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Philipp Albers (Berlin)



Geschichte – Gedächtnis – Zerfall.
Dekonstruktion / Rekonstruktion der Vergangenheit in Willliam Faulkners Absalom, Absalom!



History – Memory – Decay. Deconstruction / Reconstruction of the Past in William Faulkner's Absalom, Absalom!
Absalom, Absalom! is a classic of modernism, yet at the same time it is a novel about the complex interaction of history, its representation and the (im-)possibilities to remember the past. It takes up and deconstructs the conventions of the genre of the historical novel. More specifically, the article analyzes the different ways in which the various narrators try to remember and reconstruct the past. All of them construct mnemonic spaces to account for what has happened and to create a narrative order for the representation of that which is irrevocably gone. In the course of the novel the subjective dimension, the role of imagination in the reconstruction of the past gains more and more dominance over the futile attempts to objectively represent historical reality. Finally, the underside of these various attempts to regain the lost past is brought to the fore. Images of decay pervade the novel. The bygone past is only present in the materiality of its decay: as ruin, dust, ash, or illegible mark. These materialities that signify nothing but the absence of the past have a twofold, somewhat paradoxical function: They are the sites that enable the playful imagination to fill in the gaps and to reconstruct what might have happened, and at the same time, as opaque monuments, they transcend and resist the historical as a space for the construction of meaningful narratives.





1 Einleitung

[...] and the long-dead object of her impotent yet indomitable frustration would appear, as though by outraged recapitulation evoked, quiet inattentive and harmless, out of the biding and dreamy and victorious dust.(AA: 3-4)

William Faulkners 1936 publizierter Roman Absalom, Absalom! (Faulkner 1936/1990) gilt als unbestrittenes Meisterwerk der literarischen Moderne, in dem sich zentrale Innovationen modernistischer Ästhetik wiederfinden – sei es in der formalen Struktur (Überschreitung der Konventionen der traditionellen Romanform durch narrative Komplexität und multiperspektivisches Erzählen), sei es auf der sprachlichen oder stilistischen Ebene (z.B. im Satzbau und in der Wortstellung).




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Zugleich ist Absalom, Absalom! eine tiefgreifende Auseinandersetzung mit der Vergangenheit und der Geschichte – ein für die Moderne scheinbar untypischer Zug, ist sie doch als literarsches und ästhetisches Projekt dem radikal Neuen verpflichtet und hat sich dem Konventionsbruch und der Überwindung des Traditionellen verschrieben. Zu den Traditionen, die es hinter sich zu lassen gilt, gehören auch der literarische Realismus und der historische Roman, die aufs engste mit historischem Bewusstsein und mimetischen Formen der Darstellung der Vergangenheit verknüpft sind. So formuliert etwa Hayden White, dass die modernistische Haltung von einer "Feindschaft gegenüber dem historischen Bewusstsein", ja, einer Antipathie gegenüber der Geschichte selbst geprägt sei. (White 1978: 31) Absalom, Absalom! korrigiert diese einseitige Auffassung einer Geschichtsvergessenheit der Moderne, versucht der Roman doch mit den Mitteln der Moderne – d.h. in der Skepsis gegenüber mimetischen Darstellungsweisen – eine Antwort auf die Frage zu geben, ob und wie unter den Bedingungen von Traditionsverlust und schwindender kultureller Autorität geschichtlicher Erfahrungen historisches Erzählen noch möglich sei.1 So ist der Roman zwar vom epistemologischen Zweifel an der Fähigkeit der Sprache, (eine bereits vergangene) Wirklichkeit angemessen zu repräsentieren, geprägt, lotet aber dennoch oder gerade deshalb auf vielfältige Weise das ambivalente Verhältnis zwischen vergangenen Ereignissen (historischer Realität) und ihrer narrativen Repräsentation (Erzählung) aus, zwischen der "Objektivität" historischen Geschehens und der unvermeidlichen Subjektivität der Versuche, das Vergangene zu rekonstruieren.

Die Untersuchung untergliedert sich in drei Teile. Zunächst soll gezeigt werden, wie Absalom, Absalom! an das Genre des historischen Romans anknüpft und zugleich dessen Konventionen unterläuft. Faulkner greift zwar Elemente der traditionellen Genreform auf, löst diese aber modernistisch auf, indem er das Verhältnis von Geschichte und ihrer narrativen Repräsentation – deren transparente Relation die unbefragte Voraussetzung des Genres bildet – reflektiert und problematisiert.

Anschließend soll dieser Befund anhand eines Vergleichs der unterschiedlichen Erzählerfiguren und ihrer Geschichten spezifiziert werden: Wie verhalten sich in den unterschiedlichen Versionen der Erzählerfiguren historische Realität und ihre narrative Repräsentation zueinander? Auf welche Modelle greifen die Erzählerfiguren zurück, um die Geschichte Sutpens in eine narrative Ordnung zu überführen? Die unterschiedlichen Erzählungen werden dabei als Gedächtnismodelle gelesen, die es den Erzählerfiguren erlauben, die Unmöglichkeit eines authentischen Erinnerns des Vergangenen zu überdecken, und das vergangene Geschehen in eine sinnhafte Ordnung zu bringen. Auf je unterschiedliche Weise konstruieren die Erzähler Gedächtnisräume, die die Geschichte Sutpens und die der Südstaaten in eine narrative Ordnung bringen und strukturieren. Durch unterschiedliche Bilder und Erzählmuster wird die verlorengegangene Erinnerung an den untergegangenen Old South supplementiert. Dabei zeigt sich, insbesondere in der zweiten, von Quentin und Shreve dominierten Hälfte des Romans eine zunehmende Subjektivierung von Geschichte, eine wachsende Dominanz der Imagination im Wechselspiel zwischen historischer Wahrheit und spielerischer Einbildungskraft.

Der letzte Teil schließlich widmet sich den Bildern des Zerfalls im Roman: Die Vergangenheit wird in Absalom, Absalom! vor allem in der mündlichen Erzählung, in den Rekonstruktionsversuchen der Erzählerfiguren präsent. Doch gibt es darüber hinaus eine weitere Ebene, in der das Vergangene auf viel direktere Weise in der Gegenwart 'anwesend' ist, oder besser, 'fortzuwesen' scheint: Durch den ganzen Roman ziehen sich Szenen, in denen die 'Überreste' des Vergangenen als stumme Zeugen des vergangenen Geschehens in die Gegenwart der Erzählsituation 1909/10 hineinragen: Bons Brief, die Grabsteine auf Sutpen’s Hundred, etc. Faulkner figuriert hier Vergangenes vor allem in seiner 'archäologischen' Materialität, als stummes Monument, dessen Opazität eine sinnstiftende Deutung verhindert und das sich der Entschlüsselung entzieht. In welchen Formen ragt das Vergangene in die Erzählgegenwart hinein? Welche Funktion haben diese Zeugnisse der Vergangenheit, die im Roman vor allem in ihrer Materialität und ihrem Verfall dargestellt werden? Als stumme, unlesbare Monumente und Spuren, die in ihrem Zerfall von der Vergangenheit und der Vergänglichkeit künden, sind sie, so die These, paradoxerweise zugleich Residuen, in denen sich eine Transzendenz des Geschichtlichen (als des Ortes narrativer Sinnzusammenhänge) andeutet. Anders gesagt: Sie bilden das 'archäologische' Fundament des Romans, sie sind die Signifikanten der Abwesenheit von Geschichte(n), die stummen Lücken, die überhaupt erst den Prozess der Imagination in Gang setzen.




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2 Absalom, Absalom! und die Tradition des historischen Romans

Die Familiensaga vom kurzen Aufstieg und langen Fall des Thomas Sutpen, der, scheinbar aus dem Nichts kommend, in Jefferson, dem Zentrum von Faulkners imaginären Yoknapatawpha County, auftaucht, ein riesiges Stück jungfräulichen Landes in eine Plantage samt großzügigem Herrenhaus verwandelt, und versucht, eine Pflanzerdynastie zu begründen, verläuft parallel zur Geschichte der Südstaaten, so wie sie spätestens seit Ende des neunzehnten Jahrhunderts von vielen Südstaatlern erträumt und mythologisiert wurde: als tragisches Epos heroischen Ausmaßes.

