sich dieser aus der Bedeutung der dazu gehörenden Teile und der Art ihrer syntaktischen Kombination errechnen lässt (vgl. Krifka 2003/04, 2. Sitzung ). Die Bedeutung eines Satzes zu kennen, heißt somit zu wissen, welcher Sachverhalt bestehen muss, damit der Satz wahr ist (vgl. oben Fußnote 1). Der Satzmodus hat also mit diesem Evaluierungsvorgang zu tun.




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Der Satzmodus eines Satzes kann laut Ferrari 'geschlossen' oder 'offen' sein. Ist der Satzmodus 'geschlossen', was syntaktisch bei dem deklarativen Satztypus der Fall ist, dann steht die Assertion der Struktur

(16) [ATT (p)]

im Vordergrund, d.h. also dass Sprecher und Hörer sich in der Lage sehen, die Proposition (p) als angenommen zu präsentieren. Ist der Satztypus nicht deklarativ, sondern z.B. interrogativ, dann ist der Satzmodus 'offen' (Ferrari 1995: 113) und die Evaluierung des Wahrheitswerts tritt in den Hintergrund zugunsten anderer Dimensionen der semantischen Repräsentation, z.B. der Illokution. So kommt in (13) eine affektive Evaluierung der Proposition zustande, die durch den geschlossenen Satzmodus als vom Sprecher angenommen präsentiert wird. Die Opposition zwischen 'offen' und 'geschlossen' erklärt, weshalb ein Satz wie

(13.1) sp. ??¿Afortunadamente hace calor?

widersprüchlich ist. Denn afortunadamente setzt die Faktivität der Proposition voraus (ein Sachverhalt kann erst dann als ein 'Glücksfall' bezeichnet werden, wenn er als gegeben gilt) und ist demzufolge inkompatibel mit dem offenen Satzmodus von (13.1), d.h. mit einem Satzmodus, der auf den Wahrheitswert der Proposition bezogen nicht aussagekräftig ist.

Syntaktisch fällt der Satzmodus mit dem Satztypus zusammen (deklarativ, interrogativ, imperativ, exklamativ), wobei die grammatischen Merkmale, die den Satztypus hervorrufen, ihren Platz in der CP finden.

Eine Annahme dieses Typs ist auch in Rizzi zu finden, wenn er eine Parallele zwischen clausal Type und Force herstellt:

"Complementizers express the fact that a sentence is a question, a declarative, an exclamative, a relative, a comparative, an adverbial of a certain kind, etc. and can be selected as such by a higher selector. This information is sometimes called the clausal Type [...] or the specification of Force [...]. Force is expressed sometimes by overt morphological encoding on the head (special C morphology for declaratives, questions, relatives, etc.), sometimes by simply providing the structure to host an operator of the required kind, sometimes by both means [...]."(1997: 283).

Dass man eine Brücke zwischen der CP, dem Satztypus und der semantischen Komponente Satzmodus schlägt, ist nicht abwegig: Der Satzmodus übt Skopus über die Struktur

(16) [ATT (p)]

als Ganzes aus und muss daher eine Position belegen, die extern genug ist, um dies bewerkstelligen zu können.




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Fassen wir zusammen: Ein (nicht eingebetteter) Satz ist semantisch betrachtet eine durch eine Einstellung modalisierte Proposition. Sätze sind dadurch gekennzeichnet, dass sie einen Satzmodus haben. Der Satzmodus drückt den Erkenntnisstand des Sprechers gegenüber der Struktur (16) aus. Der Satzmodus kann geschlossen oder offen sein. Ist er geschlossen, drückt der Satz eine Assertion aus, und der Evaluierung seines Wahrheitswerts steht nichts entgegen. Ist der Satzmodus offen, dann ist der Satz nicht assertiv und die Evaluierung seines Wahrheitswerts kann nicht geleistet werden.


