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Michael Niehaus (Bochum)



Geständnismotivierung um 1800 als Problem
Eine Kriminalgeschichte von August Gottlieb Meißner



Motivating Confessions at the Turn of the 19th Century: A Crime Story by August Gottlieb Meißner
This paper focuses on the reading of a 'crime story' written by August Gottlieb Meißner in 1796. In Meißner's account of an authentic case an unfortunate young man having deprived and murdered his betrothed cannot be brought to confession even under torture. Meißner's further presentation centers on the problem how a confession could be obtained without using torture and without attempting to mobilize motivations like honour or penitence. In the end, the confession takes place only after a personal relation between the interrogator and the accused has been established. Moreover, it takes place in a specific situation which can be presented only by a literary description. This situation is characterized by an indirect approach taken by the interrogator, precisely, by attempting to evoke the unsaid in communication. In his 'crime story', Meißner argues that this new psychological approach which combines personal interaction with judical interrogation has to be rejected from a moral point of view. In Meißner's opinion, the defendant has been fallen victim to some sort of interrogative trickery because the communication between interrogator and defendant was not founded on mutual sincerity.


1 Einleitung

In August Gottlieb Meißners Kriminal-Geschichten von 1796 findet sich eine Darstellung mit dem ebenso schönen wie umständlichen Titel Mörder seiner Verlobten und Räuber! dann eine Zeitlang redlicher Mann; seltsam entdeckt, noch seltsamer sich selbst angebend. Der Fall ist – wie gegen Ende zur Rechtfertigung des außergewöhnlichen Umfangs von über siebzig Seiten erklärt wird – aus "einem handschriftlichen Aufsatz, aus guter Quelle mir mitgetheilt, oft mit wörtlichen Extrakten aus den Akten begleitet" (Meißner 1796: 316).




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Der Titel kündigt an, daß sich dieser Mörder selbst angibt, daß er von sich aus auf eine seltsame Weise ein Geständnis ablegt. Um 1800 beginnt ein Diskurs, der das Geständnis überhaupt, vor allem aber das gerichtliche Geständnis, für eine 'psychologische Merkwürdigkeit' ansieht. Das Geständnis ist umso erklärungsbedürftiger, als ihm die Abschaffung der peinlichen Frage, der Folter den Anschein der Freiwilligkeit gibt. Warum legt man ein Geständnis ab, wenn es schwerwiegende nachteilige Folgen hat, wenn es (wie im inquisitorisch geführten deutschen Strafverfahren) in der Regel die Voraussetzung für eine Verurteilung zur ordentlichen Strafe darstellt? "Allgemeine Erfahrungen über die menschliche Natur lehren uns", erläutert zum Beispiel der Hofgerichtsrat Gerau in einem Artikel 'über die Bedeutung des Geständnisses im allgemeinen' wortreich, "daß der sinnlichen Natur des Menschen ein mächtig wirkender Trieb der Erhaltung und des Lebensgenusses innewohnt, […] und eben so der sittlichen Natur der Trieb nach Ehre und äußerer Anerkennung […] so tief und mächtig eingepflanzt ist, […] daß die Menschen nur zu viel zu Hinterhaltung der Wahrheit in ihrem Interesse, wenn an deren Offenbarung sich Nachtheile und Schande knüpfen, sich verleiten lassen" (Gerau 1844: 288).

Die Feststellung, daß der abendländische Mensch seit dem ausgehenden Mittelalter zum "Geständnistier" (Foucault 1977: 77) geworden sei, ist nur die Kehrseite der Aufmerksamkeit für die Unwahrscheinlichkeit des Geständnisses als einer psychologischen Merkwürdigkeit. Das Geständnis ist etwas, was ein Motiv hat, und es ist etwas, wozu motiviert werden muß. Der in der Kriminalgeschichte Meißners zur Darstellung gebrachte Fall taugt einerseits als ein Paradigma, als ein Musterbeispiel für Geständnismotivierung.1 Er stellt aber andererseits zugleich eine Ausnahme dar.2 Damit exponiert er das Problem, das die Geständnismotivierung aufwirft.


2 Die Vorgeschichte

Der spätere Täter, der junge Kaufmannssohn Heinrich R., will eine Frau heiraten, die "ihren Jahren nach reichlich für Heinrichs Mutter, ihrem Ansehn nach fast für seine Großmutter gelten konnte" (Meißner 1796: 256), um aus einer durch den Tod seines Vaters verursachten finanziellen Notlage zu kommen. Die Frau weiß aber ihr Vermögen wohl zusammenzuhalten und dringt auf einen Heiratsvertrag, der ihren Gatten völlig von ihr abhängig machen würde.




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Die Warnungen vor einer solchen Heirat bleiben nicht aus und werden ausführlich geschildert. Ein Freund redet ihm ins Gewissen. Und Heinrich schwankt, ob er nicht einfach stattdessen in die Fremde gehen und sich so den Gläubigern entziehen soll. Inzwischen rückt die Heirat näher. Bei einem Besuch bei seiner Verlobten, die sich auch als Wucherin betätigt und nun zu allem Überdruß mit ihrem Vermögen prahlt, kommen ihm "Gedanken, die er noch nie gehegt, Entwürfe, deren dunkles Gewühl er nicht sogleich zu ordnen vermochte, Empfindungen, wofür er keinen Namen hatte" (ebd.: 269). Er eilt davon, doch wird er von einer Stimme verfolgt, die ihm zuzurufen scheint: "Bemächtige dich dieser Summe!" (Ebd.: 269) Dann faßt er den Entschluß, das Geld und die Wertpapiere zu entwenden. Da hierfür aber wegen der Vorsichtsmaßnahmen seiner Verlobten wenig Aussicht besteht, ringt er sich zur gewaltsamen Tat durch:

Noch ein paarmal bebte er bei dem Gedanken: Gewaltsam! Gewaltsam gegen eine Person, die sich bereits für deine künftige Gattin hält, und dich zu ihrem künftigen Erben erklärt hat! zurück. Noch einigemal rang sein guter und sein böser Genius mit einander, und der erstere unterlag. (Ebd.: 271)

Auch jetzt denkt er nicht an Mord, sondern will seine Verlobte nur binden und knebeln. Das Rasiermesser steckt er "blos auf den höchsten Nothfall" (ebd.: 272) ein.

