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Christian Foltys (Berlin)



Johannes Kramer (1998): Die Sprachbezeichnungen LATINUS und ROMANUS im Lateinischen und Romanischen. Berlin: Erich Schmidt. (= Studienreihe Romania, 12)



Die auf die ursprüngliche Stammes- bzw. Stadtbezeichnung zurückgehende Quasi-Synonymie lingua latina / lingua romana gilt auch für die Zeit weiter, da sich aus und neben dem Lateinischen neue Volkssprachen herausbildeten, deren Bezeichnungssysteme für den neuen Sprachtyp bzw. die jeweils entstehenden Einzelsprachen zwar durch das Aufkommen von romani(s)ce bereichert, terminologisch aber eher noch mehrdeutiger wurden. Die vielfältig gefächerten einzelsprachlichen Lösungsversuche bis zur heute üblichen Sprachbezeichnung durch ein zum Landes- oder Volksnamen gehöriges Adjektiv gegenüber der jeweils buchwörtlichen Fortsetzung von latinus 'lateinisch' werden sorgfältig nachgezeichnet, wobei die ja beachtlichen "Nischen" die eigentliche Würze bilden: die Balkanromania mit der Neubildung von *romanisce, die zentrale Alpenromania mit erbwörtlichem ladin, Graubünden mit der Beibehaltung von romanice.

Ein vorangestelltes Kapitel Sprachwissenschaftliche Beiträge zur Verwendung und Bedeutung von LATINUS und ROMANUS (II = 11–57) bietet in chronologischer Reihenfolge eine konzise Darstellung der relevanten Sekundärliteratur seit Du Cange. Dass dabei fünf der insgesamt 55 vorgestellten Beiträge J. Kramer zu verdanken sind, zeigt nur dessen besondere Zuständigkeit für das behandelte Thema. Der Aufforderung zur Lektüre ([nur] "dem eiligen Leser, dem wenig an Wegen und Irrwegen der Forschung liegt, sei empfohlen, dieses Kapitel zu überspringen"), sollte man nachkommen, über die Hälfte der hier behandelten Arbeiten werden ausschließlich in diesem Abschnitt berücksichtigt.

Wenn in der Einleitung (I = 7–10) die panromanische Perspektive und die gleichgewichtige Behandlung der romanischen Sprachen als besondere Aufgaben beschrieben werden, so ist die panromanische Perspektive durchgehend eingehalten und findet dabei ihre konsequente Begründung in dem ausführlichen Kapitel LATINUS und ROMANUS als Sprachbezeichnung im Lateinischen (III = 59–94), das am Ende auch die griechischen Bezeichnungen für die Sprache Roms behandelt, hier natürlich mit dem Schwerpunkt Ostrom. Den vielen dort gegebenen Hinweisen ließen sich noch die Rumseldschuken hinzufügen und auch ein Hinweis auf die schon unter H. G. Koll, 1957/58 erwähnte "Romania > Romagna für das von Ravenna aus verwaltete Exarchat" (31, 4) wäre hilfreich, wobei dann auch das Sprachadjektiv romagnolo Aufnahme finden könnte.




