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Rolf Kailuweit (Aachen)



Spanisch und Italienisch im Spiegel der argentinischen Literatur um 1900:
Varietäten- und medientheoretische Überlegungen



Spanish and Italian around 1900 Reflected in Argentinian Literature:
Variants and Media Differences

This paper deals with the effects of the important Italian immigration (1880–1930) on the Argentine linguistic diasystem, as far as they are reflected in contemporary short stories and theatre. Most of the immigrants were illiterates. Contemporary fiction, reflecting the social conditions of ordinary people's life, is an important source if we want to know about the language contact between Italian immigrants and autochthonous Spanish speakers. My claim is that the contact variety Cocoliche is not just a mixture of Italian and Spanish. It is the result of immigrants' attempt to speak Spanish, and therefore an A'-variety of Spanish as a high-variety (A). At the same time, Spanish has an impact on the immigrants' Italian dialects forming the low-varieties (B) of the diasystem. Hence, the dialects they maintained became hispanicised (B'-varieties), but can be clearly distinguished from the Cocoliche (A'). On the other hand, Argentine Spanish of the autochthonous population became italianised and can be considered an A'-variety of A-speakers. Lunfardo, a slang used as an expressive language, is part of it. 40% of the Lunfardo vocabulary stems from Italian varieties. The fictionality of the Cocoliche spoken on stage is taken into account. It is described as a conceptional oral variety, a form of more strictly coupled elements having the more loosely coupled elements of everyday life's Cocoliche as a medium.


1 Einleitung

"Regieren heißt bevölkern" lautete das Motto der argentinischen Liberalen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. In den 70er Jahren warb man in Europa systematisch Einwanderer an und betreute sie bei ihrer Ankunft in Argentinien (cf. Bünstorf 1992: 84). In den 80er Jahren stiegt die Zahl der Einwanderer erheblich und erreichte um 1885, 1910 und nochmals in den 20er Jahren ihren Höhepunkt, während politische und wirtschaftliche Krisen zwischenzeitlich zu einem Rückgang führten (ibd.: 85). Die Bevölkerung Argentiniens stiegt nach den Volkszählungen von 1,73 Mio. im Jahre 1869 auf 3,94 Mio. im Jahre 1895 und schließlich 7,89 Mio. im Jahre 1914 an (cf. Fishburn 1981: 224) und lag 1940 schließlich bei 13 Mio. (Bünstorf 1992: 85). In Buenos Aires Stadt und den umliegenden Provinzen machten im genannten Zeitraum die Einwanderer 40–50% der Bevölkerung aus (ibd.: 225).

Gut die Hälfte der Immigranten stammte aus Italien (cf. Rock 1986: 141). Der Anteil der italienischstämmigen Bevölkerung in Buenos Aires, deren Einwohnerzahl zwischen 1880 und 1930 von 286.000 auf 2.26 Mio. anstieg (Romero 1983 apud Fontanella 1987: 131) betrug etwa ein Drittel. Unter den männlichen Erwachsenen lag er noch einmal bedeutend höher (ibd.: 136). Die bürgerlich liberale Politik hatte allerdings nur zum Teil Erfolg.




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Statt der erhofften Fachkräfte aus Mittel- und Nordeuropa kamen vor allem Analphabeten aus Südeuropa, aus Kalabrien und Sizilien, aber auch aus den ländlichen Gebieten Spaniens, zumal aus Galicien und dem Baskenland. Zwar wurden in einigen Provinzen, etwa in Santa Fé den Einwanderern Parzellen zur Verfügung gestellt, anderenorts jedoch gehörten die Ländereien einheimischen Großgrundbesitzern, die sie an die Einwanderer lediglich zu schlechten Konditionen verpachteten (Rock 1986: 139–140). Der Großteil der Immigranten wurde deshalb nicht auf dem Lande sesshaft, sondern im Raum Buenos Aires, hatte dort allerdings entscheidenden Anteil an der Entwicklung von Handel und Industrie (Bünstorf 1992: 89). Während einige der Einwanderer auf diese Weise zu Wohlstand gelangten, blieb ihr politischer Einfluss auf die Entwicklung des Landes gering (ibd.).1

Massenimmigration und industrielle Revolution führten zu einem tiefgreifenden Umbruch der argentinischen Gesellschaft, den die Literatur jeder Zeit reflektiert. In der Folge entsprechender Strömungen in der europäischen Literatur (Realismus, costumbrismo, Naturalismus) wenden sich argentinische Autoren einer realistischeren Darstellung der Lebensumstände niedrigerer Bevölkerungsschichten zu, die nicht zuletzt in einer stilisierten Wiedergabe der spezifischen Sprechweisen dieser Bevölkerungsschichten besteht.2 Die literarische Auseinandersetzung mit dem Phänomen der Massenimmigration richtet sich auch und gerade auf die Kommunikationssituationen des Alltags und die spezifischen Sprechweisen der Einheimischen wie der Immigranten. Darum soll es in dem vorliegenden Beitrag gehen, wobei ich mich auf den spanisch-italienischen Sprachkontakt konzentriere.

Nach einem kurzen, notwendigerweise selektiven literaturgeschichtlichen Überblick, werde ich die Vielsprachigkeit der literarischen Texte anhand einiger Beispiele illustrieren. Im Anschluss werde ich versuchen, dieses Material varietätentheoretisch einzuordnen und auf die alltagssprachlichen Verhältnisse zu beziehen. Bei der Frage nach der Literarizität der Quellen werden schließlich auch medientheoretische Überlegungen eine Rolle spielen.