Nicht zuletzt eine solche allegorische Deutung der Figur Sutpens und seiner Familie als verdichtete Gestalten der zur aristokratischen Pflanzerkultur stilisierten Südstaaten selbst, und die damit verbundene wechselseitige Identifizierung der Sutpenschen Familiengeschichte mit der Geschichte der Südstaaten im Ganzen – wie sie vor allem in der Faulkner-Rezeption der 50er und 60er Jahre diskutiert wurde –, lässt es sinnvoll erscheinen, zunächst noch einmal die wichtigsten Charakteristika des historischen Romans zu skizzieren, um anschließend die Differenzen und Affinitäten von Absalom, Absalom! zu diesem Genre genauer bestimmen zu können.

Der historische Roman, für dessen klassische Form vor allem die Romane Sir Walter Scotts prägend waren, dramatisiert üblicherweise historischen Wandel als Konflikt zwischen zwei unterschiedlichen Kulturen bzw. 'Zivilisationsstufen'. Gemäß der dem historischen Roman zugrundeliegenden teleologischen Geschichtsphilosophie muss in der Konfrontation die 'alte' Welt (z.B. die agrarisch-patriarchalischen Südstaaten vor dem Bürgerkrieg) der 'neuen Ordnung' (z.B. die industriell-kapitalistischen Nordstaaten) notwendigerweise unterliegen und ist zum Untergang verdammt. In der Wiederbelebung der vergangenen Epoche durch den Romancier ist also deren Zerstörung bereits beschlossen. Zugleich wird die 'alte' Welt heroisiert: Sie ist der auf anderen ökonomischen und gesellschaftlichen Prinzipien errichteten 'neuen' Ordnung gemeinhin moralisch überlegen und wird nostalgisch als stabile, durch gemeinsame Werte und Traditionen zusammengehaltene authentische Gemeinschaft verklärt.

All diese Elemente finden sich auf den ersten Blick auch in Absalom, Absalom!, und doch ist dieser modernistische Text alles andere als ein historischer Roman im klassischen Sinne (im Unterschied zu Margaret Mitchells sujetverwandtem ebenfalls 1936 veröffentlichten Südstaatenepos Gone With the Wind). Das hängt vor allem mit den unterschiedlichen narrativen Strategien zusammen, die Faulkner einsetzt.

Im Gegensatz zum klassischen historischen Roman präsentiert Absalom, Absalom! die Ereignisse, die den Kern des Romangeschehens bilden, nicht in einer linearen Ordnung, die dem historischen Ablauf folgt. Ein solches Erzählmodell, wie es der historische Roman zumeist verwendet, würde die Ereignisse in die Ordnung ihrer chronologischen Abfolge bringen, sie in ein narratives Gerüst, bestehend aus Anfang, Mitte und Ende kleiden, die einzelnen Ereignisse durch Kausalbeziehungen miteinander verknüpfen und sie in einer hierarchischen Ordnung nach Relevanzkriterien strukturieren. Das Genre des historischen Romans akzeptiert die vergangene Realität als gegeben und unterstellt eine transparente, eineindeutige Beziehung zwischen historischen Ereignissen und ihrer narrativen Repräsentation. Oder anders gesagt: Der historische Roman versucht, die Narrativität seiner Repräsentation zu maskieren, indem er den Anschein erweckt, die historische Realität spreche für sich selbst und präsentiere sich ohne sprachliche oder narrative Vermittlung.2




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Unterstützt wird diese Erzeugung einer scheinbar unmittelbar gegebenen, sich selbst genügenden Realität u.a. durch die Fülle historisch verbürgter Detailbeschreibungen, durch die Auflösung historischer Kontingenzen mittels Einbettung in den narrativen Zusammenhang und durch die psychologische Motivierung der Handlungen der Charaktere. Diese für den historischen Roman (und den Realismus insgesamt) dominanten literarischen Strategien, die vorgeben, die Realität als solche zu signifizieren und so die Illusion einer unmittelbaren Referenz auf die Wirklichkeit selbst erzeugen, sind von (Barthes 1968/1986) treffend als "Realitätseffekte" bezeichnet worden.

Genau diese narrativen Strategien der Konsistenzbildung und der kohärenten Strukturierung der Repräsentation von Geschichte, die dem historischen Roman zugrunde liegen, werden in Absalom, Absalom! auf allen Ebenen selbst thematisch, d.h. sie werden als Konstruktionen von Geschichte problematisiert und entlarvt. In diesem Sinne versteht Ursula Brumm den Roman nicht bloß als historischen Roman, sondern vielmehr als "ein[en] Roman über Geschichte und zwar über Geschichte nicht als Stoff, als Summe von gewussten Tatsachen, sondern als komplexes Gebilde aus Erlebnis, Teilnahme, Bericht Bekenntnis, Rezeption, Prüfung und schöpferischer Vorstellungsgabe." (Brumm 1974: 259) Faulkner habe, so Brumm, eine Auffassung von Geschichte als "Doppelwesenheit", und der Roman demonstriere diese "Zweiheit von Geschehen und Verstehen, von Stoff und geistiger Verarbeitung des Stoffes." (Brumm 1974: 259) Absalom, Absalom! ist also nicht so sehr "historischer" Roman als vielmehr "geschichtsphilosophischer Roman" (Brumm 1974: 259), der im Modus des Literarischen die Bedingungen historischer Darstellung und Erzählung überhaupt thematisiert und die in den Genrekonventionen des historischen Romans implizierten epistemologischen Annahmen freilegt.3

Zusammengefasst lässt sich sagen: Absalom, Absalom! problematisiert das Verhältnis von Narration und Geschichte. Die Repräsentation des Vergangenen wird nicht mehr, wie im klassischen historischen Roman, als eine transparente, mimetische Relation angesehen, sondern es zeigt sich, dass das dargestellte historische Geschehen mit der Struktur und Form des Erzählens selber intrikat verknüpft ist.



3 Die Gedächtnismodelle der Erzählerfiguren

Diese Dekonstruktion der Prämissen des historischen Romans geschieht vor allem durch die Überlagerung mehrerer, nicht kongruenter Erzählperspektiven. Faulkners Roman konfrontiert den Leser mit einer Reihe divergierender, z.T. sogar einander widersprechender 'Versionen' der Sutpengeschichte, die sich die Charaktere gegenseitig erzählen. Diese Versionen sollen im Folgenden als unterschiedliche Gedächtnismodelle gelesen werden, d.h. als unterschiedliche Weisen, die uneinholbare Vergangenheit so zu konzeptualisieren, dass sie erinnerbar und damit erzählbar wird. Die Unterschiedlichkeit der Versionen resultiert nicht zuletzt daraus, dass die Erzählerfiguren die Vergangenheit, die sie erinnern möchten, auf je unterschiedliche Weise strukturieren. Die Bedingungen und Formen dieser Gedächtnismodelle geben die Ordnungsprinzipien der unterschiedlichen Erzählungen ab. Dieter Polloczek etwa schreibt in seiner Analyse des Romans:

Es geht also [...] nicht so sehr um die Ablösung verlorener Erinnerung an eine verlorengegangene Kultur durch eine von jeglicher Erzählerautorität befreite, spielerische Interaktion von möglichen Versionen [...]. Es geht vielmehr um die Formen, die verlorene Erinnerung konzipierbar machen, sowie um die Bedingungen für diese Formen. (Polloczek 1993: 35)




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Es geht also um das komplexe Wechselspiel von "Erinnerung und Gedächtnis." Die Inkongruenz der unterschiedlichen Versionen führt zwar zu einer Auflösung von Geschichte als objektivierbarer Gegebenheit, auf die hin sich die unterschiedlichen Erzählstränge vereinheitlichen ließen. Andererseits finden die Erzählerfiguren und ihre Narrationen einen gemeinsamen Angelpunkt in dem Bemühen, den Verlust der Vergangenheit und der Erinnerung erzählbar zu machen und in ein geordnetes Gefüge (das hier mit Polloczek als Gedächtnisraum bezeichnet werden soll) zu transformieren. Trotz der Unterschiedlichkeit der Formen, in denen dieser Prozess sich vollzieht, liegt ihnen ein gemeinsames Streben nach Ordnung zugrunde, das allerdings angesichts der Heterogenität und der Auflösung tradierter Ordnungsmodelle in der modernen Erfahrung nicht eingelöst werden kann. In dieser Vergeblichkeit, die authentische Erfahrung des Vergangenen in der Erinnerung zu restituieren, ist auch der Grund für die melancholische Grundstimmung des Romans zu sehen.

