PhiN 20/2002: 49




Heinrich Kohring (Tübingen)



Armin Hetzer (2001): Sephardisch. Judeo-español, Djudezmo. Einführung in die Umgangssprache der südosteuropäischen Juden. Wiesbaden: Harrassowitz.



Die von Armin Hetzer vorgelegte "Studie" zum Judenspanischen ist laut Verfasser gedacht "als eine Einführung für Romanisten, Balkanologen und allgemeine Sprachwissenschaftler" (S. VI) und soll wohl gleichzeitig auch als "Lehrbuch" für die betreffende Sprache dienen. Mit seinen eigenen Worten: "Lehrbücher des Sephardischen [so nennt er das Judenspanische] (...) sind in den letzten Jahren vermehrt erschienen, wobei die Sprache für die sachlichen Erläuterungen Französisch oder Neuhebräisch ist. Im Deutschen ist die vorliegende Einführung ein Novum." (S. VII). Die Verwendung des Deutschen für sich allein ist natürlich bei einem solchen "Lehrgang" kein hinreichender Grund, noch ein weiteres Lehrbuch des Judenspanischen herauszugeben. Für ein derartiges Unterfangen sprechen freilich andere Gründe, und zwar unbestreitbare Vorzüge, die das zu besprechende Vademekum durchaus empfehlenswert machen.

"Die Lesestücke", so schreibt der Autor, "sollen nicht nur die Sprachvarietät vermitteln, sondern gleichzeitig auch eine Art Anthologie darstellen, die in die geistige Welt der Sepharden einführt." (S. VII) und ich denke, dem Verfasser ist dies auf wenigen Seiten und in nur 12 Lektionen (von S. 11–94) ganz gut gelungen. Die Bandbreite der ausgewählten Themen ist erfreulich groß und ein Dozent, der dieses Werk einem Einführungskurs zu Grunde legt, kann nach Belieben vertiefen und so ein schönes Panorama der "sefardischen" Welt präsentieren. Eine jede dieser 12 Lektionen ist – mit einer sachlich begründeten Ausnahme (Lektion 11, die nur leicht davon abweicht) – exakt nach dem folgenden Bauplan aufgebaut:

  1. Text
  2. Vokabeln
  3. Anmerkungen
  4. Grammatik (und in den späteren Lektionen Sprachbeschreibung)
  5. Humor
  6. Volksweisheiten (= Sprichwörter)
  7. Aufgaben

Dazu ein paar Bemerkungen: das Vokabular zu den einzelnen Lektionen ist meines Erachtens ausreichend, selbst für einen Benutzer, der nicht "bereits Kenntnisse in einer romanischen Sprache, vorzugsweise im Standardspanischen, besitzt." (S. VII). Die Anmerkungen zu den Lesestücken sind reichlich, sachdienlich und durch die Bank nützlich.




PhiN 20/2002: 50


Die Darstellung der Grammatik ihrerseits ist ganz vorzüglich; wir haben es hier zunächst mit einer knappen und übersichtlichen Darstellung der judenspanischen Morphologie zu tun, es folgen Hinweise zur Syntax, zur Wortschatzentwicklung, zur Phraseologie und zum Thema "Balkanismen". Bei alledem ist der Verfasser, worauf er selbstverständlich mit Nachdruck hinweist, der bislang leider nur in russischer Sprache vorliegenden hervorragenden Beschreibung des Judenspanischen von Mark A. Gabinskij, Sefardskij (evrejsko-ispanskij) jazyk, Kischinew 1992, stark verpflichtet. Als guter Didaktiker erweist sich unser Autor, indem er den "Humor" (aufheiternde und manchmal geradezu köstliche Lesestücke aus den verschiedensten Quellen unter Punkt 5) nicht zu kurz kommen lässt und didaktische Gesichtspunkte haben ihn sicher dazu bewogen, jede Lektion mit nützlichen Aufgaben abzuschließen. Also doch primär ein Lehrbuch! Mir persönlich gefällt die Sektion 6 ("Volksweisheiten") ganz ungemein. Hier trifft Hetzer – er stützt sich auf die bekannte Sammlung von Enrique Saporta y Beja, Refranes de los Judíos Sefardíes, Barcelona 1978, und z. T. auch auf das gerade erwähnte Buch von Gabinskij – eine schöne Auswahl von Sprichwörtern, die alle – wie auch die Lesestücke in der Sektion "Humor" – übersetzt und, soweit sich dies als notwendig erweist, auch kommentiert werden (dies ist bei typisch jüdischen Dingen unerlässlich). Die Darbietung von Sprichwörtern ist deswegen so angebracht, weil Juden – und vielleicht in besonderem Maße spanische Juden – davon so ungeheuer viele, treffende und einprägsame besitzen und weil es sich ganz allgemein so verhält, wie Hetzer es formuliert, "Volkstümliche Textgattungen sind reich an bildhaften Redensarten." (S. 83).