Die reich ausgestaltete Vorgeschichte legt mithin dar, daß der Täter kein hoffnungsloses Subjekt ist. Seine Gedanken und die Umstände führen ihn vielmehr zur Tat wie auf einer schiefen Ebene, ohne daß dies freilich seine Freiheit der Wahl beeinträchtigte, da es stets Alternativen gibt. Immerhin wird er auf diese Weise vorweg als ein Subjekt charakterisiert, das sozusagen geständnisfähig ist, das ansprechbar ist. Und daß dieses Subjekt ein Geständnis abgelegt hat, daß es ansprechbar gewesen ist, sieht man daran, daß all diese Regungen seines Innern geschildert werden können. Nur auf der Grundlage des späteren umfassenden Geständnisses entbehrt die teilweise personale Erzählperspektive der Meißnerschen Darstellung nicht der Grundlage. Dies schlägt sich auch unmittelbar im Text selbst nieder. Nicht alles, was der Täter später in seinem Geständnis darlegt, verdient unbedingte Glaubwürdigkeit, vor allem, sofern es den Grad der Täterschaft vermindert. Wenn der Täter "nachher unabläßig" versichert, "noch hab er damals an keinen Mord gedacht" (ebd.: 272), so ist ihm nicht unbedingt zu glauben: "Möglich, daß er wahr sprach! Selbst die Abweichung der That von seinem Vorsatz ist kein ganz gültiger Beweis gegen seine Versicherung. Riesenmäßig und unglaublich schnell ist der Wuchs des Lasters" (ebd.: 273).




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Die Tat geht so vor sich, daß der junge Mann umstandslos das Messer hervorholt, als seine ältliche Verlobte vor dem Spiegel ahnungslos ihr Haar ordnet, und ihr die Kehle durchschneidet, "daß die Unglückliche von der Welt kam sie wußte und fühlte selbst kaum: wie?" (Ebd.: 274) Hernach begibt sich der Täter mit dem Vermögen auf die Flucht. Man fahndet umsonst nach ihm. "Fünf Jahre verflossen." (Ebd.: 277)

Aber "kaum vierzig Meilen weit von seiner Vaterstadt" hat er sich unter dem Namen Lehmann niedergelassen, "war Bürger eines andern Staates, Hausbesitzer, Ehmann, Vater, Genosse einer nicht unbeträchtlichen Handlung, und zwar alles dieses auf die ehrlichste Weise von der Welt geworden" (ebd.: 278); "nicht ein Schatten von Verdacht traf seinen moralischen Werth. Er schien glücklich." (Ebd.: 283) Noch nicht einmal von seiner Beute hat er, wie sich später herausstellt, einen nennenswerten Gebrauch gemacht (auch daran kann man sehen, daß er nur aufgrund falscher Entscheidungen, nicht der Notwendigkeit halber zum Verbrecher wurde). Gelegentliche düstere Stimmungen schreibt man seinem Temperamente und seiner übertriebenen Häuslichkeit zu. Umso mehr ist seine schließliche Entdeckung "höhere Vergeltung" (ebd.: 285). Sie erfolgt durch einen Bekannten namens Siebald aus der Vaterstadt des Täters, der ihn wiedererkannt hat, mit seiner Anschuldigung bei den Behörden aber zunächst keinen rechten Glauben findet. Man will diesen ehrbaren Bürger allenfalls in Haft nehmen, wenn er sich bei der ersten Anrede verdächtig macht:

Unterm Vorwand, daß jemand nach ihm gefragt, ward er ins Billardzimmer gerufen. Gleich beym Eintritt in dasselbige kam ihm Siebald mit den Worten entgegen: "Aber warum, Herr R. verleugnen Sie Ihren wahren Namen?" Überrascht und erschrocken bebte er zusammen. Indem er versuchen wollte zu antworten, klopft' ihn von hintenzu Siebalds Freund mit der schrecklichen Frage auf die Achsel: "Und wie konntest du es wagen noch in Deutschland zu erscheinen, nach jener gräslichen That, die du zu N-g verübtest?" "Ich bin verrathen! Gott!" rief R. und sank bewußtlos zu Boden. Als er wieder zu sich kam, befand er sich schon in den Händen der Gerichte. Daß er derjenige sey, den Siebald genannt habe; daß der Name Lehmann ein erdichteter sey; daß er eines Mordes halber die Flucht ergriffen habe; alles das gestand er noch diesen Abend. (Ebd.: 292 f.)

Wenn es damit sein Bewenden gehabt hätte, würde es sich um eine gradlinige und wenig bemerkenswerte Geschichte gehandelt haben, die den Selbstverrat aus Überraschung mit anschließendem Geständnis als Einsicht in die unabänderliche Niederlage in einer theatralischen Szene präsentierte, und die zu Ende wäre, bevor das gerichtliche Verfahren beginnt. "Hätte man R. gleich bey seiner Verhaftung genau verhört; über alle Umstände seiner That pünktlich befragt, haarklein würde er damals alles gestanden, und alles noch unbekante selbst angezeigt haben." (Ebd.: 294) stattdessen hatte man das vorläufige Verhör aber nach dem allgemeinen Geständnis abgebrochen. In der sich anschließenden Haftzeit kann sich Heinrich R. hingegen "von seiner ersten Bestürzung" sammeln; die "Liebe zum Leben" erwacht (ebd.: 295).




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Und nach seiner Überstellung an die Vaterstadt gibt er zwar noch seine Identität zu, leugnet aber die Tat und erfindet stattdessen in seinem ausführlichen "Mährchen" (ebd.: 295) einen großen Unbekannten. Da alles gegen ihn gesprochen habe, habe er beinahe besinnungslos die Flucht ergriffen.

Sein "Geschichtgen" ist "freylich nicht vermögend, die Gerichte zu täuschen" (ebd.: 299). Aber die Untersuchungsrichter irren, wenn sie glauben, den Inquisiten "durch Fragen und Einwürfe" in Widersprüche zu verstricken. Er schweift auch "im drey-vierfachen Verhör nie über die sich selbst gesteckten Grenzen" (ebd.: 299). "Alles Zureden, mild und scharf", bleibt "fruchtlos" (ebd.: 300), so daß die Akten schließlich ohne Geständnis zum Verspruch eingeschickt werden müssen. Das Zwischenurteil der Juristenfakultät lautet, wie nicht anders zu erwarten, auf 'peinliche Frage'. Der Inquisit "bebte allerdings als er in die Folterkammer gebracht wurde; aber die Folter selbst stand er mit aller nur möglichen, man kann wohl sagen männlichen Standhaftigkeit aus. Zweymal ward er gemartert; zweymal blieb er auf seiner ersten Aussage." (Ebd.: 301)3

Die Stimmung in der Stadt, die zunächst gegen den Inquisiten sehr aufgebracht war, wird gerade durch die Folter und deren Durchstehen sehr seinen Gunsten beeinflußt. "Gegen den Gequälten wird, selbst wenn wir ihn für schuldig halten, so leichtlich unser Mitleid rege; und geht noch leichter in Bewunderung über, wenn wir hören, daß sein heroischer Muth selbst in den Qualen sich nicht beugt." Nur wenige "betrachteten seine Festigkeit selbst als einen Trotz, der sein Verbrechen vergrößerte." (Ebd.: 302)


3 Das Geständnis

Die Darstellung setzt an diesem Punkt neu ein mit der Einführung des Gegenspielers von Heinrich R., der sein erstes Geständnis widerrufen hat:

In N-g lebte damals ein Rechtsgelehrter, D. Falk mit Namen; ein Mensch von derjenigen Klasse, deren Element Unruh ist. Je verwickelter eine Sache war, um desto lieber übernahm er sie; von jedem Geschäfte, welches er einmal übernommen, ging er nicht leicht, bevor er es durchgesetzt hatte, wieder ab; auch war sein Weg dabey selten der gewöhnliche. In Gesellschaften war er munter, doch stritt er gern; war oft in seinen Behauptungen rasch und dreist, und nahm sie doch nie zurück." (Ebd.: 303 f.)

