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Sebastian Neumeister (Berlin)



Das Bild des Vesuv in der europäischen Literatur zur Zeit Leopardis


Vesuvius as a symbol in the european literature in the time of Leopardi
The Vesuvius vulcano is a subject of special interest for preromantic and romantic poets and a favorite destination of travellers between 1750 and 1850. Nature, which had been an object of contemplation ever since Petrarca's ascend to the Mount Ventoux in Provence, now turns into the subject of scientific exploration as well as aesthetic appreciation. Texts by Goethe, Alexander von Humboldt, Madame de Staël, Chateaubriand, Martínez de la Rosa, Shelley, Platen and Leopardi (La ginestra) illustrate the importance of the Vesuvius volcano as a symbol of transitoriness and revival of earthly life.


Die Geschichte des Berges und seiner Besteigung als Gegenstand der Literatur muß, wenn nicht in der Antike, so mit Francesco Petrarca beginnen. Petrarca hat mit dem Brief, in dem er seinem Freund Francesco Dionigi von der Besteigung des Mont Ventoux in der Provence am 26. April 1336 berichtet, eine neue Art der Naturbeschreibung begründet.1 Sie unterscheidet sich grundlegend sowohl von der pragmatischen Form, der geographischen Beschreibung oder dem Reisebericht, wie von der literarischen, z.B. der bukolischen Form. Petrarcas Bericht von der Besteigung des Mont Ventoux ist, der klassischen Bildung des gelehrten Humanisten entsprechend, zwischen zwei Texten angesiedelt, zwischen Livius, der im 40. Buch seiner Römischen Geschichte die Besteigung des Berges Haemus durch Philipp von Makedonien festhält2, und Augustinus, dessen Autobiographie, die Bekenntnisse, Petrarca auf dem Gipfel des Berges zur Selbsterkenntnis verhelfen. Die Stelle ist bekannt:

Et eunt homines admirari alta montium et ingentes fluctus maris et latissimos lapsus fluminum et oceani ambitum et gyros siderum, et relinquunt se ipsos. (Und die Menschen gehen hin und bewundern die hohen Berge und die mächtigen Meeresströmungen und die tiefen Flüsse und die Weite des Meeres und den Lauf der Sterne und vernachlässigen sich selbst.)3

Naturbeobachtung und moralische Reflexion treten bei Petrarca zusammen, vermittelt durch den sensus moralis des Geschehens, die Gleichsetzung der äußeren Erlebnisse mit der eigenen vita. Allerdings muß man sich fragen, ob die Deutung der Szene auf dem Gipfel als eine philosophische Belehrung eine Konzession an die zeitgenössische Auffassung von solchen Unternehmungen ist oder aber umgekehrt, ob die Bergbesteigung ihren eigentlichen Sinn wirklich erst in der moralischen Applikation findet. Die Beantwortung dieser Frage entscheidet über die Modernität des Textes, zumindest aber gibt sie ihm, wenn man beide Positionen nebeneinander zuläßt, den Rang eines Schwellentextes zwischen Mittelalter und Neuzeit.




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Eindeutiger dagegen ist der Bezug zur Natur zu bestimmen, den das Unternehmen Petrarcas verrät. Auch der Gegensatz, der hier akut wird, ist von grundsätzlicher Bedeutung: es ist der Gegensatz von Praxis und Theorie. Praxis ist die Wahrnehmung und die Nutzung der Natur zu vorgegebenen Zwecken wie sie, seit es Menschen gibt und bis in die Herrschaft der modernen Naturwissenschaften hinein, unser Verhalten gegenüber der Natur vorrangig bestimmt. Theorie dagegen ist, wie schon das Wort sagt, nach griechischer Anschauung die Schau der Natur ohne eine bestimmte Absicht, der Versuch, die sichtbare Wirklichkeit an sich oder aber als Ausdruck und Realisierung einer göttlichen Weltordnung zu verstehen.

Petrarca wird mit der praktischen Nutzung der Natur in der Person eines Landmannes konfrontiert, der ihm am Fuße des Berges von der Besteigung abrät. Doch erstaunlicherweise verfällt nicht die Ansicht des Bauern der Verurteilung, sondern die eigene Aktion, die Erkundung der Natur um ihrer selbst willen, aber ohne philosophische Besinnung auf die eigene Existenz und das Weltganze. Denn was Petrarca den Berg besteigen läßt, ist ein Motiv, das Augustinus in seinen Confessiones zusammen mit der ungehemmten Sexualität und dem Ehrgeiz als Sünde verurteilt hatte4, die concupiscentia oculorum oder, allgemeiner gesprochen, die curiositas, die Neugier.5 Petrarcas Brief, der im übrigen, wie die Forschung gezeigt hat, ein humanistisches Kunstgebilde ist, kein authentischer Erlebnisbericht, handelt von der Neugier. Er ist wegen dieses Motivs, der Schau um des Schauens willens, die sich ganz dem Gegenstand überläßt, als Beginn der modernen Naturbetrachtung gedeutet worden. Daran ist richtig, daß hier die sinnliche Wahrnehmung der Natur zum ersten Mal von ihrer praktischen Nutzung, aber auch von ihrer moralischen oder philosophischen Deutung unterschieden wird. In der antiken Naturbetrachtung dagegen fielen die Wahrnehmung der Natur und ihre Auffassung als göttlich beseelte Ganzheit als Kosmos bekanntlich noch zusammen, eine Einheit, die sich fast 2000 Jahre hindurch gehalten hat. Dies ändert sich grundlegend, sobald die Natur jenseits ihrer immer gegebenen praktischen Kultivierung und Ausbeutung der naturwissenschaftlichen Analyse einerseits und der ästhetischen Betrachtung andererseits ausgesetzt wird. Und hier hat Petrarcas cupiditas videndi trotz der aufgesetzten moralphilosophischen Wendung am Ende durchaus ihren besonderen Platz, als Ansatz zur objektbezogenen Schau, doch noch ohne ästhetisches Bewußtsein.

