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Anne-Katrin Ebert (Berlin)



Zwischen "anything" und "something": Gertrude Steins Tender Buttons



Between "anything" and "something": Gertrude Stein's Tender Buttons
Gertrude Stein’s description of Tender Buttons as ‘still lives’ raises the question of the mimetical intentions of the text. By focusing on Stein’s disruption of language conventions, however, scholars have discussed Tender Buttons merely as an effort to create a new kind of discourse and tended to overlook the mimetical aspects of the text. Drawing on Stein’s lectures, in which she discusses her epistemological approach as well as her view of language, this article argues that Tender Buttons is designed as an exercise in perception and recognition of the ‘essence’ of words and objects. Focusing on "A Seltzer Bottle." and "Lunch." the article demonstrates Stein‘s unfolding of nouns as conventional ‘names of something‘ into polysemous ‘names of anything.’ The reader has to adopt a new way of reading, combining words by considering their various meanings as well as their physical attributes, their sound and texture. This break of conventions allows not only for a new view of words and language but also for a new way of perceiving ordinary objects of daily life which have been so much conventionalized that their essence has been forgotten.



1 Einleitung

Person und Werk von Gertrude Stein provozierten schon zu Lebzeiten kontroverse Reaktionen, wobei die selbstbewußten Äußerungen der Amerikanerin in Paris nicht unwesentlich zu diesem Phänomen beitrugen. Auch in der späteren Rezeption traf Steins unbekümmerte Einordnung ihrer selbst in eine Reihe mit Homer und Shakespeare auf heftigen Widerspruch bei vielen Kritikern, so z.B. auch bei B. L. Reid, der Gertrude Stein nicht nur als "perversely elevated, isolated, inhuman" beschrieb, sondern auch ihren künstlerischen Anspruch auf das heftigste kritisierte: "I suggest [...], that she be defined out of existence as an artist." (Reid 1986: 82) Reid begründete diese Attacke u.a. mit Steins Umgang mit Sprache, die er als Privatsprache, als bloßes "talking to herself" diffamierte. Stein ignoriere die Tatsache, daß "English words [...] loaded with meaning" seien, was zur Folge habe: "words do not mean the same thing to us that they mean to her." (Reid 1986: 82, 95, 97)

Während Reid in Steins Umgang mit Wörtern den Beweis ihrer künstlerischen und schriftstellerischen Untauglichkeit sah, war selbiger für Steins Schriftstellerkollegen Sherwood Anderson hingegen Anlaß für uneingeschränktes Lob: "She [Stein] is making new, strange, and to my ears sweet combinations of words. [...] I have a kind of undying faith that what she is up to in her word kitchen in Paris is of more importance to writers of English than many of our more easily understood [...] artists." (Anderson 1986: 8)




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Ironischerweise beruhen die diametral entgegengesetzten Ansichten von Reid und Anderson auf der gleichen Einschätzung, nämlich der, daß Steins Umgang mit Wörtern ungewöhnlich und neu sei. Eng verbunden mit dieser Beobachtung war und ist die Frage, inwieweit Steins "strange combinations of words" überhaupt noch Sinn, also "meaning" transportieren können. Während Reid diesen Sinn nur noch auf der subjektiven Seite der Autorin vermutet und in seiner Kritik letztlich die zusammengebrochene Kommunikation zwischen Autor/Text und Leser verurteilt, sieht Anderson durchaus "meaning" bei Stein, wobei für ihn ein wesentlicher Aspekt die Erneuerung der Sprache durch 'seltsame' Wortkombinationen ist.

Ähnlich wie beim Steinschen Werk insgesamt, so ist auch die Beurteilung des 1914 erschienenen Buches Tender Buttons: Objects – Foods – Rooms äußerst kontrovers.1 Diese 'Stilleben' von Objekten, Nahrungsmitteln und Räumen ermöglichen eine Zuspitzung der Sinnfrage hin auf das Verhältnis von Text und Wirklichkeit, d.h. der mimetischen Absicht des Textes. Ob diese in Tender Buttons grundsätzlich noch erhalten ist oder ob der Text zum Ziel hat, die Unmöglichkeit einer mimetischen Darstellung zu verdeutlichen, oder ob Tender Buttons gar als Metatext völlig losgelöst von jeglicher mimetischen Intention zu betrachten ist, sind Fragen, die die Kritiker von Tender Buttons immer wieder beschäftigt haben und der sich auch diese Arbeit zu stellen hat. Jayne L. Walker argumentiert in ihrer Studie, daß Steins ungewöhnlicher Sprachgebrauch in Tender Buttons aus einer mimetischen Krise resultiere. Danach bestehe die Bedeutung des Textes darin, "[to] systematically demonstrate [...] that the inherent order of language is equally alien to the concrete heterogeneity of the external physical world and to the chaotic richness of immediate perceptual experience." (Walker 1984: 136)

Dagegen definiert Marianne DeKoven Steins Werk als "experimental writing", dessen antilogozentrische und antipatriarchalische Sprache einen Akt der Befreiung darstelle, der sich jeglicher Interpretation entziehen wolle. Laut DeKoven ist Gertrude Steins Werk durch "playing, and playing entirely in the realm of language, without interest in the representation of the material world" gekennzeichnet. (DeKoven 1983: 78) DeKoven verzichtet daher auf eine inhaltliche Interpretation von Steins Werk und widmet sich stattdessen einer Analyse der verschiedenen Stilarten. Dies wird jedoch wiederum heftig von Margueritte S. Murphy kritisiert, da eine solche Herangehensweise dazu führe, "to render Stein silent after one has simply overheard her textual 'jouissance.'" (Murphy 1992: 139) Murphy stellt Tender Buttons in die Tradition des Prosagedichtes, wobei mit Hilfe der polysemen Natur des Textes und seiner "playfulness" ein "counterdiscourse" entstehe: "a gleeful dismantling of authoritative voices and forms of prose." (Murphy 1992: 166–167) Dieser Gegendiskurs richte sich vor allen Dingen auch gegen den typisch weiblichen Diskurs der Zeit, wie er in Kochbüchern und Etikettenbüchern anzutreffen gewesen sei. Die Usurpation dieser Stimmen ermögliche es Gertrude Stein, einen lesbischen Subtext zu kreieren, dessen Ziel die "explanation and celebration of her [Stein's] relationship with Toklas" sei. (Murphy 1992: 158) Auch Catherine R. Stimpson und Michael Kaufmann sehen bei Tender Buttons einen Zusammenhang mit Steins homosexueller Beziehung. Während Kaufmann vermutet, daß Steins "writing which disturbs language, is also meant to disturb conventional views of sexuality" (Kaufmann 1994: 64), sieht Stimpson in ihrem bereits 1977 erschienenen Aufsatz Tender Buttons als "literary encoding", dem Morsecode ähnlich, dessen Aufgabe es sei "[to] transmit[] messages in a different form which initiates may translate back into the original." (Stimpson 1977: 138–139)

Auffällig bei den hier kurz vorgestellten Erklärungen ist, daß sich die meisten eher auf eine innersprachliche Auseinandersetzung verschiedener Diskurse – wie experimenteller vs. patriarchaler Diskurs bzw. heterosexueller vs. homosexueller Diskurs – konzentrieren und hierbei das mimetische Problem der Darstellung von Wirklichkeit in Sprache in den Hintergrund rückt bzw. bei DeKoven sogar völlig irrelevant wird. Dies widerspricht jedoch deutlich Steins eigenen Aussagen, die 1946 in einem Interview erklärte, sie habe in Tender Buttons versucht, ein "complete realistic picture" von jedem einzelnen Objekt zu schaffen. (Stein 1990: 512)




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Ziel der vorliegenden Arbeit ist es daher, das Verhältnis von Mimesis und "freeplay of language" in Tender Buttons näher zu untersuchen. Hierbei werde ich zunächst einige theoretischen Überlegungen Steins zu Sprache und Wirklichkeit vorstellen, um so einen Einblick in Steins epistemologisches und sprachtheoretisches Denken zu geben. Dies soll dann die Grundlage für die Interpretation einzelner Textpassagen von Tender Buttons bilden. Schließlich soll anhand dieser Interpretationen das Verhältnis von Sprache und Wirklichkeit in Tender Buttons erörtert werden und eine abschließende diesbezügliche Einschätzung des Textes erfolgen.



2 Einige Überlegungen zu Steins epistemologischen und sprachtheoretischen Ansätzen

2.1 Von den "Portraits" zu Tender Buttons: Die Wahrnehmung des Objektes

Innerhalb des kreativen Schaffens von Gertrude Stein markiert Tender Buttons sowohl die Kulmination einer Serie von Porträts als auch den ostentativen Bruch mit einem Schreibstil, der viele dieser Porträts geprägt hatte und dessen auffälligstes Merkmal die minimale Variation immer wiederkehrender Sätze mit wenigen oder sogar gar keinen Substantiven ist. Der Unterschied zwischen den ersten Sätzen des ersten Porträts von Picasso: "One whom some were certainly following was one who was completely charming. One whom some were certainly following was one who was charming." (Stein 1934: 17) und den ersten Sätzen von Tender Buttons: "A CARAFE, THAT IS A BLIND GLASS. A kind in glass and a cousin, a spectacle and nothing strange a single hurt color and an arrangement in a system to pointing." (TB 1) ist eklatant. Dem Mangel an Substantiven bei einem zwar kompliziert aussehenden, aber grammatisch korrekten Satzgefüge im ersten Beispiel steht eine wahre Invasion von Substantiven im zweiten Beispiel gegenüber, deren Aneinanderreihung den grammatischen Gesetzen des Satzaufbaus nicht mehr genügt.2 Doch trotz dieser auffälligen, stilistischen Unterschiede sind beide Texte dem gleichen Ideal und auch dem gleichen Problem verpflichtet, das Gertrude Stein in einem Interview einmal folgendermaßen umschrieb: "After all, human beings are interested in two things. They are interested in the reality and interested in telling about it." (Stein 1990: 504) Sowohl die Porträts als auch Tender Buttons sind als Auseinandersetzungen mit den gleichen, grundsätzlichen Problemen zu verstehen, der epistemologischen Frage, was Realität eigentlich ist und dem mimetischen Problem, wie diese Realität in Sprache dargestellt werden kann.