2 Literaturgeschichtlicher Überblick

Mit der Gaucho-Poesie beginnt die argentinische Literatur sich sprachlich vom europäischen Spanisch zu emanzipieren. Das bedeutendste Werk dieser Gattung, das Epos Martín Fierro von José Hernández (1872) wird um die Jahrhundertwende zum Nationalepos (Schäffauer 1997: III, 2).3 In einigen wenigen Szenen ist Martín Fierro eine frühe Dokumentation des spanisch-italienischen Sprachkontaktes. Das schlechte Spanisch der Italiener4 geht in Form von Wortspielen in den Text ein (cf. Meo Zilio 1986).




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In den 80er und 90er Jahren finden sich im naturalistischen Roman,5 etwa in Eugenio Cambaceres' Sin rumbo (1885), Dialogfragmente, die den Sprachkontakt reflektieren. Die sprachliche Vielfalt der Stadt Buenos Aires wird aber vor allem bei José S. Álvarez zum Thema. Unter dem Pseudonym Fray Mocho veröffentlicht er um 1900 in der Zeitschrift Caras y Caretas kurze Dialoge, in denen die Protagonisten aus dem einfachen Volk ein argentinisches Spanisch sprechen, das der Sprechweise der italienischen Immigranten gegenübergestellt wird (cf. Schäffauer 1997: Kap. IV, 1).

Álvarez konnte bereits auf die Tradition des sainete criollo zurückgreifen, das in den 90er Jahren als Verbindung der Gaucho-Literatur mit Elementen des spanischen genero chico und der italienischen commedia dell'arte entstanden war (Golluscio 1979; Kohut 1993; Schäffauer 1999). In den 80er Jahren stand die Gaucho-Thematik im Mittelpunkt von Zirkusspektakeln (Pantomimen, Pferdenummern, Tanz und Gesang). Die Theaterdynastie der Podestá, genovesischer Immigranten, entwickelte das Genre weiter (cf. Golluscio 1979). 1890 fügen sie ihrer Fassung6 des Gaucho-Dramas Juan Moreira eine Figur hinzu, die bei einem ländlichen Fest mit den Worten auftritt: "Ma quiame Franchisque Cocoliche, e songo cregollo gasta lo güese" (cf. Podestá 1930: 62s).7 Mit dem Ausdruck Cocoliche werden in der Folge dann sowohl der italienische Einwanderer als auch seine Sprache bezeichnet.

Nach der Jahrhundertwende emanzipiert sich das sainete criollo von der Gaucho-Thematik. Die Stücke eines Carlos Mauricio Pacheco, Alberto Vacarezza oder des frühen Armando Discépolo spielen im städtischen Milieu. Im Hof eines Mietshauses (conventillo) treffen die criollos der städtischen Unter- und Mittelschicht auf die gringos, die Einwanderer. Meistens handelt es sich um Italiener.8 Sie besetzen die bereits aus den Gaucho-Stücken bekannten Rollen des geizigen betrügerischen Kaufmanns oder des gutmütigen Trottels. Eine Erneuerung des Genres erfolgt in den 20er Jahren. In den Stücken von Francisco Defillipis Novoa oder des späten Discépolo, die sich nunmehr grotescos nennen, überwiegt das Dramatische. Der italienische Einwanderer wird zum Protagonisten. Das Scheitern der Integrationsbemühungen gibt der Figur psychologische Tiefe, ohne dass sich ihre sprachliche Charakterisierung ändert.


3 Textbeispiele

Betrachten wir nun drei Textbeispiele, an denen die Vielsprachigkeit in der argentinischen Literatur um 1900 deutlich wird. Bei dem ersten Fragment handelt es sich um einen Auszug aus dem Dialog Instantánea ('Schnappschuss'), den José Álvarez am 5. November 1898 in der Zeitschrift Caras y Caretas veröffentlichte:

— Ma... dícame un poco...¿Cosa li parece in amuramientos tras ina lavendiera e in bombero... E anque tra ina cringa comé me e ono criollo comi esté... que e propio in chino...




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— [...] Y que tiene de raro — ¡Vamos a ver! — que un bombero como yo, achinado, ¿sabe? guste de una mujer com'usté, que lo anda tentando dende que vivían juntos en la calle e Mateo, aura dos meses [...] la quiero a usté como no he sabido querer a naides [...]

— Ma, dum Perayra... ¡pense que si te dago del sí... osté haberá una donna pobre... pobre!

— ¿Pobre...? [...] ¿Y tuavía querés ser más rica de lo que sos mi vida...? ¡Pucha! ¡si al pensar que me vi'a juntar con vos, me parece que me junto con el Banco e Londres...!

(Álvarez [1898] 1943: 22–24)

Die Sprache der Wäscherin ist einerseits durch unmodifizierte italienische Elemente gekennzeichnet: ma für pero, cosa für que, e für y, anque für aún, donna für mujer.9 Andererseits fällt das Bemühen um eine spanische Phonetik und Morphologie auf, gerade in den Fällen, in denen keine korrekten spanischen Formen zustande kommen: tras für entre, dago für doy,10 haberá für tendrá, hyperkorrekte Diphthongierung: lavendiera für lavandera, aber pense für piense und schließlich amuramientos für amorío, mit Pluralendung trotz unbestimmten Artikels im Singular.

Die Sprache des Feuerwehrmanns ist dagegen als umgangsprachliches argentinisches Spanisch charakterisiert: zum einem durch den Ausfall des auslautenden und intervokalischen [d]: usté, calle e Mateo, tuavía, Banco e Londres aber achinado, sabido; zum anderen durch die Voseo-Formen des Verbs: querés, sos. Sekundäre Diphthonge aura, naides oder auch eine Form wie dende für desde geben der Sprache zudem eine ländliche Note.