2.3 Der Satzmodus in eingebetteten Sätzen

Kehren wir jetzt zu den eingebetteten Sätzen zurück und stellen wir uns die Frage, welche Wechselwirkungen in Strukturen wie etwa (1), (2), (3) oder (4) zwischen dem Satztypus und dem Satzmodus gegeben sind.

Da (1) im Unterschied zu (5) als Sprachsegment an und für sich nicht assertierbar ist, kann zuerst ausgeschlossen werden, es handle sich dabei um einen (wenn auch eingebetteten) Satz mit einem deklarativen Satztypus. Daraus geht als erstes hervor, dass der Satzmodus von (1) nicht 'geschlossen' sein kann. Die zweitmögliche Lösung ist zu denken, dass (1) eine Struktur ist, die, wie etwa direkte Fragesätze, über einen 'offenen' Satzmodus verfügt. Diese Annahme scheint allerdings nicht zu stimmen. Sätze, die über einen offenen Satzmodus verfügen, sind (vgl. 13.1) mit Einstellungen inkompatibel, die die Faktivität der Proposition voraussetzen, auf die sie Skopus haben. Da jedoch Strukturen wie (17)

(17) sp. que desgraciadamente Pablo está mal
'Paul fühlt sich leider schlecht'
(17.1) sp. Dice que Pablo desgraciadamente está mal
'Er/sie sagt, dass sich Paul leider schlecht fühlt'

welche die Modalisierung durch Adverbialphrasen wie desgraciadamente, afortunadamente etc. erlauben, durchaus denkbar sind, ist auch die Annahme, sie hätten einen offenen Satzmodus, in Frage gestellt. Aus diesen widersprüchlichen Daten scheint sich zu ergeben, dass Sprachsegmente wie (1), (2) oder (17) keinen Satzmodus haben, und zwar weder einen geschlossenen noch einen offenen. Eine Schlussfolgerung dieser Art scheint syntaktisch betrachtet auf Anhieb unlogisch zu sein, vor allem wenn man davon ausgeht, dass sowohl nicht eingebettete als auch eingebettete Sätze CPs sind, d.h. Strukturen, die eine Prädisposition für den Satztypus und daher auch für den Satzmodus enthalten.

Ferrari löst diesen Widerspruch, indem sie die Hypothese aufstellt, dass eingebettete Sätze im Skopus des Satzmodus des Matrixsatzes stehen, sodass ihre semantische Struktur mit einer Formalisierung zusammenfällt, welcher der Satzmodus fehlt (vgl. 18). Dadurch erklärt sie übrigens auch, weshalb eingebettete Sätze einen Matrixsatz benötigen:




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(18) [«Konj» (ATT (p))]

Fassen wir zusammen: Semantisch wären also eingebettete Sätze Konstrukte, die im Unterschied zu nicht eingebetteten über keinen autonomen Satzmodus verfügen. Sie würden deswegen den Satzmodus des Matrixsatzes teilen.5


2.4 COMP in eingebetteten Sätzen: eine alternative Beschreibung

Das gerade geschilderte Verständnis der eingebetteten und nicht eingebetteten Sätze wirft etliche Fragen auf:

  • Wie kann es möglich sein, dass eingebettete Sätze keinen Satzmodus aufweisen, wenn sie genauso wie nicht eingebettete Sätze CPs sind und daher syntaktisch betrachtet über die grammatischen Merkmale verfügen, die den Satztypus spezifizieren?

  • Sind Sprachsegmente mit der semantischen Struktur (18), d.h. Sprachsegmente, die im Unterschied zu (14) über keinen autonomen Satzmodus verfügen, noch Sätze?

Hierzu formuliere ich folgende zwei Hypothesen:

  • Wenn Strukturen wie (1), (2) oder (17) über keinen autonomen Satzmodus verfügen, liegt dies daran, dass die Konjunktion seine Auslösung hemmt, so dass eine Evaluierung des Wahrheitswerts der Proposition unmöglich wird.