In ihren Porträt-Reihen hatte Stein mit mehreren Problemen gleichzeitig zu kämpfen. Zum einen wollte sie zunächst den Menschen "an sich" erkennen, seine "Essenz" erfassen, (Stein 1990: 502) um ihn dann darstellen zu können. Zum anderen mußte sie eine Darstellungsform finden, die dieser Essenz gerecht werden würde, um eine Rekreation der Person in Sprache zu leisten. Doch bereits das Erkennen der Person erwies sich als schwierig, da es mehrere Ebenen der menschlichen Wahrnehmung miteinbezog. Stein hatte zunächst versucht, ihre Personen durch Sprechen und Zuhören ("listening and talking") zu erfassen, um so den "rhythm of anybody's personality" herauszufinden. (Stein 1967a: 103) Den Vorteil dieser Methode sah sie darin, daß das gleichzeitiges Sprechen und Zuhören nur im Hier und Jetzt möglich war und jedes Element der Erinnerung ausschloß. Doch das Porträt einer Person war unvollständig, wenn es nicht auch das Sehen und Betrachten miteinschloß. Aber gerade diese visuelle Wahrnehmung trug immer auch ein Element von Diskriminierung und Auswahl – in der Malerei würde man dies das Problem der Perspektive nennen – in sich, bei der bestimmte Aspekte wichtiger genommen werden als andere. Grundlage einer solchen Selektion ist die Erinnerung. Stein wollte jedoch den unmittelbaren Eindruck der Person einfangen, ohne Erinnerung, ohne Auswahl und Bewertung, getreu ihrem eigenen Grundsatz: "one thing has the same value as another." (Stein 1990: 503)




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Diese "Demokratisierung von Wahrnehmung", die Stein tatsächlich auch in den Kontext der politischen Entwicklung zu Beginn des 20. Jahrhunderts stellte, erwies sich im Hinblick auf die Porträts als schwer erfüllbar, denn nicht nur die Gleichzeitigkeit verschiedener Aspekte der Person machte der Autorin zu schaffen, sondern auch die fortwährende Veränderung dieser Aspekte: "Each time that I said the somebody whose portrait I was writing was something that something was just that much different from what I had just said that somebody was." (Stein 1967a: 105) Sie mußte in der Bewegung die verschiedenen Aspekte der Person in einer Essenz synthetisieren, um herauszufinden "what it was inside any one." Aber das Betrachten der Bewegung brachte unweigerlich Vergleiche und Erinnerungen mit sich:

"The trouble [...] was that in regard to human beings looking inevitably carried in its train realizing movements and expression and as such forced me into recognizing resemblances and so forced remembering and in forcing remembering caused confusion of present with past and future time." (Stein 1967a: 111)


Dieses epistemologische Problem versuchte Gertrude Stein nun durch ihre Porträts von Gegenständen, Nahrungsmitteln und Räumen zu lösen. Im Gegensatz zu den Menschen sollten diese Gegenstände es ermöglichen, das "Ding" zu sehen, ohne daß durch eine fortwährende Bewegung und Veränderung Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft verwechselt werden könnten. Schreiben war für Gertrude Stein ebenso wie Malerei eine darstellende Kunst, daher verglich sie sich auch mit den Malern ihrer Zeit, die sich dem Stilleben zuwandten, um das Sehen ohne Erinnern zu üben. Tender Buttons stellt nach Steins eigenen Ausführungen demnach einen epistemologischen Versuch dar, ein Üben im Sehen und Betrachten, eine Übung der Wahrnehmung der "Essenz" der Dinge.



2. 2 Die Darstellung der Essenz der Dinge in Sprache

Jedoch war dieser epistemologische Ansatz untrennbar verknüpft mit dem mimetischen Problem der Darstellung dieser "Essenz" der Objekte in Sprache. Gertrude Stein war sich des komplizierten Verhältnisses von Objekt und Wort sowie von Wahrnehmung und Wort sehr wohl bewußt:

I became more and more excited about how words which were the words that made everything whatever I looked at look like itself were not the words that had in them any quality of description. This excited me very much at that time.

And the thing that excited me so much at that time and still does is that the words or words that make what I looked at be itself were always words that to me very exactly related themselves to that thing the thing at which I was looking, but as often as not had as I say nothing whatever to do with what any words would do that described any thing. (Stein 1967a: 113)


Wörter sind demnach unabdingbar für das Erkennen von Dingen, durch das Benennen wird der Gegenstand erst zu dem Gegenstand, der er ist. Aber zugleich ist diese Benennung eine arbiträre Zuordnung, die die Essenz des Gegenstandes nicht erfassen kann. Wörter benennen den Gegenstand und können ihn doch nicht erfassen. Die Benennung, die Rekreation des Objektes in Sprache, kann nur im Rekurs auf andere Wörter erfolgen, die nicht direkt, d.h. im Verhältnis Name-Objekt, mit dem Gegenstand verbunden sind. Damit steht ironischerweise ausgerechnet das Substantiv der mimetischen Fähigkeit von Sprache im Wege, denn gerade das Substantiv, das als Name des Objektes von allen Wortarten das engste Verhältnis zum Gegenstand behauptet, kann die Essenz des Objektes am allerwenigsten wiedergeben: "As I say a name is a name of a thing, and therefore slowly if you feel what is inside that thing you do not call it by the name by which it is known." (Stein 1967b: 124) Stein erklärt das Substantiv daher auch als "by definition [...] completely not interesting." (Stein 1967b: 124) Deshalb ist es nur konsequent, daß sie in ihren frühen Porträts fast vollständig auf Substantive verzichtet hatte. Wie aber erklärt sich nun die plötzliche Anhäufung von Substantiven in Tender Buttons? In ihrer Vorlesung über "Poetry and Grammar" erklärt Stein diese beiden unterschiedlichen Stile mit Hilfe der Unterscheidung von Prosa und Poesie. Den frühen Stil von The Making of Americans und der frühen Porträts identifizierte sie als Prosa, deren Eigenschaft es sei, vorwiegend aus "verbs adverbs prepositions prepositional clauses and conjunctions" nicht aber aus Substantiven zu bestehen. (Stein 1967b: 135) Poesie zeichne sich dagegen gerade durch den Gebrauch von Substantiven aus:




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But and that is a thing to be remembered you can love a name and if you love a name then saying that name any number of times only makes you love it more, more violently more persistently more tormentedly. Anybody knows how anybody calls out the name of anybody one loves. And so that is poetry really loving the name of anything and that is not prose. (Stein 1967b: 136)


Trotz des von Stein gewählten Beispieles der Liebenden bleibt hervorzuheben, daß die Liebe der Poesie vor allem dem Namen gilt und weniger dem damit verbundenen Objekt. In diesem Zusammenhang ist daher auch eine Verschiebung des Schwerpunktes bei Prosa und Poesie festzustellen. Zwar bleibt auch in der Poesie Steins Augenmerk auf die Aspekte 'epistemologisches Erkennen' und 'mimetisches Darstellen' gerichtet, doch rückt nun das Medium Sprache auf ganz andere Art und Weise in den Vordergrund. In Tender Buttons widmet Stein ihre Aufmerksamkeit gerade dem Element von Sprache, das sie zuvor als eigentliches Problem der mimetischen Darstellung identifiziert und daher weitgehend aus ihrem Sprachgebrauch eliminiert hatte: dem Substantiv. Sie packte gewissermaßen den Stier bei den Hörnern, als sie verkündete: "poetry is essentially the discovery, the love, the passion for the name of anything." (Stein 1967b: 138) Sehr bedeutsam ist in diesem Zusammenhang die Wortwahl, denn der Unterschied zwischen der Poesie als "passion for the name of anything" und der Poesie als "passion for the name of something" ist denkbar groß. Beide Ausdrücke werden im Deutschen häufig mit "(irgend)etwas" übersetzt, doch im Englischen ist die Konnotierung eindeutig verschieden. Während "something" ein bestimmtes "Irgendetwas" bezeichnet, also eine "assertive form" darstellt, ist "anything" unbestimmt, d.h. "nonassertive". (Quirk et al. 1985: 83–85)

Grammatisch gesehen ersetzt das unbestimmte "anything" das bestimmte "something" bei einer Frage, einer Bedingung und vor allem auch bei einer Negation. Es ist daher eine gewisse Affinität des nichtbestimmten "anything" zur Negation festzustellen, zumal umgekehrt die Negation grammatisch stets die Implikation der Unbestimmtheit in sich trägt. Hierbei ist aber zu berücksichtigen, daß die Negation, das "negative territory" nur einen Teilbereich des "nonassertive territory" ausmacht. Der Unterschied wird deutlich in den Sätzen, in denen "anything" die Bedeutung von "alles" im Sinne von "nicht etwas Bestimmtes" annimmt, z.B. bei "anything you like" ("alles, was du willst"). Das Verhältnis von "anything" und "something" ist damit ausgesprochen paradox. Einerseits erscheint "anything" zunächst als Verneinung des "something", wie sich allein schon aus der grammatischen Bezeichnung "nonassertive" und "assertive form" erkennen läßt. Andererseits beinhaltet die Verwendung des "anything" zugleich auch die Möglichkeit zum "something", so wie der Hinweis "anything you want" auch die Bereitschaft andeutet, etwas Bestimmtes für die angesprochene Person auszuführen.

Folglich ist der Satz "poetry is the passion for the name of anything" nicht im Sinne von "Poesie ist die Leidenschaft für den Namen von irgendetwas (Bestimmten)" zu verstehen, sondern vielmehr als "Poesie ist die Leidenschaft für den Namen von Allem/von nichts Bestimmten". Diese "nonassertive" Formulierung rückt also die unbestimmte Bedeutung des Substantivs, d.h. seine vielen verschiedenen Bedeutungen bzw. sein Bedeutungsfeld, zentral in den Vordergrund. Dies impliziert in gewisser Weise die Negation einer einzelnen, bestimmten Beziehung Objekt – Name, ohne daß diese bestimmte Möglichkeit jedoch völlig ausgeschlossen werden kann.




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Eine solche Leidenschaft für die Mehrdeutigkeit hat natürlich auch Folgen für die mimetische Absicht in Tender Buttons, denn inwieweit läßt sich mit Hilfe von unbestimmten Namen noch ein bestimmtes Objekt beschreiben? In einer solchen Hinwendung zur Unbestimmtheit der Sprache gerät diese als Medium der Rekreation des Objektes in den Vordergrund, das epistemologische Problem, was die Realität und Essenz der Dinge eigentlich ist, droht dagegen in den Hintergrund zu rücken. Aber dennoch sind m.E. die meisten Textpassagen in Tender Buttons trotz ihrer polysemen Natur immer noch mimetisch ausgerichtet, d.h. sie wollen uns trotz aller Vielfältigkeit auch die Essenz, d.h. die Wesensmerkmale, eines bestimmten Objektes vermitteln. Dieses komplexe Verhältnis von Bestimmt- und Unbestimmtheit wird im folgenden anhand einiger Textpassagen aufzuzeigen sein.



3. Tender Buttons

3.1 Die "Tender Buttons" als Titel

Bereits der Titel "Tender Buttons" ist exemplarisch für die Bedeutungsvielfalt, die die Substantive in Steins Beschreibungen annehmen bzw. zurückerhalten. Übersetzt man "buttons" zunächst als "Knöpfe", so wird hiermit vor allem das epistemologische Programm des Buches deutlich. Knöpfe sind für die meisten Menschen alltägliche Gebrauchsgegenstände, die kaum mehr besondere Aufmerksamkeit erfahren. Wer kann schon sagen, welche Gestalt und Farbe die Knöpfe haben, die er/sie am Morgen zuknöpfte? In ihrer Banalität und Alltäglichkeit sind Knöpfe gewissermaßen gestaltlos und auch namenlos geworden, ihre Aufnahme in den Titel des Buches ist daher auch als Aufruf zu verstehen, sich dieser Alltagsgegenstände wieder bewußt zu werden und diese in ihrer Realität bzw. Essenz zu erfassen. Dies verdeutlicht Steins demokratische Überzeugung, daß alle Dinge in der Welt den gleichen Wert besitzen und also auch die alltäglich gebrauchten Knöpfe das Recht besitzen, in einem Titel genannt zu werden. Sprachlich unterstützt wird dieser Aufruf durch die Zusammenstellung mit einem ungewohnten, sogar leicht personifizierenden Adjektiv: die "zarten Knöpfe"3. Wie, so mag sich der Leser und die Leserin irritiert fragen, können Knöpfe zart oder gar zärtlich sein? Mit dieser Frage rücken die Eigenschaften von Knöpfen in den Vordergrund. Können Knöpfe zart sein, weil sie häufig sehr klein und manchmal mit Leder beschichtet oder glatt poliert sind? Solche Überlegungen konzentrieren sich vor allem auf die Materialität, die physische Beschaffenheit von Knöpfen. Eine andere Möglichkeit wäre, mehr in die Richtung der Funktion von Knöpfen zu denken. Mit Knöpfen werden Körper verdeckt und aufgedeckt, und dieses zärtliche Auf- und Zuknöpfen, das Spiel des Verbergens und Offenbarens, ist ein wichtiger Aspekt in der Liebe und in der Erotik. (Gass 1986: 145) Vielleicht sollen wir uns dieser Bedeutung – dieser Essenz? – von Knöpfen wieder bewußt werden?