In der folgenden Szene aus Los disfrazados (1906) von Carlos Mauricio Pacheco stellt Pelagatti, Präsident eines italo-argentinischen Karnevalvereins sein Kostüm vor:

Pelagatti: ¿Cá ta parece lu traque?

Hilario: Macanudo...

Pelagatti: Agora non mase débono llegare los otro. Vas a vere lu coro ca teniemo dedicato a La Prensa. [...]

Pepa: Muy bien le queda, parece un Príncipe [...]

Pelagatti: Tenese que vire, que e cuestione re familia. ¡Nu prime mío ese conde n'Italia!

Hilario: ¿Se esconde en Italia?




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Pelagatti: Cuestione re familia.

(Pacheco in Viñas / Laforgue 1977: 166s)

In der Sprache Pelagattis finden wir als italianisierende Merkmale das epithetische -e nach konsonantischem Auslaut: mase, llegare, vere, tenese, vire, cuestione, ese. Ferner die Substitution von [x] durch [k]: traque. Der Rhotazismus [d] > [r] bei der Präposition de und die Artikel lu und nu markieren eine meridionale, wahrscheinlich kalabrische Herkunft.

Die folgenden Fragmente sind der Groteske Mateo (1923) von Armando Discépolo entnommen. Der alte Kutscher Miguel berichtet seinem Sohn Carlos, dass sein Pferd Mateo sich bei einem Zusammenstoß mit einem Automobil verletzt hat:

Miguel: Al principio yo no me hice caso al golpe e ho seguido caminando [...] pero Mateo cabeceaba de un manera sospechosa [...] N'entendemo como dos hermanos. Pobrecito. Me ho bajado e con un fófero so ido a ver. ¡Animalito de Dios! Tenía la matadura acá...

Carlos: Claro, usté respira por la herida , pero ... hay que entrar, viejo : hay que hacerse chofer.

Miguel: ¿Yo chofer? Ante de hacerme chofer – que son lo que me han quitado el pane de la boca – ¡me hago ladrón!

(Discépolo 1987: 317s).

So kommt es dann auch: Während der Vater nach einem fehlgeschlagenen Einbruch von der Polizei gesucht wird, kommt der Sohn in seiner neuen Chauffeursuniform nach Hause:

Miguel: ¿Usté... chofer?

Carlos: Chófer. Me he decidido a trabajar, viejo [...] ¡Papá, yo traigo plata! Ayer no había morfi en casa. Tome, mama; veinte pesos.

Die jüngere Bruder, der die Schwester Lucía gesucht hat, kommt dazu:

Chichilo: ¡Se la han piantao! ¡Se la han piantao a Lucía! [...] En un auto verde.

Carlos: ¿Qué decí? ¿Está loco, vo? Si Lucía está ahí. La llevé a dar una vuelta pa que conociera el coche.

(Ibd.: 341s).





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Die Sprache des Vaters ist in diesem Ausschnitt vor allem durch die italianisierende Verbmorphologie gekennzeichnet: ho seguido, ho bajado, so ido. Die Sprache der Söhne repräsentiert dagegen die Umgangsprache von Buenos Aires: Ausfall von intervokalischem -d- in den Partizipien: piantao. Voseo und Ausfall von auslautendem -s: ¿Qué decí? ¿Está loco, vo?. Mit morfi und piantar finden sich Lunfardo-Ausdrücke italienischen Ursprungs.11

Sprechen die Eltern untereinander, weist ihre Sprache einen größeren Anteil an Italianismen auf. Als der Vater am Ende von der Polizei geholt wird, verfällt er in den italienischen Dialekt:

Miguel: ¡Io so perduto!... Cármene... perdono... ¡Marito tuo e nu vigliaco!

Carmen: ¿Qué fachiste? ¿Qué fachiste?

Miguel: U patre di figli tui é nu vile. Perdono. Ha finito la pache nostra. ¡Io so perduto! ¡Io so perduto!

(Ibd. S. 340s).


4 Varietäten- und medientheoretische Überlegungen

Es stellt sich die Frage, wie die Sprechweisen der Figuren in den unter 3 vorgestellten Textfragmenten, varietätenlinguistisch einzuordnen sind. Selbstredend ist zwischen den tatsächlichen Verhältnissen und ihrer Darstellung in der Literatur zu unterscheiden.12 Ich möchte jedoch die Frage nach der Literarizität, die sich als eine medientheoretische erweisen wird, erst einmal zurückstellen und mich der umstrittenen Einordnung des Cocoliche als alltagssprachliches Phänomen zuwenden.

Das Wörterbuch der RAE definiert Cocoliche als einen hybriden und grotesken Jargon.13 Perera San Martín (1978: 111) tritt dieser Definition entgegen. Das Cocoliche sei kein Jargon, da es nicht der sozialen Abgrenzung, sondern der Integration diene. Es handele sich um ein Pseudo-Sabir; ein Begriff, mit dem Perego (1968: 604) das Französische der Araber im Maghreb, das neue Sabir, gegenüber dem alten Sabir, der Lingua franca des Mittelmeerraums, abgrenzt.

Die Bezeichnung Pseudo-Sabir verdeutlicht ein Grundproblem der soziolinguistischen Begriffsbildung. Diese geht gewöhnlich von konkreten historischen Kontaktsituationen aus, deren theoretische Erfassung auf einem niedrigen Abstraktionsniveau verbleibt. Die gewonnenen Begriffe lassen sich nur um den Preis übertragen, dass sie in jeder neuen Situation etwas anderes meinen.




