Friderizianisches Zeitalter 1740-1786
Außenpolitik

Nicht eigentlich die Inthronisation der Aufklärung, die viele Zeitgenossen von dem nach seiner Persönlichkeit so grundverschiedenen Nachfolger Friedrich Wilhelms I. erwarteten, markierte die Wende des Jahres 1740, sondern die spektakuläre Invasion und Annexion Schlesiens. Sie machte Brandenburg-Preußen zwar nicht sofort, aber doch in der endlichen Behauptung dieser wertvollen österreichischen Provinz während dreier Kriege zu einem Glied des europäischen Mächtesystems. Ohne nach seinem eigenen wirtschaftlich-bevölkerungsmässigen Kräftepotential (1786 knapp 5,5 Mio. Einwohner) schon eine wirkliche Großmacht zu sein, fand das friderizianische Preußen den Anschluss an die damaligen Großmächte. Sein politisches Gewicht reichte fortan über die Grenzen des römisch-deutschen Reiches hinaus, und innerhalb dieses Reiches wurde die traditionelle Vorrangstellung des österreichischen Kaiserhauses nicht nur vorübergehend, sondern auf Dauer erschüttert. Erst die preußische Großmachtbildung im Nordosten leitete jenen Dualismus im Reich ein, den die ältere Geschichtsschreibung bis weit ins 17. Jahrhundert zurückprojizieren wollte, für den es aber unter dem Kurfürsten Friedrich Wilhelm noch keine reale Basis gab. Dieser Dualismus hat jedenfalls die deutsche Geschichte fortan mindestens bis 1866 maßgeblich mitbestimmt, obgleich die Formen der Auseinandersetzung sich wandelten.
Mit überraschender Offenherzigkeit bekannte Friedrich der Große die persönlich-psychologischen Gründe, die ihn bei seiner schlesischen Expansionspolitik leiteten: Ruhm, Ehre, seine Jugend etc.; zugleich aber verwies er auf das preußische Staatsinteresse als Triebfeder seines risikoreichen Handelns. Schon als Kronprinz plädierte er für eine Arrondierungspolitik (droit de bienséance), die auf der Prämisse beruhte, dass Staaten sich vergrößern müssten, wenn sie sich im europäischen Konkurrenzsystem behaupten wollten. Friedrichs Vorgehen führte seinen Staat dann zwar an den Rand des Ruins; es blieb auch für ihn selbst ein einmaliges Wagnis, das er nicht wiederholen mochte. Aber gemessen an den Maßstäben der Kabinettspolitik jener Zeit mit der raschen Entfesselung von dynastischen Kriegen und bedenkenlosem Ländertausch ohne Rücksicht auf die betroffene Bevölkerung war diese Politik keineswegs singulär. Friedrich unterschied sich nicht prinzipiell von seinen Konkurrenten und mindermächtigen deutschen Mitfürsten, wie Kursachsen und Kurbayern, die ihrerseits beim Tode Kaiser Karls VI. (1740) nur darauf warteten, aus der Konkursmasse der scheinbar zur Auflösung bestimmten Habsburgermonarchie territorialen Gewinn zu ziehen.
Bei der Einverleibung Schlesiens in den preußischen Staatsverband leiteten den König selbstverständlich keine national-deutschen Absichten, sondern allein die Interessen des eigenen Staates oder die preußische „Staatsräson“. Diese trieb ihn dazu, Brandenburg-Preußen die Natur „eines Zwitterwesens zwischen Kurfürstentum und Königreich“ zu nehmen. Dadurch musste Friedrich II. aber mit der bestehenden Balance des Mächtesystems kollidieren, wie es seit 1713/20 in Europa bestand. Die Hegemonialmächte Europas waren nicht gewillt, ihre Vormachtstellung mit einem auf sein Militär gestützten Neuling zu teilen. Von dort her erklärt sich die Hartnäckigkeit, mit der die Alliierten des Siebenjährigen Krieges, vor allem Österreich und Rußland, nicht nur die Wiedergewinnung Schlesiens verfolgten, sondern darüber hinaus „die vollständige Zerstörung Preußens“ als Kriegsziel proklamierten. Dieses Ziel ließ sich bekanntlich nicht realisieren. Das vielberufene „Mirakel des Hauses Brandenburg“ hinderte sie daran. Allerdings lässt es sich weder auf das Wirken einer Persönlichkeit, des Feldherrn Friedrich, noch auf den Tod der Zarin Elisabeth und den Bündniswechsel ihres Nachfolgers, zurückführen, sondern weist auf die strukturellen Mängel hin, die der gezähmten Kriegführung im Zeitalter von Kabinettskriegen und Manöverstrategie anhafteten.
Friedrich suchte die Staatsräson als Regulativ seiner Politik an den begrenzten inneren Möglichkeiten der Monarchie ebenso wie an den sich wandelnden Konstellationen des europäischen Mächtesystems zu orientieren. Nach dem Hubertusburger Frieden (1763) passte sich der König ganz den unter den europäischen Mächten geltenden Spielregeln der begrenzten und kalkulierten Konflikte an. Im Zeichen des Interessenausgleichs untereinander zur Vermeidung von großen Kriegen und zur Aufrechterhaltung der Balance stand auch jene Partagepolitik, die 1772 zur ersten Teilung Polens zwischen Rußland, Österreich und Preußen führte.. Das friderizianische Preußen hat beim Erwerb Westpreußens an der „negativen Polenpolitik“ der großen Mächte partizipiert. Es hat ebenso aus wohlverstandenem Eigeninteresse im Bayerischen Erbfolgekrieg (1778/79) dem Vordringen des österreichischen Kaisertums in Süddeutschland einen Riegel vorgeschoben und die niederländisch-bayerischen Tauschpläne nach 1779 zu verhindern gewusst, die Kaiser Joseph II. und Kurfürst Karl Theodor von Pfalz-Bayern verfolgten. Noch im Jahre 1785 benutzte Friedrich den Fürstenbund als Mittel zum Kräfteausgleich im Reich, um dort ein Übergewicht Kaiser Josephs zu verhindern, obwohl der Preußenkönig den Reichsorganismus und seine Verfassung für überlebt hielt.

Preußische Staats- und Kabinettsminister
Literaturempfehlungen