In den bisherigen Überlegungen wurde jedoch das Wort "button" als "name of something" vorausgesetzt, der den Übergang zu einer epistemologischen Fragestellung – was sind eigentlich Knöpfe? – nahelegt. Doch gemäß den vorangegangenen theoretischen Ausführungen ist davon auszugehen, daß dieser Titel bereits mit der Bedeutungsvielfalt von Wörtern spielt und daß wir dementsprechend nicht nur durch das Wort "hindurch gucken" und eine bestimmte Relation zu einem Gegenstand voraussetzen dürfen, sondern vielmehr auch das Wort selbst betrachten müssen. Poesie ist laut Stein die Liebe zum "noun", und diese Liebesbeziehung wird im Titel schließlich auch durch das Adjektiv signalisiert – das Substantiv "buttons" wird zum zärtlichen Geliebten. Liebe und Erotik sind sogar noch deutlicher im Titel enthalten, denn die "Tender Buttons" spielen auch mit der sexuellen Konnotation von "buttons" als "Brüste".4




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Aber nicht nur die Bedeutung des Substantivs "Buttons" läßt sich erweitern. Auch das Wort "tender" ist keineswegs nur in der Bedeutung "zart" oder "zärtlich" zu verstehen. In Walter W. Skeats Etymological Dictionary of the English Language findet sich unter dem Eintrag "tender" neben den Bedeutungen "soft, delicate, fragile, weak, feeble, compassionate" des Adjektivs auch der Hinweis auf das Verb "to tender" mit der Bedeutung "to offer, proffer for acceptance, show". (Skeat 1961: 635)5 In dieser Bedeutung unterstützt das Verb "tender" die Assoziation des Aufknöpfens und Aufzeigens, die bereits im Substantiv "button" vorhanden ist.

Der Titel "Tender Buttons" ließe sich demnach auch übersetzen mit "Zeige Knöpfe" oder "Biete Knöpfe" bzw. sogar "Zeige Brüste" oder "Biete Brüste". Wie im Deutschen ist die englische Verbform von "tender" uneindeutig, es könnte sich sowohl um einen Imperativ, eine Aufforderung an den Leser, als auch um die Erste Person Singular handeln, wie sie häufig bei Inseraten oder Reklameanzeigen in der Kurzform für "ich biete" verwendet wird.6 In der letzteren Variante ließe sich der Titel gewissermaßen als Reklameslogan für die "buttons" bzw. für das Buch lesen. Mehrere Interpretationen sind möglich: Zum einen ließe sich annehmen, Stein wolle in ihrem Buch die Dinge ihrer Alltäglichkeit und der Gewohnheit entreißen und uns die Realität der Knöpfe aufzeigen ("Zeige/Biete Objekte"), zum anderen könnte man auch schlußfolgern, Stein wolle uns mit ihrem Text die Wörter und vor allem die Substantive in ihrer Bedeutungsvielfalt aufzeigen ("Zeige/Biete Wörter") und die dritte Möglichkeit wäre, daß Stein sich in diesem im Buch selbst darstellen will und sich dabei in ihrer intimsten Umgebung präsentiert ("Zeige/Biete Brüste").

Programmatisch kündigen die "Tender Buttons" so die Funktion des Textes Tender Buttons an. Wie die Knöpfe eines Kleidungsstückes Personen verhüllen, so verdeckt Sprache, wenn sie in ihrem gewohnheitsgemäßen Gebrauch erstarrt ist und lediglich im Sinne eines "name of something" gedacht wird, die Bedeutungsvielfalt der Wörter und die Essenz der Gegenstände gleichermaßen. In Tender Buttons soll nun in einem zärtlichen Liebesspiel das Sichtbare verdeckt und das Verborgene entdeckt werden. Der Text soll die alten Konventionen durchbrechen und die Vieldeutigkeit der Wörter sowie die Realität der Dinge aufzeigen. Die alltäglichen Gefährten, Wörter und Objekte gleichermaßen, sollen als Liebhaber und Geliebte wiederentdeckt und vom Mantel der Gewohnheit entkleidet werden. Eng verbunden mit diesem Programm ist auch die intime Darstellung des Alltags der Autorin. Ein wesentlicher Aspekt der Realität bzw. der "Essenz" des Steinschen Alltags war ihre Beziehung und ihr gemeinsamer Haushalt mit Alice B. Toklas. Auch auf diesen Punkt wird, so läßt der Titel vermuten, in Tender Buttons daher näher eingegangen werden. Der Bruch mit Sprach- und Wahrnehmungskonventionen ermöglicht so auch die Darstellung einer zum damaligen Zeitpunkt unkonventionellen Lebensform der Autorin.



3.2 Interpretation einzelner Textstücke in Tender Buttons

Tender Buttons ist in drei Kapitel unterteilt: "Objects", "Food" und "Rooms". Bis auf das dritte Kapitel sind diese wiederum in einzelne Abschnitte unterteilt, die jeweils von durch Großbuchstaben abgesetzte Wörter eingeleitet werden, die dadurch den Eindruck eines Untertitels erwecken. Diese Untertitel beziehen sich häufig auf ein scheinbar bestimmtes Objekt bzw. ein scheinbar bestimmtes Nahrungsmittel, wie z.B. "ROASTBEEF". Sie suggerieren eine bestimmte Beziehung von Untertitel/Text zu einem Gegenstand, so daß die Erwartung des Lesers und der Leserin dahingehend geweckt wird, daß dieser Gegenstand im anschließenden Text beschrieben und dargestellt wird. Tatsächlich ist dies jedoch nicht immer deutlich sichtbar der Fall. In Tender Buttons tauchen nämlich auch abgesetzte Wortgruppen, also angebliche Untertitel, auf, deren Referenz zu einem bestimmten Objekt unklar ist, wie beispielsweise "IT WAS BLACK, BLACK TOOK." Hier scheint ein "name of something" äußerst ungewiß und auch das dazugehörige Textstück "Black in best wheel bale brown./Excellent not a hull house, not a pea soup, no bill no care, no precise no past pearl pearl goat." bleibt uneindeutig.




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Das zweite Kapitel von Tender Buttons beginnt mit einer Aufzählung von Nahrungsmitteln, die die Erwartung eines Inhaltsverzeichnisses weckt, wobei jedoch nur bestimmte Wörter tatsächlich wieder auftauchen und andere Einträge, wie z.B. "COCOA; AND CLEAR SOUP AND ORANGES AND OATMEAL" sich nicht im Text wiederholen. (DeKoven 1983: 77, 79) Es sind diese Brüche in den Form- und Sprachkonventionen, mit Hilfe derer Stein verdeutlicht, daß eine bestimmte Verbindung zwischen Untertitel und Text und zwischen einer Aufzählung zu Beginn eines Textes und den folgenden einzelnen Textabschnitten zwar vom Leser und von der Leserin häufig vorausgesetzt werden, daß diese aber keineswegs zwingend notwendig sind. Es sind dies auch die ersten Hinweise dafür, daß Tender Buttons bei seinen Lesern auch einen Bruch mit Lesekonventionen erfordert, bei dem die Aufeinanderfolge von Wörtern und Sätzen – die Komposition – sowohl auf syntaktischer als auch auf semantischer Ebene nicht mehr länger als selbstverständlich erscheinen darf.



3.2.1 "A SELTZER BOTTLE."

Eine der durch Großbuchstaben abgesetzten Wortgruppen ist "A SELTZER BOTTLE." Auch hier liegt die Vermutung nahe, daß es sich hierbei um einen Untertitel handelt, der das Thema des folgenden Textabschnitts beschreibt. Ungewöhnlich für einen Untertitel ist jedoch der Punkt am Ende der Wortgruppe. Innerhalb eines Textes dient der Punkt gewöhnlich dazu, eine Pause bzw. einen Stopp zu signalisieren. Er fungiert als Trennung zwischen zwei sprachlichen Sinneinheiten, zwei Sätzen. Im vorliegenden Fall hat der Punkt jedoch paradoxerweise eine eher bindende denn trennende Funktion, er führt die abgesetzte Wortgruppe und den folgenden Text wieder näher zusammen, indem er beide Wortgruppen gewissermaßen wieder auf eine Ebene – die der sprachlichen Sinneinheit – stellt.

Gertrude Stein bemerkte in einer ihrer Vorlesungen einmal zur Funktion des Punkts: "Stopping sometime did not really keep one from going on, it was nothing that interfered, it was only something that happened [...]." (Stein 1967b: 128) Tatsächlich "passiert" mit und durch diesen Punkt eine Menge im Verhältnis zwischen quasi-Untertitel und Text. Der Punkt hinterfragt die Bestimmtheit des Themas des folgenden Textstückes: Geht es hier im folgenden nun wirklich um eine "Seltzer Bottle", oder ist die abgesetzte erste Gruppe nur als Sinneinheit in einer Folge von vielen, verschiedenen Sinneinheiten im Text zu verstehen? Erneut begegnen wir hier also einer sprachlichen Konstruktion im Spannungsfeld von Bestimmtheit und Unbestimmtheit. Es stellt sich die Frage: Ist das folgende Textstück einem Thema, also "A SELTZER BOTTLE", verpflichtet, oder sind hier verschiedene, voneinander unabhängige Sinneinheiten anzutreffen:

A SELTZER BOTTLE.

Any neglect of many particles to a cracking, any neglect of this makes around it what is lead in color and certainly discolor in silver. The use of this is manifold. Supposing a certain time selected is assured, suppose it is even necessary, suppose no other extract is permitted and no more handling is needed, suppose the rest of the message is mixed with a very long slender needle and even if it could be any black border, supposing all this altogether make a dress and suppose it was actual, suppose the mean way to state it was occasional, if you suppose this in August and even more melodiously, if you suppose this even in the necessary incident of there certainly being no middle in summer and winter, suppose this and an elegant settlement a very elegant settlement is more than of consequence, it is not final and sufficient and substituted. This which was so kindly a present was constant. (TB 8)





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Behandelt man den ersten Satz als Überschrift, so besteht das Textstück aus vier Sätzen, die von sehr unterschiedlicher Länge sind. Am längsten ist der dritte Satz, der den Hauptteil des Stückes ausmacht. Aber auch der erste Satz ist im Vergleich zum zweiten und zum letzten Satz vergleichsweise länger und grammatisch komplexer. Diese Aufteilung in zwei Satzpaare mit jeweils einem langen und einem kurzen Satz läßt sich auf der semantischen Ebene unterscheiden in zwei Paare, bei denen der erste Satz bzw. das erste Satzgefüge, zunächst eine Bedingung, d.h. einen konditionalen Gedanken ("any...makes..." und "Supposing...and...is more than of consequence"), einführt, der dann im zweiten Satz mit einer qualifizierenden und scheinbar eindeutigen Aussage ("the use of this is..." und "this was...") ergänzt wird. Das ganze Textstück wird geprägt durch den dominanten dritten Satz, in dem wiederum die ständige Wiederholung des "conditional subordinator" "suppose" bzw. "supposing" besonders auffällig ist. Das Textstück imitiert auf diese Weise die Erscheinungsform eines wissenschaftlichen Textes wie z.B. eines Regelwerkes: Unter bestimmten Bedingungen, so suggerieren die Sätze eins und drei, passiert folgendes, und der Nutzen und Gebrauch dieses Folgenden wird dann in den Sätzen zwei und vier beschrieben.