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Gleichzeitig ist für eine umsichtige Eingrenzung gegenüber nicht die Sprache betreffenden Bedeutungen gesorgt, nur der innerhalb reicher stilistischer Variation auch benutzte Ausdruck "nichtsprachliche Bedeutung (von latinus / romanus)" (5, 67, 77) wirkt etwas irritierend. Dass wegen der nötigen Konzentration auch der Ausschluss von konkurrierenden Sprachbezeichnungen anderer Herkunft notwendig war, lässt zumindest in Einzelfällen den Wunsch nach weiterem Ausholen aufkommen; so bleibt für die Beurteilung der italienischen romanesco-Formen (149) unabhängig davon, dass das thrakische Suffix -isk auf die Balkanromania (und eventuell das Alpenlatein) beschränkt ist (146), somit für das Italienische wohl germanisches Suffix vorliegt und etwa im greghesco Venedigs inneritalienische Neubildung (vgl. Lucia Lazzerini, Il greghesco a Venezia tra realtà e ludus, Saggio sulla commedia poliglotta del Cinquecento, Studi di Filologia italiana, 35 (1977), 29–95) wie für andere suffigierte Formen die Frage nach Synonymie oder Bedeutungsdifferenzierung zunächst offen. Wenn nun im Ritmo Laurenziano v. 15 «Né latino né tedesco, né lombardo né fra[ncesco]» latino mit 'italiano della penisola' zu übersetzen ist und lombardo 'si referisce a tutta la Valpadana', Italien also als nicht einheitlicher (zweigeteilter?) Sprachraum betrachtet wird, gleich wie v. 19 «rispos' e disse latinesco» zu verstehen ist, dann wird auch bei Sordello da Goito(?) vv. 5–9 «Ben è razon q'eo faza / Un sirventés lonbardo / Qé del proenzalesco / No m'acresco: -e fôra cosa nova, / Q'om non trova -sirventés lombardesco» mit lonbardo / lombardesco (s'intenda 'italiano settentrionale') der Versuch einer überregionalen oberitalienischen Schriftsprache zu vermuten sein (mit bodenständigem Vokabular, vgl. v. 63 guegre) und nur vor solchem Hintergrund mehrfacher Differenzierung wird sich auch für romanesco entscheiden lassen, ob antik–zeitgenössisch und/oder Stadt–Region–Land die Sprachbezeichnung charakterisieren, nicht anders für romano (140, 141). Andererseits wird manch vermutete Sonderbedeutung weniger von der Wortsemantik als von Textsorte und Kontext abhängen, wie wohl romanesco "im Sinne von '(unverständliches) Latein' beim Komiker Paolo Sereno Bartolucci" (149, 20).

Für die romanischen Sprachen kann die genannte "Zehnzahl in ihren historischen und gesellschaftlichen Bedingungen doch sehr divergierender Sprachen" (8) nicht in gleichem Maße gemeint sein, denn verständlicherweise spielt etwa das Sardische mit zwei kurzen Erwähnungen (latino 'klar, offen' unter B. Müller, 1963 (36, 12) und kristianu 'Mensch' im DES 1, 406 (134, 1)) eine ganz untergeordnete Rolle. Muss daraus geschlossen werden, dass sich eine Aussage über latinus / romanus als (erbwörtliche Eigen)-Sprachbezeichnung im Sardischen nicht machen lässt? Einen Teil der historischen Problematik mag schon ein Beispiel des eher eindeutigen sardo näher bringen: Raimbaut de Vaqueiras lässt in seinem zweisprachigen contrasto Domna, tant vos ai preiada, P.C. 392, 7 (ed. Linskill, 1964, n° III, st. vi) die Genueserin dem Provenzalen erwidern: «[... to proenzalesco ...] No t'entenh plui d'un Toesco o Sardo o Barbari ... [No vollo questo lati]»; soll damit die Sprache der Sarden in ihrer Unverständlichkeit der Sprache der Deutschen oder der der Berber gleichgesetzt werden?




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Eher scheint der Beleg als Erläuterung zum Gegensatzpaar latinitas – barbaries geeignet, als Ergänzung zu Boccaccios barbaresco (101): dort '(arabische) Sprache des Morgenlandes', hier '(arabische / berberische) Sprache Nordafrikas', entsprechend versteht wohl Raimbaut den sardo nicht als Mitglied der Romania, sondern als Repräsentanten arabischer Hoheit und ohne Bezug zur Stellung des Sardischen innerhalb der Romania.

