Joachim von Sandrart (1606 - 1688)
Der Tod Senecas
Inv. Nr. 445

Das Gemälde Sandrarts wird in dem von Luigi Salerno entdeckten und von ihm 1960 publizierten Inventar des Marchese Giustiniani von 1638 unter der Nummer 156 erwähnt: Un quadro sopraporto grande con la morte di Seneca nel bagno di notte dipinto in tela alta palmi 8 lar. 10 e -in circa si crede di mano di Gioacchino Sandrart". Das Bild befand sich im Palast Giustinianis in der "stanza grande" in Gesellschaft mit drei weiteren Sopraporten. Diese waren: Poussins (1594 -1655) berühmter "Bethlehemitische Kindermord", heute im Musee Conde in Chantilly, der "Tod Ciceros" von Francois Perrier (1590 -1659), daß jetzt im Schloß von Bad ornburg von der Höhe aufbewahrt wird sowie der "Tod des Sokrates" von Giusto Fiammingo (1579-1681), das wie das hier besprochene Bild zu den Verlusten der Gemäldegalerie gehört (siehe Inv. Nr. 449).
Joachim von Sandrart taucht den Moment von Senecas Freitod in eine düstere Szenerie. Umgeben von seinen Angehörigen und den Soldaten Neros hat sich der siebzigjährige Philosoph nahezu unbekleidet auf einen Stuhl niedergelassen, um sich die Adern am Fuß öffnen zu lassen. Sein halb verschattetes Gesicht ist zum Betrachter gewendet, wobei er die Rechte sprechend erhebt. Die letzten Worte des Stoikers hält einer seiner vor ihm knienden Schüler fest. Die vortreffliche, von Caravaggio beeinflußte Lichtinszenierung unterstreicht mit seinen unruhig changierenden HeIl-Dunkel-Werten die Dramatik des Geschehens.
Der in Frankfurt am Main geborene Kosmopolit Joachim von Sandrart gehörte zu den schillerndsten Persönlichkeiten des 17. Jahrhunderts. Neben seiner Tätigkeit als Maler - er war u.a. ein Schüler Egidius Sadelers (1570 - 1629) in Prag und des Utrechter Carravagisten Gerrit van Honthorst (1592 - 1656) - trat er auch als Kunstliterat in Erscheinung. Seine 1675 als Autobiographie erschienene "Teutsche Akademie" (lat. Ausgabe 1683) bietet eine unerschöpfliche Quelle zum künstlerischen Ambiente seiner Epoche. Darin beschreibt der lange Zeit in Rom, im Palast des Marchese Vincenzo Giustiniani lebende Sandrart auch die vermeintlichen Umstände, die zu der Entstehung des hier gezeigten Bildes führten. In der Kirche unser lieben Frau von Constantinopoli in Rom waren zwölf Bilder für den spanischen König ausgestellt, die von den bedeutendsten Malern Roms stammten. Laut Jane Costello (1950) handelte es sich hierbei allerdings um eine am 10. Juni 1631 von Kardinal Francesco Barberini organisierte Ausstellung in Santa Maria di Costantinopoli, bei dem dem neuen spanischen Gesandten zwei von seinen Vorgänger, dem Conde Monterey , bestellten Bilder, gezeigt werden sollten. Diese waren Guido Renis (1575 -1642) "Entführung der Helena" und Guercinos (1591 - 1666) "Tod der Dido". Unter den weiteren, dem König angebotenen Werken soll sich auch Sandrarts "Tod des Senecas" befunden haben. Da dieses Werk allerdings eine Datierung in das Jahr 1635 aufweist, stellt sich die Frage, ob eventuell eine frühere Version des Bildes existiert oder ob Sandrart sie in seiner Autobiographie mit seinem "Tod des Cato" verwechselt habe (Klemm 1986).

Hans-Ulrich Kessler