Absalom, Absalom! ist also vor allem auch ein Erinnerungsroman, allerdings einer, der von der Unmöglichkeit gelingenden Erinnerns erzählt, von einer Erinnerung, die nicht einholbar ist, und die im Akt ihres Erzählens bereits verfehlt wird. Damit ist auch klar, dass sich Absalom, Absalom! nicht so sehr mit der Zerstörung des Old South durch den Bürgerkrieg beschäftigt, als vielmehr mit dem Ende der Illusionen, Projektionen und Träume über diese Epoche zu Beginn des 20. Jahrhunderts.



4 Das Trauma des Körpergedächtnisses: Miss Rosa

Von den Erzählerfiguren ist Miss Rosa die einzige, die direkt an den Ereignissen des erzählten Geschehens beteiligt ist. Alle anderen sind Nachgeborene, denen die Geschichte Sutpens nur in der Vermittlung durch diverse Erzählinstanzen zugänglich ist. Als unmittelbare Zeugin der Ereignisse hat Miss Rosa so scheinbar einen privilegierten, weil unverstellteren Zugang zu den Geschehnissen. Augenzeugenberichten gestehen wir – trotz ihrer subjektiven Färbung – gerne eine unmittelbare Evidenz und Objektivität zu. Genau diese authentifizierende Funktion der Zeugenschaft wird aber im Roman konterkariert. Der Leser lernt im Verlauf der Lektüre sehr schnell – insbesondere durch den Vergleich der unterschiedlichen Versionen –, dass Miss Rosa nur eine sehr beschränkte Kenntnis der Ereignisse hat. So liefert sie unter allen Erzählerfiguren, gerade wegen ihrer direkten Involvierung in das Geschehen, die unzuverlässigste und unvollständigste Version der Ereignisse. Sie zeichnet ein Bild von Sutpen als 'Oger' und bösem 'Dämon', der als eine Figur des Schicksals, als eine Art 'Strafe Gottes' gleichsam aus dem Nichts in Jefferson auftaucht, und ihre Version der Geschichte Sutpens und ihrer eigenen Familie ist geformt durch Elemente des Melodramas, der gothic romance und des Märchens – Genres, die in ihren unterschiedlichen Formen der Stilisierung des Vergangenen dem Realismusanspruch der historischen Darstellungsweise diametral entgegengesetzt sind.

Miss Rosas Erzählperspektive ist vor allem durch das traumatische Erlebnis mit Sutpen geprägt. Dieser hatte, nachdem sein Plan – nämlich eine Dynastie zu gründen und einen nach den rassistischen Konventionen der weißen Südstaatengesellschaft als reinrassig anerkannten männlichen Erben und Stammhalter zu zeugen – durch die Tragödie zwischen Henry, Judith und Bon gescheitert war, einen verzweifelten weiteren Versuch zur Verwirklichung seines design unternommen und Miss Rosa die Ehe angetragen, die er aber erst nach einem erfolgreichen Versuch, einen männlichen Nachkommen mit ihr zu zeugen, eingehen wollte.




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Diese traumatische Verwundung durch Sutpen und die Traumgespinste ihres unerfüllten Begehrens, das sich in der Verklärung Bons, den sie nie leibhaftig gesehen hat, zum Südstaatengentleman manifestiert, bilden den Kern, um den ihre Erzählung kreist.4 Doch gerade den traumatischen Moment der Beleidigung ihrer Ehre als Southern Lady durch Sutpen kann sie nicht in Worte fassen und in einen narrativen, sinnvollen Zusammenhang transformieren. Im fünften Kapitel sagt sie zu Quentin: "I will tell you what he did and let you be the judge (Or try to tell you, because there are some things for which three words are three too many, and three thousand words that many words too less, and this is one of them." (AA: 134)5 Alle Worte sind schon zuviel oder noch zuwenig, um ihre Verletzung zu bezeichnen, und sie kann Quentin nicht sagen, was genau Sutpen ihr angetan hat; der Leser erhält diese Information erst später durch Shreve zu Beginn des sechsten Kapitels (AA: 147). Der traumatische Moment selber ist nicht erzählbar, auf ihn kann sie nur verhüllt hindeuten als das Ereignis, das sie in den nicht enden wollenden Zustand des "Why? Why? and Why? that I have asked and listened to for almost fifty years" (AA: 135) versetzt hat. Ihr Erzählmodus, der von Jürgen Peper mit dem treffenden Begriff des 'körpernahen Erzählens' gekennzeichnet worden ist, privilegiert aus dieser traumatischen Erfahrung heraus die Dimension körperlich-sinnlicher Erfahrung gegenüber den rationalen Fähigkeiten des Geistes und den diskursiven Möglichkeiten der Sprache.6 In ihrem gleichsam hypnotisierten Traumzustand ersetzt ein alogisches Körperbewusstsein intensiver, aber fragmentierter Einzelmomente sinnlicher Wahrnehmungen, losgelöst von der Kontinuität von Raum und Zeit, die geordnete (narrative) Linearität eines von der Ratio gesteuerten Bewusstseins. Der Körper wird zur Projektionsfläche der Erinnerung, zum einzigen Ort, an dem eine Erinnerung der verlorenen Vergangenheit möglich ist:

That is the substance of remembering–sense, sight, smell: the muscles with which we see and hear and feel–not mind, not thought: there is no such thing as memory: the brain recalls just what the muscles grope for: no more, no less: and its resultant sum is usually incorrect and false and worthy only of the name of dream. (AA: 115)

Der Körper mit seinen Sinnesorganen wird zur Oberfläche für mnemonische Einschreibungen und Gedächtnisspuren. Die körperlichsinnlich erlebte mémoire involontaire ist in ihrem Wahrheitsanspruch und Authentizitätsgehalt der mémoire volontaire des Bewusstseins überlegen. Die Körpererinnerung, in die Miss Rosa sich flüchtet, kennt scheinbar kein Vergessen und hält die traumatische Wunde der Vergangenheit offen.