Überaus praktisch ist die Anlage von zwei alphabetischen Wörterverzeichnissen: wir haben da erstens ein judenspanisch-deutsches mit der erstaunlich hohen Anzahl von etwa 1.300 Einträgen und dem Nachweis aller Erstnennungen der aufgeführten Lexeme (sehr nützlich für die Überprüfung des Wortgebrauchs) auf S. 97–114 sowie zweitens ein deutsch-judenspanisches Glossar von S. 115–130.

Umfangreich und vortrefflich, will sagen kenntnisreich, ausgewählt ist das sich daran anschließende Literaturverzeichnis (S. 131–135). Zu wünschen wäre freilich, dass der Verfasser noch einige wichtige Internet-Adressen zum Thema aufgeführt hätte. Das Ganze wird dann von einem knappen – zu knappen? – Sachregister (S. 137) abgeschlossen.

Zwar soll man bekanntlich das Pferd nicht beim Schwanz aufzäumen, aber es sei mir gleichwohl gestattet, noch die Einleitung (S. 1–10) zu erwähnen, in der hauptsächlich Aussprache und Schreibung besprochen werden. Auf S. 3–5 ("Zur Schreibweise") wird unter anderem die in diatopischer Hinsicht äußerst komplexe Realität bei der Realisierung gewisser Phoneme ausführlich (nichts für blutige Anfänger!) erörtert. Außerdem erläutert der Verfasser seine eigene Wahl hinsichtlich der Schreibung des Judenspanischen und bespricht kurz konkurrierende Systeme. Im Anschluss daran stellt der Verfasser auf S. 6–9 ("Zur Aussprache") die Ausspracheregeln übersichtlich dar; auf S. 10 finden wir darüber hinaus eine Leseübung mit "grundlegenden Satzbaumustern".




PhiN 20/2002: 51


"Die Lernschritte", so unser Autor, "folgen vom Einfachen zum Schwierigeren, wobei zunächst Beispiele für die moderne schriftliche Varietät des Sephardischen geboten werden; Aufzeichnungen in traditionellen Mundarten folgen später." (S. VII). Das zeichnet wiederum den gewieften Didaktiker aus, freilich hält sich, so sehe ich es, Hetzer nicht durchweg an diesen löblichen Grundsatz: bereits in Lektion 4 wird ein Text in der Mundart von Vardar-Makedonien ("Juden im Widerstand") geboten und der hat es in sprachlicher Hinsicht in sich! Auch der Text in Lektion 3 ("Saras Tod"), eine "Drosche" (Auslegung) zum Wochenabschnitt 'Haye Sara') ist inhaltlich nicht so ganz einfach.

Damit wären wir schon bei der Kritik. Es ist ja ganz klar: wo viel Licht ist, da ist auch (viel) Schatten. Der Reihe nach und grundsätzlich:

  1. Ich hätte den Terminus "Umgangssprache" im Titel, eben weil er zweideutig ist, nicht gebraucht. Es wird hier ja nicht in die Umgangssprache des mündlichen Alltagsgebrauches eingeführt, sondern in die Sprache, die die "südosteuropäischen Juden" untereinander, in ihrem Umgang miteinander, mündlich und schriftlich in allen Registern verwendet hatten.