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Die Bezeichnung Pseudo-Sabir14 für das Cocoliche erscheint ebenso wenig glücklich wie die Versuche von Whimmon (1971) und Hancoch (1971) es als eine Art Pidgin zu beschreiben. Es überrascht nicht, dass verschiedene Autoren unter dem Cocoliche als Pseudo-Sabir jeweils etwas anderes verstehen. Während Perera (1978: 111) ausschließt, dass das Cocoliche eine Varietät des Spanischen oder Italienischen sei, und Golluscio (1990: 65) von einer Mischsprache spricht, unterscheidet Cancellier (1996: 9s), den Ansatz von Meo Zilio15 ([1964] 1989: 208s) aufgreifend, zwischen einem Cocoliche als italianisiertem Spanisch und einem Cocoliche als hispanisiertem Italienisch. Nach Lavandera (1984) ist das Cocoliche dagegen im Bewusstsein der Sprecher allein eine Varietät des Spanischen. Dass selbst in jüngster Zeit das Cocoliche noch als Mischsprache bezeichnet wird (cf. Corrà / Ursini 1998: 573), verdeutlicht den nach wie vor erheblichen Klärungsbedarf.

Fig. 1: Varietätenlinguistische Einordnung des Cocoliche.

Wenn Peregos Bezeichnung wenig geeignet erscheint, über den Kontext ihrer Prägung hinaus verwendet zu werden, so ist seine Definition des Pseudo-Sabir nichtsdestoweniger von Interesse: ein Pseudo-Sabir entsteht aus dem unilateralen Versuch einer Sprechergruppe, eine Sprache von höherem sozialem Prestige in bestimmten Situationen zu reproduzieren. Die Sprecher haben dabei nicht das Bewusstsein, eine Mischsprache zu schaffen, sondern mehr oder weniger gut die Prestigesprache zu sprechen.

Jens Lüdtke (1985; 1998; 1999) hat gezeigt, dass in Sprachkontaktsituationen grundsätzlich nicht eine Mischvarietät, sondern zwei Kontaktvarietäten entstehen: ein von B, der Varietät mit geringerem Prestige, beeinflusstes A' und ein von A, der Prestigevarietät, beeinflusstes B'. Dieses komplexe Varietätengefüge wird im Normalfall in Richtung auf A' abgebaut.16




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Fig. 2: Kontaktvarietäten nach Lüdtke (1999: 28).

Beim Ausprägungs- und Substitutionsprozess spielen die Parameter Mündlichkeit und Schriftlichkeit sowie Reflexivität und Spontaneität eine Rolle. In Lüdtkes Leitbeispiel, der Sprachsituation Italiens im Risorgimento, war die A-Varietät ausschließlich als Schriftsprache existent. Die Ausprägung einer gesprochenen Varietät A' erfolgt reflexiv unter Einfluss der B-Varietät, des spontan erworbenen Dialekts, und wirkt auf diesen zurück, so dass sich auch eine Varietät B' ausprägt, eine italianisierte Form des Dialekts. Die Varietät B' oder sogar die Varietät A' können für die nachfolgenden Generationen bereits die spontan erworbenen Sprachen sein.17

Die von Lüdtke abgegrenzten Varietäten haben einen höchst unterschiedlichen Status. Systemcharakter im herkömmlichen Sinne besitzt erst einmal nur die spontan erworbene Varietät als eine unhinterfragbare Kompetenz ihrer Sprecher. Eine solche Varietät habe ich an anderer Stelle Genolekt genannt (cf. Kailuweit 1997). In einem völlig anderen Sinne, nämlich durch einen Prozess bewusster Normierung, ist auch die Standardsprache, der repräsentative Grammolekt in meiner Terminologie, systematisch. Der Systemcharakter der reflexiv ausgeprägten Kontaktvarietäten ist dagegen prekär.18 Es scheint vor allem deshalb sinnvoll, sie als Varietäten anzusehen, weil sie den Sprechern selbst aufgrund einer kleineren oder größeren Zahl charakteristischer Merkmale als eigene Formen des Sprechens auffallen.

Mit Lüdtkes Ansatz lässt sich nun die Klassifizierung des Cocoliche als eine Mischsprache endgültig überwinden. Das Cocoliche entsteht aus dem Integrationsstreben der Immigranten. Es ist ein Versuch, Spanisch zu sprechen, und somit eine Varietät A', die allerdings nicht im Kontakt mit dem Schriftspanischen, sondern mit dem gesprochenen argentinischen Spanisch entsteht. Zwar ist die Sprecherintention auch bei Perego (1968) ein Kriterium für die Charakterisierung des Pseudo-Sabir als Varietät der Prestigesprache. Bei der Diskussion um das Cocoliche ist dieser Aspekt aber vernachlässigt worden. Nach Meo Zilio ([1964] 1989) und Cancellier (1996; 2001) kann auch eine durch das Spanische geprägte Varietät des Italienischen Cocoliche genannt werden. Die beide Autoren beschreiben allerdings verschiedene Phänomene. Meo Zilio geht es um den hispanisierten italienischen Dialekt der Einwanderer. Diese B'-Varietät wird, so Lavandera (1984), von den Sprechern jedoch klar vom Cocoliche, der A'-Varietät, unterschieden.19 Es erscheint deshalb nicht sinnvoll, sie ebenfalls als Cocoliche zu bezeichnen. Cancellier nennt dagegen auch das hispanisierte Italienisch spanischsprachiger Intellektueller Cocoliche. Diese B'-Varietät der A-Sprecher ist kein Pseudo-Sabir im Sinne Peregos, da es sich nicht um eine Varietät der Prestigesprache handelt. Wie Cancellier (1996: 9f) selbst einräumt, ist die Bezeichnung cocoliche für diese Varietät unüblich.




