PhiN 25/2003: 67




Jörn Glasenapp (Lüneburg)



Gaylyn Studlar und Matthew Bernstein (Hgg.) (2001): John Ford Made Westerns: Filming the Legend in the Sound Era .Bloomington und Indianapolis: Indiana University Press.



Noch vor einigen Jahren, als von der Kritik zuweilen als Postwestern bezeichnete Filme wie Kevin Costners Dances with Wolves (1990), Clint Eastwoods Unforgiven (1992) oder Richard Donners Maverick (1994) die Kinokassen füllten, konnten sich Liebhaber des ältesten Filmgenres der Welt einreden, das immer wieder aufkommende (und freilich gerechtfertigte) Gerede von dessen Tod sei nur ein lästiges Gerücht, welches der Realität nicht entspreche. Nun, im neuen Jahrtausend ist dieses Kopf-in-den-Sand-Stecken beim besten Willen nicht mehr möglich, zu offensichtlich, zu ungeschönt liegt die Wahrheit auf der Hand: Der Western, dessen Siegeszug 1903 mit Edwin S. Porters The Great Train Robbery begann, hat seinen hundertsten Geburtstag nicht mehr erlebt. Dennoch sind eine Vielzahl von Filmen zu Kinoklassikern geworden, denen nicht selten das Attribut 'unsterblich' an die Seite gestellt wird — unter ihnen Stagecoach (1939), My Darling Clementine (1946), Rio Grande (1950), The Searchers (1956) oder The Man Who Shot Liberty Valence (1962), für welche der wie kein anderer Regisseur mit dem Westerngenre assoziierte John Ford verantwortlich zeichnet. Letzterem wurde nun der hier vorzustellende, reich bebilderte Sammelband gewidmet, wiewohl sich dessen Herausgeber durchaus darüber im Klaren sind, dass es nicht nur in der in der Wissenschaft mittlerweile relativ still geworden ist um den Regisseur, dessen großen Filme wir zwar (zu) kennen (meinen), der uns jedoch im Gegensatz etwa zu Hitchcock, an dessen Aktualität wir von Zeitgeist-Theoretikern wie Slavoj Zizek immer wieder erinnert werden, in der Tat ein wenig angestaubt vorkommen mag. "To contemporary viewers, Ford's films, most often characterized by a mixture of comedy and pathos, patriotic Americana and family-centered romanticism, might well seem as old-fasioned as anything that D.W. Griffith ever made" (10), heißt es denn auch — freilich ein wenig übertrieben — in der Einleitung des Bandes, dessen Essays jedoch zum Teil recht eindrucksvoll beweisen, dass sich eine weitere wissenschaftliche Auseinandersetzung mit 'Pappy Ford' nach wie vor lohnen kann.




PhiN 25/2003: 68


Hierbei ist vor allem der Beitrag Gaylyn Studlars zu nennen, die sich einerseits mit der Darstellung von Geschlechterrollen in Fords Western und andererseits mit Jane Tompkins' mittlerweile als Standardwerk zu bezeichnenden Essay West of Everything: The Inner Life of Westerns (1992) auseinander setzt. In diesem hatte die feministische Literatur- und Kulturwissenschaftlerin das Genre als misogyne Männerphantasie profiliert, in welcher die Handlungsmöglichkeiten des weiblichen Geschlechts in aller Konsequenz auf ein Minimum reduziert würden, um gewissermaßen Platz zu schaffen für den männlichen Helden, der — individualistisch, hart, wortkarg und gewaltbereit — durch eine stete Meidung gemeinhin als 'feminin' apostrophierter Wertemuster gekennzeichnet sei. Natürlich, solche Figuren gibt es bei Ford, man denke etwa an den auch von Tompkins immer wieder als Bestätigung ihrer Grundthese bemühten Ethan Edwards aus The Searchers, doch ob dieser offenkundig pathologische Charakter als männliches Ideal gelten könne, erscheint denn doch als äußerst fraglich. "The Searchers emerges very unmistakably as a major critique — rather than an advocacy — of what Tompkins claims is the genre's standard model of masculinity. Ford's film undermines Edwards's ability to function as a Western hero" (61), konstatiert denn auch Studlar, die zu Recht darauf hinweist, dass der sprichwörtliche einsame Cowboy im Fordschen Kosmos nicht zum Helden tauge, dass anstelle dessen "'soft' men" bzw. "men who have the potential to become fathers and husbands" (62) dem Ideal des Regisseurs erheblich näher kämen (vgl. etwa Travis aus Wagon Master (1950) oder Martin Pawley aus The Searchers). Dies freilich ist kein Wunder angesichts "Ford's almost obsessional foregrounding of the family as the source of all good in securing the future of the nation." (55) Dass der Frau hierbei eine nachgerade unverzichtbare Rolle zukommt, dies lasse Ford, so Studlar, auch und vor allem ex negativo offenkundig werden, d.h. anhand der Charakterisierung frauenloser Familien, die — man denke an die Clantons aus My Darling Clementine oder die Cleggs aus Wagon Master — als hochgradig regressiv und pervers zu bezeichnen sind (73).