Die unterschiedliche Gewichtung der romanischen Einzelsprachen (LATINUS und ROMANUS als Sprachbezeichnung in der Romania (IV = 95–161)) ist einerseits thematisch bedingt, sicher aber auch durch eigene Schwerpunktbildung des Autors. Obwohl gerade in den schwierigsten Bereichen, nämlich Balkanromania und zentralalpiner Romania, dies von besonderem Vorteil ist, so ist in anderen Bereichen eine gewisse Beiläufigkeit zu konstatieren, für die Galloromania etwa weniger im Quantitativen als in der Darstellungsform bemerkbar: nur für das Französische und das Okzitanische (wohl aus Prinzip beharrlich und ausnahmslos 'Provenzalisch' genannt) wird in langen Passagen weder Sekundärliteratur noch Information zum zitierten Textmaterial gegeben, in den entsprechenden Abschnitten sofort erkennbar durch das fast vollständige Fehlen von Anmerkungen. Als Beispiel sei hier LATINUS im Galloromanischen (IV.1.4 = 115–117) genommen, bei dem die gewählten französischen Beispiele aus Tobler / Lommatzsch stammen, was aber nicht mitgeteilt wird, und ohne dessen Materialgliederung beizubehalten oder aber einsichtig neu zu gliedern. A 67 Jaberg, "lenis – latinus" 1939, für das Frankoprovenzalische und das nordöstliche Provenzalische ist dabei nur Überleitung zum "mot savant" latin; dieses zunächst in der Bedeutung "Latein" mit zwei Belegen: während für das Französische mit Philippe de Thaün, Cumpoz, (vv. 2901–2908, ed. Mall) zum ersten und vorläufig letzten Male wenigstens der Herausgeber genannt wird, fehlt für das Provenzalische beim Alexanderfragment (vv. 88–91) jegliche Angabe. Der Benutzer muss sich schon einige Mühe geben, um zu erfahren, dass der Text nach Appel, Provenzalische Chrestomathie, 1912, Stück 2, S. 13 abgedruckt ist (Baldinger, Complément bibliographique au SW, 1983). Dass in beiden Texten (zufällig oder repräsentativ?) ein Sprachadjektiv vorliegt, frz. «en latine raisun», prov. «de grec sermon et de latin», wird nicht kommentiert, allerdings wird dann später (unter 122, 11 LATINUS im Spanischen) vom nicht erbwörtlichen Adj. latin "lateinisch" gesprochen, das aus dem Französischen übernommen sei. Es folgen mehrere Belege für einen angenommenen "verallgemeinerten Sinn 'fremde Sprache'", der dritte Beleg sei vorweggenommen: "Im Aiol (12./13. Jh.) kommt das Wort sogar im Plural vor; dort heißt es über die Maurenprinzessin Mirabel (5412 [gemeint ist 5421, wie der suchende Leser sowohl in der ed. W. Förster 1876/72 wie in der ed. der SATF von 1877 finden wird]): «Ele fu enparlee de XIIII latins: / Ele savoit parler et grigois et hermin, / Flamenc et borgengon et tout le sarrasin, / Poitevin et gascon, se li vient a plaisir»". Da grundsätzlich keine Übersetzungen gegeben werden, sei doch wenigstens festgestellt, dass mit «tout le sarrasin» die Muttersprache der Maurenprinzessin (zumindest mit-) gemeint ist, unter den «xiiii latins» also sicher nicht vierzehn fremde Sprachen, sondern einfach vierzehn 'Sprachen' zu verstehen sind. Der Plural ist davon nicht betroffen, da es ja nicht mehr um 'Latein' geht.




