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Claudia Gronemann (Leipzig)


Natascha Ueckmann (2001): Frauen und Orientalismus: Reisetexte französischsprachiger Autorinnen des 19. und 20. Jahrhunderts. Stuttgart, Weimar: Metzler. (= Ergebnisse der Frauenforschung, Bd. 56)


Das vorliegende Buch, die überarbeitete Fassung der Dissertation von Natascha Ueckmann, versteht sich als Beitrag zu einer kulturtheoretisch ausgerichteten Literaturwissenschaft, genauer als "feministisch-intertextuell-topographisch[e]" (18) Analyse französischsprachiger Berichte von orientreisenden Frauen des 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Die "terra incognita" ist dabei allerdings nicht das allen Autorinnen gemeinsame Reiseziel, der Orient, welcher von dem palästinensischen Kulturtheoretiker Edward Said 1978 bekanntlich als Nicht-Ort, als imaginäre Konstruktion des Westens gedeutet wurde, sondern meint bei Ueckmann die kaum beachtete, aber nicht nur gendertheoretisch höchst bedeutsame Tatsache, daß auch Frauen (zumindest seit ihnen Reisen möglich und sogar zur Mode wurde), an eben dieser kolonialen Imagination des Orients exemplarisch mitwirkten.

Der Zugriff der Vf. auf die bisher in der deutschsprachigen Romanistik nicht untersuchten Reisetexte erfolgt in erster Linie über die Raumdarstellung, welche nicht als mehr oder minder authentische Repräsentation vorgefundener Orte gedeutet wird, sondern – und damit sowohl Said als auch Vertretern der poststrukturalen und postkolonialen Theorie folgend – als textuelle Konstruktion von Wirklichkeit(en).

Über die erklärte Absicht einer geschlechtsspezifischen Erweiterung von Saids Konzept des orientalism hinaus zielt Vf. mit ihrer Studie auf einen weiteren zentralen Effekt, nämlich die Beseitigung der weiblichen "Leerstelle im orientalistischen Kanon" (13): seit dem 19. Jahrhundert wird weibliche Reiseliteratur kaum rezipiert,1 auch innerhalb der Forschung, von wenigen Ausnahmen abgesehen,2 nicht, so daß die sehr zahlreich vorhandenen Texte "weitgehend aus dem literaturgeschichtlichen Gedächtnis ausgelöscht" werden (16).3 Diese Stoßrichtung der vorliegenden Studie wird untermauert durch ein enorm breit angelegtes Textkorpus, selektiert aus nicht weniger von 200 Texten aus der Feder von knapp 90 Autorinnen, von denen 16 im Anhang der Studie näher vorgestellt werden. Die zugrunde gelegten Reiseberichte entstanden im Zeitraum von 1880 bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts und werden mit Ausnahme von drei Autorinnenkapiteln (zu Suzanne Voilquin, Jane Dieulafoy und Jehan d'Ivray) jeweils exemplarisch in die Analyse einbezogen, wobei vielfältige Textsorten wie Reiseberichte, Autobiographien, Tagebücher, Romane und Briefe eingeschlossen sind.



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Die wenige vorhandene Forschungsliteratur unterzieht Vf. vor allem einer Kritik: der emanzipatorische Aspekt des Reisens werde bei Frauen in den Vordergrund gerückt, so daß ihre Reisetexte in der Regel referentiell-biographisch gelesen und damit vollständig um ihre kulturelle Dimension, d.h. ihren Anteil an der Konstruktion des Anderen und der kolonialen Praxis gebracht werden. In der bisherigen Reiseforschung, so lautet Ueckmanns kritisches Fazit, werden Frauentexte entweder vernachlässigt oder trivialisiert. Dem kann hinzugefügt werden, daß auch in prominenten Arbeiten zur postkolonialen Theorie ebenfalls kaum Beispiele für weiblichen Eurozentrismus auftauchen: die diskursive Konstruktion des Fremden, einem der zentralen Aspekte der Theorie, ist eine vorrangig männliche Domäne und die Frage der weiblichen "Mittäterschaft" spielt in der Regel keine Rolle.