  • Da Sätze semantisch die Struktur

    (14) [Satzmodus (ATT (p))]

    aufweisen, können Konstrukte wie (1) oder (17), denen semantisch die Formalisierung (18) zukommt, keine Sätze sein.

Konstrukte wie (1), (4) oder (17) haben zwar genauso wie nicht eingebettete Sätze eine CP und verfügen aufgrund von COMP über die notwendige Anlage, um den Satztypus zu generieren und den Satzmodus zu bestimmen. Diese funktionalen Merkmale werden allerdings dadurch, dass COMP durch eine Konjunktion belegt ist, sozusagen ausgeschaltet. Daraus geht hervor, dass syntaktisch betrachtet COMP ein 'anomaler' funktioneller Kopf ist. Denn die grammatischen Merkmale, die von COMP abhängen, sind eben dann 'aktiv', wenn er durch keine der Formen belegt wird, die sonst in situ generiert werden können. Damit also ein Satz deklarativ ist und semantisch über den geschlossenen Satzmodus verfügt, darf COMP durch keine Konjunktion spezifiziert werden.

Ist COMP durch keine Konjunktion belegt und befindet sich ein Wh-Wort in Spec-CP, dann ist der nicht eingebettete Satz interrogativ und sein Satzmodus ist offen. Wird wie in (17) COMP durch eine Konjunktion belegt, dann werden die grammatischen Merkmale, die an den deklarativen Satztypus gekoppelt sind, ausgeschaltet, und das Konstrukt rückt als Ganzes in den Skopus des Satzmodus des Matrixsatzes (vgl. 17.1).




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Ich schlage daher vor, dass die grammatische Funktion der (nicht koordinierenden) Konjunktionen darin besteht, COMP zu belegen, damit die Merkmale, die syntaktisch den deklarativen Satztypus und semantisch den geschlossenen Satzmodus auslösen, ausgeschaltet werden.

Stimmt diese Analyse, dann ist die Frage fällig, ob es berechtigt ist, Strukturen wie (1), (2), (3), (4) oder (17), denen semantisch betrachtet die Formalisierung (18) und nicht (14) zukommt, weil dort COMP durch eine Konjunktion belegt ist, weiterhin als Sätze zu bezeichnen. Mir scheint es vorteilhafter, den semantischen Unterschied zu berücksichtigen, indem man nur die CPs als Sätze bezeichnet, bei denen COMP durch keine Konjunktion belegt ist. Für die eingebetteten Sätze, die durch eine Konjunktion eingeleitet werden, würde ich daher die Bezeichnung 'Klauseln'6 verwenden.

Fassen wir zusammen. Ich habe folgende Hypothese formuliert:

Sowohl eingebettete als auch nicht eingebettete Sätze sind CPs, deren Kopf COMP ist. COMP ist funktionell betrachtet mit grammatischen Merkmalen gekoppelt, die den Satztypus prägen. Der Satztypus korreliert semantisch betrachtet mit dem Satzmodus. COMP ist allerdings ein 'anomaler' funktionaler Kopf. Denn er ist dann aktiv, wenn er, wie im nicht eingebetteten Deklarativsatz (10), durch keine Konjunktion spezifiziert ist. Ist er dagegen durch eine Konjunktion spezifiziert, dann werden die grammatischen Merkmale, die den Satztypus auslösen, unterdrückt. Der Satzmodus steht in Verbindung mit der Evaluierung des Wahrheitswerts eines Sprachsegments. Verfügt ein Sprachsegment über keinen Satzmodus, ist die Evaluierung seines Wahrheitswerts nicht möglich. Dies ist der Fall bei eingebetteten Sätzen, d.h. bei Konstrukten, von denen wie im Falle von (1), (2) oder (17) nicht 'es stimmt' oder 'es stimmt nicht' gesagt bzw. gedacht werden kann.

Um hervorzuheben, dass durch subordinierende Konjunktionen eingeleitete Sätze und nicht eingebettete Sätze aufgrund der anomalen Funktionsweise von COMP syntaktisch und semantisch verschieden sind, schlage ich vor, die ersteren als Klauseln zu bezeichnen.