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Hier ist die Gliederung bei TL, die eine neutrale Bedeutung 'Sprache, Sg. oder Pl.' nicht vorsieht, das übernommene Vorbild. Nur 'Sprache' ist auch die verbindende Grundbedeutung für alle anderen Belege, nicht "fremde Sprache" / "ausgehend von der ja auch im Italienischen nachzuweisenden Bedeutung 'nicht verständliche Sprache'". So viel an Kontextberücksichtigung drängt sich doch auf, dass alle anderen Belege die feste Verbindung mit einem Possessivum der 3. P. haben, wobei dieses zunächst als die "ihm / ihr / ihnen eigene Sprache" und erst faktisch als die dann "mir / dir / uns / anderen fremde Sprache" zu verstehen ist, die lexikalische Bedeutung von latin jedenfalls bleibt "Sprache": das gilt für Aliscans (vv. 1429–1430) «Lors esperonnent andoi li Sarrasin, / Li cuens parole a eus en leur latin», für Gautier von Arras, Ille et Galeron (vv. 2488–2489) «Li Griu lor font mainte asalie / Si escrient en lor latin» wie für Wilhelm von Aquitanien (4,13–20, gemeint ist P.C. 183, 12 Un vers farai, pos me someill, ed. Pasero, 1973, n° V, p. 125 / ed. Jeanroy, 1927 (CFMA), n° V, p. 8; hier durch den Versbeginn verwechselt mit P.C. 183, 7 Farai un vers de dreit nien, in beiden Editionen die n° IV) «En Alvernhe, part Lemozi, / M'en aniey totz sols a tapi. / Trobey la moller d'en Guari / Et d'en Bernart; / Saluderon me simplamentz / Per Sanh Launart. / La una'm diz en son latin: / "E Dieus vos salf, don pelerin!"» [Pasero: 'nella sua lingua']. Ob es dabei faktisch um das Arabische, das Griechische oder einen vom Poitevinischen abweichenden provenzalischen Dialekt geht, ist für die lexikalische Bedeutung von latin ebenso irrelevant wie eine etwa "wirklich fremde Sprache" ("so heißt es ... schon im Antochia-Lied aus dem 11. Jh." (vv. 3–6, auch hier ohne Angabe zitiert aus Appels Chrestomathie, n° 6, 33–36, die unter Chanson d'Antioche das erste Fragment der ed. P. Meyer, 1884 (Extrait des Archives de l'Orient latin, t. 2, 1883) abdruckt): «Reis Corbarans de Persa demandet Arloy, Al cortes dogromanz, que enten so lati: / "Quals es aquesta gens que vei aisi? / On vai ni que demanda ni que quer ni que ditz?"». Dass dieser sich auf Antiochien und damit den 1. Kreuzzug beziehende Text deswegen nicht schon ins 11. Jh. zu versetzen ist, s. Baldinger, Complément (mit Verweis auf Anglade, Histoire sommaire: 1130–1140) oder A. Moisan, Répertoire des NP, 1986, 1, 37 und 73 (unter CaA: Canso d'Antiocha: fin 12e – début 13e s.). Der Beleg, der sich auch im SW 2, 266, s.v. dogroman findet, einer sonst weder im Franz. noch im Okz. begegnenden Form, ist nicht eindeutig hinsichtlich der beteiligten Personen als Sprecher, "die ihm eigene Sprache" aber gilt auch hier.

Während TL 231 eine nicht weiter gekennzeichnete Gruppierung "die Sprache der Vögel" hat, rechnet J. Kramer "auch die Anwendung von latin auf den Gesang der Vögel" ... "zur Bedeutung 'unverständliche Sprache'": so Wilhelm von Aquitanien (Anfang des 10. Gedichts; P.C. 183, 1; Pasero X, 241 / Jeanroy X, 24): «Ab la dolchor del temps novel / Foillo li bosc, e li aucel / Chanton chascus en lor lati / segon lo vers del novel chan». Dass auch die Vögel ihre eigene Sprache haben und sie bei ihrem Gesang anwenden, ist Topos der Trobador-Lyrik, der zunächst dem Natureingang angehört und gerade die Übereinstimmung von natürlicher Ordnung mit fin'amor repräsentiert. Eine Übersetzung 'unverständliche Sprache' scheint mir ganz unangemessen, Pasero ['ciascuno nel suo linguaggio'].