Ein eindrucksvoll personalisiertes Beispiel für das Auseinanderbrechen der Sicht auf die Natur in zwei entgegengesetzte Perspektiven bietet in der Neuzeit die zweite der drei Vesuv-Besteigungen, die Goethe 1787 während seiner Italienischen Reise unternimmt. Er überredet den Freund Wilhelm Tischbein, den Maler des berühmten Bildes Goethe in der Campagna, ihn auf den Berg zu begleiten:

Obgleich ungern, doch aus treuer Geselligkeit, begleitete Tischbein mich heute auf den Vesuv. Ihm, dem bildenden Künstler, der sich nur immer mit den schönsten Menschen- und Tierformen beschäftigt, ja das Ungeformte selbst, Felsen und Landschaften, durch Sinn und Geschmack vermenschlicht, ihm wird eine solche furchtbare, ungestalte Aufhäufung, die sich immer wieder selbst verzehrt und allem Schönheitsgefühl den Krieg ankündigt, ganz abscheulich vorkommen.6




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Auf dem Gipfel angekommen, bleibt daher der Maler zurück, während Goethe, von der wissenschaftlichen Neugier getrieben, mit einem Führer den Gang bis zum Krater wagt, ein, wie sich zeigt, äußerst gefährliches Unternehmen. Allerdings lohnt es offenbar den Einsatz nicht recht:

Hier standen wir an dem ungeheuren Rachen, dessen Rauch eine leise Luft von uns ablenkte, aber zugleich das Innere des Schlundes verhüllte, der ringsum aus tausend Ritzen dampfte. Durch einen Zwischenraum des Qualmes erblickte man hie und da geborstene Felsenwände. Der Anblick war weder unterrichtend noch erfreulich, aber eben deswegen, weil man nichts sah, verweilte man, um etwa herauszusehen.7

"Herauszusehen" – ein Wort, das den Naturwissenschaftler kennzeichnet, den der Erkenntnisdrang auf den Gipfel treibt und sogar Gefahren in Kauf nehmen läßt. Der Malerfreund dagegen sieht angesichts der Monstruosität des Berges keinerlei Anlaß, sich zu exponieren:

Tischbein fühlte sich nunmehr auf dem Berge noch verdrießlicher, da dieses Ungetüm, nicht zufrieden, häßlich zu sein, auch noch gefährlich werden wollte.8

Bei Tischbein siegt die Ästhetik eindeutig über die wissenschaftliche, aber auch über die einfache Neugier – er bleibt zurück.

Betrachten wir einen zweiten Fall, fast noch aus derselben Epoche. Er ist interessant, weil sich darin ein halbes Jahrhundert nach Goethes italienischer Reise die beiden Perspektiven noch einmal vereinen, auch wenn zunächst deutlich die naturwissenschaftliche überwiegt. Als Alexander von Humboldt im Dezember 1822 als Begleiter des preußischen Königs in Neapel weilt, besteigt er wie Goethe dreimal den Vesuv. Er unternimmt die jeweils zehn bis zwölf Stunden dauernden Fußmärsche der eigenen Bekundung nach als ein planmäßig vorgehender Naturwissenschaftler, um nämlich "alle die Messungen zu Ende zu führen, die ich mir vorgenommen hatte"9, eine Zielsetzung, der mit einer allerdings noch weit weniger ausgeprägten Präzision schon die Beobachtungen dienten, die Lord William Hamilton, britischer Botschafter in Neapel, zwischen 1764 und 1800 für die Royal Society in London sammelte.

Ganz anders verfährt Alexander von Humboldt in seinem großen "Entwurf einer physischen Weltbeschreibung", dem fünfbändigen Kosmos, ein Werk, das 1845-62 in Paris erschien. Hier entwickelt Alexander von Humboldt in der Mitte des 19. Jahrhunderts noch einmal den Gedanken, daß der Anblick der Natur auch "unabhängig von der Einsicht in das Wirken der Kräfte" ein Genuß sei, der sich mit der Ahnung großer Zusammenhänge verbinde.10 So lesen wir im Vorwort des Kosmos, das den bezeichnenden Titel "Einleitende Bemerkungen über die Verschiedenartigkeit des Naturgenusses und eine wissenschaftliche Ergründung der Weltgesetze" trägt:

Überall durchdringt uns das Gefühl der freien Natur, ein dumpfes Ahnen ihres "Bestehens nach inneren ewigen Gesetzen". In solchen Anregungen ruht eine geheimnisvolle Kraft; sie sind erheiternd und lindernd, stärken und erfrischen den ermüdeten Geist, besänftigen oft das Gemüt, wenn es schmerzlich in seinen Tiefen erschüttert oder vom wilden Drange der Leidenschaften bewegt ist. Was ihnen Ernstes und Feierliches beiwohnt, entspringt aus dem fast bewußlosen Gefühle höherer Ordnung und innerer Gesetzmäßigkeit der Natur; aus dem Eindruck ewig wiederkehrender Gebilde, wo in dem Besondersten des Organismus das Allgemeine sich spiegelt; aus dem Kontraste zwischen dem sittlich Unendlichen und der eigenen Beschränktheit, der wir zu entfliehen streben. 11




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Zugleich hat das Naturerlebnis, darauf hat Joachim Ritter in seinem wegweisenden Artikel "Landschaft" hingewiesen, für Alexander von Humboldt aber auch eine ästhetische Seite:

Um die Natur in ihrer ganzen erhabenen Größe zu schildern, darf man nicht bei den äußeren Erscheinungen allein verweilen; die Natur muß auch dargestellt werden, wie sie sich im Inneren des Menschen abspiegelt, wie sie durch diesen Reflex bald das Nebelland physischer Mythen mit anmutigen Gestalten füllt, bald den edlen Keim darstellender Kunstthätigkeit entfaltet.12

Alexander von Humboldt steht an der Grenze zweier Epochen. Und er ist, das zeichnet ihn aus, fähig, zugleich zurückzublicken und voraus. Vielleicht können wir erst heute erkennen, daß das, was er fordert, von größter Modernität ist. Alexander von Humboldt mahnt uns, die Natur im Zeitalter der Naturwissenschaften und der Technik vor ihrer Reifizierung und Objektivierung zu retten, im Blick auf eine Ganzheit, die es in der philosophischen Meditation, in Kunst und Literatur zu bewahren gilt. Der ästhetische Modus ist dabei nicht, wie noch Friedrich Schiller in seinen Briefen Über die ästhetische Erziehung des Menschen meinte, der Lohn einer Freiheit, die der Mensch sich durch die Unterwerfung der Natur verschafft hat und die die ästhetische Haltung erst ermöglicht, nein, er etabliert sich als Darstellungsform zwischen dem deskriptiven Verfahren der Naturwissenschaft und dem begrifflichen Vorgehen der Philosophie. Nur so kann offenbar jene Einheit der Wahrnehmung noch gerettet werden, die das naive Naturbild der Alten charakterisierte und die seit dem Sieg der Naturwissenschaften unwiederbringlich verloren scheint.

Der Anblick des Kraters hatte noch1805 die durch Italien reisende Madame de Staël zu Überlegungen inspiriert, die, wie man zwei Jahre später in ihrem Roman Corinne ou l'Italie nachlesen kann, fast theologischer Natur sind:

Tout ce qui entoure le volcan rappelle l'enfer, et les descriptions des poëtes sont sans doute empruntées de ces lieux. C'est là que l'on conçoit comment les hommes ont cru à l'existence d'un génie malfaisant qui contrariait les desseins de la Providence. On a dû se demander, en contemplant un tel séjour, si la bonté seule présidait aux phénomènes de la création, ou bien si quelque principe caché forçait la nature, comme l'homme, à la ferocité.13

Madame de Staël sucht und sieht noch eine Bedeutung im Schauspiel. das ihr der Vesuv bietet, sie beschreibt den schrecklichen Ort und entfernt sich doch sogleich geistig wieder von ihm. Ähnlich verhält sich auch ihr Zeitgenosse René de Chateaubriand, der große französische Vertreter romantischer Naturbetrachtung. Er, der im Jahre1804 den Vesuv bestiegen hat, widmet sich jedoch der Naturbeschreibung als der neuen, von der Naturdeutung abgesetzten Aufgabe der Literatur mit verstärkter Aufmerksamkeit. Denn zum einen inspiriert der Krater des Vesuvs auch ihn zu Reflexionen über die menschliche Existenz, die nicht nur noch einmal auf Augustinus Bezug nehmen, sondern auch exakt denen gleichen, die Madame de Staël und dann, dreißig Jahre später auch noch Giacomo Leopardi in seinem Gedicht Der Ginster (La Ginestra) anstellen wird:




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On peut faire ici des réflexions philosophiques, et prendre en pitié les choses humaines. Qu'est-ce en effet que ces révolutions si fameuses des empires, auprès de ces accidents de la nature, qui changent la face de la terre et des mers? Heureux du moins, si les hommes n'employaient pas à se tourmenter mutuellement le peu de jours qu'ils ont à passer ensemble! Le Vésuve n'a pas ouvert une seule fois ses abîmes pour dévorer les cités, que ses fureurs n'aient surpris les peuples au milieu du sang ou les larmes. Quels sont les premiers signes de civilisation, les premières marques du passage des hommes que l'on a retrouvés sous les cendres éteintes du volcan? Des instruments de supplice, des squelettes enchaînés.14

Es ist kaum nötig, an die entsprechenden Verse bei Leopardi zu erinnern. Zuvor jedoch, beim Studium des Gästebuches, das ein Einsiedler in seiner Klause unterhalb des Gipfels führt, stellt Chateaubriand eine Überlegung an, die, gerade weil sie bezeugt, wie stark das Naturphänomen auf den Betrachter wirkt, den Akzent der Reflexion ins Ästhetische verlagert:

Ce volcan n'a donc inspiré rien de remarquable aux voyageurs; cela me confirme dans une idée que j'ai depuis longtemps: les très grands sujets, comme les très grands objets, sont peu propres à faire naître les grandes pensées; leur grandeur étant, pour ainsi dire, en évidence, tout ce qu'on ajoute au-delà du fait ne sert qu'à le rapetisser. Le nascitur ridiculus mus est vrai de toutes les montagnes. 15

Wie nun sieht die neue ästhetische Beschäftigung mit dem Vesuv aus? Der Vesuv gehört selbstverständlich seit der Antike, seit Strabo, Plinius und Martial zur Grundausstattung jeder bildlichen oder literarischen Beschreibung der neapolitanischen Landschaft, und dies nicht erst seit dem 18. Jahrhundert.16 Seine majestätische Schönheit bildet schon immer den Hintergrund und den Kontrast zum lebhaften Treiben an seinem Fuße und auf den Straßen und Plätzen Neapels, als Inbegriff der Natur, die sich fremd gegenüber der menschlichen Zivilisation zeigt, ja die sie bedroht und innerhalb von Sekunden vernichten kann. Der Vesuv verkörpert insofern wie das Göttliche das Erhabene, das Sublime, das den Menschen auf seine Bedingtheit verweist, ihm aber andererseits auch die Chance zur Reflexion, zur Erhebung und damit zur Katharsis bietet.17 Der unbekannte Autor Pseudo-Longinus hatte schon im 3. Jahrhundert in seiner Abhandlung Über das Erhabene der Dichtung und nicht der Philosophie die Aufgabe zugewiesen, diese Erfahrung auszusprechen und darzustellen. Die ästhetische Theorie der Aufklärung will allerdings mehr: sie bindet das Erhabene ein in ein System seiner Bewältigung, sei es wie in der englischen Theorie der ersten Jahrhunderthälfte (Addison und Burke), daß der Horror durch das Gefühl der Sicherheit, das der Betrachter dabei aus der Distanz empfindet, zum delight umgewandelt wird, sei es, daß er wie im deutschen Idealismus, bei Kant, Herder und Schiller, den Menschen auf die eigene moralische Größe hinweist, die ihn noch immer der physischen Übermacht der Natur überlegen sein läßt – eine Vorstellung, die wir im Zeitalter der Umweltzerstörung allerdings wohl stark revidieren müssen.




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Auch die Dichter des 19. Jahrhunderts lösen sich mehr und mehr von solchen Konstruktionen. Sie gestalten die Begegnung mit der Natur, in diesem Falle mit dem ebenso schönen wie gefährlichen Vesuv, mit den Mitteln der Poesie, d.h. metaphorisch statt diskursiv. Wichtiger als die geistesgeschichtliche Einordnung ist daher im Blick auf Leopardis Gedicht La Ginestra zunächst die literarische Tradition der Naturdarstellung in Eklogen und Idyllen. Sie hat bekanntlich gerade im 18. Jahrhundert ihre hohe Zeit und bereitet das romantische Naturerlebnis vor. Ein gutes Beispiel dafür, daß diese Tradition auch noch zu Lebzeiten Leopardis wirksam ist, bietet der andalusische Dramatiker Francisco Martínez de la Rosa. Er hat nach einer Italienreise mehrere Gedichte geschrieben, in denen der Vesuv eine Rolle spielt.18 Dabei fällt auf, daß sich der Dichter dem Berg nicht nähert oder ihn gar besteigt, sondern ihn immer nur von Ferne in seine Dichtung einbezieht, aus der Mitte der vertrauten menschlichen Gemeinschaft heraus. In dem Gedicht La boda de Portici etwa erscheint der Vesuv im Rahmen eines szenischen Hochzeitsgesanges (Hymenaeus),er dient, so scheint es, nur dazu, dem Gedicht im mehrfachen Wechsel heller und düsterer Farben zum gattungsüblichen happy ending zu verhelfen. Das Fest, das mit der Schilderung der freudigen Erwartungen des Bräutigams beginnt und mit dem Einzug der Festgemeinschaft fortgesetzt wird, gerät dabei zweimal ins Stocken. Zunächst durch ein unter der Lava begrabenes Haus, das der Bräutigam entdeckt und auf das eigene Glück bezieht:

allí la muerte dura
apagó con un soplo su ventura! ...
(dort beendete der unerbittliche Tod
mit einem Hauch sein Glück!)

Das ist nichts anderes als das alte Thema "Mitten im Leben sind wir vom Tod umfangen." Dann steigert der Dichter den Kontrast: der ferne Vesuv wird aktiv und droht die Idylle zu vernichten. Ein Mädchen versetzt die Festgemeinschaft in Panik, weil es eine Rauchsäule über dem Vulkan sieht:

del Vesubio en la cima descubriendo
negra columna que a los cielos sube

Das Fest endet im Schrecken. Die Braut fällt in Ohnmacht und es bedarf längerer Bemühungen der Mutter und des Bräutigams, um das Hochzeitsgedicht gemäß dem Gesetz der Gattung doch noch zu seinem glücklichen Ende zu führen, überstrahlt vom tröstenden Licht des Sonnenaufgangs.

