Werkstatt des Tiziano Vecellio, genannt Tizian (um 1488/90 Pieve di Cadore
- 1576 Venedig)
Venus und Amor mit einem Spiegel (Kopie)
Berlin, Staatliche Museen zu Berlin, Gemäldegalerie,
Kat. Nr. 189.
In dem von Luigi Salerno 1960 veröffentlichten Inventar der Sammlung
Giustiniani aus dem Jahre 1638 heißt es: "Un quadro di una Venere mezza
figura ignuda con un Amorino figura intiera che tiene uno specchio dipinto in
tela alto pal. 5 larg. 5 di mano di Titiano con cornice di noce." (Salerno
1960, II, No. 21, S. 136). Entgegen der im Inventar vertretenen Zuschreibung
ist lediglich die ursprüngliche Bildidee Tizian selbst zuzuweisen, seine
Autorschaft des Berliner Gemäldes kann jedoch ausgeschlossen werden. Es
handelt sich vielmehr um eine Werkstattarbeit, die zu den unzähligen Versionen
nach Tizians eigenhändiger "Venus mit dem Spiegel" (Washington, National
Gallery of Art, Mellon Collection) gezählt werden kann. Im Gegensatz zu
dem Bild in Washington, in dem der Amorknabe einen Kranz aus Blumen auf das
Haupt der Liebesgöttin setzt, hält Venus in dem Berliner Gemälde
wie auch in der Stockholmer Fassung den Bogen, Zeichen ihrer Macht über
die menschliche Liebe, in ihrer Rechten. Die Göttin ist dem Typus der Venus
Pudica angenähert, die eine Hand keusch bedeckend vor die Brust hält
und scheinbar somit ihre reizvolle Blöße den Blicken unliebsamer
Betrachter zu entziehen sucht. Währenddessen betrachtet sie sich in einem
von Amor gehaltenen Spiegel, dessen doppelte Funktion für das Bild sogleich
deutlich wird. Zum einen vermag der Spiegel den Mangel der Malerei zu überwinden,
nur zweidimensionale Figuren abbilden zu können, da er dem Betrachter zusätzlich
einen Blick auf den Rücken der Venus gewährt. Zugleich wird jedoch
die schamhafte Geste der Göttin relativiert, zeigt der Spiegel doch deutlich
ihren den Betrachter fixierenden Blick, der verrät, daß ihre Wirkung
auf den Betrachtenden sie durchaus nicht kalt läßt.
Iris Wenderholm
Bibliographische Hinweise:
Leinwand, 120 x 105 cm.
Erworben mit der Sammlung Giustiniani 1815, erster Vorbesitzer Marchese Vincenzo
Giustiniani.
Salerno (Inv. 1638) 1960, II, No. 21. Landon 1812, S. 95, Abb. 44, 1.
- Delaroche 1812, S. 35, No. 37. Verzeichniß 1883, S. 477, No.
189.
Stephan Poglayen-Neuwall: "Titians Pictures of the Toilet of Venus and
their copies", in: Art Bulletin 16 (1934), S. 358-384. Harold
E. Wethey, The Paintings of Titian. III. The mythological and historical
Paintings, London 1975, cat. 51. Ausst. Kat. Titian. Prince of
Painters, hg. v. Susanna Biadene, Venedig 1990 (Palazzo Ducale, Venedig
2.6.-7.10. 1990; National Gallery of Art, Washington 28.10.1990-27.1.1991),
cat. 51