An dieser Einführung fällt zunächst auf, daß der Herr Doktor Falk als eine 'Gesamtpersönlichkeit' beschrieben wird, die durch eine bestimmte Art und Weise der Amtsführung gekennzeichnet wird. Sein Auftreten innerhalb des Amtes einerseits und außerhalb des Amtes anderseits werden nicht nur der Vollständigkeit halber zusammen gesehen; sie müssen zusammen gesehen werden, da sie in einem inneren Zusammenhang stehen und es einen Transfer vom einen zum andern gibt.




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Dazu gehört schon, daß er die Untersuchung zu seiner Sache macht, obgleich sie von Amts wegen nicht die seine ist. Dem Stadtrichter hält er vor:

Noch halt' er diesen Inquisiten für keinen verschmitzten Bösewicht, sondern nur für einen etwas standhaften jungen Mann; und sonderbar müsse es zugehn, daß man einen solchen nicht, auch ohne Tortur, zur Beichte bringen sollte, wenn man anders nur seine Sache gescheut anzufangen wisse. (Ebd.: 304)

Daraus spricht nun nicht nur eine Leidenschaft, die Wahrheit aufzudecken, sondern ein gewisser Sportsgeist, der im Text von Anfang an als ausgesprochen zweideutig erscheint (und bezeichnender Weise der Einfachheit halber zwischen Geständnis und Beichte nicht weiter unterscheidet). Als der etwas beleidigte Stadtrichter ihn auffordert, doch selber den Beweis anzutreten, schlägt Doktor Falk ein. Er bittet sich einige Vorbereitungszeit aus, während welcher er zum letzten Wohnort des Inquisiten reist, um dort seine Lebensgewohnheiten und insbesondere seine "Lieblingsneigung" (ebd.: 305) auszukundschaften. Auch in dieser Maßnahme, die Dinge in den Kreis der Untersuchung zieht, die nichts mit dem Fall zu tun haben, zeigt sich gewissermaßen das verfahrensüberschreitende Wesen Doktor Falks.

Er kommt mit der Information zurück, daß der Inquisit mit Bekannten "ein Glas Rheinwein gerne getrunken habe" (ebd.: 305) und geht nun daran, dieses Wissen zur Anwendung zu bringen. Zunächst besucht er den Inquisiten einige Male unter Vorwänden in seiner Zelle, bezeigt "Mitleid mit seinem Zustand", bedauert ihn "auf eine freundliche Art" (ebd.: 306), so daß der "Unglückliche" nun zum ersten Mal in seiner inzwischen beinahe zweijährigen Haftzeit eine Sprache hört, "die ihm fremd geworden war; die Sprache der Bedaurung!" (Ebd.: 306) Und warnend fügt der Erzähler an: "Sie that ihm wohl; doch hätt' er Menschenkenntnis genug gehabt, ihr jetzt noch nicht zu trauen." (Ebd.: 306) Als nächstes erwirkt Doktor Falk, daß dem Inquisiten ein besseres Gefängnis mit Tageslicht zugewiesen wird. Bei seinem anschließenden Besuch fragt er im Weggehen, "Ob er vielleicht nach irgend einer Erquickung sehr verlange?" Worauf ihm der Inquisit den Wunsch nach "einigen Tropfen des geringsten Weines" (ebd.: 307) einbekennt. Wichtig ist hier, daß der vorhergesehene Wunsch nicht an den Inquisiten herangetragen, sondern ihm in den Mund gelegt wird, so daß er von ihm selbst auszugehen scheint. Falk stellt seinem Opfer in Aussicht, ihm bei nächster Gelegenheit höchstpersönlich eine gute Flasche mitzubringen; nur müsse er vorher noch für einige Tage verreisen. Diesen Schachzug kommentiert der Erzähler folgendermaßen: "Nicht ohne Ursache nahm er diesen Aufschub. Er wollte durch übereilte Gefälligkeit R's Verdacht nicht erwecken; er wolt' ihm auch Zeit gönnen, sich wieder an sein beßres Gemach zu gewöhnen" (ebd.: 307 f.) und für unverzichtbar zu halten. Vier Tage später läßt Falk den Kerkermeister sich entfernen und wartet mit Speis und Trank für eine gemeinsame Mahlzeit auf.

Er "genoß nur des gegenwärtigen Augenblicks" (ebd.: 309), heißt es über die Reaktion des Gefangenen. Und er sieht in dem Mann, der ihm diesen Genuß verschafft, "der um ihm wohlzuthun, keine andre Veranlassung als Mitleid und Menschlichkeit hatte, ein Wesen, den er kaum seinen Dank zu stammeln vermochte. Zutrauen gegen einen solchen Menschen war unumgängliche Folge dieses Danks."




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Hinzukommt, daß Doktor Falk eben nicht zu einer Art Verhör zu schreiten scheint, sondern "durchaus von R's gerichtlicher Lage zu sprechen vermied" (ebd.: 309), und auch auf entsprechende Ansätze des Inquisiten nicht einzugehen scheint. Zuvor hatte er ihn sogar "durch ein paar französische Worte vor dem Zuhorchen des Kerkermeisters" gewarnt (ebd.: 309). Auch hier geht es wieder darum, daß Doktor Falk die Verhaltenserwartungen unterläuft, die an einen Vertreter der Institution gerichtet werden.

Erst, als R. zum drittenmal wieder anhob; als [er] troz jetziger frohen Minute; und troz des Weines, doch wieder auf die Zukunft zu denken begann, und seinen Wohlthäter beschwur, ihm zu sagen: was wohl noch seiner warten dürfte? da schien D. Falk endlich einem unterdrückten Gefühle halb unwillkührlich Luft zu machen." (Ebd.: 310)
Man sieht, daß die ganze Szene mit einer Grenze spielt mit der Grenze, die die gegenwärtige Situation von ihren Kontext trennt. Für den, der zum Geständnis motivieren will, geht es darum, sowohl das Versinken im gegenwärtigen Augenblick als auch das Auftauchen daraus so zu inszenieren, daß es vom Inquisiten als ein gemeinsames Versinken und ein gemeinsames Auftauchen erlebt wird.