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Die wörtliche Übereinstimmung dieser Formulierung mit Guido Cavalcantis Fresca rosa novella (vv. 16–23) «Lo vostro pregio fino / In gió si rinnovelli / Da grandi e da zitelli/ Per ciascuno cammino; / e càntine gli augelli / Ciascuno in suo latino, / da sera e da mattino / Su li verdi arbuscelli» sollte nicht durch das eingeschobene Chrétien-Zitat verwischt werden und "Gefallen an der Vorstellung der lateinzwitschernden Vögel" (117, 11) ist unangebrachte Etymologisierung. Dass "Angelo Poliziano in den zwischen 1475 und 1478 verfassten Stanze per la giostra del Magnifico Giuliano" (st. 44, 7–8) «Ogni aura tace al suo parlar divino, / e canta ogni augelletto in suo latino» als letzter italienischer Autor diese Redewendung verwendete, soll wohl heißen, ein späterer Beleg lässt sich bei Battaglia nicht finden, jedenfalls ist zumindest die Regulierung zum durchgehenden Singular auffällig, über den innerromanischen Rezeptionszusammenhang lässt sich im Jahrhundertesprung kaum spekulieren. Da sollte man selbst bei der naheliegenden Formulierung "aus der provenzalischen Dichtersprache kam die Wendung ins Altfranzösische" vorsichtig sein, denn Chrétien de Troyes ... Cligès (vv. 6262–6267; ed. Micha, 1957 (CFMA 84) mit der entsprechenden Übersetzung 1976): «Au renovelemant d'esté, / Que flors et fuelles d'arbres issent, / et cil oisel si s'esjoissent / Qu'il font lor joie an lor latin, / Avint que Fenice un matin / oï chanter le rossignol» hat da eine durchaus selbständige Formulierung und cil oisel könnten auch die volkstümliche Lyrik meinen.

Ein weiterer Chrétien-Beleg, Yvain (vv. 1785–1787, ed. M. Roques, 1960 (CFMA 8)) soll einen "zweiten Bedeutungsstrang" belegen, der im Altfranzösischen von "Latein" (= "Sprache der Gelehrten") zu "kluge Rede, Raisonnement" führt: «Et ele revint par matin / Si recoman[ça] son latin / La, ou ele l'avoit leissié». Die ed. K. D. Uitti, 1994 (Pléiade) übersetzt ['Elle revint le matin et reprit son antienne là où elle l'avait laissée']; TL eröffnet mit diesem Beispiel seine Gruppierung "allgem. die gewohnte Sprache, Rede, Gegenstand der Rede". Man sollte es bei "Rede" belassen, denn alle qualifizierenden Zusätze sind kontextbedingt, so wie antienne hier durch recommança nahegelegt ist.

Die das Kapitel abschließende Feststellung: "Was weder im Französischen noch im Provenzalischen vorzukommen scheint, ist die einfache Verwendung von latin für die eigene Sprache ohne Nebensinn" wäre vielleicht besser zu verstehen, wenn wenigstens Belege für die eigene Sprache "mit Nebensinn" angeführt würden, denn von mon latin 'meine lateinische Redeweise' ist unter B. Müller, 1963, 58 die Rede (35, u17) und TL 232 'Rede' hat Beispiele für mon latin 'meine Rede', so in der verdeutlichenden Übersetzung: «entendés mon latin» 'hört, was ich sage'.

Der Abschnitt ROMANUS in der Galloromania (141, 142) kann nur das Provenzalische behandeln; "im Französischen fehlt romanus als Sprachbezeichnung völlig: Es gibt keinen einzigen mittelalterlichen Beleg". Für das Altprovenzalische werden genau die beiden Belege angeführt, die im Supplement-Wörterbuch von Levy(/Appel) 7, 373 in Korrektur zu Raynouard als einzig gültige vorgestellt werden:




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Jaufré Rudel Quan lo rius de la fontana, v. 31 (P.C. 262, 5, ed. Jeanroy 1924 (CFMA 15), n° II): «Senes breu de parguamina / Tramet lo vers, que chantam / en plana lengua romana / A'N Hugo per Filhol» und Breviari d'amor (vv. 6096–6097; ed. Azaïs, I, 1862): «Les principals assi nomnam / en nostra lengua romana». Da ist es schon ungewöhnlich, dass SW weder hier noch überhaupt in der Bibliographie genannt wird, vielmehr ist 141 A154 als Neuigkeit zu lesen: "Die zahlreichen Eintragungen s.v. roman im Lexique roman von François Raynouard (5, Paris 1842, 107) täuschen: Mit einer Ausnahme liegt romans = romanz < Romanice vor." Wirklich noch zu klären bliebe, was «lenga romana» in dem 155, 12 unter Peire de Corbiac zitierten Text (v. 4) bedeutet, der dort wegen «romans o lenga latina» (v. 8) aufgeführt ist.