Doch welches Phänomen wird hier eigentlich beschrieben und welche Regeln sollen wir aus dieser Darstellung mitnehmen? Beinahe spöttisch erscheint hierzu der einzige auf Anhieb deutlich verständliche Satz: "The use of this is manifold." Es gibt also mehrere Möglichkeiten, diesen Text zu nutzen bzw. ihn zu lesen und zu verstehen. Auch die wiederholte Aufforderung an den Leser und die Leserin "to suppose", ist durchaus mehrdeutig zu verstehen. Skeats Etymologisches Wörterbuch gibt als Ursprung dieses Verbs die lateinisch-französische Wurzel "sub-poser" mit der Bedeutung "to lay under, to put under" an. Als mögliche Bedeutungen werden neben "to assume as true, imagine" auch "to substitute, to forge, to counterfeit" angegeben. (Skeat 1961: 618) Die Aufforderung des Textes kann also sehr unterschiedlich verstanden werden. Zum einen kann sie bedeuten, wir sollen den Text und seine semantischen und syntaktischen Uneindeutigkeiten dennoch annehmen, ihn sogar als wahr akzeptieren und vielleicht mit unserer Imagination die fehlenden Sinneszusammenhänge selbst herstellen. Zum anderen weist der Ursprung des Wortes neben der praktischen Tätigkeit des "etwas herunter/darunterstellen" im übertragenden Sinne auch auf eine Form von Unterordnung bzw. von Unterwerfung hin und schließlich ist mit den Bedeutungen "to forge, to counterfeit" auch die Möglichkeit der Täuschung und Fälschung im semantischen Begriffsfeld des Wortes vorhanden. Indem wir dem Text einen einzigen Sinn und eine einzige Funktion zuordnen – z.B. die Beschreibung der Soda-Flasche – unterwerfen bzw. unterdrücken wir die anderen Möglichkeiten und verfälschen somit auch die ursprüngliche, multiple Bedeutung des Textes. Wir täuschen vor, daß der Text nur einen bestimmten Sinn haben kann, obwohl die Realität geprägt ist von der Multifunktionalität des Textes. "A SELTZER BOTTLE." sollte daher nicht einseitig und nicht nur in eine Richtung gelesen werden, sondern kreativ und immer auch mehrere Möglichkeiten – sogar die des 'sinnlosen Wortspieles' – zulassend.

Ein auffälliges Element der "SELTZER BOTTLE" ist die mehrfache "s"-Alliteration (neben dem wiederholten "suppose" bzw. "supposing" auch "certain(ly)", "silver", "selected", "slender", "summer", "settlement", "sufficient", "substituted" und "so". Noch weiter verstärkt wird dieser Klang durch die Endungen der Wörter "particles", "this", "makes", "is", "dress" und "was" und die Binnenklänge bei "assured", "necessary", "message", "occassional", "melodiously", "consequence", "present" und "constant". Der "s"-Laut ist der dominierende des Textstückes. Das Zischen der Soda-Flasche beim Spritzen des Wassers oder beim Mischen mit Kohlensäure scheint hier im Klang des Textes nachgeahmt.




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Der Text gibt also durchaus Anlaß dafür, hierin tatsächlich die Beschreibung einer "Seltzer Bottle" bzw. vielleicht sogar die Anweisung zur Herstellung von Sodawasser zu vermuten. Auch Wörter wie "particles" und "cracking" erlauben diese Assoziation. So kann man den Satzteil "any neglect of many particles to a cracking, any neglect of this makes around it" dahingehend interpretieren, daß die Mißachtung der Kohlensäurebläschen, die beim Öffnen einer "Seltzer Bottle" krachend und berstend an die Wasseroberfläche kommen, dazu führen kann, daß der Inhalt der Flasche aus ihr heraus und um sie herum verschüttet wird. Doch schon beim zweiten Teil des Satzes, "what is lead in color and certainly discolor in silver", wird es wesentlich schwieriger. Zunächst einmal sorgt die ungrammatische Wendung "this makes around it" dafür, daß undeutlich ist, ob "lead" nun als Substantiv oder als Passivform des Verbes "to lead" zu lesen ist. Bemüht man sich, letztere Variante plausibel zu machen, so könnte man den Satzteil dahingehend interpretieren, daß er eine nähere Beschreibung des ausströmenden Wassers darstellt: Mißachtet man die Kohlensäure im Wasser, dann führt dies dazu, daß das Sodawassser zum Vorschein ("color" im Sinne von "appearance") gebracht wird ("is lead"). (Skeat 1961: 122) Als farblos ("discolor") wird Wasser häufig bezeichnet, aber da es nun mit den funkelnden Bläschen der Kohlensäure versetzt ist, erscheint es silbern ("silver"). Unvorsichtiges Umgehen mit der "Seltzer bottle" sorgt dafür, daß das ursprünglich farblose Wasser, das nun durch die Kohlensäure silbern glänzt, zum Vorschein kommt und sich rund um die Flasche herum verteilt.

Allerdings legt das Wort "silver" am Ende des Satzes nahe, "lead" im Sinne von "Blei" zu interpretieren, zumal bei einer solchen Lesart "lead in color and [...] discolor in silver" einen Chiasmus bilden. Eine Möglichkeit wäre, in der Farbe Blei eine Beschreibung der Kohlensäurepatrone zu sehen, die häufig metallfarben ist und die auf die Wasserflasche aufgesetzt wird, um Wasser und Kohlensäure zu vermengen. Die Farbe der Flasche könnte silber sein, so daß das farblose Wasser in einer silbernen Flasche ist ("discolor in silver"). Agiert man nun nachlässig beim Aufsetzen der Patrone auf die Flasche und mißachtet bzw. unterschätzt die Wucht der einzelnen Kohlensäurebläschen, dann kann alles aus der Flasche herausquillen ("makes around it"). Bereits der erste Satz des Textstückes ist also mehrdeutig und erfordert ein anderes Lesen, als wir es normalerweise gewöhnt sind. Anstatt linear fortschreitend zu lesen, sind wir hier gezwungen, vor- und rückwärts zu lesen und die verschiedenen Verbindungen der Wörter auf syntaktischer und semantischer Ebene abzuwägen, um so einen Sinn aus diesem Satz zu formen ("to suppose"): "The use of this is manifold."

Der Beginn des dritten Satzes erscheint zunächst einfach: Zur Herstellung von Soda-Wasser ist ein bestimmter, d.h. gewählter Augenblick notwendig, außer Kohlensäure und Wasser ist kein anderer Zusatz erlaubt, und es sind auch keine weiteren Handgriffe von Nöten. Doch dann wird der Text wieder kryptisch. "Message" kann als Wortspiel mit "bottle" und dem Ausdruck "message in a bottle" gelesen werden. Die Verbindung mit der Soda-Flasche scheint auch noch auf anderer Ebene plausibel. Die lateinische Wurzel des Wortes "message", "missus", kann nämlich auch die Bedeutung "freilassen", "loslassen" bzw. "laufen lassen" haben. Ist dies womöglich ein weiterer Hinweis auf die Flasche, in der die Kohlensäure beim Spritzen freigelassen wird? Oder bezieht sich dies im übertragenen Sinne auf unsere Interpretationsversuche, bei denen wir uns nicht länger auf eine bestimmte Möglichkeit festlegen können und daher die vielfältigen Bedeutungen der Wörter "freilassen"? Schließlich ist "message" durch eine Alliteration eng mit "mixed" verbunden, was zum einen den ersten Teil des Wortes "message", nämlich "mess" besonders hervorhebt, womit vielleicht auf das Durcheinander beim Herausquellen des Soda-Wassers ("makes around it") angespielt wird, und was zum anderen aber auch eine gewisse Vielfältigkeit und Vermischtheit der Aussage ("message") nahelegt. In bezug auf das Soda-Wasser kann "mixed" auch ein Hinweis auf den Herstellungsprozeß sein, bei dem in der Flasche Wasser und Kohlensäure vermischt werden. Auch eine "needle" ist für diese Herstellung von Belang, denn schließlich wird die metallfarbene Kohlensäurepatrone auf die Flasche aufgesetzt und mit einer Nadel aufgestochen.




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Wie läßt sich jedoch die Einschränkung "even if it could be any black border" erklären? "Border" im Sinne von Grenze läßt kaum eine Assoziation mit der "Seltzer Bottle" zu. Wenn man jedoch das Wort auseinandernimmt in die einzelnen Teile "bore to her", die schnell geprochen ähnlich wie "border" klingen, ergeben sich neue Möglichkeiten. Im Wörterbuch finden sich unter dem Eintrag "bore" drei unterschiedliche Bedeutung. (Skeat 1961: 68) "Bore" bedeutet zunächst einmal "to perforate", also "durchbohren" oder "durchstechen". In diesem Sinne greift das Wort natürlich auf die kurz zuvor genannte "slender needle" zurück, mit der die Kohlensäurepatrone angestochen wird. Möglicherweise ist der Flaschenaufsatz, in dem sich die Nadel befindet, schwarz oder aber das Loch, das mit der Nadel gebohrt wird, erscheint schwarz. Vielleicht aber steht das Adjektiv "black" auch nur dort, weil es eine Alliteration mit der "border" herstellt. Ein "bore to her" im Sinne von "bohren zu/nach ihr" trägt natürlich auch eine sexuelle Konnotation in sich, die durch die "needle", als Slang-Wort für Penis noch weiter verstärkt wird. (Lighter 1994: II 645–646) Allerdings wird diese Sinnvariante im selben Wort auch gleich wieder zurückgewiesen: Männlichem Vordringen wird hier nämlich gleich eine Grenze ("border") gesetzt.

"Bore" ist in seiner zweiten Bedeutung etwas Langweiliges oder Lästiges, wie z.B. in der Zusammensetzung "bored to death". Auch der Tod wird häufig mit der Farbe schwarz assoziiert, womit wiederum eine neue Verbindung zum Adjektiv hergestellt werden könnte. Eine Frau (Gertrude Stein?) stellt also Soda-Wasser her, auch wenn es ihr eigentlich lästig ist. Oder ist das Soda-Wasser ihr gar nicht lästig, dafür langweilt sie jedoch der Sex mit Männern? Schließlich bezeichnet "bore" laut Skeat aber auch noch "a tidal surge in a river", eine Springflut. Dies läßt sich erneut auf die brisante Mischung Kohlensäure und Wasser beziehen, die plötzlich aus der Flasche herausströmen. Darüber hinaus lädt die Flut im Zusammenhang mit der "needle" aber auch zu weiteren sexuellen Assoziationen ein. Oder wird hier vielleicht die Flut von Bedeutungsmöglichkeiten beschrieben, die auf uns und auf die Autorin einstürzt, wenn man sich auf den "name of anything" einläßt?

Nachdem wir auf diese Weise dem Wort "border" verschiedene Bedeutungen "unterstellt" ("suppose") haben, folgt die nächste Herausforderung mit dem Satzteil "all this altogether made a dress". "Dress" im Sinne von "Kleid" ist nur mit Mühe auf die "Seltzer bottle" zurückzubeziehen, aber vielleicht soll es ja schon auf das nächste Textstück hinweisen, "A LONG DRESS."? Aber "dress" kann auch einfach "to make ready" bedeuten. Die Wurzel des Wortes "dresser, drescer" hat die Bedeutung von "to erect, to set up, to arrange". (Skeat 1961: 182) Also ließe sich der Satzteil im Sinne von "all dies zusammen ergab ein Arrangement" verstehen. Ist dies nun ein Hinweis auf das Arrangieren bzw. das Zusammensetzen von Kohlensäurepatrone, Aufsatz und Flasche zur Herstellung von Soda-Wasser? Soda-Wasser selbst ist natürlich auch eine Zusammensetzung, wie im übrigen auch der Text selbst und unsere Bemühungen, ihn zu verstehen.

Selbst das auf den ersten Blick herausfallende Substantiv "dress" läßt sich noch in den Kontext der Beschreibung einer Soda-Flasche einordnen bzw. unterordnen ("sub-poser"). Dennoch gelingt eine solche Einordnung nur noch mit Mühe, denn die andere Bedeutung von "dress" als "Kleid" ist nicht nur aufgrund des anschließenden Textstückes "A LONG DRESS." vorhanden, sondern schwebt auch im innertextuellen Kontext mit. Denn schließlich befindet sich das Wort "dress" auch in der Nähe des Wortes "needle" und sogar die noch eben mühsam in Hinblick auf die "SELTZER BOTTLE" gedeutete "black border" erscheint plötzlich sinnvoll, wenn man sie nun einfach auf das Kleid bezieht und als schwarze Bordüre übersetzt. Auf einmal scheint der Text gar nicht mehr von einer Soda-Flasche, sondern von der Herstellung eines Kleides zu handeln, denn, wie es uns der Text selbst verrät: "the rest of the message is mixed".