Trotz des "körpernahen" Modus' ihres Erzählens setzen sich Miss Rosas Beschreibungen der körperlichen Erinnerung und des Körpers als Gedächtnisraum aus Bildern und Metaphern zusammen, welche die abwesende Vergangenheit konzeptualisieren. Die Grenzen des Gedächtnismodells des Körpers als Residuum gelingender Erinnerung werden besonders deutlich an den Stellen, an denen die Photographie als technologische Metapher Einzug in ihren Diskurs hält und sich mit der Metaphorik des Körpergedächtnisses vermengt bzw. diese supplementiert, wie die folgende Passage, in der es um Bons Gesicht geht, das sie bloß auf einer Photographie gesehen hat, zeigen kann:

I dont even know if I was ever aware that I had seen nothing of his face but that photograph, that shadow, that picture in a young girl's bedroom: a picture casual and framed upon a littered dressing table […] because even before I saw the photograph I could have recognized, nay, described, the very face. But I never saw it. (AA: 118)




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Das photographische Bild fungiert als imaginäres Substitut einer 'authentischen' Erfahrung, die sie nie gehabt hat, und unterminiert so die Basis der körperlichen Erfahrung ihres Erinnerns. Insofern die technische Apparatur der Photographie und ihr Körper als Ort der Erinnerung metaphorisch zusammenfallen, oszillieren ihre Erinnerungsbilder zwischen Wahrheit und Illusion, zwischen Authentizität und Täuschung. 7



5 Die Autorität der Tradition: Mr. Compson

Im zweiten, dritten und vierten Kapitel knüpft Mr. Compson an den Bericht von Miss Rosa an und erzählt seinem Sohn Quentin die Geschichte der Sutpenfamilie vom ersten Auftauchen Sutpens in Jefferson bis zur Erschlagung Bons durch Henry. Sein Erzählmodell ist durch die orale Tradition bestimmt. In oralen Kulturen ist die Praxis des Erzählens und Wiedererzählens von Geschichten eine der wichtigsten Techniken der Übertragung kulturellen Wissens und der Traditionsvermittlung. In einer solchen Erzählkultur wird die Vergangenheit ständig neu modelliert (und so den Bedürfnissen der Gegenwart angepasst), bleibt aber in ihren Grundmustern konstant. In der Südstaatenkultur war die orale Vermittlung ein primärer Modus der Selbstinterpretation und Mythenbildung. Sie wurde benutzt, um eine Tradition für die junge, quasi 'geschichtslose' Südstaatenkultur und das patriarchalische Gesellschaftsmodell, das sich dort in kurzer Zeit etabliert hatte, zu erfinden, und um ein Selbstbild des Südens als aristokratische Pflanzerkultur mit seinen eigenen Riten und einem spezifischen Ehrenkodex zu konstruieren. Die wichtigsten Funktionen der mündlichen Erzählung solcher Ursprungsmythen liegen zum einen in der Herstellung einer lückenlosen Kontinuität zu den Vorfahren, zum anderen in der Legitimierung und Autorisierung von Traditionen und sozialen Verhältnissen.

Dies ist der kulturgeschichtliche Hintergrund, in den Mr. Compsons Erzählmodell eingebettet ist. Die mündlich weitergegebenen Geschichten bilden für ihn den mnemonischen Raum für die Tradierung des Erbes des Old South, das in der Erinnerung fortleben soll und das an die nächste Generation – in diesem Fall also Quentin – überliefert werden muss. Das Verlorene soll so durch sein fortlaufendes Erzähltwerden gerettet werden. Dieses Modell der Konzeptualisierung von Vergangenheit als Traditionskontinuum kommt in der folgenden Passage zum Ausdruck, die zugleich sein Scheitern dokumentiert:

We have a few old mouthtomouth tales; we exhume from old trunks and boxes and drawers letters without salutation or signature, in which men and women who once lived and breathed are now merely initials or nicknames out of some now incomprehensible affection which sound to us like Sanskrit or Chocktaw; we see dimly people, the people in whose living blood and seed we ourselves lie dormant and waiting, in this shadowy attenuation of time possessing now heroic proportions, performing their acts of simple passion and simple violence, impervious to time and inexplicable–Yes, Judith, Bon, Henry, Sutpen: all of them. They are there, yet something is missing; they are like a chemical formula exhumed along with the letters from that forgotten chest, carefully, the paper old and faded and falling to pieces, the writing faded, almost indecipherable, yet meaningful, familiar in shape and sense, the name and presence of volatile and sentient forces; you bring them together in the proportions called for, but nothing happens; you reread, tedious and intent, poring, making sure that you have forgotten nothing, made no miscalculation; you bring them together again and again nothing happens: just the words, the symbols, the shapes themselves, shadowy inscrutable and serene, against that turgid background of a horrible and bloody mischancing of human affairs. (AA: 80)




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Die mündlich tradierten alten Geschichten bilden den Rahmen, der die Kontinuität zu den Vorfahren stiften soll. Doch das Leben ist aus den Erzählungen wie aus den alten Briefen, den Botschaften aus der Vergangenheit, gewichen; ihre Bedeutung lässt sich nicht mehr entziffern. Mit anderen Worten: Der Süden hat keine funktionierende orale Kultur mehr. Die Verbindung zu den Vorfahren – "the people in whose living blood and seed we ourselves lie dormant" – ist abgerissen, was bleibt sind "letters without salutation or signature", die sich selbst nach mehrfacher Lektüre und Erzählversuchen nicht zu einem sinnhaften Ganzen zusammenfügen lassen. Die genealogische Kontinuität lässt sich nicht mehr durch eine narrative Kontinuität ergänzen und legitimieren. Oder anders ausgedrückt: Die genealogische Übertragung von Autorität läuft ihrer narrativen Übertragung nicht mehr parallel, sie lässt sich nicht mehr erzählend umsetzen.

Die Vergangenheit ist unwiderruflich tot, und sie kann nicht einmal mehr zum Sprechen gebracht werden. Denn, wie es schon ganz zu Beginn des Romans heißt: "the deep South [is] dead since 1865." (AA: 4) Mr. Compson gelingt es nicht, die Toten der Vergangenheit wieder zum Leben zu erwecken und so die Tradition lebendig zu erhalten. So bleibt angesichts dieses Autoritäts- und Traditionsverlustes zuletzt nur die Zuflucht zu einer melancholisch-pessimistischen Sicht auf das unglückliche Fatum der Menschheit im Ganzen, an dem alle Rekonstruktionsversuche und Erklärungen scheitern müssen.

Die mythologisierende Funktion der oralen Erzählkultur ist zwar noch präsent aber nicht mehr wirksam in Mr. Compsons Versuch, das Erbe der Südstaatenkultur an seinen Sohn weiterzugeben: er spricht von "people […] possessing now heroic proportions, performing their acts of simple passion and simple violence", und er lässt das Modell der griechischen Tragödie in seine Version der Sutpengeschichte einfließen. Nicht zuletzt zeigt sich die Präsenz der oralen Tradition in der Verwendung der Rhetorik der Southern Oratory, und darin, dass Mr. Compson, insbesondere im zweiten Kapitel, auf das kollektive Wissen der Stadt Jefferson verweist um Teile seiner Geschichte zu untermauern: Die Gestalt Sutpens und sein unvermitteltes Auftauchen in Jefferson sind in das kollektive (oral vermittelte) Gedächtnis der Region eingegangen, aus dem nun auch Mr. Compson schöpft, auch wenn es ihm nicht gelingt, ein kohärentes Bild zu zeichnen.



6 Das Spiel der Imagination: Quentin und Shreve

In den Dialogen zwischen Quentin und Shreve findet sich ein weiteres Modell des narrativen Umgangs mit der flüchtigen Vergangenheit. Die zeitliche Distanz, in der sie zu den erzählten Ereignissen stehen, erlaubt ihnen ein freieres Spiel mit dem Material der Familiengeschichte Sutpens, in die sie (insbesondere Quentin) nichtsdestotrotz involviert sind.8 Es ist vor allem der Kanadier Shreve, der einen distanzierteren und ironischeren, manchmal sogar sarkastischen Standpunkt einnimmt. An einigen Stellen scheint es gar, dass ihm ein klischeehaftes Abziehbild des Südens vorschwebt, wie folgender Vergleich mit Ben Hur andeutet: "Jesus, the South is fine, isn't it. It's better than the theatre, isn't it. It's better than Ben Hur, isn't it." (AA: 176)9

In gewisser Hinsicht lässt sich Quentins und Shreves Rekonstruktion der Geschichte von Sutpen, Henry, Judith und Charles Bon mit der Arbeitsweise des Historikers vergleichen. In ihren Rekonstruktionsversuchen greifen sie auf unterschiedliche Quellen zurück: Quentins Inaugenscheinnahme von Sutpen's Hundred, bei der er Clytie und Henry begegnet, die unterschiedlichen Versionen, die ihm von Miss Rosa und seinem Vater (und, durch diesen vermittelt, von seinem Großvater) berichtet werden, schriftliche Dokumente (Bons Brief an Judith), Inschriften (auf den Grabsteinen), und schließlich die im kollektiven Gedächtnis von Jefferson zirkulierenden Versionen der Sutpengeschichte. Die beiden ordnen, bewerten und interpretieren dieses Material. Wichtiger noch, sie nehmen es als Ausgangspunkt, um Vermutungen und Spekulationen anzustellen, wie die Ereignisse sich abgespielt haben könnten.