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Lüdtkes Modell sieht nun auch die Möglichkeit vor, dass A-Sprecher eine Varietät A' ausprägen. Als solch eine A'-Varietät kommt der Lunfardo in Betracht; ein Argot, der Ende des 19 Jahrhunderts im kriminellen Milieu entstand, aber bereits Anfang des 20. Jahrhunderts die Sprache der städtischen Unter- und Mittelschichten beeinflusste (Teruggi 1978).20. Etwa 40% des Lunfardo-Vokabulars entstammen der Sprache der italienischen Immigranten. Die Verbreitung des Lunfardo erfolgt nach den gleichen Gesetzmäßigkeiten, die für den französische Argot aufgezeigt worden sind (cf. Radtke 1982): Stehen Dialekte als Affektsprache nicht zur Verfügung, wird auf den Jargon von Randgruppen zurückgegriffen. Die sozialen Umbrüche der Jahrhundertwende, die Dominanz der Stadt Buenos Aires gegenüber dem ländlichen Argentinien begünstigen diese Entwicklung: die Gaucho-Sprache, die Ende des 19 Jahrhunderts für kurze Zeit auch in städtischen Kreisen als Affektsprache in Mode war, wird durch den Lunfardo ersetzt. Als ein Argot besteht er allerdings nur aus einem begrenzten Inventar lexikalischer Elemente21 und ist somit nicht selbst eine italianisierte Varietät A', sondern der markierte Teil einer solchen.22 Die A'-Varietät, die kontaktbeeinflusste Umgangssprache städtischer Unter- und Mittelschichten, umfasst, wie Meo Zilio / Rossi (1970) zeigen, auch phonetische, phonologische und syntaktische Italianismen.23 Auch im Bereich des Lexikons ist zwischen Lunfardismen italienischen Ursprungs und Italianismen, die keine Lunfardismen sind zu unterscheiden.24

Fig. 3 illustriert das Varietätensprektrum, das sich durch den spanisch-italienischen Sprachkontakt ausprägt:


Fig. 3: Varietätenspektrum des spanisch-italienischen Sprachkontaktes.





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In den Textfragmenten, die ich unter 3 vorgestellt habe, finden wir die gesprochenen Varietäten wieder. Die Italiener der ersten Einwanderergeneration bemühen sich, mit den criollos (die Wäscherin; Pelagatti) und auch mit ihren Kindern (Miguel und Carmen) Spanisch zu sprechen und verwenden dabei die A'-Varietät Cocoliche. Ihre italienischen Dialekte bleiben davon unterschieden. Es entstehen jedoch durch Rückwirkung des Spanischen hispanisierte italienische Dialekte (Miguel und Carmen). Die Criollos sprechen zu Beginn des Sprachkontaktes ein umgangssprachliches Spanisch, in dem Elemente der Gaucho-Sprache Expressivität und Affektivität markieren (der Feuerwehrmann). Eine Generation später ist die die Umgangsprache der städtischen Unter- und Mittelschichten italianisiert und umfasst als Affektsprache den Lunfardo. Für die Kinder der Einwanderer (Carlos, Chichilo) ist diese A'-Varietät die spontan erworbene Sprache und nicht das Cocoliche ihrer Eltern.

Wie aber kann das literarische Cocoliche25 in seinem Verhältnis zum alltagssprachlichen beschrieben werden? Walter Bruno Berg (1999: 18–23; 78s) greift auf das Modell von Koch / Oesterreicher (1985; 2001) zurück, um das literarische Cocoliche als prototypischen Fall konzeptioneller Mündlichkeit zu charakterisieren. Berg macht hier Gebrauch von einem Terminus, der von Koch / Oesterreicher nun gerade nicht zur Abgrenzung «realer' von literarischer Mündlichkeit geschaffen worden ist. Koch / Oesterreicher (1985; 2001) unterscheiden bekanntlich nach Söll (1974) zwischen medialer26 und konzeptioneller Mündlichkeit und Schriftlichkeit. Der konzeptionelle Aspekt betrifft die Produktion von Nähe (Mündlichkeit) bzw. Distanz (Schriftlichkeit). Der relative Grad konzeptioneller Mündlichkeit und Schriftlichkeit bemisst sich u.a. nach den Parametern Privatheit : Öffentlichkeit, Vertrautheit : Fremdheit, emotionale Beteiligung, Situationsbindung, kommunikative Kooperation, Dialogizität, Spontanität sowie Freiheit der Themenwahl (cf. Koch 1999: 142; Koch / Oesterreicher 2001: 586).

Bei einem Theaterdialog sind allerdings die Parameter kommunikativer Nähe nicht gegeben. Er ist im Bezug auf das Publikum ein Monolog, der sich an eine größere, weitgehend unbekannte Personengruppe richtet. Die Darstellung der kommunikativen Nähe muss auf das Publikum Rücksicht nehmen. Typische Merkmale der Nähekommunikation, wie Satzbrüche, Wiederholungen, Abschweifungen etc. werden deshalb nur dosiert und stets im Hinblick auf ihre Wirkung eingesetzt (cf. Bustos Tovar 1998). Dies gilt auch für die Verwendung solcher nähesprachlicher Varietäten, mit denen zumindest ein Teil des Publikums nur in geringem Maße vertraut ist. Das literarische Cocoliche erscheint somit gerade nicht als eine prototypische Varietät des Nähebereichs, sondern nimmt eine Mittelstellung zwischen konzeptioneller Mündlichkeit und Schriftlichkeit im Sinne von Koch / Oesterreicher ein. Wenn Berg das Cocoliche als prototypischen Fall konzeptioneller Mündlichkeit ansieht, macht er allerdings auf ein Problem aufmerksam, das dem Begriff selbst innewohnt. Prototypische Nähekommunikation kann bestenfalls aus skriptizistischer27 Sicht konzipiert erscheinen.