Bei Leopardi – um diesen danebenzustellen – ist das Fest, wie wir etwa in dem Gedicht La sera del dì di festa (Der Abend des Feiertags) lesen können, nur eine trügerische Unterbrechung des Alltags, ja eine Illusion:

Ecco è fuggito
Il dì festivo, ed al festivo il giorno
Volgar succede, e se ne porta il tempo
Ogni umano accidente.19




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Bei Martínez de la Rosa dagegen ist es, dem Gesetz der Gattung folgend, gerade das freudige Ereignis, das sich gegen die Bedrohung behauptet: der Vesuv wird nicht zur konkreten Gefahr. Eine Genre-Szene also, nicht mehr – der Vesuv selbst als Naturphänomen hat darin keinen Platz.

Auch in zwei anderen Gedichten bemüht Martínez de la Rosa das Motiv der Vergänglichkeit. In der Epístola al duque de Frías und in La vuelta a la patria geht es um die Spuren, die der Ausbruch des Vesuvs in Pompeji hinterlassen hat und die daran geknüpften Gedanken,

graves reflexiones
en mi agitada mente despertaban.

Das erinnert an den Beginn von Shelleys berühmter Ode to Naples, in der der Vesuv ebenfalls von Pompej aus dargestellt wird, hier allerdings als ferne Drohung eher geahnt als gesehen:

I stood within the City disinterred;
And heard the autumnal leaves like light footfalls
Of spirits passing through the streets; and heard
The mountain's slumberous voice at intervals
Thrill through those roofless halls;
The oracular thunder penetrating shook
The listening soul in my suspended blood;
I felt that Earth out of her deep heart spoke –

Doch Martínez de la Rosa blickt in beiden Fällen nicht von Pompeji und Italien, sondern von Spanien aus auf den Vesuv. Die Epístola al duque de Frías verrät ja schon im Titel, daß es sich hier um ein Gelegenheitsgedicht handelt. Und auch in der Vuelta al patria wird der Vulkanausbruch nicht auf die zwei römischen Städte am Fuße des Berges bezogen, sondern auf die Alhambra, das Symbol der Vaterstadt Granada, die der Dichter in einer Schreckensvision in Trümmern sieht. Der Vesuv selbst ist nur ein Topos, ein Symbol zum Ausdruck der eigenen Gefühle, nicht aber er selbst, ja, sein Krater dient nur dazu, aus dem Munde des Dichters den Namen Granadas zu hören und ihn als Echo zurückzuwerfen. Das romantische Subjekt die Welt läßt anders, als man vielleicht erwarten könnte, der Natur keinen Raum zur Entfaltung einer dem Menschen entzogenen Eigenständigkeit.

Ganz anders der deutsche Dichter August von Platen, der Leopardi 1834 in Neapel noch persönlich kennengelernt hat. Er ist ein Außenseiter der deutschen Literaturgeschichte, denn er läßt sowohl die klassizistische Welt des 18. Jahrhunderts als auch die romantische Subjektivierung des frühen 19. Jahrhunderts hinter sich. Stattdessen eröffnet er den Weg zu einer Betrachtungsweise der Natur, die durchaus ungewöhnlich ist.




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August von Platen hat dem Vesuv mehrfach einen Platz in seinen Gedichten eingeräumt. In der Ekloge Bilder Neapels etwa erscheint der Vesuv als in Rauch gehüllter Berg über der Stadt, die mit ihrem bunten Leben wie auf den Genre-Bildern des 18. Jahrhunderts den Vordergrund beherrscht:

Stattlich ziehn von den Hügeln herab sich die Wohnungen
Nach dem Ufer, und flach, wie ein Garten, erscheint das Dach:
Dort nun magst du die See von der Höh und den Berg besehn,
Der sein aschiges Haupt in den eigenen Dampf verbirgt,
Dort auch Rosen und Reben erziehn und der Aloe
Starken Wuchs, und genießen die Kühle des Morgenwinds.

Umso erstaunlicher wirkt das Bild, das August von Platen zehn Jahre später in seiner Ode Der Vesuv im Dezember 1830 zeichnet. Denn hier tritt der Berg in seiner ganzen elementaren Gewalt selbst hervor:

Der Vesuv im Dezember 1830

Schön und glanzreich ist des bewegten Meeres
Wellenschlag, wann tobenden Lärms es anbraust;
Doch dem Feur ist kein Element vergleichbar
Weder an Allmacht,

Noch an Reiz fürs Auge. Bezeug es Jeder,
Der zum Rand abschüssiger Kratertiefe,
Während Nacht einhüllt die Natur, mit Vorwitz
Staunend emporklimmt,

Wo im Sturmschritt rollender Donner machtvoll
Aus dem anwuchsdrohenden, steilen Kegel
Fort und fort auffahren in goldner Unzahl
Flammige Steine,

Deren Wucht, durch Gluten und Dampf geschleudert,
Bald umher auf aschige Höhn Rubine
Reichlich sät, bald auch von des Kraters schroffen
Wänden hinabrollt:

Während still, aus nächtlichem Grund, die Lava
Quillt. – Des Rauchs tiefschattige Wolk umdüstert,
Holder Mond, dein ruhiges, friedenreiches
Silbernes Antlitz.