Aber ihre Suche nach den Handlungen der Protagonisten und den dahinter liegenden Motiven treibt sie noch weiter hinaus auf das Feld der imaginativen Rekonstruktion des Vergangenen. Sie identifizieren sich mit Charles und Henry, um in ihrer Imagination die Geschehnisse noch einmal nachzuvollziehen, um sie in der imaginativen Wiederholung präsent zu machen. Diese Form des Erzählprozesses versucht die Kluft zwischen Geschichte und Narration, zwischen Vergangenheit und Gegenwart durch ein reenactment des Vergangenen zu überbrücken.




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Der Historiker R. G. Collingwood hat in seiner 1946 postum erschienenen geschichtsphilosophischen Studie The Idea of History die Geschichte und die Arbeit des Historikers als ein "reenactment of past thought in the historian's mind" beschrieben. (Collingwood 1946/1968: 215) Ausgehend von dieser Annahme entwickelt Collingwood eine Geschichtsphilosophie, die dem Moment der konstruktiven Imagination in der Tätigkeit des Historikers besondere Bedeutung zumisst.

Quentin und Shreve, die herausfinden wollen 'was wirklich geschah' zwischen Henry, Judith und Bon (und Sutpen) bedienen sich ihrer Imagination, um die Lücken in der Geschichte aufzufüllen und aus den wenigen ihnen bekannten Ereignissen eine kohärente Erzählung aufzubauen. In ihrem Vorgehen zeigen sich damit deutliche Parallelen zu Collingwoods Beschreibungen. Dieser charakterisiert die Darstellung der Vergangenheit durch den Historiker als "web of imaginative construction stretched between certain fixed points provided by the statements of the authorities." (Collingwood 1946/1968: 242) Anschließend bezweifelt er sogar die Evidenz und Existenz solcher Fixpunkte: Historische 'Tatsachen' bzw. 'Fakten' sind nicht objektiv gegeben, sondern existieren nur in bezug auf historisches Denken. Ein geschriebenes Dokument etwa, das aus dem Kontext des historischen Wissens gerissen wird, sei bloß "a pattern of black marks on white paper: not any historical fact at all, but something existing here and now, and perceived by the historian." (Collingwood 1946/1968: 244) Ähnliches gilt für die 'unlesbaren' Briefe in Absalom, Absalom!: auch diese sind ihres Kontextes beraubt.10 Collingwood kommt zu dem Schluß:

I am now driven to confess that there are for historical thought no fixed points thus given: in other words, that in history, just as there are properly speaking no authorities, so there are properly speaking no data. […] The web of imaginative construction is something far more solid and powerful than we have hitherto realized. So far from relying for its validity upon the support of given facts, it actually serves as the touchstone by which we decide whether alleged facts are genuine. (Collingwood 1946/1968: 243–244)

Das Verhältnis zwischen historischen Fakten einerseits und ihrer Interpretation andererseits wird also von Collingwood umgedreht. Die Priorität der nur scheinbar objektiven facts tritt zurück zugunsten der fiction des Historikers. Die Konsistenz der Konstruktion narrativer Zusammenhänge durch die Imagination des Historikers entscheidet über die Relevanz des Faktenmaterials und nicht umgekehrt. Damit wird die Grenzziehung zwischen dem Historiker und dem Romancier, zwischen historiographischer Darstellung und historischem Roman problematisch. Die beiden Darstellungsmodi vergleichend, schreibt Collingwood: "[e]ach aims at making his picture a coherent whole" und "[t]he novel and the history must both of them make sense." (Collingwood 1946/1968: 245) Beiden liegt also der Drang zur Erzählung einer kohärenten und bruchlosen, einer bedeutungsvollen und in sich abgeschlossenen Geschichte zugrunde. Der Unterschied zwischen beiden Darstellungsformen, den er gleichwohl nicht kassieren möchte, sei, so Collingwood, dass die Aufgabe des Historikers darin bestehe, "to construct a picture of things as they really were and as they really happened." (Collingwood 1946/1968: 246) Die Differenz wird jedoch insofern brüchig, als die imaginative Rekonstruktion des Historikers zwar auf Dokumenten und anderen historischen Artefakten beruht, diese Tatsache aber keinen substantiellen Unterschied zur imaginativen (Re)Konstruktion des Schriftstellers bezüglich der Kohärenz und der narrativen Qualitäten der Darstellung konstituiert. Mehr noch, auch der Autor eines historischen Romans kann sich selbstverständlich auf historische Dokumente und Artefakte stützen, ohne seine Narration als historiographische Darstellung zu bezeichnen. Es scheint als schieße Collingwood mit seiner extremen Stärkung der subjektiven Position des Historikers im Prozess geschichtlicher Darstellung über sein selbstgestecktes Ziel hinaus und nivelliere den Unterschied zwischen Historiker und Romancier, zwischen Historiographie und Literatur, zwischen fact und fiction beinahe vollständig.




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Collingwood argumentiert weiter, dass die per definitionem "unverfügbare" Vergangenheit dem Historiker nur zugänglich wird, indem er sie in seiner Imagination noch einmal entstehen lässt: "he must reenact the past in his own mind." (Collingwood 1946/1968: 282) Dieses imaginative reenactment einer vergangenen Erfahrung steht auch im Zentrum der Rekonstruktionsversuche von Quentin und Shreve. Sie ziehen Schlussfolgerungen, stellen Vermutungen an und erfinden sogar Personen (z.B. die Figur des Anwalts) und Szenen, um die Handlungen, Gedanken und Motive der Charaktere ihrer Geschichte zu plausibilisieren und zu verstehen. Indem sie sich buchstäblich mit Henry und Charles identifizieren ("the two the four the two" [AA: 276]), versuchen sie nicht bloß die Vergangenheit zu erzählen sondern trachten danach, sie erneut zu durchleben. Carl E. Rollyson kommt zu einer ähnlichen Schlussfolgerung: "There is something inherently dramatic and lifegiving in their portrayal of the relationship between Charles and Henry. We seem not only to gain knowledge about the past, but also to regain some of its actual experience." (Rollyson 1984: 162) Diese Wiederbelebung der Vergangenheit ist jedoch prekärer als Rollysons Behauptung uns glauben machen will.

In einer für den Roman zentralen Szene treibt Faulkner die Ambivalenz zwischen imaginativer Rekonstruktion und historischer Realität durch einen erzähltechnischen Trick auf die Spitze. Im achten Kapitel teilt Sutpen Henry mit, dass Bon schwarzes Blut in sich trage. Es ist die einzige Stelle im ganzen Roman, die explizit auf Bons blackness hinweist. Dies verleiht der Szene eine besondere Bedeutung, da von diesem 'Faktum' die unterschiedlichen Interpretationen der Geschehnisse (sowohl die der beteiligten Figuren, wie auch die der Erzähler, und nicht zuletzt die der Leser des Romans) in nicht geringem Maße abhängen. Doch genau diese Szene wird von Faulkner in einer unaufhebbaren Ambivalenz inszeniert: Sie ist, wie noch gezeigt wird, die realistischste und zugleich die halluzinatorischste Szene des gesamten Romans, die sich einer eindeutigen Zuschreibung an eine Erzählerinstanz (Quentin und Shreve oder anonyme Erzählstimme) und an einen Realitätsmodus (wirkliches Geschehen, Erinnerung oder Imagination) entzieht.