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Unter diesen Umständen werden auch die folgenden Satzteile immer schwieriger zu deuten. Was ist denn nun eigentlich "actual", das Kleid oder die Flasche oder der Text? Sollen wir annehmen ("suppose"), daß dies alles "wirklich" ("actual") ist, oder sollen wir es unterstellen ("suppose")? Vielleicht müssen wir "the mean way to state it was occasional" gar metatextuell lesen: "die niederträchtige Weise es (etwas Bestimmtes) darzustellen war gelegentlich". Gelegentlich zwingen wir gemeinerweise die Wörter in eine bestimmte Beziehung zu einem Objekt? Aber natürlich zersplittert auch das Wörtchen "mean" bei genauerem Hinsehen wieder in viele verschiedene Möglichkeiten und bildet Affinitäten zu anderen Wörtern im Text, unter deren Eindruck es höchst unterschiedliche Bedeutungen annehmen kann. Als Verb "to mean" mit dem Sinn "to have in mind, to intend, to signify" hat es eine gewisse Nähe zu "to state", "eine Meinung darlegen". Gelegentlich stellt jemand oder etwas (der Text?) eine bestimmte Sache ("it") auf eine bestimmte Weise ("mean way") dar? Allerdings wird "mean" hier relativ deutlich als Adjektiv gebraucht, wobei auch wieder mehrere Bedeutungsebenen vorhanden sind, neben dem negativ konnotierten "common, vile, base, sordid", kann es auch einfach "coming between, intermediate, moderate" heißen. (Skeat 1961: 368) Ist es also gewöhnlich und schlecht, etwas Bestimmtes darzulegen? Oder sagt man einfach gelegentlich "gemeine" Dinge? Die Nähe zu den Wörtern "August" und dann vor allem auch "middle" verleitet dazu, "mean" eher in Richtung "mittlere(r)" denken zu wollen. Schließlich gilt der August als die Mitte des Sommers, auch wenn der Text uns darauf hinweist: "there certainly being no middle in summer and winter". Also doch nicht diese Bedeutung? Möglicherweise sollte man sich von einer zu starken Verbundenheit mit den grammatischen Grundregeln befreien und bei "to state" eher an die Bedeutung des Substantivs "state" als an das Verb denken.

Im Sinne von "Zustand" bzw. "Lage" könnte "state" eine Referenz an das Sodawasser darstellen: Im Durchschnitt ("mean") wird Soda-Wasser (der Zustand von gemischten Wasser und Kohlensäure) gelegentlich hergestellt. Damit hätte man schließlich auch einen eleganten Übergang ("elegant settlement"?) zum August gefunden, denn während dieses Sommermonats ist ein solches Getränk natürlich besonders erfrischend. Das "melodiously" könnte uns darauf aufmerksam machen, daß nun, gegen Ende des dritten Satzes, wieder besonders viele Zisch-Laute und "s"-Alliterationen im Text auftreten – ein metatextueller Kommentar sozusagen. "Winter" kann man dahingehend interpretieren, daß man selbstverständlich auch im Winter Soda-Wasser trinken kann, vielleicht steht er aber auch nur dort, weil Sommer und Winter eben häufig zusammen genannt werden und weil der August eben doch nicht die Mitte des Sommers ist. Allmählich erlahmt hier die Fähigkeit der Leserin, den Text immer wieder dem angeblichen Untertitel "A SELTZER BOTTLE" unterzuordnen, denn die verschiedenen Bedeutungen der Wörter drohen dieses Konstrukt ständig auseinanderzureißen.

Kann eine solche verkrampfte Unterordnung ("suppose") überhaupt noch ein "elegant settlement a very elegant settlement" genannt werden? "Elegant" bedeutet nicht nur "grateful" oder "neat", sondern vor allem auch "choice" von lateinisch elegere, auswählen. (Skeat 1961: 190) Immer wieder durch das gesamte Textstück hindurch haben wir versucht, die Wörter der "SELTZER BOTTLE" unterzuordnen, sie also ausgewählt (bestimmt) festzulegen. Aber dies ist uns nicht vollständig geglückt, es gibt immer noch mehr ("more") als eine Bedeutung, mehr als eine Folge, mehr als eine Konsequenz. Gerade das macht auch die Schönheit und die Eleganz dieses Textsegmentes aus, daß es eben "not final and sufficient and substituted" ist. Das Adjektiv "sufficient" leitet sich vom Verb "to suffice" ab, dessen lateinische Wurzel "sub-facere" ist, was wiederum übersetzt "heruntertun" ("to make under", "to put under") bedeutet. (Skeat 1961: 614) Auch das Verb "to substitute" ist lateinischen Ursprungs und setzt sich aus den Wörtern "sub" und "statuere" zusammen, die Skeat wiederum mit "to place under" übersetzt. Gemeinsam mit dem "suppose" greifen diese beiden Wörter also wieder den Vorgang des Unterordnens und Festlegens auf, der sich gemeinsam mit dem Zischklanges des "s" durch das gesamte Textstück hindurchzieht.




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Jegliche Interpretation, jegliches Lesen eines Textes bedeutet zunächst auch eine Unterdrückung anderer Möglichkeiten, ein Bestimmen, Festlegen und "Sich-Arrangieren" der Wörter auf einen bestimmten Sinn hin und die Bevorzugung bestimmter Wortbedeutungen gegenüber anderen. Daß diese Bestimmung und Bestimmtheit zum Teil sogar notwendige Bedingung zum Verständnis von Sprache ist, scheint im Text durch die Wiederholung der Adjektive "certain" und "necessary", die wiederum durch den zischenden "s"-Klang in enger Verbindung mit dem dominanten "suppose" stehen, angedeutet. Das Bestimmte, das "something", in der Sprache ist notwendig, aber es macht nur einen Teil des größeren, unbestimmten Sprachfeldes aus. Auch beim Schlußteil ihres längsten Satzes in diesem Textstück erlaubt sich Stein wieder ein Spiel mit der Sprache und ihren Bestimmt- und Unbestimmtheiten. Das "settlement", unsere Festlegung des Textes, ist zwar eindeutig nicht "endgültig" ("final"), aber ist es nun "nicht ausreichend" und "nicht austauschbar" oder ist es "ausreichend" und "austauschbar", und womit wäre es austauschbar, womöglich mit anderen Interpretationsmöglichkeiten?

All dies, "which was so kindly a present was constant." Hiermit kann noch immer die "Seltzer Bottle" gemeint sein, die vielleicht ein "liebevolles Geschenk" darstellte. Aber damit ist die Vielschichtigkeit dieses letzten Satzes natürlich noch lange nicht erfaßt. Der lateinische Ursprung des Wortes "present" ist "prae-esse", d.h. "vor einem sein". Zugleich ist das Wort auch mit dem französischen Verb "présenter", "vorzeigen", "vorstellen" verwandt. Schließlich hat das Wort noch eine deutliche zeitliche Konnotation, "present" bedeutet auch gegenwärtig bzw. als "present tense" "Gegenwart". "Kindly" hat als Adverb die Bedeutung "liebevoll", trägt jedoch in der Wurzel "kind" auch den Sinn "Art" in sich. Man könnte also auch vermuten, die "Seltzer Bottle" ("this") sei hier in ihrer Essenz ("kindly"), in ihrer Gegenwart ("present") ohne Verfälschung durch Erinnerung, ohne Vermischung von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, vorgestellt worden ("present"). Die Rekreation der "Seltzer Bottle" in Sprache liegt nun als Text vor dem Leser ("present"). In ihrer Art, d.h. ihrer Essenz ("kindly"), ist die "Seltzer Bottle" beständig ("constant"), und sie ist zugleich zusammengesetzt ("constant" abgeleitet vom lateinischen cum stare, "zusammenstehen"). Zusammengesetzt sind jedoch nicht nur Kohlensäure und Wasser in der "Seltzer Bottle", zusammengesetzt werden nicht nur Kohlensäurepatrone, Nadel und Flasche beim Herstellungsprozeß von Soda-Wasser, zusammengesetzt sind auch die Wörter in diesem Textstück, die die "Seltzer Bottle" in Sprache rekreieren und letztlich setzen auch wir, die Leser, die Bedeutungen der Wörter so zusammen, daß sie diesen Sinn ergeben. Als Leser haben wir versucht, die Wörter dem Titel "A SELTZER BOTTLE" unterzuordnen, doch nicht immer ist uns dies gelungen, andere Bedeutungsfelder, wie das des Kleidernähens und die sexuelle Konnotation, kamen unwiderstehlich wie Kohlensäurebläschen in Wasser berstend an die Textoberfläche. So wie die "Seltzer Bottle" ein druckvolles Gemisch aus Kohlensäure und Wasser zu beherbergen sucht, so versuchten wir, das Textstück in das übergeordneten Gefäß "A SELTZER BOTTLE" zu setzen und zu halten. Es ist dies nicht immer gelungen, und am Ende besteht das "elegant settlement" darin, zu erkennen, daß es immer mehr ("more") als eine Möglichkeit oder eine Bedeutung gibt; die vielfältigen Bedeutungen der Wörter "make[] around it". "A SELTZER BOTTLE" ist ein sprudelndes Gemisch voller bestimmter und unbestimmter Sinne und Bedeutungen, dessen druckvolles Herausströmen genauso erfrischend wie unkontrollierbar ist. Die Schönheit und Eleganz dieses Gemisches liegt in seinem Wechselspiel von Bestimmbarkeit und Unberechenbarkeit. Es stimuliert die Suche nach dem "something" und zelebriert zugleich die faszinierende Vielfältigkeit des "anything", das das "something" zugleich bedingt und infragestellt.






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3.2.2 "LUNCH."

In "A SELTZER BOTTLE." wird die Liebe zum "name of anything" zelebriert und dennoch auch eine textliche Rekreation von etwas Bestimmten, nämlich der Essenz der Soda-Flasche, präsentiert. Ähnlich verhält es sich auch im Textstück LUNCH, in dem trotz aller Begeisterung für die Bedeutungsvielfalt der Wörter dennoch auch die Essenz, die "reality" von LUNCH im Steinschen Haus zur Sprache kommt:

LUNCH.

Luck in loose plaster makes holy gauge and nearly that, nearly more states, more states come in town light kite, blight not white.

A little lunch is a break in skate a little lunch so slimy, a west end of a board line is that which shows a little beneath so that necessity is a silk under wear. That is best wet. It is so natural, and why is there flake, there is flake to explain exhaust.

A real cold hen is nervous is nervous with a towel with a spool with real beads. It is mostly an extra sole nearly all that shaved, shaved with an old mountain, more than that bees more than that dinner and a bunch of likes that is to say the hearts of onions aim less.

Cold coffee with a corn a corn yellow and green mass is a gem. (TB 31)


Auf den ersten Blick scheint das Textstück LUNCH noch viel weniger Verbindung mit seinem quasi-Untertitel zu haben, als dies bei der Soda-Flasche der Fall war. Die Erwartungen des Lesers und der Leserin, unter diesem Oberbegriff zumindest eine kleine Beschreibung eines Lunches im Steinschen Haushalt zu erhalten, erscheinen angesichts der spärlichen Informationen über Essen und Trinken arg enttäuscht. Zwar tauchen einzelne Wörter auf, die gemeinhin mit einem Lunch in Verbindung gebracht werden können, so z.B. der "cold coffee", das "corn", die "hearts of onions", die "cold hen" und vielleicht sogar die "sole", doch so richtig wollen sich diese Begriffe nicht in ein Gesamtbild fügen, zumal sie im gesamten Textstück dünn gesät sind und ihr Zusammenhang mit "under wear", "plaster" und "skate" eher undurchsichtig erscheint.