  2. Ich stimme mit dem Autor hinsichtlich seiner Orthographie – ein Thema, das die Gemüter noch immer und immer wieder erhitzt – nicht überein. Warum kreiert er eine eigene Rechtschreibung – dazu noch als Nicht-Sefarde – , in der er alle Lesestücke úmschreibt, wo doch die überaus praktische (für Schreibmaschine und PC perfekt zu handhabende) von Moshe Shaul schon seit langem existiert und durch die Zeitschrift "Aki Yerushalayim" weit verbreitet und bekannt ist und darüber hinaus auch von Matilda Koén-Sarano in ihren zahlreichen Publikationen verwendet wird? Hinzu kommt, dass Hetzers Graphie (tabellarisch dargestellt und mit anderen Systemen verglichen auf S. 5) kaum von der Moshe Shauls abweicht (worauf er selber auch hinweist [S. 3]: "baxo, byen, egzamen" bei Hetzer gegenüber "basho, bien, examen"). Gegen Hetzers Verwendung des Zeichens <x> lässt sich einwenden, dass es zwar im Altspanischen normal war, aber das Judenspanische ist – auch wenn dies volkstümlich immer wieder gesagt wird und es vordem auch in der Sefardistik gesagt wurde – gerade kein "Altspanisch". Die Geschichte des Judenspanischen beginnt danach, nämlich frühestens mit dem Bruch von 1492. Und: warum soll man ohne Not noch ein "Schreibsystem" zu den vielen schon vorhandenen hinzufügen?

  3. Wie gesagt: didaktisch verdient unser Autor Lob, und gerade deshalb ist mir unverständlich, an welchen Leserkreis sich folgende "Erklärung" richtet: "Grundfunktionen des Konjunktivs Pr. sind im wesentlichen: (a) (...), (b) in valenzbedingten Komplementsätzen mit Heteroprosopie: (...)" [meine Hervorhebung] (S. 46). Muss das wirklich sein? Und kann man das Studenten selbst im Hauptstudium zumuten?

  4. Druckfehler kommen erfreulicherweise relativ wenige vor, ärgerlich und für den Anfänger verwirrend ist freilich, dass an vier Stellen die Reihenfolge im Vokabular durcheinander geraten ist; so in Lektion 2, S. 18; in Lektion 4, S. 30–31; in Lektion 9, S. 65 und in Lektion 11, S. 79.




    PhiN 20/2002: 52


    Und jetzt noch ein paar Kleinigkeiten:

  5. "Palästinensische Ge'onim" (S. V) gibt es mitnichten, nur "Patriarchen" ("n.si'im") und das Patriarchat wurde in Palästina bereits 425 n. Chr. unter Theodosius II. aufgehoben.

  6. Auf Hebräisch heißt es nicht "sefardit" (S. VI und 12), sondern "s.faradit".

  7. "djudio" (S. 6 und im Schlussglossar S. 100) sollte auf dem <o> akzentuiert werden, weil hier eine abweichende Aussprache vorliegt: "djudió" (Hetzers Schreibung sollte sein: "djudyó"). Auf S. 31 und 94 erscheint es dann aber korrekt (freilich unkommentiert hinsichtlich der Betonung) als: "Djudyó" bzw. "djudyó".

  8. "Das Zeichen <j> steht für das Archiphonem // mit den beiden Varianten [...]" (S. 7). Natürlich muss es "Phonem" und nicht "*Archiphonem" heißen.

  9. In den Anmerkungen 2.3.3 auf Seite 19 wird "Kule dibi" als "einfach 'unterhalb des Turmes'" erklärt. Ich weiß nicht, was "dibi" bedeuten soll, wahrscheinlich ist "gibi" gemeint; jedenfalls heißt auf Türkisch "unterhalb des Turmes" = "kulen altnda".

  10. "Haham" ist wohl kaum "Oberrabbiner" (S. 18), sondern dafür gibt es den Titel: "Hahám Bashí". "Ham" (~ "Han") ist Kurzform vor Eigennamen (vgl. span. "Don"). [x] fällt normalerweise nicht fort, wohl aber [h] in Entlehnungen, da dieser Laut im Judenspanischen ohnehin nicht vorhanden ist.