Shreve unterbricht einen ca. dreiseitigen Bericht über den Rückzug des Regiments in dem Henry und Bon kämpfen. Dieser Bericht ist kursiv und in Parenthese gesetzt und kann weder Quentin, noch Shreve, noch dem anonymen Erzähler eindeutig zugeordnet werden. Shreves Intervention rekonstruiert zum wiederholten Male, wie Quentin und Rosa nach Sutpen’s Hundred fahren, wie Clytie versucht, Rosa auf der Treppe aufzuhalten und von ihr niedergeschlagen wird. Schließlich verweist er indirekt auf Henrys Anwesenheit als das seit fast vier Jahren von Clytie gehütete Geheimnis (welches freilich erst auf den letzten Seiten des Romans 'gelüftet' wird). Daran schließt sich die bereits erwähnte Szene an, die folgendermaßen eingeleitet wird:

He ceased again. It was just as well, since he had no listener. Perhaps he was aware of it. Then suddenly he had no talker either, though possibly he was not aware of this. Because now neither of them was there. They were both in Carolina and the time was fortysix years ago, and it was not even four now but compounded still further, since now both of them were Henry Sutpen and both of them were Bon, compounded each of both yet either neither, smelling the very smoke which had blown and faded away fortysix years ago from the bivouac fires burning in a pine grove, the gaunt and ragged men sitting or lying about them, talking not about the war […] (AA: 280).

Quentin scheint Shreve einmal mehr nicht zuzuhören. Diese Situation hat den 'Dialog' (der ebenso ein 'Nichtdialog' ein Aneinandervorbeireden ist) der beiden von Anbeginn gekennzeichnet. Quentin ist grübelnd über den Brief seines Vaters gebeugt, während Shreve die Geschichten (die Quentin ihm offensichtlich bereits bei früheren Gelegenheiten berichtet haben muss) fortspinnt.




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Merkwürdiger ist da schon die Formulierung "he had no talker either". Soll das etwa heißen, dass es nicht Shreve ist, der hier spricht? Oder ist der Sprecher eine Art unsichtbare Stimme bzw. eine Instanz des Unbewussten, die gleichsam durch ihn hindurch spricht? Im folgenden Satz gibt die Erzählerstimme eine 'Erklärung' dieses Umstandes: "Because now neither of them was there. They were both in Carolina and the time was fortysix years ago." Wie in einer kinematographischen Rückblende werden Quentin und Shreve zurückversetzt an den Schauplatz der Handlung, die sie gerade erzählen bzw. imaginieren. Das Zimmer in Harvard wird langsam ausgeblendet, der flüchtige Sinneseindruck des Geruchs von Rauch wird evoziert und der Übergang bzw. Eintritt in Zeit und Raum des erzählten Geschehens vollendet sich mitten im Satz mit dem typographischen Wechsel zum Kursivdruck. Es scheint, als wäre der Versuch der beiden, durch ein reenactment das Schicksal von Henry und Bon quasi noch einmal zu durchleben schließlich erfolgreich: "it was not even four now but compounded still further, since now both of them were Henry Sutpen and both of them were Bon, compounded each of both yet either neither." Diese paradoxe Formulierung deutet an, dass die Identifikation vollkommen zu sein und doch gleichzeitig vollständig fehlzuschlagen scheint. Nicht länger erzählen sie die Geschichte, sie erleben und erfahren (oder halluzinieren) sie mit allen Sinnen. Aber, so ist zu fragen, wer erzählt die Ereignisse auf den folgenden sechs Seiten? Ist es Quentin, ist es Shreve? Oder sind es beide zusammen "compounded each of both yet either neither"? Oder ist es der anonyme Erzähler? Die Beantwortung dieser Frage wird nicht nur durch den Kursivdruck (den Faulkner u.a. zur Kennzeichnung innerer Gedankenmonologe, aber eben auch für andere Zwecke einsetzt) aufgeworfen, sie wird noch dadurch verkompliziert, dass die Passage in einem narrativen Modus erzählt wird, der sich signifikant von den übrigen im Roman zur Geltung kommenden Erzählmodi unterscheidet. Die Erzählstimme berichtet in nüchternem Stil und im Präsens den Ablauf der Ereignisse (mit einigen Verweisen auf Gedanken und Erinnerungen Henrys). Die für Shreves mutmaßenden und spekulativen Erzählgestus typischen Signalwörter "probably", "maybe", "I imagine", etc. fehlen in dieser Passage vollständig. Das Geschehen, die stattfindenden Ereignisse 'erzählen sich selbst' wie es scheint, während im gesamten Roman jegliches Ereignis des Erzählgeschehens durch verschiedene narrative Schichten vermittelt ist. Es stellt sich also die Frage, welcher Art die 'Stimme' ist, die diese Szene erzählt und welches Maß an Autorität dieser Stimme vom Leser zugeschrieben werden kann. So fragt Peter Brooks in seiner Analyse dieser Szene: "On what basis and by what authority do Quentin and Shreve narrate this scene, the scene that articulates the revelations necessary to constructing a coherent plot?" – und er gibt gleich die einzig mögliche Antwort: "To the question, Who is speaking here? The text replies, Everyone and no one." (Brooks 1987:119) Jeder und keiner spricht hier, und es werden auch keine Dokumente oder Quellen anderer Art angeführt, um die Szene zu beglaubigen oder an die Autorität einer verbürgten Erzählinstanz zuschreibbar zu machen.

Mir scheint, dass Faulkner in dieser Passage die narrative Ambiguität am konsequentesten einsetzt. Die Passage enthält das Versprechen, dass der Leser endlich zum Kern des Geschehens vordringt und erfährt was 'wirklich' passiert ist, indem er gleichsam den Ereignissen selber beiwohnt unter Ausschaltung aller vermittelnden Erzählinstanzen. Dieser Interpretation der realistisch erzählten Szene steht die entgegengesetzte aber vom Text in absolut gleichem Maße 'autorisierte' Möglichkeit gegenüber, dass es sich um die zur Perfektion gebrachte imaginative Rekonstruktion (die sich hier als vollkommene Konstruktion entpuppen würde) von Quentin und Shreve handelt, um die pure Halluzination einer Szene, die nie stattgefunden hat. Der Roman bietet an dieser Stelle kein Kriterium, um zwischen authentischer Realität einerseits und imaginärer Täuschung andererseits zu entscheiden. Es bleibt allein dem Leser anheimgestellt, welchen Status narrativer Autorität er dieser Szene zuschreibt. So wird die Aufgabe der 'imaginativen Rekonstruktion' schließlich an den Leser weitergegeben.




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Doch welche Konsequenzen ergeben sich aus der in den Dialogen zwischen Quentin und Shreve erfolgenden Auflösung erzählerischer Autorität und aus der Dominantsetzung der subjektiv-imaginativen Dimension in der Rekonstruktion der Vergangenheit? Gerhard Hoffmann schreibt dazu in seiner postmodernen Lektüre des Romans: "Absalom, Absalom! makes history a playingfield for the imagination, and the relationship between truth and imagination is not finally settled. […] Truth and fiction enter into an indissoluble union, which for modernism and Faulkner is most disturbing […]." (Hoffmann 1989: 282) Demgegenüber postuliert Heinz Ickstadt eine modernistische Wiederbelegung bzw. Revision des historischen Romans im Zeichen der Subjektivität. Gegen eine vollständige Auflösung der Differenz von Wahrheit und Fiktion, von Geschichte und Imagination in postmoderner Manier formuliert er:

Dennoch löst Faulkner den grundsätzlichen Wahrheitsanspruch des Erzählens von Geschichte nicht auf […] [A]uch wenn Faulkner […] mit den Regeln herkömmlichen Erzählens bricht, so verläßt er dennoch nicht grundsätzlich die Prämissen des Mimetischen: Denn auch hier noch wird im interpretierenden Wiedererzählen oft erzählter Geschichten vergangenes Geschehen als wahrscheinlich Mögliches aus dem bloßen Stoff der Historie herausgebildet. (Ickstadt 1998: 76–77)

Die übereinandergelagerten Interpretationsschichten der unterschiedlichen Rekonstruktionen erhalten einen Wahrscheinlichkeitsindex, das Faktum historischen Geschehens wird jedoch nicht bezweifelt. Was aber ist dieser "bloße Stoff" geschichtlicher Ereignisse jenseits seiner Einbettung in narrative Zusammenhänge? Im letzten Teil möchte ich deshalb der Frage nach dem "bloßen Stoff der Historie", also der Frage nach der Kehrseite der narrativen Rekonstruktion von Geschichte, der Frage nach den materiellen Überresten der Vergangenheit in Faulkners Roman nachgehen.