Auf eine differenzierte und im eigentlichen Sinne gender-orientierte (weniger im engeren Sinne feministische) Analyse, zielt dagegen die Vf., indem sie die Kategorie Geschlecht aus dem binären Konstruktionsraster Mann – Frau herauslöst und um eine kulturspezifische Dimension erweitert: Sie weist auf eine von männlicher wie weiblicher Urheberschaft gleichermaßen hervorgebrachte, die Geschlechterordnung überlagernde kulturelle Differenz, die mit der Konstruktion des Raumes als 'Orient' hervorgebracht und festgeschrieben wird. Trotz des umfangreichen Korpus' (dessen vielfältige Aspekte zuweilen den roten Faden einer weiblichen Orient-Konstruktion überlagern) geht es in der Untersuchung nicht um eine Aufwertung vergessener Autorinnen, sondern um deren Beitrag zum Eurozentrismus, um den weiblichen kolonialen Blick, der sich ebenso wie der männliche einer anderen Kultur bemächtigt und so Kolonialgeschichte schreibt. Hier liegt der Schnittpunkt der kulturtheoretischen und literarhistorischen Problematik, um die es geht: Warum wurden reisende Autorinnen nicht kanonisiert und damit ihr Beitrag am Orientalismus sowie ihr Teilhaben an der kolonialen Macht bis heute weitgehend ausgeblendet?

Im ersten Teil der Untersuchung widmet sich Vf. den methodischen Grundfragen der Untersuchung und skizziert einen gender-bezogenen4 Wissenschaftsbegriff als Ausgangspunkt einer methodenpluralistisch und interdisziplinär ausgerichteten Kulturwissenschaft. Ueckmanns Terminologie einer "feministischen Wissenschaft" erscheint mir jedoch insofern ambivalent, als sie Gender-Forschung und Feminismus begrifflich zusammenfaßt, während die jeweiligen Konzepte – wie die Vf. im Abschnitt "Gender Studies vs. Differenz-Modell" selbst betont – eigentlich unvereinbar sind: Wenn Körperlichkeit nämlich wie beim Genderansatz als diskursives kulturelles Konstrukt aufgefaßt wird, gibt es eine übergreifende Kategorie 'Frau' nicht mehr und ohne diese auch, genau genommen, keinen feministischen Ansatz im engeren Sinne. Die vorliegende Untersuchung revidiert einerseits die traditionelle Geschlechterordnung, indem sie die koloniale "Mittäterschaft" (Ueckmann) der Frauen herausarbeitet, andererseits werden die Texte dabei – analog zum umgekehrt operierenden männlichen Kanon – separat und im Sinne der traditionellen Geschlechterordnung geordnet. Damit wird der Kanon ergänzt, aber eben als Konzept nicht wirklich neu formuliert oder ad acta gelegt.



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Für die Textanalysen arbeitet Vf. ein Modell der Intertextualität als einem zweistimmigen Diskurs heraus, bei dem männliche Diskursstereotypen sowohl angeeignet als auch (weiblich) umgeschrieben werden. Damit wird deutlich, daß die mit dem Reisen verbundenen geographisch Grenzüberschreitung keinerlei Bruch mit der Ordnung der Ausgangskultur darstellt und demzufolge keine Distanz zur eigenen Kultur bewirkt.

Gleichwohl stehen die Reiseberichte nicht in einer eindeutigen Gattungstradition, sondern sind Hybride literarischer und nichtliterarischer Textsorten. Diese textuellen Mischformen ließen sich auch unter Bezug auf den kulturwissenschaftlichen Ansatz der Arbeit begründen, die nicht im engeren literaturhistorischen Sinne nach der Genrespezifik, sondern nach den Mechanismen der textuellen Konstruktion des Selbst und des Anderen mithin der spezifischen Verfaßtheit von Kultur fragt. Die Diskursivierung kultureller Räume, wie sie hier anhand von Reisetexten vorgeführt wird, erfolgt im Rahmen unterschiedlicher Genres, die ihrerseits bereits als Produkte einer ordnenden, ja geschlechtssprezifischen Diskursmacht aufgefaßt werden und derart in die Dekonstruktion kolonialer Diskurse einbezogen werden könnten. Letztlich teilen die selektierten Reisetexte – neben dem weiblichen Autor – die für die Untersuchung zentrale Kategorie des 'Orient', welche im engeren Sinne einen geographischen Raum bezeichnet, jedoch seit Saids orientalism-Buch vorrangig die Konstruktion eines kulturellen Anderen, auch ganz und gar unabhängig von einer jeweiligen geographischen Verortung beschreibt. Das Fremde liegt hier nicht mehr außerhalb des Selbst, sondern ist vorrangig eine Projektion des Ich und dessen kultureller Einbettung im Dienste der kolonialen (sexuellen o.a.) Aneignung und Eroberung, d.h. sie dient primär der Durchsetzung und Legitimation hegemonialer Interessen. Das Spektrum je nach Diskursfunktion reicht von einer Idealisierung des Fremden im Diskurs des Exotismus über den Primitivismus bis hin zur Herabsetzung und rassistischen Diskriminierung. Als die klassische Orient-Imago gilt jedoch die Sexualisierung des orientalen Raums im männlichen kolonialen Blick, zusammengefaßt in einem rein männlichen Kanon der Orientliteratur von Flaubert über Hugo, der den Orient im übrigen nie betreten hat, bis hin zu Gide.