3. Zum Spracherwerb von COMP

Ich werde jetzt zeigen, dass meine Auffassung von COMP das Verständnis des Spracherwerbs von durch Konjunktionen eingeleiteten Klauseln erleichtern kann.

Müller (1993) stellt in ihrer auf Chomskys Prinzipien- und Parametermodell basierenden Studie fest, dass bilinguale Kinder (Deutsch/Französisch) im Alter zwischen zwei und drei Jahren eine sprachliche Phase durchlaufen, in der sie semantische Relationen, die bei den Erwachsenen anhand von eingebetteten Konstrukten versprachlicht werden, parataktisch durch Vorläuferstrukturen ohne Konjunktion ausdrücken (Müller 1993: 121).7 Sie scheinen also in der Lage zu sein, komplexe semantische Relationen zu erfassen, beherrschen jedoch die Syntax des eingebetteten Satzes nicht. Gleichzeitig sind sie allerdings bereits in der Lage, komplexe semantische Relationen anhand der koordinierenden Konjunktionen auszudrücken.8 Aus diesen Beobachtungen stellt sich die Frage nach dem Erwerb von COMP und nach seinem Zusammenhang mit den semantischen Relationen.




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Zum Erwerb von COMP bietet die Literatur zwei entgegengesetzte Forschungsansätze (Müller 1993: § 3.3). Der erste geht davon aus, dass Kinder COMP erst dann tatsächlich erwerben, wenn sie die ersten eingebetteten Sätze mit Konjunktion produzieren. Wenn also komplexe Sätze erst später erworben werden, kann der Grund ausgehend von diesem Ansatz nicht in der Komplexität der semantischen Relationen liegen, die solche Konstrukte vermitteln, sondern darin, dass während der primären Spracherwerbsphase in der funktionell noch nicht spezifizierten Satzstruktur des Kindes die CP-Stelle fehlt: Konstrukte mit koordinierenden Konjunktionen würden dagegen erzeugt, weil diese Konjunktionen nicht in der CP generiert werden. An diesen Forschungsansatz geknüpft ist allerdings auch die Annahme, dass Kinder nicht in der Lage sein sollten, Ergänzungsfragesätze zu produzieren, denn die Wh-Wörter werden nach Spec-CP bewegt, und wenn die CP in der primären Spracherwerbsphase nicht vorhanden ist, dann ist die Produktion von Wh-Fragen nicht möglich. Da allerdings diese Annahme nur für die eingebetteten Wh-Fragen zutrifft, weil Kinder nicht eingebettete Wh-Fragen bereits vor dem Erwerb der subordinierenden Konjunktionen verwenden (vgl. bei Müller 1993 etwa S. 104 oder 125), könne dieser erste Ansatz ohne eine Revision nicht weiter angenommen werden.

Der zweite Forschungsansatz geht davon aus, dass Kinder gleichzeitig über die IP und die CP (und somit auch über COMP) verfügen. Müller kritisiert diese Annahme wie folgt:

"Die Frage, aus welchem Grund der Erwerb von nebensatzeinleitenden Elementen einer späteren Erwerbsphase zugeordnet ist, wird entweder nicht gestellt [...] oder aber damit beantwortet, dass Nebensätze komplexer sind als Hauptsätze und möglicherweise deshalb von den Kindern auch erst später erworben werden [...]. Dem steht aber entgegen, dass Kinder schon sehr früh uneingeleitete oder undifferenziert eingeleitete Nebensätze gebrauchen." (Müller 1993: 109)

Aufgrund der erkenntnistheoretischen Schwächen dieser zwei Ansätze schlägt die Autorin einen dritten Lösungsansatz vor, den sie als Kompromiss zwischen den zwei vorgestellten Positionen versteht. In Anlehnung an Forschungsansätze, die davon ausgehen, dass die kindliche Grammatik zuerst nur über unterspezifizierte funktionale Kategorien verfügt, nimmt Müller an, dass der Erwerb von funktionalen Kategorien (und daher auch von COMP) allmählich verläuft, so dass sich die für die Erwachsenensprache relevante Spezifikation erst im Laufe der Zeit vollständig entwickelt.9