Auch August von Platen hat wie so viele Reisende des 18. und 19. Jahrhunderts vor ihm den Vesuv bestiegen. Und wie Goethe und Alexander von Humboldt versucht auch er als Dichter, den Eindruck, den ihm der Berg aus nächster Nähe gemacht hat, objektiv wiederzugeben, als ein Naturbeobachter eher denn als dichterisches Subjekt. Der Mensch, der den Berghang "mit Vorwitz staunend emporklimmt", nimmt, wie diese Formulierung zeigt, wie Goethe die Gefahren bewußt in Kauf, die mit einer solchen Besteigung verbunden sind. Doch er hat offenbar kein naturkundliches Interesse mehr und ist auch fähig, auf die üblichen Reflexionen und Kommentare zu verzichten. Der Lohn ist im Vergleich zu den philosophischen Belehrungen, wie sie etwa Petrarca oder Chateaubriand aus dem Erleben des Berges zieht, erstaunlich gering – ein "Reiz für's Auge", nicht mehr. Das ästhetische Moment war sicherlich immer auch ein Leitmotiv des Vesuv-Tourismus, der sich im 18. Jahrhundert entwickelt hatte und der im 19. Jahrhundert zur Mode wird. Doch selten dominiert der sinnliche Eindruck so stark wie hier. Auslöser ist eine Schönheit jenseits aller menschlichen Begriffe, eine Schönheit, die ihre Entsprechung nur noch in einem anderen Naturschauspiel hat, dem Meer, das in den ersten beiden Zeilen des Gedichtes aufscheint. Nicht umsonst mißt sich so die Schönheit des Vesuvs an Gold und Rubinen, nicht umsonst liefert die still quellende Lava den samtenen Untergrund: ein kostbares Stilleben entsteht, eine "nature morte", wie die Franzosen sagen. Der Mond, der über der Szene leuchtet und von den Rauchwolken des Vulkans umdüstert wird, liefert das passende Dekor dazu: auch er ist von kristalliner Schönheit.




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August von Platen, der Klassizist unter den deutschen Dichtern seiner Zeit und ungeliebte Antipode der Romantiker, bemüht sich in der Ode Der Vesuv im Dezember 1830, dem Berg und seinen vulkanischen Vorgängen gerecht zu werden, in poetischer, nicht in wissenschaftlicher Form. Zur Methode dieses Versuchs gehört nicht nur die gleichwohl sehr genaue Beschreibung des Phänomens im Gedicht, sondern auch, daß der Mensch und seine Gefühlswelt darin keine Rolle mehr haben. Er erscheint wie auf den Gemälden Caspar David Friedrichs, wenn überhaupt, so nur noch als eine winzige Statistenfigur, die "mit Vorwitz staunend emporklimmt", ohne Verbindung zu dem großen Naturschauspiel, dessen stummer Zeuge sie ist. Hier wird auch die Rolle des Mondes klar, der über der Szene steht: er bestätigt nur die Unbedeutendheit und die Isolierung des Menschen inmitten der tellurischen Natur. Einzig der Mond ist fähig, durch die vorübergehende Trübung hindurch der Gewalt des Feuers standzuhalten und es in seiner Erhabenheit zu bestätigen.

Hier ist auch der Punkt, um an Leopardi und sein Gedicht Der Ginster (La Ginestra) anzuknüpfen. Leopardis Ginestra ist zusammen mit dem "roseau pensant", dem "denkenden Schilfrohr" in Pascals Pensées vielleicht die philosophischste Pflanze des Abendlandes. Sie ist auch weitaus besser als der Mensch geeignet, den Schrecken des Vesuvs zu überleben und läßt wie der Mond den Menschen zum Statisten einer Natur werden, die seiner nicht bedarf. Leopardi hat sein Gedicht dem Ginster gewidmet, nicht dem Vesuv, auch wenn dieser als Ortsbestimmung am Beginn des Gedichtes steht:

Qui su l'arida schiena
del formidabil monte
sterminator Vesevo,
la qual null'altro allegra arbor né fiore,
tuoi cespi solitari intorno spargi,
odorata ginestra,
contenta dei deserti.
(Hier auf dem kahlen Rücken
des unheilvollen Berges,
des schrecklichen Vesuv,
den sonst kein Baum und keine Blumen schmücken,
hier breitest du dich aus, einsamer Ginster,
und deinen Duft verströmst du,
des öden Lands zufrieden.)

Der Dichter dringt über die "arida schiena" nicht bis zum Gipfel vor, er beschreibt nicht, wie Petrarca, wie Goethe, wie August von Platen, was ihn dort oben erwartet. Leopardis Zeitgenossen hatten die Besteigung des Vesuvs gewagt, weil sie ein präzises Vorhaben verfolgten und die Konfrontation mit dem Vesuv geradezu suchten. Der Vulkan ist ihnen entweder ein Objekt wissenschaftlicher Analyse oder ein Anlaß ästhetischer Bewunderung, ganz im Einklang mit der zu Beginn erwähnten Aufspaltung, die die Moderne mit dem Naturbegriff der alten Welt vornimmt. Auch Petrarca hatte die Besteigung des Berges gegen den Rat des Landmannes am Fuße des Mont Ventoux gewagt. Allerdings ist Petrarca immer noch vormodern, bereut er doch unter dem Eindruck des Augustinus-Wortes die Besteigung des Berges.