Im Gegensatz zu "A SELTZER BOTTLE." ist das Textstück "LUNCH." geprägt von Aussagesätzen, die Konstruktionen "this makes that" und "this is that" überwiegen deutlich. Auch ist LUNCH in vier Absätze unterteilt, so daß auf der semantischen Ebene die Erwartung geweckt wird, es würden hier vier unterschiedliche Aspekte zu einem Oberbegriff behandelt werden. Tatsächlich ist eine solche Bewegung des Textes hin zu einer Gruppierung bestimmter Aspekte unter dem Titel LUNCH in der äußerlichen Form des Textstückes und den grammatischen Grundformen der Sätze erkennbar. Der Ton des Stückes wird vor allem durch den ersten Teil gesetzt, der beinahe schon die Rolle einer Exposition einnimmt, die bestimmte Themen für den gesamten Text festlegt: "LUNCH./Luck in loose plaster makes holy gauge". Durch die Alliteration sind die Begriffe "lunch", "luck" und "loose" besonders eng miteinander verknüpft. "Lunch" wird hier also einerseits mit "Glück" und anderseits mit einem Gefühl von Losgelöstheit, von Freiheit und Befreitheit und vielleicht sogar auch mit einer gewissen unmoralisch-sexuell konnotierten "Lockerheit" verbunden.7 Dieses magische Dreieck setzt den Maßstab – und zwar nicht irgendeinen, sondern sogar den "holy gauge" – für den Rest des Textstückes. Das Adjektiv "holy" führt ein zentrales Bedeutungsfeld für den Text ein, das sich offensichtlich in Wörtern wie "beads" und "mass", durch die Schreibweise versteckt im Ausdruck "sole" (= "soul") und vielleicht sogar verborgen hinter den Wörtern "west" und "shaved", wiederfindet.8




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Sowohl der erste als auch der letzte Satz des Textstückes beschäftigen sich mit diesem heiligen Maßstab bzw. hohen Wert und fungieren auf diese Weise als thematische Klammern für das gesamte Textstück. Im letzten Teilstück des letzten Satzes wird das Essen mit einer sakralen Handlung und mit Kostbarkeit zusammengeführt: "yellow and green mass is a gem". Der Unterschied von "gem" und "jam" in der Aussprache ist geringfügig, so daß sich der Satz durchaus dahingehend interpretieren läßt, daß hier eine undefinierbare gelblich-grüne "Masse" auf dem Tisch als Marmelade ("jam") entlarvt wird. Aber darüber hinaus ist die "yellow and green mass" auch ein Edelstein ("gem") und die bereits erwähnte religiöse Bedeutung des Wortes "mass" ("Messe") verbindet endgültig die Bedeutungsfelder "wertvoll", "heilig" und "Nahrungsmittel". Dieser Lunch, der unter abbröckelndem Putz ("loose plaster", "flake") womöglich sogar in Paris ("plaster of Paris") stattfindet, wird demnach im Text als eine wertvolle, beinahe sakrale Handlung vorgestellt. Er setzt in seiner "Essenz", seiner Bedeutung, einen Maßstab, an den andere Situationen und Zustände sich messen müssen und an die nur wenige heranreichen: "and nearly that, nearly more states, more states come in town".

Der "lunch" im Sinne eines Mittagsessens ist eine Unterbrechung des Tagesablaufes ("break in skate")9, bei dem auch so manches Geflügel ("cold hen") zerteilt ("break in skate")10 und anschließend verzehrt wird. Aber er ist zugleich auch mehr als ein bloßes Zusammenkommen ("come in town") und eine gemeinsame Pause ("break") zum Zwecke der Nahrungsaufnahme: "more than that bees more than that dinner". Als "allusion to the social character of the insect" kann "bee" auch "a meeting of neighbours to unite their labours for the benefit of one of their number" und im übertragenen Sinne "a gathering or meeting for some object" bedeuten.11 Von einer solchen profanen Zusammenkunft hebt sich der sakrale und durch Kostbarkeit gekennzeichnete Lunch demnach deutlich ab. Aber nicht nur die Handlung "Lunch" ist vielschichtig ("more"), auch das Wort hat mehrere Bedeutungen. Die skandinavische Wurzel von "lunch" bedeutet "large piece of bread." (Skeat 1961: 352) Diese Grundbedeutung scheint auch im Textstück relevant zu sein, denn der Binnenreim "light kite, blight not white" läßt sich als Hinweis auf die Beschaffenheit von Brot interpretieren. Das Wort "light" ist sowohl als "hell" als auch im Sinne von "leicht" zu verstehen und bildet damit nicht nur eine Verbindung zu "kite", d.h. dem leichten Drachen, sondern auch mit "white", dessen etymologische Wurzel ebenfalls die Bedeutung "hell" bzw. "Licht" hat. Eng verwandt mit "white" ist auch das zum Brotbacken erforderliche "wheat", dessen Name auf die Farbe seines Mehles zurückzuführen ist. (Skeat 1961: 712–713) Allerdings heißt es hier "blight not white". Skeat kann die Herkunft des Wortes "blight" nicht eindeutig bestimmen, erwähnt jedoch ein Zitat von Cotgrave, "where 'blight' means 'smut in wheat'". (Skeat 1961: 63) Dies böte eine Erklärung dafür an, warum das von Stein beschriebene Brot "not white" ist: es handelt sich um einen leichten Schwindel, "light kite", bei dem das Brot nicht der erwarteten Qualität entspricht. (Lighter 1994: II 367) Dieses Brot, das nicht dem Standard ("gauge and nearly that") entspricht, tauchte damals vielleicht häufiger in Paris auf: "more states come in town".

Die Beschaffenheit des Brotes kann auch noch das Thema des Satzabschnittes "a little lunch so slimy" sein, denn "slimy" könnte eine grammatisch falsche Form von "slim" sein, dessen ursprüngliche Bedeutung "'lax' or 'bending', hence 'oblique' or 'transverse' [...] and hence 'slender' or 'slight' in the common sense of those words" war. (Skeat 1961: 570–571) Ein dünnes, leicht gebogenes Brot in Paris könnte natürlich als ein Hinweis auf die französische Baguette gewertet werden. Aber zugleich führt das Wort "slimy" ein Bedeutungsfeld ein, das sich im Verlauf dieses und der folgenden Sätze immer deutlicher entfaltet und so auch rückwirkend die Aussage "a little lunch is a break in skate" in anderem Licht erscheinen läßt. "Slimy" bzw. "slime" ist der Hinweis auf Körperflüssigkeiten, die unter dem Eindruck einer "west end of a board line", "that which shows a little beneath" und "silk under wear" reichlich zu fließen scheinen: "it is so natural, and why is there flake, there is flake to explain exhaust." "West" ist nicht nur eine Himmelsrichtung, d.h. allgemein ein Hinweis auf eine bestimmte Richtung, sondern auch noch die Gegend, in der die Sonne untergeht und die somit in Assoziation mit dem Abend steht. Das (abendliche), letzte Ziel bzw. der Zweck ("end") einer "board line" ist also "that which shows a little beneath", das, was sich ein bißchen weiter unten zeigt. Die "board line" ist voller sexueller Andeutungen, die ursprüngliche Bedeutung von "to board" im Sinne von "to go on board a ship" erlaubt allerlei freudige Assoziationsketten und erhielt im amerikanischen Slang die Nebenbedeutungen "to make advances to" oder gar "to mount and copulate with". (Lighter 1994: I 214)




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Auch das Wort "line" ist voller sexueller Konnotationen. Für das Verb existiert sogar die Bedeutung "to copulate with", aber auch das Substantiv kann heißen: "a line intended to impress or seduce a potential romantic partner, especially a woman". (Lighter 1994: II 440) Unter diesen Umständen scheint das Ziel der "board line" nicht gerade unschuldig, so daß seidene Unterwäsche durchaus ratsam, wenn nicht gar notwendig erscheint ("necessity is a silk under wear"). Vielleicht spielt das Substantiv "necessity" auch mit der häufigen Rückführung dieses Wortes auf die lateinischen Wurzeln "ne" bzw. "non" und "cedere", deren zusammengesetzte Bedeutung Skeat mit "to give way" angibt. (Skeat 1961: 397)12 Demnach würde das Ziel der "board line" das Nachgeben und die Freigabe der seidenen Unterwäsche sein. Für all diese Zwecke ist es natürlich am schönsten bzw. am besten, wenn das, was unter der Wäsche liegt ("under wear") ein bißchen feucht ist ("That is best wet."). Unter diesen Umständen erscheinen dann weiterhin auch die Produktion von "flakes" und die anschließende Erschöpfung ("exhaust") durchaus verständlich. Angesichts dieses Bedeutungsfeldes, das sich in ganzer Pracht im zweiten Absatz von "LUNCH" entfaltet, gerät auch der oben noch eher unschuldig interpretierte Beginn des Absatzes in den Bedeutungssog der folgenden Wörter. Die "break in skates" kann natürlich auch als Ritze oder Spalte zwischen den Schenkeln gedeutet werden, dies wiederum würde dem Adjektiv "slimy" einen neuen Sinn geben, und Leser und Leserin können sich nunmehr der oralen Konnotation von "lunch" kaum noch entziehen.

Auch der Beginn des folgenden Absatzes zehrt inhaltlich von den sexuellen Andeutungen des vorangegangenen Absatzes. Die "cold hen" kann zwar auch ein kulinarischer Bestandteil des "Lunch" sein, aber das Wort "hen" trägt darüber hinaus auch noch weitere Bedeutungen in sich. Als Bezeichnung für "woman or girl" ist im Ausdruck "hen" auch die Konnotation enthalten, daß diese Frau Teil einer Gemeinschaft bzw. einer Gruppe ist, die nur aus Frauen besteht. "Hen party" ist so z.B. ein Ausdruck für "a social gathering for women only". (Lighter 1994: II 83–84) Die Bedeutung dieser Gemeinschaft von Frauen wird noch deutlicher, betrachtet man "cold hen" als bewußte Abänderung des üblicheren Ausdruckes "cold fish", einer "unfriendly or emotionally cold person." (Lighter 1994: I 455) Das Adjektiv "cold" kann sowohl negativ als auch positiv verstanden werden, in der Zusammenstellung mit "fish" hat es eher die Bedeutung "emotionslos, kalt", in einem anderen Kontext kann es aber auch den Sinn von "gelassen" annehmen. Ein "fish" kann sowohl ein "peculiar fellow, character" als auch "a prostitute [...] a woman" sein. Das Historical Dictionary of American Slang weist daraufhin, daß der Ausdruck "fish" vor allem auch unter homosexuellen Frauen üblich war, die damit heterosexuelle Frauen bezeichneten. (Lighter 1994: I 752–753)13 Vor diesem sprachhistorischen Hintergrund erscheint der Austausch von "fish" mit "hen" äußerst bedeutungsvoll, denn nach einer relativ deutlichen Schilderung eines Cunnilingus, der im Text wiederum in einen Kontext von Glück, Freiheit und "heiligen Werten" gesetzt wird, ist dies ein Hinweis auf Steins eigene sexuelle Orientierung und Identität. Womöglich verbirgt sich hinter der "cold hen" also Gertrude Stein selbst. Das im Titel enthaltene Angebot "tender buttons" im Sinne einer intimen (Selbst-)darstellung wäre dann in "LUNCH" in die Tat umgesetzt.