7 Die Materialitäten der Vergangenheit und die Abwesenheit von Geschichte:
Spur, Staub, Asche

Geschichte und Geschichten sind Produkte subjektiver Imagination, welche die Abwesenheit des Lebens in den materiellen Überresten der Vergangenheit – seien es Ruinen oder (unentzifferbare) Texte – zu füllen sucht.

Absalom, Absalom! zeigt nicht nur den konstruktiven Charakter jeglicher historischen Erzählung und die dem historischen Darstellungsmodus inhärente Narrativität auf, der Roman verdeutlicht auch die abgründige Kehrseite dieses Prozesses, nämlich die Lücken und Risse in und zwischen den Ereignissen der Vergangenheit, die erst durch die Imagination zu einer Ereignisfolge, zu einer Geschichte zusammengefügt werden. Absalom, Absalom! kreist somit um das Verhältnis von imaginativer Konstruktion von Geschichte und dem Schweigen der Monumente der Vergangenheit.

Erhellend in diesem Zusammenhang ist die Unterscheidung, die Michel Foucault zwischen Dokument und Monument getroffen hat. In der Archäologie des Wissens beschreibt Foucault, wie die traditionelle Geschichte versuchte, die hinter den Dokumenten liegende Vergangenheit zu rekonstruieren, indem sie die stummen Überreste zum Sprechen brachte: "Das Dokument wurde immer als die Sprache einer jetzt zum Schweigen gebrachten Stimme behandelt, als deren zerbrechliche, glücklicherweise aber entzifferbare Spur." (Foucault 1969/1995: 14) Im Gegensatz dazu positioniert er die Archäologie als "Disziplin der stummen Monumente, der kontextlosen Gegenstände und der von der Vergangenheit hinterlassenen Dinge." (Foucault 1969/1995: 15)




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Die Ambivalenz dieser beiden Modi des Vergangenen – als Dokument und als Monument – ist eines der zentralen Themen des Romans.11 Der monumentalische, opake Charakter des Vergangenen, seine schiere Materialität, kommt in den Bildern des verfallenen Hauses auf Sutpen's Hundred, der verwitterten Grabsteine, der unleserlichen, schon beinahe zu Staub oder Asche zerfallenden Briefe12 zum Ausdruck und wird insbesondere in den poetologischen Reflexionen im Roman explizit verhandelt. So entwickelt Judith, als sie Bons Brief an Quentins Großmutter übergibt, das Modell einer Art 'unbewusster' Übertragung des Vergangenen, das Mr. Compsons auf Kontinuität und Sinn zielender Lektüre der Dokumente der Vergangenheit und ihrer oralen Tradierung diametral entgegengesetzt ist:

Read it if you like or dont read it if you like. Because you make so little impression, you see. You get born and you try this and you dont know why only you keep on trying it and you are born at the same time with a lot of other people, all mixed up with them, like trying to, having to, move your arms and legs with strings only the same strings are hitched to all the other arms and legs and the others all trying and they dont know why either except that the strings are all in one another’s way like five or six people all trying to make a rug on the same loom only each one wants to weave his own pattern into the rug; and it cant matter, you know that, or the Ones that set up the loom would have arranged things a little better, and yet it must matter because you keep on trying or having to keep on trying and then all of a sudden it's all over and all you have left is a block of stone with scratches on it provided there was someone to remember to have the marble scratched and set up or had time to, and it rains on it and the sun shines on it and after a while they don't even remember the name and what the scratches were trying to tell, and it doesn’t matter. And so maybe if you could go to someone, the stranger the better, and give them something–a scrap of paper–something, anything, it not to mean anything in itself and them not even to read it or keep it, not even bother to throw it away or destroy it, at least it would be something just because it would have happened, be remembered even if only from passing from one hand to another, one mind to another, and it would be at least a scratch, something, something that might make a mark on something that was once for the reason that it can die someday, while the block of stone cant be is because it never can become was because it cant ever die or perish. . . . . . . (AA: 100–101)

Was zählt, ist allein der Akt Einschreibung, oder genauer, die Spur bzw. Markierung, die der Akt der Übertragung in seiner unhintergehbaren Nachträglichkeit hinterlässt, nicht die Bedeutung, nicht die Entzifferung des Sinns des so Übermittelten. Konstitutive Bedingung einer solchen Einschreibung ist ihre Auslöschbarkeit: Erst die Möglichkeit des Todes bzw. der Zerstörung verleiht dem Ereignis seinen Charakter als "something that might make a mark on something that was once for the reason that it can die someday."

Diese Logik der Auslöschung und Absenz steuert auch die Evokation des Vergangenen durch die Stimme, an deren Verschwinden sie paradoxerweise gekoppelt ist. So schreibt Stephen M. Ross: "Absalom, Absalom! includes in its aesthetics of evocation the erasure of oratorical voice as a necessary gesture within the process of reconstituting the past, just as Judith insisted on the necessity of her act's was." (Ross 1989: 228–29) Auslöschung ist die Bedingung der Restitution des Vergangenen. Ross sieht die Dialektik von Abwesenheit und Präsenz in Faulkners Texten in der paradoxen Verschmelzung des Gesprochenen und des Geschriebenen, in der Fusion von Stimme und Schrift am Werk. Und Alessandro Portelli schreibt (im Hinblick auf Poes "The Facts in the Case of M. Valdemar" und Faulkners As I Lay Dying) zu diesem "double bind that ties writing and voice to body and death":




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The voice is metonymically associated with the body because it originates in it; but it is metaphorically opposed to the body because the voice’s substance is immaterial and intangible. On the other hand, writing is is [sic!] metaphorically associated with the body because it is tangible and material (the 'corpus' of an author's works) but is metonymically opposed to it because texts can be detached from the writer’s physical presence. In their mutual search, voice and writing generate converging symbols: the ghost, a missing body materializing; the corpse, a present body dissolving. The hinge between them is the place where Addie Bundren and M. Valdemar precariously lie: death, which the voice negates with its motion and reproduces with its vanishing; which writing denies with its permanence and reproduces with its rigidity. (Portelli 1994: 154)

Diese überkreuzte Komplementarität von Stimme und Schrift einerseits sowie Körper und Tod andererseits steuert das Wechselspiel zwischen Entzug und Evokation, zwischen Absenz und Präsenz des Vergangenen und durchläuft alle symbolischen Ebenen des Romans.

Am Ende des Romans wird erzählt, wie Quentin auf Sutpen’s Hundred Henry Sutpen begegnet, der nach dem Mord an Charles Bon verschwunden war, und er scheint sich damit endlich der Wahrheit und der 'lebendigen' Vergangenheit zu nähern. Doch einmal mehr zeigt sich, dass es keine lebendige Vergangenheit gibt: der palindromartige Wortwechsel zwischen den beiden kreist allein um die Leere des Todes und spiegelt diese Abwesenheit im Zentrum des Geschehens endlos in sich selbst:

And you are–?
Henry Sutpen.
And you have been here–?
Four years.
And you came home–?
To die. Yes.
To die?
Yes. To die.
And you have been here–?
Four years.
And you are–?
Henry Sutpen.
(AA: 298)

Henry Sutpen bleibt selbst in seiner lebendigen Präsenz ein Gespenst der Vergangenheit, das sein Geheimnis nicht preisgibt. Er ist ein stummer 'Überrest' der Vergangenheit, der nur in einem Chiasmus die Leere und den Tod markieren kann, ebenso wie der Idiot Jim Bond, dessen Geheul am Ende des Romans das Flammeninferno begleitet, das Sutpen's Hundred zerstört ("and there was only the sound of the negro idiot left" [AA: 301]), ein letzter 'Überrest' von Sutpens design ist. Was bleibt, ist Asche und ein unverständliches Geheul.