Ueckmann kritisiert Saids Konzept, im Anschluß an vorausgehende Studien zur weiblichen Reiseliteratur (72), als zu homogenes und nicht gender-gerechtes Modell: das Konzept des Orientalismus sei von männlichen Stereotypen durchsetzt, die nicht als solche reflektiert würden. Die Polyphonie orientalistischer Diskurse wird, so die Argumentation, damit um den Beitrag der weiblichen Stimme reduziert. (Allerdings sollte dann auch das Konzept des "Feminazentrismus" revidiert werden, welches den bei Said kritisierten "homogenen" Orientalismus nur unter anderen Vorzeichen fortsetzt.)

Die zentrale Frage lautet daher, welche Bilder entwerfen Frauen vom Orient? Für die Reiseberichte von Frauen im 19. Jahrhundert, die im zweiten Teil der Arbeit analysiert werden, wird diese Frage an den Haremsdarstellungen festgemacht, die jenen Ort, anders als die Sprache des männlichen Begehrens, entmystifizieren und sich nicht mit der fremden Frau solidarisieren, sondern diese vielmehr diskriminieren.



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Der Blick reisender Frauen, die als solche das Privileg besitzen, den Harem überhaupt betreten zu dürfen, kehrt übliche Verklärungen um und bestimmt den Harem ausgesprochen negativ, ohne Anerkennung der islamischen Kultur und ohne Wissen um deren Vorstellungen von Sexualität, Religion und Tradition. So spricht etwa die aus Italien stammende salonnière Cristina de Belgiojoso von der "immonde atmosphère du harem" und würdigt die Haremsfrauen beleidigend herab: "L'expression de leur visage est à la fois la stupidité, une sensualité grossière, l'hypocrisie et la dureté", womit sie offenbar zugleich den eigenen Status als Exilierte in Frankreich (und als Frau) zu relativieren vermag.

Auch bei der Journalistin Olympe Audouard findet sich eine derartige Funktionalisierung des Harems: während sie als Autorin ganz traditionell mit Bescheidenheitsfloskeln operiert und ihre Autorschaft der männlichen unterordnet, stellt sie sich zugleich über die Orientalinnen und kritisiert deren "Analphabetismus", "sexuelle Triebhaftigkeit", "Irrationalität" und "Animalität": "ce sont des femelles, et non des femmes" (91). Bekannte misogyne Topoi werden hier gewissermaßen für den Diskurs des orientalism umfunktioniert.

Der Diskurs über die Häßlichkeit der Orientalinnen ist eine weitere Facette des Ethnozentrismus etwa bei der Konstantinopel-Reisenden Valérie de Gasparin. Indem sie die "Sklavenrolle" der Haremsfrau kritisiert, vermag sie sich selbst als emanzipierte Frau zu entwerfen. Sie rekurriert auf das koloniale Zeitmodell der Linearität, indem sie, sich selbst der Zeit voraus wähnend, für ein Ende der veralteten Haremskultur plädiert und schließlich betet "pour ces pauvres sœurs d'Orient, déshéritées de tout ce qui fait notre bonheur" (96). Damit kommt eine typische koloniale Strategie zum Tragen, welche die Fremdheit einer anderen Kultur zeitlich hierarchisiert und auf einer früheren Entwicklungsstufe ansiedelt.