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An die Überlegungen von Müller anknüpfend, möchte ich jetzt meine Auffassung darlegen. Geht man von Müllers empirisch gewonnenen Daten aus, lässt sich feststellen, dass Kinder zuerst Strukturen produzieren, die allmählich die Form von nicht eingebetteten, eventuell koordinierten oder juxtaponierten Sätzen einnehmen. Dazu lassen sich sowohl nicht eingebettete Deklarativsätze als auch Ja/Nein- und Wh-Fragen zählen. Da, wie unter § 2 gezeigt, das kennzeichnende Merkmal dieser Strukturen darin besteht, dass sie semantisch einen Satzmodus aufweisen (geschlossen bzw. offen), ist auch davon auszugehen, dass, damit sie hervorgebracht werden, der Zugang zur semantischen Größe Satzmodus vorhanden zu sein hat. Für diese Annahme würde m.E. auch die Beobachtung sprechen, dass Kinder früh mit den Pro-Sätzen10 ('ja') / no ('nein') umgehen können und dass deren Verwendung einen an den Satzmodus gekoppelten Evaluierungsvorgang voraussetzt. Dass Menschen sehr früh mit der sprachlichen Evaluierung von Propositionen umgehen müssen, ist phylo- und ontogenetisch bedingt: Will das Kind die Welt sprachlich erkunden und entdecken, um sich als 'Ich' von ihr abzuheben, muss es schnellstens in die Lage versetzt werden, Evaluierungsurteile über Sachverhalte (z.B. sí/no) auszusprechen; dies kann es allerdings ohne die semantische Kategorie Satzmodus zu beherrschen nicht leisten.

Da, wie gezeigt, syntaktisch der Satzmodus mit dem Satztypus zusammenfällt und die grammatischen Merkmale, die den Satztypus spezifizieren, an die CP assoziiert sind, muss davon ausgegangen werden, dass die CP und somit auch COMP, sobald Kinder nicht eingebettete Sätze produzieren, vorhanden zu sein hat. Wie lässt es sich aber erklären, dass sie eingebettete Konstrukte nicht gleichzeitig mit den nicht eingebetten erwerben? Diese Frage ist um so relevanter, wenn man weiss (vgl. oben S. 9), dass Kinder doch sehr früh mit semantischen Relationen umgehen können.

Damit ein Kind in der Lage ist, mit eingebetteten Konstrukten umzugehen, muss es die Struktur der Klausel beherrschen: Es muss also erlernen, mit der anomalen funktionalen Kategorie COMP umzugehen, d.h. mit einer Kategorie, die laut meiner Hypothese erst dann selegiert ist (deklarativ), wenn sie nicht durch in situ generierte Konjunktionen manifest wird. Damit Kinder mit satzmoduslosen Konstrukten wie den Klauseln umgehen können, müssen sie also lernen, dass COMP erst dann nicht selegiert wird, wenn es durch eine Konjunktion belegt ist: Dieses procedere kann von Kind zu Kind unterschiedliche Schwierigkeiten hervorrufen, was dazu führt, dass die Produktion von Klauseln von Kind zu Kind chronologisch verschieden ist.

