© Staatliche Museen zu Berlin, Preußischer Kulturbesitz

 

Guido Reni (1575 Bologna - 1642 Bologna), zugeschrieben

Johannes der Evangelist

Leinwand, 179 x 239 cm.
Erworben 1815 mit der Sammlung Giustiniani. Erster Vorbesitzer Kardinal Benedetto Giustiniani.
Danesi Squarzina (Inv. 1621) 1997, I, S. 784, No. 52. – Salerno (Inv. 1638) 1960, II, S. 103, No. 181. – Landon 1812, S. 15, Abb. 4. – Delaroche 1812, No. 22.

Berlin, Staatliche Museen zu Berlin, Gemäldegalerie; Kat. Nr. 257.

Das Berliner Gemälde zeigt Johannes den Evangelisten, der von dem Adler, seinem Symboltier, emporgetragen wird. Er wird im Zustand göttlicher Inspiration dargestellt, wie er eben ansetzt, die Offenbarung auf eine Tafel niederzuschreiben. In der Landschaft unterhalb des Wolkenbandes ist vermutlich die Insel Patmos zu erkennen, wo der Legenda aurea nach Johannes die Apokalypse verfaßte. Von der ungewöhnlichen Komposition hat sich, wie bereits Landon erwähnt, eine zweite Version im Museum von Versailles erhalten hat, die jedoch im Gegensatz zu dem Berliner Bild auf Holz gemalt ist. Die Bildidee wurde von der früheren Forschung Raffael zugeschrieben, eine Hypothese, die jedoch kaum zutreffen dürfte. Vielmehr scheint es sich um einen Entwurf des Raffael-Schülers Innocenzo da Imola zu handeln, deren Berliner Version vermutlich Guido Reni ausführte.
Das Gemälde wird bereits in dem Inventar des Kardinals Benedetto Giustiniani aus dem Jahre 1621 erwähnt: "Un quadro grande di San Giovanni Evangelista in aria con l’aquila e cornice intagliate e dorate." Die Zuschreibung an Guido Reni nach einem Entwurf Raffaels erscheint bereits im Inventar von 1638: "Un quadro grande di S. Gio. Evangelista portato dall’Aquila sopra nuovole, dipinto in tela, alto palmi 12 lar. 9 in circa copia de Raffaele d’Urbino di mano di Guido Reni con sua cornice tutta intagliata, e parte dorata." Auch wenn er den Maler mit Raffael falsch benennt erfaßt Landon den Kern der Bildaussage, als er in seiner ungewöhnlich langen Auseinandersetzung mit dem Gemälde schreibt, daß "[…] Raphaël a voulu peindre S. Jean composant l’Apocalypse, et livré à l’inspiration divine." Landon nennt die neuartige Bildidee, den Evangelisten auf seinem Symboltier schwebend zu zeigen, gemäß der frühneuzeitlichen Kunsttheorie eine licence, womit er auf die künstlerische Freiheit bei der Gestaltung eines Sujets anspielt. Diese Bemerkung ist richtig, kennt das Thema doch keine ikonographischen Vorbilder. Lediglich das vermutlich von Raffael selbst angefertigte Bild einer Vision des Hesekiel, das sich heute im Florentiner Palazzo Pitti befindet, zeigt in ähnlicher Form die bildliche Umsetzung einer Vision.

Iris Wenderholm

Bibliographischer Hinweise:
E. Baccheschi, L’opera completa di Guido Reni, Mailand 1971, S. 88, cat. 29. – S. Pepper, Guido Reni, Oxford 1984, Abb. 64, App. II, B20, S. 304.