Caravaggio (Caravaggio 1571 - Porto Ercole 1610)
Caravaggios 1602 entstandenes Gemälde des Evangelisten
Matthäus mit dem Engel war ursprünglich für den Hauptaltar der
Cappella Contarelli in San Luigi dei Francesi in Rom bestimmt. Im Gegensatz zu
seinen kurz zuvor um 1599-1600 ausgeführten Seitenbildern für dieselbe
Kapelle mit der Berufung und dem Martyrium des Heiligen wurde dieses Altarwerk
jedoch von der Kongregation mit der Begründung abgelehnt, daß der Evangelist
nicht seiner Würde angemessen dargestellt wäre und somit den im Konzil
von Trient vereinbarten Kriterien widerspräche. Anstößig wurde
vor allem empfunden, daß Caravaggio den Heiligen als einen des Schreibens
nicht mächtigen Bauern darstelle. Tatsächlich verlangte die überlieferte
Tradition einen Evangelisten, der durch die göttliche Eingebung den Text
niederschrieb und nicht einen, dessen Hand bei der Formulierung des Evangeliums
vom Engel geführt werden müsse. Nicht göttliche Erkenntnis spiegelt
sein Antlitz, sondern starre Ungläubigkeit über die von ihm geschriebenen
Zeilen. Gleichermaßen störend empfand man die nackten, dreckigen Füße
des Evangelisten, die, bei Anbringung des Bildes über der Mensa, mit ihrer
plastischen, der Leinwand durchbrechenden Wirkung, dem vor dem Altar die Messe
zelebrierenden Priester direkt vor dem Gesicht geschwebt hätten. Obgleich
das Bild abgelehnt wurde - der parteiische Vitenschreiber Baglione berichtet sogar,
daß niemand das Bild mochte - besticht es nicht allein durch seinen malerische
Qualität und seiner realistischen Darstellungsweise mit den dramaturgisch
eingesetzten Hell-Dunkel-Effekten, sondern auch, daß hier Matthäus
das Evangelium auf hebräisch schreibt, so wie es die Quellen bezeugen. In
diesem Detail folgte Caravaggio den tridentinischen Beschlüssen, die eine
historisch getreue Darstellung forderten. Diese Qualitäten mußte auch
der Marchese Vincenzo Giustiniani erkannt haben. Er kaufte das Bild der Kongregation
mit der Bedingung ab, daß Caravaggio die Gelegenheit bekommt, eine zweite
Fassung zu fertigen. Während das aus der Sammlung Giustiniani stammende Berliner
Bild seit dem letzten Krieg verschollen ist, hängt Caravaggios zweite Version
desselben Themas noch heute über dem Altar der Cappella Contarelli. Hans-Ulrich
Kessler
Der
Evangelist Matthäus mit dem Engel
Inv. Nr. 365