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Preußen
in der Weimarer Republik 1918-1932
Aufruf der preußischen Regierung vom 13. November 1918
(Preußische
Gesetzsammlung 1918, S. 187)
Preußen ist wie das Deutsche Reich und die anderen deutschen Bundesstaaten
durch den Volkswillen zum freien Staat geworden.
Aufgabe der neuen preußischen Landesregierung ist, das alte, von
Grund auf reaktionäre Preußen so rasch wie möglich in
einen völlig demokratischen Bestandteil der einheitlichen Volksrepublik
zu verwandeln.
Über die zukünftigen Staatseinrichtungen Preußens, seine
Beziehungen zum Reich, zu anderen deutschen Staaten und zum Ausland wird
eine verfassunggebende Versammlung entscheiden; ihre Wahl erfolgt auf
Grundlage des gleichen Wahlrechts für alle Männer und Frauen
nach dem Verhältniswahlsystem.
Bis zum Zusammentritt dieser verfassunggebenden Versammlung hat eine vorläufige
Regierung, die getragen ist vom Vertrauen der Arbeiter- und Soldatenräte,
die Geschäfte übernommen. Sie sieht ihre erste Aufgabe darin,
im engen Zusammenhang mit der neuen Reichsleitung für die Ordnung
und Sicherheit im Lande und für die Volksernährung zu sorgen.
Sie ist dabei angewiesen auf das Verständnis und den guten Willen
der Bevölkerung im allgemeinen und insbesondere auf die gewissenhafte
Mitarbeit aller Beamten des Staates und der Selbstverwaltungskörperschaften.
Alle Beamten, die sich der neuen Regierung zur Verfügung stellen,
sind ausdrücklich in ihren Rechten bestätigt und auf ihre Pflichten
hingewiesen worden.
Von den zahlreichen Aufgaben, vor die sich das neue, freie Preußen
jetzt und in der Zukunft gestellt sieht, seien nur diese hervorgehoben:
Durchführung der uneingeschränkten Koalitionsfreiheit für
alle Staatsarbeiter und Beamten. Gründliche Reform der besoldungs-
und Lohnverhältnisse der Arbeiter und Beamten, einschließlich
der Pensionäre und Altpensionäre, und bis zur endgültigen
Regelung die Gewährung ausreichender Teuerungszulagen.
Ausbau aller Bildungsinstitute, insbesondere der Volksschule. Schaffung
der Einheitsschule. Befreiung der Schule von jeglicher kirchlichen Bevormundung.
Trennung von Staat und Kirche.
Demokratisierung aller Verwaltungskörperschaften. Beseitigung der
Gutsbezirke. Völlig gleiches Wahlrecht beider Geschlechter für
alle Gemeindevertretungen in Stadt und Land. Entsprechende demokratische
Umgestaltung der Kreis- und Provinzialverwaltungskörper.
Raschester Aufbau und Entwicklung aller Verkehrsmittel, insbesondere der
Eisenbahnen und Kanäle.
Hebung und Modernisierung von Industrie und Landwirtschaft. Vergesellschaftung
der dazu geeigneten industriellen und landwirtschaftlichen Großbetriebe.
Umgestaltung der Rechtspflege und des Strafvollzugs im Geist der Demokratie
und des Sozialismus.
Reform des gesamten Steuerwesens nach den Grundsätzen strengster
sozialer Gerechtigkeit.
Es ist eine ernste und schwere Zeit, in der die neue Regierung an ihre
Arbeit gehen muss. Bedrückend ist die Fülle der Aufgaben, vor
die sie sich gestellt sieht. In den vier Jahren des furchtbaren Krieges
haben sich die menschlichen und wirtschaftlichen Kräfte des Landes
erschöpft. Nur durch einmütiges Zusammenstehen des gesamten
Volkes kann der Untergang abgewendet werden. Nur so können wir denen,
die jetzt aus dem Felde zurückkehren sollen, zwar nicht ihre Leiden
und Opfer vergelten, wohl aber die Fortsetzung dieser Leiden ersparen.
Nur so können wir das Gespenst des Hungers bannen, das vornehmlich
unsere Frauen, Kinder und Kranken schon jetzt auf das schwerste bedroht.
Was wir alle haben wollen: Freiheit, Frieden und Brot, kann nur gesichert
werden, wenn das wirtschaftliche Leben in Stadt und Land aufrechterhalten
bleibt.
Die preußische
Regierung:
Hirsch. Ströbel.
Braun. Eugen Ernst. Haenisch. Adolph Hoffmann.
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