Deshalb scheidet er auch im Zorn mit sich selbst vom Gipfel, der ihm zwar den großen Rundblick ermöglicht, doch zugleich klein erscheint gegenüber der Erkenntnis, die man aus der Lektüre der christlichen Klassiker gewinnen kann.




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Leopardi wahrt also Distanz zum Gipfel des Vesuvs, er begnügt sich mit der Beschreibung der Landschaft am Fuße des Berges:

questi campi cosparsi
di ceneri infeconde, e ricoperti
dell'impietrata lava,
che sotto i passi al peregrin risona.
(Die Hänge hier, bestreut
mit unfruchtbarer Asche und bedeckt
vom steingewordnen Feuer,
das unterm Schritt des Fremden widerhallt.)

Sie waren einst bewohnt und mit Gärten, Villen, Städten geschmückt und sie gehören nun den Schlangen, den Hasen und dem Ginster. Denn der Vulkan steht nun nicht mehr wie noch in der französischen Encyclopédie des

18. Jahrhunderts für eine gute Natur, die durch periodische Ausbrüche dafür sorgt, daß die tellurischen Spannungen abgebaut werden und aus der Asche neue Fruchtbarkeit erwächst20, nein, er ist eine Mahnung für das Menschengeschlecht,

dell'uman seme,
cui la dura nutrice, ov'ei men teme,
con lieve moto in un momento annulla
in parte, e può con moti
poco men lievi ancor subitamente
annichilare in tutto.
(des menschlichen Geschlechts,
seine arge Mutter das unvermutet
in einem Augenblick
mit einem leichten Stoß zum Teil vernichten
und mit kaum weniger leichten Stößen auch auf einmal
durchaus vertilgen kann.)

Mit dieser Natur kann man nicht von gleich zu gleich sprechen, wenn man nicht wie der Isländer in einer der Fabeln der Operette morali riskieren will, im Wüstensand zu verenden, ohne auch nur einer Antwort gewürdigt zu werden. Leopardi ist vormodern und postmodern zugleich, er maßt sich nicht wie die Dichter und Denker seit der Aufklärung an, die Natur rational, wissenschaftlich oder technisch beherrschen zu können, ja er macht, wie wir wissen, gerade den Fortschrittswahn in durchaus ironischer Weise auch zum Thema seines letzten großen Gedichtes:

Dipinte in queste rive
son dell'umana gente
le magnifiche sorti e progressive.
(Die Hänge hier berichten
von jenem uns gewährten
"fortschreitenden und herrlichen Geschick".)




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Die Einsicht in die Schwäche des Menschen angesichts einer gewalttätigen Natur ist es aber gerade auch, aus der Leopardi die Stärke für seinen Dialog mit der Natur gewinnt. Wenn er sich gegen sie stellt, so um die Menschen vor der Selbstzerstörung zu bewahren, in die sie sich durch eine falsche, auf sie selbst gerichtete Schuldzuweisung hineinmanœuvriert haben, und ihnen die wahre Schuldige zu benennen, die Natur:

dà la colpa a quella
che veramente è rea, che de' mortali
madre è di parto e di voler matrigna.
(jene klagt er an,
die einzig schuldig ist, die uns gebar
als Mutter und die Kinder von sich stößt.)

Hier, in der Anklage der Natur, geht Leopardi deutlich über das hinaus, was Madame de Staël und Chateaubriand zum selben Thema gesagt hatten. Zugleich aber, und hier liegt der Grund für die Wahl des Ginsters und nicht des Vesuvs als Leitmotiv des Gedichtes, ist Leopardi überzeugt von der Aussichtslosigkeit dieses Krieges. Der Ginster hat nichts gemein mit dem Optimismus des 18. Jahrhunderts und der Blindheit des romantischen

Subjekts. Vor allem aber trennen ihn Welten vom Fortschrittshochmut des 19. Jahrhunderts, des Zeitalters der beginnenden Technik. Der Ginster akzeptiert klaglos und ohne Anspruch auf eine eigene Individualität das Schicksal, das ihm eine gefühllose Natur bestimmt hat:

E tu, lenta ginestra,
che di selve odorate
queste campagne dispogliate adorni,
anche tu presto alla crudel possanza
soccomberai del sotterraneo foco,
che ritornando al loco
già noto, stenderà l'avaro lembo
su tue molli foreste. E piegherai
sotto il fascio mortal non renitente
il tuo capo innocente.
(Du aber, zäher Ginster,
der dieses wüste Land
mit duftendem Gebüsch verschönt – auch du
wirst bald der mitleidlosen Macht des Feuers,
des unterirdisch schwelenden, erliegen,
das zum bekannten Orte
von neuem streben und in deine Zweige
begierig greifen wird. Und ohne Sträuben
wirst du dein schuldlos Haupt
dem Todesstreiche beugen.)

Leopardi kehrt in derGinestra wieder zu einer einheitlichen Naturbetrachtung zurück und damit zu einer Natur, die in jedem ihrer Elemente, in der Ginestra wie im Vesuv, das Schicksal des Menschen widerspiegelt und enthält. Leopardi begnügt sich jedoch nicht mehr mit einer nur poetischen Symbolik, er spricht nicht mehr analogisch-zeichenhaft, sondern aus der Erkenntnis ewig und allgemein geltender Naturgesetze heraus. Weder ist die Natur bei ihm ein unbeseeltes Objekt naturwissenschaftlicher Analysen noch ist sie ein bloßes Schauspiel, das ästhetische Bewunderung verdient wie bei August von Platen.