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Prototypische Nähekommunikation ist gerade nicht konzipiert. Aus der Sicht der Sprecher und Hörer ist sie spontan. Sie erfolgt, mit Husserl (1954: 369) gesprochen, "vor allem Daraufachten" in einem "beschränkten Kreis unserer Nächsten", in "einer Gemeinschaft des sich wechselseitig voll verständlich Aussprechen-Könnens". Setzt sich dagegen ein Schriftsteller zum Ziel, Nähekommunikation darzustellen, so konzipiert er diese. Im Bereich der Literatur ist es überzeugend, von konzeptioneller Mündlichkeit zu sprechen, für die Beschreibung der Nähekommunikation im Alltag ist der Begriff dagegen nicht geeignet (cf. Kailuweit 1997).

Es handelt sich hier jedoch nicht allein um ein terminologisches Problem. Die Beschreibung von Nähekommunikation erfordert vielmehr ein grundsätzliches Überdenken der Trennung zwischen dem Medium und den pragmatischen Parametern. Der gesprochene oder geschriebene Kode steht nicht gleichsam quer zu diesen Parametern, er ist selbst einer der Parameter. Für die Briefkultur ist der graphische Kode, für die Umgangssprache der gesprochene konstitutiv, unabhängig davon, dass man Briefe auch vorlesen und umgangsprachliche Kommunikation aufzeichnen kann (cf. Albrecht 1990: 71s).

Söll und Koch / Oesterreicher stehen für eine «grammatologische' Wende in der Linguistik: Sie überwinden den konventionellen Schriftbegriff und zeigen, dass auch das Gesprochene verschiedene Grade konzeptioneller Schriftlichkeit aufweisen kann (cf. Kailuweit 1998). Ein integrales Verständnis der Konstitutionsbedingungen von Mündlichkeit und Schriftlichkeit setzt aber nicht nur die Überwindung des konventionellen Schrift-, sondern auch des konventionellen Medienbegriffs voraus. Ein Medienbegriff, der es ermöglicht, den Kode selbst als ein Parameter des Nähe-Distanz-Kontinuums zu denken, ist derjenige von Fritz Heider (1926) in seiner Ausgestaltung durch die Systemtheorie von Niklas Luhmann (cf. Luhmann 1998).28

Der Wert der Unterscheidung zwischen Medium, als ein Komplex lose gekoppelter Elemente, und Form, als ein Komplex fester gekoppelter Elemente, liegt dabei in der Relationalität. Was im Hinblick auf einen Komplex lose gekoppelter Elemente als Form erscheint, kann im Hinblick auf einen Komplex fester gekoppelter Elemente als Medium fungieren. Mithilfe dieses Medienbegriffes lassen sich nun das Cocoliche als alltagsprachliches Phänomen und das Cocoliche als literarisches Phänomen abgrenzen. Während das Cocoliche als Alltagssprache eine Form als festere Kopplung von Elementen darstellt, die in loserer Kopplung die alltagssprachliche Kommunikationssituation als Medium ausmachen, ist es selbst Teil einer loseren Kopplung von Elementen, die literarische Kommunikation konstituieren und als Medium für die Ausprägung der fester gekoppelten Form des literarischen Cocoliche dienen.





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Fig. 4: Alltagssprachliches Cocoliche als Medium des literarischen.


5 Schlussfolgerungen

Die Überlegungen die ich anhand des Kontaktvarietätenansatzes von Lüdtke und des Müdlichkeits-Schriftlichkeits-Modells von Koch / Oesterreicher angestellt habe, finden sich in Fig. 5 zusammengefasst:

Fig. 5: Kontaktvarietäten und konzeptionelle Mündlichkeit.





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Die italienischen Dialekte und das umgangssprachliche argentinische Spanisch sind Genolekte, d.h. ohne besonderen Aufwand im Kindesalter erworbene Varietäten, die in der Ausgangssituation des Sprachkontaktes innerhalb der jeweiligen Sprechergemeinschaften zur diaphasisch unmarkierten sach- und sinnorientierten Kommunikation dienen. Als Genolekte ist ihre Ausprägung und ihr Erwerb an den phonischen Kode gebunden. Das alltagssprachliche Cocoliche dagegen ist bereits ein (allerdings durch Mündlichkeit geprägter) Grammolekt, da sein Erwerb einen gewissen Aufwand erfordert und sein Gebrauch eine markierte Form des Sprechens darstellt. Einerseits liegt daher Reflexivität vor, andererseits erfolgen Ausprägung, Erwerb und Gebrauch in spontanen Kommunikationssituationen, die den phonischen Kode implizieren. Dies unterscheidet das Cocoliche von den Leitbeispielen reflexiver Mündlichkeit bei Lüdtke (1999), bei denen ein formeller, an der Schriftsprache orientierter Erwerb vorliegt. Der Lunfardo ist als Affektsprache diaphasisch markierter Bestandteil der italianisierten Umgangssprache. Die aus dem Kontakt resultierenden Varietäten, das italianisierte Spanisch und die hispanisierten italienischen Dialekte sind in der Phase ihrer Entstehung markiert, verlieren diese Markiertheit jedoch: Mit der Zeit erscheinen die Merkmale dieser Varietäten den Sprechern als Teil ihrer genolektalen Kompetenz.29 Das literarische Cocoliche schließlich ist ein prototypischer Fall konzeptioneller Mündlichkeit: ein reflexiv geschaffener, nicht mehr an den phonischen Kode gebundener Grammolekt.