"My sympathy was always with the Indians", hatte Ford einmal gesagt, doch angesichts solcher Filme wie Stagecoach oder Rio Grande, welche die indigene Bevölkerung auf das bereits bei Cotton Mather und anderen puritanischen Kolonisatoren fest etablierte 'Red Devil'-Stereotyp reduzieren, vermag es kaum zu verwundern, dass zahlreiche Kritiker den Worten des Regisseurs keinen rechten Glauben schenkten, dass sie diesen vielmehr des mehr oder weniger stark ausgeprägten Rassismus beschuldigten. Diesen Vorwurf nun versuchen zwei der hier versammelten Beiträge zu relativieren — mit unterschiedlichem Erkenntnisgewinn für den Leser. Denn während Charles Ramírez Berg über das bloße Formulieren unhaltbarer bzw. von ihm nicht belegter Thesen ("Ford's films comment on race and culture most profoundly — and most progressively — when their main plot is about something else." [93]) nicht wesentlich hinausgelangt, vermag es Joan Dagle in ihrem guten Beitrag anhand von Beispielanalysen von Stagecoach, Fort Apache und The Searchers deutlich zu machen, dass in Fords Western ein Abrücken von den üblichen Stereotypisierungsmustern bezüglich der Indigenen nicht selten mit einer Verabschiedung linearer Erzählstrukturen einhergeht.




PhiN 25/2003: 69


Im Anschluss an diesen Abschnitt setzt sich Peter Lehman ausgesprochen kritisch und informativ mit Fords naiv zu nennenden Vision eines letztlich unproblematischen Kapitalismus auseinander. Dieser spiele als ein agonales Gesellschaftssystem in den idealen Frontier-Gemeinschaften — man denke an den Mormonentreck in Wagon Master oder die Armee in der Kavallerie-Trilogie — eine höchstens periphere Rolle, denn "in Ford's world the only good capitalist is one who shows no concern for money and virtually gives things away. In other words, Ford presents a fantasy of capitalism where the very profit motive that drives it is absent, replaced by an idealistic sense of family and community." (145) Die wenigen 'echten', d.h. an Profit orientierten Charaktere, d.h. etwa der Bankier Gatewood aus Stagecoach, der Händler Futterman aus The Searchers oder aber der Bandit Uncle Shiloh Clegg aus Wagon Master, nehmen denn auch allesamt die Schurkenrolle ein, wobei ihnen eine zweifache Rolle zukommt: Zum einen bilden sie eine negative Kontrastfolie, vor der die positiven, jedes Profitstreben ablehnenden Charaktere in aller Deutlichkeit zur Abhebung kommen, zum anderen reden sie einer impliziten Verteidigung des Kapitalismus das Wort, indem sie deren problematischen Seiten allein als Ergebnis der moralischen Verkommenheit einzelner, im Übrigen am Ende stets eliminierter Subjekte ausweisen.

Bekanntlich wies Ford darauf hin, dass er beim Drehen von She Wore a Yellow Ribbon (1949), dem zweiten Teil der Kavallerie-Trilogie, unter anderem die aktionsgeladenen Bilder des wohl populärsten Westernmalers, Frederic Remington (1861-1909), als Orientierungspunkt im Blick gehabt habe, vor allem deren farbliche Gestaltung und deren bemerkenswerte Inszenierung von Bewegung. Edward Buscombe nun geht in seinem Beitrag diesem Hinweis nach, wobei es ihm vor allem darum zu tun ist, Remington als Künstler zu profilieren, der — ebenso wie die zahllosen Autoren der so genannten dime novels oder die Veranstalter der großen Wild West Shows — einen wesentlichen Beitrag zur Konstruktion des 'Wilden Westens' leistete und zudem als wichtiger Impulsgeber für die Entstehung und Entwicklung des Westernfilms angesehen werden muss.