Auf einen späteren Zeitpunkt verlegt wird somit beim Spracherwerb nicht die vollständige Aktivierung von COMP, sondern die Ausblendung derselben durch die Konjunktionen. Dass Kinder mit semantischen Relationen umgehen können, obwohl sie die Syntax der eingebetteten Konstrukte nicht beherrschen, liegt somit nicht an der vermeintlichen Komplexität besagter Relationen, sondern an der Komplexität der Funktionsweise von COMP, d.h. einer funktionalen Kategorie, die paradoxerweise dann aktiviert ist, wenn sie nicht manifest ist. Dass laut Müller Kinder eingebettete Konstrukte mit lexikalischen Konjunktionen wie 'weil', puisque, quand etc. noch vor den que/'dass'-Klauseln11 mit Subjekt- oder Objektfunktion hervorbringen, deutet wahrscheinlich darauf hin, dass es die funktionalen Kategorien sind, die die meisten Probleme beim Spracherwerb hervorrufen: Denn die Beherrschung der que/'dass'-Klauseln setzt nicht nur die Ausschaltung des Satzmodus voraus, sondern auch den korrekten Umgang mit dem Subkategorisierungsmuster des im Matrixsatz enthaltenen Prädikats.




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4. Fazit

Meine Ausgangsfrage war, weshalb von Sprachsegmenten wie (1), (2), (3), (4) oder (17) nicht 'es stimmt' oder 'es stimmt nicht' gesagt bzw. gedacht werden kann. Als Ursache für diese Erscheinung habe ich in Übereinstimmung mit Ferrari angenommen, dass die benannten Beispiele im Unterschied zu nicht eingebetteten Sätzen über keinen autonomen Satzmodus verfügen. Diese Annahme verletzt allerdings das sonst im generativistischen Ansatz verankerte Verständnis, sowohl eingebettete als auch nicht eingebettete Sätze seien CPs. Denn sie löst die Frage aus, weshalb syntaktisch identische Strukturen semantisch verschieden sind.

Als Antwort habe ich vorgeschlagen, dass sich das unterschiedliche semantische Verhalten von eingebetteten und nicht eingebetteten Sätzen mit dem anomalen funktionalen Verhalten von COMP erklären lässt. COMP ist mit den grammatischen Merkmalen assoziiert, die den deklarativen Satztypus selegieren. Diese Funktion ist dann spezifiziert, wenn COMP durch keine sonst in situ generierte Konjunktion belegt ist. Ist COMP sozusagen 'ausgeschaltet', weil es durch eine Konjunktion manifest wird, dann kann der Satztypus nicht mehr spezifiziert werden, und die ganze CP rückt in den Skopus des Satzmodus des Matrixsatzes.

Aufgrund dieser Argumentation schlage ich vor, CPs, deren Kopf durch eine subordinierende Konjunktion belegt ist und die deswegen semantisch betrachtet satzmoduslos sind, als Klauseln zu bezeichnen.

Der Spracherwerb der Klauseln ist verspätet, weil Kinder, philo- und ontogenetisch bedingt, von Anfang an Strukturen mit Satzmodus erlernen und die Handhabung der Klauseln die Beherrschung des Verfahrens voraussetzt, das die Unterdrückung des Satzmodus sicherstellt: eine Fähigkeit, die erst allmählich erworben wird, wenn das Kind lernt, mit dem anomalen Status von COMP umzugehen.


Bibliographie

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Anmerkungen

1 "Einen Satz verstehen, heißt, wissen was der Fall ist, wenn er wahr ist. (Man kann ihn also verstehen, ohne zu wissen, ob er wahr ist.) Man versteht ihn, wenn man seine Bestandteile versteht." (Wittgenstein 91993: Satz 4.024).

2 Das Spanische verhält sich diesbezüglich anders, denn diese Sprache erlaubt Konstrukte wie:

Gritó/balbuceó *(que) por qué lo habían hecho (Fernández/Anula 1995: 320)
Schrie/stotterte dass warum es hatten gemacht
'Er/sie schrie/stotterte, weshalb sie es getan hatten'

Dieses Beispiel ist in mehrerer Hinsicht interessant. Es enthält eine eingebettete Wh-Frage, bei der COMP durch eine Konjunktion belegt ist. Darüber hinaus stellt die Reihenfolge 'Konjunktionen + Wh-Wort' geradezu eine Umkehrung der sonst in den anderen romanischen Sprachen vorhandenen Distributionsverhältnisse dar (vgl. unten die Beispiele 8 und 9).