Ganze zwei Gegenbeispiele kann Vf. anführen, in denen der Harem nicht abgewertet oder sogar als paradiesischer Ort aufgewertet wird, etwa Rattazzi: "il n'y a pas un pays au monde où les mœurs soient plus libres" (83). Die Haremsbilder reisender Frauen entfalten somit überwiegend eine weibliche Version von Ethno- und Eurozentrismus: "ausschweifende Sexualität", Polygamie, "Unreinheit", "Häßlichkeit" und "Dummheit" der Orientalinnen. Die in der eigenen Kultur dominierende Geschlechterdifferenz tritt damit zugunsten einer neu zu etablierenden kulturellen Differenz zurück: mit Hilfe dieser Projektion schaffen sich reisende Frauen durch Abgrenzung von der fremden Frau eine Identität, sie entkommen ihrer subalternen Rolle, indem sie die unterworfene 'Orientalin' als Gegenbild konstruieren sowie zwischen sich und anderen Frauen eine Differenz behaupten. Diese Art der Diskursivierung des Orients wird in der Forschung zuweilen sogar als Ausgangspunkt für die westlichen Diskurse weiblicher Emanzipation gesehen (166), eine Spur, die Ueckmann allerdings nicht weiterverfolgt. Die Funktion des weiblichen Orientalismus-Diskurses ist damit vorrangig eine der Distinktion und Emanzipation des Selbst.



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In den folgenden, drei Autorinnen einzeln gewidmeten Kapiteln, gelingt Ueckmann ein anderer Zugang zu den Reiseberichten, der dem Leser näheren Einblick in die Diversität der Kontexte und die unterschiedlichen Funktionen des weiblichen Orientalismus stärker verdeutlicht. Während die Saint-Simonistin Suzanne Voilquin, mit wenig Geld ausgestattet, ihre utopistische Vision in den 1830er Jahren in Ägypten umzusetzen versucht, geht es der begüterten Archäologin Jane Dieulafoy, die die "feindliche" Fremde zu reinen Forschungszwecken aufsucht und ausschließlich in Männerkleidung in Erscheinung tritt, eher um die Auslöschung des eigenen Frauseins. Sie setzt diese gewissermaßen anti-feministische Maskerade auch in ihren Texten fort und begegnet ihren Lesern als "geschlechtslose bzw. androgyne Erzählerin" (137). Eine wiederum andere Funktion hat die – etwas differenziertere Form der Orientkonstruktion – bei Jehan d'Ivray, die nicht reist, sondern als Ehefrau eines Moslems in Ägypten lebt und somit Innen- und Außensicht auf die Fremde sowie die fremde Frau verbinden kann. Dennoch betrachtet auch sie die Frau im Harem als würdelos und propagiert das westliche Emanzipationsmodell für ägyptische Frauen. Die sog. Haremsliteratur erweist sich damit als Spezifikum eines weiblichen kolonialen Orientdiskurses.

Im dritten Hauptteil schließlich fokussiert Vf. Texte des frühen 20. Jahrhunderts,5 geordnet nach der jeweils bestimmenden Topographie, neben der Harems- nun vor allem die Wüstenliteratur. Sie stellt fest, daß im 20. Jahrhundert eine Verschiebung der Raumdarstellungen vom (weiblich konnotierten) Innenraum Harem hin zum unbegrenzten Außen der Wüstenlandschaft stattfindet, wobei die Wüste vor allem Freiheit und (primär männliche) Suche assoziiert (173). Die Subgattung einer Littérature saharienne (15) steht seither auch für eine neue weibliche Raumerfahrung jenseits üblicher Begrenzungen von Haus und Harem. Vf. deutet diese Aufsprengung der traditionellen Topographien als Versuch der Distanznahme "Opposition zur kolonisierenden Zivilisation" sowie einer Relativierung des Orientalismus, um die Jahrhundertwende vor allem bei André Gide und Isabelle Eberhardt. Der Wüstentopos ersetzt gewissermaßen die Projektionsfläche 'Orient', die mit zunehmender Ausdifferenzierung als solche, auch für Autorinnen, unbrauchbar geworden ist. Statt Haremsdamen sind es nun Wüstenbewohnerinnen, von denen sich die reisenden Frauen im Zuge ihrer Identitätsbildung distinguieren, so schreibt etwa Madame Pommerol: "selon moi [...] il n'y a pas de femme honnête sous ce climat, dans ces races" (178). Demgegenüber werden die Frauen der Tuareg, ein Berberstamm, bei dem Frauen die zentralen Schrift- und Kulturträger sind, idealisiert und bilden einen willkommenen Bezugspunkt für die eigene Identität: "les femmes touaregs [...] semblent détenir l'élément intelligent du pays. Elles savent toutes lire cependant leurs maris restent dans une complète ignorance ". Und dennoch: ob idealisiert oder abgewertet, werden die derart 'orientalisierten' Frauen stets als das Andere zur eigenen Kultur entworfen, das außerhalb der Geschichte und der Norm stehende und ihre Konstrukteurinnen erweisen sich hier in erster Linie als Ethnographinnen der eigenen Kultur.



