Caravaggio (Caravaggio 1571 - Porto Ercole 1610)
Das Gemälde zeigt das Brustbild einer jungen Frau, die in ihrer rechten,
zum Dekolleté geführten Hand einen in Blüte stehenden Orangenzweig
hält. Ihre dunklen Augen blicken leicht nach rechts am Betrachter vorbei
und zwar derart, als ob sie beim ermüdenden Modellsitzen gerade für
einen kurzen Augenblick durch etwas abgelenkt worden sei. Es ist gerade das Festhalten
eines momentanen, unkonzentrierten Augenblicks, der dem Porträt seine Spannung
verleiht. Eine Spannung, die auch dadurch erzeugt wird, da die Ursache ihrer Ablenkung
dem Betrachter verschlossen bleibt. Stilistisch läßt sich das Bild
mit Caravaggios um 1598 entstandenen Darstellung der hl. Katharina von Alexandrien
aus der Sammlung Thyssen Bornemisza in Madrid vergleichen. Es ist nicht nur der
dunkle Hintergrund, vor dem sich die Frauen plastisch abheben, es ist vor allem
auch ihre Tracht mit der weiten, weißen Bluse und den mit Trägern versehenen
Kleid, das, wie Hermann Voss 1923 zuerst bemerkte, auch die gleiche ornamentale
Stickerei aufweist. In dem kurz nach dem Tode des Marchese
Vincenzo Giustiniani angelegtem Inventar von 1638 sind zwei Eintragungen überliefert,
deren Beschreibungen auf das hier gezeigte Bild zutreffen: zunächst "un quadro
di mezza figura Ritratto di una Cortigiana famosa, depinto in tela ancora imperfetta
alto pal. 4 - larg. 3 con sua cornice negra" und zum anderen "un altro quadro
con un ritratto di una Cortigiana chiamata Filide in tela da testa con sua cornice
negra di mano di Michelang.o da Caravaggio". Hermann Voss
hielt es jedoch für möglich, daß es sich bei der Dargestellten
auch um die Römerin Catarina Campani handeln könne, der Gattin des Onorio
Longhi, deren Bildnis 1656 im Testament ihres Sohnes, dem Architekten Martino
Longhi d.J. aufgeführt wird. Obgleich Onorio Longhi mit Caravaggio engstens
befreundet gewesen war, scheint die These wenig plausibel. Denn wie gelangt ein
1656 noch im Familienbesitz der Longhi befindliches Gemälde in die Sammlung
Giustiniani, zumal der Marchese Vincenzo bereits 1638 verstarb? Vielmehr scheint
es sich bei der Porträtierten um eine der beiden im Inventar von 1638 genannten
Kurtisanen zu handeln. Hans-Ulrich Kessler
Brustbild
einer jungen Frau
Inv. Nr. 356