Der Publikumserfolg des literarischen Cocoliche erscheint aus heutiger Sicht zwiespältig. Für Blengino (1977; 1990: 132) spiegeln die tragikomischen Figuren der sainetes und grotescos das Leid, das der Akkulturationsprozess mit sich brachte. Nichtsdestoweniger waren es gerade auch die Immigranten, die diese Stücke mit Begeisterung aufnahmen und sich mit den Protagonisten identifizierten (Blanco de García 1987: 250s). Der Cocoliche mag aufgrund seiner Sprechweise komisch wirken, als Bestandteil der argentinischen Gesellschaft nimmt man ihn wahr und, insbesondere in den Grotesken der 20er Jahre, in seinem Bemühen und Scheitern auch ernst. Nach Schäffauer (1999) sind die Stücke aufgrund der verwendeten Varietäten nur scheinbar vielstimmig. Indem sie Immigranten und criollos gleichermaßen ansprechen, schaffen sie eine gemeinsame italo-kreolische Identität. Die Stücke mögen auf der Ebene des Inhalts einstimmig und deshalb ohne großen literarischen Wert sein. Ihre Vielstimmigkeit auf der Ebene des Ausdrucks verschafft uns zum sprachlichen Alltag jener Zeit einen Zugang, auch wenn dieser aufgrund der konzeptionellen Mündlichkeit der Varietäten prekär bleibt.





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Bibliographie


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Anmerkungen

1 Nur 5% der Einwanderer nahmen bis 1930 die argentinische Staatsbürgerschaft an. Die Wehrpflicht mag einer der Gründe dafür gewesen sein (cf. Rock 1986: 143).

2 Mündlichkeit in der Literatur ist über die bloße Mimesis des Gesprochenen im literarischen Text hinaus der Bezug auf ein Ambiente, in dem das Gesprochene dominiert. Dieses Ambiente fällt als eine Welt der Mündlichkeit auf, da es sich von der durch Schriftlichkeit geprägten Welt des Lesepublikums abhebt.

3 Seine Sprache, die lengua gauchesca ist eine Kunstsprache (cf. Rona 1962: 113). Diatopische Unterschiede werden nivelliert, Merkmale, die aus der diastratischen Distanz des Autors auffällig erscheinen, herausgegriffen. Auffällig ist etwa, wenn óido und nicht oído betont wird. Unbemerkt bleibt dagegen die Differenz zwischen mojca und mosca. Das aspirierte s wird als Allophon von /s/ nicht unterschieden (cf. Rona ibd.).

4 "Era un gringo tan bozal / Que nada se le entendía / ¡Quien sabe de ande sería! / Tal vez no juera cristiano; / Pues lo único que decía / Es que era pa-po-litano (Verse 847–852). Cuando me vido acercar / preguntó / – dije yo – / – me pegó el grito: / Y yo dije despacito / " (Verse 859–864) (Hernández 2001: 139f).

5 Neben Cambaceres sind als weitere Vertreter dieser Richtung Antonio Argerich, Martín García Mérou, Manuel T. Podestá und Francisco A. Sicardi zu nennen (cf. Gnutzmann 1998).

6 In der gesprochenen Fassung (1886) des Gaucho-Dramas Juan Moreira, das auf einen Feuilleton-Roman von Eduardo Gutiérrez (1879/1880) zurückgeht und zuerst als Pantomime aufgeführt wurde, ist das Spanische der italienischen Immigranten in der Person des betrügerischen und verleumderischen Händlers Sardetti präsent.

7 Über die Entstehung der Figur gibt es verschiedene Legenden (cf. Golluscio 1979: 55–57). Podestá (1930: 62s) führt sie auf die Improvisation des Schauspielers Celestino Petray zurück, der die Sprechweise eines kalabrischen Zirkusarbeiters der Truppe, Antonio Cocoliccio, imitiert haben soll.




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8 Die Figur des Einwanderers, insbesondere des Italieners darf in diesen Stücken nicht fehlen. Schäffauer (1999: 160s) zeigt, dass nur in wenigen Stücken Einwanderer anderer Nationalität eine Rolle spielen, etwa Galizier, Basken, Franzosen oder russische Juden.

9 Bei dica, dico für diga, digo und li für le spielen phonetische Aspekte eine Rolle: Die Verwendung von [k] für [g], die sich auch in cringa zeigt, sowie heftige Schwankungen im Vokalismus: [i] für [e] oder [u]: li, in, ina: [e] oder [o] für [u]: ono, esté, osté, [u] für [o]: amuramientos.

10 Es bleibt allerdings offen, ob hier spanisch doy el sí intendiert ist oder italienisch dico di si ins Spanische übertragen werden soll.

11 Morfi 'Essen' geht nach Meo Zilio / Rossi (1970: 115) auf den italienischen Jargonausdruck morfa 'Hunger' zurück, piantar mit der Variante espiantar und den Bedeutungen 'rauben' und abhauen' auf italienisch piantare ‚'aufhören', 'sitzenlassen' sowie spiantá, Mailänder Jargon für 'abhauen' (ibd.: 108s).

12 Der Name Cocoliche, der, wie erwähnt, aus dem Theatermilieu stammt, lässt jedoch aufhorchen. Erst mithilfe der Literatur, so scheint es, lässt sich die Sprechweise der italienischen Immigranten als ein sozialrelevantes Phänomen fassen (cf. Berg 1999: 78).

13 "Jerga híbrida y grotesca que hablan ciertos inmigrantes italianos mezclando su habla con el español" (RAE 181956; 211992: s.v.).