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Der vorliegenden Arbeit, erschienen in der hinsichtlich neuerer Gender-Ansätze verdienstvollen Reihe "Ergebnisse der Frauenforschung" der Freien Universität Berlin, ist eine breite Rezeption zu wünschen, in erster Linie weil sie für die Lektüre weiblicher Reiseliteratur einen innovativen, konsequent gendertheoretischen Ansatz wählt, der ein Zurücktreten der traditionellen Geschlechterhierarchie hinter die in den Texten deutlich schärfer markierte kulturelle Differenz sichtbar macht und damit auf die prinzipielle Konstruiertheit von Geschlechterordnungen verweist. Damit wird auch Skeptikern des Ansatzes deutlich, daß die genderkritische Erforschung von "Frauentexten" auf die Analyse einer kulturellen Wissensordnung und nicht auf Philogynie zielt: daß Frauen im patriarchalen System das Andere, außerhalb der Norm stehende darstellen, verhindert nicht, daß sie selbst gegenüber 'fremden' Frauen und anderen Kulturen Diskurse der Dominanz entwerfen. Darüber hinaus beeindruckt die Arbeit hinsichtlich der konsultierten Quellen, und der umfangreiche Anhang von knapp 200 Seiten mit biographischem Material zu 16 Autorinnen sowie einem ausführlichen Anmerkungsapparat macht die Arbeit zur relevanten Basis für weitere Forschungen zum Thema. Allerdings geht diese Vielzahl zuweilen auf Kosten der Analysen, so daß die Arbeit zum "Überblicksband" (38) tendiert, wie Vf. selbst äußert.

Die mit der Arbeit im deutschsprachigen Raum eröffnete gendertheoretische orientalism-Perspektive bietet demzufolge eine Reihe von wichtigen Anknüpfungspunkten, die sich im Rahmen des aktuellen cultural turn der Literaturwissenschaft aufgreifen lassen: so die Frage nach den Abstufungen zwischen männlichem und weiblichem Kolonialdiskurs, beispielsweise nach dem Zusammenhang von "diskursiver" und militärischer Gewalt; die Korrelierung von Reiseliteraturforschung und postkolonialer Theorie wäre hier denkbar; die Konsequenzen des aufgezeigten weiblichen Orientalismusdiskurses für das binäre Geschlechtermodell könnten in Weiterführung des vorliegenden Ansatzes ebenfalls Gegenstand sein: Wird die binäre Geschlechterordnung damit tatsächlich durchkeuzt oder 'nur' ein weiteres Mal in ihrer Differenz bestätigt?


Anmerkungen

1 Die Reisedarstellungen von Frauen werden im 19. Jh. relativ stark rezipiert, als Beispiele gelten Charles Simond, Les Voyageuses au 19e siècle (1888), Marie Dronsart, Les Grandes voyageueses (1894) u.a., Zeitschriften und Tageszeitungen.

2 Vgl. Bénedicte Monicat (1996): Itinéraires de l'écriture au féminin. Voyageuses du 19e siècle. Amsterdam/Atlanta: Rodopi sowie Aufsätze und Bibliographien.

3 Anders als die literarisch kanonisierten Autoren von Nerval bis Gide, sind die hier vorgestellten Frauen Journalistinnen, Wissenschaftlerinnen oder verstehen sich wie Isabelle Ehrhardt als Vagabundinnen. Ihre Texte wurden, wie die von Vf. erwähnte Rezeption im 19. Jahrhundert belegt, selten als literarische klassifiziert, weshalb sie im Orientliteraturkanon fehlen.

4 Betrachtet wird nicht mehr die Frau als Objekt, sondern vielmehr die jeweilige Geschlechterordnung als Epistemologie.

5 Von Maria Rattazzi, Cristiane de Belgiojoso, Olympe Audouard, Adèle Hommaire de Hell, Marie d'Ujfalvy Bourdon, Pauline de Noirfontaine, Emilie Gautier und Valérie de Gasparin.

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