Nun aber beginnt Doktor Falk mit seiner 'List'. Er stellt dem Inquisiten in Aussicht, daß freilich nicht er als Anwesender, wohl aber die abwesende Institution eine weitere, noch härtere Folter verfügt hat.4 Und er verstellt R. jede Zukunft auch für den Fall, daß er diese Folter übersteht: Auch dann "bleibt ewiges Gefängnis sein Loos" (ebd.: 310 f.). Damit ist die Verdachtsstrafe, die poena extraordinaria gemeint, die verhängt werden konnte, wenn der volle Beweis der Täterschaft nicht glückte (vgl. Schaffstein 1989; Friedrich/Niehaus 1999). Allerdings geht Falk mit seiner Expertise über das tatsächlich zu erwartende Strafmaß bei Überstehen der Tortur hinaus; allgemein hält man, so der Text, für R. in diesem Falle höchstens eine zehnjährige Zuchthausstrafe für möglich (Meißner 1796: 303).

Doktor Falk selber grenzt sich freilich von der in dieser Behandlung liegenden Schuldunterstellung ab. Er leitet seine Erklärungen durch den Ausruf ein: "Ja, junger Mann, wenn du unschuldig bist, dann beklag ich dich würklich!" (Meißner 1796: 310) Daraus darf man umgekehrt schließen, daß Doktor Falks Vorzugsbehandlung mit Speis und Trank ebenso unabhängig von der Täterschaftsfrage ist wie die schlechte Behandlung mit Folter und ewigem Gefängnis durch die Institution. Nicht, weil Falk den Inquisiten für unschuldig hält, hat er dessen Mitgefühl; das Mitgefühl, das er wie er bedeuten will als Mensch für einen Menschen hat, erführe im Falle der Unschuld lediglich eine Verstärkung.




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Der entscheidende Druck, der auf den Inquisiten ausgeübt wird, setzt aber an der Beziehung zum Doktor Falk und an der gegenwärtigen Situation selbst an. Doktor Falk erklärt nämlich, daß auch das lebenslängliche Gefängnis nicht so angenehm werde aussehen können wie jenes, das er ihm vorläufig verschafft habe. "Blos unter einer einzigen Bedingung behieltest du es für die übrige Zeit deines Lebens!" (Ebd.: 311) Damit ist das Geständnis gemeint, aber wieder läßt der Verhörende den Inquisiten diesen Sachverhalt selbst aussprechen, was ihm wohl zumindest in seinen eigenen Augen den Vorwurf einer unrechtmäßigen Vorteilsversprechung erspart. Es wird hier nicht unumwunden gesprochen und eben dadurch, durch das Zu-Verstehen-Geben von Nichtgesagtem wird das Verhältnis im strengen Sinne kommunikativ: Doktor Falk spricht nicht als Vertreter der Institution, der den Inquisiten lediglich unumwunden von etwas in Kenntnis setzt. Die Intersubjektivität (oder, wie Adolf Reinach sagen würde: die "Fremdpersonalität"; vgl. Reinach 1913: 158 ff.) seiner Sprechakte (oder: sozialen Akte) bewährt sich gerade darin, daß die Einseitigkeit deklaratorischer Verlautbarungen vermieden wird. Der Inquisit antwortet entsprechend. Er errät die Bedingung, unter der er diese Zelle und diese Teilnahmebekundungen seines Gegenüber behalten darf:

Also doch unter einer! und diese wäre? Sie schweigen? Sie zucken mit den Achseln? Ha! ich verstehe verstehe alles, was Sie aus schonender Milde mir nicht sagen, und auch nicht rathen wollen! R. schwieg jetzt einige Minuten hindurch. Daß in seinem Innersten mancherley sich durchkreuze und emporarbeite, sah man an seinen Gesichtszügen. Dennoch verriethen diese keineswegs Wut oder Verzweiflung, nur ein unstätes Nachsinnen, das jetzt erwählte, jetzt zweifelte, jetzt wieder zurücknahm. (Meißner 1796: 311)

Man sieht, wie sehr die literarische Darstellung, in der das Verhör als eine Situation erscheint, in der zwei Subjekte interagieren, die Wahrnehmung des Ungesagten mit sich bringt (vgl. Niehaus 2003: 285 ff.). Bevor das Geständnis das Licht der Welt erblickt, arbeitet es sich hervor und zwar nicht durch die positiven Bemühungen dessen, der es zu hören begehrt, sondern durch das Ausbleiben dieser Bemühungen. Eben dadurch, daß diese Bemühungen ausbleiben, daß also das Subjekt sich in gewisser Weise selbst überlassen ist, tritt das scheinbar Rätselhafte der Geständnismotivierung allererst in die Welt. Rätselhaft ist die Geständnismotivierung, weil sie die Kausalbeziehung übersteigt. Sie ist 'psychologisch merkwürdig' und nur der literarischen Darstellung zugänglich. Gerade nach Maßgabe der Motivierung scheint eine Art eigener Gesetzmäßigkeit das Geständnis ereignishaft hervorzubringen.

Wohlan, rief er endlich, mein Entschluß ist gefaßt. Nicht, als ob ich die Folter, die ich schon zweymal ertrug, nicht auch beym drittenmal für übersteiglich hielte; und noch weniger, als ob der Wein mich berauscht hätte! Aber diese Wohlthat, womit Sie mich heute erquickt, diese herablassende Güte, womit Sie schon dreymal mich behandelt haben, im Gegensatz jenes ewige Gefängniß, was mich bedroht lieber Herr Doktor, wenn ich wenigstens bis zu meinem Ende dieses Zimmer, das Licht des Tages und den Anblick menschlichen Mitgefühls behalten darf, so gesteh ich alles!" (Meißner 1796: 311 f.)