Dass die Seltenheit der provenzalischen Belege von roman [besser: von lengua romana] mit der Behauptung verbunden wird, dass "im Provenzalischen romanz zur geläufigen Sprachbezeichnung wurde", hätte schon hier einen Hinweis auf die abweichende Meinung FEW 10, 454 verdient: "Im galloromanischen fällt auf, dass romanz im norden im sinne von 'volkssprache' verwendet wird, in welchem zusammenhang auch der begriff auftritt, während er im süden nie verwendet wird, wo von der poesie der troubadours die rede ist; in diesem Fall werden hier parladura de Lemosin, lenga lemosina, proensal u.ä. gebraucht, sodass romanz im apr. im ansehen tiefer steht als im afr.". Die eigentliche Auseinandersetzung wird dann erst unter ROMANICUS / ROMANICE in der Galloromania (IV.3.3 = 149–156) geführt; (155, 25) heißt es dazu: "Richtig ist, dass es in den Dichtungen der Troubadours keine Stelle zu geben scheint, in der die eigene Dichtersprache mit roman(t)z [sic!] bezeichnet wird, aber das kann durchaus Zufall sein, denn das entsprechende Verb romansar wird gerade in der Bedeutung 'ein höfisches Lied singen' verwendet, beispielsweise um 1175 von Guillem de Berguedà (Amics Marques, Strophe VI): «Raimon de Paz, mon sirventes romansa / a'N Nas-de-Corn, e non aias [t]emensa»." Die vermutete Bedeutung kann mit einem solchen Beispiel schwerlich gestützt werden: zwar wird wieder keine Übersetzung angeboten, doch dass romansar hier die besondere Aufgabe des joglars bei der Liedübermittlung an den Adressaten en Nas-de-Corn beschreibt, kann doch nicht strittig sein und allein die senhal-Bildung verdeutlicht, dass es nicht um die Sprachform der Abfassung eines höfischen Liedes geht: SW 7, 374 s.v. romansar 'singen, vortragen, sagen' bringt die Zusammenfassung von Bartsch ['In der Schlussstrophe ermutigt er seinen jongleur, Raimon de Pratz, das Sirventes Herrn Krummnase zu singen und sich nicht zu fürchten']. Es könnte hilfreich sein, einen weiteren Beleg von romansar heranzuziehen, der bisher noch nicht Eingang in die Wörterbücher gefunden hat, obwohl er schon in der ed. Dejeanne, 1907 in das Glossar aufgenommen war: Marcabru, P.C. 293, 37 (Per savi teing ses doptanza, ed. Gaunt / Hathaway / Paterson, 2000, n° xxxvii, vv. 43–44): «Fols qui tot quant au romanza / Non sab razon mais boçina» ['The fool who recounts everything he hears knows nothing of reason']; die Bedeutung 'weitererzählen' tendiert hier in Richtung 'nachplappern', bestätigt jedenfalls eher die im FEW vertretene Ansicht, dass "romanz im apr. im ansehen tiefer steht als im afr."