  11. "Perasha" (Parasche, Perikope, Wochenabschnitt) (S. 25). Hier hätte erwähnt werden sollen, dass der Pentateuch in 54 Wochenabschnitte unterteilt ist, die im Verlaufe eines liturgischen Jahres in der Synagoge in ihrer Abfolge im Text nacheinander verlesen werden ("lectio continua") – ein Abschnitt (bisweilen auch deren zwei aufeinanderfolgende) je Sabbat. Der Abschnitt "Haye Sara" besteht nicht aus "Genesis Kap. 23,1–25", sondern erstreckt sich von Genesis 23,1 bis 25,18. Die Paraschen werden auch nicht nach dem "ersten Wort des hebräischen Textes genannt": obwohl dies häufig genug vorkommt, handelt es sich besser gesagt um das erste kennzeichnende, sozusagen "charakteristische" Wort (oder Worte) – was immer auch die alten jüdischen Exegeten darunter verstanden haben – am Anfang des jeweiligen Wochenabschnittes, und besagtes "Charakteristikum" kann bisweilen im 2. Vers des Textes auftauchen (so beim Wochenabschnitt "Ki tissa", der mit Ex 30,11 beginnt, das "Inzipit" ist jedoch der Anfang des 12. Verses). Auch "Haye Sara" fängt mit "Wa-jihju" an, worauf erst "Haye Sara" folgt!

  12. Auf S. 26 hat sich ein bedauerliches Versehen eingeschlichen: "el dalkavo" ist nicht "*der erste", sondern umgekehrt "der letzte"!

  13. Auf S. 30 ist in "(lus yevaron) al monopolio (de Skopje)" die Bedeutung von "monopolio" im Vokabular nicht angegeben; im Schlussglossar (S. 108) liest man "Monopol", das kann jedoch die Bedeutung des Wortes im Text nicht sein.




    PhiN 20/2002: 53


  14. Zum Text von Lektion 5. "Die zwei Fische" (S. 35–36) wird auf S. 36 kommentiert: "Die vorliegende Variante ist stark judaisiert, was sich in den aus der Sakralsprache stammenden Termini ausdrückt." Diese Aussage scheint mir komplett fehl am Platze: der vorliegende Text ist doch in keinster Weise "judaisiert", sondern erwähnt typische (und normale) jüdische Gebräuche und Rituale! Ich würde deshalb auch Termini wie "kiddush, netila, amotsi" in einem "jüdischen" Text nicht als "Okkasionalismen" auffassen.

  15. Auf S. 38 ist ganz offensichtlich ein Versehen aus Gabinskij übernommen worden. Das Paradigma von "aver" ist: "a, as, ... an (nicht: "*aven") oder: "ave, aves, ... aven" (nicht: "*an").

  16. "Keilá kedoshá" (S. 44) wird im Vokabelverzeichnis zu Lektion 6 mit "hl. Synagoge" wiedergegeben. "Keilá" (~"Kal") bedeutet in der Tat "Synagoge", die Fügung "Keilá Kedoshá" (abgekürzt Q"Q und dann "Kak" gesprochen) ist jedoch in der ganzen jüdischen Welt die Bezeichnung für "Jüdische Gemeinde". Folglich ist im Text die Rede von der "Jüdischen Gemeinde Sarajevo".

  17. In den Anmerkungen 6.3 zu derselben Lektion wird gemutmaßt, der Verbalphrase "ke los uzavan a dezir", die mit "they used to say" glossiert wird, läge "die englische Semantik" zu Grunde. Ich glaube das nicht, denn bereits im Jahre 1839 stellt der Frühzionist Jehuda ben Schelomo Alkalay in seinem Werk Quntres Darkhey Noam (Belgrad) die Forderung auf: "Kale enladinar komo uzamos a avlar" und bei einem Rabbiner in Sarajevo darf man in der ersten Hälfte des 19. Jh. wohl kaum Englischkenntnisse, geschweige denn Beeinflussung durch englische Semantik voraussetzen. Daher denke ich auch, dass das "jugo" desselben Textes nicht etwa von engl. "joke" beeinflusst ist, sondern schlicht und einfach "Spiel" bedeutet.