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Natürlich verlangt das Spiel darauf den Einwurf des Herrn Doktor Falk: "bedenken Sie wohl, wozu Sie sich erbieten? Bedenken Sie auch, daß Sie über sich selbst das Urtheil eines wahrscheinlichen Todes fällen würden?" (Ebd.: 312)

Auf der einen Seite ist der Augenblick des Geständnisses rätselhaft, weil er nicht über eine Kausalkette, sondern nur über eine Motivation erklärbar ist; auf der anderen Seite erscheint dieser Augenblick als trivial. Denn er verdankt sich einer einfachen Rechnung, einem einfachen Kalkül des Subjekts, das die lebenslange Haft unter drückenden Bedingungen auf der einen Seite der kurzen und annehmlicheren Haftzeit bis zum Vollzug des Todesurteils auf der anderen Seite gegenüberstellt. Aber diese Rechnung ist in Wahrheit keineswegs trivial. Auch sie ist aus der Situation geboren, in der dem Subjekt der "Anblick menschlichen Mitgefühls" zuteil wird. Mit der Situation wird etwas in Rechnung gestellt, was sich nicht in Rechnung stellen läßt. Die Kategorie der Situation wird im ausgehenden 18. Jahrhundert zu einer irreduziblen anthropologischen Kategorie; so kann, insofern die Literatur jedes Geständnis als in einer Situation abgelegt zur Darstellung bringt, das Ablegen eines Geständnisses nie auf eine Rechnung, auf ein Kalkül zurückgeführt werden.5

Das Neue und Besondere am Vorgehen des Doktor Falk ist nicht, daß er sich das Vertrauen des Inquisiten erschleicht und mit der Aussicht auf den Zugriff durch die gewalttätige Institution unter Druck setzt. Auch sonst konnte ein Spitzel oder ein gedungener Mitgefangener (wenn auch in der Regel nicht ganz den Verfahrensformen entsprechend) unter Vorspiegelungen oder mit Hilfe alkoholischer Getränke ähnliches bewerkstelligen.6 Das Besondere besteht darin, daß Doktor Falk so verfährt, ohne zu verhehlen, daß er immer auch ein Vertreter der Institution ist. Dadurch hat sich die ganze Szene, hat sich die ganze Situation grundlegend verwandelt. Denn nur so kann der Inquisit zu einem wirklichen Geständnis motiviert werden, zu einem Geständnis, das irgendwie sowohl ein rechtlicher wie ein kommunikativer Akt ist:

Doch jetzt wenn Sie mir versprechen, daß ich dieses Gemach die wenigen übrigen Wochen hindurch behalte; daß ich verschont mit ferneren Qualen bleibe, und daß Ihr Zuspruch mich zu trösten fortfährt; so will ich alles bekennen; will, wenn Sie Tinte und Papier in der Nähe haben, es Ihnen sogleich in die Feder diktieren. Ihnen lieber als meinen Richtern! Denn gegen Sie hat meine Seele auch nicht den kleinsten verborgenen Winkel. (Ebd.: 312 f.)

Was nun folgt, nennt der Text eine "Beichte". Aber es ist eine Beichte unter der von beiden geteilten Voraussetzung, daß das Beichtgeheimnis nicht gewahrt bleibt. Wenn es gleichwohl den Namen Beichte verdient, so deshalb, weil das Geständnis zwar bestimmt ist, zum Bestandteil des Verfahrens zu werden, ohne es aber schon zu sein. Der kommunikative Akt des Gestehens kann mit dem rechtlichen Akt des Gestehens nicht zur Deckung kommen. Das Vorgehen des Doktor Falk führt einerseits das neue Paradigma vor Augen, das das Verhör als einen 'kommunikativen Raum' aufspannt. Auf der anderen Seite wird es als die Ausnahme beschrieben, die das unhintergehbare Auseinanderfallen von kommunikativer und juridischer Ebene vorführt.




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Der Doktor Falk weiß sehr wohl, "wie ungesetzlich sey, was er bisher gethan" und erinnert seinen Patienten an das Formerfordernis nicht nur der eigenen Unterschrift, sondern auch des Zeugnisses von zwei "unverwerflichen Zeugen" (ebd.: 314). Und zu diesem Behufe hat er vorab doch nach dem Mittel gegriffen, das schon das Inquisitionshandbuch des Nicolaus Eymericus vierhundert Jahre zuvor beschreibt: Er hat nämlich diese beiden Zeugen schon vorab "ins Nebenzimmer beschieden" (ebd.: 314), wo sie alles Bisherige mit angehört haben.7 "Zum erstenmal stutzte jetzt R. ein wenig; schien zu merken, daß eine Falle ihm bereitet worden; war gleich drauf doch alles zufrieden" (ebd.: 314). Alles läuft nach Plan, die nachträgliche Transformation eines außergerichtlichen Geständnisses in ein gerichtliches Geständnis glückt.

Dennoch muß man fragen, was hier geschieht, warum es geschieht und welche Wirkungen es hat. Im Grunde muß der Inquisit ja "alles zufrieden" sein, denn es geschieht ja nur das, was er gewollt hat. Aber es stellt sich heraus, daß die Bedingungen, unter denen er es gewollt hat, nicht gegeben waren, daß die Situation eine andere war. Wenn sich alles so verhielte, wie der Doktor Falk nahegelegt hat, dann gäbe es eigentlich keinen Grund zu jener Übereilung, die in auffälligem Kontrast zur vorangegangenen Verzögerung steht. Stand die Verzögerung im Dienste der Kommunikation, so steht die Übereilung im Dienste des Verfahrens, der sogenannten 'Ergebnissicherung'.8 Man könnte sagen: Die Übereilung unterbricht die Situation. Und diese Unterbrechung will jener anderen Unterbrechung zuvorkommen, die vom Inquisiten ausgehen könnte, wenn er (wie es ja schon einmal ganz zu Anfang geschehen ist) das aus der Situation geborene Geständnis nach einiger Besinnung widerriefe.

Wie die Wirkung dieser Operation auf den Inquisiten beschaffen ist, kann man dem Text nur mittelbar entnehmen. Denn von diesem Punkt an hält sich der Erzählbericht auffällig zurück. Eine Art Austrocknung befällt die Schilderung selbst, die nurmehr von außen mutmaßend auf den Inquisiten zugreift.

Ob R. am andern Morgen nicht im Geheim den Schritt, den er gethan, bereute, weiß man nicht. Wenigstens, als man vor Gericht ihn führte, und jenes unterzeichnete Papier ihm vorlegte, bestättigte er mit anscheinender Gleichmuth alles. Auch gegen oder über dem Mann, der sein Geständnis ihm abgelockt, führte er nie eine Klage. (Ebd.: 314)

Der Bericht erweckt den Anschein einer großen Resignation. Dem Geständnis folgt keine Erleichterung, sondern eine Ent-Täuschung. Der Inquisit sieht sich nicht nur im Nachhinein getäuscht, was die Anteilnahme des Doktor Falk angeht, er sieht auch, daß er in einer Selbsttäuschung befangen war.

Die Situation, in der Heinrich R. nachgegeben und sein Geständnis abgelegt hat, ist in der diskursiven Aufarbeitung durch Meißner die Klimax (auch des Textes) gewesen. Heinrich R. befindet sich gewissermaßen in der 'weiblichen Position' bei dieser Zusammenkunft, bei diesem Rendezvous, der Herr Doktor Falk hingegen in der Position des männlichen Verführers. Heinrich R. hat sich unter Vorspiegelung falscher Tatsachen zum Geständnis hinreißen lassen, Doktor Falk hat ihm damit in einem ganz buchstäblichen Sinne seine Unschuld geraubt. In der Übereilung, in der Unterbrechung der Situation wird nun enttäuschend sichtbar, daß es keinen Gleichklang gegeben hat, daß es ihm immer nur um das eine ging.