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Der letzte noch vorzustellende Abschnitt zur Galloromania ROMANICUS / ROMANICE im Französischen (IV.3.3.1 = 149–154), dessen Belege nun auch als Zitate aus TL ausgewiesen sind und dessen bibliographische Hinweise wieder dem Standard der restlichen Abschnitte entsprechen, ist der Entwicklung von afrz. romanz zu roman gewidmet. Die gewiss nicht immer deutlich zu trennenden Schreibungen nach Nasal werden dabei als fast beliebig dargestellt (151), warum sonst die so präzise Formulierung von Rheinfelder, 1952 § 622, die dann sofort durch 'ursprünglich' abgeschwächt und als quantité négligeable dargestellt wird, "da im Laufe des 12. Jh. sowieso die ts > s-Vereinfachung einsetzte"; in ähnlichem Sinne wird M. K. Pope, 1934 § 723 zitiert: "in Middle French z final was ordinarily replaced by s after n and r". Hier ist ja nicht einmal die Ausgangssituation korrekt bestimmt, denn es handelt sich bei román(i)ce nicht um einen Übergangskonsonanten zwischen nn bzw. ñ oder nachkonsonantischem n und s, eventuell auch zwischen einfachem n und s, sondern um die Folge n + ts < n + ce/i; natürlich sind durch den einsetzenden Verlust des Zwei-Kasussystems hauptsächlich analoge Formen zu berücksichtigen, was aber soll ein als Muster dienendes "mans Rektus / man Obliquus" (151, u1)? Soll das plötzlich provenzalisch sein, oder ist es wieder einmal Druckfehler für mains / main (vgl. das umgekehrt verwechselte romain statt roman S. 140)? In eine gründlichere Diskussion müssten mindestens die Fälle mit lat./rom. Stammauslaut nt sowie vor allem normant / allemant miteinbezogen werden; dass diese Gruppe als Ausgangsform für "einen weiteren Pseudo-Obliquus romant" (153) praktisch abgetrennt ist, ermöglicht die zuvor (151 A181) gemachte strikte Behauptung zu der von FEW 10, 455 als primär angenommene Bildung romant (mit späterem Fall des Auslautkonsonanten zu roman): "das kann nicht richtig sein: zum einen ist romant später und spärlicher als roman belegt, zum anderen ist die Entwicklung von romanz zu roman auch im Provenzalischen erfolgt, wo der Typ romant nicht geläufig ist und wo man auch nicht mit dem Verstummen der Auslautkonsonanten argumentieren darf." Wenn die Belege von TL als Grundlage für die Entscheidung über Alter und Häufigkeit der Formen romant – roman im Altfranzösischen zu akzeptieren sind, dann hält diese Behauptung zumindest einer ersten Überprüfung nicht Stand; und dass im Okzitanischen etwa monz : mon längst gilt als im Französischen noch monz : mont die Regel war, erklärt das romanz : roman des Südens doch hinreichend, ohne *romant als Zwischenstufe zu fordern. Jedenfalls scheint sich die Argumentation des FEW bezüglich romant > roman auf das Französische zu beziehen und ist somit nicht widerlegt.



Die redaktionelle Bearbeitung entspricht leider nicht dem wissenschaftlichen Gewicht der Arbeit; für eine eventuelle Neuauflage seien hier die aufgefallenen Mängel zusammengestellt; zunächst die Druckfehler:

13, 7: Romanins (statt richtig: Romains); 13, u6: étaienmt: (étaient); 55, u15: 47 (49); 87, 5: (); 110, 17: den (die); 111 A54: 1897 (1879);




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128 A102: um (und); 128 A103: der (den); 130 A109: in (an); 136, u5: folgt sich (folgt bzw. schließt sich an); 150 Marie de France, v. 2: le olus Vaillant (le plus vaillant); 155 Guillem de Berguedà, v. 2: remensa (temensa); 163, 24: stilistischen (stilistische); 164, u8: Roms (Rom);
Einen gewissen Un-Sinn gewinnt 73, 5 "die varronische Definition, derzufolge latinitas die «incorrupte loquendi obseruatio secundam Romanam linguam» sei" («secundum» richtig 65, 10 und 71, 1); Wirklich sinnstörend ist der Doppelfehler 140, 17: "Die Bedeutungsentwicklung, die romain im Französischen die Bedeutung 'romanisch' annehmen liess" / in Verbindung mit 140, u4: "so verwendet ... Carducci, der ... auf die Ansätze von François Raynouard zurückgreift, romano, dem romain des französischen Philologen entsprechend, auch in der Bedeutung 'provenzalisch'" (in beiden Fällen ist doch roman gemeint, das dann 141 A154 und 153 A185 ein verstecktes Dasein führt); die Verwirrung wird noch dadurch erhöht, dass der 141, 1 direkt folgende Anschluss lautet: "In aller Klarheit liegt diese Wortverwendung auch bei V. Gioberti ... vor: «Le lingue che chiamansi romane sono figluole del latino alterato da una o più barbarici idiomi»". (Die Bedeutung 'provenzalisch' ist da nicht zu entdecken, zumal nicht in der Pluralform; es sind die romanischen Sprachen);
Auslassungen: 53, 4: es fehlt das Jahr der Publikation (1993); 61, u5/3: es fehlen die Längezeichen für die Ablativformen latina ... lingua (falls die S. 9 vorgeschlagene Kennzeichnung der Langvokale konsequent umgesetzt werden soll); 92, u1: wenn auch ... gibt (wenn es auch ... gibt);
Doppeldruck beim Seitenumbruch innerhalb 68/69 A9: "zu verleihen. Als erste erhielten die Transpadanae coloniae (Asc. in Pis. p. 3 Cl.) 89 v. Chr. das ius Latii," (einmal zu tilgen);
Ungenauigkeit: 62, u13 und 67, 6: "insofern ... als auf jeden Fall die Präposition in vorangehen muss", bzw. "ist nur nach der Präposition in geläufig" ( nach in jeweils zu ergänzen "bzw. ex ", vgl. 62, 15: ... «uel ex Graeco in Latinum uel ex Latino vertere in Graecum»).

