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Selbstreflexion
 
 
 

 

Journalistische Selbstreflexion - „Einheit aus Eigenwillen und Eigenartigen“

Theodor Wolff hat sich nie gedrängt gefühlt, sein journalistisches Tun einmal systematisch und mit methodologischem Anspruch darzustellen oder sein Schreiben in der Öffentlichkeit zu reflektieren. Selbst als Willy Haas ihn aufforderte, für die Literarische Welt im Kreis von weiteren Chefredakteuren einmal über das „Zeitungsmachen“ zu berichten, hat er sich nur widerwillig dazu bereit erklärt, einige allgemeine Gedanken niederzuschreiben. Sie handeln das eigentliche Thema kurz ab, um sich ausführlicher mit der „Organisation der Geister“ auseinander zu setzen, denn das Ideal bestehe darin, erklärte Theodor Wolff, verschiedene Individualitäten um sich zu versammeln, Nivellierung zu vermeiden, allein die freie Entfaltung ihrer Persönlichkeit in ihrer Redaktion zu ermöglichen und „aus all den Eigenwilligen und Eigenartigen eine Einheit zu bilden“. Dieser Haltung müsse jeglicher Versuch widerstreben, alle Mitarbeiter auf einen Stil und das Blatt damit auf einen Jargon zu trimmen. Theodor Wolff vermutete nicht zu Unrecht, dass solche qualvolle Manier lediglich geeignet sei, Gedankendürre zu verbergen.

hAndererseits kannte er die schwierige Aufgabe des Journalisten, im täglichen Kampf um Beachtung und Erfolg originell, farbig und eindrucksvoll sein zu müssen. Seichter sprachlicher Manierismus konnte für ihn jedoch ebenso wenig eine Lösung des Problems sein, wie das Hineinwuchern der schreienden Rhetorik aus den Überschriften in die Texte. „Es empfiehlt sich“, mutmaßte der in der Literarischen Welt, „in einer Zeitung Schweres und Nüchternes gefällig vorzutragen, wenn man hurtig vorbeieilende, zerstreute Leser für eine Idee gewinnen will. Aber fürchterlich ist die wässrige, plätschernde Anmut gewisser Plauderkünstler, und an die Wand der Redaktionszimmer sollte man das Goethesche Wort schreiben, dass ’getretener Quark breit wird, nicht stark’.“

Theodor Wolff fand seine Vorbilder für einen angemessenen journalistischen Stil zwar sowohl in der deutschen Klassik wie in der Gegenwartspublizistik, doch sah er sie in ungleich größerer Anzahl unter den Franzosen. Er nennt ausdrücklich Anatole France, Emile Zola, Georges Clemenceau und Stendhal mit seinen „petits faits“, Goethe, Kleist, den Fürsten Bülow, Gustav Freytag und Victor Auburtin. Anatole France bewunderte er ausdrücklich, denn dieses Sprachgenie arbeite behutsam wie ein Diamantenschleifer und überlasse beim Niederschreiben nichts dem Zufall. Theodor Wolffs Urteil über den Politiker Clemenceau schwankte erheblich, allein seine Bewunderung für den Journalisten und Redner blieb bestehen, denn Clemenceau besitze eine Reihe von Eigenschaften, die urfranzösisch seien: „den blendenden Witz, die schneidende Ironie, den verblüffenden Elan, die künstlerische und gesellschaftliche Verfeinerung, das kalte Feuer und die rastlose, sprudelnde Lebendigkeit“. Er sei einer der geistreichen und blendendsten Redner. In der parlamentarischen Debatte brillierte er als geschicktester und als fortreißendster unter seinen Kollegen. Der Fluss seiner Sprache, den amüsanten Wechsel seiner Einfälle, die „frische Verve“ seiner Angriffe und nicht zuletzt die logische Schärfe seiner Beweisführung gestatteten es, ihn den größten polemischen Journalisten unserer Tage zu nennen.

Im Weltkrieg 1914/18 hatte Theodor Wolff den annexionistischen Kurs der Reichsregierungen kritisiert. Die Schwert-Rhetorik Willems II. und die Phrasen der zahlreichen literarischen „Schreibtisch-Helden“ ließen ihn sogar einmal über den Sinn internationaler Journalistenschulen nachdenken. Doch letztlich hielt er von dergleichen Unternehmungen nicht viel. Er setzte auf die Kraft des Phantasiereichtums sowie auf die Unkonventionalität des Talents und dessen Willen zum Ausharren. Denn auch auf das Genie warte nicht die Sternstunde. Sie müsse vorbereitet werden. Wer die Zweifler besiegen und die Lauen gewinnen wolle, der benötige einen kräftigen und langen Atem. Eine Melodie müsse oftmals vorgetragen werden; variationsreich und so ausdauernd, bis sich das Ohr an den neuen Ton gewöhnt habe.

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  © PROF. DR. BERND SÖSEMANN - AKiP 2007