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Doktor Falk und das Gericht halten die Versprechungen, die man dem Inquisiten gemacht hat, sehr wohl ein. Der Inquisit kann sich nicht beklagen; insoweit stimmt die Rechnung, die ihn eigenem Bekunden nach zum Geständnis veranlaßt hat. Aber sie stimmt nicht mehr, was die Tröstung durch den Anteilnehmenden angeht. "Das einzige Zeichen, wodurch er doch einen gewissen innern Mismuth verrieth, war, daß er nie wieder von dem Weine trank, den Falk noch zweymal ihm schickte, und kaum ein paar Worte mit ihm sprach, als er ihn noch einmal besuchte" (ebd.: 315). R. erleidet vier Monate nach seinem Geständnis die "Strafe des Rades von oben herab" (ebd.: 315). Dieser Terminus bezeichnet (im Gegensatz zum Rädern 'von unten herauf') die 'menschenfreundliche' Form dieser Todesstrafe, bei der man dem Verurteilten zunächst durch einen Schlag das Genick bricht, bevor ihm die Glieder zerschlagen werden.


4 Der Nachtrag

Der Fall erheischt nach Meißners Dafürhalten einen Nachtrag: "Es ist mir unmöglich diese Geschichte zu schließen, ohne noch ein paar Bemerkungen ihr beyzufügen." (ebd.: 315) Das Supplement betrifft (entsprechend der eigentlichen Falldarstellung) zunächst einige Bemerkungen über den Delinquenten und sodann Bemerkungen über denjenigen, der ihm das Geständnis entlockt hat. Das Schicksal des R. scheint ihm ein

merkwürdiges Beispiel zu sein, wie unsäglich schnell der Weg des Lasters bergabwärts geht; oder vielmehr: welche, im hohen Maße böse, That selbst derjenige begehen, wissentlich begehen kann, der immer noch nichts weniger, als ein eigentlicher Bösewicht ist. (Ebd.: 316)

In der Figur des R. radikalisiert sich ein für die Zeit um 1800 typisches Täterprofil. Dieser junge Mann wird als ein Mensch dargestellt, der nur durch die Verkettung von Umständen also nur 'zufällig' zum Täter wurde. Er ist also derjenige, der uns (und zwar viel klarer als etwa Schillers Verbrecher aus Infamie) vor Augen stellt, daß wir nur zufälligerweise nicht zu Tätern werden (vgl. Dainat 1991). Zur Täterschaft eines todeswürdigen Verbrechens bedarf es nur einer minimalen Abweichung, die wir alle beherbergen: "Nur Furcht vor Armuth, nur der anfangs sehr verzeihliche Wunsch, nicht tiefer herabzusteigen, als er jetzt stehe, war der Grund seines Unglücks." (Meißner 1796: 317) Aus diesem Grunde können wir das betreffende Subjekt verstehen, können wir wie es auch der Herr Doktor Falk performiert Anteil an ihm nehmen.

Es ist auch, wie Meißner ausführlich darlegt, nicht eigentlich die Habsucht (oder der Geiz), die den jungen Mann bergabwärts führt. Es ist etwas, das man nicht mit dem Maß der sieben Todsünden (oder einer Affektenlehre nach Art des Christian Thomasius) messen kann. So scheint Meißner auch die spätere "Unbescholtenheit", die der Protagonist unter falschem Namen fünf Jahre lang "in seinem moralischen Betragen behauptete", keineswegs "bloße Verstellung gewesen zu sein" (ebd.: 320). Vielmehr sah sich R. anerkannt, "sah sich nun vor Mangel gedeckt, sah sich geschützt im Kreis, worinnen er lebte" (ebd.: 321).9 Das Urteil darüber schließlich, wie sein langes Zurückhalten des Geständnisses moralisch zu bewerten ist, möchte Meißner seinen Lesern überlassen.




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Ganz im Gegensatz zum Verhalten der Amtsperson Doktor Falk, mit dem Meißner hart ins Gericht geht. Er setzt voraus, daß die Mehrheit seiner Leser "mit Misfallen sein Auge von Falkens Verfahren abgewandt" (ebd.: 321) hat; sie "hat es unedel, tückisch, grausam sogar gefunden, daß er einem Unglücklichen dasjenige Geheimniß, das er schon zweymal, selbst aus der Marterkammer, unverrathen zurückbrachte, durch anscheinende Güte dennoch zu entwinden wußte" (ebd.: 321 f.). Es scheint, als tauche schon die bloße Tatsache, daß das Verfahren des Rechtsgelehrten Falk ein funktionales Äquivalent der Folter ist, ein solches Geständnis ins Zwielicht. Meißner fragt rhetorisch: "Darf der Richter, es sey mittelbar oder unmittelbar, dem Beklagten und Verdächtigen sein Geständnis durch List entlocken? Ist dies nicht eben so schändlich, so unbeweisend, als Erpressung durch Gewalt?" (Ebd.: 323)

Nun ist aber hierbei keineswegs klar, worin die List genau besteht. Liegt sie darin, daß Falk zwei Zeugen im Hinterhalt postiert? Oder liegt sie schon darin, daß er sich in das Vertrauen des unglücklichen Inquisiten schleicht? Ist das entscheidende Kriterium, daß der Inquisit getäuscht wird? Aber täuscht er sich nicht vielmehr selbst über etwas hinweg, was er sich ohne weiteres klarmachen könnte? Meißner verfügt über keinen klaren Begriff der List in ihrem Verhältnis zur Täuschung.10 Seine Ansicht in dieser Sache ist eher gefühlsbetont und wirklich das, was der Doktor Falk nur scheinbar ist: anteilnehmend. Anders ausgerückt: Der Standpunkt der literarischen Falldarstellung ist kommunikativ und nicht juridisch.

Dem hypothetischen Einwurf des Doktor Falk, er habe mit seinem Vorgehen der guten Sache gedient, weiß er nicht zu begegnen, weiß nicht,

was strenge, förmliche Gerechtigkeit dagegen einwenden könnte. Aber daß er mein Herz nicht überzeugen würde; daß ich selbst der Mann nicht seyn wollte, der solche Verdienste sich erwirbt; daß ich ihn weder zum Bruder noch zum Freunde haben möchte das weiß ich allerdings. (Ebd.: 322 f.)11

Falk vergeht sich gegen das kommunikative Handeln, indem er es vorspielt. Weil er sich als Mensch gegeben hat, wo er in Wahrheit als Vertreter der Institution agierte, möchte man mit diesem Vertreter der Institution als Mensch nichts zu tun haben. In dieser Hinsicht ist das unvermutete Auftauchen der zwei Zeugen nur der Punkt, an dem das Vergehen Falks manifest wird. Es ist aber nicht möglich, die Grenzen dieses Vergehens anzugeben.