Letzteres gilt freilich auch für James Fenimore Cooper, dessen Leatherstocking-Tales Barry Keith Grant in dem vielleicht enttäuschendsten Beitrag des Bandes zu Fords Western-Œuvre in Beziehung setzt, wobei er dies unter explizitem Rekurs auf Peter Wollen tut: "We need comparisons with authors in the other arts: Ford with Fenimore Cooper, for example, or Hawks with Faulkner", (Wollen 1972: 115) hatte dieser 1969 in Signs and Meaning in the Cinema eine Forderung formuliert, der Grant zwar durchaus nachkommt, dabei allerdings zu keinerlei Ergebnissen gelangt, die an anderer Stelle nicht bereits hinreichend herausgestellt worden wären: So erfahren wir einmal mehr, dass (a) sowohl Cooper als auch Ford eine augenfällige Tendenz zur Mythisierung zu attestieren sei, welche sich vor allem in der Charakterzeichnung, aber auch in der Präsentation der Landschaft zu erkennen gebe, und dass (b) beide grundsätzlich von einer "ultimate irreconcilability of wilderness and civilization" (196) überzeugt seien, um schließlich daran erinnert zu werden, dass sich (c) beider Blick auf die amerikanische Gesellschaft im Laufe ihrer künstlerischen Entwicklung zunehmend verdüstert habe. Es bedarf keines Spezialistentums, um zu erkennen, dass diese Parallelen die von Grant in Anschlag gebrachten Attribute "remarkable" und "striking" (194) nun wahrlich nicht verdienen.




PhiN 25/2003: 70


Eher deskriptiven und zusammentragenden Charakter hat der Beitrag von Charles J. Maland, der sich der Frage widmet, "how a film director's public reputation emerges and evolves in the American film industry and the context of American culture." (220) Nicht zu Unrecht streicht er hierbei die besondere Bedeutung von Frank S. Nugents 1949 in der Saturday Evening Post veröffentlichten (und im Dossier des vorliegenden Bandes dankenswerter Weise erneut abgedruckten) Essay "Hollywood's Favorite Rebel" heraus, in welchem Fords Image als tougher, lakonischer Individualist mit Vorliebe für 'männliche' Stoffe betont und einer breiten Leserschaft nahe gebracht wurde — ein Image, um dessen Entstehung und Konsolidierung — erinnert sei vor allem an Fords immer wieder zitierte Selbstcharakterisierung mit den Worten "My name's John Ford. I make Westerns" — sich seit den späten vierziger Jahre bekanntlich auch der Regisseur bemühte. Dass letzterer in den sechziger Jahren endgültig in den Pantheon der US-amerikanischen Filmemacher aufgenommen wurde, dafür sorgten vor allem namhafte 'auteur critics' wie Michael Barkun, Peter Bogdanovich und Andrew Sarris.

Ausgehend von der hinlänglich bekannten These, dass zahlreiche der Fordschen Western — als besonders markante Beispiele können Stagecoach und My Darling Clementine gelten — den Konsolidierungsprozess einer Gemeinschaft zum eigentlichen Thema haben, versucht Kathryn Kalinak zu zeigen, dass dem, man kann fast sagen: exzessiven Einsatz diegetischer und extra-diegetischer Musik in dem Spiel um Inklusion und Exklusion eine zentrale Rolle zukommt. Dies wird unter anderem unmittelbar vor der berühmten Tanzszene aus My Darling Clementine deutlich, wenn die Gemeinde das von Ford auch in The Searchers verwendete "Shall We Gather at the River?" anstimmt. Kalinak kommentiert wie folgt: "It [der Gesang] is represented as an instance of social integration, but who is 'gathered' and who is not (most conspicuously Doc Holliday and Chihuahua) reflects the principles of exclusion by which the community works." (175)

Abschließend sei gesagt, dass es Studlar und Bernstein gelungen ist, einen über weite Strecken ausgesprochen informativen Band zusammenzustellen, der neue Erkenntnisse zu Ford liefert, dabei aber gleichzeitig als hervorragende Einführung lesbar bleibt, was vor allem dem Umstand zu verdanken ist, dass sich die einzelnen Beiträger nicht zu schade sind, Grundsätzliches und bereits Bekanntes über den Regisseur bzw. das Westerngenre zumindest in den Fußnoten anzumerken. Dass John Ford Made Westerns zudem noch mit einer interessanten Sammlung von Stimmen über den Regisseur (unter anderem von Wyler, Capra, Fellini und Truffaut), einer Filmographie sowie einer guten Ford-Bibliographie aufwarten kann, unterstreicht den insgesamt sehr positiven Eindruck, der sicher dazu führen wird, dass der Band den Status eines Ford-Standardwerkes erhalten wird.

Bibliographie

Wollen, Peter (1972): Signs and Meaning in the Cinema (1969). Bloomington: Indiana University Press.

Impressum