  18. "L.shon ha-qódesh" mit dem bestimmten Artikel ist eine der Bezeichnungen für das Hebräische, nicht "leshôn kodesh" (S. 45).

  19. In Lektion 7 ist "buxkedá" akzentuiert, was mit dem in 2.4.1 (S. 19) Gesagten übereinstimmt, wo die Form "buxkedad, pl. -dades" angeführt wird. Ich kann für diese Form keinen Beleg finden, daher halte ich es für möglich, dass im Text von Lektion 7 "búshkeda" gemeint ist, eine Form, die im Wörterbuch von Nehama/Cantera (Madrid 1977) immerhin belegt ist.

  20. Im Vokabelverzeichnis zu Lektion 8 wird auf S. 58 "apodar" mit "schneiden" übersetzt (so auch im Glossar S. 101 mit Verweis auf 8.1). Der Satz im Text 8.1, der dieses Wort enthält, lautet: "para ke no apodara la aynará sovre las personas de la kaza". Bei Nehama/Cantera ist apodar erklärt als: "dépouiller un arbre des branches inutiles, élaguer", folglich "(aus)schneiden, auslichten". Das kann freilich nicht die Bedeutung des Verbs "apodar sovre" im zitierten Text sein; vielmehr ist der Sinn dieser: "damit der böse Blick die Hausleute nicht treffe". Und so übersetzt Hetzer auch das von Saporta y Beja übernommene Sprichwort in 12.6 "Aynará ke no te apode." (S. 94), nämlich: "Möge dich der böse Blick nicht treffen". Bei Saporta y Beja lautet die Übersetzung: "Que no caiga sobre ti el mal de ojo". Ich vermute, dass "apodar" in Ladinotexten mit der Bedeutung 'treffen auf, herrschen über' vorkommt und etymologisch mit "poder, apoderar" zusammenhängt.




    PhiN 20/2002: 54


  21. Bei "otro un, otra una" (S. 59; 8.4.1) "noch ein(e)" hätte erwähnt werden können, dass es wahrscheinlich das neugriechische "állos énas, álli miá" nachbildet.

  22. Die deutsche Überschrift zu Lektion 8 (S. 57) lautet " 8. Der Haussegen" und die judenspanische in der Zeile direkt darunter: "8.1 La kapará". Da wir bei Hetzer stets dasselbe Bauschema vorfinden, nämlich eine deutsche und danach eine judenspanische Überschrift, wobei die deutsche den Inhalt des jeweiligen Lesestückes – wie könnte es auch anders sein? – sozusagen in nuce anreißt, ist hier die Frage erlaubt, worauf sich "der Haussegen" bezieht. Im Stück ist davon nämlich keineswegs die Rede, der Untertitel "La kapará" jedoch ist zutreffend, denn gerade von dieser Zeremonie wird berichtet. Also, die "Kappara" ist ein symbolisches Sühneritual, bei dem der Gläubige denken soll: was der "Kappara", d.h. dem Hahn (für einen Mann) bzw. dem Huhn (für eine Frau), den oder das ich um meinen Kopf schwinge, am Ende zustößt (es wird geschlachtet), das (sc. den Tod) hätte eigentlich ich wegen meiner Sünden verdient, ein Ritual, das am frühen Morgen des Tages vor dem Versöhnungstag, dem Jom Kippur, ausgeführt wird. Es handelt sich mithin keinesfalls um einen Haussegen; die Überschrift ist daher irreführend. Im Vokabular (S. 57; 8.2) ist der Terminus immerhin mit "Sühneopfer" angegeben. Auch in den Anmerkungen 8.3 auf S. 58 wird die Zeremonie der Kappara nicht erläutert, sondern es wird nur auf ein Foto dazu in Marie-Christine Varol, Manuel de judéo-espagnol. Langue et culture, Paris 1998, S. 248, verwiesen. Im Text des Lesestücks (S. 57) selber ist ein Satz ausgelassen worden, und zwar in der 8. Zeile von oben nach: "[...] una beraha." Es muss eingefügt werden (ich gebe die Originalgraphie von Saporta y Beja): "Despues la degoyava i la etchava en bacho."