Die hier auftauchende grundsätzliche Zwielichtigkeit prägt die letzten Seiten von Meißners Text. Er kommt hier auf eine in "ungarischen Komitatsgerichten" geübte Verhörmethode zu sprechen, bei der "zwey Personen angestellt" wurden, die man "den Engel und den Teufel zu nennen" pflegte: Zunächst verhörte der sogenannte Teufel mit "rauhem Tone", der "Versicherung, daß er alles schon wisse" und "Bedrohung harter Leibeszüchtigungen, wenn sie nicht sofort alles geständen". Erforderlichenfalls wurde nach dem Auftritt des Teufels "eine kleine Pause im Verhör gemacht, und der Engel kam nunmehr an die Reihe.




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Mit freundlichem, fast mitleidigem Tone hob dieser an; schalt selbst auf seinen Genossen, als auf einen überstrengen Mann" usw. (Ebd.: 324 f.). Meißner will nun behaupten, daß, wenn der Teufel nur "einen schreckte, so überredete" der Engel "wenigstens viere" (ebd.: 326). Und das ist ihm ein schlagender Beleg dafür, daß man die Gefangenen "gütig" behandeln solle: "oft werdet ihr dann durch Milde von ihnen erfahren, was Strenge, und wohl gar Härte, vergebens zu erforschen sich bestrebten!" (Ebd.: 324)

Nun bedingen sich allerdings der Verhör-Engel und der Verhör-Teufel gegenseitig. Insbesondere tritt der Engel nur in Kraft, indem er sich vom Teufel abhebt (wie ja auch der Doktor Falk auf eine anberaumte dritte Tortur und schlechtere Haftbedingungen verweist).12 Letztlich kündet daher schon die bloße Tatsache, daß es im Verhör diese beiden Alternativen, diese Optionen, oder wie Wilhelm Snell einige Jahre später in seinem bemerkenswerten Buch Betrachtungen über die Anwendung der Psychologie im Verhöre mit dem peinlich Angeschuldigten sagen wird diese "Behandlungsmethoden" (Snell 1819) gibt, von der List, vom Vergehen gegen das kommunikative Handeln, vom, mit Habermas gesprochen, Verfolgen "perlokutionärer Ziele", die der Sprecher, "wenn er Erfolg haben will, nicht zu erkennen geben" (Habermas 1981: I, 393) darf. Der Verhör-Engel und der Verhör-Teufel haben eben ihren Namen "der Rolle halber, die sie spielten" (Meißner 1796: 324). Deshalb ist es, "aufs gelindeste gesprochen, immer eine Art von Überlistung, und Überlistung sollte von jedem Gerichte, in jeder Sache, noch so wichtig und noch so geringe, auf ewig entfernt bleiben" (ebd.: 326). Das Gericht, hieße das, darf sich nur als es selbst geben, sich als es selbst mitteilen. Aber was sollte das heißen?

Es heißt zunächst, daß sich das Gericht nicht widersprechen darf. Es darf nicht als Engel und als Teufel agieren. Wenn die Institution dem Subjekt ein 'menschliches Antlitz' zukehrt, so darf das nicht Teil eines Kalküls sein. Das ist die Lehre der letzten Anekdote, die Meißner in diesem Text auftischt. Sie handelt von Prager Juden, die vor einiger Zeit schwer, aber erfolglos gefoltert wurden, weil sie "des Straßenraubs fast überwiesen waren" (ebd.: 327). Der Prozedur wohnt auch seiner Amtspflicht als Appellationsrat entsprechend ein Graf bei, "so sehr sein Herz dabey litt" (ebd.: 327). Nach Beendigung der Prozedur holt dieser Graf "von ohngefähr" seine Schnupftabakdose hervor, auf die der begehrliche Blick eines schon ergrauten Juden fällt. Der Graf bietet ihm davon an. "Der Greis schnupfte; eine Thräne trat ihm ins Auge; er schwieg ein paar Minuten." Dann legt er sein Geständnis ab: "Die Folter hätt' ich überstanden. Aber da Sie so menschlich mit mir umgehen, so will ich nun auch ohne Folter alles bekennen." (Ebd.: 327 f.)




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Auf der einen Seite ist das zweifellos eine naive Geschichte, die uns zeigen soll, wie einfach die Motivierung zum Geständnis vonstatten gehen kann. Auf der anderen Seite ist diese Einfachheit aber trügerisch, insofern man nichts mit ihr anfangen kann. Sie läßt sich nicht in eine Anweisung übersetzen, weil sie nicht als eine Anweisung verstanden werden darf. Die kleine Geschichte sagt uns nur, daß es so einfach sein kann. Aber dies ist gewissermaßen eine theoretische Erkenntnis, die nicht zu etwas führen soll. Denn die Handlungsweise des Grafen wird als eine expressive Handlung verstanden und als eine solche aufgefaßt. Sie ist keine List. Die Aufforderung Meißners an die Gerichte, die Inquisiten besser zu behandeln, erfolgt nicht im Namen der Geständnismotivierung, sondern um ihrer selbst willen. Sie ist keine Behandlungsmethode wie bei Herrn Doktor Falk. Der greise Jude erklärt der Anekdote zufolge sein Geständnis damit, daß der Graf 'menschlich' mit ihm umgeht. Die literarische Formel für diese Menschlichkeit lautet, daß sie sich zwischen den Subjekten ereignet im Überwältigtwerden durch die Situation. Der Graf agiert, noch einmal anders gewendet, nicht mehr als Vertreter der Institution, sondern er agiert spontan. In dem Augenblick, in dem Anekdoten wie diese zu zirkulieren beginnen und Modellcharakter annehmen, beginnt die Hypostasierung des Spontanen (der 'menschlichen Regung') als etwas, was die institutionelle Ordnung übersteigt oder unterläuft. Die Naivität der abschließenden Anekdote und des ganzen von Meißner referierten Falles besteht in der Vorstellung, daß sich das Kommunikative als das Spontane lokalisieren lasse. In Wahrheit sind solche Anekdoten und solche Geschichten das Symptom einer unhintergehbaren Vermischung dessen, was sie in ihrer Unterschiedenheit erhalten wollen.