Doch nicht nur die vielfältige Bedeutung des Ausdruckes "cold hen" erlaubt eine thematische Verknüpfung des dritten Absatzes mit dem vorangegangenen. Auch das "towel" greift spöttisch-ironisch die Geschehnisse im zweiten Abschnitt auf und ergänzt auf nüchterne Weise die Adjektive "wet" und "slimy". Auf diese Weise leitet das Wort "towel" auch eine inhaltliche Bewegung des Textes weg von der körperlichen Betonung im zweiten Absatz hin zu einem eher seelischen Schwerpunkt im dritten Absatz über. Diese inhaltliche Verschiebung wird vor allem auch durch die Wörter "beads" und "sole"/"soul" getragen, die das Thema des "holy gauge" wieder aufgreifen und den Ton für den dritten Absatz setzen. Die Verlagerung von körperlichen hin zu geistigen bzw. seelischen Aspekten ist versinnbildlicht in der Wiederholung von "is nervous is nervous". Diese Form der Qualifizierung der "cold hen" erinnert einerseits an Steins frühere Technik der "Insistence", d.h. der Betonung der "Essenz" eines Dinges durch Wiederholung, und ist andererseits ein Hinweis auf die unterschiedliche und geradezu gegensätzliche Bedeutung des Adjektives "nervous", das sowohl eine seelische als auch eine körperliche Verfassung bezeichnen kann: Es kann sowohl "nervös" als auch in seinem ursprünglicheren Sinn "sehnig" bzw. "kraftvoll" bedeuten. (Skeat 1961: 399) Bei letzterer Variante ließe sich das Adjektiv relativ harmlos auf die Beschaffenheit des Mittagessens, das vielleicht gemeinsam mit einer Serviette ("towel") serviert wird, beziehen. Eine andere Möglichkeit, die insbesondere durch den vorangegangenen Absatz und die Konnotation von "hen" als (homosexueller) Frau naheliegt, wäre, hier die Beschreibung einer Person, einer 'real' person, vielleicht sogar Gertrude Steins, zu sehen, die – nur mit einem Handtuch bekleidet – sehnig und kraftvoll aussieht.




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Aber man könnte das Wort "towel" auch in "to[o] wel[l]" auseinanderbrechen, so daß sich als weitere Sinnmöglichkeit ergäbe, daß die "real cold hen" gar nicht so kühl bzw. gelassen ist, sondern vielmehr nervös wird, wenn ein nicht näher genanntes "es" zu gut läuft. Daß dieses "es" womöglich auf die Beziehung zwischen Gertrude Stein und Alice B. Toklas anspielt, erscheint hier immer wahrscheinlicher. In der Forschung wurde verschiedentlich darüber spekuliert, daß Tender Buttons in besonderer Weise auf diese Beziehung eingehe. (Stimpson 1977, Murphy 1992: 105) Für diese Annahme sprechen nicht nur inhaltliche Anspielungen in Text und Titel, auch zeitlich wäre eine solche Einbeziehung privater Aspekte durchaus denkbar. Tender Buttons entstand gegen Ende einer Umbruchzeit im Leben Steins, die 1907 Alice B. Toklas kennengelernt hatte.14 Zwei Jahre später zogen die beiden Frauen zusammen, und Gertrude Stein brach mit ihrem Bruder Leo, der bis dahin ihr Begleiter in Paris gewesen war. (Stimpson 1977: 134–135) "LUNCH" greift die körperlichen und seelischen Aspekte dieses neuen Lebens mit Alice B. Toklas in der Rue de Fleurus in Paris auf und stellt sie in einen Kontext von Glück, Heiligkeit und (sexueller) Freiheit.

Möglicherweile soll die "spool", d.h. die Garnspule, auf ganz traditionelle Weise diesen damals ungewöhnlichen Haushalt zweier Frauen symbolisieren. Die daran anschließenden "beads" vereinigen mehrere Bedeutungsfelder in sich. Neben der bereits erwähnten religiösen Bedeutung greifen sie zum einen in der Bedeutung "Wulst" bzw. "(Glas-, Stick-, Holz-)perlen" die Thematik des Nähens und der Garnspule und damit den Aspekt der Häuslichkeit wieder auf. Zum anderen leiten sie mit ihrer Bedeutung "Perlen" auch das Thema Kostbarkeit ein, das sich nicht nur am Ende des Textstückes in "gem" wiederfindet, sondern auch zuvor in der lateinischen Wurzel von "onion", "unio", d.h. eine große einzelne Perle, (Skeat 1961: 411–412) und vielleicht sogar im Slangausdruck "bees", also Geld, mitspielt. (Lighter 1994: I 127) Kostbarkeit, Heiligkeit und Häuslichkeit sind im Ausdruck "beads" eng verknüpft, und diese Dreieinigkeit erinnert an und ergänzt wiederum die Dreieinigkeit am Anfang des Textes "Lunch", "luck", "loose", die den "holy gauge" formte. Daß im dritten Absatz dieser "holy gauge" wieder stärker verhandelt wird, zeigt nicht zuletzt die Anhäufung vergleichender Adverbien und Adjektive wie "mostly", "extra", "nearly" und "more".

Grundlage dieses Glücks, dieses "holy gauge", ist eine außergewöhnliche ("extra") "sole". Auch hier lassen sich wieder mehrere Interpretationen für das Wort "sole" finden. Zum einen könnte es im Sinne von "Boden" so etwas wie Sicherheit, gewissermaßen also ein "doppelter Boden" bedeuten, den Stein in ihrer Beziehung mit Toklas und in ihrem gemeinsamen Haushalt gefunden hat. Zum anderen ist in der Aussprache kein Unterschied zwischen "sole" und "soul" zu hören. Die zweite ("extra") Seele im Steinschen Haushalt war Toklas, die die Basis ("sole") für das "luck in loose plaster" legte. Toklas war – ebenso wie Stein – unverheiratet, im juristischen Sprachgebrauch also "sole". "Sole" ist auch der englische Begriff für Seezunge, so daß sich hier auch wieder eine ganz konkrete Verbindung zum quasi-Titel "LUNCH" ziehen läßt. Darüber hinaus bedeutet "sole" natürlich auch "Schuhsohle", was eine Erklärung für "nearly all that shaved" bieten würde, denn dann könnte man vermuten, daß die lederne Schuhsohle abgeschabt ("shaved") wurde. Auf diese Weise würde das Bedeutungsfeld der "spool" und der "beads" weitergeführt werden. Vielleicht spielt "shaved" aber auch mit der phonetischen Nähe zum Verb "saved", das sich im Kontext der "soul" als Möglichkeit aufdrängt.




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Allerdings lassen sich diese beide Bedeutungen nur schwerlich auf semantischer Ebene mit dem folgenden Satzteil "shaved with an old mountain" verbinden. "Mountain" könnte man in Verbindung mit "sole" einfach als "Berg" lesen, aufgrund der phonetischen Nähe aber auch als "mounting" verstehen, ein Verb, dessen sexuelle Konnotation aufgrund einer gewisse Tradition im Textstück durchaus als Mögllichkeit ins Auge gefaßt werden kann. Doch es gibt noch eine weitere Möglichkeit, denn das Adjektiv "old" erinnert auch ein bißchen an den Ausdruck "old mountain dew" für Whiskey. (Lighter 1994: II 600) Auch das Verb "shaved" könnte neu in dieses Bedeutungsfeld eingeordnet werden, denn schließlich gibt es auch den Ausdruck "shaved" im Sinne von "drunk". (Wentworth u. Flexner 1960: 464) Betrunken vom Whiskey, betrunken von Sex oder gar gerettet ("s(h)aved") von einem von beiden – die Interpretationsmöglichkeiten für diesen Satzteil sind vielfältig und lassen sich nicht auf eine Aussage reduzieren. Aber als Tendenz läßt sich doch eine religiös konnotierte Trunkenheit oder auch (sexuelle) Ekstase festhalten, die durch die Beteuerung "more than that bees more than that dinner and a bunch of likes" noch weiter an Bedeutung und Wert gewinnt.

Mit dem Ausdruck "that is to say" leitet der Satz abschließend über in eine scheinbar verdeutlichende Erklärung des Vorangegangenen: "the hearts of onions aim less." Die naheliegendste Übersetzung würde hier lauten: "die Herzen der Zwiebeln bezwecken wenig". Die letzten beiden Wörter des Satzes könnten aber auch zusammengelesen werden, was zunächst als mockierende Aussage an die Adresse des Lesers und der Leserin verstanden werden könnte: es ist zwecklos ("aimless") hinter den "Herzen der Zwiebeln" einen Sinn zu vermuten. Dennoch lassen sich ein paar Überlegungen zu diesem Satz anstellen. Wie bereits weiter oben angedeutet ist das Wort "onion" lateinischen Ursprungs und verfügt über viele Bedeutungen. "Unio" kann sowohl eine Zwiebel als auch eine einzelne große Perle als auch allgemein Einheit bedeuten. (Skeat 1961: 411–412) Damit werden mehrere Motive des Textes, Essen, Kostbarkeit, aber auch die Beziehung Stein – Toklas als "Vereinigung zweier Herzen" wiederaufgegriffen. Das Suffix "-less" ist laut Etymologischem Wörterbuch verwandt mit "loose". (Skeat 1961: 337) Hiermit wäre also auch wieder eine Verbindung geschaffen zum "holy gauge" zu Beginn des Textes. Das Wort "aim" erinnert schließlich sehr stark an das französische Verb "aimer", so daß man in diesem Satzteil herauslesen kann, Stein und Toklas ("the hearts of onions") lieben ("aim") sich frei ("-less" bzw. "loose") von gesellschaftlichen Konventionen in ihrem gemeinsamen Haushalt in der Rue de Fleurus.

Im letzten Satz werden noch einmal zahlreiche Nahrungsmittel genannt, die zum Abschluß eines Lunches durchaus passen, so z.B. der Kaffee und die Marmelade ("gem"/"jam"). "Corn" im Sinne von "Mais" hat als Maiskolben die charakteristischen Farben gelb und grün, fällt jedoch in der Reihe der Nahrungsmittel ein wenig aus der Reihe. Aber vielleicht gehört zum "coffee" ja auch ein "cone sugar", ein Hutzucker, der in der Aussprache nahe beim "corn" liegt. Schließlich ließe sich noch spekulieren, ob im Wort "corn" nicht auch eine sexuelle Konnotation im Sinne von männlichem Geschlechtsteil vorhanden ist, das dann jedoch im Zusammenhang mit "cold coffee" wohl eher eine Absage erteilt bekommt. (Lighter 1994: I 488)

Mit diesem letzten Satz, dem "Nachtisch", dessen enge Verbindung von Essen/"Lunch" mit sakraler Handlung und Kostbarkeit bereits weiter oben aufgezeigt wurde, wird der Bogen zurück zum Beginn des Textstückes gespannt. Im Gegensatz zum sprudelnden, eklektischen Gas-Flüssigkeit-Gemisch in "A SELTZER BOTTLE." erscheint "LUNCH." abgerundet und in sich geschlossener. Ähnlich der aus einzelnen Gängen bestehenden Mahlzeit trägt das Textstück "Lunch" in seiner formalen Teilung in vier Absätze verschiedene Aspekte zusammen, für die "Lunch" symbolisch steht und durch die dieses Ereignis auch charakterisiert wird. Wesensmerkmal des Lunches ist seine rituelle Bedeutung für den Haushalt und die Beziehung von Stein und Toklas. Als religiös konnotiertes Ritual spielt Lunch eine zentrale Rolle in diesem Haushalt und als eine – im doppelten Sinne des Wortes – Kostbarkeit setzt er den Maßstab und steht für das Glück und die (sexuelle) Freiheit, die Gertrude Stein gemeinsam mit ihrer Lebensgefährtin Alice B. Toklas in Paris genoß.