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Für Leopardi, der die beginnende technische Moderne in seinen Dialogen und Gedichten mit skeptischen bis höhnischen Kommentaren begleitet, sind die von den Lavaströmen verwüsteten Hänge des Vesuvs dagegen der Spiegel, den sich eine angeblich so überaus erfolgreiche Menschheit vorhalten sollte:

Qui mira e qui ti specchia,
secol superbo e sciocco.

Sie zeigen uns unsere Ohnmacht als Naturwesen, aber – geradezu in Umkehrung der Theorien der Aufklärung – auch die moralische Größe, die wir erreichen können, wenn wir diese Ohnmacht akzeptieren.21 Leopardi richtet, um Erkenntnis zu gewinnen, den Blick nicht wie die Naturwissenschaftler allein ins Diesseits oder wie Petrarca schließlich doch ins Jenseits, er richtet ihn auf die Natur als Ganzes und die in ihrer Mitte angesiedelte Zivilisation. Hier, in der Schicksalsgemeinschaft eines ständig von der Vernichtung bedrohten Lebens erkennt und beschreibt er das Gesetz der Natur, die Lehre

del formidabil monte
sterminator Vesevo.



Anmerkungen:


1 Zur umfangreichen Literatur über diesen Brief Petrarcas vgl. zuletzt J. Pfeiffer, "Petrarca und der Mont Ventoux (Zu Familiares IV,1)", Germanisch-Romanische Monatsschrift 47 (1997), 1-24, und die bibliographischen Angaben ebd., Anm. 2.

2 "Cupido eum ceperat in verticem Haemi montis ascendi, quia vulgatae opinioni crediderat, Ponticem simul et Hadriaticum mare, et Histrum amnem, et Alpes conspici posse." (Ab urbe condita, XL, 21)

3 Augustinus, Confessiones, X, 8, 15.

4 Confessiones, X, 37, 60.

5 Vgl. ebd., X, 30, 41 ss., sowie H. Blumenberg, Der Prozeß der theoretischen Neugierde, Frankfurt am Main, Suhrkamp, 21973 (Teil drei von Die Legitimität der Neuzeit), und St. Matuschek, Über das Staunen, Tübingen, Niemeyer, 1991 (über Petrarca: 101 ss.).

6 Italienische Reise, in: Goethes Werke (Hamburger Ausgabe), Bd. XI, Hamburg, Christian Wegner, 1950, 192 (6. März 1787)

7 Ebd., 194.

8 Ebd., 193.

9 Brief an den Bruder Wilhelm (im Original französisch, hier zitiert nach E. HAUFE, ed., Deutsche Briefe aus Italien. Von Winckelmann bis Gregorovius, Hamburg, Christian Wegner, 1965, 242.




PhiN-Beiheft 1/1998: 49


10 Vgl. dazu grundlegend J. Ritter, "Landschaft" (1962), in: id., Subjektivität, Frankfurt am Main, Suhrkamp, 1974, 41-163.

11 A. von Humboldt, Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung, Stuttgart, Cotta, 1889, Bd. I, 5.

12 Ebd., Bd. II, 4.

13 Madame de Staël, Corinne ou l'Italie, Paris, Firmin-Didot, 1875, 271 (Buch XIII, Kap. 1).

14 René de Chateaubriand, Voyage en Italie, in: id., Œuvres romanesques et voyages, Paris, Gallimard, 1969 (Bibl. de la Pléiade), Bd. II, 1466.

15 15 Ebd., 1469.

16 Vgl. dazu neben der reichen Pompeij-Literatur u.a. D. Richter, ed., Der brennende Berg. Geschichten vom Vesuv, Köln, Eugen Diederichs, 1986; P. Gasparini e S. Musella, Un viaggio al Vesuvio: il Vesuvio visto attraverso diari, lettere e resoconti di viaggiatori, Napoli, Liguori, 1991; außerdem A. Placanica, Vesuvio, Sorrento, Di Mauro, 1994.

17 Vgl. Historisches Wörterbuch der Philosophie, ed. J. Ritter, II, Basel/Stuttgart, Schwabe, 1972, s.v. "Erhaben, das Erhabene", Kap. II, 2 (R. Homann).

18 F. Martínez de la Rosa, Obras, Madrid, Atlas, 1962 (BAE 149), Bd. II, 168 ss., 182 ss., 186 s.

19 G. Leopardi, Poesie e prose, ed. A. M. Rigoni, Milano, Mondadori, 1988 (I Meridiani), Bd. I., 50 s.

20 Encyclopédie ou dictionnaire raisonné des sciences, des arts et des métiers, s.v. "Volcans" (1765); vgl. dazu Richter, a.a.O., 112 s.

21 Vgl. dazu aus philosophischer Sicht Emanuele Severino, Il nulla e la poesia. Alla fine dell'età della tecnica: Leopardi, Milano, Rizzoli, 1990; id., Cosa arcana e stupenda. L'Occidente e Leopardi, Milano, Rizzoli, 1997.