3 Rizzis Ansatz ist im Rahmen des minimalistischen Programms angesiedelt und gilt als Versuch, das Prinzipien- und Parametermodell weiterzuentwickeln. Er geht davon aus, dass die Annahme einer nach dem X-bar-Schema strukturierten CP "too simplistic" ist; vielmehr scheine es so zu sein, dass die CP, wie schon im Falle der IP, welche nach und nach als ein durch mehrere Bestandteile zusammengesetzter Komplex verstanden wurde, ein aus mehreren Positionen bestehendes C-System bildet, das als Ganzes den linken Satzrand (also die pre-IP) prägt.

4 Es sei angemerkt, dass das Satzmodusverständnis von Ferrari deutlich vom herkömmlichen abweicht. In Bußmann (2002: 582) ist nämlich zu lesen: "[...] Systematischer Zusammenhang von (durch bestimmte formale, grammatische Eigenschaften definierten) Satztypen zu spezifischen pragmatischen Funktionstypen [...] Aussage, Frage, Aufforderung, Wunsch [etc. L.G.F.]" Kritisch gegenüber der Annahme eines systematischen Zusammenhangs zwischen dem Satztyp und dem pragmatischen Funktionstyp äußert sich dagegen Altmann (1993: 1008): "Es empfiehlt sich [...] grundsätzlich, von einer relativ großen Distanz zwischen der Strukturbedeutung von Satztypen im Satzmodussystem und sprachlichen Handlungstypen auszugehen [...]", denn die "[...] Funktionstypen im Satzmodussystem stehen für die rein strukturelle Bedeutung der entsprechenden Satztypen, die unabhängig vom Beitrag der jeweiligen lexikalischen Füllung und vom Einfluß des sprachlichen und nichtsprachlichen Kontexts auf diese Äußerungsbedeutung gegeben ist." Gerade weil ein systematischer Bezug zwischen dem Satztyp und der erzielten pragmatischen Handlung nicht vorhanden ist, stellt m.E. die revidierte Satzmodusauffassung von Ferrari einen Beitrag zur Entwickung weiterer, adäquaterer Beschreibungsmodelle dar.

5 Ähnliche Überlegungen hatte übrigens auch schon Frege angestellt: "Ich gebrauche das Wort »Satz« hier nicht im Sinne der Grammatik, die auch Nebensätze kennt. Ein abgesonderter Nebensatz hat nicht immer einen Sinn, bei dem Wahrheit in Frage kommen kann, während das Satzgefüge, dem er angehört, einen solchen Sinn hat." (Frege 52003: 40).

6 Für Garrido Medina (1997: 183) ist die claúsula "[...] el sintagma de la flexión, es decir, el sintagma con el núcleo deíctico del verbo, que comprende la concordancia de persona y número, la polaridad (negativa o positiva), el modo, el tiempo y el aspecto."

7 Diese Feststellung ist in der Literatur zum Erwerb komplexer Sätze oft vorzufinden. Für einen Überblick dazu vgl. Müller 1993: 83-84.

8 Müller (1993: 87) stellt fest, dass 'und' zu den von den Kindern zuerst verwendeten Konjunktionen zählt.

9 Eine Rolle scheint dabei auch die syntaktische Beschaffenheit der vom Kind aktivierten Zielsprache zu spielen.

10 Für die Prägung dieses Begriffs habe ich mich an der Bezeichnung profrase orientiert: Sie wird z.B. von Graffi verwendet, um u.a. Partikeln wie und no, "(che L.G.F.) hanno cioè il valore di un'intera frase", zu bezeichnen (Graffi 1994: 48).

11 "Weitgehende Übereinstimmung besteht bezüglich der Erwerbsreihenfolge einzelner Einleiter. Adverbiale Konjunktionen wie parce que und quand werden vor den Komplementierern que und si erworben." (Müller 1993: 86)

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