Daher verweisen sie letztlich auf das Problematische der Geständnismotivierung. Warum erscheint in diesen Beispielen im Grunde jeder Versuch, das Subjekt ohne Gewalt zum Geständnis zu bringen, als eine Überlistung? Das liegt daran, daß in diesem Text eine Art Nullpunkt der Geständnismotivierung vorliegt. Die gütliche Geständnismotivierung wird immer schon im Horizont der peinlichen Frage als deren funktionales Äquivalent wahrgenommen. Es gibt überhaupt keine inneren Beweggründe für das Geständnis; es gibt kein Motiv. Dem Inquisiten Heinrich R. wird kein Geständnisdrang induziert. Von der Erleichterung, die mit der Offenbarung der Wahrheit einhergehe, von einem "Wahrheitstrieb", von einem "Geständniß […] als Wirkung einer Naturkraft" (Snell 1819: 47), von einem "Imperativ" zum Gestehen, der uns Foucault zufolge "in Fleisch und Blut" übergegangen ist (Foucault 1977: 76 f.), ist keine Rede. Auch nicht von der Reue, die sich im aufrichtigen Geständnis bewährt, oder von der Ehre, die es dem aufrechten Mann macht. Noch nicht einmal die Pflicht vor Gott wird ins Feld geführt. All diese Motivierungen, die auf die Natur des Menschen, auf gesellschaftliche Werte oder auf höchste Gewalten Bezug nehmen, bleiben ausgeblendet. Es bleiben also all jene Gründe ausgespart, die auf eine gemeinsame, den Inquisiten Heinrich R. und den Rechtsgelehrten Doktor Falk verbindende kulturelle oder gesellschaftliche Grundlage verweisen. Eben deshalb zeigt sich an diesem Nullpunkt der Geständnismotivierung das Problem in seiner ganzen Nacktheit als eine Frage nach der (geteilten und nur der literarischen Darstellung zugänglichen) Situation, innerhalb derer das Geständnis abgelegt wird.





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Anmerkungen

1 Insgesamt spielt das 'Geständnisdispositiv' in den Kriminalgeschichten Meißners eine zentrale Rolle; vgl. hierzu Berg (2004). Zur Verortung von August Gottlieb Meißner im literaturhistorischen Kontext der spätaufklärerischen Kriminalerzählung siehe Dainat (1988).

2 Vgl. zum Verhältnis von Paradigma und Ausnahme Agamben (2002: 31 f.)




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3 Meißner hat den Fall in seiner Darstellung nicht datiert; der Ort des Geschehens ist etwa gleich weit von Straßburg und Koblenz entfernt und liegt in einem Territorium, in dem die Folter offensichtlich noch in Gebrauch ist. Meißner freilich schreibt als Gegner der Folter und sieht sich in der Fruchtlosigkeit der peinlichen Befragung in diesem Fall bestätigt.

4 Eine solche Wiederholung der Folter widerspricht im Grunde der klassischen Doktrin eines geordneten Inquisitionsverfahrens, wie sie maßgeblich von Benedict Carpzov in der Practica nova Imperialis Saxonica Rerum Criminalium von 1638 formuliert worden war. Ihr zufolge setzt das Gericht mit dem Zwischenurteil auf peinliche Befragung alle Indizien aufs Spiel, die es gegen den Inquisiten in der Hand hat. Es war ein Argument der Gegner der Folter, daß "nicht wenige, die zu recht eines Verbrechens beschuldigt sind, starken Herzens die Folterqual" ertragen und "mögen sie noch so schuldig sein, nichts destoweniger kraft des Gesetzes freigesprochen" (Thomasius 1960: 159) werden. Ein mehr als dreimaliges Foltern war auch bei großzügigster Auslegung nicht möglich; vgl. etwa Bollmann (1963: 239 ff.). Im Text ist denn auch die Rede davon, daß der Inquisit höchstens noch einmal gefoltert werden kann (Meißner 1796: 302).

5 Der Terminus Situation wird erst seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts auf Subjekte angewendet, insofern sich diese in einer Lage befinden, in die man sich versetzen kann. Darin ist die (bisher noch kaum gewürdigte) Karriere des Situationsbegriffes zu einer zentralen Kategorie der Sozialwissenschaften bereits angelegt (ohne daß schon von 'Interaktionssituationen' die Rede wäre); vgl. dazu Niehaus (2003: 265 ff.).

6 In einer Kriminalerzählung von Karl Müchler mit dem sprechenden Titel Der Schein betrügt zum Beispiel ist von einem Untersuchungsrichter die Rede, der "seine richterliche Würde" so sehr vergißt, "daß er zum Schein einen abgefeimten Menschen, als einen Verbrecher, zu ihm einsperren" läßt, "damit ihm dieser im vertraulichen Gespräche, und durch Wein, den der vorgebliche Verbrecher angeblich verbotwidrig erhielt, redselig machen und ihm das Geheimniß entlocken möge" (Müchler 1828: 73). Das Einschleusen von Spitzeln in die Zellen Nichtgeständiger wird schon im Inquisitionshandbuch von Nicolaus Eymericus aus dem 14. Jahrhundert erwähnt (vgl. Eymerich/Pena 1973: 133).

7 Vgl. Eymerich/Pena 1973: 133. Dort ist es freilich und das ist der entscheidende Unterschied gerade nicht ein Vertreter der Institution, der dem Inquisiten das von zwei Zeugen Vernommene entlockt.

8 Insofern die Vernehmung als kommunikativer Prozeß aufgefaßt wird, kann der Bruch zwischen diesem Prozeß und der Ergebnissicherung nur noch überspielt werden. Vgl. dazu für heutige Vernehmungen (unter den Bedingungen des zur Aussageverweigerung berechtigten Beschuldigten) ausführlich Schröer (1992).

9 Vgl. zu der in dieser Beschreibung implizierten notwendigen Inkongruenz von Recht und Moral Dainat (1988: 519 und 522).

10 Die heutige Praxis der Strafverfolgung gibt Meißner insoweit Recht, als sie die Unterscheidung operativ einsetzt. Weil "eine funktionstüchtige Strafrechtspflege" sich ein "umfassendes Täuschungsverbot nicht leisten" könne, hat man den Täuschungsbegriff "einengend ausgelegt und der verbotenen Täuschung die noch erlaubte List gegenübergestellt" (Eisenberg 1993: Nr. 154 f.).




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11 Vgl. zu dieser Stellungnahme ausführlich Berg (2004: Abschnitt IV). Berg sieht in dieser Stellungnahme des Erzählers den Rückgriff auf "anachronistische moralische, normative Argumente" am Werke, während das Vorgehen Falks schlicht mit der neuen "anthropologisierten" Denkform gleichgesetzt wird. Tatsächlich geht es hier aber um die Bearbeitung eines strukturellen Problems. Insofern das Vorgehen Falks ein Musterbeispiel ist, wird es allerdings Karriere machen; das ändert aber nichts daran, daß es andererseits Ausnahme bleiben muß.

12 Heutzutage wird diese Vorgehensweise daher gerne "Kalt- und Warmwassertour" genannt: Der eine Vernehmer praktiziert die "kalte Verstandestour", der andere die "weiche Tour" (Schubert 1983: 185 ff.).

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