  23. "Ayn ha-ra" [grammatisch korrekt im Hebräischen: eyn ha-ra] (S. 58; 8.3.2) heißt nicht 'das böse Auge' sondern "das Auge des Bösen"; "das böse Auge" ist hebräisch: "ha-áyin ha-raa".

  24. Ebd. "hebr. b. raka /b.ra'xa/". Umgekehrt wird ein Schuh daraus: das Phonem ist /k/ und dieses wird intervokalisch als [x] realisiert.

  25. "Daneben werden die hebräischen Monatsnamen (nach dem Mondjahr) [...] verwendet." (S. 65–66). Zu ergänzen ist an dieser Stelle unbedingt, dass der jüdische Kalender sich nicht nach dem Mondjahr richtet, sondern dass das ursprüngliche Mondjahr durch den siebenmaligen Einschub eines Schaltmonats (dem 2. Adar [Adar Sheni]) in einem Zyklus von 19 Jahren dem Sonnenjahr fast angeglichen wird. Wir haben es also mit einem sog. "lunosolaren" Kalender zu tun im Gegensatz zum Islam, wo in der Tat ein "Mondjahr-Kalender" vorliegt, weswegen die Feiertage im Laufe der Zeit auch über das ganze Jahr wandern.




    PhiN 20/2002: 55


  26. In dem Humor-Stück (9.5) auf S. 68 wird "yexiva" in der deutschen Übersetzung durch "Torah-Schule" wiedergegeben (so auch im Wörterverzeichnis S. 114; dort allerdings akzentuiert "yexivá"; die Übersetzung erscheint diesmal in der Schreibung "Thora-Schule"). Ich schlage stattdessen die Übersetzung "Talmudschule" bzw. "Talmudakademie" vor. Oder man sagt lieber gleich: "Jeschiwa" bzw. "Jeschiwe".

  27. In den Vokabeln zu Lektion 10 (S. 71; 10.2) wird "il priguneru ~ el pregonero" wiedergegeben durch "die Bekanntmachung". Eigentlich heißt es: "der Ausrufer" ("die Bekanntmachung" ist "el pregón", s. nach bei Nehama/Cantera). Allerdings glossiert Max Luria, "A study of the Monastir dialect", in: Revue Hispanique 79 (1930), 323–583, im Original mit: "to make a public announcement".

  28. S. 73 [10.4.1 (c)]: "[...] su ijo el grande Esav" wird mit "der große Esau" übersetzt, es muss jedoch sein: "sein großer (~ ältester) Sohn Esau". Der Text aus Lektion 3, dem der zitierte Satz entstammt, ist eine Schriftexegese und in solchen Texten muss man immer wieder mit "ladinoiden" Konstruktionen rechnen. Genau das ist hier der Fall; es gehört mithin als Syntagma zusammen: "su ijo el grande" eben wie im Hebr. "b.no ha-gadol"! Außerdem ist nicht, wie behauptet "Esau" Subjekt des betreffenden Satzes. Ich zitiere ihn von S. 23: "Mezmo Yitshak ke el mezmo dará el mizmo orden a su ijo Yaakov es porke verá el malo egzemplo de las mujeres de su ijo el grande Esav." Das bedeutet: "Auch Isaak, welcher selber eben diesen Befehl seinem Sohn Jakob [dereinst] geben wird, tut dies deshalb, weil er das böse Vorbild der Frauen seines ältesten Sohnes Esau sehen wird." Und genau davon ist in Genesis am Ende des Kapitels 27 und zu Beginn des Kapitels 28 die Rede. Hetzers Übersetzung auf S. 73: "der große Esau wird das schlechte Beispiel der Frauen seines Sohnes sehen" ist nun wirklich grundverkehrt. Auch rein inhaltlich verbietet sich Hetzers Übertragung: die Person des Esau ("Edom") – er gilt auch als Sinnbild des "bösen" Römischen Reiches – ist im Judentum so negativ besetzt, dass ihm jegliche "Größe" abgesprochen wird! Im übrigen werden Esaus Nachkommen in Gn 36 detailliert aufgeführt: vom Verhalten der Frauen seines Sohnes (er hatte deren jedoch viele) wird nirgendwo ein Wort gesagt.

