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Weimarer Republik
 
 
 

 

Weimarer Republik

Gegen die Zensoren

Eine sprachlich und inhaltlich ungewöhnlich scharf ablehnende Position nahm Theodor Wolff im Sommer 1918 ein, als er Houston Stewart Chamberlains philosophischen Spekulationen über den „germanischen“ und „semitischen“ Geist und dessen deutschen Nachschwätzer ironisierte. Ebenso wenig wollte er Zweifel an seiner Einschätzung der geistig-kulturellen und damit auch der politischen Situation in der Weimarer Republik aufkommen lassen, als er das zeitweilige Aufführungsverbot des in den USA verfilmten Romas „Im Westen nichts Neues“ von Erich Maria Remarque angriff. Die Oberzensurstelle hatte die Aufführung am 11. Dezember 1930 verboten. Vier Tage später erinnerte sich Theodor Wolff in der heftigen und politisch polarisierenden Debatte an die Zeit der Dreyfus-Ausfeinandersetzungen in Frankreich. Nur allzu deutlich standen ihm bei der Niederschrift seine historischen Erfahrungen vor Augen, mit einem weithin gesellschaftsfähigen Antisemitismus und Rassismus, mit den Hetzkampagnen von Nationaldemagogen und mit einem, wie er meinte, schimpflichen Opportunismus liberaler Politiker. Deshalb appellierte er an die verantwortlichen Minister und Parteiführer Deutschlands, nicht mit dem Vertrauen des Volkes zu spielen. Es dürften demokratische Einstellungen und Haltungen nicht diffamiert, staatliche Institutionen nicht noch zusätzlich geschwächt und dadurch den wahren Feinden des freiheitlichen Rechtsstaates auch noch entgegengearbeitet werden. Der historische und Zitaten gesättigte Rückgriff Theodor Wolffs geht dabei über Frankreich hinaus, sogar noch über das Nibelungenlied hinweg – der Film verzichte auf den hochpathetischen Recken-Ton von „Helden lobebäre“ – und schließlich über die griechische Götterwelt bis hin zu Hannibal: „Hannibal ist immer vor den Toren geblieben, weil der römische Senat die Energie zum Widerstand aufbrachte, und in Frankreich hat die Faust Waldeck-Rousseaus schließlich die nationalsozialistischen Republikfeinde gebändigt – bei uns will man offenbar den Nationalsozialismus überwinden, indem man ihm zu der wundervollen Siegesreklame verhilft. (...) Das Verbot ist erfolgt, nachdem zwei Minister, deren Ämter, deren zuständigen Mitarbeiter den Film für absolut einwandfrei erklärt hatten, zu der Einsicht gelangt sind, daß weiterer Widerstand gefährlich für ihre ministerielle Stellung sei. Selbstverständlich sagen sie, sie hätten den Film erst jetzt kennengelernt und hätten sich nun nachträglich, sehr opportun, von seiner Schädlichkeit und von der Blindheit ihrer Ressortbeamten überzeugt. Wie haben hier das Reichskabinett Brüning so weit unterstützt, wie das einer unabhängigen Zeitung möglich ist, und wir hätten den Wunsch, das auch weiterhin tun zu können. Erstens, weil die Persönlichkeit Brünings Anspruch auf Sympathie und Achtung hat, und zweitens weil in der Weiterexistenz dieses Kabinetts einstweilen die einzige Möglichkeit liegt, die radikale Flut wieder verebben zu lassen oder zurückzudämmen. (...) Die plötzliche und momentane Furcht, die ein achtzehnjähriger Krieger bei der ersten Begegnung mit dem Sperrfeuer empfindet, schädigt das Ansehen Deutschlands nicht. Aber das Ansehen Deutschlands und das Ansehen der Regierung werden sehr geschädigt, wenn die vollen Hosen Ministerhosen sind.“

In der politischen Euphorie des November 1918 gründete Theodor Wolff zusammen mit Alfred Weber und Otto Fischbeck die „Deutsche Demokratische Partei“, kritisierte in den folgenden Monaten die Räteherrschaft und die Annahme des Versailler Vertrags und griff später sogar noch mit zwei anspruchsvollen Büchern in die Debatte über die Kriegsschuldfrage ein. Doch bereits nach einem Jahr praktischer Erfahrung mit dem Parteileben „leidend unter Fraktionszwang, organisatorischen Schwefälligkeiten und einem verblassenden konzeptionellen Profil“ zog sich Theodor Wolff sukzessive auf seine redaktionelle Arbeit zurück.

Im Jahr 1926 trat er schließlich wegen eines fundamentalen Dissenses mit seinen liberalen Parteifreunden in der Kulturpolitik (sog. Schmutz- und Schundgesetz) aus der Partei aus. Diesen Schritt registrierte die Öffentlichkeit ebenso aufmerksam wie seine entschiedene publizistische Unterstützung der Politik des Außenministers Gustav Stresemann und seine zu Beginn der dreißiger Jahre wiederholten Aufforderungen an die Demokratie, sie sollten die Voraussetzungen für eine gemeinsame Front gegen KPD und NSDAP schaffen. Er hatte erkannt, dass die Gemäßigten, die Liberalen, traditionell die Kräfte des Ausgleichs und der Konfliktminimierung, langfristig keinen Rückhalt im parlamentarischen und öffentlichen Leben mehr fänden, wenn den Extremisten aus Schwäche ein zu großer Bewegungsraum zugebilligt würde.

Antisemitismus und „Judenfrage“ bildeten für Theodor Wolff keine beutenden Themen. Im November 1923 hatte bereits sein Name auf den Mordlisten der rechtsradikalen Verbände und der Nationalsozialisten gestanden. Keine geschliffene Phrase, keine dunstige Ideologie, schrieb er damals, könne darüber hinwegtäuschen, dass die Nationalsozialisten mit ihrem Geschrei nach umstürzender Gewalt, mit der Rassenverhetzung und der Rohheit lediglich gemeine Pöbeltriebe aufreizten und zu Verbrechen trieben. „Würde man eine Untersuchung vornehmen können, so würde man unter den von alten Weibern verhätschelten und von ungebildeten Großindustriellen protegierten Wanderpropheten des Nationalsozialismus nicht wenige pathologisch interessante Gehirne feststellen. (...) Die Benebelten, die mit Theorien nichts anzufangen wissen, greifen zum praktischen Revolver und schießen los.“

In der Endphase der Weimarer Republik sah er die größte Gefahr für die Demokratie von den Nationalsozialisten ausgehen und empfahl deshalb zum Entsetzen seiner liberalen Parteifreunde öffentlich, in dieser Ausnahmesituation nicht die Rechtsliberale Splitterpartei, die neu gegründete „Deutsche Staatspartei“, sondern die SPD zu wählen. Darin drückte sich kein politischer Kurswechsel aus, sondern lediglich politischer Pragmatismus. Die letzten Leitartikel beschworen wie zuvor nachdrücklich freiheitliche, politische Ideale und zeichneten ein düsteres Szenarium rechts- und linksradikaler Politik. Denn es sei schließlich ein geringer Unterschied, ob „statt des rechten Fußes der linke aus dem Nacken der Demokratie“ stehe.

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  © PROF. DR. BERND SÖSEMANN - AKiP 2007