Giacomo Francia (1486-1557)
Die Keuschheit
Inv. Nr. 271

Giacomo Francia entstammt einer Bologneser Goldschmied- und Malerfamilie. Sein Vater, Francesco di Marco di Giacomo Raibolini, gen. Francia, war der Begründer dieser Künstlerdynastie, dessen ruhige und ausgewogene Kompositionen sich bereits dem Stil der Hochrenaissance näherten und in Bologna eine große Nachfolge fanden, die auch von seinen beiden Söhnen Giacomo und Giulio weitergeleitet wurden. Beide Brüder arbeiteten viel gemeinsam, doch scheint die hier vorgestellte Darstellung der "Keuschheit" allein von Giacomo ausgeführt worden zu sein.

Die als Dreiviertelfigur gegebene Personifikation der "Keuschheit" ist nur in eine feine, transparente Gaze gehüllt, durch die ihr jugendlicher nackter Körper eher betont als verhüllt wird. In ihrer Rechten hält sie einen die Ehe symbolisierenden Palmenzweig, in der Linken, als Zeichen der Keuschheit, einen spiegelblanken Schild, in den das Interieur eines Gemachs reflektiert wird. Den Hintergrund bildet eine Landschaft, wo links die "Keuschheit" in einem von Einhörnern gezogenen und von Genien begleiteten Wagen einem Palast entgegenfährt; rechts überquert eine Barke mit den Unkeuschen den Höllenfluß, um dem Feuerschlunde übergeben zu werden.

Laut Morelli (Lermolieff) fertigte Giacomo das in seiner Frühzeit entstandene Bild nach einer Zeichnung seines Vaters Francesco an. Das üblicherweise Giacomo zugeschriebene Gemälde wurde erst kürzlich dem Oeuvre seines Bruders Giulio zugeordnet (Negro/Roio, 1998, S. 257). Eine nicht überzeugende Behauptung. Im Inventar des Kardinal Benedetto Giustiniani von 1621 wird es unter der Nummer 153 wie folgt erwähnt: "Un quadro senza cornice da una mezza figura nuda con un manto de velo ligato alla spalla et al braccio."

Hans-Ulrich Kessler