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4 Zusammenfassung

Gertrude Stein konzipierte Tender Buttons als eine Übung in der Wahrnehmung und im Erkennen der Essenz der Dinge. Dieser epistemologische Anspruch war eng verknüpft mit einer Auseinandersetzung mit den mimetischen Fähigkeiten und Unfähigkeiten von Sprache. Als besonders problematisch erwies sich hierbei in Steins Augen das Substantiv, das aufgrund der Konventionalität von Sprache in einer bestimmten Beziehung zu einem Objekt gesehen wird, ohne daß es über eine beschreibende Fähigkeit für dieses Objekt verfügt. Als "name of something" verstellt das Substantiv daher den Blick auf die Essenz dieses Objektes. In Tender Buttons durchbricht Stein diese eingeschränkte Wahrnehmung der Substantive und offenbart deren vielschichtige, schillernde Natur. Indem sie den "name of anything" in Tender Buttons zelebriert, bricht Stein systematisch mit den Konventionen von Sprache und Wahrnehmung gleichermaßen und entkleidet die Wörter vom Mantel der Gewohnheit. Der Text zwingt uns zu einer neuen Form des Lesens, bei der die Bedeutungsvielfalt und die plastische Beschaffenheit von Wörtern, ihre Buchstabenzusammensetzung genauso wie ihre klangliche Qualität, reflektiert werden müssen. Auf diese Weise führt der Bruch mit Lese- und Sprachkonventionen, mit Grundsätzen der äußeren Form ebenso wie mit syntaktischen Regeln, auch zu einem Bruch mit Wahrnehmungsgewohnheiten, der den Blick auf die Essenz der Dinge jenseits aller Selbstverständlichkeit ermöglicht.

Tender Buttons spielt durchgehend mit dem komplexen Verhältnis von Bestimmtheit und Unbestimmtheit. Als "names of anything" drohen die Wörter ihren Bezug zu einer außertextuellen Wirklichkeit endgültig zu verlieren, aber jede mit Großbuchstaben abgesetzte Wortgruppe, jeder dieser quasi-Untertitel im Text, enthält letztlich auch wieder die Aufforderung an den Leser und die Leserin, in dieser unbestimmten Vielfalt eine bestimmte Beziehung zwischen Titel und Textstück sowie zwischen Objekt und Sprache zu suchen. Trotz aller "textual jouissance" ist Tender Buttons daher nicht als frei von Inhalt und Bedeutung zu sehen. Schon im Titel findet sich die Aufforderung an den Leser und die Leserin, Bedeutung an den Text heranzutragen: "(to) tender buttons". In diesem Sinne erweist sich der Text als eine Übung der Wahrnehmung und des Erkennens in mehrfacher Hinsicht. Tender Buttons ist ein Resultat der Wahrnehmungsübungen seiner Autorin, d.h. Steins Versuch der Rekreation der Essenz der Dinge in Sprache. Darüber hinaus muß sich aber auch der Leser und die Leserin an diesem Text im Wahrnehmen, d.h. im Lesen, üben. Auf diese Weise sind Autorin und Leser(in) gemeinsam am Akt der Erkenntnis beteiligt, erstere, indem sie die Vielfalt der Wörter, das "anything" aufzeigt und zelebriert, und letztere(r), indem er oder sie in dieser Vielfalt immer wieder auch das "something", d.h. die bestimmten Verbindungen der Wörter untereinander und der Wörter zu den Objekten sucht. Jenseits aller üblichen Lese- und Wahrnehmungsgewohnheiten schärft Tender Buttons so den Blick für die Unbestimmtheit und Vielfältigkeit der Wörter sowie für die Bestimmtheit und Essenz der Dinge gleichermaßen. Die Knöpfe im Titel stehen symbolisch für diesen zärtlichen Liebesakt der Enthüllung auf mehreren Ebenen.

Textstücke wie "A SELTZER BOTTLE." offenbaren einen neuen Umgang mit Wörtern, der auch eine neue Wahrnehmung, d.h. eine neue Lesart, erfordert, bei der der semantische Wert der Wörter ebenso wie ihre Zusammensetzung aus verschiedenen Wurzeln sowie ihre akustische Qualität berücksichtigt werden müssen. Während die Einbeziehung vieler Wörter mit einem Zischklang die Essenz der "Seltzer Bottle" auf akustischer Ebene reproduziert, imitiert die semantische Vielfalt und Uneindeutigkeit einzelner Satzabschnitte die Zusammensetzung des Soda-Wasser aus zwei grundsätzlich verschiedenen Aggregatzuständen. Der wiederholten Aufforderung auf der metatextuellen Ebene, diesem Ganzen einen Sinn zu 'unterstellen', kann der Leser und die Leserin nur mit Mühe und nicht immer mit Erfolg nachkommen. Die sprudelnde Explosivität des Wasser-Gas-Gemisches in der Flasche findet sich hier in Form einer semantischen Uneinheitlichkeit wieder, die nur schwerlich und unter Ausübung großen (Interpretations)druckes gebändigt werden kann.




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Auch das Textstück "LUNCH." arbeitet konkret mit der Plastizität des Textes, indem es mit seiner deutlichen Giederung in vier Abschnitte auch die Unterteilung der Mahlzeit in verschiedene Gänge nahelegt. Darüber hinaus offenbart dieser Text, daß der Bruch mit Sprach- und Wahrnehmungskonventionen es Stein auch ermöglicht, ungehindert die Essenz ihrer persönlichen Realität in Paris darzustellen. Steins Beziehung und Haushalt mit Alice B. Toklas war ein Bruch mit den gesellschaftlichen Konventionen der damaligen Zeit. Lesbische Sexualität wird in "LUNCH." deutlich zur Sprache gebracht, denn die Essenz des Lunches liegt in seiner rituellen Bedeutung für die Beziehung Toklas-Stein. Diese offene Darstellung der Zusammenhänge von ritualisierter, quasi-religiöser Mahlzeit, Beziehung, Sexualität, Glück und Kostbarkeit widerspricht der Vermutung einiger Forscher, in Tender Buttons gäbe es einen lesbischen Subtext. Vielmehr ist das Thema lesbische Sexualität ein gleichwertiger Bestandteil innerhalb einer neuen Vielfältigkeit, die die Ebene der Sprache sowie die der Wirklichkeit gleichermaßen betrifft. Der mimetische Anspruch des Textes bleibt somit grundsätzlich erhalten, wobei sich das komplexe Verständnis von Wahrnehmung und Wirklichkeit in einem komplexen Umgang mit Sprache in Tender Buttons widerspiegelt.



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Anmerkungen

1 (Stein 1997) Im folgenden im Text zitiert als TB.

2 In der älteren Forschung ist dieser Stilwandel häufig mit den beiden von Jakobson untersuchten Formen von Sprachstörung, der Aphasie, in Verbindung gebracht worden. Während bei der sogenannten "Similarity Disorder" der Kranke die Tendenz hat, in seiner Sprache auf Substantive zu verzichten und neben den Verben insbesondere auf Pronomen und pronominale Adverbien zurückgreift, geschieht bei der sogenannten "Contiguity Disorder" genau das Gegenteil: Substantive überwiegen, aber die Syntax droht unter diesem Einfluß in "Worthaufen" zu kollabieren. Abgesehen von der grundsätzlichen Problematik, eine pathologisch bedingte Sprachstörung mit den Sprachkunstwerken von Gertrude Stein zu vergleichen, mag dieser Vergleich vielleicht hilfreich sein, um sich zunächst der gegensätzlichen Bewegungen beider Textarten, einerseits auf der syntaktischen und andererseits auf der semantischen Achse der Sprache, zu vergegenwärtigen. Dennoch läßt sich m.E. damit allein noch nicht das Phänomen der Tender Buttons erklären, denn gerade auch die Syntax spielt in den einzelnen Stücken eine große Rolle. Ungrammatische Ausdrücke werden von Stein nicht willkürlich oder gar zwanghaft eingesetzt, sondern dienen der Erneuerung von Sprache und Wahrnehmung. Stein "uses grammar to break open worn-out words." (Kaufmann 1994: 54) Gerade diesem Zusammenspiel von nicht-grammatischer Syntax und Erneuerung und Erweiterung der Bedeutungen von Substantiven kann der Vergleich mit Jakobsons Aphasie-Patienten nicht gerecht werden. Interpretationen von Tender Buttons, die mit dem Aphasie-Vergleich arbeiten, sind u.a. Jo-Anna Isaak 1990: 24–50, Randa K. Dubnick 1990: 63–90 und David Lodge 1990: 101–104.




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3 So lautet zumindestens die deutsche Übersetzung von Tender Buttons. (Stein 1991)

4 Das Historical Dictionary of American Slang listet sogar zwei sexuelle Bedeutungen des Wortes "button". Bereits 1900 wurde der Ausdruck "button" für Klitoris verzeichnet, angesichts der vorliegenden Pluralform "buttons" erscheint jedoch die zweite sexuelle Bedeutung "a woman's nipples" plausibler. (Lighter 1994: I 336)

5 Wie auch Michael Kaufmann in seiner Studie heraushebt, benutzte Gertrude Stein beim Schreiben von Tender Buttons ausgiebig etymologische Wörterbücher, "to uncover new meanings and restore those effaced by habit." (Kaufmann 1994: 53) Vgl. hierzu auch Steins eigene Aussage: "Language [...] is an intellectual recreation [...]. So every one must stay with the language their language has come to be spoken and written and which has in it all the history of its intellectual recreation." (Stein 1967b: 140)

6 Vgl. z.B.z.B. den Ausdruck "tender price", "Angebotspreis". Folgt man diesem Bedeutungsfeld des Wortes "tender", so erscheint der Titel auch als ironischer Kommentar auf die Finanzwelt, in der das Wort "tender" zumeist im Zusammenhang mit einem Zahlungsmittel gebraucht wird. Stein bietet kein Geld, sondern nur Knöpfe.

7 Vgl. die Ausdrücke "to break loose" oder "to run loose", "to be on the loose" und "loose woman."

8 Während "shaved" in der Aussprache relativ nah bei "saved" liegt, geht die etymologische Wurzel des Wortes "west" auf "vesper", d.h. Abendstern, zurück, der wiederum der kirchlichen Zeremonie den Namen gab. (Skeat 1961: 690)

9 Vgl. "skate" hier im Sinne von "to side or glide along; to move lightly and rapidly". Vgl. auch die Ausdrücke "to put/get your skates on" mit der Bedeutung "to hurry up" und "to skate over", "to pass by or over hurriedly". (Simpson u. Weiner 1989: XV 583–585)

10 Vgl. hierzu die etymologische Herleitung von "skates": "As to the sense, the words "scatches" and "skates" merely mean "shanks" [...]. (Skeat 1961: 570–571)

11 Da diese "bees" häufig als "quilting bees" oder "sewing bees" stattfanden, knüpft dieses Wort an die zuvor genannten Nähaccessoires "spool" und "beads" an. Zugleich handelt es sich bei diesen "bees" traditionell eher um Frauenveranstaltungen, was wiederum eine Verbindung zu "hen" bzw. "hen party" herstellt. (Simpson, Weiner 1989: XI 54) Zur Bedeutung von "hen" siehe auch weiter unten im Text.

12 Skeat kritisiert diese übliche Ableitung allerdings als unbefriedigend.

13 Der erste Nachweis für die Bedeutung "prostitute" stammt von 1890–91. Dagegen stammt der erste Nachweis von "fish" als Bezeichnung für heterosexuelle Frauen aus dem Gay Girl's Guide von 1949. Dennoch ist es m.E. durchaus möglich, daß diese Redewendung schon wesentlich länger und somit vielleicht sogar vor 1914 existierte.

14 Der genaue Zeitpunkt des Entstehens von Tender Buttons ist unklar. Gertrude Stein schreibt in ihrer Autobiography of Alice B. Toklas, Tender Buttons sei während ihres gemeinsamen Urlaubes mit Alice B. Toklas 1913 in Spanien entstanden. (Stein 1966: 126) Dagegen vermutet Marianne DeKoven basierend auf Stilanalyse und der Analyse des Manuskriptes eine Entstehungszeit zwischen 1911 und 1913. (DeKoven 1983: 75–76)

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