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8 Schluss

Geschichte kann immer nur als vergangene erzählt werden. In Absalom, Absalom! geht es aber nicht zuletzt um die Wiederkehr, um das 'zombiehafte' Weiterwesen der Geschichte, die auf der Gegenwart der Erzählerfiguren lastet. Absalom, Absalom! führt auf unterschiedliche Weisen das Scheitern der Erzählerfiguren (insbesondere Quentins) vor, ein stabiles Verhältnis der eigenen Gegenwart zur Vergangenheit herzustellen. Die Kluft zwischen Vergangenheit und Gegenwart, die – auf je unterschiedliche Weise – durch Narration überbrückt werden soll, lässt sich nicht schließen. Auslöschung und Zerfall sind den Erinnerungsversuchen und den Erzählungen der Vergangenheit immer schon eingeschrieben. Oder anders gesagt: In Absalom, Absalom! hört die Vergangenheit nicht auf aufzuhören.



Bibliographie

Barthes, Roland (1968/1986): "The Reality Effect", in: ders.: The Rustle of Language. London, 141–148.

Brooks, Peter (1987): "Incredulous Narration", in: Harold Bloom (ed.) William Faulkner’s Absalom, Absalom! New York, 105–127.

Brumm, Ursula (1974): "Geschichte als Geschehen und Erfahrung: Eine Analyse von William Faulkners Absalom, Absalom!", in: Edgar Lohner (ed.) Der amerikanische Roman im 19. und 20. Jarhundert. Berlin, 258–274.

Collingwood, R. G. (1946/1968): The Idea of History. New York.

Christadler, Martin (1986): "William Faulkner’s Absalom, Absalom!: History, Consciousness and Transcendence", in: Javier Coy und Michel Gresset (ed.) Faulkner and History. Salamanca, 151–166.

Faulkner, William (1936/1990): Absalom, Absalom! New York.

Foucault, Michel (1969/1995): Archäologie des Wissens. Frankfurt am Main.

Hoffmann, Gerhard (1989): "Absalom, Absalom!: A Postmodernist Approach", in: Lothar Hönnighausen (ed.) Faulkner’s Discourse: An International Symposium. Tübingen, 276–292.

Ickstadt, Heinz (1998): Der amerikanische Roman im 20. Jahrhundert: Transformation des Mimetischen. Darmstadt.

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Peper, Jürgen (1966): Bewußtseinslagen des Erzählens und erzählte Wirklichkeiten. Leiden.

Polloczek, Dieter (1993): Vernetzungsstrukturen: Faulkner, Pynchon, Barthelme. München.

Portelli, Alessandro (1994): The Text and the Voice: Writing, Speaking, and Democracy in American Literature. New York.

Rollyson, Carl E. (1984): "Absalom, Absalom!: The Novel as Historiography", in: Elisabeth Muhlenfeld (ed.) William Faulkner’s Absalom, Absalom!: A Critical Casebook. New York, 157–172.

Ross, Stephen M. (1989): Fiction’s Inexhaustible Voice: Speech and Writing in Faulkner. Athens.

White, Hayden (1978): Tropics of Discourse. Baltimore.

White, Hayden (1987): The Content of the Form: Narrative Discourse and Historical Representation. Baltimore.



Anmerkungen

1 So sieht auch King die Frage "how can we remember and represent what is dismembered and absent?" (King 1982: 138), d.h. den Umgang mit dem Traditionsverlust, als das Schlüsselproblem der kulturellen Moderne an. Er argumentiert, dass "rather than unambiguous hostility, the modernist sensibility has displayed a profound ambivalence toward the past's claims on the present and had strong doubts as to the capacity of memory to understand that past" (139). Insbesondere in der Southern Renaissance habe es, wie King hervorhebt, eine "obsession [...] with the problems of memory and historical consciousness" gegeben (140).

2 Auf die Bedeutung einer solchen impliziten Narrativität in der Repräsentation der Wirklichkeit (und ihre konstitutive Bedeutung für den historiographischen Diskurs) hat insbesondere Hayden White hingewiesen. Siehe das Kapitel "The Value of Narrativity in the Representation of Reality" in White (1987: 125).

3 Die geschichtsphilosophische Dimension des Romans, der die epistemologische Basis der Darstellung von Vergangenheit problematisiert, wird auch von Christadler hervorgehoben: Absalom, Absalom! "explores the very process through which significance in history is generated" (Christadler 1986: 154).

4 Diese Verklärung geschieht durch eine Identifikation mit ihrer Nichte Judith. In den Worten von Mr. Compson: "[She was] projecting upon Judith all the abortive dreams and delusions of her own doomed and frustrated youth." (AA: 55–56)

5 Alle Hervorhebungen in diesem und den folgenden Zitaten im Original. Da Faulkners unorthodoxer Einsatz von Typographie und Zeichensetzung (Wechsel zwischen Kursive und Standardschrift, Anführungszeichen, Gedankenstriche, Auslassungspunkte, Parenthesen) signifikante Strategie und wesentlicher Teil seines modernistischen Programms ist, sind alle Zitate typographisch exakt wiedergegeben.

6 Siehe Peper (1966).




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7 Zur Funktion der technischen Apparatur der Photographie als Gedächtnismetaphorik für die gleichsam 'stillgestellten' Bilder des Romans siehe die ausgezeichneten Ausführungen bei Polloczek (1993: 51ff).

8 So stellt Hoffmann fest: "With growing distance from the actuality of the historical occurrences, to which Rosa is closest, an increase in conjecturing takes place." (1989: 286)

9 Der Bestsellerroman Ben Hur: A Tale of the Christ des Südstaatengenerals Lewis Wallace erschien 1890. Im Jahre 1899 gab es eine spektakuläre Bühnenproduktion mit dem späteren Westerndarsteller W. S. Hart in der Rolle des Messala, bei der das Wagenrennen mit lebenden Pferden auf einer Drehbühne inszeniert wurde. Shreves Anspielung könnte sich sogar auf die erste Stummfilmversion von 1907 beziehen. Ob nun der Roman, die Bühnenfassung oder die Filmversion gemeint sind – deutlich ist, dass Faulkner sich hier noch einmal ironisch auf das Genre des historischen Romans bezieht.

10 Zum stummen, gleichsam monumentalischen Charakter dieser und anderer Überreste der Vergangenheit siehe den folgenden Abschnitt.

11 Zu der Unterscheidung von Dokument und Monument in bezug auf den Roman vgl. auch Ross (1989), 208–211. Ross bezeichnet den Romantext selber als "monumentalisch", er hebt den im Foucaultschen Sinne "monumentalen" Charakter des Oratorischen, der "oratical voice" in Absalom, Absalom!, hervor, die sich einem hermeneutischen Verstehen entziehe, der Leser starrt gebannt auf den Text, der sich der Interpretation widersetzt: "Oratory is woven intertextually into Faulkner's texts, but not because it is the heritage of a residually oral society that has left its mark on a modern novelist. Rather, whether embodied orally or in writing, oratory as a discursive practice moves within Faulkner's texts as a generating force of a complex power: the power to move and to subjugate the readerlistener, the power to enchant and frustrate with an endlessly onrushing prose that coalesces into opaque, monumental text." (211–12)

12 So heißt es über Bons Brief: "Quentin took the letter from him and beneath the dim bugfouled globe opened it, carefully, as though the sheet, the desiccated square, were not the paper but the intact ash of its former shape and substance." (AA: 101–102)

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