14 Bei Perego ist der Gebrauch des Begriffs Pseudo-Sabir insofern gerechtfertigt, als im 19. Jh. sowohl die alte Lingua franca als auch das Französische der Araber im Maghreb als Sabir bezeichnet wurden.

15 Auf Meo Zilio beruft sich auch Fontanella de Weinberg (1987: 138–142), die einerseits das Cocoliche als "italiano con interferencias del español" und als "español con interferencias del italiano" beschreibt, es andererseits aber ein linguistischen Kontinuum nennt, das "variedades intermedias" umfasse, die nicht zugeordnet werden könnten.

16 Der Normalfall entspricht hierbei dem traditionellen Substrateinfluss, der Sonderfall dem Superstrateinfluss.

17 Letzteres ist etwa in Asturien zu beobachten, wo die A'-Varietät, das regionale Spanisch, ebenfalls im Bezug auf das Spanische als Schriftsprache entstanden ist und nicht über einen relevanten Sprachkontakt mit muttersprachlichen Sprechern der A-Varietät.

18 In dieser Hinsicht unterscheiden sie sich allerdings nicht wesentlich von den symphasischen Varietäten, den Sprachstilen.

19 Es stellt sich die Frage, inwieweit die Sprecher selbst eine Unterscheidung zwischen einem hispanisierten und einem 'reinen' Dialekt treffen. Man könnten annehmen, dass eine solche Unterscheidung zumindest solange getroffen wurde, wie durch kontinuierlich starke Zuwanderung, die Dialektgemeinschaften in Argentinien mit Sprechern des noch nicht hispanisierten Dialekts konfrontiert waren. Dass die Abweichungen des Italienischen in Argentinien auffielen, belegen die Arbeiten von Meo Zilio (1955a, 1955b; [1964] 1989), die das Cocoliche in seiner Abweichung vom Italienischen, kurioserweise jedoch von Standarditalienischen, das die wenigsten Sprecher beherrscht haben dürften, beschreiben.

20 Daran hatte nicht zuletzt seine Verwendung in der Literatur und auf der Theaterbühne erheblichen Einfluss (cf. Schäffauer 1997).




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21 Nach Teruggi (1978: 42) machen Lunfardismen bestenfalls 10% eines Diskurses aus, soll dieser nicht künstlich wirken.

22 Auch Meo Zilio / Rossi (1970: xx) betonen, dass der Lunfardo keine Varietät im Sinne einer funktionellen Sprache nach Coseriu ist.

23 Nach Meo Zilio / Rossi (1970: 134–137) ist hier die Integration des Phonem /š/ zu nennen (pastashuta) und die Verstärkung des Tendenz zum Verlust auslautenden -s: vo für vos; im Bereich der Syntax der Gebrauch der Präpositionen (máquina a vapor statt de ~ it. macchina a vapore ; ir del médico statt al ~ it. andare dal medico), tener de statt tener que ~ it. aver da oder die Wendung no tengo más statt ya no tengo ~ it. non ne ho più. Im Bereich der Wortbildung erwähnt Meo Zilio (1989: 100–109) das Morphem -eli, mit der Bedeutung 'besonders typisch': cansadeli 'wirklich müde'; gordeli 'richtig dick'.

24 Teruggi (1978: 106s) nennt hier z.B. morsa 'Schraubstock' (sp. 'Walross'), banquina 'Straßenrand' oder peceto 'Stück Rindfleisch'. Diese Wörter sind im DREA als Argentinismen belegt.

25 Das literarische Cocoliche ist, wie die Gaucho-Sprache eines Hernández eine Kunstsprache. Es basiert einerseits und stets aufs Neue auf der mehr oder weniger guten Beobachtungsgabe der Autoren, die einzelne, ihnen besonders typisch erscheinende Elemente, herausgreifen, andererseits bildet es als literarische Varietät selbst eine Tradition, aus der nachfolgende Autoren schöpfen können. Was unsere Textbeispiele betrifft, erscheint etwa im Dialog von Álvarez die Realisierung der Vokale in der Sprache der Wäscherin wenig realistisch. Die Schwankungen verweisen lediglich auf die Unterschiede, die zwischen dem Spanischen und Italienischen bestehen und Gegenstand von Interferenzen und Hyperkorrekturen werden. Das auslautende -s fällt nach Lavandera (1984) in ihrem gesprochenen Cocoliche-Korpus (1976/1977) zu 98% aus und wird lediglich in einzelnen Wörter wie dos bewahrt. Im Mateo rekurriert Discépolo jedoch nur vereinzelt auf dieses Phänomen. Bei Pacheco charakterisiert es grundsätzlich die Sprache von Pelagatti. Dass dieser bei ese conde n'Italia ein epithetisches -e an des Verbform es anhängt, statt diese wie üblich e zu realisieren, mag wohl vor allem dadurch motiviert sein, dass sich so die Möglichkeit zu einem Wortspiel ergibt

26 Der mediale Aspekt betrifft den Gebrauch des phonischen Kodes, der notwendig eindimensional ist und mit dem Ohr rezipiert wird, und des graphischen Kodes, der mehrdimensional ist und mit dem Auge rezipiert wird.

27 Als skriptizistisch möchte ich mit Ágel (2003) eine Position bezeichnen, die sich die Erforschung von Mündlichkeit zum Ziel setzt, dies aber unbewusst auf der Grundlage der Schriftlichkeit tut.

28 Zur systemtheoretischen Nutzbarmachung des Heiderschen Medienbegriffs siehe auch Gumbrecht (1996).

29 Sie werden von stilistischen Markern zu lektalen Indikatoren.

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