  29. Auf S. 86 (11.4.2) wird die Funktion der "Mezuza" lapidar so erklärt: "es handelt sich um hebr. Schriftamulette". Das ist schlicht und einfach unangemessen: gewiss gibt es nicht wenige Juden, die eine Mesuse als "Amulett" betrachten und missbrauchen, aber das ist gleichwohl nicht der Sinn der Sache! Hetzer hätte nur den betreffenden Eintrag aus dem "Jüdischen Lexikon", Berlin 1927–1930, das er in seiner Bibliographie anführt, zitieren müssen und alles wäre in Ordnung gewesen. Oder das leicht zugängliche "Neue(s) Lexikon des Judentums. Herausgegeben von Julius H. Schoeps, Gütersloh 2000", wo wir unter dem Eintrag Mesusa beispielsweise lesen: "Bezeichnung für eine Kapsel mit einer Pergamentrolle, auf der die Passagen von Dtn 6,4–9 und 11,13–21 geschrieben sind. Die Mesusa wird am rechten Türpfosten des Eingangs [vom Eintretenden her gesehen] von jüdischen Häusern und Wohnungen [genauer: an den Türen aller bewohnbaren Räume des Hauses] befestigt. Sie gilt (...) als Symbol für den Schutz der Frommen vor der Sünde (Men 43b). Die Inschrift [das "Sh .ma Yisra'el", das Glaubensbekenntnis] betont die Liebe des Menschen zu Gott und ermahnt den Menschen zur Erfüllung der Gebote." Die Mesuse ist in erster Linie ein Denkzeichen und soll den Menschen stets an die Gegenwart des Ewigen gemahnen.




    PhiN 20/2002: 56


  30. Auf S. 86 (11.4.2) wird das Sprichwort: "Mueve mankan para minyan" 'Neun sind zu wenig für ein Quorum' mit dem Hinweis kommentiert: "Man benötigt zehn Männer für eine Synagogengemeinde". Nein, man braucht ein Minjan von zehn religionsmündigen Männern (es geht also um männliche Wesen ab dem Alter von 13 Jahren, um solche folglich, die schon ihre Bar-Mitzwa hinter sich haben), damit man ein öffentliches Gebet abhalten darf.

Das ist noch nicht alles, aber das in meinen Augen Wichtigste. Ich hätte mir ferner gewünscht, dass Turkismen und Hebraismen zumindest in den Vokabellisten zu den einzelnen Lektionen und im Wörterverzeichnis am Ende des Buches durchgehend akzentuiert wären.

Ich bleibe bei meinem positiven Urteil. Armin Hetzer hat als guter Kenner des Judenspanischen ein beachtenswertes und empfehlenswertes Lehrbuch dieser Sprache geschrieben, ein Handbuch, dessen Wert und Brauchbarkeit ich nur betonen kann. Allerdings liegt bei ihm "in rebus judaicis et hebraicis" noch einiges im Argen, auch haben sich der eine oder andere Druckfehler (nicht allzu viele) eingeschlichen, und sofern bei einer Neuauflage hier Abhilfe geschaffen wird, dann dürfte "Sephardisch" sogar ein sehr empfehlenswertes und überaus nützliches Lehrbuch des Judenspanischen sein, ja mehr noch: es kann (auch schon jetzt) als Ausgangspunkt für eine interessante Einführung in die Welt der Spaniolen dienen, eine Einführung, die durchaus dazu geeignet ist, zur Weiterbeschäftigung mit dem Thema zu verleiten.

Impressum