Mängel der Bibliographie 167–173:

  1. Zur alphabetischen Reihenfolge: D'Arco Silvio Avalle trennt 168 Alexi Decurtins von Caspar Decurtins, ist unter Avalle 167 zu führen; Haim Vidal Sephiha 173 ist als Séphiha 172 zu führen; Bodo Müller 1963 und 1996 sowie Karl-Ludwig Müller sind nicht 171, sondern 170 nach Gheorghe Mihil einzuordnen; Hans Rheinfelder 1952 und August Wilhelm von Schlegel 1818 (natürlich nicht 1918) nicht 172, sondern 171 nach Hans Rheinfelder 1968; 169 Jaberg und Jordan sind umzustellen;
  2. 169: der genaue Titel von Vinko Foreti 1987 lautet, wie 99 A21 richtig angegeben: "Zur Geschichte der Romanen Dalmatiens im Mittelalter"; 168: der gelegentliche Versuch, die Autoren mit vollem Vornamen anzugeben, hat bei [Friedrich] Diez, Grammatik der romanischen Sprachen (über F. Diez 153 A186) zu Franz Diez geführt, das Wörterbuch ist zwar 48, u8 erwähnt, aber nicht in die Bibliographie aufgenommen; diesbezüglich ist insgesamt festzustellen:




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  3. Die Ankündigung von S. 9: "Eine Übersicht über die herangezogenen Hilfsmittel findet sich am Anfang der Bibliographie" wird leider nicht erfüllt: so sind zwar 24 Wörterbücher aufgenommen, es fehlen aber an zitierten Titeln neben Diez auch REW (48, u8) und FEW (90, u2; 134, 1; 151 A181; 154 A188), Huguet (153 A184), Raynouard (141 A154; wohl einschließlich des SW von Levy / Appel), Diccionario der Real Academia Española (126 A91), DES (134, 1), DLI (148, 12), ThLLOnom (145 A164), Nebrija (123, u7; 142, 17; 157, u10), Palencia (157, u12), Roquefort (152 A182), Scriban (136, 1), Verwijs / Verdam (151 A177).
  4. Warum wird aus der Enciclopedia dantesca 3, 1971 zwar Brugnoli (140 A147), nicht aber Basile (100 A24; 102 A27) aufgenommen; warum werden grundsätzlich keine Primärquellen aufgenommen, dann aber doch Foulché-Delbosc ... Sanche IV, RH 15, 1906 (157 A198), Sorrento ... Marchese di Santillana, RH 55, 1922 (158 A199) und Valdés, ed. Blanch 1969 (158 A201, drei auf den S. 157–158 aufeinanderfolgende Texte?
  5. Die zitierte Sekundärliteratur ist fast vollständig in die Bibliographie aufgenommen, versehentlich fehlen aus den Anmerkungen der S. 98–99: M. Doria, LRL 3, 1989; M. Metzeltin, LRL 4, 1988; F. Raki, Starine 4, 1872.

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